Andreas Lange ist Professor für Soziologie an der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Er hat nach dem Studium der Soziologie und Psychologie an der Universität Konstanz promoviert und habilitiert. Anschließend war er von 2003 bis 2010 am Deutschen Jugendinstitut e. V. in München als Grundsatzreferent tätig. Seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte sind die soziologische Zeitdiagnose sowie die Kindheits-, Jugend- und Familiensoziologie.
Anja Klimsa ist Professorin für Beratung- und Interventionsstrategien an der Hochschule Ravensburg-Weingarten. Nach dem Studium der Erziehungswissenschaft sowie Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Leipzig arbeitete sie u. a. als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Ilmenau sowie als Referentin für Kommunikation im Bildungsinstitut der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung in Dresden. Sie promovierte zur Verbindung von Prävention und Medienpädagogik an der TU Dresden. Ihr Lehr- und Forschungsportfolio umfasst den Bereich Beratung, insbesondere Mediation und den Bereich Medienpädagogik.
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1. Auflage 2019
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-032069-7
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-032070-3
epub: ISBN 978-3-17-032071-0
mobi: ISBN 978-3-17-032072-7
Mit dem so genannten »Bologna-Prozess« galt es neu auszutarieren, welches Wissen Studierende der Sozialen Arbeit benötigen, um trotz erheblich verkürzter Ausbildungszeiten auch weiterhin »berufliche Handlungsfähigkeit« zu erlangen. Die Ergebnisse dieses nicht ganz schmerzfreien Abstimmungs- und Anpassungsprozesses lassen sich heute allerorten in volumigen Handbüchern nachlesen, in denen die neu entwickelten Module detailliert nach Lernzielen, Lehrinhalten, Lehrmethoden und Prüfungsformen beschrieben sind. Eine diskursive Selbstvergewisserung dieses Ausmaßes und dieser Präzision hat es vor Bologna allenfalls im Ausnahmefall gegeben.
Für Studierende bedeutet die Beschränkung der akademischen Grundausbildung auf sechs Semester, eine annähernd gleich große Stofffülle in deutlich verringerter Lernzeit bewältigen zu müssen. Die Erwartungen an das selbständige Lernen und Vertiefen des Stoffs in den eigenen vier Wänden sind deshalb deutlich gestiegen. Bologna hat das eigene Arbeitszimmer als Lernort gewissermaßen rekultiviert.
Die Idee zu der Reihe, in der das vorliegende Buch erscheint, ist vor dem Hintergrund dieser bildungspolitisch veränderten Rahmenbedingungen entstanden. Die nach und nach erscheinenden Bände sollen in kompakter Form nicht nur unabdingbares Grundwissen für das Studium der Sozialen Arbeit bereitstellen, sondern sich durch ihre Leserfreundlichkeit auch für das Selbststudium Studierender besonders eignen. Die Autor/innen der Reihe verpflichten sich diesem Ziel auf unterschiedliche Weise: durch die lernzielorientierte Begründung der ausgewählten Inhalte, durch die Begrenzung der Stoffmenge auf ein überschaubares Volumen, durch die Verständlichkeit ihrer Sprache, durch Anschaulichkeit und gezielte Theorie-Praxis-Verknüpfungen, nicht zuletzt aber auch durch lese(r)-freundliche Gestaltungselemente wie Schaubilder, Unterlegungen und andere Elemente.
Prof. Dr. Rudolf Bieker, Köln
Es gehört zu den großen Einsichten der Sozial- und Kulturwissenschaften, dass Menschen kein direktes, unvermitteltes Verhältnis zur Realität, sei sie sozialer, sei sie physischer Natur, haben. Dokumentiert, erkannt und erforscht wird in vielfältiger Weise das ›Dazwischen‹ – angefangen von den Sinnen, über die Sprache und die Zeichen bis hin zu den ›Medien‹, um die es in dieser Einführung geht.
Die Medien stehen derzeit im Fokus von Hoffnungen und Befürchtungen gleichermaßen – diese wiederum reichen von der individuellen bis hin zur gesellschaftlichen Ebene: Diagnosen einer digitalen Demenz geben sich die Klinke in die Hand mit Diagnosen bspw. einer verbesserten räumlichen und sonstigen Intelligenz. Wie so oft in der Geschichte der Medienreflexionen stehen sich Optimist*innen und Pessimist*innen ziemlich unversöhnlich gegenüber. Wir unternehmen in unserem Buch den Versuch, die eher mühsame Zwischenposition des ›ja, aber …‹ aufgrund einer Auswahl aus der überbordenden Fülle von Argumenten, Befunden, Simulationen, Szenarien zu fundieren. Denn gerade in den vielfältigen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit, die alle mehr oder weniger digitalisiert und mediatisiert sind, muss genau, milieu- und adressat*innenspezifisch hingesehen werden, um handlungsfähig im Sinne der Klient*innen zu bleiben. Halten wir also als ein Leitmotiv, an dem wir uns orientiert haben, fest: Komplexität und Widersprüche werden nicht zugunsten einer wohlfeilen Didaktisierung verschwiegen.
Das zweite Leitmotiv ist, zwar kein Kompendium medienwissenschaftlicher Theorien zu schreiben, aber durchaus die Vielfalt der Ansätze zu präsentieren. Wir tun das entlang eines Phasenmodells. Um die vielfältigen Ansätze der medienwissenschaftlichen Theorien besser in den Arbeitsalltag übernehmen zu können, bieten wir zudem eine praxistheoretische Plattform an.
Drittens gehen wir davon aus, dass die neuen digitalen Medien zwar wichtig sind, aber die alten nicht ersatzlos verdrängen. Das Konglomerat von alten und neuen Medien macht die besondere Herausforderung aus, wenn man sich der Medienökologie des 21. Jahrhunderts zuwendet. Es werden immer noch Bücher gelesen – aber diese Aktivität ist oftmals eingewoben in ein ganzes Geflecht von anderen Aktivitäten und medialen Ergänzungen wie beim Social TV.
