L.A. Love Storys Band 1-3

Die Autorin

Sarah Glicker – Foto © privat

Sarah Glicker, geboren 1988, lebt zusammen mit ihrer Familie im schönen Münsterland. Für die gelernte Rechtsanwaltsfachangestellte gehörten Bücher von Kindesbeinen an zum Leben. Bereits in der Grundschule hat sie Geschichten geschrieben. Als Frau eines Kampfsportlers liebt sie es, Geschichten über attraktive Bad Boys zu schreiben.

Das Buch

Drei Schwestern, drei Bad Boys und die ganz große Liebe. Band 1 bis 3 der L.A. Love Storys in einem Bundle. 750 Seiten pures Lesevergnügen!

Melody ist die jüngste der drei Schwestern und muss sich als Nesthäkchen der Familie immer wieder beweisen. Ihr neuer Job in einer großen Anwaltskanzlei bietet die perfekte Möglichkeit dazu. Doch bereits an ihrem ersten Tag läuft sie auf dem Flur in Scott hinein, den attraktiven Sohn ihres Chefs ...

Haley ist die älteste der drei Schwestern und arbeitet als Imagecoach. Auf einer Party lernt sie den gutaussehenden Travis kennen, und zwischen den beiden fliegen die Funken. Obwohl sie ahnt, dass er ein Playboy ist, lässt sie sich auf einen One-Night-Stand ein. Als sie am nächsten Tag ihren neuen Klienten, einen heißen Motorradrennfahrer trifft, fällt sie aus allen Wolken ...

Brooke ist die mittlere der drei Schwestern und arbeitet als Kellnerin. Als ihre Schwestern ihr die Teilnahme an einem Selbstverteidigungskurs schenken, damit sie unter Menschen kommt, ist sie zunächst alles andere als begeistert. Doch dann steht sie plötzlich Luke gegenüber, ihrem neuen Trainer, der ihr Herz sofort höherschlagen lässt ...

Sarah Glicker

L.A. Love Storys Band 1-3

3 Romane in einem Bundle

Forever by Ullstein
forever.ullstein.de

Sonderausgabe bei Forever
Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Juni 2018 (1)
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018
Umschlaggestaltung:
zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
ISBN 978-3-95818-315-5

Melody & Scott
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017
Umschlaggestaltung:
zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
ISBN 978-3-95818-203-5

Haley & Travis
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017
Umschlaggestaltung:
zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
ISBN 978-3-95818-202-8

Brooke & Luke
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018
Umschlaggestaltung:
zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
ISBN 978-3-95818-200-4

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Melody & Scott

L.A. Love Story 1

1


Nervös laufe ich in meiner Küche auf und ab und atme dabei immer wieder tief durch. Aber es bringt nichts. Ich bin hibbelig, aufgedreht und mir ist schlecht. Und das wird von Sekunde zu Sekunde nur noch schlimmer.

Langsam macht sich die Befürchtung in mir breit, dass ich gleich durch den Boden breche und bei meinem Nachbarn landen werde. Da meine Küche an der längsten Seite gerade einmal drei Meter breit ist, habe ich nicht allzu viel Platz. Deshalb weiß ich längst nicht mehr, wie viele Runden ich schon gedreht habe.

Seufzend bleibe ich stehen, streiche meine Kleidung glatt und starre auf die hellen Schränke, die an den Wänden hängen.

»Verdammt, wieso habe ich mich bloß darauf eingelassen?«, frage ich mich immer wieder mit lauter Stimme. Dabei atme ich tief durch. Gleichzeitig versuche ich, meinen verspannten Nacken zu lockern, indem ich meinen Kopf von rechts nach links bewege. Aber auch das bringt nichts.

Mir ist klar, dass es egal ist, wie oft ich mir diese Frage stelle, die Antwort ändert sich dadurch nicht. Ich wollte mir selber beweisen, dass ich mehr bin als die jüngste Pink Sister. Vor allem meiner ältesten Schwester Haley will ich zeigen, dass ich nicht länger in ihrem Schatten stehe. Ich muss zugeben, dass sie nie etwas getan hat, womit sie mir dieses Gefühl vermittelt hätte. Aber schon als kleines Kind habe ich mich mit Selbstzweifeln herumgeschlagen, die auch in den darauffolgenden Jahren nie ganz verschwunden sind.

Als mir der Kosename, den unsere Eltern und Nachbarn uns gegeben haben, durch den Kopf geht, beruhige ich mich ein wenig, und ein Lächeln tritt auf mein Gesicht. Pink Sisters. So wurden wir früher von jedem genannt, da wir es liebten, pinke Klamotten zu tragen. Es gab sogar Tage, an denen hatten wir alle drei uns von Kopf bis Fuß in diese Farbe gekleidet. Wobei ich zugeben muss, dass ich die Fotos von diesen Gelegenheiten nun eher peinlich finde. Aber trotzdem erinnert mich der Name Pink Sisters an eine lustige Zeit. Und noch an so vieles mehr. Er zeigt den Zusammenhalt zwischen meinen Schwestern und mir.

Mit zittrigen Fingern greife ich nach der Wasserflasche, die auf der Arbeitsplatte steht, öffne sie und nehme einen Schluck. Mein Herz rast in einem atemberaubenden Tempo, und mein Mund ist andauernd trocken. Ich habe die Befürchtung, dass ich die meiste Zeit des Tages auf der Toilette verbringen werde, da ich schon so viel getrunken habe.

Als ich mein Studium angefangen hatte, habe ich gedacht, dass der erste Tag am College nervenaufreibend war, aber der Start ins Berufsleben ist nochmal etwas anderes.

Hoffentlich wird es in den nächsten Tagen besser, sonst schließe ich mich in meinem Schlafzimmer ein und gehe nicht mehr ans Telefon.

Ich will mich gerade umdrehen, um noch eine Runde in meiner engen Küche zu drehen, als ich erschrocken zusammenzucke. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und ich drehe mich ruckartig in die Richtung der Küchentür. Der schrille Klingelton meines Handys schallt durch die ansonsten leise Wohnung.

