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Band 1

 

Alexander Knörr

 

Götterdämmerung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Twilight-Line Medien GbR
Obertor 4
D-98634 Wasungen

www.twilightline.com
www.chroniken-von-tilmun.de

1. Auflage, 2018
eBook-Edition
ISBN: 978-3-944315-74-4

© 2018 Twilight-Line Medien
Alle Rechte vorbehalten.

 

Dresden, Deutschland

Petra lag wie versteinert in ihrem Bett. Sie hatte die Bettdecke bis ans Kinn gezogen, die Beine in der Fötus-Stellung angewinkelt und hielt die Bettdecke mit beiden Händen, die zu Fäusten geballt waren, fest. Mit leeren Augen starrte sie, auf der Seite liegend, zum Nachttisch und dort zum Radiowecker, dessen grellrote Ziffern in das Dunkel des Schlafzimmers leuchteten. 3:23 gaben die Ziffern preis. Mitten in der Nacht. Petra hatte bisher kein Auge zugemacht.

Die junge Frau, Anfang zwanzig und Studentin für katholische Theologie an der TU Dresden, hatte schulterlanges, blondes Haar, das leicht gewellt war. Dies hatte die Natur ihr beschert. Sie selbst war damit nicht so sehr glücklich. Sie hätte lieber glatte Haare gehabt, das hätte ihr tausendmal besser gefallen. Doch das war jetzt nicht wirklich wichtig. Petra konnte nicht schlafen. Nicht wegen ihren Haaren, nicht wegen dem kleinen Streit, den sie am Tag zuvor mit ihrem Freund hatte. Das waren Nichtigkeiten! In dem Streit ging es um etwas ganz Banales, um ein Interview, das sie der Märkischen Post gegeben hatte und in dem sie ausgesagt hatte, dass sie Single wäre. Markus fand das überhaupt nicht lustig. Und das war ja auch irgendwie verständlich. Aber sie hatte ihm versucht zu erklären warum sie das so gesagt hatte. Es war nämlich kein Fehler des Interviewers oder Redakteurs gewesen. Sie hatte das wirklich behauptet. Der Grund war der, dass es ihrer Meinung nach besser aussah, wenn sie als Studentin katholischer Theologie Single wäre. Außerdem waren ihre Eltern streng katholisch und der Meinung, dass sie erst einen Freund brauchen würde, wenn das Studium vorbei wäre – wenn überhaupt. Denn sie hofften, dass sie durch das Studium eine noch engere Verbindung zu Gott aufbauen könnte. Na ja, die Hormone und die Art von Markus, den sie auf dem Campus kennengelernt hatte, sprachen dann eine andere Sprache. Sie hatte sich in den dreiundzwanzigjährigen Mann aus Berlin verliebt, dessen rote Haare und die vielen Sommersprossen auf der hellen Haut sie in ihren Bann zogen. Und er hatte eine solch witzige und offene Art. Es tat ihr schrecklich leid, dass sie ihn mit diesem Interview enttäuscht hatte. Doch die Diskussion war gestern erst einmal nicht positiv verlaufen. Markus war in seine eigene Bude gegangen und schlief sicher dort den Schlaf der Gerechten. Doch sie lag wach. In ihrem Kopf flogen tausende Gedanken umher. Sie war unruhig und traurig; und hatte Angst. Große Angst!

Kurz nachdem sie sich mit Markus gestritten hatte kam die Nachricht. Zuerst hörte sie das Dilemma im Radio. Inmitten eines Liedes wurde dieses unterbrochen und eine erste Meldung gebracht. Danach schaltete sie sofort ihr Fernsehgerät ein und verfolgte alle weiteren Nachrichten im Fernsehen. Was sie dort zu hören bekam war äußerst verstörend und der Grund, warum sie jetzt wach im Bett lag.

Astronomen der ESA hatten am Tag vorher schon einen Asteroiden entdeckt, der ihnen vorher nicht aufgefallen war. Dies war zunächst nichts Schlimmes. Doch gestern hatten dann amerikanische Astronomen und Astronomen aus China nicht nur den Asteroiden bestätigt, sondern auch seine Flugrichtung exakt berechnet. Er flog auf direktem Kurs zur Erde. Nicht wie die vielen anderen Asteroiden relativ knapp vorbei – dieser hier, dem die Wissenschaftler treffenderweise den Namen „Exodus“ gegeben hatten, raste direkt auf die Erde zu. In den Nachrichtensendungen überschlugen sich die Ereignisse. Nahezu minütlich kamen neue Erkenntnisse hinzu. Was in kürzester Zeit feststand war die Tatsache, dass Exodus die Erde nicht verfehlen wird, sondern direkt treffen würde. Anhand der Geschwindigkeit konnten die Astronomen auch schnell errechnen, wann dieser Einschlag zu erwarten ist. Und das Datum, das errechnet wurde, war der 21. Dezember 2012. Also in diesem Jahr! In etwas mehr als 200 Tagen wäre die Menschheit aller Wahrscheinlichkeit nach ausgelöscht! Und alles Leben auf dem Planeten.