Damit die Medienwissenschaft nicht als isolierte Teilbeschäftigung angesehen wird, widmen wir uns viertens in einem Buchabschnitt ganz intensiv den Wechselwirkungen zwischen Medienformaten, Medieninhalten und sozialen Problemen und sozialen Dimensionen der späten Moderne. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass
• die gesellschaftlichen Systeme heutzutage medialisiert sind (d. h. Medien beeinflussen die anderen Systeme einer Gesellschaft und werden von ihnen beeinflusst) – die Bundesliga ist ohne Fernsehübertragung nicht zu verstehen – und dass
• die Lebenswelten durch und durch mediatisiert sind (d. h., der Alltag, die Lebensführung und das Denken sind von Medien durchdrungen). Der/die arme Sozialhilfeempfänger*in wird über soziale Medien kommunizieren und über öffentliche Medien erfahren, dass er/sie kein Einzel-, sondern ein Massenschicksal trägt.
Wir belassen es aber nicht bei der Analyse, sondern setzen uns in einem großen Kapitel auch mit den Fragen auseinander,
• ob und inwiefern die Praktiken der Sozialen Arbeit durch den Einsatz der Medien verändert werden,
• welche Konsequenzen dies für das sozialarbeiterische Tun hat und
• welche neuen Möglichkeiten und Risiken sich dabei ergeben.
Ganz entscheidend wird bspw., angesichts von Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie von Fake-News und unterstellter Postfaktizität, für die Profession sein, wie sie ihre eigenen Anliegen und Verdienste medial unter die Leute bringt.
Wir hoffen, dass wir, unterbaut durch diese fünf Leitmotive, Studierenden und Praktiker*innen der Sozialen Arbeit und Kolleg*innen, die in den diversen Forschungsfeldern unterwegs sind, einen kleinen Literatur-GPS an die Hand geben können, der sie einigermaßen sicher durch das neue Land einer mediatisierten Gesellschaft und Sozialen Arbeit geleitet. Wir tun dies in der konventionellen Form der Publikation im Rahmen eines Buches, weil wir davon überzeugt sind, dass diese Form der Wissenspräsentation gerade in Zeiten des medialen Overflows immer noch dafür geeignet ist, Lern- und Denkprozesse produktiv zu irritieren – das ist nicht die schlechteste Ausgangsposition für Lernen und Reflektieren.
Weingarten, den 29.07.2018
Andreas Lange und Anja Klimsa
In diesem Kapitel erfahren Sie, welche wichtige Rolle Medien in unserer Gesellschaft spielen und wie Lebenswelt und Lebensführung von Medien durchdrungen sind. Dadurch verstehen Sie, dass Soziale Arbeit sich mit Individuen, Gruppen und Strukturen auseinandersetzen muss, die jeweils in einer mediatisierten Gesellschaft und medialisierten Lebenswelten verortet sind. Sie erfahren, dass Mediennutzung förderliche und problematische Haupt- und Nebeneffekte erzeugen kann und dass die konkreten Mediennutzungspraktiken, Lebenswelten und Lebenslagen sehr unterschiedlich sind. Sie werden sehen, dass Sie die Bedeutung und Wirkung der Medien sowie die Formen der kulturellen Praxis für das einzelne Individuum, für die jeweilige Gruppe oder für die strukturellen Gegebenheiten im konkreten Fall mit den durch die Theorie zur Verfügung gestellten Interpretationsfolien abgleichen und reflektieren müssen. Sie lernen, dass pauschalisierendes Reden über ›die Medien‹ nicht weit führt.
Zu Beginn unserer Einladung in die Medienwissenschaften für die Soziale Arbeit legen wir den Standpunkt unserer Konzepte, Theorien und Befunddarstellungen offen. Wir argumentieren strikt aus einer allgemeinen sozialwissenschaftlichen Perspektive heraus und beteiligen uns nicht an mühsamen, unseres Erachtens unfruchtbaren Abgrenzungskämpfen um ›die eine richtige‹ Vorgehensweise bzw. Theorie. Vielmehr greifen wir aus dem reichen Fundus diejenigen Elemente heraus, die erstens für das Verständnis gegenwärtiger medialisierter und mediatisierter Gesellschaften grundlegend und die zweitens für die Soziale Arbeit besonders aufschlussreich sind. D. h., wir stützen uns auf medienwissenschaftliche, psychologische, soziologische und im weitesten Sinne kulturwissenschaftliche Wissensbestände. Eine solche Vorgehensweise orientiert sich an der Vielschichtigkeit und dem Mehrebenencharakter der individuellen wie gemeinschaftlichen Medienrezeption und Medienproduktion. Dieser interdisziplinäre Zugriff verhindert von Beginn an simplifizierende Vorstellungen, wie sie immer noch in der Öffentlichkeit (›im Diskurs‹, s. u.) existieren. Solche einfachen Vorstellungen gehen bspw. von ›den Wirkungen‹ der Medien aus, die im Sinne eines Stimulus-Response-Modells eindeutige, kausale und starke Wirkungen der Medien annehmen, wie sie, wenn überhaupt, nur in der Frühphase der Medienforschung vertreten worden sind. Es wird vielmehr exemplarisch deutlich, dass Wirkungen
• vielgestaltig hinsichtlich der erfassten Bereiche sein können (Medien nehmen in näher zu bestimmender Weise Einfluss auf so unterschiedliche Felder wie Wissen, Einstellungen, Verhalten, Körperlichkeit, Organisationsstrukturen, Gesellschaftsstrukturen).
• unterschiedlich ausfallen können im Hinblick auf Frauen, Männer, Kinder, Angehörige unterschiedlicher Schichten, Milieus und Kulturen (sog. » Moderatoren« des Einflusses).
