Wichtigste Regeln, um den Patchworkalltag zu überleben:

  1. Keine Aktivitäten gemeinsam machen.
  2. Weghören und wegschauen.
  3. In jeder Situation tief durchatmen.
  4. Immer die Möglichkeit zur Flucht haben.

Was ist die richtige Entscheidung , woran erkennt man sie und wie weiß man , dass man sie nicht bereuen wird?

Impressum:

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

©2018 Rebecca Sophia Hammer

Herstellung & Verlag

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783752890068

Für meinen Opa

Du fehlst mir jeden Tag.

Und für dich, Jano,

bleib so liebenswert und schelmisch wie er.

Inhaltsverzeichnis

Glückliche Menschen haben nicht das Beste von allem,
glückliche Menschen machen das Beste aus allem

Das Flugzeug kommt zum Stehen. Ich atme durch, gelandet. Juhu, zu Hause. Ich möchte so schnell wie möglich hier raus. Loui schnallt sich bereits ab und steht auf. Die Stewardess öffnet die Tür und wir laufen die Treppe hinunter. Ich merke, wie sich mein ganzer Körper entspannt. Endlich bin ich wieder in Spanien! Es ist schön warm. Den Kerosingeruch ignoriere ich. Ich freue mich so auf meine Familie, ein paar Tage nichts tun und niemanden sehen, auf den ich keine Lust habe. Mein Sohn zieht mich hektisch am Arm. »Mama komm, Oma wartet bestimmt schon!» Da wir nur Handgepäck haben, laufen wir eilig aus dem Gepäckbereich heraus. Als sich die Türen öffnen, warten viele Menschen auf ihre Familien und Freunde. Wir treffen meine Oma immer direkt am Ausgang. So muss sie mit ihren 78 Jahren nicht mehr in das viel zu enge Parkhaus fahren. Loui flitzt freudig vor. Da sehe ich sie. »Abuela!«, rufe ich laut. Sie ist eine freundliche Frau mit kurzen, schwarzen Haaren und lieben, dunklen Augen. Sie trägt eine große, rote Brosche auf ihrer weißen Bluse und strahlt herzlich, als sie uns sieht. Loui rennt ihr in die Arme. »Mein kleiner Guapo«, sagt sie liebevoll. Er ist mit seinen acht Jahren zwar fast so groß wie sie, aber wird wohl immer ihr Baby bleiben. »Meine Bonita«, begrüßt sie mich und ich rieche ihren vertrauten Duft, eine Mischung aus Blumen und frisch gebackenem Kuchen, als sie mich herzlich an sich drückt.

»Lasst uns losfahren, bevor wir in den Feierabendverkehr kommen«, sagt sie. »Carli, du siehst so erschöpft aus.

Du musst viel öfter nach Hause kommen als nur alle zehn Wochen«, stellt meine Oma besorgt fest. Und dann fragt sie natürlich: »Warum sind Max und Mathilda eigentlich nicht dabei?« Ich atme laut aus.

»Weil ich sie im Moment nicht ertragen kann«, erwidere ich resigniert.

»Was ist denn schon wieder los? Seit fünf Jahren seid ihr ein Paar, habt euch von euren Partnern getrennt und doch habe ich immer das Gefühl, es kehrt keine Ruhe ein. Ihr habt ein wunderschönes Haus gekauft, auch wenn es im kalten Deutschland steht«, sagt sie und knufft mich ins Bein. »Ihr seid ein tolles Paar. Ich sehe doch immer, wie euch alle bewundernd anschauen. Du verdienst gut und er als Tierarzt auch. Beide seid ihr selbständig. Und ihr habt zwei gesunde Kinder, wenn auch nicht gemeinsam. Was ist los Bonita?«

»Ich weiß das alles«, sage ich genervt. »Ute, seine Exfrau, ist wahnsinnig anstrengend und du weißt, dass Mathilda jetzt schon arrogant, aufmerksamkeitssüchtig und oft richtig narzisstisch ist.«

Ich vergewissere mich, dass Loui seine Kopfhörer auch wirklich auf hat. Er guckt ganz entspannt aus dem Fenster. »Ach Abuela, hätte ich gewusst, wie anstrengend Patchwork ist, hätte ich das nicht gemacht.«

Sie sieht mich besorgt von der Seite an. »Du musst lernen, unangenehme Realitäten zu akzeptieren. Und du als Psychologin solltest dich wirklich nicht von einer Dreizehnjährigen und ihrer impertinenten, geldgierigen Mutter ärgern lassen!«

»Das sagst du so leicht. Wenn er wüsste, dass ich seinen Handycode kenne und ihre lächerlichen Forderungen lese und er auch immer noch um des lieben Frieden willens drauf eingeht, würde er begreifen, warum ich manchmal so launisch bin.«

»Du kleine Hexe«, lächelt meine Oma verschwörerisch.

Endlich biegen wir nach einer Stunde Richtung Javea ab. Das ist der Ort, den ich mit vier Jahren verlassen habe. Meine Mutter, eine Kinderärztin, hat einen sehr gut bezahlten Job in einer Frankfurter Klinik angeboten bekommen. Und mein deutscher Vater kann als absoluter Perfektionist den tiefenentspannten Lifestyle der Spanier - komme ich heute nicht, komme ich morgen - nur schwer auf Dauer ertragen. Auch musste er jede Woche nach Deutschland fliegen, um an Meetings teilzunehmen. Er arbeitet bei einer großen Wirtschaftszeitung als Journalist. Aus diesen Gründen sind wir in Idstein, einer kleinen Stadt in Hessen, gelandet. Zum Glück habe ich mich schnell eingelebt, dennoch kehre ich seitdem alle zehn Wochen zurück nach Javea. Das ist nun mal meine Heimat. Und ich bin, im Gegensatz zu meinem Vater, was den Lifestyle und das positive Denken betrifft, ganz und gar Spanierin. Ich kenne hier jede Gasse und habe noch sehr viele Freunde. Obwohl meine tolle Stadt stetig wächst. Mittlerweile haben auch in unserer Straße leider viele reiche Menschen riesige Häuser bauen lassen. Und unsere Straße ist keine einsame Gasse mehr zum Meer hin, sondern eine absolute Villengegend geworden. Jedoch sind die meisten Häuser nur in den Sommermonaten bewohnt. Außer meinen Großeltern wohnen nur wenige Menschen fest in dieser Gegend von Javea. Als wir um die Ecke biegen, schreit Loui laut, er hört aufgrund der Kopfhörer und seines Hörspiels nicht gut: »Juhuu, ich sehe das Meer, gleich sind wir da!«

»Ja mein Schatz«, sagt meine Oma, »Opa freut sich wie verrückt auf dich. Und natürlich auf dich, Carla.«

»Und ich mich erst«, sage ich. Mein Opa ist für mich in meiner Familie eigentlich der wichtigste männliche Bezugsmensch. Es war damals für mich das Schlimmste, ihn verlassen zu müssen. Ich habe nächtelang nur geweint, weil ich ihn mehr als meine Kindergartenfreunde vermisst habe. Wir hatten schon immer eine ganz besondere Verbindung.

