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Heike Meckelmann

Küstenlüge

Kriminalroman

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Zum Buch

Kaltblütig! Jost Hardenberg wird auf Fehmarn – mit unzähligen Messerstichen getötet – in der Küche seiner Ex-Frau aufgefunden. Was hatte der Mann, von dem sie seit über einem Jahr getrennt lebte, im Haus der selbstständigen Unternehmerin Julia Hardenberg verloren? Sie selbst kauert schwer verletzt und traumatisiert im Badezimmer ihres Hauses und spricht kein Wort. Fand hier ein Beziehungskampf statt oder hat es jemand anderes auf Julia Hardenberg und ihren Ex-Mann abgesehen? Offensichtlich hatten eine Menge Leute Gründe dafür, Jost Hardenberg aus dem Weg zu räumen. Kommissar Westermann ist der einzige, dem sich Julia Hardenberg anvertraut. Er erfährt eine schier unglaubliche Geschichte. Westermanns Kollege, Thomas Hartwig, hält Julia für die Mörderin, die die Kommissare in die Irre führen will. Aber war sie in der Lage, einen derartigen Mord zu begehen? Was wollte der Tote in ihrem Haus? Die Polizei tappt im Dunkeln. Einzig Hobby-Ermittlerin Charlotte Hagedorn ist wieder einmal allen einen Schritt voraus. Doch dann wird eine weitere Leiche aufgefunden …

Heike Meckelmann wurde in der Nähe von Elmshorn geboren und zog vor fast genau 30 Jahren auf die Insel Fehmarn. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft führte sie auf der Insel viele Jahre einen Friseurbetrieb und eine Hochzeitsagentur, arbeitete als Fotografin und nahm als Sängerin ein eigenes maritimes Album auf, bevor sie mit ihrer Familie eine Pension übernahm. Seit 2016 arbeitet Heike Meckelmann als freie Autorin auf Fehmarn, schreibt Kriminalromane und Reiseliteratur. Über 17 Jahre mit einem Fehmaraner verheiratet, bezeichnet sie sich durch und durch als Insulanerin, die ihre Insel genauso liebt wie die Geschichten, die sie auf der Sonneninsel schreibt.

 

Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Küstenwolf (2019)

Küstendämon (2018)

Lieblingsplätze: Fehmarn (2017)

Küstenschatten (2017)

Küstenschrei (2016)

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2020

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Zeichnungen Kapiteltrenner im Buch: © Miriam Lange

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Andrea / stock.adobe.com

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

ISBN 978-3-8392-6280-1

Haftungsausschluss

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Prolog

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Man müsste sie in einen Glaskasten stellen und den Schlüssel wegschmeißen. Jeder darf sie ansehen, aber niemand sie berühren …

Sie blickte in das Glas vor sich, in dem sich winzige weiße Bläschen in dunklem Gebräu zu blubbernden Türmen aufrichteten. Nacheinander zerbarsten sie, um aus der Tiefe erneut emporzusteigen. Ihr Körper schien versteinert und gleichzeitig federleicht. Sie beobachtete die Luftbläschen, die eins nach dem anderen wie all ihre vergangenen Träume zerplatzten. Wenn sie es heute Nacht nicht zu Ende brachte, würde Grauenvolles passieren. Sie wollte sich nur noch auflösen. So, als hätte es sie nie gegeben. Das fahle Licht des abnehmenden Mondes fiel durch das Fenster in ihrem Büro, erhellte den Schreibtisch und versetzte die Schaumperlen in pulsierendes Schimmern. Nur das Glas leeren, dann wäre es endlich überstanden …

*

»Genug! Du verarschst mich nicht. Du hast reichlich Zeit, über dein abgrundtief schäbiges Verhalten nachzudenken. Wie leicht du dich hast hinreißen lassen. Ich habe jede Minute genossen, nur dass du es weißt. Mich betrügt man nur einmal. Es ist genug!« Langsam tastete die Hand zum Messerblock. Dann ruhte das Fleischmesser zwischen den Fingern. Der Blick war regungslos geradeaus gerichtet und sah in das erstarrte Gesicht. »Du wirst dieses Haus nicht lebend verlassen«, flüsterte der Mann gefährlich leise und zog die Augenbrauen hoch. »Ich bekomme immer, was ich will, das sollte dir klar sein.« Voller Wucht schleuderte er seine Faust in das Gesicht des Gegenübers.