Nachdem ich meine Nerven wieder unter Kontrolle bekommen habe, gehe ich, dankbar über die Ablenkung, mit schnellen Schritten in das angrenzende Wohnzimmer und werfe einen Blick auf das Display.

Oma steht in großen und hellen Buchstaben darauf. Ein letztes Mal atme ich tief durch und hoffe, dass meine Großmutter meine Nervosität nicht sofort bemerken wird, da sie einen Riecher für so etwas hat.

Erst als ich mir sicher bin, dass meine Stimme sich normal anhört, drücke ich auf den grünen Hörer und halte mir das Telefon ans Ohr.

»Du wirst das ganz wundervoll machen, Liebes«, legt sie auch schon los, ohne mich zu begrüßen. Ihre schrille Stimme dringt so laut an mein Ohr, dass ich das Handy einige Zentimeter davon entfernt halten muss, damit ich keinen Hörschaden davontrage.

»Ich hoffe es«, murmle ich, wobei ich mir nicht sicher bin, ob sie das hören soll oder nicht.

Ich habe ein gutes Verhältnis zu meiner Oma, das haben wir alle, und normalerweise freue ich mich über ihre aufbauenden Worte. Aber in diesem Fall habe ich keine Ahnung, ob ich die Sache nicht am besten mit mir alleine ausmachen sollte. Wahrscheinlich wäre es das Einfachste, schließlich muss ich den Tag auch alleine hinter mich bringen. Trotzdem sind Omas Worte gerade das Einzige, was mich davon abhält, einen Nervenzusammenbruch zu bekommen.

»Ahhh«, fährt sie mir mit fester Stimme, die keinen Widerspruch duldet, dazwischen. Schon als wir noch Kinder waren, hat sie so mit uns gesprochen, damit wir anfangen, an uns zu glauben. Bei meinen Schwestern hat es funktioniert, bei mir leider nicht so ganz, wie ich nun wieder deutlich merke. »Sicher wirst du das. Die Rechtsverdreher können froh sein, dich zu bekommen«, fährt sie unbeirrt fort.

Während sie spricht, kann ich vor meinem inneren Auge sehen, wie sie energisch den Kopf schüttelt und mir so zu verstehen gibt, dass ich mich irre.

Bei ihren Worten schleicht sich ein kleines Lächeln auf mein Gesicht. So war meine Oma schon immer: gerade heraus. Sie hat sich noch nie zurückgehalten und sagt jedem ihre Meinung, egal, ob man sie hören möchte oder nicht. Seit ich denken kann, kommt es deswegen regelmäßig vor, dass sie sich mit allen möglichen Leuten streitet. Aber das ist einer der vielen Gründe dafür, dass meine Schwestern und ich sie so lieben. Mit ihr legt sich so schnell niemand an, und aus diesem Grund haben Brooke, Haley und ich uns diese Streitlust ebenfalls angewöhnt.

»Es sind Anwälte«, korrigiere ich sie, obwohl ich weiß, dass es nichts bringen wird. In ihrer Vergangenheit hat meine Großmutter keine guten Erfahrungen mit Anwälten gemacht. Seitdem meidet meine Oma sie, als hätten sie irgendeine ansteckende Krankheit.

»Was trägst du?«, fragt sie mich, ohne auf meinen Einwand einzugehen, und wechselt so das Thema.

Langsam senke ich meinen Kopf und lasse meinen Blick an mir hinunterwandern.

»Eine Jeans und dazu meine braune Bluse und die braunen High-Heels«, antworte ich, während ich selber überlege, ob es das richtige Outfit für die Buchhaltung in einer Kanzlei ist.

Wahrscheinlich laufen dort alle total normal rum, zumal wir wohl keinen Kontakt zu den Mandanten haben, denke ich, schiebe den Gedanken allerdings schnell wieder zur Seite.

Einige Sekunden ist es ruhig in der Leitung, was dafür sorgt, dass ich direkt den nächsten Schweißausbruch bekomme. Die Klamotten habe ich mir gestern Abend extra herausgelegt, nachdem ich meinen ganzen Kleiderschrank auseinandergenommen hatte. Wenn meine Oma nun meint, dass es das falsche Outfit ist, habe ich keine Ahnung, was ich sonst anziehen soll.

Zitternd streiche ich mir meine braunen Haare aus dem Gesicht und überlege, ob ich sie mir nicht besser zu einem Zopf zusammenbinden sollte.

»Das ist perfekt«, ruft meine Oma schließlich, und ich atme erleichtert auf. »In den Sachen bist du unschlagbar.« Ich bin mir sicher, dass sie gerade von einem Ohr bis zum anderen strahlt. Wenn sie könnte, würde sie bestimmt auch noch begeistert in die Hände klatschen. Bei dem Gedanken vergesse ich meine Nervosität für ein paar Sekunden.

»Ich glaube zwar nicht, dass meine Kleidung in meinem neuen Job die Hautrolle spielen wird, aber danke«, gebe ich lachend zurück.

»So gefällst du mir schon besser. Vergiss nicht, dass es ein neuer Abschnitt in deinem Leben ist, eine neue Chance. Nutze sie.«

»Ich weiß, deshalb kann ich ja kaum noch klar denken«, erwidere ich.

»Du wirst das schaffen«, spricht sie mir Mut zu. »Und nun mach dich auf den Weg, sonst kommst du an deinem ersten Tag noch zu spät. Ich drücke dir die Daumen.«

»Danke, ich hab dich lieb.«

»Ich dich auch, Schatz.« Nachdem sie ihren Satz beendet hat, legt sie auch schon auf, sodass ich nur noch das Tuten höre, das durch die Leitung dringt.

Ich lasse meine Hand sinken und werfe das Telefon in meine Tasche. Als nächstes greife ich nach der silbernen Armbanduhr, die ich im letzten Jahr von meinen Eltern geschenkt bekommen habe, und lege sie mir an. Bevor die Panik mich wieder fest im Griff hat, hänge ich mir meine Tasche über die Schulter und nehme den Schlüssel in die Hand, der ebenfalls auf dem Tisch liegt. Ein letztes Mal schaue ich mich suchend um und überprüfe, ob ich alle Geräte ausgeschaltet und die Fenster geschlossen habe. Dann verlasse ich mit großen Schritten die Wohnung und schließe die Tür hinter mir ab.

