»Snow Bone«

 

Ein Horror-Roman von Guido Grandt

 





Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

Impressum


Deutsche Erstausgabe
Copyright Gesamtausgabe © 2019 LUZIFER-Verlag
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

 

Cover: Michael Schubert

  

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2019) lektoriert.

  

ISBN E-Book: 978-3-95835-473-9

  

Du liest gern spannende Bücher? Dann folge dem LUZIFER Verlag auf
Facebook | Twitter | Pinterest

  

Um keine Aktion, News oder Angebote zu verpassen, 

empfehlen wir unseren Newsletter.


Für weitere spannende Bücher besuchen Sie bitte 

unsere Verlagsseite unter luzifer-verlag.de


Sollte es trotz sorgfältiger Erstellung bei diesem E-Book ein technisches Problem auf deinem Lesegerät geben, so freuen wir uns, wenn du uns dies per Mail an info@luzifer.press meldest und das Problem kurz schilderst. Wir kümmern uns selbstverständlich umgehend um dein Anliegen und senden dir kostenlos einen korrigierten Titel.

  

Der LUZIFER Verlag verzichtet auf hartes DRM. Wir arbeiten mit einer modernen Wasserzeichen-Markierung in unseren digitalen Produkten, welche dir keine technischen Hürden aufbürdet und ein bestmögliches Leseerlebnis erlaubt. Das illegale Kopieren dieses E-Books ist nicht erlaubt. Zuwiderhandlungen werden mithilfe der digitalen Signatur strafrechtlich verfolgt.

  

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.





Widmung:


Stephen King, der mich seit meiner Jugend das Grauen lehrte.
Steffen Janssen, meinem Verleger, der dieses Buch erst möglich machte.

 





»Der Tod ist nun das Schrecklichste aller Dinge, denn er ist das Ende,

und für die Toten soll es weder Gutes noch Schlimmes geben.«

 

Aristoteles (griech. Gelehrter und Philosoph)

 

 

 

»Das erste Monster, mit dem du das Publikum erschrecken musst,

bist du selbst.«

 

Wes Craven (US-amerikanischer Filmregisseur, Drehbuchautor, Produzent)

 

 

 

»Die größte Angst ist die Angst vor der Angst.«

 

Volksmund

 

TEIL 1: FLASHBACKS

 

The hotel is ours!

 

Sein Schädel war kurz vorm Zerbersten, so als bestünde er aus klirrendem Eis. Finsteres, grausiges Kreischen aus halb verdorrten Kehlen hallte durch jede seiner Gehirnwindungen. Die Augen dampften, als wären sie von einem glühenden Schürhaken verbrannt worden. In seine Nasenlöcher krochen lange, dunkle Schatten wie Leichenwürmer, deren dünne, fast durchsichtige Hautmuskelschläuche unabhängige Bewegungen vollführten. Der Mund war ausgetrocknet und schien voller Sand. Aus dem Magen stieg faulig süßer Gestank von verwesendem Fleisch auf. Es kam ihm so vor, als würden seine Eingeweide nur noch aus erhitztem Wachs bestehen, das langsam zerfloss. Sein ganzer Körper war ein einziges, tiefes, dunkles Grab.

Jesus Maria, bitte nicht …

Doch hier gab es keinen Platz mehr für ein Bittgebet, denn niemand würde ihn erhören.

Hier an diesem verfluchten Ort waren Gott, sein Sohn und alle anderen Heiligen tot!

TOT!

T O T!

Um sich innerlich gegen das unsägliche Grauen zu stählen, das ihn unweigerlich erwartete, biss er die Zähne so fest zusammen, dass sie wie ungeölte Türangeln knirschten. Solange, bis sie schließlich aus dem blutig roten Zahnfleisch herausbrachen, als wären sie faulendes Korn in zerfallenden Hülsen.

Irgendwo aus der Finsternis, tiefer und schwärzer als das All, drang noch immer dieses entsetzliche Stöhnen, gefolgt von einem irren Lachen, das ihm einen Schauder unsäglichen Schreckens über den Rücken jagte.

Inmitten des schreienden Bewusstseins und des fiebernden Stumpfsinns tauchten jetzt die monströsen Missgestalten auf und näherten sich ihm mit seltsam grotesken Bewegungen.

Langsam … aber stetig … Meter für Meter. Solange, bis sie direkt vor ihm standen und ihn mit ihren verkrüppelten Gliedmaßen berührten.

Urplötzlich, als würden tausend Sonnen auf einmal explodieren, bohrte sich die grausame Erkenntnis tief in sein Gehirn. Jenseits aller menschlichen Begriffe und viel zu grässlich für einen gesunden Verstand. So unfassbar, dass ihm die Klauen des nackten Wahnsinns jeden weiteren Gedanken einzeln aus dem Hirn rissen …

 

 

1-1

 

Es war nicht so, dass die bekannte Welt von einem Moment zum anderen aus den Fugen geriet. Es fing eigentlich alles ganz harmlos an …

 

Die Sierra Nevada, der längste und höchste Gebirgszug in den Vereinigten Staaten, erstreckte sich sechshundertfünfzig Kilometer parallel zur Pazifikküste. Genauer gesagt vom Fredonyer Pass im Norden bis zu den Tehachapi Mountains im Süden. Das Hochgebirge bildete außerdem die Grenze zwischen Kalifornien und Nevada. Sein höchster Punkt war der Mount Whitney im südlichen Teil, dessen Gipfel über viertausendvierhundert Meter in den Himmel ragte. Während im Westen die Berggruppe sanft anstieg, fiel sie im Osten mit einem der steilsten Felsabbrüche zum Great Basin, dem Großen Becken ab. Außerdem bildete die Sierra Nevada eine gewaltige Wetterscheide, die den vom Pazifik kommenden Winden nahezu sämtliche Feuchtigkeit nahm. Aus diesem Grund war das Wetter hier auch von extremen Unterschieden bestimmt. Es reichte vom Wüstenklima wie im Death Valley bis zur arktischen Witterung auf den Berggipfeln.

An diesem schicksalhaften Januartag war der perlgraue Himmel dicht mit schwangeren Wolken verhangen. Nur ab und zu blitzte durch die spärlichen Lücken eine blasse Sonne hindurch. Ein eisiger Wind fuhr durch die Wipfel der kegelförmigen Tannen und der weit ausladenden Kiefern und seufzte sein Lied von der Einsamkeit in den Zweigen. Die Reinheit der beißenden Kälte war nahezu berauschend.

Die menschlichen Eindringlinge waren es, die diese Urwüchsigkeit der Wildnis störten und ihre Bewohner aufschreckten. Gedrungene Pfeifhasen versteckten sich irgendwo in den Geröllhalden, während sich die scheuen Rotluchse im Dickicht verkrochen. Flinke Belding-Ziesel huschten die von Eis und Schnee bedeckten Baumstämme hoch, und über ihnen hüpften mausgraue Kiefernhäher aufgeregt von Ast zu Ast.

