Eifelliebe

Sammelband

 

von Lisa Summer

Inhaltsverzeichnis

Liebespost vom Weihnachtsmann

1. Noch 23 x schlafen

2. Ich öffne dann mal das nächste Türchen

3. Wir brauchen mehr Deko

4. Adventsbesäufnisse

5. Von Weihnachtsmännern und anderen Vorkommnissen

6. Vanillekipferl zum Nikolaus

7. Lass uns einen Weihnachtsmann mieten

8. Post an mich selbst

9. Der Satz mit x, der war wohl nix

10. Zocken oder Zocken, das ist hier die Frage

11. Ich geh dann mal in Rente

12. Verfolgt von einem Idioten

13. Advent, Advent, die dritte Kerze brennt

14. Zuwachs im Advent

15. Schlumpi, ein Störenfried?

16. Wo blieb die Weihnachtspost?

17. Wie ich Knecht Ruprecht einen über die Birne zog

18. Liebesgeflüster im Schneegestöber

19. Jetzt hat΄s die Nachbarin erwischt

20. Advent, Advent das letzte Lichtlein brennt ...

21. Wer braucht schon Weihnachten, wenn wir Vorweihnachten haben?

22. Der etwas andere Weihnachtsmarkt

23. Der hässlichste aller Christbäume gehört mir

24. Heiligabend – wir sollten uns besinnen

25. Und wenn das fünfte Lichtlein brennt ...

Impressum – Liebespost vom Weihnachtsmann

Bauer gesucht, Traummann gefunden

Danke für Nichts

Theo, spann den Wagen an

Der Deal ist im Sack

Montags leider Ruhetag

Plötzlich war ich Nutzvieh

Zwischen Hühnern und Ziegen steht irgendwo ne Kuh

Wer braucht schon Terminabsprachen?

Von Schokobons und Liebesfrust

Kaviar statt Sauerbraten

Willkommen, kleine Uschi

Leben wie im Tatort

Meine Date-Schnüffler-Nase spinnt bestimmt

Plötzlich trug ich die Scheuklappen

Walther vs. Reinmar

Vögel sind nur Vögel

Frau Krüger, die Furie

Ich war ein Sieb

Eigentlich uneigentlich

Kuhküsse

Kurz vorm Höhepunkt

Vorbereitungen mit Hindernissen

Hoch zu Ross

Lena und Nina – Events mit Herz

Montage

Impressum – Bauer gesucht, Traummann gefunden

Verliebt, verlernt, vergeben

Lieblings Mentor? Nicht wirklich!

Pubertiere und weitere Hindernisse

Unsere zukünftige Elite

Trautes Heim, Glück allein

Wer mag schon Umzüge?

Chaos ist mein halbes Leben

Vom Baum geküsst

M&M’s esse ich lieber

Ein Date zu fünft

Ich sollte nicht lauschen

Geschichte to go

Ein Sturm zieht auf

Vom Frosch geküsst

Nachbarschaftstratsch

Kaffeeklatsch

Ich hasse Ausreden

Noch mehr Tratsch

Missverständnisse

Epilog ohne Champagner für Lena

Impressum – Verliebt, verlernt, vergeben


Liebespost vom Weihnachtsmann

Image

 

1. Noch 23 x schlafen

 

»Prinzi, Schlumpi, ich bin wieder zuhause«, rief ich in den Flur hinein und beobachtete die Hunde dabei, wie sie die Treppen herunterstürzten und sich beinahe überschlugen. Schlumpi bellte wie gewohnt das ganze Haus zusammen, während Prinzessa solange an meinen Beinen hochsprang, bis ich mich ihrer erbarmte und mich zu ihr hinabbeugte, um ihr Köpfchen zu streicheln und ihr einen kleinen Nasenkuss − trockene an feuchte Spitze − zu geben. Wie sehr hatte ich meine Hunde in den letzten Wochen vermisst. Zumindest was das anging, freute ich mich, wieder in meinem Elternhaus zu sein. Zwar war Düren nicht weit entfernt von Monschau, dennoch schaffte ich es nur selten hierher. Zu selten.

»Na los, ab ins Wohnzimmer ihr Racker und lasst mich auspacken.« Die Hunde hechteten um mich herum und den Flur hinunter, wenn auch nicht in die warme Wohnstube.

Ich streifte die matschig gewordenen Schuhe ab, hing die schneenasse Jacke ins Bad im Obergeschoss an die Heizung und schleppte die beiden Beutel in die Küche.

Seit ich vor ein paar Tagen im Haus meiner Eltern angekommen war, schneite es fast ununterbrochen. So einen Winter hatte ich schon ewig nicht mehr erlebt. In Düren schneite es zwar auch immer, wenn in der Eifel Schnee fiel, doch nie blieb wirklich etwas liegen.

Ich räumte die Taschen aus und alles in den Kühlschrank, dann ging ich zu den Hunden ins Wohnzimmer und kuschelte mich zu ihnen auf das Sofa. Es war so ungewohnt, wieder im Haus meiner Eltern zu leben. Nachdem mein Vermieter Eigenbedarf angemeldet hatte, kam es wie gerufen, dass meine Mutter mich bat, diesen Monat auf das Haus aufzupassen und mich um meine beiden Süßen zu kümmern.

Prinzessa blickte mich mit ihren treuen Augen an und ihre schwarze Nase streifte meine Hand. »Ihr habt wohl Hunger? Dann kommt mal her.« Man hätte meinen können, die beiden wären kurz vorm Exitus, so, wie sie sich auf ihre Fressnäpfe stürzten.

Ich setzte mich auf einen der weißen Landhausstühle und lehnte mich entspannt zurück. Dabei blickte ich auf die Post, die ich bereits heute Morgen nach dem Schneeschüppen hereingebracht hatte. Erst jetzt fiel mir die Postkarte auf, die zwischen all der Werbung hervorlugte. Vorne prangte das Bild eines weißen Sandstrandes und in verschnörkelter Schrift stand Mauritius darüber. Ich drehte die Karte um.

 

Hallo Lena.

Wir sind gut angekommen und Papa hat bereits einen dicken Sonnenbrand. Ich leide nur etwas unterm Jetlag. Dafür konnten wir die ersten Tage bei sonnigen dreißig Grad genießen. Den Winter und unseren Hochzeitstag hier zu verbringen, war eine wunderbare Idee. Wir hoffen, bei dir läuft alles gut, die Hunde treiben dich nicht in den Wahnsinn und das Haus steht noch. Wir haben dich lieb.

Mama und Papa

 

Ich blickte mich in der Küche um, ja, bisher war alles noch an Ort und Stelle: So, wie sie es verlassen hatten. Und den Hunden, denen ging es prächtig. Prinzi war ganz aus dem Häuschen, als ich vor fünf Tagen hier ankam. Jetzt klapperten ihre leergefutterten Näpfe, Schlumpi stampfte Richtung Wohnzimmer und Prinzessa rollte sich in ihrem Körbchen neben der Heizung ein. Mit ihrem kurzem, hellbraun-weißem Fell sah sie aus wie eine kleine Schlange, wenn sie ihr Köpfchen und die spitzen Ohren unter ihrem Körper versteckte. Selbst den Schwanz sah man nicht mehr, wenn sie ihre liebste Schlafposition einnahm.