• v. a. interessant sind im Hinblick auf die sie hervorbringenden individuellen wie sozialen Mechanismen (bspw. Prozesse der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses, des Urteils, des persönlichen sozialen Netzwerks etc., sog. » Mediatoren« oder auch vermittelnde Mechanismen).
Diese Aufzählung macht nachvollziehbar, dass in vielen Forschungsfeldern der Medienwissenschaften anfänglich überzeugende, aber einfache Ursache-Wirkungs-Muster mit der Zeit immer komplexeren Modellierungen weichen mussten. Dies erläutern wir einführend am Beispiel der Agenda-Setting-Theorie, einer der am häufigsten erwähnten medienwissenschaftlichen Theorien (Maurer 2017).
»Die Idee des Agenda Setting beschreibt eine vergleichsweise mächtige Medienwirkung, nämlich die Fähigkeit der Medien, dem Publikum zu vermitteln, welche Themen wichtig sind. Nach dem Agenda-Setting-Ansatz bewirken Medien nicht so sehr, wie oder was die Rezipient*innen denken, sondern worüber sie nachdenken. Die Wirkung der Medien beruht darauf, dass Medien Themen hervorheben, die dann vom Publikum als wichtig akzeptiert werden« (Unz 2016a: 219).
Anders ausgedrückt lautet die Kernannahme: Was die Medien thematisch bevorzugt behandeln, führt dazu, dass die Bürger*innen genau diese Themen als wichtig erleben. Um diese einfache Wirkungsidee zu prüfen, muss zuerst eine Inhaltsanalyse (Früh 2015) der Häufigkeit der Themen in der medialen Berichterstattung durchgeführt werden, um eine Rangordnung der Themenagenda erstellen zu können. Danach muss das Publikum befragt werden, welches seine wichtigsten Themen sind, um auch daraus wiederum eine Themenagenda erstellen zu können. Eine hohe Korrelation zwischen beiden Agenden weist dann auf einen Agenda-Setting-Effekt hin. Zudem ist durch ein Längsschnittdesign, d. h. eine wiederholte Erhebung von Daten bei denselben Personen, sicherzustellen, dass die Themenagenda der Medien diejenige des Publikums bestimmt und nicht umgekehrt.
Die ursprünglich sehr starken Wirkungsannahmen der Themensetzung durch die Medien sind nun nach Unz (2016a) im Verlauf der empirischen Forschung Schritt für Schritt abgeschwächt und spezifiziert worden. So wird diskutiert, ob es durch das mediale Agenda-Setting nicht vollständig zu einer ausdifferenzierten Rangordnung (erstens, zweitens, drittens) kommt, sondern ›nur‹ zu einer globalen Sortierung der Themen in ›wichtig‹ und ›unwichtig‹. Ebenfalls deuten die Befunde darauf hin, dass die persönlichen Erfahrungen mit einem Thema, die Intensität der Medienzuwendung, die den Medien zugestandene Glaubwürdigkeit und weitere Faktoren auf Seite der Personen als Moderatoren Einfluss auf die Stärke des Agenda-Settings nehmen. Zudem zeichnet sich die neuere Forschung dadurch aus, dass man versucht, den kognitiven Prozessen (Mechanismen, Mediatoren) auf die Schliche zu kommen, die ebenfalls für den starken oder auch abgeschwächten Themensetzungseffekt verantwortlich sein könnten. Diskutiert wird u. a. die Relevanz automatischer Informationsverarbeitungsprozesse, die kaum oder nur mit starker Willenskraft gesteuert werden können. Zusätzliche Überlegungen gelten den Verschiebungen im Gefüge alter und neuer Medien, weil die frühere Agenda-Setting-Forschung sich sehr stark auf die Presse und das Fernsehen konzentriert hatte und heute darüber geforscht wird, ob bspw. soziale Medien neue und andere Themenrangreihen befördern.
Dieser hier für einen Teilbereich durchgespielte Komplexitätsvorbehalt gilt auch für alle anderen Forschungs- und Themenfelder: von der Frage, warum welche Medien überhaupt rezipiert werden, bis hin zu dem großen Themenkomplex, wer warum welche Medien selbst produziert. Nirgends sind einfache Antworten zu erwarten. Nach diesem ausdrücklichen Warnhinweis nun zu den ausgewählten Inhalten der interdisziplinären Beiträge aus den unterschiedlichen mit Medien befassten Wissenschaften für die Soziale Arbeit.
In diesem ersten inhaltlichen Kapitel wird aufgezeigt, welche Rolle Medien heute in der spätmodernen Gesellschaft einnehmen.
Die folgenden fiktiven Vignetten dienen dazu, an einigen Beispielen aus der Lebenswelt Einzelner in anschaulicher Art und Weise die allumfassende Mediatisierung des Alltags, des Denkens und der Lebensführung zu illustrieren. Ferner sind in ihnen die das Buch strukturierenden theoretischen Leitkonzepte dosiert enthalten.
Ein ganz normaler Morgen und darauffolgend der Tagesablauf eines durchschnittlichen Erwachsenen sind medial orchestriert und interpunktiert: Das neben dem Bett liegende Smartphone wird auf eingehende Informationen aus dem Büro und von Kund*innen sofort nach dem Aufstehen gecheckt, beim Duschen wird der Lieblingssender im Radio gehört und beim Frühstück werden die Lokalnachrichten aus der heimischen Tageszeitung gelesen. Im Auto auf der Fahrt zur Arbeit geht es weiter mit der Lieblings-Playlist und im Büro angekommen werden die anderen Informationskanäle wie E-Mail benutzt, um dann selbst nachrichtlich und informatorisch tätig zu werden. Dabei geht es nicht zuletzt darum, zeiteffizient zu arbeiten und zu kommunizieren. Abends wird im Supermarkt nach den über das Smartphone verifizierten Vorlieben und Wünschen der Familienmitglieder eingekauft und schließlich geht der Tag ganz konventionell mit der gemeinsamen Rezeption eines Spielfilms im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zu Ende.