»Hallo Melody. Ich wünsche dir heute viel Glück«, begrüßt mich Isabell, die in derselben Sekunde wie ich mit ihren beiden Kindern ihre Wohnung verlässt.

Sie ist etwas älter als ich. Ihre braunen Haare trägt sie meistens offen, was sie ein wenig jünger aussehen lässt. Heute hat sie sich für eine enge Jeans und ein schwarzes Top entschieden. An den Füßen trägt sie ebenfalls schwarze Sportschuhe.

»Danke«, erwidere ich freundlich und lächle sie dabei an.

»Wenn du willst, können wir uns die Tage einmal in Ruhe unterhalten. Ich muss jetzt die Kinder zur Schule bringen und dann selber ins Büro. Heute sind wir ein wenig spät dran«, erklärt sie mir.

»Klar.«

Isabell winkt mir noch zu, bevor sie ein Kind an jede Hand nimmt und mit ihnen aus meinem Sichtfeld verschwindet.

Ich muss zugeben, dass ich sie bewundere. Schon seit ich sie kenne, kümmert sie sich alleine um die Kinder. Die beiden sind zwar regelmäßig bei ihrem Vater, aber die alltäglichen Aufgaben erledigt sie alleine.

Während ich die Treppen nach unten gehe und durch die Haustür trete, spüre ich, dass sich das Zittern wieder in meinem Körper breitmachen will. Aber ich gebe ihm keine Chance. Fest entschlossen, diesen Tag so gut es geht zu meistern, gehe ich um die Ecke und betrete den Parkplatz, der sich hinter dem Haus befindet. Dort steuere ich auf meinen alten Ford Ka zu, der in der hintersten Ecke steht.

Da es halb acht am Morgen ist und wir uns hier in Los Angeles befinden, kommt es mir wie eine Ewigkeit vor, bis ich mein Ziel erreiche. An jeder roten Ampel muss ich stehen bleiben. Ich habe das Gefühl, als würde ich in jeden Stau geraten, der sich zwischen meiner Wohnung und meinem Arbeitsplatz gebildet hat.

Zum Glück habe ich auf meine Oma gehört, sonst würde ich es mit Sicherheit nicht pünktlich schaffen.

Die Kanzlei befindet sich am anderen Ende der Stadt, und so dauert es fast eine Stunde, bis endlich das Gebäude vor mir auftaucht, in dem ich von nun an arbeiten werde. Es steht inmitten einiger Wolkenkratzer, die es um ein ganzes Stück überragen. Trotzdem hat es noch immer eine beachtliche Größe, sodass mein Herz bei diesem Anblick wieder ein wenig schneller schlägt. Aus meinem Vorstellungsgespräch weiß ich, dass zwei der Etagen zu dem Anwaltsbüro gehören und es dort insgesamt acht Anwälte gibt, von denen aber nur drei Partner sind.

Langsam reihe ich mich in die lange Schlange ein, die sich vor der Tiefgarage gebildet hat, und warte darauf, dass ich endlich hineinfahren kann. Es dauert ein paar Minuten, da ich nicht die Einzige bin, die sich auf dem Weg zur Arbeit befindet. Doch schließlich bin ich an der Reihe und zücke die Parkkarte, die ich per Post zugeschickt bekommen habe. Ich halte sie vor den Scanner, und meine Personalnummer wird eingelesen. Lautlos öffnet sich die Schranke und lässt mich hinein. Auf der Suche nach einem freien Platz wandern meine Augen von rechts nach links. Erst auf der dritten Ebene entdecke ich endlich einen. Mit geübten Handgriffen parke ich den Wagen und stelle den Motor aus.

Doch kaum habe ich den Schlüssel aus dem Schloss gezogen, ist mein Kopf wie leergefegt.

»Du kannst das«, murmle ich immer wieder leise vor mich hin.

Dann schließe ich meine Augen und unternehme einen letzten Versuch, um das unbeholfene Gefühl, das einfach nicht verschwinden will, in den Griff zu bekommen. Aber es bringt nichts. Es fühlt sich eher so an, als würde es von Sekunde zu Sekunde schlimmer werden. Das Gefühl hält mich gefangen und macht keine Anstalten zu verschwinden.

Ich war noch nie sonderlich gut darin, mich auf neue Situationen einzustellen und Kontakt zu anderen Menschen zu knüpfen. Im Hinblick darauf beneide ich meine Schwestern, die keine Probleme damit haben.

Na los, es wird auch nicht besser, wenn du noch eine Stunde in deinem Wagen sitzt, ermahne ich mich selber.

Damit ich nicht noch mehr Zeit verliere, steige ich aus und verschließe den Wagen, und folge dann einigen Leuten, die sich in Richtung der Fahrstühle bewegen. In dem Moment, in dem ich die Menschentraube sehe, die vor den Fahrstühlen steht, höre ich den vertrauten Klingelton, der eine WhatsApp-Nachricht meiner Schwestern anzeigt.

Schnell öffne ich mit der linken Hand meine Tasche und taste darin nach meinem Handy. Im Laufen fische ich das Handy aus meiner Tasche, entsperre es geübt mit einer Hand und drücke das Symbol, um die Nachricht zu öffnen.

Ich wünsche dir viel Glück heute. Treffen wir uns heute Abend bei mir? Dann kannst du uns von deinem Tag erzählen! Wir wollen alles wissen.

Als ich die Nachricht meiner ältesten Schwester Haley lese, breitet sich ein Grinsen auf meinem Gesicht aus. Ich kenne sie gut genug, um zu wissen, dass sie nur nach einem Grund zum Feiern sucht. Aber sie ist alt genug und kann machen, was sie will. In diesem Fall lasse ich mich gerne darauf ein, denn ich habe das Gefühl, als würde ich nach diesem Tag etwas Hochprozentiges brauchen.