Dieses Jahr war alles anders. Meine Eltern waren auf Mauritius, ich war Single und Katja, meine Schwester, lebte nun in Hamburg und genoss das Nachtleben als Studentin. Erst gestern hatte sie mir mitgeteilt, dass sie Weihnachten nicht herkommen würde, wenn unsere Eltern nicht da sein würden. So viel lag ihr also an mir ... Ich wusste, dass ich eingeschnappt war. Ich liebte das Weihnachtsfest – und nun sollte ich es alleine verbringen. Ich kannte so gut wie niemanden hier in Monschau. Die meisten in meinem Alter waren nach der Schule längst weggezogen. Viele nach Aachen oder Köln, um zu studieren. Ich habe selbst drei Jahre nach dem Abi in Köln gewohnt, ehe sich die unfreiwillige WG, in die ich aus Kostengründen ziehen musste, aufgelöst hatte und mir die Miete in Köln zu teuer wurde. Also zog ich nach Düren, und nun muss ich mir nach zwei Jahren dort erneut eine Bleibe suchen. Und das ausgerechnet kurz vor Weihnachten. Natürlich wusste ich nicht erst seit gestern, dass ich ausziehen musste. Seit drei Monaten durchstöberte ich die Kleinanzeigen ohne etwas Passendes zu finden.

Ich schlug die Zeitung auf und durchforstete den Wohnungsmarkt. Viel gab es nicht. Die meisten boten bloß Häuser zum Verkauf an und das wollte ich mir noch nicht leisten. Nicht jetzt, wo ich mich gerade erst als Grafikdesignerin etablierte und die ersten Aufträge eintrudelten.

Der Anzeigenteil bot wenig, also blätterte ich den Rest durch. Auf der Kreisstraße 27 gab es in Folge des Nebels und dem starken Schneefall gestern früh einen schweren Unfall und in Monschau und Simmerath kam es zu einer Kette von Einbrüchen in den letzten Tagen. Na, solange sie hier nicht vorbeisahen ... Aber bei uns gab es eh nicht viel zu holen. Meine Eltern hatten gerade erst das ganze Geld in die neue Küche gesteckt und es würde wohl kaum jemand hier nachts einsteigen und den Herd ausbauen ...

Ich legte die Zeitung zusammen und schmiss sie auf den Altpapierhaufen neben der Küchenzeile. Die Postkarte bekam einen Ehrenplatz am Kühlschrank und ich verschlang den Inhalt meines ersten Kalendertürchens. Noch einen Vorteil, den es mit sich brachte, wieder bei Mutti zu wohnen. Mein erster Adventskalender seit ich ausgezogen war. Jetzt fehlte nur noch ein heißer Wintertee, um in Stimmung zu kommen − Bratapfel klang gut − und einen Plan, wie ich Weihnachten retten konnte.

 

2. Ich öffne dann mal das nächste Türchen

 

Im Radio lief heute Früh bereits zum dritten Mal Last Chrismas und ich überlegte langsam, ob ich das Gerät aus dem Fenster werfen sollte. Stattdessen trällerte ich jedoch laut mit, in der Hoffnung, dass die Nachbarn unser Schicksal in die Hand nehmen würden − doch niemand nahm sich unserer an und so schwang ich weiter das Nudelholz und plättete voller Zuversicht den Plätzchenteig à la Dr. Oetker. Ich hätte tatsächlich nichts gegen Besuch gehabt. Es war bereits die erste Woche im Haus meiner Eltern vergangen, und gefühlt hatte ich die ganze Zeit über alleine mit den Hunden verbracht, mich fast täglich durch den Schnee gekämpft und am PC gesessen, um wenigstens ein wenig Produktivität vortäuschen zu können. Nur Weihnachten − Weihnachten konnte ich noch immer nicht retten. Mein einziger Trost war, dass Jana sich morgen mit mir zum Weihnachtsshopping treffen wollte. Dann konnte ich endlich damit loslegen, das Haus zu dekorieren, Geschenke zu verpacken − auch wenn ich sie alle verschicken musste − und mir mein Silvesteroutfit zu besorgen. Düren war zwar nicht unbedingt ein Hot Spot zum Shoppen, doch allemal besser als die wenigen kleinen Läden in Monschau. Und seit sie den Depot in der Innenstadt hatten, war auch für die Weihnachtsdekoration gesorgt.

Ich hatte mich gerade an der Nase gekratzt und wollte nun den Teig ausrollen, als es klingelte und die Hunde zur Tür stürmten. Daran musste ich mich erst wieder gewöhnen.

Ich schob die Gardine am Küchenfenster ein Stück zur Seite und lugte nach draußen, doch die kleine Tanne, die übermorgen als erstes auf meinem Weihnachtsschmückplan stand, versperrte mir die Sicht. Es war noch ziemlich früh, bestimmt war es der alte Herr Sommer von der Bäckerei. Meine Eltern hatten eine Brötchenflatrate bei ihm und so bekam ich jeden Tag ein Mohn- und ein Käsebrötchen an die Haustür geliefert. Es wunderte mich nur, dass er heute klingelte. Meistens stellte er die Tüte einfach windgeschützt ab. Nur am ersten Tag hatte er geklingelt, weil er über die Brötchenwahl verwundert war und wissen wollte, warum mein Vater seine beiden Bierteigbrötchen nicht mehr wollte.

Oder wollte sich nur jemand beschweren, weil der Weg nicht ausreichend geräumt war? Ich hatte keine Ahnung, wie weit ich alles freischaufeln musste. Es war Jahre her, dass ich beim Schneeschüppen helfen musste und als ich meine Eltern zum Flughafen gefahren hatte, waren die Straßen noch freigewesen. Ich hatte ja selbst nicht damit gerechnet, dass es gleich am nächsten Tag zu schneien beginnen und nicht mehr aufhören würde.

Jetzt klopfte der ungeladene Gast auch noch zusätzlich. Bestimmt war, wer auch immer da draußen stand, schon genervt, weil ich nicht gleich öffnete. Ich sah aus wie jemand, der in einen Sack Mehl gefallen war. So konnte ich doch nicht zur Tür gehen − und die Hunde, die an der Tür hochsprangen und bellten, machten es nicht besser. Ich klopfte das Mehl an meinen Händen an der Rosenschürze ab, die noch von meiner Uroma stammte, streifte mir die Haare hinters Ohr und öffnete die Tür.

Das war nicht Herr Sommer. Und er sah auch nicht wie ein wütender Nachbar aus, der meinetwegen nicht an unserer Einfahrt vorbeikam. Aber er strahlte wie der Sommer. Wie konnte man nur so dermaßen blaue Augen haben? Da war das Meer vor Capri nichts gegen. Wie gebannt sah er mich an, lächelte – nein, er schmunzelte eher – und hielt mir etwas in seinen rot-gelb gestrickten Handschuhen hin. Ein Gryffindor – wie ich. Mein Herz wurde gleich noch wärmer.

»Hi«, presste ich hervor.

»Guten Morgen, sind Sie ... ähm, sie haben da was ...« Der Postbote sah von dem Päckchen in seinen Händen auf, runzelte die Stirn und blickte mich neugierig an. Dann kam er näher, und kurz dachte ich, er wolle mir ins Gesicht greifen. Doch dann zog er seine Hand zurück und lächelte nur.