Sarah ist Fan von Star Wars. Kennengelernt hat sie das Weltraumepos über die Comic-Varianten im Fernsehen. Daraufhin hat sie sich auf CD, DVD sämtliche verfügbaren Episoden und Ablegerserien besorgt. Ihr Zimmer ist vollgestellt mit den Devotionalien der Serie und sie besitzt umfangreiche Dokumentationen zur Produktion der Filme und Star Wars-Bücher. Über einen Chat und andere Kommunikationsmedien tauscht sie sich mit anderen Szenemitgliedern aus und organisiert gerade ein Treffen im Rahmen einer Star-Convention.
Susanne und Erich sind in freudiger Erwartung ihres ersten Nachwuchses. Als verantwortungsvolle Eltern in spe ist es ihnen sehr wichtig, gut auf die Geburt und die darauffolgende Zeit vorbereitet zu sein. Zwar geben ihnen ihre eigenen Eltern natürlich jede Menge gut gemeinter Ratschläge – aber sie möchten weitere Wissensquellen in Anspruch nehmen, um optimal gerüstet zu sein. Neben der üblichen Ratgeberliteratur aus dem Buchhandel schätzen sie am meisten die Internetforen und Blogs von Eltern, die sich in einem ähnlichen Lebensalter und in einer ähnlichen Lebenssituation befinden wie sie selbst.
Modeschauen sind heute als solche schon hoch mediatisiert und für die Medien inszeniert. Dazu kommt als weiterer Mediatisierungsaspekt: Die auf dem Laufsteg sich präsentierenden Models rufen bei Clara weniger Beachtung hinsichtlich der von ihnen getragenen Kleidungsstücke hervor – vielmehr erschrickt sie ob der unglaublich schlanken Figuren der jungen Frauen im unwillkürlichen Vergleich mit der eigenen Körperlichkeit. Ebenso ergeht es ihr angesichts einer Vielzahl weiterer spätmoderner Darstelllungen von Körperlichkeit.
»Habt ihr diese Menschenmassen gesehen – und die Merkel sagt immer noch: Wir schaffen das …« Diesen Satz hört Peter oftmals am Stammtisch. Dabei sind die Menschenmassen sehr selektiv in Deutschland verteilt. Er weiß oder besser mutmaßt über die Ausmaße und Inhalte des Flüchtlingsproblems aufgrund der rezipierten medialen Diskurse, die am Stammtisch dann zu sog. Anschlusskommunikationen führen. Die Wortwahl und die jeweilige Bebilderung (»Visualisierung«) in Texten und Sendungen hat einen enormen Einfluss auf seine Wahrnehmung und Bewertung der Gesamtsituation.
Der erwerbslose Hans sitzt der im Jobcenter tätigen Sozialarbeiterin Christine gegenüber. Beide sehen sich aber nicht direkt ins Gesicht, sondern fokussieren auf den PC-Bildschirm, auf dem die Software der Arbeitsverwaltung mit der Formatierung ihrer Eingabetastatur nicht nur die Blickkonstellation der beiden, sondern auch den weiteren Gesprächsverlauf dominiert.
Seit mehreren Wochen sieht man Hans (15 Jahre) nur noch selten am Frühstücks-, Mittags- oder Abendbrottisch, auch geht er kaum mehr zu seinen Freunden im Quartier auf den Bolzplatz. Er spielt vielmehr stundenlang World of Warcraft.
Seine Eltern beobachten diese Verhaltensänderung mit Sorge, zögern aber noch, sich bei Expert*innen Rat zu holen, weil auch von anderen Eltern Ähnliches erzählt wird. Sie fragen sich: Was ist die ›Norm‹ angemessenen Medienhandelns in der ansonsten ohnehin schon turbulenten Phase der Pubertät?
Weil Herbert einen lukrativen Job bei einem Unternehmen im Raumfahrtsektor weit weg von seiner Heimatstadt erhalten hat, sind er und seine Familie nach Bremen umgesiedelt. Nun können seine Töchter Hanna und Lina nicht mehr einfach zu Opa und Oma zu Fuß gebracht werden. Da ist es gut, dass Herbert und seine Frau ihren Kindern den Kontakt zu den Großeltern via Skype und Telefon ermöglichen. Aber Hanna meint auch: »Man kann die Oma sehen, aber das ist doch nicht wie in echt …«
Die Vignetten veranschaulichen, wie stark das private wie das öffentliche Leben von ›den‹ Medien geprägt sind. Sie führen auch vor Augen, dass wir heute in unterschiedlichen Konstellationen mit ›den Medien‹ zu tun haben: über den gesamten Tages- und Wochenablauf als mehr oder weniger aktive oder passive Rezipient*innen von Massenmedien und als mehr oder weniger aktive Produzent*innen von eigenen Botschaften und Content bspw. in den sozialen Medien. Ebenso wird die überragende Bedeutung der Medien für das Weltwissen illustriert. Die ›Ubiquität‹, also Allgegenwart von Medienrezeption und Medienproduktion, stellt einen wesentlichen Faktor gegenwärtiger Lebensführung dar. Dies gilt auch dann, wenn der konkrete Umfang und die konkrete Ausgestaltung, wie im Einzelnen zu zeigen sein wird, erheblich nach Sozialmilieu, Geschlecht, Alter und Generationszugehörigkeit variieren kann. In den Vignetten scheint ebenso auf, dass und wie der Mediengebrauch im Zusammenhang mit der Wahrnehmung sowie Gestaltung von Raum und Zeit steht. Prägnant kommt dies v. a. in denjenigen Fällen zum Ausdruck, in denen qua Medien und Kommunikationstechnologien eine räumliche Trennung von Partner*innen, Bekannten und Familienmitgliedern bewältigt wird, indem man telefoniert, sich Nachrichten schickt oder per Skype kommuniziert.