Er ist auch etwas ganz Besonderes, ein Mann voll ansteckender Fröhlichkeit und großem Optimismus.

Als meine Abuela am Haus anhält, steige ich aus, um die Garage zu öffnen.

Allein dieser Moment, wenn man hier aussteigt, das Tor öffnet, unter sich das weite, weite Meer sieht und die kleine Insel, ist seit 35 Jahren unbeschreiblich. Ich rieche den Jasmin, welchen meine Mutter überall angepflanzt hat, sowie das Meer. Ich fühle mich jetzt schon entspannt. Wir nehmen unsere kleinen Koffer und gehen die 28 Stufen nach unten zu unserem Haus. Manchmal kann ich nicht fassen, dass meine Familie auf diesem Fleckchen Erde ein Zuhause besitzt. Ich gehe hinein und rieche sofort den frischen Kuchen, den meine Oma sicher ganz früh heute Morgen gebacken hat. Wo ist mein Opa nur, ich kann es nicht erwarten ihn zu sehen, denke ich sehnsüchtig. Loui rennt direkt Richtung Pool, da er ihn draußen vermutet. Ich gehe auf den Balkon und schaue nach unten zum Schwimmbad. Da steht er: braungebrannt, in einer modernen Badeshorts, sehr durchtrainiert und muskulös für seine 79 Jahre. Das weiße Haar wirkt von Besuch zu Besuch heller und ausgeblichener von der Sonne. Loui stürmt auf ihn zu und sie drücken sich fest. Immer, wenn ich das sehe, bin ich gerührt und glücklich. Meine Oma stellt sich neben mich und streicht mir über den Arm.

»Ich bin so froh, dass ihr zwei da seid. Dein Opa tut immer so vital und stark, aber es geht ihm gar nicht gut.«

Sofort spüre ich den vertrauten Kloß in meinem Hals, wenn es um seine Gesundheit geht. Er hat sechs Bypässe und sehr starken Diabetes. Der Diabetes schädigt sein peripheres Nervensystem, zudem hat er häufig starke Schmerzen im ganzen Körper. Meine Mutter bespricht sich ständig mit den besten Diabetologen in der Klinik, auch ist er schon gut mit Insulin eingestellt, aber Diabetes ist leider teuflisch. Allein der Gedanke, dass er irgendwann nicht mehr da sein könnte, lässt sich kaum aushalten.

»Ich werde euch die nächsten Tage einiges abnehmen und ihr ruht euch bitte aus.« Meine Oma lächelt dankbar. »

Na, auf Carla, geh runter, er freut sich so auf dich.« Ich laufe zum Pool, den mein Opa gerade reinigt. »Guapa«, ruft er. »Wie schön, dass ihr das seid.« Ich drücke mich an ihn und fühle mich sofort beruhigt und uneingeschränkt geliebt.

»Deine Paella war so lecker wie immer.«

Ich kratze den kleinsten Krümel aus dem Teller. Meine Oma macht jedes Mal zum Abendessen Paella, wenn wir ankommen. Aber ohne Fisch. Es ist für Spanier zwar untypisch, aber unsere Familie mag keine Meerestiere.

»So, ich werde mich mal fertig machen«, sage ich in die Runde. Denn ich bin heute Abend mit meinen Freunden aus dem Kindergarten im Achill verabredet. Wir haben den Kontakt durch meine regelmäßigen Besuche in Spanien nie verloren. Und Ana, meine liebste Freundin, war schon oft in Deutschland zu Besuch.

Als ich das Achill betrete, sind alle schon da. »Carli!«, ruft Ana und umarmt mich stürmisch. »Es ist so schön, dich zu sehen!« Das Achill ist vor zehn Jahren eröffnet worden. Es ist etwas oberhalb der Promenade und man hat einen einmaligen Blick über den Strand, das Meer und den Berg Montgo, der eine Art Wahrzeichen unserer Stadt ist. Ich lasse mich zwischen Ana und Emilio in eines der bequemen Strandbetten fallen. Mein Rock rutscht etwas zu hoch, Emilio ist das natürlich nicht entgangen. Schnell zupple ich an mir herum. Er zwinkert mir zu und ich fühle wie immer, wenn ich ihn sehe, dieses schöne Gefühl in mir. Jose bestellt sofort acht Hierbas, einen spanischen Kräuterschnaps. Für meinen Geschmack viel zu süß. Ich bin aus Deutschland gute Brände für die Verdauung gewöhnt. In Spanien gibt es eigentlich nur süße Schnäpse. Aber ich stoße natürlich mit an. Heute legt ein DJ im Achill auf. Es wird immer voller, irgendwann können wir uns nicht mehr auf den Strandbetten halten und gehen alle zusammen auf die Tanzfläche. Ich entdecke noch mehr Bekannte, die ich drücke und begrüße. Auf einmal kommt Rihanna mit Umbrella. Das war das Lied, zu dem Emilio und ich in Valencia die Nacht zum Tag gemacht haben. Emilio ist meine erste große Liebe. Wir waren während meines Auslandssemester in Valencia sechzehn Monate zusammen. Er studierte dort Medizin und ich ein Jahr Psychologie. Ich fühlte mich seit meiner Jugend sehr zu ihm hingezogen. Wir küssten uns, als ich fünfzehn war, immer wieder bei Partys im Moli Blanc, einer große Freiraumdisco. Wir gingen morgens im Meer baden, telefonierten Stunden, wenn ich wieder in Deutschland war. Aber so richtig wurde es erst was in Valencia. Ich wohnte in so einer kleinen WG Wohnung, dass er jedes Mal, wenn er bei mir schlief, durch das Zimmer meines Mitbewohners Xavi durchgehen musste. Wir hatten eine tolle Zeit. Aber es war klar, dass unsere Liebe die Entfernung nicht überstehen konnte. Ich wusste immer, dass ich als Psychologin nur in Deutschland arbeiten möchte. Auch wenn ich wegen der ganzen Bürokratie oft an unserem Gesundheitssystem verzweifle, ist es doch eines der besten weltweit.

Ich nehme gerade einen großen Schluck von meinem Champagner, als ich seine Arme um meine Taille spüre. »Komm Carli«, sagt Emilio »Lass uns tanzen, es ist unser Song.«Emilio ist etwa 1,90 und sehr attraktiv. Er war schon immer ein absoluter Frauentyp. Und jetzt, dank seiner Stelle in Alicante im Krankenhaus General Universitario als leitender Chirurg, vermutlich noch mehr. Es fühlt sich alles so leicht mit ihm an. Er ist immer lustig, positiv und wahnsinnig sexy. Als er mich über die Tanzfläche zieht und wir uns ständig anschauen, muss ich an Max denken. Eigentlich vermisse ich ihn immer, sobald er nicht bei mir ist. Aber er ist oft so kalt zu mir und so unerreichbar. In einem Moment zeigt er mir so viel Liebe, dann macht er wieder zu.