Bei den Störenfrieden, die in diese atemberaubende Natur eindrangen, handelte es sich um fünf Wanderer. Zwei Männer und drei Frauen. Mit langen Skistöcken stapften sie lautstark durch den Schnee, der allmählich immer tiefer wurde. Immer weiter mussten sie die Knie hochziehen, um zwischen dem dichten Bergwald voranzukommen. Aufgrund des zusätzlichen Gewichts durch die Trekkingrucksäcke auf ihren Rücken wurde dies jedoch zunehmend schwerer und anstrengender und ihre Bewegungen langsamer und zäher. Fast so, als kämpften sie sich vergebens in einem Sumpf vorwärts, nur, dass dieser Morast aus Schnee und Eis bestand.

Die Gesichter unter den Kapuzen der dick gefütterten Parkas waren von der Kälte und den Strapazen gerötet. Atemwolken standen vor ihren verzerrten Lippen, als stießen sie hektisch tief eingezogenen Zigarettenqualm aus.

Die alten Jagdwege waren kaum mehr als schneebedeckte, schwer begehbare Pässe. Die wenigen Saumpfade, die die Holzfäller benutzten, die ohnehin nicht weit und manchmal sogar im Kreis führten, waren ebenfalls zugeschneit.

Je höher und näher die Wanderer der Baumgrenze kamen, umso spärlicher wurde die Vegetation. Die Tannen und Kiefern sahen immer verkrüppelter und kleiner aus und waren nicht mehr sehr viel höher als fünfzig Zentimeter. Wären da nicht die majestätischen Berge gewesen, die sich ringsherum erhoben, hätte man denken können, die Welt sei zu einem Mikrokosmos zusammengeschrumpft.

Immer weiter trieb der steife Wind eine breite und dunkle Schlechtwetterfront an die hoch aufragenden Gipfel heran, bis die schwachen Sonnenstrahlen schließlich vollends erstarben. Die geschlossene Wolkendecke, die nun bleiern am Firmament hing, war mehr als beunruhigend.

Ned Harlan, der Vorderste der kleinen Gruppe, blieb jetzt unvermittelt stehen und richtete seinen Blick gen Himmel.

»Sieht nach noch mehr Schnee aus«, stellte er schwer atmend und beunruhigt fest.

Die übrigen Wanderer, Neds Verlobte Laura Kelly, Tobey Arness und seine Freundin Veronica Cassavates sowie die alleinstehende Britt Eklund, scharten sich nervös um ihn. Auch sie sahen besorgt zu der bedrohlich wirkende Wolkenwand hinauf.

»Nicht mal ohne Neuschnee werden wir es bis zum Parkplatz schaffen, bevor es dunkel wird.« Tobey, der mit seiner Körpergröße von über zwei Metern die anderen weit überragte, sprach jetzt das aus, was insgeheim alle dachten. »Noch dazu haben wir keine Ahnung, wohin der Weg führt, dem wir nun schon seit Stunden folgen«.

Damit hatte er ebenfalls recht. Vor zwei Tagen und bei strahlendem Sonnenschein hatten die fünf Freunde ihre Fahrzeuge – Tobeys antiken, neu aufgemotzten 1980 Chevrolet Camaro Z28 und Neds Cadillac ATS Limousine – tief unten im Tal abgestellt. Britts Ford Mustang stand in der heimischen Garage, weil sie mit Tobey und Veronica mitgefahren war.

Vom Parkplatz aus waren sie zu Fuß aufgebrochen, um dem dreitägigen Rundwanderweg zu folgen, der sie in eine Höhe von über dreitausend Metern hinaufführen würde. Die ersten beiden Nächte hatten sie in Schutzhütten verbracht. Eine dritte Übernachtung in der Wildnis war allerdings nicht geplant, weil sie noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück im Tal sein wollten. Doch dann hatten sie die Orientierung verloren. Genauer gesagt, hatten sie ein vollkommen verschneites Schild des ausgewiesenen Wanderwegs übersehen. Deshalb folgten sie nun einem anderen Pfad, ohne zu wissen, wohin dieser eigentlich führte.

Laura Kelly griff in die Tasche ihrer Winterjacke und holte ihr Smartphone heraus, nur um kurz darauf festzustellen, dass es hier oben gar kein Funknetz und damit auch keinen Empfang gab. Mit einem tiefen Seufzer steckte sie das Handy wieder weg.

»Und was machen wir jetzt?«, fragte Britt Eklund sorgenvoll. Wie eine Tarantel kroch Angst in ihr hoch. Die Aussicht, hier draußen in der Wildnis in einem Schneesturm festzustecken, erschreckte sie bis ins Mark. Letzten Endes waren sie nämlich nicht im Geringsten darauf vorbereitet, ohne Schutzhütte im Freien zu übernachten. Bei diesen eisigen Temperaturen würde das ganz gewiss ihren sicheren Tod bedeuten.

In Hollywood wirst du dann nirgendwo mehr für die Hauptrolle eines zweitklassigen Filmes vorsprechen müssen! Dafür gibst du aber garantiert eine gute Eisleiche ab …

»Vorhin habe ich das halbverschneite Hinweisschild eines Hotels gesehen«, meldete sich Veronica zu Wort. »Vielleicht ist es ja hier irgendwo in der Nähe.«

»Du hast recht. Ich konnte den Namen Snow Hill Hotel entziffern«, erinnerte sich jetzt auch Tobey.

Hoffnung keimte in den Freunden auf, die sich von der Westküste am Pazifischen Ozean aufgemacht hatten, um das große Abenteuer in den Bergen zu suchen. Alle fünf wohnten und arbeiteten in San Francisco, in dem es selbst im Winter noch milde Temperaturen gab. Dabei war der Trip in die Sierra Nevada keineswegs einer bloßen Schnapsidee entsprungen, sondern schon seit Monaten geplant gewesen.

Wie eine Ballerina, wenn auch nicht ganz so elegant, sondern eher staksig, was seiner Körperlänge geschuldet war, drehte sich Tobey im Kreis. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er das Terrain ab. Ihnen gegenüber ragte ein noch höherer Berg auf, als der auf dem sie sich momentan befanden. Die schlanke Silhouette seiner gezackten Spitze schien die tief hängenden, bleigrauen Wolken fast zu berühren. Unter ihm breitete sich eine Schlucht aus, deren Grund mit einer Eisschicht bedeckt war. Die Berghänge wirkten schwindelerregend steil.

Als Tobey, schon halb entmutigt, seinen Blick in die andere Richtung schweifen ließ, machte sein Herz plötzlich einen Satz, denn etwas weiter oben entdeckte er tatsächlich das Hotel. Es war in einen Steilhang eingebettet und stand genau dort, wo sich der Tannen- und Kiefernwald ein wenig lichtete. Um es zu erreichen, mussten sie nicht einmal in die Schlucht hinab und auf der anderen Seite wieder hinaufsteigen. Ein solches Unterfangen wäre angesichts des zu erwartenden Unwetters, der fortgeschrittenen Uhrzeit und ihrer körperlichen Verfassung ohnehin unmöglich gewesen. Stattdessen mussten sie lediglich dem Weg, den sie bislang beschritten hatten, einfach nur weiter folgen. Irgendwo gab es bestimmt eine Abzweigung zu dem etwas höher gelegenen Berg-Resort.