Spätestens an dieser Stelle werden sich der Leser und die Leserin fragen: Was sind denn eigentlich ›die Medien‹. Wie so oft in den Sozial- und Humanwissenschaften könnte er/sie dazu eine ganze Batterie von Antworten erwarten, die sich grundlegend unterscheiden – ein ganzer Sammelband arbeitet sich an dieser Frage ab (Münker/Roesler 2008). Das hängt einerseits mit der jeweiligen disziplinären Herkunft der Definitionen und Umschreibungen zusammen – ein Psychologe wird einen anderen Akzent setzen als ein Soziologe und die Medienpädagogin wiederum wird weitere definitorische Elemente einbringen. Andererseits, verschränkt mit diesem Ausgangspunkt, wird dies von theoretisch-konzeptuellen Erwägungen mitbestimmt: Liegt das Schwergewicht auf dem Inhalt des medialen Ereignisses, auf der Art und Weise der Vermittlung, auf der technologisch-materiellen Basis oder stärker auf der rechtlichen oder ökonomischen Kontextualisierung der Medienrezeption bzw. -wirkung?
Es ist uns nicht daran gelegen, die ›eine‹ Definition und Perspektive vorzulegen, sondern einige mehr oder weniger brauchbare Annäherungen an ein vernünftiges Sprechen über und mit Medien. Ganz in diesem Sinne schließen wir uns hier einem allgemeinen zeichentheoretischen, fachsprachlich »semiotischen« Grundmodell als eine erste Grundorientierung an, das von Genz/Gevaudan (2016: 3ff.) vorgeschlagen worden ist: Das Modell dieser Autoren hat den Vorteil, nicht medienspezifisch zu sein. Als Ausgangspunkt wird eine Kommunikationstheorie gewählt und es wird vorwiegend prozessual argumentiert. Alle Medienereignisse sind demzufolge in ihrer Übermittlungsfunktion kommunikativ. Kommunikation bedeutet wiederum, Zeichen zu gebrauchen. Und indem man kommuniziert, löst man mediale Ereignisse der Übermittlung aus.
Die Pointe dieser Überlegungen besteht also darin, dass Medialität an Ereignisse gebunden wird und dies wiederum in das Prozessgeschehen und das Resultat zerlegt wird. Ein weiterer Vorzug dieses Ansatzes ist die Breite des Zeichenbegriffs, der eben nicht nur textuelle Elemente meint, sondern auch bildliche, akustische und viele andere mehr. So wird die Sprachzentrierung vieler Medienanalysen von Beginn an vermieden.
Zweitens orientieren wir uns in unseren Ausführungen an einem diskursanalytischen Vorgehen. D. h., wir reflektieren immer, dass es kein voraussetzungsloses Reden und Argumentieren über Medien und deren Gebrauch gibt, sondern man bildlich gesprochen schon aus einer ganzen ›Suppe‹ von Meinungen, Argumenten und Vorurteilen schöpfen kann und gleichsam auch muss – den ›Diskursen‹.
Diskurse zu untersuchen ist zu einer der größten akademischen Wachstumsindustrien der letzten 15 bis 20 Jahre geworden und wird in einer interdisziplinären Vielfalt betrieben (Wrana u. a. 2014). Sozialwissenschaftliche und linguistische, also sprachwissenschaftliche, Perspektiven durchdringen sich hier produktiv in der Aufklärung wichtiger unser Denken und Handeln mitbestimmender Facetten von Diskursen. Ein Diskurs kann man in ganz allgemeiner Art und Weise bestimmen als »einen durch Äußerungen produzierten Sinn- oder Kommunikationszusammenhang« (Angermuller 2014: 75).
Mit der Variante einer historischen Diskursanalyse (Landwehr 2008) will man herausfinden, welche Regeln einen Diskurs zu einer bestimmten Zeit bestimmt oder zumindest geprägt haben – wie bspw. das Fernsehen in Deutschland in seiner Einführungszeit beurteilt worden ist oder welche Hoffnungen und Befürchtungen mit dem Gebrauch von Smartphones von welchen Akteur*innen argumentativ stark gemacht werden. Diskurse treffen so gesehen nicht nur Aussagen über einen Gegenstand, sondern sie normieren, was überhaupt in die Perspektive der Diskursproduzent*innen und -rezipient*innen geraten kann, und sie geben damit vor, was eigentlich nicht artikuliert werden darf. ›Produktiv‹ wiederum sind Diskurse in dem Sinne, in dem sie Vorstellung miterschaffen, was überhaupt die Verwendungsweise eines bestimmten Artefakts oder einer Idee sein könnte. In einem Diskurs entscheidet sich damit überhaupt erst, was wie als Gegenstand in Erscheinung treten kann (Fegter 2012; Keller 2011).
Zentral für den vorliegenden Zusammenhang sind damit zusammenfassend gesehen Mediendiskurse:
»Mediendiskurse sind wiederum Aussagen über Medien, die in allen möglichen Publikationsorten auftauchen können: Wochenzeitschriften, Internetblogs, Fernsehwerbung, Einführungen usw. Untersucht werden diese Mediendiskurse, um herauszufinden, wie man zu bestimmten Zeiten und Orten über Medien nachdachte« (Grampp 2016: 99).
In Mediendiskursen werden somit
• bestimmte Medientechnologien als gesellschaftlich relevant eingestuft.
• mögliche Verwendungsweisen reflektiert und andere wiederum als ›abweichend‹ oder auch ›pathologisch‹ bezeichnet.
• die Art und Weise, wie über ein bestimmtes Medium gesprochen wird und die weitere Entwicklung eines Mediums geprägt.