»Das war für die Schnüffelei.« Erneut schlug er zu. »Das für die Geschäfte, die du mir versaut hast.« Sein Visavis starrte ohne jegliche Regung in die Grimasse des Schlägers. Als die Faust sich ein drittes Mal erhob, schnellte der Arm mit dem Messer, das abwartend hinter dem Rücken auf seinen Einsatz gelauert hatte, nach oben. Wenige Sekunden später traf die Klinge an der Stelle auf die Haut, unter der die Halsschlagader pulsierte. Die Messerschneide bohrte sich in das Fleisch. »Wie gefällt dir das?« Dann zog die Person, die dem Mann gegenüberstand, das Messer langsam aus der Wunde, betrachtete es lächelnd und hieb ein zweites Mal zu. Unterhalb des Rippenbogens glitt die Klinge in die Haut.

»Die Lunge dürfte sich in einem nicht mehr tadellosen Zustand befinden«, raunte die Stimme.

Ein kaltes Lächeln fuhr über die Lippen des Attackierenden. Das Opfer starrte mit entsetzt geweiteten Augen auf seinen Angreifer und presste verzweifelt die Hand gegen die Wunde, unter der die Halsschlagader trommelte, während das Blut im Takt zwischen den Fingern herausspritzte. Die Knie gaben nach und er krümmte sich. Als er versuchte, sich dem Gegner entgegenzustellen, schnellte das Messer ein drittes Mal auf ihn zu. Die Klinge verschwand schmatzend in der Herzgegend. Stöhnend sackte der Schwerverletzte auf die Knie. Lautes Lachen begleitete ihn, als er die Besinnung zu verlieren drohte. Blut quoll aus Wunden und Mund, während er sich am Boden krümmte. Ein schmaler Strom des roten Lebenssaftes tropfte die Lippen hinunter. Gelassen kniete sein Mörder neben ihm und ließ die Klinge wie in einem Rausch immer wieder auf ihn herabfahren. Der Körper des Mannes zuckte. Der Kampf dauerte wenige Minuten, dann hörte sein Herz auf zu schlagen. Er war tot …

Kapitel 1

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Lore Tamken öffnete die Tür des Einfamilienhauses. Normalerweise freute sie sich auf die Arbeit im Haus von Julia Hardenberg. Sie verspürte keinerlei Lust, für fremde Leute zu putzen, aber hier war sie bestens aufgehoben.

Heute ging es ihr nicht gut.

Schweißperlen glänzten auf ihrer Stirn und ihre Körpertemperatur lag über 37 Grad. Sie schwitzte, obwohl sie fror. Geschwächt drückte die hagere Frau um die 50 die Tür ins Schloss, schälte sich aus ihrem grauen Mantel und hängte ihn an den messingfarbenen Garderobenhaken im großräumigen, lichtdurchtränkten Flur. Müde stellte sie die schäbige, schwarze Handtasche aus Kunstleder auf den Boden. Es handelte sich nicht um ein Designerobjekt. Das zeigte die oberste Schicht der Tasche, die sich stellenweise vom Stoff abgepellt hatte und hässliche Flecken hinterließ.

Im quadratisch geschnittenen Raum, von dem alle weiteren Türen im Erdgeschoss in die anderen Zimmer führten, blieb sie seufzend stehen. Sie hielt sich am Holzgeländer der Treppe fest, über die sie in den ersten Stock gelangte. Ihr graute vor den Stunden, die heute vor ihr lagen. Denn obwohl das Haus im Grunde genommen ordentlich und übersichtlich eingerichtet war, gab es dennoch fünf Zimmer und ein großes Bad, welche samt Böden und Fenster jede Woche aufs Neue gereinigt werden mussten.

Eigentlich muss ich mir erstmal einen Tee genehmigen, dachte sie. Bevor sie startete, wollte sie den Wasserkocher anstellen und sich dann in den ersten Stock begeben. Wenn ich wieder runterkomme, gönne ich mir einen anständigen Pfefferminztee. Sie nickte und wunderte sich darüber, wie warm es im Flur war.