Tobeys Einschätzung nach, lag dieses nicht mehr als fünf Kilometer von ihrem Standort entfernt. Der Parkplatz im Tal hingegen, auf dem ihre Fahrzeuge standen, war mindestens doppelt so weit weg.

Als er die Freunde auf seine Entdeckung aufmerksam machte, sah er sofort Erleichterung in ihren missmutigen Mienen. Halb steif vor Kälte, weil der Frost ihnen durch Mark und Bein ging, aber mit neuem Mut, machten sie sich erneut auf, durch die eiserstarrte Wildnis zu stapfen. Der Wind drehte nun auf Nordost. Die Landschaft glänzte in einem harten, tiefgrauen Licht, das skurrile Schatten von den Bergen und der Vegetation warf.

Ned, der mit Tobey vorausging, ließ immer wieder mal den Besserwisser raushängen. So wie es eben seine Art war.

»Schau dir mal diese Natur an«, sagte er theatralisch. »Die Berge kümmern sich nicht um uns. Sie sind weder gut noch schlecht; sie ragen seit Jahrmillionen in den Himmel und werden auch noch weiter dort stehen, wenn wir längst schon Staub und Asche sind. Für sie sind wir sprichwörtlich nichts.«

»Ich wusste gar nicht, dass du Philosoph bist.« Das war der einzige Kommentar, den Ned von seinem Freund erhielt.

Der Geruch des Waldes, den der Wind zu ihnen hinübertrug, war absolut überwältigend. Über ihnen war jetzt der stille Ruf eines Kiefernhähers zu vernehmen. Je mehr das Tageslicht jedoch wich, umso eisiger wurden die Temperaturen, die schon jetzt weit unter null lagen. Die schneidige Luft drang ihnen durch die dicke Winterkleidung bis in die Knochen. Langsam fingen die Fingerspitzen in ihren Handschuhen und die Zehen in den robusten Trekkingstiefeln an, vor Kälte taub zu werden.

»Weißt du eigentlich, dass die Sierra Nevada zu den Regionen mit dem höchsten Schneefall gehört?«, regte Ned ein neues Gespräch an.

Tobey schüttelte nur den Kopf, ohne etwas zu sagen, aus Angst, seine Zähne würden anfangen zu klappern.

»1991 fielen bei Tamarack, einem kleinen Kaff in der Nähe der Mammoth Lakes, innerhalb eines Monats, fast zehn Meter Neuschnee. Im Winter 1906/07 sogar über zweiundzwanzig Meter. Unfassbar, was?«

»Davon hast du bei der Planung unseres Trips aber kein Wort gesagt.«

»Na ja, ich habe das auch erst kurz vor der Abreise gelesen und wollte niemanden beunruhigen.«

Als ob Ned Harlans Worte vom Wettergott erhört worden wären, wirbelten auf einmal die ersten Flocken vom grauen Himmel.

Tobey, der mit seinem fröhlichen Gemüt seltener fluchte als der Papst im Petersdom, zerdrückte nun leise eine Verwünschung zwischen seinen Zähnen. Es war ja schließlich nicht mehr weit bis zum Hotel, in dem sie bestimmt Unterschlupf finden würden. Vorausgesetzt, sie verpassten die richtige Abzweigung nicht.

Die drei Frauen hinter ihm keuchten vor Anstrengung, als sie ihre Schritte beschleunigten. Er warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück und zeigte ihnen sein obligatorisches Sonnyboy-Lächeln. Das sollte Zuversicht signalisieren, obwohl die Lage, in der sie sich gerade gezwungenermaßen befanden, alles andere als hoffnungsvoll war. Denn jetzt fiel der Schnee unablässig. Zehn, fünfzehn Zentimeter und mehr. Dicke Flocken sammelten sich in den Falten ihrer Kleidung.

Wie ein Blizzard zog die Kaltfront über die einsamen Bergwanderer her. Das Vorankommen wurde immer beschwerlicher. Sobald sie nur einen halben Meter vom Weg abkamen, den sie mehr erahnen als sehen konnten, traten sie mit ihren Stiefelsohlen auf loses Geröll, das tückisch unter der weißen Decke versteckt lauerte. Dadurch stieg die Gefahr, auf der Seite zum steilen Gefälle hin, abzustürzen. Immer wieder lösten sie kleinere Schneerutsche aus, von denen manche schließlich zu ausgedehnten Lawinen anwuchsen, die mit Tosen und Krachen in die von Wildbächen gegrabene Talschlucht donnerten.

Britt Eklund, die Letzte in der Gruppe, spürte unweigerlich, wie erneut Panik in ihr hochstieg.

Schneestürme kommen lautlos und machen blind.

Irgendwo hatte sie das einmal gelesen. Tatsächlich verwandelte sich die Welt um sie herum immer mehr in ein Gemälde aus Schnee, Nebel und Fels. Einen Moment lang glaubte sie wirklich, erblindet zu sein, denn Himmel und Erde, oben und unten, waren auf einmal vollkommen gleich. Die Sicht betrug jetzt kaum mehr als einen halben Meter. Vor ihr verschwammen die Konturen von Veronica und Laura, die hinter ihren Partnern hergingen, zu undeutlichen Schemen. Mehr als einmal rutschte einer von ihnen aus, aber zum Glück, ohne sich dabei die Knochen zu brechen.

Alles glitzerte in einem taubengrauen Licht unter einer garstigen, stahlharten Eis- und Schneeschicht. Minuten später nahm der Sturm an Heftigkeit zu und drosch wie ein Bombenhagel auf die einsamen Ausflügler ein. Blitze zerrissen das Zwielicht und elektrisierten die heulende Luft. Krachender und grollender Donner ließ die Bergwände erzittern, wie ein vielstimmiger nervenzehrender Chor. Der eisige Dunst des unerbittlichen Windes trieb Eissplitter vor sich her und schüttelte die Baumwipfel durch, als bestünden sie lediglich aus Gummi.

Es wirkte so, als würde in diesem Abschnitt der Sierra Nevada gerade die Welt untergehen.

Die Apokalypse, schoss es Tobey unwillkürlich durch den Kopf. Aufgrund seiner puritanischen Eltern war er mit einem fest verankerten Gottesglauben aufgewachsen, deshalb war der Tag des Jüngsten Gerichts für ihn nicht nur eine hohle Phrase.

Längst war bei den Freunden jegliches Zeitgefühl abhandengekommen. Schon seit einer halben Ewigkeit schienen sie sich durch die immer höher auftürmenden Schneewehen zu kämpfen.

Die Berge hörten einfach nicht auf, vor Elektrizität zu beben, und weiß glühende Blitze krachten von einem nun tiefschwarzen Himmel. Die Flocken fielen mittlerweile so dicht, dass man die eigene Hand vor Augen kaum noch sehen konnte. Alles um sie herum versank unter einem weißen Schleier.

Wie durch Watte hindurch drang plötzlich ein freudiger Ruf an Britts Gehör, die sich immer noch am Ende der kleinen Gruppe befand. Tobey und Ned waren offenbar auf die Abzweigung zum Hotel gestoßen.