Ich bin gegen sechs bei dir!

Während ich schreibe, laufe ich weiter, ohne auf meine Umgebung zu achten. Flink tippe ich dabei die Wörter auf dem Display meines Handys ein.

In dem Augenblick, in dem ich auf Senden drücken will, spüre ich, wie ich gegen etwas Hartes stoße. Vor lauter Schreck lasse ich mein Handy fallen, sodass es zuerst auf meinem Schuh landet, bevor es leise klappernd auf den Boden fällt.

»Mist«, fluche ich und bücke mich, um es wieder aufzuheben.

»Können Sie nicht aufpassen? Oder ist das bei Ihnen normal?«, dröhnt nun eine dunkle Stimme in meinem Kopf und lässt mich erschrocken aufschauen.

Der Anblick, der sich mir bietet, verschlägt mir die Sprache und sorgt dafür, dass ich sogar kurz vergesse zu atmen. Ach du Scheiße, fährt es mir durch den Kopf, als ich endlich wieder in der Lage bin zu denken.

Vor mir erhebt sich ein mindestens zwei Meter großer Typ in einem schicken Anzug, der eindeutig mehr gekostet hat, als ich in einem halben Jahr verdienen werde. Wie von alleine wandert mein Blick weiter an ihm entlang. Ich registriere, dass seine Haare kurz sind, aber nicht zu kurz, sodass er sie immer noch mit Gel zur Seite stylen konnte. In seiner Hand hält er eine Laptoptasche.

Aus blauen Augen, die so klar sind wie das Meer in der Karibik, schaut er mich an. In diesem Moment bin ich froh, dass ich bereits auf dem Boden hocke, sonst würde ich Gefahr laufen, dass meine Beine nachgeben und ich umkippe.

Ich habe nicht damit gerechnet, einem Mann wie ihm über den Weg zu laufen, weder heute noch sonst irgendwann. Er macht mich sprachlos, sodass ich mich für einige Sekunden nicht bewegen kann und vergesse, was ich eigentlich tun wollte.

Es dauert eine Weile, bis ich mich wieder gefangen habe. Doch das ist der Augenblick, in dem seine Worte in meinem Kopf ankommen. Schlagartig verschwindet die Anziehungskraft, die er gerade noch auf mich ausgeübt hat, und macht der Wut Platz, die ich nun empfinde.

Ohne meine Augen von ihm zu nehmen, greife ich nach meinem Handy und richte mich wieder zu meiner vollen Größe auf. Dank meiner High Heels bin ich ein Stück größer als sonst und komme mir nicht ganz unterlegen vor. Mit einem finsteren Blick starre ich ihn an und stemme dabei meine Hand in die Hüfte. »Was?«, frage ich ihn, weil ich das Gefühl habe, als hätte ich mich verhört. Er kann mich doch unmöglich für etwas anschnauzen, das doch bestimmt jedem schon mal passiert ist.

In diesem Moment vergesse ich alles. Ich denke nicht daran, dass wir von Leuten umgeben sind, von denen einige sicher schon auf uns aufmerksam geworden sind. Und genauso vergesse ich meine Nervosität.

Wir sind nur wenige Zentimeter voneinander entfernet und spüre deswegen die Wärme, die von ihm ausgeht. Auch der Geruch seines Parfüms steigt mir in die Nase. Mir wird ein wenig schwindelig.

Während ich spreche, schaue ich ihn herausfordernd an, um mir nicht anmerken zu lassen, wie weich meine Knie gerade sind.

In Zeitlupe kommt er mir noch näher, bis sich unsere Nasenspitzen beinahe berühren. »Sie haben mich schon verstanden«, faucht er mich an und spannt dabei seinen Kiefer an. Er ist sauer, allerdings habe ich keine Ahnung wieso.

Eine Weile stehen wir uns gegenüber und betrachten uns. Irgendetwas an seinem Blick sorgt dafür, dass ich meine Augen nicht von ihm losreißen kann.

So ein Mist hat mir gerade noch gefehlt, schießt es mir durch den Kopf. Am liebsten würde ich ihn in die Schranken weisen und ihn vor allen zur Sau machen. Aber nachdem ich mir in Erinnerung gerufen habe, dass ich heute Wichtigeres zu tun habe, als mich mit so einem Idioten zu streiten, tue ich es nicht.

Stattdessen beiße ich die Zähne aufeinander und verstaue das Handy wieder in meiner Tasche.

»Wenn man nicht in der Lage ist, auf sein Telefon zu schauen und zu laufen, ohne andere über den Haufen zu rennen, dann sollte man es sein lassen«, erklärt er mir in herablassendem Ton.

Ich würde ihn am liebsten fragen, ob seine Freundin ihn für einen anderen verlassen hat. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine Frau freiwillig bei so einem Typen bleibt, egal wie gut er aussieht oder was für Kunststücke er im Bett verrichten kann.

Allerdings muss ich im Stillen auch zugeben, dass er recht hat. Aber das ist noch kein Grund, sich wie ein Riesenarschloch aufzuführen. Vielleicht ist sein Porsche heute Morgen nicht angesprungen und er musste mit dem Fahrrad seines Nachbarn fahren, überlege ich. Bei diesem Gedanken will sich ein Grinsen auf mein Gesicht stehlen, was ich mir aber in letzter Sekunde verkneifen kann. Stattdessen liegen mir mindestens ein Dutzend Wörter auf der Zunge, die ich ihm gerne um die Ohren knallen würde und von denen keines jugendfrei ist. Haley hätte das vermutlich in die Tat umgesetzt, aber ich tue es nicht. Ich habe heute Wichtigeres vor. »Es tut mir wirklich leid«, entschuldige ich mich deswegen nur bei ihm. Und während ich das tue, taucht das Gesicht meiner Großmutter vor mir auf, die mich mit einem skeptischen Blick ansieht.

Kaum habe ich ausgesprochen, macht sich ein zufriedener Ausdruck auf seinem Gesicht breit.