Bei dem Gedanken daran war der Streit mit Markus oder die Diskussion darum, ob sie Single war oder nicht, mehr als nebensächlich.

Petra starrte weiter auf die Ziffern ihres Radioweckers. Dann setzte sie sich auf und griff ihr Handy. Sie suchte nach der Nummer von Markus und schrieb eine Nachricht: Mein Schatz, es tut mir so leid, dass ich dich enttäuscht habe. Du fehlst mir! Ich möchte nicht alleine sein! Bitte melde dich! Ich liebe dich, deine Petra!

Sie hörte ein Piepen und schreckte auf. Plötzlich klopfte es an ihrer Tür. Petra setzte sich noch aufrechter hin, zog die Decke zu ihrem Kinn und war unfähig sich zu bewegen.

„Schatz, ich liebe dich auch! Ich bin es, Markus“ hörte sie von der Tür her.

Ein Lächeln flog in ihr Gesicht, sie spritzte auf und rannte zur Haustür, öffnete diese und vor ihr stand Markus. Mit einem kleinen Strauß Blumen in der Hand und mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht.

„Markus!“ entfuhr es ihr und sie fiel ihm um den Hals. „Wo kommst du denn auf einmal her?“

„Ich war die ganze Zeit vor deiner Tür“, er schaute auf seine Uhr, „so seit 23 Uhr.“ Dann schaute er sie wieder mit seinem überwältigenden Lächeln an. Sie zog ihn in die Wohnung, schloss die Tür, umarmte ihn und küsste ihn innig.

„Hey, Hey, als Single-Frau gehst du aber ganz schön ran!“ schnaufte Markus nach einigen Minuten innigen Küssens.

Petra knuffte ihn. „Menno!“ nörgelte sie. Dann schaute sie auf den kümmerlichen Blumenstrauß aus Tulpen, die mit Folie umwickelt waren und schon langsam die Köpfe hängen ließen. „Wo hast du die denn mitten in der Nacht her?“

„Tanke!“ antwortete er in monotoner Stimmlage und streckte ihr die Blumen hin.

„Du bist der Hammer!“ Dann drückte sie ihn wieder ganz fest an sich. „Schatz, es tut mir so leid, wirklich!“

„Alles gut, ist ja nichts passiert. Bitte entschuldige, wenn ich mich aufgeregt habe.“

„Schatz, ich habe solche Angst. Im Dezember…“

„Psssst“ versuchte Markus sie zu beruhigen und wiegte sie in seiner Umarmung hin und her, „wir schaffen das – die Regierungen werden doch sicher etwas dagegen tun können!“

 

 

Darmstadt, ESA Zentrale, Deutschland

„Und wir können nichts dagegen tun?“ Enrique Gebauer regte sich gewaltig über die schlechten Nachrichten der letzten Stunden auf. Er war in Mexiko geboren, jedoch schon als Baby ausgesetzt worden, weil seine Eltern ihn vermutlich nicht ernähren konnten. In einem Heim verbrachte er dann sein erstes Lebensjahr, bis eine wunderbare Familie aus Deutschland kam und ihn adoptierte. Nun hieß er Enrique, was ihn mit seiner mexikanischen Herkunft verband und im Nachnamen Gebauer. Enrique war ein hochgewachsener Mann, 32 Jahre alt und hatte bei der ESA eine bemerkenswerte Karriere hingelegt. Nach wenigen Jahren war er schon der stellvertretende Leiter des ESOC (European Space Operations Centre) in Darmstadt. Im ESOC befindet sich die Steuerungszentrale des Netzes von Bodenstationen, dem sogenannten ESTRACK. Die fünf großen Antennen in Französisch-Guayana, Australien, Belgien, Schweden und Spanien werden hier koordiniert und gesteuert. Die interplanetarischen Missionen der ESOC werden durch weitere 35 Meter Antennen in Spanien, Australien und Argentinien unterstützt. Und die ESOC hatte auch die zweifelhafte Ehre den Asteroiden Exodus zu entdecken. Die letzten Stunden waren die Weltraumorganisationen mit den Streitkräften und Regierungsstellen der größten und mächtigsten Regierungen der Erde damit beschäftigt herauszufinden, ob man Exodus in irgendeiner Weise aufhalten oder zerstören konnte. Auch eine Ablenkung, also den riesigen Brocken aus Gestein und Metall aus seiner Bahn zu werfen, wurde diskutiert. Doch bisher blieben alle Bemühungen, die in komplizierten Berechnungen endeten, vergebens.