Schweigend und fast am Ende ihrer Kräfte folgten die fünf Menschen dem zugeschneiten Weg die kleine Anhöhe hinauf. Inzwischen war die Nacht hereingebrochen, sodass sie aufgrund der Dunkelheit und des dichten Schneefalls kaum noch etwas sehen konnten. Wie Blinde, vorsichtig nach einem sicheren Untergrund tastend, setzten sie einen Schritt vor den anderen.

Vom Heulen und Tosen der Elemente begleitet, schälte sich schließlich irgendwann der riesige, lang gestreckte und rechtwinklige Umriss des Hotels aus dem gespenstischen Zwielicht heraus. Wie eine Trotzburg ragte das vierstöckige Gebäude im Neokolonialstil mit den beiden turmartigen Seitenflügeln, dem schrägen Schindeldach und der breiten Fensterfront aus dem finsteren Bergwald vor ihnen auf.

Schlagartig senkte sich eine unnatürliche Stille über die Ankömmlinge. Weder das Heulen des Sturmwindes noch das Rascheln der zerzausten Baumwipfel oder das Knirschen des Schnees unter ihren Schuhsohlen war zu hören. Es schien beinahe so, als hätte die Welt jäh ihren Atem angehalten.

Von den mächtigen Mauern, die die Menschen wie Zwerge wirken ließen, ging eine düstere, alles beherrschende Macht aus, einem Gifthauch gleich.

Das jedenfalls glaubte Britt Eklund zu spüren, die von den fünf Freunden am emphatischsten war. Beim ersten Anblick des Snow Hill, der sie wie einen Schlag in die Magengrube traf, vermischten sich in ihrem Denken Empfindungen, Ängste und Visionen. Sie war auf einmal fest davon überzeugt, dass die kathedralenartigen Fenster mit einem geradezu irren Blick auf sie herabstarrten, während dahinter seltsam groteske Schatten wie auf einem Hexensabbat tanzten, so als buhlten sie um die Gunst des Teufels. Die verschlungenen Korridore hinter der säulenbewehrten Fassade schienen langen, steinernen Schlünden zu gleichen, bereit alles Lebende zu verzehren. Sämtliche Maschinen und Geräte in den einzelnen Räumen pochten und summten so unregelmäßig wie der Herzschlag eines Sterbenden. Etwas Finsteres, unaussprechlich Scheußliches, Abstoßendes, Groteskes und Fremdes, lag hinter diesen Mauern.

Hinter diesen toten Mauern, vor denen die Menschen fast zwergenhaft erschienen. Etwas Unheimliches und Düsteres, geboren aus den Abgründen zwischen den Welten, deren eisige Ströme Britt Eklund bis ins Mark erschaudern ließen. Auf ihrem Rücken unter dem Schneeparka breitete sich eine Gänsehaut aus und ihre Nackenhaare richteten sich auf.

Dieses Hotel ist in Wirklichkeit eine Leichenhalle!

Britt wusste nicht, wie es ihren Freunden gerade erging, ob sie ähnlich dachten oder empfanden wie sie. Vielleicht bildete sie sich das alles ja auch nur ein, genarrt von unheilvollen Ängsten und Spukbildern, die sie seit ihrer Kindheit unregelmäßig heimsuchten.

Wie dem auch sei, ihnen blieb so oder so nichts anderes übrig, als im Snow Hill Hotel Schutz vor der eisigen Nacht und dem wütenden Schneesturm zu suchen.

Ein lautes Klopfen riss die Schauspielerin aus ihren düsteren Gedanken. Wie verrückt hämmerte Tobey gegen die doppelte und vielfach verstärkte aus Ornamentglas bestehende Eingangstür, die einem großen Tor ähnelte, um drinnen gehört zu werden. Vorausgesetzt, es gab überhaupt jemanden, der darauf aufmerksam werden konnte, weil das Hotel nämlich seltsam verlassen aussah.

Mit dem Mut der Verzweiflung hämmerte nun auch Ned mit seinen Handschuhen gegen die Pforte.

Es klingt so, als würde man freiwillig um Einlass in die Hölle bitten!, schoss es Britt jäh durch den Kopf.

Poch, poch, poch.

Die drei Frauen traten nun ebenfalls an die Tür heran und hoben ihre eisigkalten, behandschuhten Hände.

POCH, POCH, POCH.

Dann endlich öffnete sich die schwere Tür einen schmalen Spalt breit. Gerade so weit, als würde das Snow Hill Hotel seinen geifernden Schlund aufreißen, um jeden einzelnen der Neuankömmlinge zu verschlingen.

 

 

1-2

 

Caleb Philbin war ein attraktiver, schlanker, fast drahtiger Mann Mitte vierzig. Das Auffälligste in seinem Dreitagebart-Gesicht mit der schmalen Nase, dem perfekt geschnittenen Mund und dem kantigen Kinn, waren die stechend blauen Augen. Diese kontrastierten extrem mit dem kurzen, pechschwarzen Haar, in dem sich bereits einzelne silberne Strähnen befanden. Hätte er anstatt eines karierten Baumwollhemdes und einer Latzhose, deren verstellbare Träger über den Schultern verliefen, einen noblen Anzug getragen, hätte man ihn allein wegen seiner Erscheinung und Ausstrahlung für den Empfangschef des Hotels halten können.

Tatsächlich aber war Caleb Philbin lediglich der Facility Manager, oder anders ausgedrückt, der Hausmeister, der zusammen mit seiner Frau Hillary in einem eigenen Quartier im Personal- und Verwaltungstrakt wohnte. Während der Wintermonate, in denen das Snow Hill Hotel vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten war, musste er das Gebäude in Gang halten. Von November bis zur neuen Saison, die Anfang Mai begann, war das Hotel für Gäste geschlossen. Aufgrund der Lage in über dreitausend Metern Höhe war es nämlich erst dann wieder möglich, das Berg-Resort mit dem Auto anzufahren.

Das alles hatte Philbin den halb erfrorenen, vollkommen erschöpften und unerwarteten Gästen erzählt, nachdem er sie eingelassen hatte. Es war unmöglich, dass sie bei diesem Schneesturm zu ihren Fahrzeugen ins Tal hinab kommen würden. Deshalb gebot ihm seine humanitäre Hilfspflicht, die Schutzsuchenden so lange zu beherbergen, bis genau das wieder möglich war.

Ohne zu zögern, händigte er ihnen deshalb gerade verschiedene Schlüsselkarten aus. Jeweils ein Doppelzimmer für Ned Harlan und Laura Kelly sowie für Tobey Arness und Veronica Cassavates. Die alleinstehende Britt Eklund bekam ein Einzelzimmer. Alle drei Räume lagen direkt nebeneinander in der ersten Etage.

Nach einer heißen Dusche und in trockenen Kleidern, die die Bergwanderer in ihren Rucksäcken mitgeführt hatten, führte Caleb Philbin sie durch das Hotel, damit sie sich einigermaßen orientieren konnten, solange sie notgedrungen hier ausharren mussten.

Sobald Besucher das Hotel durch die vordere Haupttür betraten, standen sie in der eindrucksvollen und quadratisch angelegten Lobby. Links vom Eingang gab es eine kleine Einkaufspassage, die aus exklusiven Läden bestand, die jetzt natürlich allesamt geschlossenen waren: Tiffany, Louis Vuitton, Swarovski und Prada. Auf der anderen Seite der Passage war der Bereich für die Portiers.