Das blöde Grinsen, das sich nun um seine Lippen zieht, sorgt dafür, dass ich meine guten Absichten über Bord werfe. »Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass Sie an Ihrem Ton arbeiten könnten. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich nicht die Erste bin, die Ihnen das sagt«, weise ich ihn laut und deutlich in die Schranken.

Aus dem Augenwinkel erkenne ich, dass sich immer mehr der Wartenden zu uns umdrehen, aber das ist mir egal. Der Typ, dessen Namen ich nicht einmal kenne, schaut mich aus zusammengekniffenen Augen an. An seinem verbissenen Gesichtsausdruck erkenne ich, dass er sich nur schwer zurückhalten kann.

Bei diesem Anblick kommt mir der Gedanke in den Sinn, dass er es wahrscheinlich nicht gewohnt ist, dass ihm jemand Kontra gibt, aber das ist ehrlich gesagt nicht mein Problem. Ich werde mich nicht von ihm kleinkriegen lassen! Die Masche funktioniert vielleicht bei seinen Geschäftspartnern und bei den anderen Angestellten, aber nicht bei mir.

»Wenn Sie andere über den Haufen rennen, müssen Sie sich auch nicht wundern, dass man Ihnen die Meinung sagt«, zischt der Typ zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Scharf ziehe ich die Luft ein, als sein Blick mich trifft. Er sieht so aus, als würde er noch etwas sagen wollen, doch er tut es nicht. Stattdessen betrachtet er mich mit einem Ausdruck im Gesicht, den ich nicht zuordnen kann.

Mein Herz schlägt so laut, dass ich mir sicher bin, dass er es hören kann. Ja, ich bin mir sogar sicher, dass die Leute, die sich in einigen Metern Entfernung befinden, es hören können.

Die Schmetterlinge in meinem Bauch fliegen wie wild umher, als mich der Wunsch überfällt, meine Arme um seine Hüften zu schlingen und mich an ihn zu lehnen.

Am liebsten würde ich mir in den Hintern treten bei dieser Reaktion auf seine Nähe.

Um mich wieder zu sammeln, schließe ich die Augen und atme tief durch. Als ich sie wieder öffne, schaut er mich noch immer genauso an. Einerseits wütend und andererseits durchdringend.

Ich will gerade den Mund öffnen, um etwas zu erwidern, als ich ein leises Pling höre. Schnell drehe ich meinen Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und sehe, dass die Türen des Aufzuges sich langsam öffnen. Kurz zögere ich. Ich will nicht zu spät kommen, aber genauso wenig will ich, dass der Idiot denkt, dass er gewonnen hat.

»Verdammt«, seufze ich schließlich. Das Einzige, was den katastrophalen Start in den Tag noch schlimmer machen würde, wäre, wenn ich zu spät im Büro erscheine.

Ich werfe ihm einen letzten Blick zu, bevor ich ihm den Rücken zudrehe und mich in Bewegung setze. So schnell ich mit den hohen Schuhen kann, überwinde ich die kurze Distanz zum Fahrstuhl und lasse den unfreundlichen Spinner einfach stehen.

Als eine der Letzten quetsche ich mich in die Kabine. Als ich mich mit meiner Tasche in der Hand umdrehe, sehe ich, dass er ebenfalls losgelaufen ist. Doch kurz bevor er durch die geöffneten Türen hindurchschlüpfen kann, schließen sie sich, sodass er keine Chance mehr hat, noch einzusteigen.

Charmant schenke ich ihm noch ein letztes Lächeln, bevor die Türen mir die Sicht auf ihn verwehren. Innerlich atme ich erleichtert auf. Das Letzte, worauf ich jetzt Lust hätte, ist, mit ihm zwischen all den Menschen eingequetscht zu sein.

Hoffentlich muss ich ihn nicht mehr wiedersehen, und wenn, dann kann das ruhig noch ein wenig warten. Noch bevor ein Ruck durch den Aufzug geht, drücke ich auf den Knopf für die richtige Etage.

In den nächsten Stockwerken leert sich der Aufzug ein wenig. Als wir endlich die sechste Etage erreichen, habe ich das Gefühl, als hätte ich eine Ewigkeit in diesem Teil verbracht.

Ich gehe auf die große Glastür zu, die in die Büroräume führt und werde dort bereits von geschäftigem Treiben in Empfang genommen. Überall klingeln Telefone, und Angestellte tragen Akten hin und her.

Bis jetzt war ich nur einmal hier, und das war, als ich mein Vorstellungsgespräch hatte. An diesem Tag war ich aber zu aufgeregt, was dazu geführt hatte, ich kaum auf meine Umgebung geachtet habe. Nun nehme ich sie komplett anders wahr und konzentriere mich auf die Kleinigkeiten, die mir bei meinem ersten Besuch hier entgangen sind.

Ich befinde mich in einem großen Raum, dessen Wände hell gestrichen sind. Der Boden besteht aus dunklen Fliesen, auf denen helle Teppiche liegen. Auf der linken Seite des Raumes befinden sich überall Schreibtische, an denen fleißig gearbeitet wird. Die Wände bestehen abwechselnd aus Ziegelsteinmauern und Fenstern, die vom Boden bis zur Decke reichen und so das helle Tageslicht hineinlassen.

Für ein paar Sekunden bleibe ich an Ort und Stelle stehen und lasse den Anblick auf mich wirken. Panik macht sich in mir breit. Das werde ich im Leben nicht schaffen, denke ich. War das beim letzten Mal auch schon so hier?

Hektisch und auch ein wenig panisch schaue ich von rechts nach links, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, wonach ich überhaupt suche.

2


Gerade als ich auf den großen Empfangstresen zugehen will, hinter dem eine kleine Blondine sitzt, tritt eine Frau auf mich zu, die vielleicht ein paar Jahre älter ist als ich. Ihre roten Haare stechen aus der Menge heraus, und ihr schwarzer knielanger Rock bringt ihre langen Beine zur Geltung. Das enge weiße Top betont ihre schlanke Taille.