Psychologisch habe ich das alles schon hundert Mal analysiert. Sicher liegt es an seiner Kindheit, er hatte nie wirkliche Liebe erfahren. Seine Mutter starb, als er und seine Schwester noch klein waren. Sein Vater hatte ständig wechselnde Partnerinnen. Und er konnte durch den Tod seiner Frau selbst kaum Gefühle zeigen. Er ist ein guter Mann, aber er hat den Tod von seiner Frau nie überwunden.

Und war für seine Kinder auch nur der Versorger und nie der Vater, den sie dringend gebraucht hätten.

»Carli, bist du noch hier?« Emilio holt mich aus meinen Gedanken zurück. »Komm, lass uns mal an die Bar gehen, ich möchte mit dir alleine etwas trinken und hören, wie es dir geht.« Eigentlich weiß ich, wie gefährlich es wird, sobald wir alleine sind. Aber ich kann ihm einfach nie widerstehen. »Wie läuft es mit Max?«, fragt er mich. Ich senke den Blick und merke, dass ich eigentlich kurz davor stehe zu weinen. »So schlimm?« Emilio sieht mich liebevoll an. Ich trinke einen großen Schluck aus meinem Glas, das mir Pepa, die Barkeeperin, eben hingestellt hat.

»Weißt du, Emilio«, beginne ich, »es ist so komisch, mit dir darüber zu sprechen, da zwischen uns ja auch immer was war. Und dieses Gefühl, wenn ich dich sehe, hört nie auf, glaube ich.« Etwas erstaunt über meine Ehrlichkeit, aber ich kann auch den Stolz in seinen dunklen Augen erkennen, nimmt er meine Hand.

»Carla, ich möchte, dass du glücklich bist, und ich mache mir Sorgen, dass du deine Zeit mit Max vergeudest. Außerdem kümmert er sich nie wirklich um Loui und du kannst seine Tochter nun mal nur schwer ertragen. Und da frage ich mich, ob das alles eine Zukunft haben kann? Und jetzt erzähl mir, was genau los ist.«

»Eigentlich das Übliche. Ständig gibt es Ärger mit Ute, sie möchte, dass er die teure Privatschule alleine finanziert, dabei zahlt er ihr ja so schon viel mehr als er müsste. Er soll ständig zu allen Terminen erscheinen, bei denen es um Mathildas schlechtes Verhalten in der Schule geht. Täglich ruft Ute an und heult ins Telefon, weil Mathilda wieder abgehauen ist und die halbe Nacht weg war. Oder Mathilda macht Max ein schlechtes Gewissen, er sei an allem schuld, weil er ihre Mutter und sie meinetwegen verlassen habe. Sie schreibt eine Fünf nach der anderen und es macht ihr vermutlich Spaß, damit im Vordergrund zu stehen.

Max macht alles, was sie sagt, weil er sich wahrscheinlich insgeheim wirklich schuldig fühlt. Was natürlich absoluter Quatsch ist, das habe ich ihm schon hundertmal gesagt. Aber er denkt es, das spüre ich. Dann hat er natürlich auch viel Stress im Job. In der Nähe hat sich jetzt noch ein Tierarzt niedergelassen, das ist alles nicht leicht für ihn. Aber all das belastet unsere Beziehung. Und ich kann manchmal auch nicht mehr. Ich weiß, dass er mich wirklich liebt. Ich kann ja allmählich mit seiner ambivalenten Art mir gegenüber umgehen. Ich akzeptiere es, dass er sich manchmal zurückziehen muss, dass er leiden muss, um danach wieder glücklich zu sein. Aber oft überlege ich, warum ich mir das alles antue. Ich liebe ihn wirklich sehr. Ist das okay, wenn ich dir das so sage?«, frage ich etwas zerknirscht.

»Ja, es ist ok«, sagt er mit seiner herzlichen Art und drückt meine Hand.

»Aber ich habe Angst vor der Zukunft. Wie wird Mathilda sich mir gegenüber verhalten, wenn sie älter ist? Sie ist schon jetzt oft abweisend. Ich weiß, dass Ute ihr immer das Gefühl gibt, mich nicht mögen zu dürfen, ansonsten verrate sie ihre Mutter. Ich würde so gerne mal heiraten. Will er das wirklich nochmal? Ich wollte immer ein weiteres Kind. Obwohl ich natürlich auch die Freiheiten, die wir durch die abwechselnden Wochenenden von Loui und Mathilda haben, genieße.

Und wäre Max überhaupt in der Lage, ein anderes Kind so zu lieben, ja wirklich zu vergöttern, wie Mathilda?«

»Bist du eifersüchtig auf sie, Carla?«, fragt mich Emilio.

»Ich würde es nicht eifersüchtig nennen. Aber ich spüre sehr oft, da gibt es einen Bereich im Leben meines Partners, in den ich nicht reingehöre. Das verletzt mich. Es fühlt sich immer wie zwei Fronten an. Loui und ich, Max und sie. Ach lass uns noch was trinken, ich bin so glücklich hier zu sein. Pepa, mach uns bitte zwei Daiquiri de fresa.« Nirgends auf der Welt habe ich je bessere Erdbeerdaiquiri getrunken als im Achill. Sie werden nämlich nicht aus so einer künstlichen Erdbeerpampe gemacht, sondern aus frischen, zerstampften Erdbeeren, Limettensaft, frischer Minze und natürlich weißem Rum. Meine Eltern trinken so gut wie nie Alkohol, höchstens mal ein Glas zum Essen. Aber ich habe das Party-Gen von meinen Großeltern geerbt, die beiden waren auch auf jeder Fiesta vertreten. Manchmal denke ich, ich bin zu alt und eigentlich beruflich in einer zu angesehenen Position, aber ich gehe zu gerne abends mit Freunden aus, wenn Loui bei seinem Papa ist. Des Öfteren frage ich mich, warum ich nie zur Ruhe komme. Warum muss ich immer raus, was erleben?

Vom Meer kommt eine kühle Brise und ich ziehe mir mein schwarzes Seidenjäckchen über. Ich hole mir eine Zigarette aus meiner Clutch und schnappe mir das Feuerzeug, das auf der Theke liegt. »Wollen wir nochmal rein zu den anderen, wenn ich fertig geraucht habe? Es wird doch auch etwas kühl im Mai.« »Gib mir auch eine.« Emilio und ich sind einige der wenigen Menschen, die wirklich nur auf Partys und Festen rauchen. Sobald Alkohol im Spiel ist, rauchen wir, ansonsten sind wir absolute Nichtraucher.