Was hatte ich? Vielleicht einen riesigen Pickel? Bitte nicht! Das hätte mir doch heute Morgen auffallen müssen. Ich drehte mich zur Seite und blickte in den Wandspiegel neben der Tür. »Oh«, entfloh es mir, und ich wischte mit dem Handrücken den braunen Schokoteigkrümel von meiner Wange. Nur Schokolade, kein Pickel. Jetzt musste ich auch lächeln. Doch nun hatte ich stattdessen einen breiten Mehlstreifen quer über dem Gesicht hängen. Verdammt. Wieso habe ich mir nicht die Hände gewaschen? Dieses Mal versuchte ich es mit meiner Schulter und im nächsten Moment war mein Gesicht wieder sauber und die schwarzen Ärmel meines Shirts dafür weiß befleckt. Was soll’s? Noch schlimmer konnte es nicht werden. Der süße Postbote grinste verlegen, als sei er sich selbst nicht sicher, was ich hier trieb.

»Also, wer bin ich?« Na toll, jetzt trug ich nicht mehr nur die Schürze meiner Urgroßmutter, sondern klang auch noch wie sie ... Was war das für eine Frage? Endlich lernte ich in diesem Kaff mal jemanden kennen, der nicht so alt wie meine Eltern war und dann benahm ich mich wie die letzte Idiotin.

Der hübsche Blondschopf starrte auf das Päckchen in seiner Hand. »Lena Küppler?« Ein Zögern schwang in seiner klaren Stimme mit. Dann öffnete er den Mund und riss die Augen auf, als hätte ihn die Erkenntnis erfasst, die mir bisher verborgen blieb. »Ahh, natürlich. Sie müssen Utes Tochter sein.« Ute, also kannte er meine Mutter. War das jetzt gut oder schlecht? Wieder lächelte er verschmitzt.

Ich starrte auf sein hübsches Gesicht, das zur Hälfte von seinem Schal verdeckt wurde. Dann fiel mir endlich ein, dass das ganz komisch aussehen musste, also senkte ich rasch die Lider und blickte wieder auf die Handschuhe und das kleine Paket mit Weihnachtsmotiven. Erst jetzt sah ich, was darauf lag: Ein Brief an meine Mutter. Also kannte er sie womöglich doch nicht persönlich. Vielleicht war das ganz gut. Mama war manchmal etwas eigenartig. Auf der anderen Seite kannte hier wirklich jeder jeden. Und ich wusste nicht einmal, ob ich einen Postboten oder eine Botin in Düren hatte.

Wir schwiegen uns noch immer an und ich überlegte kurz, was er zuletzt gefragt hatte, als es mir wieder einfiel. Lena Küppler ... »Ja − ja ... Ich bin Lena. Und Sie sind?« Hatte ich das gerade wirklich gefragt? Seit wann fragte man denn den Postboten nach seinem Namen? Aber vielleicht machte man das hier so. Er schien zumindest weniger verwundert über meine Frage, als ich erwartet hatte.

Ein verschmitztes Lächeln trat auf sein Gesicht und er zog die Stirn kraus. »Flo von der Post, stets zu Ihren Diensten«, sagte er lachend, verbeugte sich leicht und reichte mir mein Paket und den Brief. »Und ich muss langsam weiter.« Er nickte rüber zu seinem Postauto, als es wieder zu schneien begann. Na super, dann musste ich in einer Stunde bestimmt wieder an die Schneeschaufel. Selbst für die Eifel war der viele Schnee in dieser Woche ungewöhnlich.

Ich starrte Flo von der Post an und er mich, als erwartete er eine Antwort – vermutlich hätte auch ein einfaches Tschüss gereicht. Doch ich war noch ganz benommen von der Berührung seiner Fingerspitzen, als er mir das Päckchen mit den bunten Weihnachtswichteln drauf übergeben hatte.

»Also, einen schönen Tag, Lena.« Er zwinkerte mir zu und kurz setzte mein Herz aus.

Verdammt, verdammt, verdammt. Was war gerade los? Ja, ich war jemand, der sich schnell verguckte. Der schneller ins Schwärmen geriet, als andere ihren Namen buchstabieren konnten. Aber das hier, das war selbst für mich unnormal. War es sein Lächeln gewesen, die blauen Augen, die Art, wie er meinen Namen ausgesprochen hatte? Oder war es einfach nur die Tatsache, dass ich mir hier so verloren vorkam und langsam drohte, in der Einsamkeit zu versinken?

»Dir auch ...«, hauchte ich und mein warmer Atem bildete ein kleines Wölkchen vor meiner Nasenspitze. Flo drehte sich immer noch lächelnd um und im nächsten Moment schlug die Tür des kleinen Transporters zu. Ich sah ihm nach, wie er zwei Häuser weiterfuhr und erneut hielt. Ob er jedem so zulächelte wie mir? Schnell rein, befahl ich mir. Wie sähe es aus, wenn ich immer noch in der Kälte stünde und ihm hinterher starrte? Ich schloss die Tür und sank mit dem Rücken gegen sie, sodass mir die kalte Glasscheibe einen Schauer über den Rücken trieb. Verdammt, war der süß. Ich fühlte mich so beflügelt wie lange nicht mehr. Ich hatte eindeutig schon zu lange mit niemandem mehr geflirtet.

Summend ging ich zurück in die Küche. Sobald die Plätzchen im Ofen waren, musste ich einen Haufen Kleinscheiß online bestellen, damit er mir noch mehr Päckchen liefern konnte.

Ich kam mir zwar selbst ein bisschen plemplem dabei vor, aber was tat man nicht alles für die zukünftige Liebe?

 

3. Wir brauchen mehr Deko

 

Hatte ich bereits erwähnt, dass ich Weihnachtsshopping liebte? Jana saß vor mir und schlürfte ihren Zimtkakao mit extra viel Sahne. Ich hatte einen Vanilla-Latte mit noch mehr Sahne und einen übergroßen Zimtcookie dazu. Das Cafè im Stadtcenter war zwar kein Starbucks, doch die Shakes mindestens genauso lecker und teuer.

»Also, rück raus. Wer bekommt was?« Jana sah mich mit einem durchlöchernden Blick an und ich musterte ihren roten Pullover. Bestimmt hatte sie ihn selbst gestrickt. Anders als ich war sie ziemlich begabt in solchen Sachen. Vielleicht konnte sie mir auch so schöne Gryffindor Handschuhe zaubern, wie Flo sie hatte. Oder den passenden Schal dazu.

Jana schaute mich noch immer neugierig an. Was war gleich die Frage gewesen? Ach ja. Das war eine gute Frage. Ich gehörte eher zu den Spontankäufern und hatte keine wirkliche Ahnung, wer in diesem Jahr was bekommen sollte. Obwohl wir schon in zig Geschäften waren, hatte ich außer einem Roman für meine Schwester, Die Farben meiner Hoffnung von Lisa Summer, und einen schicken Schal für meine Freundin Nina, ausschließlich Deko und ein paar – okay, sehr viele – Kleinigkeiten für mich besorgt. Meine Eltern würden ihr Geschenk sowieso erst nach den Weihnachtstagen bekommen. Aber vielleicht könnte ich das Haus auf Vordermann bringen. »Ich denke, ich werde das Wohnzimmer in Monschau streichen. Die Wand ist schon ganz angegraut vom Kamin. Das reicht doch als Weihnachtsgeschenk für meine Eltern, oder?«

Jana winkte ab. »Na klar. Weißt du wie viel Arbeit das macht? Euer Wohnzimmer ist riesig. Außerdem kannst du ja noch einen Teller mit Printen und eine hübsche Christrose hinstellen. Dann sieht es auch wirklich aus wie ein Geschenk. Oder du hängst eine große Schleife an die Tür. Oh ja, das wäre doch etwas. Da freuen sich deine Eltern bestimmt. Wenn du willst, kann ich dir auch helfen kommen. Aber erst in den Ferien. Die Wochenenden gehen bei mir aktuell für die Unterrichtsplanung drauf. Du glaubst gar nicht, wie anstrengend so ein Praxissemester sein kann. Ein Glück habe ich es bald geschafft. Referendariat, ich komme.« Jana strahlte. Sie liebte das Unterrichten, das wusste ich. Ständig schwärmte sie mir von den Kindern vor. Hoffentlich verlor sie ihre Zuversicht nicht, wenn sie merkte, dass sie sich die Kids nun bis zur Pension antun musste.