Von der inhaltlichen Machart her sind Mediendiskurse oftmals komparatistisch. D. h., i. d. R. werden in ihnen zwei oder mehrere Medien verglichen. Eine klassische diskursive Figur ist bspw., wenn das Lesen eines Buches verglichen wird mit dem Lesen eines Texts im Internet. Dieser Vergleich steht auch für die übergreifende Figur, wenn alte und neue Medien einander gegenübergestellt werden (Grampp 2016). Interessant sind Mediendiskurse überdies, weil in ihnen mehr oder weniger ausdrücklich auch über die Medien hinausgehend allgemein über die Gesellschaft und wünschenswerte Werte verhandelt wird. So ist die derzeitige Klage über das allgegenwärtige Aufnehmen von Selfies auch eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie individuell und selbstverliebt man heute sein soll und ob solcherart Medienhandeln nicht die Grundlage gemeinsamer Orientierungen untergräbt.
Es dürfte offensichtlich sein, dass solche diskursiven Zusammenhänge über die beispielhaft genannten grundlagenwissenschaftlich spannenden Fragen hinaus oftmals ebenso in den praktischen Bezügen der Sozialen Arbeit eine große Rolle spielen: So treffen Sozialarbeiter*innen auf viele Menschen, die nicht naiv und umstandslos mit Medien umgehen, sondern die schon gewissermaßen ›diskursiv geimpft‹ sind. Die ›Lai*innen‹ beurteilen bspw. die Medienumgangsweisen der jüngeren Generationen als schlecht; sie wittern evtl. einen Verfall der Deutschen Sprache durch das Schreiben von Twitternachrichten und WhatsApp. Aber auch die Sozialarbeit selbst wird in Diskursen, die wiederum in den Medien geführt werden, in bestimmter Art und Weise dargestellt.
Besonders im Privaten Fernsehen sind Sozialarbeiter*innen in Serien zur Schuldnerberatung als Therapeut*innen und Streetworker*innen oftmals präsent und prägen so die Diskurse über Gesellschaft und über Soziale Arbeit mit. Dabei liegt es in der Natur der Medienlogik (Altheide/Snow 1979), dass die eher spektakulären Aspekte wie renitente Jugendliche und ihre Zähmung durch Trainingsmaßnahmen im Vordergrund der Darstellung stehen, wohingegen die weniger prickelnden Aspekte der Sozialen Arbeit wie monatelange Begleitung, Gesprächsführung etc. kaum aufscheinen (Straub 2010).
Ebenso werden die Adressat*innen der Sozialen Arbeit in Diskursen mehr oder weniger skandalisierend »abgebildet«, was man beispielhaft, aber nicht nur, an der Asyldebatte und der über Hartz-IV-Empfänger*innen ablesen kann: Oftmals geschieht diese »Abbildung« zudem in einer markanten Wir-die-Kontrastierung, getragen von einer »Versämtlichung« (alle Muslim*innen sind …; alle Hartz-IV-Empfänger*innen sind …), und führt damit zu einer automatischen Abwertung einer Reihe von Adressat*innengruppen der Sozialen Arbeit (Hark/Villa 2017).
Eine dritte hilfreiche Umschreibung, welche gewissermaßen das Reflektieren über ›das Mediale‹ neben einem zeichen- und diskurstheoretischen Zugang auf den Punkt bringt, stammt ebenfalls vom Medienwissenschaftler Grampp (2016: 30):
»Medientheorien sind (1) mediale, insbesondere sprachlich-begriffliche Gebilde, die (2) den Sachbereich Medien bzw. Medialität so definieren und ordnen, dass daraus (3) generelle Deutungen oder gar (4) Gesetze und unter Umständen (5) Prognosen abzuleiten sind für diesen Sachbereich. Grundlegend ist dabei (6) die generelle Annahme, dass Medien, auf das, was sie wahrnehmbar machen, speichern, verarbeiten und vermitteln, einen Einfluss haben, der (7) einen erkennbaren und eben durch Theorien beschreibbaren Unterschied macht für (8) die Form des Übermittelten, Verarbeiteten und Gespeicherten bzw. deren Wahrnehmbarkeit und/oder (9) deren Funktionalisierungen.«
Zieht man die genannte Definition von Medien als Prozess und Produkt, als Diskurs und diejenige von Medientheorien als Beschreibungen des ›Unterschieds‹, den Medien zum Repräsentierten machen, zusammen, so ist klar: Einerseits ist eine große Sorgfalt auf die Analyse des semiotischen und technologischen Designs der jeweils zur Analyse auserkorenen Medien zu richten. Dies ist der von den Medienwissenschaften reklamierte wissenschaftliche Anteil. Andererseits interessieren in Bezügen der Sozialen Arbeit nicht alleine hochdifferenzierte und womöglich auch historisch gesättigte Darstellungen einzelner Medien wie Buch, Radio oder Handy sowie deren gegenseitige inhaltliche und andere Querbezüge – die sog. Intermedialität (Rajewsky 2002). Vielmehr müssen die Individuen, Gruppen und Gesellschaften in den Blick genommen werden, die die Medien betreiben, erfinden, funktionalisieren. Hier treten also neben die eigentlichen Medien- und Kommunikationswissenschaften zusätzliche wichtige Bezugswissenschaften auf den Plan:
• Die Soziologie bietet Theorien und Befunde erstens zur Platzierung der Medien im Gesamtgefüge unterschiedlicher Gesellschaften und zweitens befasst sie sich intensiv mit der Nutzung von Medien und Medienensembles sowie mit übergreifenden Wirkungszusammenhängen, bspw. mit der möglichen Veränderung der Zeiten und Räume durch Medienrezeption.