Ich kann es dann nicht mal riechen, wenn jemand mit einer Zigarette in der Hand vor mir läuft. Gerade, als ich meine Zigarette im Aschenbecher ausdrücken will, kommen Ana, Jose, Linda, Paolo und seine Frau Amanda raus.

»Was ist mit euch beiden? Wir müssten uns alle bald auf den Weg machen«, sagt Ana. »Luiza ist im Moment jeden Morgen um fünf wach und die anderen müssen arbeiten.« Luiza ist Anas süße zweijährige Tochter. Ana hat in meinen Augen das perfekte Leben. Ihr Mann Leo ist toll, immer gut gelaunt, gönnt Ana alles und liebt seine Tochter über alles. Natürlich wollen sie gerne zwei weitere Kinder. Warum konnte ich nicht mit dem Mann, mit dem ich ein tolles Kind habe, zusammen bleiben? Tja, weil Marc, Louis Papa, mir zu langweilig wurde und er und ich einfach so verschieden sind. Er ist ein ganz lieber Mensch, aber irgendwie hat es nicht mehr gepasst.

Zwischen uns wird immer diese eine Geschichte sein,
aber sie bleibt unvollendet

Emilio und ich verabschieden alle anderen und ich verspreche, dass wir uns nochmal sehen, bevor ich in fünf Tagen schon wieder abreise.

»So Fräulein Cruz, da sind es nur noch zwei«, sagt er und sieht mich verschmitzt an.

»Ehrlich gesagt, hatte ich das schon gehofft, als ich dich vorhin sah«, antworte ich. Puh, ich merke, wie der Alkohol mich mutig, redselig und anhänglich macht. Ich bin von Natur aus schon nicht auf den Mund gefallen, aber sobald ich etwas angetrunken bin, kann ich ohne Probleme einen ganzen Saal unterhalten. »Ich möchte tanzen, Milo.« Ich trinke noch einen großen Schluck von meinem Daiquiri und wir gehen zur Tanzfläche. Drinnen ist es wegen der guten Belüftung angenehm warm. Als ob es geplant ist, legt der DJ Salsa Musik auf. Emilio und ich hatten in Valencia einen Salsa Kurs besucht und wir waren ziemlich gut. Er ist ein sehr talentierter Tänzer. »Los geht’s Carli!« Er packt mich und wir beide bewegen uns gekonnt zur Musik, ich spüre seinen Atem an meinem Hals und drücke mich näher an ihn. Er schaut mir tief in die Augen und ich denke: Er will mich doch küssen! Da überlegt er es sich anders und dreht mich, um mich dann wieder in seine Arme zu ziehen. Da sind nur noch Emilio und ich. Warum habe ich mich damals von ihm getrennt? Ich verstehe mich manchmal nicht. Er nimmt meinen Kopf in seine Hände und küsst mich. Ganz vorsichtig und zaghaft. Es fühlt sich so vertraut und doch so spannend und neu an. Er konnte schon immer gut küssen. Ich drücke mich an ihn und erwidere seinen Kuss. Als ich die Augen wieder aufmache, bin ich etwas beschämt, da einige Gäste uns nach unserer Tanzeinlage wohl beobachtet haben. »Lass uns gehen«, sage ich und schnappe meine Jacke. Als wir die Stufen vom Achill nach unten gehen, zieht Emilio mich am Arm und drückt mich in eine Ecke zwischen zwei Bars, die mittlerweile geschlossen haben. Wir küssen uns so wild, dass ich kaum noch Luft bekomme. Als hätten wir uns die letzten Jahre fürchterlich vermisst.

Ich merke seinen heißen Atem an meinem Ohr, »Carli, komm mit zu mir.« Ich nicke nur und kann kaum die Finger von ihm lassen.

Ich schaue mich in Emilios Badezimmerspiegel an.

Der Spiegel gefällt mir.

So ein Vintageteil mit goldenen Verzierungen. Passt super zu seinem ansonsten modern in grau gehaltenen Badezimmer. Ich sollte mich aber auf das Wesentliche konzentrieren. Soll ich Max ernsthaft so richtig betrügen? Nehme ich uns damit nicht die Chance, eine wirklich ernsthafte Beziehung zu beginnen? Wenn Max von all den Flirts wüsste in unseren gemeinsamen fünf Jahren, er würde mich erschlagen. Okay, es war bisher eigentlich immer nur harmlos. Milo wäre aber jetzt der erste, mit dem ich schlafe. Aber eigentlich kennen wir uns ja schon länger als Max und ich. Zählt das dann? Ich muss aufhören, mir irgendwelche Pseudoausreden auszudenken. Okay, ich bin sehr betrunken. Mmh, diese Ausrede zählt vermutlich auch nicht. Was willst du eigentlich, Carla, frage ich mein Spiegelbild. Oft merke ich es gar nicht, aber ich denke und spreche immer Spanisch, wenn ich alleine bin. Komisch, obwohl ich in meinem Job nur deutsch rede und zwar permanent. Was willst du? Ja, eigentlich weiß ich die Antwort. Ich möchte ein glückliches Leben mit Max. Ich liebe ihn sehr. Und wenn ich versuche mich objektiv zu betrachten, mache ich das oft aus Rache und weil ich unglücklich bin. Ich bin mir eigentlich sicher: Wäre Max konstant liebevoll zu mir, würde ich keine Abenteuer suchen. Aber so fühle ich mich besser und nicht so klein und hilflos gegen seine Stimmungsschwankungen. Würde er sich mir und Loui gegenüber anders verhalten, hätte er uns wenigstens Tschüss gesagt, als wir zum Flughafen losgefahren sind, wäre ich jetzt nicht bei Emilio im Badezimmer.

Aber so, Pech Max. Ich spüle mir den Mund mit Zahnpasta aus, mache mich kurz frisch, bürste meine langen, dunklen Haare und geh ins Schlafzimmer.

Lautes Gerede von draußen weckt mich. Ich kann mich erst überhaupt nicht orientieren. Und mein Kopf tut derart weh, dass ich einen Brechreiz spüre. Milo liegt neben mir und pennt. Typisch Mann, die können einfach immer ausschlafen, egal wer neben ihnen liegt. Ich brauche dringend eine Ibuprofen . Zum Glück habe ich immer welche in meiner Tasche. Ich muss mir unbedingt, bevor ich nach Hause fliege, in der Farmacia welche holen. Die spanischen Ibuprofen sind um einiges günstiger als in Deutschland und viel stärker. Was ich auch brauche, bei meinen Kopfschmerzen. Und wo ist mein Handy? Ich muss zu Hause Bescheid geben, dass alles in Ordnung ist und überhaupt, ich muss heim. Meine Oma ist sonst enttäuscht.

Emilio hält oben vor unserem Haus. »Carla«, sagt er und schaut mich lange an.

»Was ist?«, frage ich.