Bedächtig tastete sie nach dem Heizkörper, der bis zum Anschlag aufgedreht war.

Normalerweise hielt sich Frau Hardenberg aus Macht der Gewohnheit daran, die Räume kühl zu halten, um sauer verdientes Geld nicht in überheizten Zimmern zu verschwenden.

Hier ist es heute wenigstens muschelig, rieb sie sich die Hände und kuckte sich um. Ihrer angeschlagenen Gesundheit tat die Wärme gut. Es kam der aufkommenden Erkältung entgegen.

Sie erwartete nicht, Frau Hardenberg vorzufinden, weil sie wusste, dass die zu dieser Tageszeit in ihrem Geschäft jede Menge Arbeit zu bewältigen hatte. Vor 15 Uhr kam sie auch am Samstag und dem damit verbundenen Wochenende nie nach Hause. Lore Tamken begab sich schulterzuckend auf den Weg in die Küche. Für einen letzten Moment blieb sie vor dem an der Wand hängenden, überdimensionierten Spiegel mit der goldfarbenen Barockumrandung stehen. Sie fuhr mit den Händen durch die halblange aschblonde Frisur und versuchte, die dauergewellten, mit blonden Strähnen durchzogen Haare in Ordnung zu bringen, die der spärlichen Behaarung mehr Fülle auf den Kopf zaubern sollten.

Während sie den Sitz ihres Strickpullovers überprüfte, drängte sich ihr ein eigenartiger Geruch auf, der ihr bereits beim Betreten des Hauses aufgefallen war. Sie rümpfte die verschnupfte Nase wie ein Kaninchen und verzog angewidert das Gesicht. Das bilde ich mir nur ein. Mein Riechkolben ist total dicht. Ich krieg eh kaum Luft.

Sie öffnete den Mund und japste nach Sauerstoff.

Matt streckte sie ihrem Spiegelbild die Zunge heraus.

Sie drückte die Klinke der Küchentür herunter, die sie wider Erwarten verschlossen vorfand. Normalerweise standen sämtliche Türen im Haus zu jeder Zeit offen. Julia Hardenberg hasste es, sich wie ein Karnickel im Hasenstall zu fühlen. Sie brauchte räumliche Freiheit. Als sie die Tür aufschob, schlug ihr der unangenehme Geruch wesentlich intensiver entgegen und drängte sich ihren zugeschwollenen Nasenflügeln auf. Instinktiv hielt sie die Hand vor Nase und Mund.

Was stinkt hier so? Die Wärme, die ihr mitsamt der übel riechenden Ausdünstung entgegenwälzte, war kaum zu ertragen.

Sekunden später wich sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht und sie fing augenblicklich an zu zittern. Sie ließ die Arme sinken und öffnete ihre bleichen, vibrierenden Lippen. Ein gellender, hysterischer Schrei hallte durch das Haus. Geschockt schlug sie die Hand vor den Mund, als wollte sie den eigenen Aufschrei ersticken.

Ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, inhalierte sie die übel riechenden Ausdünstungen und hörte nicht mehr auf zu kreischen, bis eine fremde Stimme außerhalb des Hauses zu brüllen anfing.

»Ist da drüben sofort Ruhe, sonst rufe ich die Polizei! Geht das jetzt schon am helllichten Tag los?« Die Worte erlösten Lore Tamken aus ihrer Starre.

Sie machte schlotternd auf dem Absatz kehrt, rannte zur Eingangstür und würgte ununterbrochen. Panisch riss sie die Tür auf und schrie, so laut ihre Stimme es hergab, zum Nachbargrundstück:

»Rufen Sie die Polizei, hier liegt ein Toter!« Fahrig deutete sie hinter sich, würgte und heulte gleichzeitig.

Geschockt krallte sie sich mit der Hand am Türrahmen fest, zuckte wie eine Schildkröte, die den Kopf in den Panzer zurückzieht, und übergab sich in das kahle Winterbeet vor sich.