An einem großen, ovalen Besprechungstisch saßen ein gutes Dutzend Männer und Frauen, alle mit gesenktem Kopf. An einem Ende des Tisches stand Enrique mit den Armen auf den Tisch gestützt und schaute in die Runde. „Mehr habt ihr nicht? Wir können nichts dagegen tun? Soll ich das der Bundeskanzlerin sagen?“

Es herrschte peinliche Stille, bis einer der Anwesenden Mut fasste und zu sprechen begann: „Enrique, es gibt ein Länderübergreifendes Team, das durch die Initiative der USA zusammengestellt wurde und das den Einsatz von Atomraketen prüft, die auf den Koloss ausgerichtet werden sollen.“

„Atomraketen!“ schnaufte Enrique. „Dann wären die Dinger endlich mal zu etwas Nutze. Und wie gedenken die Herrschaften das zu tun?“

„Das weiß noch keiner. Sie diskutieren momentan von welchen Ländern sie die erforderlichen Raketen bekommen können.“

„Ich fasse es nicht!“ mischte sich nun eine Frau ein, die am Tisch saß und in einen weißen Kittel gekleidet war, unter dem aber ein Business-Anzug herauslugte. „Die diskutieren ob sie bei einer Aktion mitmachen, die die gesamte Menschheit retten könnte? Was denken die denn was passiert, wenn sie nicht mitmachen?“

„Ich denke, Karla, die Bürokratie wird selbst im Anblick der Zerstörung nicht sterben!“ kommentierte Enrique den Aufschrei seiner Kollegin. „Sprich, wir können jetzt nichts tun, bis die Kollegen sich geeinigt haben. Bravo!“

Dann löste Enrique die Versammlung auf und alle machten sich wieder an die Arbeit. Alle bis auf Jürgen Breitner. Dr. Jürgen Breitner war vor einem Tag zum Chef der Task-Force Exodus ernannt worden. Ein Job, um den er sich wirklich nicht gerissen hatte. Der Mittsechziger sah alles andere aus wie ein Wissenschaftler, so wie man sich ihn vorstellt. Er war ein sehr sportlicher Typ, einen Meter neunzig groß und schlank. Er hatte schulterlanges, schwarzes, gewelltes Haar und einen Schnauzbart, der an den Enden hochgezwirbelt war. Die Enden kringelten sich in kleine Röllchen. Er sah aus wie eine jüngere Version von Jean Pütz, den man aus wissenschaftlichen Sendungen im Fernsehen kannte. Wenn man ehrlich war, sahen sich die beiden wirklich sehr ähnlich und hätten Brüder sein können. Jürgen und Enrique waren auch privat befreundet und dass sie nun beide in dieser prekären Situation zusammenarbeiten sollten, begrüßten beide Männer. Sie hatten auch ähnliche Vorstellungen von ihrer Arbeit und eben auch von der Handlungsweise, die jetzt in dieser Situation notwendig gewesen wäre. Doch sie waren nicht in der Situation, diese auch umzusetzen.

„Zu viel Politik!“ seufzte Jürgen und schaute Enrique ein wenig hilflos an.

„Ja, das stimmt. Wie naiv sind wir, dass wir denken, wir könnten mit einer solch bedrohlichen Situation klarkommen? Die Regierungsvertreter werden noch diskutieren, wenn wir schon längst gegrillt sind.“

Beide waren gegen Waffen eingestellt. Doch dass diese Waffen, genauer gesagt das Atomwaffenarsenal der Erde, in diesem Moment die Lösung für das nahende Problem Exodus bringen könnten, wussten auch sie. Und wenn es nach ihnen gegangen wäre, hätte man kurzentschlossen diese Waffen einfach zusammengezogen und die Völker, die sich querstellten, nicht lange gefragt. Aber wie so oft sind Vorstellungen anders als das, was wirklich in der Welt geschieht. Und da sich einige der Länder mit Atomwaffen wirklich gegen eine Zusammenarbeit wehrten, war eine Einigung schwierig. Doch was diese Länder verfolgten war etwas anderes. Sie wollten natürlich auch nicht ihre Existenz verwirken. Sie wussten genau, dass die großen Player auf dem Planeten auf sie angewiesen waren. Aus diesem Grund pokerten sie um Dinge, die in dieser Situation eigentlich wertlos sind, für diese Länder jedoch sehr wichtig. Souveränität, Freiheit, Handelsabkommen, Geld. All das sollte fließen, wenn die Mächtigen der Erde denn ihre Atomwaffen haben wollten. Diejenigen, die sich quer stellten, waren die üblichen Kandidaten. Staaten, die zu den Schurkenstaaten zählen und eigentlich von der Staatengemeinschaft immer gemieden werden. Und die fühlten sich nun in einer guten Verhandlungsposition für ihre Forderungen – was ja auch stimmte. Und ob früh oder spät, sie würden bekommen was sie verlangten, denn es ging um mehr als um Politik. Es ging um das Überleben der Menschheit!

 

 

Beatenberg, Schweiz