• Die Psychologie kann mit einem ausgearbeiteten Instrumentarium zur Modellierung der Selektion, Rezeption und zu den individuellen Wirkungen von Medien aufwarten. Ergänzend können dazu Befunde der Neurowissenschaften herangezogen werden, die aufzeigen, dass es so etwas wie direkte Wahrnehmung der Welt nicht gibt, sondern wir es immer mit selektiven Konstruktionen von Reizbedeutungen zu tun haben.
• Die Ökonomie lenkt den Blick auf die wirtschaftlichen Dimensionen des Mediengeschehens und verweist insbesondere auf die speziellen Produktionsbedingungen von Medien aller Art.
• Die Medienpädagogik setzt sich mit den intendierten und nichtintendierten erzieherischen und sozialisatorischen Effekten und Verwendungsweisen medialer Darbietungsformen und -inhalte auseinander.
• Kultur- und Literaturwissenschaften bieten ein reiches Arsenal an Befunden und Theorien, die helfen, die Medieninhalte genealogisch und logisch einzuordnen und zu verstehen.
• Unterstützend beigezogen werden kann schließlich zur Einordnung des Gesamtpanoramas der Theorien und Befunde die Medienphilosophie, insbesondere was die logischen und ethischen Implikationen angeht.
Zu einem professionellen Umgang mit Medien gehört auch das Wissen um übergreifende Entwicklungslinien im Mediensystem, die insbesondere seit 15 Jahren enorm an Fahrt gewonnen haben. Es kann im Rahmen einer interdisziplinären Einleitung nicht die gesamte Mediengeschichte in ihren Verästelungen nachgezeichnet werden, dazu gibt es eine Fülle einführender Literatur (Garncarz 2016).
Wir beginnen unsere knappe, hoch selektive Übersicht mit den klassischen Massenmedien und widmen uns dann den digitalen Medien. Sodann geht es um Querschnittsthemen, die mit dem technisch-organisatorischen Wandel einhergehen. Wir folgen dabei insbesondere der Darstellung von Hasebrink u. a. (2017).
Für das Buch lässt sich festhalten, dass es hierzulande immer noch ein vielfältiges Angebot gibt und bspw. 2015 76.500 Neuerscheinungen auf den Markt kamen. Hingegen sinkt die Zahl der steuerpflichtigen Verlage stetig; ebenso gehen die Umsätze im Buchhandel zurück. E-Books hingegen haben insbesondere seit 2012 stetig an Attraktivität gewonnen.
Eine abnehmende Tendenz zeichnet sich bei der Zahl der Tageszeitungen ab. Ebenfalls im Sinken begriffen ist die verkaufte Auflage – von 2010 bis 2016 handelt es sich um eine Einbuße von 20 %. Auch sind Konzentrationsprozesse deutlich ablesbar. Die zehn größten Verlagsgruppen können 60 % der verkauften Auflage für sich in Anspruch nehmen.
Ebensolches gilt für die Publikums- und Fachzeitschriften. Die verkauften Auflagen sind rückläufig. Die Konzentration bei den Publikumszeitschriften ist beträchtlich: Zwei Drittel der Gesamtauflage werden von fünf Verlagsgruppen verkauft.
Hörfunk wurde 2016 über 283 private und 70 öffentlich-rechtliche Sender verbreitet. Neben dem professionellen Hörfunk etablieren sich zudem immer mehr Angebote, die auf Förderung von Medienkompetenzen und Partizipation angelegt sind wie Hochschulradios oder Bürgerfunk. Zu erwähnen sind zudem Angebote des Hörfunks, die nur im Internet zu empfangen sind und die das Programmspektrum weiter auffächern.
Fernsehen wird heute größtenteils über Kabel oder Satellit digitalisiert von 20 öffentlich-rechtlichen und von über 400 privaten Unternehmen angeboten, wobei hier wiederum zwei Unternehmensgruppen, RTL Deutschland und ProSiebenSat1, die größten Zuschauer*innenanteile aufweisen.
Die zunehmende Bedeutung des Internets schlägt sich in einer Reihe von Orientierungsangeboten nieder, die die Nutzer*innen unterstützen, bestimmte Informationen zu finden. Genannt werden bei Hasebrink u. a. (2017) Webportale, Social-Media-Intermediäre und App-Stores. Da diese durch wenige Anbieter dominiert werden, kann von grundlegenden Änderungen der Strukturen der Öffentlichkeit ausgegangen werden.
Social-Media-Angebote, allen voran Netzwerk- und Multimediaplattformen, stellen durch das Mittel der personalisierten Algorithmisierung user*innenbezogene Informationen zusammen. Sie bieten gleichermaßen die Möglichkeit, diese als Basis für umfangreiche Anschlusskommunikationen zu kommentieren und weiter zu verbreiten.
»Dadurch unterstützen sie nicht nur die privat-persönliche Kommunikation, sondern sind auch zu wichtigen Kanälen für die professionelle Kommunikation im Journalismus, aber auch von anderen öffentlichen Sprechern aus dem politischen, ökonomischen oder zivilgesellschaftlichen Bereich geworden« (Hasebrink u. a. 2017: 226).
Audio- und Videoinhalte sind aufgrund der neuen Möglichkeiten der Übertragungstechnologien stark expandiert. Zu den linearen Parallelangeboten des Livestreams sind nichtlineare getreten: On-Demand-Angebote, offene Angebote wie YouTube sowie Podcasts und Videocasts.
Games sind eine nicht mehr wegzudenkende Variante digitaler Medien geworden und werden schon lange nicht mehr alleine von Jugendlichen und jungen Erwachsenen genutzt. Eine weitere interessante Entwicklung stellt der eSport dar; hier wird nicht immer selbst gespielt, sondern man ist auch Zuschauer*in bei der virtuosen Präsentation von Games.
• Differenzierung von Medien
Die Zahl der verfügbaren Medien hat zugenommen, ihre Funktionen haben sich vervielfältigt. Dies hat ambivalente Konsequenzen. Zum einen stehen explosionsartig vermehrte Optionen für die Befriedigung individueller Bedürfnisse zur Verfügung (siehe Thesen zur Singularisierung von Reckwitz 2017), zum anderen kann dies aber auch zunehmende Segmentierung, Exklusion und medienbezogene Klüfte bedeuten.