Auffällig im Foyer war die wellenförmig verlaufende Lichtwand, deren strahlendes digitales Design Muster aus Kreisen und abstrakt pulsierenden Lichtwolken bildete. Etwas so Modernes und Surreales hätte man, zumindest der klassischen Außenfassade nach, hier drinnen nicht erwartet.

Nicht ohne Stolz verriet der Hausmeister, dass die jeweiligen Programme je nach Tages- oder Jahreszeit geändert wurden und somit eine festliche und feierliche Stimmung erzeugt werden konnte. Nachdem er dieses Meisterwerk aus Design und Technik kurz vorgeführt hatte, schaltete er die Lichtwand allerdings wieder aus.

Auf derselben Seite befand sich auch eine gut bestückte Bar in modernem Dekor. Davor gab es eine mondäne Lounge mit einem Kamin, in dem jetzt Holzscheite brannten, die im näheren Umkreis eine wohlige Wärme verbreiteten. Hier konnten sich die Hotelgäste zwanglos aufhalten. Die Loungesofas, Bänke, Clubsessel, Hocker und Sitzwürfel waren im traditionellen englischen Stil gehalten, schwarzes, robustes Leder mit Knöpfen- und Nietenverzierungen sowie große Sitzflächen mit hochwertiger Polsterung. Dazwischen standen niedrige Tische, deren Platten aus Melaminharz bestanden. Überall an den hohen Decken hingen gigantische LED-Kronleuchter in Tropfenform aus Kristall und poliertem Stahl. Die weichen, kurzflorigen Barockteppichböden mit den dezenten Blätterrankenmustern schufen augenblicklich eine heimische Atmosphäre.

Das gesamte Ambiente der Lobby war ein gelungener Mix aus konservativ, gediegen und modern.

Linkerhand der Eingangshalle befanden sich die Besuchertoiletten, der Informationsschalter, der Koffer- und Gepäckraum samt den Garderoben, den Aufzügen und der breiten Treppe, die hinauf zu den Zimmern führte. Von dort aus führte dann ein Korridor zum Fitnessraum, der Sauna und dem Schwimmbad. Sogar eine kleine Privatkapelle schloss sich daran an, was für ein Hotel höchst ungewöhnlich war. Doch darüber schwieg sich Caleb aus und auch kein anderer fragte nach.

Rechterhand lag die lange Rezeption mit der Telefonzentrale und der Poststation. Dahinter das Kassen- und Sekretariatsbüro sowie das Manager Office.

Nachdem die Besucher die Eingangshalle bis zum gegenüberliegenden Ende durchschritten hatten, gelangten sie in einen breiten Korridor. Von dort aus zweigten auf der einen Seite ein riesiger Konferenzsaal und ein Bankettraum ab. Auf der anderen gab es ein Café, ein Bistro, das Hotelrestaurant, die Cocktailbar und den Speisesaal.

Die einhundertfünfzig Einzel- und Doppelzimmer lagen in der zweiten, dritten und vierten Etage. Dazu gab es noch je zwanzig Suiten im West- und Ostflügel und die Präsidentensuite in der Mitte des vierten Stocks. Alle Räume konnten entweder über breite, mit Teppichen ausgelegte Treppen oder mit den Aufzügen erreicht werden.

Im Untergeschoss war der Versorgungs- und Personaltrakt untergebracht … Hauptküche, Kühlräume, Vorratslager und die Rampen zur Anlieferung. Ebenso der Bereich für das Hotelpersonal samt Zimmerservice mit Gemeinschafts-, Wohn- Schlaf- und Waschräumen, einer eigenen Kantine und einem kleinen Einkaufsladen. Außerdem gab es noch eine Werkstatt, einen Technikraum, eine Wäscherei, eine Erste-Hilfe-Station sowie die Quartiere für den Manager und den Hausmeister. In der Haupt-Saison beschäftigte das Snow Hill Hotel ganztägig insgesamt hundertzwanzig Mitarbeiter. Dazu kamen noch eine Unzahl von Aushilfskräften, die nicht fest angestellt waren.

Vor dem Hotel führte eine gewundene Serpentinenauffahrt zu den Parkplätzen, den Taxi- und Bushaltestellen sowie zu den Sport- und Kinderspielplätzen hinauf. Dahinter befanden sich die Garagen und die Geräteschuppen. Neben dem Westflügel begann direkt der Bergwald. Am Ostflügel schloss sich die überdachte Aussichtsterrasse an, die in den Öffnungszeiten immer voll bestuhlt war.

Die Freunde waren beeindruckt von den Ausmaßen des Ressorts. Britt war die Einzige, die die düstere Atmosphäre innerhalb der Mauern zu spüren schien. Vor allem im Untergeschoss verschlug es ihr beinahe den Atem. Ihre Handflächen wurden feucht vor Schweiß und das bleierne Gefühl im Magen wurde plötzlich zentnerschwer. Allerdings hielten diese Sinneseindrücke und Empfindungen nur für wenige Momente an, dann lösten sie sich wieder wie Morgennebel im ersten Sonnenlicht auf.

Nach der Führung suchte der Hausmeister mit den Neuankömmlingen den Speisesaal auf, indem normalerweise das Frühstück, der Lunch und das Dinner serviert wurde. Dort setzten sie sich um einen großen Tisch herum, umgeben von Dutzenden anderen Tischen, die alle leer und mit durchsichtigen Schutzfolien bedeckt waren. Ihrer jedoch war bereits komplett mit einer weißleinenen Tischdecke, Tellern, Besteck und Gläsern eingedeckt gewesen.

Normalerweise hatte man von hier aus durch die hohen Fenster einen fabelhaften Ausblick nach Osten auf die schneebedeckten Gipfel der umliegenden Berge, erklärte Philbin. Jetzt waren sie jedoch fast gänzlich zugeschneit. In den noch freien, oberen Dritteln der Scheiben wirbelten große, schwere Flocken im steifen Wind.

Am anderen Ende des Speisesaals kam nun eine zierliche, attraktive Frau, Anfang vierzig, die das lange schwarze Haar zu einem Zopf gebunden hatte, durch eine Doppeltür herein. Bekleidet war sie mit einem dicken Pullover, einer Küchenschürze und einer ausgebleichten Jeans. Ihre schräg stehenden Augen, die über einer etwas zu breiten Nase saßen, schimmerten in einem verwaschenen Grau. Der Mund war elegant geschwungen.

Hillary Philbin war Caleb Ehefrau. Etwas reserviert erklärte sie den Neuankömmlingen, dass sie gerade in der Küche eine Kleinigkeit zu Essen für sie vorbereitete. Als Britt und Veronica ihre Hilfe anboten – Laura schwieg eisern – lehnte sie dankend ab. Gleich darauf ging Hillary wieder hinaus und fuhr mit dem Lift ins Untergeschoss.

»Sie sind wirklich fünf Monate ganz allein mit Ihrer Frau hier oben, Caleb?«, fragte Britt mit rauchiger Stimme, die gut in einen Nachtclub gepasst hätte.