»Ich werde Vater.«

»Was?« Ich starre ihn entsetzt an. »Was, von wem, warum, und wann?«

»Ich bin eigentlich mehr oder weniger mit Laura Gonzales zusammen«, sagt er.

»Bitte? Mit der Laura, die mit ihren Eltern auf dem Pferdehof bei Ondarra lebt? Die ich schon immer furchtbar nervig fand, mit ihrer veganen Lebensweise und ihren Greenpeacetreffen?

Die noch nie wirklich lustig war und mit 25 schon tat, als wäre sie ach so weise und erwachsen?«

»Ja genau die. Und eigentlich ist sie gar nicht so übel, Carli. Wir treffen uns seit ein paar Monaten.

Ich muss endlich mal mein Privatleben in den Griff bekommen. Nach der Trennung von Sophia habe ich doch außer der Arbeit im Krankenhaus, Party und Affären nichts mehr hinbekommen. Und Carli, du hast ja bereits ein Kind. Und wir wissen beide, dass du Max nicht verlassen wirst. Ich war deine erste große Liebe, aber er ist schon immer, seit du ihn vor 15 Jahren das erste Mal kennengelernt hast, dein Traummann. Da kann ich nicht mithalten. Und ich möchte Familie, Carla, und mal zur Ruhe kommen. Laura ist perfekt dafür.«

»Wie kannst du das so sagen, Emilio? Sie ist perfekt, weil sie zuverlässig, langweilig, eine gute Mutter und Ehefrau abgeben wird? Was ist mit der Liebe, Emilio?«, bricht es wütender aus mir heraus, als ich es wollte.

»Carla, jeder Mann hat eine Frau, die er nie vergessen wird, an die nie eine andere herankommen wird. Aber wer heiratet diese Frau denn schon? Du weißt, dass du das für mich bist«, sagt er und sieht mich so traurig an.

»Aber, Milo, ich kann das irgendwie nicht verstehen, warum hast du heute Nacht mit mir geschlafen?«

»Weil du eigentlich die Eine bist für mich. Ich werde immer jede Möglichkeit nutzen, mit dir zu schlafen«, antwortet er und grinst mich schelmisch an. »Eine Frau wie du ist mir zu anstrengend zum Heiraten.«

»Was soll das heißen, Emilio?» Ich merke, dass ich gleich ausraste, der wenige Schlaf, mein Kater, diese Nachricht und mein schlechtes Gewissen gegenüber Max, das sich nicht wegdrücken lässt. »Anstrengend, aber hallo.

Ich verdiene viel Geld, mache den Haushalt, kümmere mich gut um mein Kind, jammere nie rum, bekomme alles hin.

Mit mir kann man sich gut unterhalten, ich bin für alle da, kann feiern wie ‘ne Zwanzigjährige. Jackpot würde ich sagen. Und du nennst mich anstrengend!«, funkle ich ihn zornig an. »Was glaubst du, wie anstrengend dein Leben sein wird, wenn du von deiner Öko-Tusse nicht mal mehr ein Steak auf den Tisch bekommst. Und du dir täglich Berichte über die Zwangsarbeit indischer Straßenkinder anhören kannst.

Sag mir das, Emilio!« Ich schreie mittlerweile. »Mach’s gut und jammer mir in ein paar Jahren ja nicht über dein langweiliges Leben die Ohren voll.« Ich packe meine Tasche und möchte die Tür öffnen.

»Carla, verdammt nochmal, du Krawallschachtel, was ist denn los?« Milo weiß immer, wie er mich zum Lachen bringen kann. Krawallschachtel, allein dieses Wort lässt mich etwas runter kommen. »Hast du noch ‘ne halbe Stunde?«

»Warum?«, will ich wissen. »Lass uns nochmal runter an den Ambolo Strand fahren, ich möchte dir was erklären. Wir dürfen nicht so auseinander gehen.«

»Moment, ich muss Loui drinnen schnell Hallo sagen und Abuela und Abuelo Bescheid geben, dass wir noch was klären müssen«, sage ich schnippisch und springe raus.

Der Ambolo Strand befindet sich direkt unter unserem Wohngebiet. Er ist naturbelassen und wunderschön. Das Wasser ist so türkis und blau, wie in der Karibik. Nur der Weg dorthin hat es in sich. Im Sommer stehen die Autos der Besucher, die zu diesem Geheimtipp wollen, bis zu uns ans Haus. Und es ist alles Steilküste. Ich war seit Monaten nicht mehr hier unten, weil ich den Weg so verabscheue. Emilio und ich können heute im Mai zwar um einiges weiter runter fahren als im Sommer, wenn die Touristen schon um sieben Uhr morgens alles zuparken. Aber bis circa einen Kilometer vor dem Strand ist es gesperrt. Man muss zu Fuß laufen. Der Strand ist nämlich von der Stadt nicht als öffentlicher Strand freigegeben. Es fallen alle Jahre mal Steine herab. Deshalb wurde er als zu gefährlich eingestuft. Vor drei Jahren wurde aus der Stadtkasse eine etwa 300 Stufen lange Treppe gebaut. Heute kann man die steile Treppe zwar noch nutzen, aber auf eigene Gefahr. Puh, der Weg runter macht Emilio und mich jetzt schon fertig, da merkt man das Alter und die letzte Nacht in den Knochen. Ich muss mich immer wieder setzen,da ich denke, mein Kreislauf macht schlapp. »Es waren eindeutig zu viele Drinks gestern«, sagt Emilio und knufft mir in die Seite. Endlich sind wir unten angekommen. Es gibt hier nur Kiesstrand, deshalb nehmen wir im Sommer, wenn wir denn mal runter gehen, immer Badeschuhe mit. Emilio und ich setzten uns in den Kies. Die Saison hat im Mai in Javea noch nicht richtig begonnen, es ist niemand hier, außer uns beiden. Auch ist das Wasser zum Baden noch etwas zu frisch.

»Also was möchtest du mir erklären, Señor Emilio Sanchez?«

»Carla, du bist doch nicht anstrengend in der Form, in der du das jetzt verstanden hast. Ich weiß, was für eine tolle Frau du bist. Aber es ist anstrengend, mit dir Schritt halten zu wollen. Wie steht man denn als Mann neben dir, du kannst alles alleine. Naja, handwerkliche Arbeiten gehören jetzt nicht dazu«, sagt er und grinst mich an.

»Jaja, natürlich kann ich nicht alles«, erwidere ich schnell.

»Aber du wirkst so. Wie fühlt man sich neben einer so taffen Frau als Mann? Wir Männer möchten gerne noch den Versorger, Beschützer spielen. Das ist in uns drin.«

»Emilio, bitte«, sage ich impulsiv, »wir leben nicht mehr in Höhlen. Dann seid ihr eben alles Weicheier, wenn ihr so Mäuschen lieber habt, die euch den ganzen Tag anbeten. Denen geht ihr dann nämlich mit Frauen wie mir fremd«, sage ich aufgebracht.