• Konnektivität
Alltag ist heute durch die prinzipielle Möglichkeit gekennzeichnet, über verschiedene Medien hinweg global in kommunikativen Kontakt zu treten. Damit kann sich Kommunikation räumlich ausdehnen und neue soziale Zusammenhänge herausbilden.
• Omnipräsenz von Medien
In sozialen Situationen sind immer öfter Medien involviert, was eine Beschleunigung sozialer Prozesse indizieren kann und damit die Erwartung weckt, umgehend Reaktionen erwarten zu dürfen.
• Innovationsdichte
Die Abfolge grundlegender Medieninnovationen erfolgt kurzschrittiger, zumindest in der Wahrnehmung der Betroffenen. Das wiederum kann in einen permanenten Anpassungsdruck münden.
• Datafizierung
Die immer häufiger hinterlassenen digitalen Spuren der User*innen können durch Algorithmen aggregiert und automatisiert prozessiert werden. Hier tut sich ein Widerspruch zwischen Verschleierung und Transparenzhoffnungen auf.
Nachdem nun einige wichtige Begrifflichkeiten und disziplinäre Beiträge zum Verständnis des Komplexbegriffs ›Medien‹ zumindest fürs Erste geklärt werden konnten und wir in geraffter Form wichtige Entwicklungstrends von Medien aufgezählt haben, wenden wir uns im nächsten Schritt der Frage zu, welchen Platz die Medien in der heutigen Gesellschaft einnehmen und wie das Individuum in dieser Gesellschaft analytisch und empirisch betrachtet werden kann.
Im folgenden Abschnitt werden die Medien gesellschaftstheoretisch verortet. Gezeigt wird, dass Medien in einer spätmodernen Gesellschaft platziert sind, die durch hochgradige funktionale Spezialisierung einerseits, Durchdringungs- und Dominanzverhältnisse andererseits geprägt ist – die Rede wird sein vom »Primat des Ökonomischen«. Weitere wichtige Elemente einer medienrelevanten Zeitdiagnostik sind Aspekte der Verflüssigung, Entgrenzung und Widersprüchlichkeit spätmoderner Gesellschaften, die in ihrer Wirkung forciert werden durch eine veränderte Stellung des Individuums gegenüber der Gesellschaft. Diese Neupositionierung wird mit Begriffen der Individualisierung, Subjektivierung (Moosbrugger 2008) und Singularisierung (Reckwitz 2017) gedeutet.
Für die Medien als ebenfalls autonomes (eigenständiges) und selbstreferenzielles (primär auf sich selbst bezogenes) Sozialsystem bedeutet dies, dass sie zwar auf der einen Seite über weite Strecken originäre, nicht ersetzbare Leistungen der spezifischen Wirklichkeitsproduktion erbringen, andererseits aber auch mitbestimmt werden von den Verschiebungen im Gefüge der angesprochenen anderen gesellschaftlichen Systeme.
Ähnliches gilt auch für die Soziale Arbeit, die sich ebenso als System verstehen lässt, als Hilfesystem der Gesellschaft. Abschließend wird in diesem Kapitel zusammenfassend argumentiert, dass die so umrissene späte Moderne sich nicht zuletzt dahingehend kennzeichnen lässt, dass sie von Individuen bevölkert wird, deren Alltag über weite Strecken mediatisiert ist.
An Begriffen, die gegenwärtige Gesellschaft zu charakterisieren, mangelt es nicht. Das Spektrum der Angebote dieser Zeitdiagnosen (Bogner 2012; Dimbath 2016) reicht von der Risiko- (Beck 1986) über die Gesundheits- (Kickbusch/Hartung 2014) bis hin zur Erlebnisgesellschaft (Schulze 1993). Eine Reihe von soziologischen und anderen sozialwissenschaftlichen Gesellschaftsbeobachter*innen nimmt nicht zuletzt gerade die enorme Expansion und Weiterentwicklung der Medientechnologien und der Medieninhalte zum Ausgangspunkt einer zugespitzten Diagnose: Demnach leben wir in einer Kommunikations- oder Mediengesellschaft (Münch 1991) oder in einer »mediatisierten« Gesellschaft (Krotz 2007; 2017). Damit wird ausgesagt, dass Medien längst nicht mehr als einzeln isolierbare Einflüsse von außen auf Individuen, Gruppen und Staaten wirken, sondern sie integraler Bestandteil von deren alltäglichen Handlungsvollzügen geworden sind, ohne die die gesellschaftlichen Systeme gar nicht mehr funktionieren würden.
Diese Allgegenwärtigkeit (Ubiquität) der Medien bedarf einer analytischen Distanz in der Reflexion, denn spätestens für die ab 1990 geborenen Kohorten ist dieser Sachverhalt so selbstverständlich, dass er gar nicht mehr hinterfragt wird. Analytisch betrachtet haben wir es in diesem Zusammenhang mit solchen Zeitdiagnosen zu tun, die dem medialen bzw. medientechnologischen Wandel große Prägekraft für die Gesellschaftsstruktur und damit auch der individuellen Sozialisation zuschreiben. So geht bspw. Stalder (2016) davon aus, dass die »Kultur der Digitalität« bestehende kulturelle und soziale Verfassungen ins Wanken bringt und sich neue am Horizont abzeichnen. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang, wie digitale Umwelten und Informationspräsentationen die Handlungsmöglichkeiten des Alltagsmenschen, aber auch von Wissenschaftler*innen beeinflussen (Philipps 2017) – eine Debatte, die uns noch im Zusammenhang mit der »Algorithmisierung« und der »Metrisierung« des Sozialen beschäftigen wird.