Der Hausmeister nickte. »Die Saison dauert immer von Mai bis Oktober. Die Handwerker und Monteure benötigen danach noch ungefähr zwei Wochen, um kleinere Schäden auszubessern, die während des Betriebs entstanden sind. In dieser Zeit macht das Personal Inventur und packt alles zusammen. Pünktlich zur letzten Oktoberwoche verlassen dann alle das Haus. Natürlich auch der Direktor. In den Wintermonaten bin ich vor allem dafür zuständig, die Heizung in Gang zu halten, denn ansonsten würde der Frost schwere Schäden anrichten, was natürlich eine Wertminderung für das Gebäude bedeuten würde. Außerdem fallen immer wieder verschiedene, zumeist kleinere Reparaturen an, die ich durchführen muss. Mein Job ist es, das Hotel unversehrt zu erhalten.«

Britt war sichtlich beeindruckt. Sie hieß nicht nur annähernd so wie die schwedische Schauspielerin, die im Nachnamen jedoch ein u statt ein a trug, sondern sah auch ähnlich aus: Langes weizenblondes Haar, das weit über ihre zierlichen Schultern fiel, große, veilchenblaue Augen, eine Stupsnase, Grübchen und ein Schmollmund, der sofort die Fantasie jedes Mannes anregte. Genauso wie ihre atemberaubende schlanke Modelfigur von einem Meter fünfundsiebzig mit üppigem Busen, schmalen Hüften und einem kleinen knackigen Hintern. Der dezente Strickpullover, den sie trug, betonte ihre weiblichen Reize nur noch mehr. Britt war tatsächlich eine richtige Schönheit.

Aber nicht nur ihrem fabelhaften Aussehen hatte sie eine, wenn auch bislang nur mäßige, Schauspielkarriere in zweitklassigen Filmen zu verdanken, sondern auch ihrem Köpfchen und ihrer schnellen Auffassungsgabe.

»Das ist ja hier wie in dem Horrorroman Shining von Stephen King«, nuschelte Tobey Arness in seiner ihm angeborenen Art und Weise. Die blauen Augen hinter der runden John-Lennon-Brille funkelten keck. Er war siebenundzwanzig Jahre alt, hoch aufgeschossen, schlaksig und dürr, mit langen Gliedern, die zumeist ungelenk an seinem Körper herabbaumelten. Das widerborstige dunkelblonde Haar, gleichfarben wie sein dichter Vollbart, fiel ihm weit über den Nacken. Verblasste Narben auf der Stirn zeugten von Windpocken-Pusteln, die er als Kind immer wieder offengekratzt hatte. Die Segelohren standen im starken Gegensatz zu seiner dünnen Nase und dem schmalen Mund.

»Shining habe ich schon ein halbes Dutzend Mal gelesen«, entgegnete Caleb leicht belustigt. »Ich kenne fast jeden Satz daraus auswendig. Ein unglaublich fesselndes Buch, in das ich mich hier natürlich sehr gut hineinversetzen kann. Hillary hingegen will es nicht mal anfassen. Gerade so, als hätte sie Angst davor, Geister heraufzubeschwören, die uns in der Einsamkeit heimsuchen könnten.«

»Also ich kann diesem Schinken nichts abgewinnen«, meinte Ned Harlan spitz. Der beleibte, stets glattrasierte Mann war von Beruf Bankangestellter, wie er gleich nach der Begrüßung stolz verkündet hatte. Obwohl er erst dreißig Lenze zählte, wirkte er seinem ganzen Wesen nach jedoch eher wie fünfzig. Sein glanzloses, brünettes und mit Gel zurückgekämmtes Haar lag wie ein Kranz um den runden Schädel. Die kakaobraunen Augen über der krummen Nase waren unter Schlupflidern halb verborgen. Im Gegensatz zu Tobey, der mit einem dicken Winterpullover und einer schäbigen Jeans bekleidet war, trug er einen schwarzen Armani-Anzug und darunter ein blütenweißes Hemd mit Manschettenknöpfen. Auch wenn er auf die ansonsten obligatorische Krawatte verzichtet hatte, war sein Outfit so fehl am Platz wie ein Sträflingsanzug beim Präsidenten, doch genau das hatte er in seinem Rucksack mitgeführt. Der Grund war, dass er geplant hatte, seiner Verlobten bei diesem Ausflug einen Heiratsantrag zu machen. Dazu musste ein Mann von Welt, als solchen er sich zählte, auch richtig gekleidet sein, ganz egal, ob er sich in der Wüste oder auf einem Schneegipfel befand. Das jedenfalls war seine Einstellung.

»Das Einzige, mit dem ich mich in Shining anfreunden kann, ist der Hausmeister, der langsam verrückt wird. Hoffentlich sind Sie nicht auch so ein abgedrehter Kerl, Philbin!« Ned lachte meckernd und schlug sich auf seine dicken Oberschenkel. Dabei entblößte sein kleiner Mund unregelmäßige Haifischzähne.

»Noch habe ich mich im Griff«, gab Caleb lakonisch zurück. »Aber wer weiß, was die kommenden Tage noch so alles bringen werden.«

Laura Kelly, Harlans fünf Jahre ältere Verlobte, die dem Job einer Vorstandssekretärin in einem IT-Unternehmen nachging, nestelte erschrocken am Kragen ihres einfarbigen Kleides, das genauso deplatziert war, wie Neds Anzug. Ihre Unterarme, die zu einem Drittel aus den Ärmeln herausragten, waren mit einem dichten, rötlichen Flaum bedeckt, der aussah wie der Pelz eines Fuchses.

»Glauben Sie denn wirklich, dass wir noch tagelang hier oben festsitzen werden?«

Nachdenklich musterte Philbin die Frau, die genauso altmodisch und arrogant wirkte, wie Harlan. Laura war nicht besonders hübsch, klein und ebenfalls übergewichtig. Das rostrote, dünne Haar, das eine optische Einheit zu dem mit Sommersprossen gesprenkelten, bleichen Gesicht bildete, trug sie schulterlang. Die Nase war ganz offensichtlich mit einem chirurgischen Eingriff verschmälert worden, was man ihr anhand der schlecht verheilten Narben immer noch ansah. Der Mund, über dessen rechtem Winkel ein großer dunkler Leberfleck saß, war dünnlippig und wirkte deshalb stets verkniffen. Das Hübscheste an ihr waren die ovalen, jadegrünen Augen. Zweifellos war die Frau ihr Leben lang ein Mauerblümchen gewesen, die bestimmt schon in der High School bei jedem Ball als Letzte aufgefordert worden war. Wenn überhaupt.

»Wie ich schon sagte, sind die Winter hier oben in der Sierra Nevada ziemlich hart«, gab der Hausmeister zurück. »Schneestürme wie jener, der gerade wütet, sind keine Seltenheit. Oft halten diese tagelang an, manchmal sogar Wochen.«

»Was tun Sie denn, wenn Sie oder Ihre Frau mal krank werden?« Tobeys lebenslustige Freundin Veronica Cassavates strich sich eine widerspenstige Strähne ihres kurzen, wasserstoffblond gefärbten seitlich gescheitelten Haares aus der Stirn. Ihre Stimme war ziemlich schrill aber meistens von einem sympathischen Lächeln begleitet. Sie starrte den Mann aus dunklen Augen an, die unter hochgezogenen, dünnen Brauen lagen. Ihre mit einem Silberring gepiercte Nase war schmal, der Mund groß und schön geformt. Wenn sie sprach, offenbarte sie auf dem oberen, mittleren Schneidezahn einen glitzernden Kristall. Ihre Handrücken, der Nacken und der seitliche Hals waren tätowiert, wobei die Tattoos im Kragen und in den weiten Ärmeln des bunten Strickpullovers verschwanden, der ihr bis zu den Knien reichte. Der Betrachter konnte allerdings erahnen, dass die farbigen Hautbilder ihren gesamten schlanken und gutgebauten Körper bedeckten. Mit ihren sechsundzwanzig Jahren war die Literaturstudentin das Küken des Freundeskreises.