»Siehst du, du sagst es doch selber. Zu Hause das Mäuschen aber eigentlich das Verlangen nach jemandem wie dir. Männer sind wohl so« Ich gucke ihn entgeistert an.

»Also werde ich deshalb nie heiraten?«

»Carla«, Emilio lacht und streicht mir freundschaftlich durchs Haar. »Du hättest schon, wenn ich richtig gerechnet habe, vier Mal verheiratet sein können. Aber du verlässt ja jeden.«

»Pah, laut deiner These hätte mich ja eh keiner geheiratet.«

»Doch, das hätten sie alle. Aber du warst auch immer, bis auf Max und mich, mit Männern zusammen, die dir unterlegen waren. Entweder beruflich nicht so erfolgreich wie du oder vom Typ her viel defensiver. Aber jemand der genauso stark ist wie du und auch gerne den Ton angeben möchte, fühlt sich durch dich verunsichert. Die anderen, die zu dir aufsehen, reflektieren das nicht. Aber jemand wie Max, der selbst ein Alphatier ist, hat Angst, bei dir nicht seinen Mann stehen zu können. Und das Gefühl braucht er unbedingt, um sich stark zu fühlen. Auch hat er, und so würde es mir auch gehen, Angst, von dir verlassen und betrogen zu werden. Du bist dir deiner Wirkung auf Männer bewusst. Du weißt genau, dass du immer jemanden finden wirst. Eine Frau wie Laura ist viel bodenständiger als du. Und sei mir nicht böse, somit auch viel leichter glücklich zu machen. Außerdem ist die Gefahr, dass sie dir von einem anderen weggenommen wird, eher gering. Solche Frauen sind gewöhnlich und das meine ich nicht negativ, aber es gibt sie häufig.

Du bist einfach anders und hat man dich, bekommt man Angst, dich zu verlieren. Und das wird auf Dauer sehr anstrengend. Ach Carla, guck mich nicht so fassungslos an.«

»Ich muss das erst mal alles sortieren, Emilio. Also weil ich, sagen wir es mal in deinen Worten, anders bin , ist es für einen Mann schwer, sich an mich für immer zu binden, da er Angst hat, mir entweder zu verfallen und sich somit nicht mehr als richtiger Mann zu fühlen oder immer mit der Angst lebt, dass ich von einem anderen weggenommen werde?« »Wenn du es so kurz zusammenfassen willst, stimmt das, ja«, sagt er.

»Mmh okay, irgendwie toll und irgendwie sehr traurig.

Es tut mir leid, dass ich dich ebenso angefahren habe, aber der Gedanke „Du bist bald Vater, verheiratet und ich habe gar kein Recht mehr auf dich“ macht mich irgendwie so traurig. Wir haben es uns doch so oft gesagt: Wenn wir 50 sind, heiraten wir zwei.« Er zwinkert mir zu und nimmt mich in den Arm. Keiner sagt mehr was. Wir sitzen im Kies, gucken aufs Meer, Emilio hat beschützend seinen Arm um mich gelegt. Irgendwie kann ich es nicht ändern, mir laufen die Tränen.

»Hey Guapa, warum weinst du denn?«

»Es ist einfach so kompliziert alles. Warum konnten wir nicht zusammen bleiben, warum muss ich in dieser Patchworkfamilie leben und warum musst du Vater werden?«

»Carli, ich glaube manchmal, es gibt keinen Mann, der es schafft, dich ruhiger zu bekommen und sesshafter.

Ich denke, du willst das gar nicht. Du bist gerne frei und unabhängig.«

»Manchmal frage ich mich, wer von uns der Psychologe ist«, sage ich. »Wann soll das Baby kommen?«

»Im Dezember.«

»Willst du vorher heiraten? Erwartet deine Mutter das?« »Das mag sein, du weißt wie katholisch sie ist, aber nein das möchte ich erst mal nicht.«

»Puh, zum Glück«, sage ich.»Ach Mensch, Milo, ich habe dich so gerne, du bist einfach so toll.«

»Danke, das gebe ich zurück. Und du bist ‘ne Granate im Bett.«

»Du Spinner!» Ich muss laut lachen und trete ihm zart ans Bein. »Lass uns hochgehen, ich möchte Zeit mit meinen Großeltern und Loui verbringen.«

But, my Darling, this is not Wonderland and you`re not
Alice

Loui gewinnt jede Runde von Memory. Es ist mir unbegreiflich, wie ein Kind sich so viele Dinge korrekt hintereinander merken kann. Wir sitzen auf der Terrasse, essen Mandelkuchen und spielen. Ich bin so entspannt hier. Der ständige Streit mit Max ist gefühlt Wochen her. Warum distanziere ich mich immer so schnell von ihm? Ich muss unbedingt mit ihm sprechen, wenn wir zu Hause sind. So kann es einfach nicht weitergehen. Wir machen uns das Leben, das in unserem Fall wirklich schön sein könnte, gegenseitig zur Hölle. Auch hat er sich nicht einmal gemeldet, seit wir von Deutschland weg sind. Und das ist immerhin schon achtundvierzig Stunden her. Wo ist mein Handy überhaupt? Es liegt noch immer brav in meiner Partytasche, der Akku ist natürlich leer.

Loui hat im Flieger einfach zu viele Ninjago-Hörspiele gehört. Ich stecke das Ladegerät in die Steckdose, oh, drei verschiedene Whatsapp Nachrichten.

Eine davon ist von Max: Carla, seid ihr gut angekommen? Es tut mir leid wegen unseres Streits, ich weiß, dass ich ein alter Sturkopf sein kann. Ich freu mich auf dich in 6 Tagen und hoffe sehr du meldest dich mal. Kuss

Die nächste ist von Ana, natürlich möchte sie wissen, ob ich mit Milo heim bin. Ach Ana, sie kennt mich einfach zu gut. Und die andere ist aus der Junggesellenabschiedsgruppe. Das steht auch noch an. In vier Wochen mit sechzehn Mädels an den Ballermann. Julia wird tot umfallen, wenn wir sie nachts abholen und an den Flughafen zerren. Drei Tage Party und Palmen.

Ich befürchte ein bisschen, dass wir dafür schon zu alt sind. Zweimal während meines Studiums war ich schon einmal dort. Aber ich freue mich auch sehr. Mal völlig alles hinter uns lassen und bisschen durchdrehen. Max gefällt es natürlich nicht sonderlich. Aber er würde es niemals zugeben. Ich merke es nur an seinem Tonfall, wenn er mich zu diesem Thema etwas fragt, oder an seiner Laune, sobald ich was dafür planen muss. Ja Max, mmh, was antworte ich dir? Wenn du wüsstest, wie gerne ich immer mit dir glücklich wäre. Aber wir drehen uns seit Jahren im Kreis. Es sind immer dieselben Themen. Mathilda, Ute, seine Stimmungsschwankungen und mein Partyleben. Aber ich denke, würde es bei uns besser laufen, wäre ich nicht so oft weg. Ich hätte dann gar kein Bedürfnis danach. Wenn er ahnen würde, wo ich heute Nacht war! Er und Emilio haben sich mal auf dem Geburtstag meiner Mutter kennengelernt, aber sie mochten sich komischerweise direkt nicht. Ich muss schelmisch grinsen.