»Ja, das klingt nach einem Plan. Und wenn ich dann noch das ganze Haus putze, lassen sie mich bestimmt noch ein paar Wochen bei sich wohnen.« Eigentlich sollte es sich viel weniger sarkastisch anhören, als es das für mich tat. Es war schrecklich, mit vierundzwanzig wieder auf die Obhut der Eltern angewiesen zu sein. Immerhin hatte ich das Haus noch den restlichen Monat für mich.

»Also hast du immer noch nichts gefunden? Bei mir in der WG wird vielleicht demnächst ein Zimmer frei, doch so ganz genau weiß ich es noch nicht. Tina entscheidet sich ja fast wöchentlich um, ob sie nun bleiben will oder nicht. Selbst Philipp ist inzwischen schon total genervt von ihren wechselnden Launen.« Tina und Philipp, aus den beiden war ich auch noch nie schlau geworden. Erst waren sie ein Paar, dann wieder nicht. Dann ist Philipp ausgezogen, nur um nach einem Monat wieder zurückzuziehen − aber direkt mit in Tinas Zimmer, weil sein altes Zimmer neu vergeben war. Und dann wurde es wieder frei, und er ist dort rein. Jetzt sind sie wohl wieder getrennt und das Drama beginnt von Neuem, nur dass Tina sich dieses Mal nicht entscheiden kann, wie es weitergehen soll.

»Du weißt doch, ich bin nicht der Typ für eine WG. Das haben wir doch schon nach dem Studium und dem Desaster in Köln geklärt. Mich ärgert es nur so, dass ich meine Wohnung nicht behalten konnte. Die war einfach perfekt. Klein, zentral und dennoch ruhig und die Miete bezahlbar. Und nicht zu vergessen die hunderttausender Leitung. Bei meinen Eltern bin ich froh, wenn ich auf achttausend komme. Außerdem fliegt mein Handy bei denen ständig aus dem Netz und wählt sich ins belgische ein. Da sitzt du in der Wintersonne aufm Berg, willst entspannen und netflixen, da wird dir plötzlich deine Lieblingssendung nicht mehr angezeigt, weil du laut Handy nicht mehr in Deutschland bist«, sagte ich wild gestikulierend und machte ein entrüstetes Gesicht.

»Nein, was?«, sagte Jana völlig überzogen. »Kein Netflix in der Natur, wie hältst du das nur aus?« Ja, ja, sie hatte gut reden. Ich war verloren ohne Prime und Netflix.

»Sag ich ja, unmöglich.« Jetzt mussten wir beide lachen und ich krümelte mich mit meinem Cookie voll. »Aber im Ernst, ich kann ja jetzt nicht ewig bei meinen Eltern wohnen. Das geht doch nicht. Ich bin erwachsen und brauche meine Freiheit. Und nicht nur ich, meine Eltern auch.« Manchmal glaubte ich, dass meine Mutter richtig froh war, dass sie mich und meine Schwester so früh bekommen hatte. So hatte sie mit Mitte vierzig das Haus bereits wieder für sich gehabt.

Jana legte den Kopf schief, lächelte mich an und schob die leere Tasse von sich weg. »Du machst dir doch nicht wirklich Sorgen, dass du keine Wohnung findest, oder? Ich meine, du bist super flexibel. Als Grafikdesignerin kannst du von überall arbeiten. Da wird ja wohl irgendwo etwas Passendes für dich dabei sein. Ich muss derzeit jeden Morgen vierzig Kilometer mit dem Auto fahren, also beschwer dich nicht. Apropos Auto. Vielleicht hätte ich da etwas, was dich aufmuntern wird. Hast du Lust, mich Samstag auf meine Weihnachtsfeier zu begleiten?«

»Weihnachtsfeier, in der Schule?«, fragte ich skeptisch. »Warte, machst du das Praxissemester nicht in Bad Münstereifel? An unserer alten Gesamtschule?«

Jana riss ihre blauen Augen auf. »Ja genau. Frau Klosterschmid ist sogar immer noch da und ich bin mir sicher, sie würde sich freuen, wenn du mitkommst. Alle würden sich freuen.«

Viele möglicherweise, aber ganz sicherlich nicht Frau Klosterschmid. Sie war ein Drache in Person. Und ich war wahrlich nicht ihre Lieblingsschülerin gewesen. Wie oft hatte ich die Hausaufgaben verschwitzt, bin zu spät gekommen oder manchmal auch gar nicht, nur um mich vor ihren ewig langen Plattitüden zu drücken? Ein Glück waren wir damals von Bad Münstereifel nach Monschau gezogen und ich konnte die Schule in der Achten wechseln. Zum Abi hin bin ich dann wieder zusammen mit Jana aufs Gymnasium in Kall gegangen. Jetzt bauten sie dort eine neue Gesamtschule in der Nähe und Jana hoffte darauf, dort ihr Referendariat machen zu können. Ich konnte sie gut verstehen. Viele Schulen in der Gegend waren wahnsinnig heruntergekommen. Da wäre so ein Neubau ein wahrer Segen für jeden Lehrer. Was die Weihnachtsfeier anging, stand meine Antwort dennoch fest.

»Nein. Nie und nimmer setze ich noch einmal einen Fuß in diese verkorkste Schule.«

»Ach Lena, das wird bestimmt lustig. Und so schlimm war deine Schulzeit wirklich nicht. Sogar Herr Rutburger ist noch da, den fandest du doch immer so süß.«

»Damals war ich zwölf! Außerdem ist er jetzt uralt.« Jannes Rutburger war der Schwarm meiner jungen Jugend, auch wenn meine beflügelten Schwärmereien nie Beachtung bei ihm fanden. Vielleicht wäre es heute ja sogar anders. Nur wollte ich das herausfinden? Nicht wirklich. Inzwischen müsste er Mitte vierzig sein und war sicherlich längst verheiratet mit Kind, Haus, Hund und so. Dem armen Mann hatte ich sogar mal einen Liebesbrief in die Tasche gesteckt. Wahrscheinlich wusste er bis heute nicht, von wem er war. Zumindest hoffte ich es. Für den Fall, dass er doch wusste, wer den Brief damals geschrieben hatte, wäre es umso sinnvoller, zuhause zu bleiben und nicht in die Hölle der Karl-Friedrich-Gesamtschule zurückzukehren. »Also, es bleibt bei einem Nein. Frag doch mal Nina, ob sie mitmöchte.«

Jana sah mich mitleidsvoll an. Dann seufzte sie. »Na gut. Aber du verpasst etwas, ganz bestimmt.«

Ganz bestimmt nicht, dachte ich und trank meine Tasse leer.