»Zum Glück sind wir in all den Jahren, in denen wir die Wintermonate hier oben verbracht haben, noch nie ernsthaft erkrankt.« Philbin klopfte mit den Faustknöcheln auf die Tischplatte. »Toi, toi, toi. Abgesehen mal von ein paar Erkältungen, Fieber und einer Prellung, die ich mir letztes Jahr bei einem Sturz von der Leiter zugezogen habe.«

»Aber können Sie dann nicht einfach Hilfe herbeirufen?«, wollte Britt wissen. Unverwandt lag ihr schmachtender Blick auf dem attraktiven Hausmeister, der ihr ganz offensichtlich gefiel. Schließlich war sie der einzige Single in der Runde und konnte sich deshalb einen kleinen Flirt durchaus erlauben. »Es gibt doch schließlich Festnetztelefone, Handys und bestimmt ein CB-Funkgerät. Wir leben immerhin im 21. Jahrhundert.«

»Die Telefonleitungen zwischen hier und Hamspreach, dem nächstgelegenen Ort, verlaufen noch immer überirdisch und sind deshalb jeden Winter an irgendeiner Stelle unterbrochen. Das ist, fürchte ich genauso wie in Shining. Handyempfang gibt es hier nicht, wie Sie vielleicht selbst schon festgestellt haben, und die Sendefrequenzen für den CB-Funk sind zwar festgelegt, aber oft gestört.«

Caleb machte eine kurze Pause, bevor er fortfuhr: »Hamspreach ist zwar nur zwanzig Meilen von hier entfernt, befindet sich jedoch unten im Tal. Selbst, wenn es gelingt, Hilfe herbeizurufen, ist die einzige Straße, die hier heraufführt, über Monate hinweg unpassierbar. Wie gesagt, das Snow Hill Hotel ist außerhalb der Saison vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten.«

»Und was ist mit Schneemobilen?«, fragte Britt hartnäckig.

»Das wäre tatsächlich eine Möglichkeit. Aber an einigen tückischen Stellen ist der Untergrund viel zu steinig und die befahrbare Schnee- und Eisschicht über dem Geröll viel zu dünn, sodass ein Motorschlitten einbrechen oder abstürzen könnte.«

»Bleiben noch Hubschrauber«, warf Britt fast schon verzweifelt ein.

Langsam und nachdenklich schüttelte Caleb den Kopf. »Vor fünf Jahren kam es hier in der Nähe zu einer schrecklichen Katastrophe. Ein Helikopter vom Rettungsdienst des Nationalparks hatte versucht zwei Bergsteiger, die vom frühen Wintereinbruch überrascht worden waren, aus ihrer misslichen Lage zu befreien. Doch eine Sturmbö hatte den Hubschrauber erfasst, sodass dieser an einer Bergwand zerschellte. Dabei kam die komplette Besatzung ums Leben und die Kletterer erfroren. Vor einem Jahr gab es ein ähnliches Fiasko. Sie müssen sich klarmachen, dass der Wind in dieser Region unberechenbar ist und oft sogar Hurrikanstärke erreicht.«

»Oh mein Gott!« Britt biss erschrocken in die Knöchel ihrer rechten Faust. Ihr hübsches Gesicht war nun ganz blass geworden.

»Ich möchte Ihnen gewiss keine Angst einjagen«, meinte Philbin bedächtig aber bestimmt, »doch kein normaler Mensch würde auf die Idee kommen, im Januar die Berge in dieser Gegend der Sierra Nevada zu bewandern.« Erneut machte er eine kurze Pause, um den nachfolgenden Worten mehr Gewicht zu verleihen. »Eigentlich ist es bei diesen Witterungsbedingungen sogar vollkommen unmöglich, zu Fuß ins Tal zurückzukehren. Selbst, wenn der Schneesturm nachlässt. Die Gefahr, von einem der Steilhänge abzustürzen, vom Geröll erschlagen oder von Lawinen in den Abgrund gerissen zu werden, ist momentan unverhältnismäßig groß. Mal ganz davon abgesehen, dass es äußerst schwierig ist, überhaupt den richtigen Weg zu finden. Vielmehr besteht das Risiko, sich in der eisigen Wildnis zu verirren und anschließend kläglich zu erfrieren.«

Dumpf wie eine Totenglocke hallten die mahnenden Worte des Hausmeisters in den Köpfen der Bergwanderer nach. Ihre Fahrzeuge standen sehr weit unten im Tal, weil die Serpentinenstraße hinauf tatsächlich unbefahrbar gewesen war. Vor zwei Tagen war es ihnen aber vollkommen egal gewesen, weil sie die Sierra Nevada ohnehin zu Fuß hatten erkunden wollen. Niemand von ihnen hatte schließlich damit gerechnet, vom Wanderpfad abzukommen und einem falschen Weg zu folgen.

Was sie sich jedoch vorwerfen lassen mussten, war bei der Planung ihres Trips sträflich vernachlässigt zu haben, dass der Bundesstaat im Norden ganz andere Klimazonen aufwies, als sie es gewohnt waren, und diese sorgten nun mal für sehr kalte und schneereiche Winter mit plötzlich einsetzenden Schneestürmen. Aber sie kamen nun mal aus San Francisco, der legendären Golden-Gate-City am Pazifik, in der die niedrigsten Temperaturen bei plus sechs Grad lagen und die kälteste, jemals gemessene, bei gerade mal minus zwei Grad. Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen Mitte des 19. Jahrhunderts hatte es dort lediglich zehn nennenswerte Schneefälle gegeben.

Zum Teufel, so vielfältig war Kalifornien.

Erneut wurde die Doppeltür des Speisesaals geöffnet, und Hillary Philbin schob einen Rollwagen, auf dem verschiedene Schalen und Schüsseln standen, bis zu dem gedeckten Tisch heran. Der kleine Snack, der aus French Toast, Würstchen und Speck, getränkt in Ahornsirup bestand, duftete einfach köstlich. Dazu gab es schwarzen Kaffee und Bagels.

Während sich das Hausmeister-Ehepaar zurückhielt, stürzten sich die Gäste mit wahrem Heißhunger auf die Mahlzeit.

»Also ich habe ja eher an Jakobsmuschel-Sashimi, Schweinebäckchen, Hummer-Risotto mit Pernod und Fenchel, Focaccia mit einem Hauch von Rosmarin und dazu einen edlen Puligny-Montrachet oder einen weißen Burgunder gedacht«, nörgelte Ned Harlan zwischen zwei Bissen hindurch. Dafür kassierte er nicht nur böse Blicke seiner Tischnachbarn, sondern von Laura noch dazu einen Ellbogenknuff in die fettgepolsterte Seite. Gleich darauf fuhr er seine Verlobte missmutig an.