Mein Opa fährt mit Loui an den Hafen, Boote gucken.

Und ich helfe meiner Oma im Garten. Wir haben ein 1500 Quadratmeter großes Anwesen. Das Grundstück endet direkt an der Straße, die zum Ambolo Strand führt. Meine Mutter hat hier alles angepflanzt, was in Spanien wachsen kann. Ein einziges Blütenmeer. Aber es macht auch viel Arbeit. Ich habe leider keinen grünen Daumen vererbt bekommen, aber ich nutze die Zeit, um mit meiner Oma reden zu können.

»Emilio wird Vater, hat er mir gesagt.« Meine Oma zerrt gerade an einem großen Stängel Unkraut und blickt nicht wirklich entsetzt auf.

»Oh wie schön für ihn. Ich muss ihm gratulieren, wenn ich ihn das nächste Mal in der Stadt sehe.«

»Oma, warum solltest du ihm gratulieren und übrigens finde ich es gar nicht toll und auch noch mit dieser Ökotante.«

»Carli, manchmal bist du wirklich noch wie ein kleines Mädchen, impulsiv und egoistisch.«

»Was meinst du damit?« Meine Oma zieht ihre Handschuhe aus, setzt sich auf die Treppenstufen, die mein Opa mit seinen Händen gemauert hat, und trinkt einen großen Schluck Weinschorle. Das trinkt sie irgendwie immer. Ein winziger Schluck Wein und ganz viel Wasser. Andere tun das mit Apfelsaft, sie mit Wein. Ich muss schmunzeln.

»Mein lieber Schatz«, sie schaut aufs Meer, während sie spricht, »du kannst nicht alle Männer haben.«

» Häh, was soll das denn?«

»Carla, du hättest eigentlich gerne alle für dich. Ob Emilio, Max, deine anderen Exfreunde, damals hat es dir auch nicht gefallen, als einer nach dem anderen, dem du das Herz gebrochen hast, es gewagt hat, nochmal neu zu beginnen. Auch mit denen du immer diese Nachrichten auf deinem Telefon schreibst oder mit den ganzen Männern mit denen du befreundet bist. Carla, als ob ich nicht wüsste, dass du mit Sicherheit mindestens einen von ihnen mehr als nur freundschaftlich siehst.«

Ich blicke sie unschuldig an. »Das ist nicht wahr!«, ich spüre, dass ich etwas rot werde. Verdammt, wie kann eine Frau von 78 Jahren mich so gut einschätzen. Mist.

»Freu dich doch für Emilio! Er ist ein toller Mann und ich denke, Laura kann ihn glücklich machen. Du kannst nicht alles haben. Ich muss noch oben neue Setzlinge holen«, sagt sie und lässt mich mit dieser Ansage sitzen. Ich geh Stufe für Stufe nach unten. Unfassbar, dass mein Opa alles alleine gemauert hat. Ich muss die Tage mit Loui alle Stufen einmal zählen. Überall gibt es kleine Sitzmöglichkeiten. Teilweise in die Mauer integriert, teilweise kleine Bänkchen. Ich setze mich auf die Schaukel, die zwischen zwei Felsen festgemacht ist, und blicke aufs Meer. Ich muss irgendwas an meinem Leben ändern, das merke ich. Erfüllt mich mein Beruf wirklich? Sollten Max und ich uns doch trennen? Sollte ich ganz hierher kommen? Aber Loui hat seine Freunde, seine Klasse, sein soziales Leben nun mal in Deutschland. Und ich ja auch. Ich habe so liebe Freunde in Deutschland und ich bin noch nicht soweit, mich von Max zu trennen.

Lass dir dein Funkeln nicht nehmen, nur weil es andere
blendet

»Filipo, dreh auf der Stelle diese Klimaanlage wärmer«, schimpft meine Oma. »Es ist heiß, stimmt’s, Carli und Loui, euch ist auch immer warm«, motzt mein Opa. Ich möchte ihn nicht enttäuschen, aber seit ich vierzehn bin, friere ich eigentlich immer. Als Kind war mir auch immer zu warm und mein Opa liebt diese Verbundenheit und Bestätigung durch mich. Dass ich mich mittlerweile wie in der Sibirischen Tundra in seinem Auto fühle, möchte ich deshalb nicht sagen. »Na, vielleicht können wir es ja zwei Grad nach oben drehen, damit Abuela keine Erkältung bekommt«, werfe ich schlichtend ein. »Wenn du es sagst, macht er es wenigstens, Schatz«, brummt meine Oma halb erfroren. »Loui, möchtest du in Rosas Laden wieder einen kleinen Hubschrauber?«, frage ich meinen Sohn. »Ja, das ist dann Nummer acht, du weißt ja, dass ich sie unbedingt alle haben möchte.« Rosa war in meiner Kindergartengruppe und hat einen kleinen Laden in Javeas Altstadt. Der schönsten Altstadt meiner Meinung nach. Oft denke ich, dass ihr Geschäft nicht so gut läuft.

Deshalb kaufe ich mir jedes Mal ein Armband, einen Ring oder anderen Schmuck bei ihr. Loui bekommt immer einen Holzhubschrauber. Jeder sieht anders aus, Rosa macht alle selbst. Ich besuche sie immer, wenn ich im Land bin. Mitten in der Altstadt befindet sich die große Kirche Esglesia de Sant Bertomeu aus dem Jahre 1513. Um die Kirche herum sind viele kleine Cafés, Kneipen, Restaurants und Geschäftchen. Hätte ich mehr gespart, würde ich mir sofort eine kleine Wohnung in der Altstadt kaufen. Dieses Flair und das Leben hier wirken nochmal anders als bei uns zu Hause über dem Meer. Alles ist langsam, gemütlich und besonders. Die kleinen Gassen, die alle irgendwie zur Bertomeu Kirche führen, kenne ich wie meine Westentasche. »Lasst uns erst mal ins Mi Lola gehen«, schlägt mein Opa vor, »ich habe nämlich Durst.« Durch seinen starken Diabetes hat er sehr häufig großen Durst.