»Wo wollen wir jetzt noch hin?«

Ich blickte hinab auf die vielen Tüten und Taschen, die bereits neben unserem Tisch standen. Wir waren bereits bei Woolworth und Depot gewesen, hatten den Thalia gestürmt und sind dann am Rathaus vorbei zum Stadtcenter geschlendert. »Ich würde gerne noch zu Schusters gehen, schauen, ob ich etwas für die Zwillinge meiner Tante finde. Und ich will mal in das neue Süßwarenoutlet, da war ich noch gar nicht drin.«

»Das ist da, wo Xenos früher war, oder? Ich vermisse den Laden.«

»Nicht nur du«, sagte ich und dachte an all die schönen Dekoartikel, die dort immer waren. Ich war einfach kein Freund von Veränderungen. Vielleicht fiel es mir deshalb so schwer, Düren hinter mir zu lassen. Ich hatte mich so daran gewöhnt, in dieser kleinen Stadt zu leben und alles zu Fuß erreichen zu können, dass es einfach komisch war, zum Einkaufen nun immer das Auto zu brauchen, im Winter Schneeschüppen zu müssen und zu erleben, dass jeder im Dorf jeden kannte.

»Woran denkst du?« Jana riss mich aus meinen trüben Gedanken.

»Ach, ich weiß auch nicht. Die Vorstellung, zurück in die Eifel zu ziehen, ist komisch. Auf der anderen Seite wäre es ganz schön, in der Nähe meiner Eltern zu leben. Ich frage mich nur, ob es wirklich so viel günstiger wäre. Immerhin brauche ich dann ständig das Auto. Hier stand es die meiste Zeit auf dem Parkplatz. Weißt du, was ich meine? Aber es ist so schwierig, hier etwas zu finden. Ich kann halt auch so wahnsinnig schlecht planen. Nie weiß ich, ob der nächste Monat Geld einbringt oder nicht. Was mache ich, wenn mir die Aufträge ausgehen?«

»Lena, du siehst viel zu schwarz. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass deine Eltern dich immer unterstützen werden, wenn es mal knapp wird. Erst recht, wenn du in ihre Nähe ziehst. Im Moment genießt du es doch auch, in ihrem Haus zu leben, oder nicht? Die Ruhe der Eifel ist doch herrlich. Also ich liebe es total. Düren ist so ... voll. Ich meine, es ist natürlich kein Vergleich zu Köln. Trotzdem wären mir ein paar Menschen weniger lieber, ich weiß schon, warum ich zurück nach Schleiden bin. Und du hast es doch wirklich gut. Wie gesagt, du kannst von zuhause aus arbeiten. Genieß es doch einfach mal und mach dir nicht so einen Kopf um alles. Außerdem dachte ich, wir hätten das Thema längst durchgekaut. Also, lass uns lieber Süßkram shoppen gehen und dann rüber zu Schusters in Kindheitserinnerungen schwelgen. Ich habe gehört, der ist umgezogen. Weißt du denn, wohin genau? Ich bin einfach viel zu selten hier.«

Ein leiser Seufzer entfuhr mir. Jana hatte Recht. Ich sollte mich besser auf die Gegenwart konzentrieren und die Zeit mit Schlumpi und Prinzi genießen. Vielleicht sollte ich den beiden auch noch etwas mitbringen. Irgendwo gab es bestimmt ein paar Hundeleckerlis zu kaufen. Jetzt wollte ich aber in Schusters Spieleparadies abtauchen. Ich war selbst ewig nicht mehr dort gewesen. Düren ohne Spielwarenladen konnte ich mir kaum vorstellen. Schon als Kind kam all mein Spielzeug von da.

Wir standen auf und Jana hakte sich vollbepackt bei mir ein. Jetzt wurde der Rest der Stadt gestürmt, und vielleicht hatten wir danach noch Zeit für einen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt. Außerdem musste sie noch von meiner gestrigen Begegnung erfahren. Einen super süßen Postboten traf man schließlich nicht jeden Tag.

 

4. Adventsbesäufnisse

 

Heute kam keine Post. Zumindest keine von unserem Postboten. Nur die kostenlose Wochenzeitung steckte im Briefkasten. Was hatte ich gehofft? Das Flo bei mir klingelt, obwohl es keinen Grund dafür gab? Vielleicht teilte er die Post heute auch überhaupt nicht aus. Monschau hatte sicherlich mehr als nur einen Postboten. Als ich noch jünger war, hatten wir hier jedenfalls eine Postbotin. Helga. Wenn meine Mutter zuhause war, kam sie oft auf einen Kaffee rein. Vielleicht sollte ich Flo auch mal auf ein paar Plätzchen und Tee oder Kaffee einladen. Was mochte er wohl lieber? Ich blickte wie gebannt aus dem Fenster, vorbei an der Tanne, der ich heute früh eine Lichterkette verpasst hatte und sinnierte über uns. Ich war eigentlich gar kein Kaffeetrinker. Und wenn dann nur mit viel Sahne. Ich liebte Tee. Seinen Geschmack, seine Farbvielfalt und die himmlischen Gerüche. Inzwischen roch es auch hier, wenn man den Küchenschrank öffnete, wie in dem kleinen Teeladen in Simmerath. Erst am Mittwoch war ich dort gewesen und hatte mich durch das halbe Sortiment gerochen, um Muttis Vorräte aufzufüllen. Wie sonst sollte ich den Dezember bei ihr überleben?

»Hmm, Prinzi«, sagte ich und streichelte ihr Köpfchen. »Ganz schön einsam heute.«

Sie reckte mir ihr Näschen entgegen und ich kraulte sie am Hals, wie sie es am liebsten mochte. Schlumpi lag derweil in seinem Körbchen und schaute uns mit halb geöffneten Augen zu. Vielleicht schlief er aber auch, das wusste ich bei ihm nie so richtig. Er war schon recht alt. Das schwarze Fell ergraute von Tag zu Tag mehr und sein Überbiss ließ ihn nicht jünger wirken. Prinzi nahm ihr Leben dagegen so leicht, wie es kam. Es gab selten Tage, an denen sie mal schlecht drauf war und nicht fröhlich ihren Schwanz herumwirbeln ließ, wenn sie sich selbst über die kleinsten Dinge freute.

Ich drehte mich um und stellte meine Tasse in die Spüle. So langweilig wie heute war mir schon lange nicht mehr gewesen. Meinen letzten Auftrag hatte ich gestern Abend beendet. Daher hatte mein Tag heute nur darin bestanden, die obere Etage zu putzen, Lichterketten aufzuhängen und Gassi zu gehen. Nichts, was mich wirklich erfüllen konnte. In Düren wäre ich jetzt zu meiner Nachbarin auf einen Kaffee gegangen oder hätte im Thalia nach einem guten Buch gestöbert. Bestimmt würde ich auch hier einen Buchladen finden. Ich war schließlich nicht am Ende der Welt. Aber es kam mir so vor. Ich war hier nicht aufgewachsen, sondern in Bad Münstereifel. Als wir hierherzogen, war ich bereits vierzehn gewesen und hatte meinen Freundeskreis längst woanders aufgebaut. Klar fand ich auch hier Freunde. Nina zum Beispiel, oder Kathrin, aber selbst sie lebte inzwischen in Berlin.

Als hätten meine Mädels gewusst, dass ich an sie dachte, klingelte in dem Moment mein Handy. Nina war dran.