Albert Sonnenburg, der Nachbar auf der anderen Straßenseite, riss die Terrassentür auf, die er nach seinem lautstarken Anfall wütend ins Schloss geworfen hatte, als hätte er das, was er soeben vernommen hatte, nicht eindeutig verstanden. Er schlitterte auf dem glatten Rasengrundstück in Hausschuhen zur mannshohen Hecke und spähte auf die andere Straßenseite.

Als er die Putzfee auf dem Grundstück der Hardenbergs erkannte, war ihm sofort klar, dass etwas Schreckliches passiert sein musste.

Die Putzfrau hing über dem kargen Blumenbeet und spuckte sich halb tot. Eilig jagte er zurück in die Diele, griff nach dem Mobiltelefon, das auf einer dunklen Kommode in der Ladestation stand, hielt es ans Ohr und brüllte mit seiner tiefen, sonoren Stimme, die normalerweise einen angenehmeren Klang hatte, hinein: »Sie müssen sofort kommen. Im Nachbarhaus liegt eine Leiche. Wer? … das weiß ich doch nicht … die Putzfrau schreit sich die Seele aus dem Leib.«

Eilig legte er auf, warf die Hausschuhe ab, um in seine Stiefel zu steigen, und wischte sich die Hände an der dunkelbraunen Cordhose ab. Er spurtete durch den winterlich kargen Garten über die Straße zum Haus der Familie Hardenberg. »Wo liegt ein Toter … wer ist es? Zeigen Sie es mir … sofort!«, bölkte Sonnenburg die Frau an, deren Gesicht leichenblass war und die fortwährend mit der Hand hinter sich deutete.

»Im Haus! Ich geh da nicht mehr rein«, jaulte sie gequält.

»Wer? Zum Teufel reden Sie schon!«

»Herr Hardenberg … da liegt Herr Hardenberg! Bl… blutüberströmt!«

Der Landwirt starrte die Putzfrau ungläubig an. »Aber wieso? Und wo ist seine Frau?«

Lore Tamken zuckte hilflos mit den Schultern und jammerte ohne Unterlass weiter. Sie setzte sich auf die unterste eiskalte Stufe der Eingangstreppe und schlotterte wie ein altes Schulskelett. »Ex-Frau. Sie ist seine Ex-Frau. Ich weiß es nicht. Im Geschäft, wo sonst? Sie kommt samstags nie so früh nach Hause.«

Albert Sonnenburg drängte sich wortlos an ihr vorbei und betrat mit einem unguten Gefühl in seiner Magengegend das Einfamilienhaus. Sein Kehlkopf hüpfte nervös auf und ab. Er hatte Mühe, den Rachen mit Spucke zu befeuchten. Der großgewachsene Bauer flößte anderen normalerweise Respekt ein.

Jetzt vermittelte er eher den Eindruck, als hätte ihn sämtliche Entschlusskraft verlassen. Er wirkte angespannt und schritt zähneknirschend durch den Flur. Sonnenburg hatte die vage Hoffnung, dass sich die Anwandlungen der Reinmachefrau als Hirngespinste herausstellten.

»Wo genau?«, rief er Richtung Eingangstür.

»In der Küche«, heulte Lore Tamken und hielt sich die zitternden Hände vors Gesicht. Aus ihrer Nase hing ein langer Schnodderfaden, den sie lautstark zurück in die Nasenlöcher zog. Sie schniefte und schnaubte wie eine alte Seekuh.

Albert Sonnenburg sah sich im Flur um, während er sich schrittweise der offenen Küchentür näherte. Er wischte sich fortwährend Schweißperlen von der Stirn, die durch die Poren krochen und letztendlich auf der Nasenspitze landeten. Seine Schritte wurden zögernder. Er schluckte. Zu allem Übel stieg ihm ein entsetzlicher Gestank in die Nase, der ihn an etwas erinnerte, dass er nicht zuzuordnen wusste. Das mulmige Gefühl in der Magengegend verstärkte sich bei jedem Schritt, den er der Küche näherkam. Normalerweise kannte er keine Empfindlichkeiten.