»Du musst Melody sein«, begrüßt sie mich mit heller und freundlicher Stimme. Sie befindet sich nun nur noch ein paar Schritte von mir entfernt, während sie mich gleichzeitig freundlich anlächelt.

»Ja«, erwidere ich etwas überrumpelt.

»Ich bin Claire«, stellt sie sich vor und reicht mir die Hand. »Es freut mich, dich kennenzulernen. Mach dir keine Sorgen, so läuft das hier immer, aber da du in der Buchhaltung bist, bekommst du von diesem ganzen Stress hier nichts mit.« Für wenige Sekunden schaue ich mich noch einmal in dem Raum um, bevor ich mich wieder ihr zuwende.

»Ehrlich gesagt habe ich das so gar nicht in Erinnerung«, gebe ich zu, wobei ich den hilflosen Ton in meiner Stimme nicht verbergen kann.

»Das kenne ich. Ich bin mir bis heute total sicher, dass bei meinem Vorstellungsgespräch hier alles ruhig war und alle an ihren Schreibtischen saßen und keinen Ton von sich gegeben haben. An meinem ersten Tag hier wäre ich fast aus den Schuhen gekippt, so geschockt war ich.«

Kurz lasse ich mir ihre Worte durch den Kopf gehen und muss zugeben, dass ich ihre Reaktion sehr gut verstehen kann.

»Bist du auch in der Buchhaltung?«, frage ich Claire schließlich und hoffe inständig, dass sie Ja sagt. Sie scheint nett zu sein, und das würde mir den Einstieg hier sicherlich erleichtern.

Als Antwort nickt sie. Erleichtert darüber atme ich tief durch. Einer meiner schlimmsten Albträume war es gewesen, dass ich irgendeine Zicke neben mir sitzen habe, aber Claire scheint mir nicht so zu sein. In gewisser Weise erinnert sie mich an meine Schwestern, die auch allen einen Knopf an die Backe reden können.

»Weißt du, wo ich Mr. Baker finde?« Mr. Baker ist einer der Senior-Partner, die in dieser Kanzlei arbeiten und der Mann, bei dem ich mein Vorstellungsgespräch hatte. Als ich die Zusage für den Job bekommen habe, hatte er mich angewiesen, dass ich mich an meinem ersten Tag bei ihm melden soll.

»Eigentlich müsste er in seinem Büro sein. Hier entlang«, ruft sie, nachdem sie sich schon ein Stück von mir entfernt hat. Dabei winkt sie mir zu und fordert mich so auf, ihr zu folgen.

Ich werfe einen letzten Blick auf die Menge. Keiner beachtet mich, alle sind mit ihrer Arbeit beschäftigt. Ich folge Claire mit schnellen Schritten, um nicht den Anschluss zu verlieren. Sie führt mich durch das Gewusel hindurch, bis wir einen langen Flur erreicht haben, der sich in einer Ecke befindet. Hier ist es um einiges ruhiger, fast so, als würde man sich plötzlich an einem anderen Ort befinden. Von dem Stress, der vorne herrscht, ist hier nichts mehr zu spüren.

Der Raum ist in einem warmen Braun gehalten, und an den Wänden hängen Kunstwerke. Rechts und links befinden sich in regelmäßigen Abständen Türen, von denen einige offen stehen.

Neugierig werfe ich im Vorbeigehen einen Blick in die offenen Räume und sehe Männer und Frauen, die an ihren Schreibtischen sitzen und wie wild auf ihre Tastatur einhacken. Dabei drehen sie sich immer wieder zu den Akten, die vor ihnen liegen.

»Lass mich raten, als du hier warst, hat er dich in den großen Konferenzraum bringen lassen«, mutmaßt Claire, als sie meinen Blick bemerkt.

»Ja«, antworte ich nur.

»Das hat Mr. Baker bei mir auch gemacht. Keine Ahnung wieso, aber das ist schon seit Jahren Tradition. Da kannst du auch die Angestellten fragen, die schon seit zehn Jahren hier arbeiten. Auf jeden Fall befinden sich vorne die Büros der leitenden Angestellten, also von denjenigen, die hier das Sagen haben. Dann kommen die der angestellten Anwälte und ganz hinten die der Chefs. Alle anderen haben ihren Schreibtisch in dem großen Büroraum stehen, den du vorhin schon gesehen hast, oder oben«, erklärt sie mir, während sie immer weitergeht.

Mit jedem Schritt, den ich hinter mich bringe, werde ich nervöser. Der dicke Teppich, der sich unter meinen Füßen befindet, schluckt die Schritte, sodass man weder mich noch Claire hören kann.

»Hier ist es«, verkündet sie, nachdem wir vor einer der hintersten Türen stehengeblieben sind.

»Danke«, murmle ich.

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich auf den Türknauf starre. Die Angst, etwas falsch zu machen, oder etwas zu sagen, was jemand falsch verstehen könnte, hat mich fest im Griff.

Noch ist es nicht zu spät einfach umzudrehen und wieder zu verschwinden, denke ich. Aber bringen würde es mir nichts. Ganz im Gegenteil, es würde mich zurück an den Anfang meiner Jobsuche werfen, und das würde bedeuten, dass ich notgedrungen wieder bei meinen Eltern einziehen müsste.

Ich brauche diesen Job!

Noch bevor ich irgendetwas tun kann, nimmt Claire mir aber auch schon die Entscheidung ab. Leise klopft sie an die Tür und öffnet sie im nächsten Moment, um ihren Kopf durch den Spalt in den Raum zu stecken.

»Mr. Baker?«, fragt sie, bevor es für einige Sekunden ruhig wird. Da ich hinter ihr stehe und sie mir die Sicht versperrt, kann ich nicht sehen, worauf sie wartet.

»Was gibt es?«, ertönt schließlich eine tiefe Stimme, ich die noch von meinem Vorstellungsgespräch kenne.

»Melody Brown ist hier«, verkündet sie und greift nach meinem Handgelenk, um mich in das Büro zu ziehen, noch bevor unser Chef etwas gesagt hat.