»Einen wunderschönen guten Abend«, trällerte ich ins Telefon.

»Du bist ja gut gelaunt«, sagte Nina und ich sah vor meinem inneren Auge, wie sie die Stirn in Falten legte.

»Na ja, eigentlich nicht. Hast du Lust, vorbeizukommen?«

»Lustig, dasselbe wollte ich dich gerade fragen. Ich kann aber ruhig zu dir kommen, wie es dir lieber ist.«

Ich kannte uns beide lange genug, um zu wissen, dass heute Abend Alkohol floss und ich dann nicht mehr fahren durfte und bei ihr schlafen musste. »Komm du lieber und bring gleich Schlafsachen mit. Wenn ich über Nacht wegbleibe, nehmen die Hunde mir das übel und schenken mir als Dank ein Häufchen in der Küche.«

»Na lecker«, sagte sie sarkastisch. »Jetzt weiß ich wieder, warum ich keine Tiere mehr habe.«

»Ach komm, Prinzi und Schlumpi findest selbst du süß. Jeder mag die beiden.«

Nina seufzte. »Stimmt schon, da waren unsere Schweine und Ziegen damals nicht so pflegeleicht. Ich mach mich gleich auf den Weg. Stell was zu trinken kalt. Ich komme direkt aus dem Büro und will nur kurz zuhause halten, um die Klamotten einzupacken. Und ich hab noch Torte aus Marmagen da, die bringe ich mit. Bis nachher.«

»Ja, bis gleich«, sagte ich und legte auf. Torte zum Abendessen? Wieso nicht ... Die Bäckerei in Marmagen hatte die besten Torten, die ich je verdrücken durfte.

»Nina kommt gleich«, sagte ich zu den Hunden und sah, wie Prinzi den Schwanz einzog. Offenbar wusste sie genau, wie wenig Nina Tiere leiden konnte. Ich konnte es nachvollziehen. Bevor ihre Eltern bei einem Autounfall im Urlaub gestorben waren, hatten sie einen Bauernhof ein paar Häuser weiter von uns gehabt. Als Nina noch klein war, musste dort mal irgendetwas vorgefallen sein. Danach hatte sie fast schon eine Phobie vor allem, was sich auf vier Beinen bewegte. Trotzdem hatten ihre Eltern sie gezwungen, sich weiter um die Tiere zu kümmern. Aus ihrer Angst entwickelte sich irgendwann Hass. So hatte sie es selbst einmal beschrieben. Hass gegen die Tiere, aber auch gegen ihre Eltern. Manchmal fragte ich mich, ob sie ihr altes Leben überhaupt ein bisschen vermisste. Aber sobald ich sie darauf ansprach, blockte sie jedes Mal ab.

Ich räumte die Küche noch ein wenig auf und bezog schon mal das Bett im Gästezimmer für sie. Ich selbst schlief, solange ich hier wohnte, wieder in meinem alten Kinderzimmer. Es war komisch, dass meine Eltern es fast unverändert gelassen hatten. Ich selbst hatte damals, als ich ausgezogen war, nur meine Deko und den Technikkram, Computer, Fernseher, Radio und so, mitgenommen. Alles andere blieb hier. Bis hin zu meinem ersten Maiherz, das ich von Timo in der zehnten Klasse bekommen hatte, und das seitdem auf meinem Schrank stand. Oder die Pferdebettwäsche, die noch immer zusammengefaltet in der Schublade unter meinem Bett lag. Und nicht zu vergessen die vielen Medaillen, die ich als Funkemariechen bei der Garde bekommen hatte. Es war, als schlüpfte ich jedes Mal, wenn ich hier reinkam, wieder in mein fünfzehnjähriges Ich.

Als Ninas Eltern starben, war sie oft hier. Manchmal blieb sie gleich eine Woche lang. Sie meinte immer, sie ertrüge die Leute im Kinderheim nicht, aber ich glaubte, sie hatte sich nur alleine gefühlt.

Ich setzte mich auf das Gästebett und starte auf die lilafarbenen Vorhänge. Früher war das Katjas Zimmer. Sie hatte sich die Vorhänge ausgesucht, obwohl sie gar nicht zu den gelben Wänden passte. Anders als ich, hatte sie ihre Möbel alle mitgenommen, als sie auszog. Komischerweise stand in ihrer Wohnung in Hamburg kein einziges Teil, dass ich von hier kannte. Vielleicht wollte sie nur nicht, dass unsere Eltern sie behielten. Unsere Mutter war ziemlich sauer gewesen, als sie erfahren hatte, dass ihre jüngste Tochter soweit wegziehen würde. Aber Katja hatte schon immer ihr eigenes Ding durchgezogen. Für mich war es daher nicht sonderlich überraschend gewesen.

Es klingelte und ein sturmhaftes Gebell drang nach oben. In Düren hätten meine Nachbarn mir den Kopf abgerissen oder den Tierschutz gerufen, wenn die beiden dort immer so einen Radau gemacht hätten. Ein Glück waren die nächsten Häuser ein Stück entfernt und die meisten Nachbarn hatten selbst Tiere.

»Nina, komm rein.«

»Hey«, sagte meine Freundin, zog sich die fliederfarbenen, ledernen Handschuhe aus und umarmte mich.

»Du hast ein neues Auto«, stellte ich überrascht fest, als ich auf den glänzenden Mini Cooper, der neben meinem rostigen VW stand, schaute.

»Ja. Geil, oder? Hab ich mir vor zwei Wochen gegönnt, nachdem die alte Rostlaube durch den TÜV gefallen ist. Irgendwann musste ich doch schließlich mal mein Erbe verprassen«, sagte sie mit einem Augenzwinkern. »Also, du meintest, dir geht es nicht so gut? Ich hab deine Lieblingsmarzipan Torte mit und selbstgemachten Eierlikör von Oma Rosi. Damit kann ich dich hoffentlich aufmuntern.« Sie zwinkerte mir zu und drückte mir ihre Tasche in die Hand. Eierlikör und Kuchen, ja, das sollte funktionieren.

Ich trug die Sachen in die Küche und packte alles aus. Die Torte war schon ziemlich warm und weich durch die lange Fahrt geworden. Vermutlich stand sie im Büro auch nur in einem Schrank. Also legte ich sie in den Kühlschrank und füllte den Eierlikör in zwei Pinnchen.

»Auf uns«, sagte ich, als Nina reinkam und drückte ihr ein Gläschen in die Hand.

»Jawoll.« Sie setzte sich mir gegenüber hin. »Und jetzt schieß los. Du hast immer noch keine Wohnung gefunden, oder?«

»Auch«, sagte ich und ließ seufzend die Schultern hängen. »Aber es ist nicht nur das. Ich weiß einfach nicht, wo meine Zukunft hinführt.«

Nina legte ihre Hand auf meine. »Das weiß niemand, Liebes. Woher auch. Meine Zukunft ist genauso ungewiss wie deine.«

»Ist sie das? Du hast einen Job, der super läuft und eine tolle Wohnung. Du hast Ralph, mit dem du Weihnachten verbringen kannst. Und ich? Ich schlafe in meinem alten Kinderzimmer, bekomme kaum Aufträge rein und fühle mich wie der ewige Single. Jetzt sind meine Eltern auch noch in den zweiten Flitterwochen und Katja in Hamburg. Super. Ich darf Weihnachten alleine mit meinen Hunden verbringen.« Schlumpi sah mich beleidigt an. Toll, jetzt waren selbst die Tiere eingeschnappt.