Aber einen Toten aufzufinden, gehörte nicht zum täglichen Geschäft. Außerdem hatte der ehemalige Schweinebauer über die Jahre vieles gesehen, das mit Tod und Verwesung zu tun hatte. Er war nicht zimperlich, sich in einem Schlachthof umzusehen, wohin seine Tiere ihre letzte Reise antraten, bevor ihr Fleisch zu leckerer Bratwurst verarbeitet wurde.

Der Geruch dort ließ einem normalen Menschen Übelkeit die Kehle hochsteigen. Dieser ekelhafte, süßlich penetrante Gestank war nicht jedermanns Geschmack. Jetzt weiß ich, woran mich das hier erinnert … Schlachthaus! Ihm wurde mulmig.

Als er zwei Schritte später die Küche betrat, wurde ihm augenblicklich hundsmiserabel.

Was sich ihm offenbarte, war abartiger als alles, was er jemals im Schlachthof zu sehen bekommen hatte!

Joost Hardenberg, der frühere Mitbewohner dieses Hauses und Ex-Ehemann von Julia Hardenberg, lag rücklings vor der Küchenarbeitsfläche am Boden auf den vormals weißen Fliesen.

Um den leblosen Oberkörper herum hatte sich eine rote Blutlache ausgebreitet, die einen bräunlichen Ton angenommen hatte. Das ist nicht frisch, der liegt schon länger hier, so viel ist mal sicher, überlegte Albert Sonnenburg, als er den Toten in der Küche angewidert betrachtete.

Der Gestank machte ihm zu schaffen. Sonnenburg schob den Unterarm, der in einem braunen Strickpullover steckte, über Mund und Nase.

Es roch nach verrostetem Eisen … und unterschwellig … nach Tod.

Jetzt setzte sich diese nicht zu verdrängende Ausdünstung in seiner Nase fest, zog tief in den Rachen und verschaffte ihm Übelkeit und Brechreiz. Die Penetranz war durch nichts auszuschalten und ließ ihn würgen wie schon Lore Tamken wenige Minuten vorher.

Er presste den Arm noch energischer über die Öffnungen in seinem Gesicht. Sonnenburg hoffte, dass der Stoff des Pullovers, der verhalten nach Weichspüler roch, den Gestank zumindest mindern konnte. Er betrachtete den Toten und trat einen Schritt zurück. Der Wunsch, die Küche zu verlassen, war so ausgeprägt, dass er sich bereits im Türrahmen wiederfand.

Und doch erfasste ihn Neugier und hielt seine Beine wie einen Magneten fest am Boden. Er konnte, selbst wenn er gewollt hätte, den Raum nicht verlassen.

Der Landwirt starrte wie von Sinnen auf den Körper des eindeutig toten Mannes, der mit etlichen Stichwunden übersäht war. Wer das hier verübt hat, hat ganze Arbeit geleistet, stellte er nüchtern fest, betrachtete die tiefen Stichverletzungen am Hals des Toten und würgte erneut. Angeekelt nahm er den Arm runter und hielt sich die Hand vor den Mund.

Albert Sonnenburg wandte sich ab und ließ seinen Blick schluckend durch die geräumige Küche schweifen. Um ihn herum herrschte Chaos. Heilloses Durcheinander. Schranktüren standen offen und überall lagen Geschirr und Küchengerätschaften. Es hatte den Anschein, als hätte hier ein Kampf stattgefunden. Der pensionierte Schweinebauer lenkte sein Interesse trotz des ekelhaften Gefühls in der Magengegend wieder zurück auf die männliche Leiche.

Der gebrochene Blick des Toten war starr gegen die Decke gerichtet. Ein eiskalter Schauer lief Sonnenburg den Rücken hinunter. Die Haut des Leichnams war aufgedunsen und hatte eine eigentümliche Farbe angenommen.

Erste Auflösungsprozesse zeigten sich ekelerregend. Wie lange liegt der hier, fragte sich Sonnenburg und rückte einen Schritt näher.