Das Mi Lola ist ein kleines Eckcafé mit leckeren Tapas. Jorge, der Inhaber, und ich kennen uns durch meine ständigen Besuche mittlerweile gut. »Hola Carli, beehrst du uns mal wieder?« Wir drücken uns. »Champagner für die Damen?« Meine Oma und ich gucken uns an, es ist zwar erst 13 Uhr, aber was soll’s. In einem Land, in dem die Polizei mittags Rotwein in der Pause trinkt, können wir auch einen Champagner bestellen. Loui bekommt einen frisch gepressten Saft und mein Opa wie immer eine viel zu süße Limo. Wie auf Kommando beginnt meine Oma zu schimpfen: »Filipo, du wirst dich noch selbst umbringen, weißt du eigentlich wie dieses Zeug, was du da trinkst, deine Blutzuckerwerte nach oben treibt?« Mein Opa guckt gelangweilt und genervt zu mir und winkt ab. Ich könnte mich immer über die beiden amüsieren.

Ich kenne ihre Abläufe und den Umgang miteinander auswendig. Es gibt nie böse Überraschungen, es ist immer gleich liebevoll, zornig und aufbrausend. Irgendwie ist das ein schönes Gefühl, dass sich ihre Liebe füreinander nie ändern wird. Nicht so wie bei Max und mir.

»Ich würde gerne noch in die Markthalle«, werfe ich ein.

»Du und deine Markthalle!«, mein Opa petzt mir zart in die Wange und lächelt.

»Ja, du weißt, wie sehr ich die Markthalle und ihr Treiben liebe.«

»Ich kann nicht mehr so viel laufen. Carli, lass uns hier sitzen und lauf doch gerade hin, wir warten hier. Loui, gehst du mit deiner Mama oder bleibst du bei uns?«

»Natürlich bleibe ich bei dir, Abuelo!«, er klettert direkt auf den Schoß meines Opas.

»Na dann, ich komme, wenn ich meine Rituale beendet habe, wieder«, sage ich und laufe fröhlich Richtung Markthalle.

Die Mercado Municipal, wie sie korrekt in Spanisch heißt, wurde im Jahr 1946 auf dem Grundstück des ehemaligen Nonnenklosters mitten in der Altstadt errichtet. Dabei wurde darauf geachtet, dass die Gestaltung der Architektur der Halle in Einklang mit der wunderschönen Umgebung steht. In der Halle bieten einheimische Händler wie Metzger, Fischer, Bäcker, Obst- und Gemüsehändler ihre Waren an. An der urigen Bar am Eingang der Halle kann man sich während des Einkaufs mit einem Imbiss oder einem Getränk stärken. Ich weiß nicht, was mich schon seit meiner Kindheit an dieser Halle so fasziniert. Es ist das bunte Treiben, was trotzdem nie hektisch ist oder zu laut. Jeder verkauft entspannt und gut gelaunt seine Waren. In Deutschland sind die Menschen oft schlecht gelaunt und bekommen von dem, was um sie herum passiert, gar nichts mit. Hier ist das anders, jeder hat ein Lächeln für den anderen übrig. Mein erstes Ritual besteht darin, ganz langsam durch die Halle zu schlendern und mir alles anzugucken. Ich grüße die Händler und erfreue mich an den leckeren Waren, die verkauft werden. Mein zweites Ritual sieht vor, an Mateos kleiner Bar einen Prosecco zu trinken. Mmh, jetzt hatte ich aber außer der Reihe schon einen Champagner bei Jorge. Mist, ich hätte eben nichts trinken sollen und mir das Gläschen für den Tagesdrink in der Markthalle aufsparen sollen. Ach egal, ich werfe meine in mir scheinbar doch vorhandenen deutschen Zweifel, wenn es um Alkohol am Tag geht, über Bord und schlendere zu Mateo. Mateo ist ein freundlicher Mann, der bestimmt schon siebzig Jahre alt ist. Aber er steht täglich hinter seinem Tresen und bedient die Kunden. Wir kennen uns mittlerweile einige Jahre. Ich brauche nie zu bestellen, er sieht mich und weiß, was ich möchte. Einen kleinen Prosecco und eine kleine Schale mit knusprigen Salzchips stellt er vor mich. Mateo ist froh, dass es noch ruhig ist und die Touristen erst im nächsten Monat wieder in Strömen die beschauliche Altstadt unter Beschlag nehmen. Aber er weiß wie ich, dass Javea ohne die Touristen nicht überleben würde. Und es gibt ja auch wirklich Nette unter ihnen. Ich lasse erst einmal alles auf mich wirken. Obwohl hier Gemurmel herrscht und viele Menschen unterwegs sind, beruhigt mich dieser Ort. Ich sitze auf meinem Barhocker, lehne mich gemütlich mit dem Rücken an die Bar, trinke meinen Prosecco, als ich plötzlich die beiden sehe. Verdammt, das darf doch nicht wahr sein! Keine drei Meter von mir entfernt gucken sich Emilio und diese dumme Gans Laura einen Salatkopf an. Beim Metzger wird man sie wohl nicht finden können, denke ich biestig. Laura hält den Salatkopf in der Hand und betrachtet ihn von allen Seiten. So was Lächerliches, als ob es da so viel zu analysieren gibt! Emilio steht ziemlich ruhig daneben und sagt etwas.

Ich weiß nicht, ob er glücklich aussieht. Irgendwie wirkt er teilnahmslos. Sie möchte ihn scheinbar in die Salatentscheidung unbedingt mit einbeziehen. Jetzt lacht sie, igitt, und streicht ihm durchs Haar. Oh, wie ich sie hasse! Durch dieses Haar habe ich vor drei Tagen noch gestrichen und ganz woanders auch, du blöde Kuh, denke ich mir.

»Carla, was guckst du so giftig?« Mateo klopft auf die Theke.

»Ach entschuldige, ich war nur in Gedanken.« Oh Scheiße, Emilio hat mich entdeckt und kommt auf mich zu.

»Carli, gehst du wieder deinen Ritualen nach?« Er lächelt.

»Was für Rituale?«, höre ich ihre dämliche Froschstimme. Sie hat wirklich genauso eine Stimme wie ein quakender Frosch. Ich dachte, das würde sich über die Jahre verwachsen, aber scheinbar nicht. Ich an ihrer Stelle hätte schon lange einen Kehlkopfspezialisten aufgesucht. Hoffentlich erbt das Kind Emilios schöne Stimme.

»Ach, Carla geht immer, wenn sie nach Hause kommt, in die Markthalle und trinkt ihren Prosecco hier bei Mateo«, erklärt ihr Emilio.

»Weil sie mich vermisst«, wirft Mateo lachend ein.

»Ganz genau, so sieht es aus. Abuela und Abuelo sind im Mi Lola, wir wollen gleich noch Maria besuchen. Und was macht ihr?«, frage ich, so höflich ich es über die Lippen bringe.

»Wir kaufen für heute Abend ein, meine Eltern und Emilios Eltern haben wir zu Emilio eingeladen. Wo ich ja auch bald wohnen werde«, sagt sie und guckt ihn fordernd an.