»Was hast du denn? Wir sind hier immerhin in einem Luxus-Hotel und nicht in einem armseligen Imbissladen!«

Angesichts dieser Respektlosigkeit des großspurigen Bankangestellten verzog Hillary Philbin unwillig das Gesicht.

»Also mir schmeckt’s ganz vorzüglich«, versuchte Britt Neds Affront auszubügeln. »Wie viel Proviant haben Sie denn eigentlich in den Vorratsräumen eingelagert?« Ihre herrlichen Augen lachten unwillkürlich und fixierten den Hausmeister erneut etwas zu frivol, was Hillary natürlich nicht entging. Dadurch wurde ihre ohnehin schon gereizte Stimmung noch frostiger.

Caleb trank einen Schluck Mineralwasser und stellte das Glas danach auf den Tisch zurück. Mit Ausnahme seiner Frau, hatte keiner der Anwesenden auch nur die geringste Ahnung davon, dass dieses Thema für sie in der letzten Zeit geradezu überlebenswichtig geworden war.

»Normalerweise reichen die eingelagerten Vorräte für zwei Personen locker sechs Monate, aber dieses Jahr haben wir das Problem, dass im November der Hauptkühlraum ausgefallen ist. Ich habe alles versucht, um das Kühlaggregat zu reparieren, aber mir fehlen einfach die notwendigen Ersatzteile dazu. Dennoch werden Hillary und ich mit dem begrenzten Proviant, der im Nebenkühlraum gelagert ist, bis zum Frühjahr durchkommen.«

»Können Sie die Lebensmittel denn nicht einfach ins Freie stellen? Es ist doch kalt genug da draußen, da brauchen Sie doch gar kein Kühlhaus.« Laura redete so schnell, als müsste sie auf der Arbeit ihrem Boss ein wichtiges Telefonat mit einem Kunden wiedergeben. Ganz nach dem Motto time is money.

»Sie haben recht. Das wäre natürlich eine Lösung.« Calebs finsterer Blick verriet jedoch etwas ganz anderes. »Aber da wir im November die Vorräte zuerst aus dem Neben- und nicht aus dem Hauptkühlraum genommen haben, fiel uns zunächst gar nicht auf, dass dieser defekt war. Deshalb sind sämtliche eingefrorene Lebensmittel dort aufgetaut und verdorben.«

»Dann gibt’s halt nur Zwieback und Wasser«, meinte Ned sarkastisch.

Bevor ihm jemand über den Mund fahren konnte, sagte Caleb: »Tatsächlich haben wir Toast, Zwieback, Knäckebrot, Cornflakes, Haferflocken, Nudeln und Reis, Gemüse in Dosen, Dauerwurst, Trockenmilch, Öl, Eier und Kartoffeln bevorratet. Genauso wie Mineralwasser und verschiedene Säfte, ganz abgesehen von alkoholischen Getränken. Auch eine geringe Menge an eingefrorenem Fleisch und Fisch, der im gekühlten Vorratsraum lagert. Aber das alles reicht – ich wiederhole mich – lediglich für zwei Personen bis zum Frühjahr.«

»Und jetzt kommen auf einmal noch fünf weitere Mitesser dazu, mit denen Sie nicht rechnen konnten«, stellte Britt mit dunkler Vorahnung in der Stimme fest. »Dann können wir nur beten, dass der Schneesturm bald vorüber ist, denn ansonsten würden wir verhungern.«

Tobey räusperte sich. »Du hast vergessen, was Caleb vorhin gesagt hat. Selbst, wenn sich das Wetter bessert, ist es fast unmöglich, wieder ins Tal hinunter zu kommen. Weder zu Fuß noch mit einem Wagen oder Schneemobil und schon gar nicht mit einem Hubschrauber. Wir sitzen hier oben jetzt offenbar fest wie in einer Mausefalle.« Der schlaksige Mann konnte sich ein grimmiges Lächeln nicht verkneifen. Es lag einfach in seinem Naturell, Problemen mit Humor zu begegnen, auch wenn es an dieser Stelle so deplatziert war, wie ein Rülpser in einem Beichtstuhl.

»Willst du damit etwa ernsthaft behaupten, dass wir hier jetzt wochenlang ohne ausreichende Vorräte eingesperrt sind?«, empörte sich Ned. »So was gab es nicht mal in Shining

Hillary erhob sich so abrupt, dass der Stuhl mit der hohen Lehne hinter ihr beinahe auf den Boden kippte, hätte Caleb ihn nicht vorher aufgefangen. Mit hektischen Bewegungen und hochrotem Gesicht räumte sie die leeren Teller, Schüsseln und Schalen auf den Rollwagen und fuhr ihn dann wortlos und mit verkniffenem Gesichtsausdruck aus dem Speisesaal.

Auch Caleb war wütend. Auf seiner Stirn pochte eine Zornesader. Der Bankangestellte dachte offenbar wirklich nur an sich und sein Essen. Die anderen waren ihm anscheinend vollkommen gleichgültig.

Für einen Moment war Caleb versucht, dem Dicken klarzumachen, wer hier das Hausrecht hatte und dass er ihn jederzeit wieder an die Luft setzen konnte, wenn er wollte, doch er hielt sich zurück.

»Dann sollten wir schleunigst anfangen, den Proviant einzuteilen«, schlug Tobey so gut gelaunt vor, als würden sie zusammen bei einem gemütlichen, unbeschwerten Barbecue sitzen. Er, der ewige Student, war in seinem Leben noch nie vor größere Schwierigkeiten gestellt worden, außer jenen, zuerst das Jura- und dann auch noch das Betriebswirtschaftsstudium zu schmeißen, um sich danach in Literatur zu versuchen.

»Zwei Drittel für mich, ein Drittel für den Rest des Teams!« Harlan lachte über seinen eigenen Witz, als hätte er den Ernst der Lage noch immer nicht begriffen. Gleichzeitig schien er den steigenden Unmut des Hausmeisters zu ignorieren. Trotz dessen Gastfreundschaft, die ihm, seiner Verlobten und den anderen drei Freunden das Leben gerettet hatte.

Nun war es Caleb, der sich von seinem Platz erhob. Langsam und bedächtig, wie ein Prediger im Todestrakt eines Gefängnisses. Fast verächtlich blickten seine stechend blauen Augen auf Harlan herunter.

»Ich weiß nicht, wie Sie das sehen, aber irgendwie habe ich den Eindruck, dass Sie mich oder meine Frau absichtlich provozieren wollen. Oder irre ich mich da?«

Offensichtlich war der Dicke mit dieser direkten Ansprache überfordert. Unsicher kratzte er sich an seinem Doppelkinn, sah in die Runde und dann wieder auf den Hausmeister.

»Nun ja, Philbin. Sie sollten nicht immer alles auf die sprichwörtliche Goldwaage legen. Vielleicht hat Sie die Einsamkeit in diesen verfluchten Bergen ja etwas übersensibel gemacht …«