»Weißt du was, ich frage Ralph einfach, ob du mit bei uns und seiner Familie feiern kannst. Und vielleicht kann ich dir auch einen neuen Auftrag besorgen. Es ist nichts Großes, aber wir brauchen neue Flyer und immer wieder Einladungskarten, Plakate oder einfach nur Speisekarten. Ich rede mit meiner Chefin, ob ich dich zukünftig dafür anheuern darf. Der letzte Designer hat sowieso nur Mist gebaut.«

Ich schaute sie skeptisch an. Ich war immer ein Freund davon, Berufliches und Privates zu trennen. Aber wie konnte ich hier nein sagen? Ich brauchte das Geld. »Na gut, das wäre lieb. Aber Weihnachten möchte ich euch wirklich nicht zur Last fallen. Es ist doch euer erstes gemeinsames Fest. Außerdem kennt Ralph mich kaum und seine Familie mich überhaupt nicht. Es ist wirklich lieb gemeint, aber was das Fest angeht, will ich mich euch nicht aufzwingen.«

»Du bist ganz schön alleine hier, oder?« Ninas Blick streifte unruhig durch die Küche.

»Erinnere mich nicht daran. Jana hat mich sogar schon auf ihre Weihnachtsfeier eingeladen. Aber ich kann doch nicht zurück an meine alte Schule. Sie macht dort ihr Praktikum, das ist ja schon eine grausige Vorstellung, aber einfach so zurück?« Ich schüttete uns nach. Oma Rosis Eierlikör war immer köstlich. Eigentlich war sie gar nicht Ninas Oma. Nicht richtig. Eher so eine Art Großtante ihres Vaters, aber wir nannten sie alle einfach Oma Rosi.

»Ach was, das wird bestimmt lustig und du kommst mal raus. Außerdem wird mit Jana jede lahme Feier zur wilden Party. Das willst du dir doch nicht entgehen lassen? Und du kannst deine alten Lehrer mal betrunken erleben. Ist bestimmt auch lustig. Obwohl, die sind bestimmt alle schon in Rente, oder?«

»Quatsch«, sagte ich, musste aber trotzdem lachen. Vielleicht hatte sie ja doch recht.

»Amüsiere dich einfach mal für einen Tag. Das wird bestimmt witzig. Vielleicht lernst du ja auch einen netten Kerl dort kennen. Referendare können ziemlich heiß sein.«

Apropos heiß. »Sag mal, weißt du wer hier die Post austrägt?«, wechselte ich das Thema.

»He? Wie kommst du denn jetzt darauf?« Nina sah mich verdutzt an und hielt in ihrer Bewegung inne.

»Ach, lange Geschichte.« Okay, eigentlich war sie recht kurz.

»Tja, wird ja auch ein langer Abend. Dann passt das ja«, sagte sie und hob ihr erneut gefülltes Pinnchen zu den Lippen.

»Na gut, eigentlich ist es eine kurze Story. Ich steh auf Flo den Postboten. Weißt du, ob der Single ist?«

»Flo der Postbote? Na das klingt doch mal sexy. Ich hab keine Ahnung, wer Flo der Postbote ist. Falls du es vergessen haben solltest, ich wohne schon seit ein paar Jahren nicht mehr hier. Ich kenne nur Helga die Postbotin. Und da weiß ich nicht mal, ob sie noch lebt oder an ihrem hohen Koffein und Zigaretten Konsum längst dahingeschieden ist.«

»Helga lebt noch. Meine Mutter hat Kontakt mit ihr.«

»Tja, deine Mutter kann man auch nur mögen. Wie ist denn ihr Urlaub bisher?«

Manchmal, wenn Nina bereits etwas Alkohol intus hatte, wusste ich nicht, ob sie ihre Worte ernst meinte oder purer Sarkasmus aus ihr triefte. Aber eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie meine Mum nicht mochte. Sonst wäre sie kaum so oft hier gewesen, nachdem ihre Eltern starben.

Ich zeigte auf die Postkarte, die noch immer den Kühlschrank zierte. »Muss schön dort sein. Ihrer Ehe kann so ein gemeinsamer Urlaub nur gut tun.«

»Ich gönn es ihnen wirklich. Und dir, dass du hier wohnen kannst. So, und jetzt möchte ich Kuchen essen, eine weihnachtliche Liebesschnulze gucken und auf Flo den Postboten anstoßen. Und dann erzählst du mir alles, was du über diesen Flo weißt. Ich kenne nur den Flo von Schulzes die Straße runter, aber den wirst du wohl kaum meinen.«

»Ne«, sagte ich und lachte kurz. »Der ist es definitiv nicht. Außerdem ist der doch bestimmt schon vierzig. Und hat er nicht der gerade erst der Birgit einen Heiratsantrag gemacht?«

»Ach ja? Na hoffentlich muss ich nicht hin. Die laden doch immer das ganze Dorf ein.«

Ich nickte zu der Hochzeitseinladung an der Pinnwand. »Jap, sogar Katja und ich stehen mit auf der Karte drauf. Aber Katja kommt sowieso nicht und ich muss es mir noch überlegen. Meine Eltern lassen sich ja eh kein Fest entgehen.« Außer Weihnachten mit mir, füge ich gedanklich hinzu. »Dann lass uns ins Wohnzimmer gehen.«

Nina band sich ihr braunes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen und nahm die Flasche und die beiden Pinnchen mit, während ich Teller und den Kuchen holte. Dann würde ich ihr mal das wenige erzählen, was ich über Flo, meinen Postboten, wusste. Und anschließend mussten wir noch einmal die Sache mit der Weihnachtsfeier abwägen. Vielleicht hatte sie doch recht und es würde ganz lustig werden. Ich war schließlich ein sozialer Mensch und liebte es, unter Menschen zu sein. Aber waren Lehrer wirklich Menschen?

 

5. Von Weihnachtsmännern und anderen Vorkommnissen

 

Die Nacht war lang. Zu lang. Ein Glück, musste ich heute nirgendwo mehr hin. Ich kam gerade aus der Dusche und blickte auf mein Smartphone, dass auf der Arbeitsplatte lag. Jana hatte mir geschrieben. Was wollte sie denn so früh?

Nina saß vor mir am Frühstückstisch und blickte mich neugierig an, während ich den WhatsApp Verlauf las. »Warst du an meinem Handy?«, fragte ich benommen? Vielleicht war ich auch verkaterter als angenommen. Aber eigentlich war ich mir relativ sicher, dass die Nachricht, auf die Jana geantwortet hatte, nicht von mir kam. Ich blickte auf die Uhr. Nein, sie kam definitiv nicht von mir! Zu der Zeit stand ich nackt im Bad und hab mir die Beine rasiert. »Nina! Du kannst Jana doch nicht einfach schreiben, dass ich heute Abend mit zur Weihnachtsfeier komme.«

Nina grinste mich frech an. Machte es ihr denn überhaupt nichts aus, dass ich sauer auf sie war?