In dem Moment, in dem ich das große Zimmer betrete, sehe ich, wie er seinen Kopf von den Akten hebt, die vor ihm auf dem dunklen Schreibtisch liegen. Dieser ist so riesig, dass man ihn fast mit einem Esstisch verwechseln könnte, denn an ihm würden locker sieben Personen Platz haben.

An der linken Wand steht ein Sofa, vor dem sich ein eleganter Glastisch befindet. Dahinter erstecken sich große Fenster, durch die man einen wundervollen Blick auf die Stadt hat. An der gegenüberliegenden Wand hingegen befinden sich große Regale, die aus dem gleichen Holz angefertigt wurden wie der Schreibtisch. Sie sind voll mit Gesetzbüchern, und von Weitem kann ich auch ein paar Bildern erkennen.

»Wundervoll«, ruft er im nächsten Moment und klatscht in die Hände, während er sich aus seinem Schreibtischstuhl erhebt. Mr. Baker ist groß, und der schwarze Anzug, den er trägt, betont seinen Bauchansatz ein wenig. Ich schätze ihn auf Anfang fünfzig, womit er das gleiche Alter wie mein Vater hätte. Bereits in meinem Vorstellungsgespräch hat er mir klargemacht, dass er sehr daran interessiert ist, dass sich hier alle gut verstehen. Das hat ihn mir von Anfang an sympathisch gemacht.

»Ms. Brown. Es freut mich, Sie zu sehen. Kommen Sie herein und setzen Sie sich. Ms. Jackson, haben Sie zufällig schon meinen Sohn gesehen?«, fragt er und schaut dabei in die Richtung von Claire.

Als ich mich ebenfalls zu ihr drehe, sehe ich, dass sie sich ein wenig angespannt hat. Von der Lockerheit, die sie noch vor wenigen Sekunden an den Tag gelegt hat, ist nicht mehr viel zu spüren.

»Tut mir leid, bis jetzt habe ich ihn noch nicht zu Gesicht bekommen, und seine Bürotür stand gerade auch noch offen«, erklärt sie und schüttelt dabei den Kopf, wobei sie unseren Chef nicht ansieht.

Mr. Baker scheint über ihre Antwort nicht sehr erfreut zu sein. Er presst die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und fährt sich mit den Händen über das Gesicht und den Nacken.

»Warten Sie bitte draußen und zeigen sie Ms. Brown gleich alles. Ich möchte nur eben ein paar Dinge mit ihr besprechen. Falls mein Sohn endlich kommt, sagen Sie ihm, dass er sofort in mein Büro kommen soll«, weist er sie schließlich an, nachdem er kurz zu mir gesehen hat.

Da ich ihn ebenfalls aufmerksam beobachte, entgeht mir nicht die Schärfe in seiner Stimme, mit der er die letzten Worte ausspricht. Dabei zucke ich kurz, reiße mich aber schnell wieder zusammen.

»Sicher.« Claire nickt und verschwindet dann sichtlich erleichtert. Allerdings kann ich sehen, wie sie ihr Gesicht bei der Anweisung verzogen hat.

»Entschuldigen Sie bitte«, wendet sich Mr. Baker nun an mich. Freundlich lächelt er mich an.

»Kein Problem«, erwidere ich nur.

»Ich bin froh darüber, dass Sie von nun an zu unserem Team gehören«, beginnt er. Mit festen Schritten geht er um den Schreibtisch herum und lässt sich dann wieder in den Stuhl sinken. Auf diese Weise demonstriert er mir, dass er es gewohnt ist, immer alles im Griff zu haben. Dann zeigt er auf die Besucherstühle, die vor dem Tisch stehen und bedeutet mir so, mich ebenfalls zu setzen.

Langsam komme ich seiner Aufforderung nach.

»Ich ebenfalls«, erkläre ich und versuche, meine Stimme fest wirken zu lassen. Ich bin mir trotzdem sicher, dass Mr. Baker das Zittern hört und auf diese Weise merkt, wie nervös ich bin.

Obwohl meine Eltern und meine Schwestern mir versichert haben, dass es ganz normal ist, am ersten Tag nervös zu sein, fühle ich mich doch unwohl in meiner Haut.

Einige Sekunden schaut er mich nachdenklich an. Sein Blick ist prüfend und durchdringend. Ich habe keine Ahnung, ob er weiß, was in meinem Kopf vor sich geht, aber ich bin mir sicher, dass er es auf jeden Fall versucht herauszufinden.

»Falls etwas sein sollte, können Sie sich jederzeit an mich, Claire oder jeden anderen hier wenden. Wir sind wie eine große Familie.«

Überrascht über seine Worte hebe ich meinen Kopf ein Stück und schaue ihn an. Für einen kleinen Augenblick überlege ich, ob ich dazu etwas sagen soll und was. Seine Angestellten als Familie zu bezeichnen ist schon etwas schräg.

Aber da ich nicht weiß, was ich dazu sagen soll, entscheide ich mich dazu, besser den Mund zu halten, schließlich reicht ein Streit am Tag. Aus diesem Grund nehme ich einfach an, dass er damit sagen will, dass sich hier alle verstehen und sich gegenseitig helfen.

»Ich weiß, dass Sie noch neu im Berufsleben sind und Sie sich deswegen daran gewöhnen müssen. Machen Sie sich keine Sorgen. Es wird etwas dauern, aber irgendwann läuft alles von alleine.« Aufmunternd zwinkert er mir zu und nimmt mir so etwas von der Angst, die ich seit heute Morgen verspürt habe.

»Da bin ich mir sicher«, gebe ich zurück und hoffe, dass ich mich wenigstens etwas zuversichtlich anhöre.

Mr. Baker holt gerade Luft, um noch etwas zu sagen, als ich hinter mir das Geräusch der sich öffnenden Tür vernehme.

»Ahhh, Scott. Schön dich auch mal wieder zu sehen.« Die Worte meines Chefs sorgen dafür, dass ich mich neugierig umdrehe. Doch im nächsten Augenblick bereue ich es und verspüre den Wunsch, im Erdboden zu versinken, oder wenigstens unsichtbar zu werden.