Es ist mehr, als ein normaler Mensch verkraften kann, bemerkte er und würgte erneut. Er betrachtete den Toten und das ursprünglich blau gestreifte Oberhemd, das mit angetrockneter Körperflüssigkeit getränkt war. Über dem offenen Kragen hing eine Krawatte, die vorher in Rosétönen geleuchtet haben musste. Albert Sonnenburg machte dies an einer winzigen Stelle fest, die vom Blut verschont geblieben war. Sie lag um eine klaffende Wunde am Hals. Genau dort hatte sich die rotbraune Flüssigkeit auf dem Boden großflächig ausgebreitet. Die Halsschlagader. Wer immer das getan hat, muss die Halsschlagader getroffen haben, mutmaßte er.

Sonnenburg stierte auf den kleinen Zipfel am Ende der Krawatte.

Mit einer Hand fuhr er sich durch die dichten grauen Haare. Eine Welle hatte sich aus der von Schweiß feucht gewordenen Mähne gelöst, hing ihm vor den Augen und behinderte einen klaren Blick.

Der Geruch nahm überhand und Sonnenburg musste den Raum verlassen. Diesem Mann konnte er unterm Strich nicht mehr helfen.

Krz, krz … Er vernahm aus irgendeiner Ecke des Hauses kaum wahrnehmbares Schaben. Angestrengt lauschte er und richtete den Kopf Richtung Treppe. Es war ein Geräusch, als würde jemand mit einem Messer über den Boden kratzen. Da war es wieder. Konzentriert sperrte er die Ohren auf. Es kam anscheinend aus dem oberen Stockwerk. Wer hält sich da oben auf? Der Mörder? Sonnenburg fasste sich an die ausgetrocknete Kehle und fühlte sich schlagartig ausgebrannt. Er überlegte nicht lange. Im Flur, direkt neben der Eingangstür, entdeckte er eine alte, handbemalte dunkelgrüne Milchkanne, die durch ihren Standort und den Inhalt eindeutig als Schirmständer zu erkennen war. Leise schlich er dorthin und zog lautlos einen Golfschläger heraus, der hinter diversen Regenschirmen steckte und dessen Schlägerkopf herauslugte. »Pst, halten Sie den Mund«, wies er Lore Tamken barsch an, die noch immer heulend auf der eiskalten Stufe vor der Tür saß und bibberte. »Da ist jemand im Haus«, flüsterte er und drückte kaum hörbar die Haustür zu.

Couragiert hielt er den Schläger mit beiden Händen als Waffe vor den Körper und schlich, dicht an das Geländer gedrängt, lautlos die mit Teppichfliesen belegten Holzstufen hinauf. Nach Hinweisen suchend, wanderten seine Blicke von einem Fixpunkt zum nächsten. Er wusste nicht, was ihn dort oben erwartete.

An der Wand, die in den oberen Teil des Hauses führte, registrierte er blutige Schleifspuren. Es sah nach einem schrecklichen Kampf aus, der, wie es ihm erschien, nicht in der Küche sein Ende gefunden hatte. War der Mörder selbst verletzt und versteckte sich im oberen Stockwerk? Oder gab es noch jemanden im Haus, der vom Täter überwältigt worden war? Das Kind! Wo war das Kind von Frau Hardenberg? Wut breitete sich in seinem Körper aus und verdrängte die Angst in der Brust. Er umklammerte den Schläger wie einen Schraubstock, bis die Knöchel schmerzten. Mit festem Schritt stieg er auf die letzte, plötzlich unangenehm knarzende Holzstiege. Er blieb stehen und schluckte. Was erwartet mich da? Er schüttelte den Kopf. Misstrauisch warf er einen Blick in das Zimmer, dessen Tür offen stand und der Treppe am nächsten lag. Niemand hielt sich dort auf. Es war leer. Überreizt sah er sich um, huschte über den schmalen Flur und öffnete nacheinander sämtliche Türen. Er rechnete jede Sekunde damit, dass er angegriffen werden konnte.

Sonnenburg wagte nicht zu atmen. Die drei Schlafzimmer waren leer. Das Geräusch kam eindeutig von hier.

Es musste … er raffte all seinen Mumm zusammen, wischte mit dem Jackenärmel die Schweißtropfen von der Stirn und schob mit dem Schläger die letzte Tür zum Badezimmer auf. Sein Herz fing augenblicklich an zu rasen und er wich entsetzt zurück …