Ich verschränkte die Arme und ließ mich auf den Stuhl sacken. »Ich hab doch gesagt, dass ich eigentlich keine Lust habe.«

»Nein, du hast gesagt, dass du es dir überlegst. Das waren deine letzten Worte gestern und jeder weiß doch, dass das praktisch Ja bedeutet.«

»Nein, tut es nicht!«, sagte ich entrüstet. »Wäre das der Fall, hättest du ja nicht heimlich in meinem Namen zusagen müssen. Vielleicht habe ich ja heute Abend keine Zeit«, warf ich ein, auch wenn ich wusste, dass das absolut gelogen war.

Nina schien es gleich zu durchschauen, denn sie schnaubte nur. »Ach komm. Ein bisschen Spaß wird dir guttun und du kommst mal aus deinem Schneckenhaus raus. Außerdem freut sich Jana bestimmt. Du willst sie doch nicht enttäuschen und wieder absagen, oder?«

Mein Blick fiel erneut auf das Handydisplay. »Nein«, sagte ich trocken. Jana schien mega happy zu sein, dass ich doch noch zugesagt hatte. Offenbar war sie selbst kurz davor gewesen, abzusagen, nur, um nicht alleine hinzumüssen. »Wieso kommst du nicht auch mit? Zu dritt ist es bestimmt noch lustiger.« Außerdem hätte ich dann jemanden zu quatschen, wenn Jana in ein Gespräch verwickelt wurde.

»No way. Sorry. Ich muss gleich los. Die Arbeit ruft.« Sie tippte mit ihren rosa lackierten Fingernägeln auf den Rand ihrer Kaffeetasse. Ich konnte noch nie verstehen, wie sie das Zeug sogar schwarz runter bekam.

»Es ist Samstag«, sagte ich.

»Jap, Eventzeit. Heute Nachmittag steigt eine Hochzeit auf Burg Nideggen und ich habe jede Menge zu tun.«

»Der Hochzeitkram liegt dir, oder? Hast du dich jetzt darauf spezialisiert?«

Nina hob elegant die Schultern und der beige Blazer, den sie heute Morgen trug, straffte sich leicht. »Ich hätte selbst nicht gedacht, dass mir Hochzeiten mal so viel Spaß machen würden, wo ich bisher jede Beziehung nach drei Monaten in den Sand gesetzt habe. Aber ja, ich denke, das ist mein Ding.«

»Aber mit Ralph und dir läuft es doch gut, oder?« Den ganzen Abend hatten wir nur über mich geredet. Wieder zuckte sie nur die Achseln. Das sah nicht gerade rosig aus. Warum hatte sie nicht erwähnt, dass sie Probleme mit Ralph hatte? Gestern wollte sie doch sogar noch, dass ich Weihnachten mit ihnen verbrachte. Oder ... »Sei ehrlich, ist bei euch alles in Ordnung?«

»Ja, mach dir keine Gedanken um mich und bring erst mal dein Liebesleben wieder auf Trab.« Sie blickte auf ihre roségold schimmernde Armbanduhr. »Ich muss jetzt los. Wir telefonieren morgen. Erzähl mir, wie die Feier war.«

»Ja, natürlich«, sagte ich in Gedanken versunken und brachte sie zur Tür.

»Ach ja, die Post war da«, sagte sie plötzlich und zeigte auf den Großbriefumschlag, der aus dem Briefkasten ragte.

»Wann?«, fragte ich überrascht.

»Vor zwanzig Minuten etwa. Keine Bange, dein Schnuckelchen war nicht da. Außer er ist bereits um die fünfzig, hat lange braune Haare und einen leichten Damenbart.«

»Was?«

»Bis die Tage und träum nicht zu viel.«

Ich schüttelte den Kopf und stapfte neben ihrem Auto vor zum Briefkasten. Heute Nacht hatte es mal nicht geschneit. Dafür war der Boden jetzt eine einzige Matschstraße.

Nina rollte neben mir aus der Einfahrt, dann war sie weg. Ich musste an ihren Blick denken, als sie von Ralph gesprochen hatte. Wollte sie bloß, dass ich mit ihr Weihnachten verbrachte, weil sie keine Lust auf Ralphs Familie hatte? Oder hatte sie vielleicht Streit mit ihm? Sie war wirklich kein Beziehungsmensch, trotzdem dachte ich, dass es ausnahmsweise mal gut für sie lief. Ralph war nett. Er bot ihr die Stirn und hob sie dennoch in den Himmel. Immerhin hatte die Beziehung schon doppelt so lang wie die letzte gehalten.

Aus der Küche erklang das Vibrieren meines Handys, als ich gerade wieder die Tür schloss.

17.30 Uhr bei mir. Bis nachher. J

Also würden wir mit ihrem Auto fahren. Das war gut, dann konnte ich mich wenigstens volllaufen lassen. Das würde ich heute Abend bitter nötig haben.

 

Draußen war es längst dunkel geworden, als ich bei Jana vor der Tür stand und klingelte. »Komme runter«, kam es aus der Freisprechanlage und bereits im nächsten Moment ging das Licht im Flur an.

»Bist du nervös?«, fragte ich. Jana kam mir ganz schön hibbelig vor. Schlimmer als sonst, dabei dachte ich immer, das ginge kaum.

»Ein bisschen. Es ist, als würde man sich mit seinen alten Lehrern plötzlich privat treffen. Weißt du, was ich meine?«

»Zu gut, deswegen wollte ich ja auch nicht mitkommen.«

»Und dennoch bist du da«, sagte sie und schloss die Tür zu ihrem alten Smart auf. Den Wagen hatte sie schon seit dem Abi und davor gehörte er ihrer Mutter.

Kurz überlegte ich, ihr zu sagen, dass ich eher unfreiwillig hier war und das alles nur ein hinterlistiger Plan von Nina war, damit ich mal vor die Tür kam, doch ich wollte ihr den Spaß nicht nehmen.

Die Feier fand in der Mensa unserer alten Schule statt. Es war ungewohnt, wieder hier zu sein. An diesem Ort, an dem so viele Erinnerungen hingen, auch wenn ich ihn schon früh verlassen hatte. Vieles sah noch aus wie damals. Der Kiosk, der Eingang zu den Toiletten, die Tür zur Küche, wo wir am Tag der offenen Tür immer aushelfen mussten und Geschirr geschrubbt haben. Das mit dem vom Tellerwäscher zum Millionär hat bei mir leider nicht geklappt.

Aus den Lautsprechern drang leise Weihnachtsmusik − Boney M, würde ich sagen – und in mitten der Mensa stand ein breiter, geschmückter Tannenbaum, dessen Umkreis mit einem Berg Geschenken geschmückt war. Vermutlich noch dieselben leeren Kartons, die wir in der Schulverschönerungs-AG der sechsten Klasse mal in Geschenkpapier einwickeln sollten, um damit die Mensa und die Flure zu dekorieren. Von der Decke baumelten weitere Päckchen mit viel zu großen, schiefsitzenden Schleifen.

Jana griff nach meiner Hand und schliff mich mit nach vorne, wo die alte Knüppelkuh, äh, Frau Klosterschmid, stand und uns zu sich winkte. Sie wirkte noch älter und strenger als vor zehn Jahren, dabei hatte ich gedacht, dass das kaum möglich wäre. Auch Herrn Rutburger entdeckte ich zwischen zwei anderen Lehrern, die ich nicht kannte.

»Wenn das nicht Lena Küppler ist. Wie geht es Ihnen?«

»Entzückend, Frau Klosterschmid. Und Ihnen? Wie ich sehe ...«

»Ja?«

Eigentlich wollte ich sagen: ›... leiten Sie immer noch nicht diese Schule‹,