Entgeistert starre ich seinen Sohn an und kneife sogar kurz die Augen zusammen. Doch als ich sie wieder öffne, hat sich an dem Bild, was sich vor mir befindet, nichts geändert.

In der Tür steht der Mann, mit dem ich mich vor wenigen Minuten noch gestritten habe.

Kurz spüre ich die Anziehungskraft, die von ihm ausgeht, aber gleichzeitig kocht erneut die Wut in mir hoch.

»Sie schon wieder!«, ruft er und zeigt dabei auf mich. Seine Augen funkeln wütend und ich kann erkennen, wie er seine Lippen zu einer dünnen Linie zusammenpresst.

In diesem Moment gehen mir viele Gedanken durch den Kopf, aber ich schaffe es nicht, einen davon auszusprechen. Mir ist bewusst, dass mein Chef uns beobachtet, und ich will mich nicht gleich am ersten Tag bei ihm unbeliebt machen. Außerdem ist mein Kopf noch damit beschäftigt zu verdauen, dass dieser Typ der Sohn meines Chefs ist. Dass er zu den Anwälten gehört, für die ich arbeite.

Das ändert allerdings nichts daran, dass ich ihm am liebsten ins Gesicht sagen würde, dass er anscheinend keine Ahnung hat, wann man sich eine Niederlage eingestehen sollte. Doch wieder tue ich es nicht. Es passiert nicht oft, aber in diesem einen Moment ist mir klar, dass es besser ist, wenn ich den Mund halte.

Damit mir nicht doch noch etwas herausrutscht, was ich eventuell bereuen könnte, beiße ich mir auf die Zunge und presse die Lippen zusammen.

»Wie ich sehe, habt ihr euch schon kennengelernt«, ruft sein Vater nun gut gelaunt. Anscheinend hat er nicht gemerkt, wie die Temperatur in diesem Raum drastisch gesunken ist. Sogar meine Brustwarzen haben sich ein Stück aufgerichtet, wobei ich nicht genau sagen kann, ob das von Scotts unterkühlter Art kommt, denn ich kann die Anziehungskraft, die er trotzdem auf mich ausübt, nicht leugnen.

»So würde ich das nicht nennen«, widerspricht sein Sohn und wirft mir dabei einen Blick zu, bei dem ich nach Luft schnappe.

Langsam stehe ich auf, um ihn aus zusammengekniffenen Augen besser betrachten zu können.

Ja, er sieht gut aus und ja, ich fühle mich ein wenig zu ihm hingezogen. Aber seine Attraktivität bekommt einen erheblichen Dämpfer, wenn man sich vor Augen hält, dass er sich wie ein aufgeblasener Arsch verhält, dem man als Baby ein paar Mal zu oft den goldenen Schnuller in den Mund gestopft hat. Er benimmt sich wie ein verwöhntes Kind.

Fieberhaft suche ich nach den richtigen Worten, die ich ihm an den Kopf werfen kann, ohne dabei zu unfreundlich zu wirken, aber noch bevor sie mir einfallen können, kommt Mr. Baker mir zuvor.

»Lassen Sie sich von Ms. Jackson alles zeigen«, erklärt er mir und entlässt mich aus unserem Gespräch.

»Danke«, antworte ich mit fester und klarer Stimme, während ich ihn freundlich anlächle. Dann drehe ich mich wieder in die Richtung von Scott Baker und schaue ihn genauso kalt an wie er mich betrachtet. Dabei ziehe ich eine Augenbraue nach oben und gebe ihm zu verstehen, dass er so bei mir nicht weiterkommt. Obwohl ich den Raum so schnell wie möglich verlassen will, kostet es mich sehr viel Überwindung, mich in Bewegung zu setzen und auf Scott zuzugehen. Bei jedem Schritt spüre ich seinen Blick auf mir. Verzweifelt versuche ich, nicht in seine Richtung zu schauen, als ich mich ihm nähere. Krampfhaft sehe ich an ihm vorbei, aber mein Kopf scheint ein Eigenleben zu führen, in dem ich nichts zu melden habe. Langsam hebt er sich, weswegen ich den extrem wütenden Ausdruck erkenne, der sich in Scotts Gesicht geschlichen hat. Er beobachtet jede einzelne meiner Bewegungen. Mir kommt es fast so vor, als wolle er sichergehen, dass ich auch wirklich das Zimmer verlasse.

Wie kann ein Mann wie Mr. Baker, dem anscheinend sehr viel an Ruhe und Frieden liegt, so einen Sohn haben?, frage ich mich. Auch wenn ich seinen Sohn nicht sehr lange kenne, bin ich mir sicher, dass er sich nicht nur mir gegenüber so unmöglich verhält.

»Darf ich?«, frage ich und zeige dabei auf die Tür, die sich hinter ihm befindet, als ich nur noch zwei Schritte von ihm entfernt stehe.

Doch Scott macht nicht Platz. Mit einem stoischen Blick schaut er mich an. In letzter Sekunde kann ich es mir gerade noch verkneifen die Augen genervt zu verdrehen.

Ich dränge mich an ihm vorbei, damit ich zur Tür gelangen kann. Dabei streift meine Hand seine. Ein elektrischer Schlag durchfährt mich. Für einen Augenblick wird mir schwindelig, und alles um mich herum verschwimmt. Aber durch die ungewollte Nähe steigt mir auch sein Geruch in die Nase. In letzter Sekunde kann ich verhindern, dass mir ein leises Seufzen über die Lippen dringt.

Als mein Blick sich wieder klarstellt, sehe ich, dass er mich mustert, als würde er sich fragen, was ich hier zu suchen habe. Noch immer schaut er mich fragend an. Bevor er mir noch irgendetwas an den Kopf knallen kann, dränge ich mich an ihm vorbei, betrete den Flur und schließe die Tür hinter mir.

Kaum habe ich den Raum verlassen, kann ich wieder befreiter atmen. Dann bemerke ich Claire, die mir gegenübersteht und mich angrinst.