Cover

Impressum

www.beck.de

ISBN 978-3-406-68113-4

© 2015 Verlag C. H. Beck oHG
Wilhelmstraße 9, 80801 München
Satz: Fotosatz Buck,
Zweikirchener Str. 7, 84036 Kumhausen
Umschlaggestaltung: Ralph Zimmermann – Bureau Parapluie
Bildnachweis: © OC – fotolia.com
eBook‐Produktion: Datagroup int. SRL, www.datagroup.ro

Dieser Titel ist auch als Printausgabe beim
Verlag und im Buchhandel erhältlich.

5So nutzen Sie dieses Buch

Um Ihnen das Lesen und Arbeiten mit diesem Buch zu erleichtern, hat der Autor verschiedene Stilelemente verwendet, die Ihnen das schnellere Auffinden bestimmter Texte ermöglichen. So finden Sie die Tipps und Musterformulare sofort.

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Hier finden Sie Tipps, Aufzählungen und Checklisten.

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So sind „Merksätze“ gekennzeichnet.

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Hier finden Sie Beispiele, die das Beschriebene plastisch erläutern und verständlich machen.

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Hier finden Sie Übungen und Muster zum selber Ausfüllen und Nachrechnen.

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Die Zielscheibe kennzeichnet Zusammenfassungen und ein Fazit zum Kapitelende.

7Ein paar Worte vorweg
von Michael Rossié

Das Zeitalter der Kommunikation hat längst begonnen. Eine tolle Rede zu halten und das Publikum zu begeistern, ist für viele Menschen ein ganz großer Wunschtraum. Und es ist wichtiger denn je. Zum Beispiel, wenn Sie Kunden zu unkontrollierten Spontankäufen animieren wollen. Oder vielleicht wollen Sie Führungskräfte zu Leistungen anspornen, die sie selbst nicht für möglich halten. Oder Sie wollen ein Video drehen, um allen klarzumachen, wie wichtig Sie sind. Möglicherweise werden Sie auch sanft gezwungen, sich für eine kleine Ehrung zu bedanken. Oder Sie haben sich fest vorgenommen, eine Hochzeitsgesellschaft zu Tränen zu rühren.

Andere Menschen mit Worten zu fesseln, ist eine faszinierende Fähigkeit. Sie kostet nichts, außer ein bisschen Unterricht und ein bisschen Übung.

Aber ist es so einfach? Wo kann ich üben und wer kann mir etwas beibringen? Gibt es rhetorische Gesetze und, wenn ja, welche?

Leider ist die Welt voll von schlechten Rednern. Von Menschen, die eine Menge Unterricht genossen haben, Regeln befolgen und sich hauptsächlich darauf konzentrieren, dass ihre Hände nur ja im neutralen Bereich sind, und die peinlich darauf achten, jedes „äh“ durch eine Kunstpause zu ersetzen.

Das Thema, über das sie reden, rückt an die zweite Stelle. Oder Menschen glauben, dass die Rede dann fertig ist, wenn die Powerpoint-Präsentation bis zur kleinsten Zahl nach dem Komma fertig ist. Die können sich gar nicht vorstellen, dass für die guten Redner hier die Arbeit erst anfängt.

8Hängen die Begeisterungsstürme der Zuschauer wirklich davon ab, dass man alle anguckt und alle paar Worte eine Kunstpause macht? Ist es wirklich so wichtig, was die Hände machen?

Wenn Sie sich fest vorgenommen haben, nach vorne zu gehen, weil Sie ein paar kluge Gedanken mit anderen Menschen teilen wollen oder weil Sie ein paar Ideen haben, die andere nicht haben, und noch unsicher sind, wie Sie das am besten anstellen, dann lesen Sie dieses Buch. Matthias Nöllke hat mit seinem unnachahmlichen Charme und viel Witz alles zusammengestellt, was man braucht, um eine gute Rede zu halten. Ich habe den Autor einige Male gehört, und er war immer geistreich, auf den Punkt und überraschend anders. Und gerade das führte dazu, dass sein Publikum ihm fasziniert zuhörte. Die Zeit verging wie im Fluge, und es folgte der Lieblingssatz aller Redner: „Wie, schon vorbei?“

Matthias Nöllke geht es nicht darum, Menschen abzurichten und zu verunsichern, es geht ihm nicht darum, ihnen unumstößliche Regeln beizubringen, die man dann pauken muss, sondern es geht ihm darum, ihnen zu helfen, sich da vorne wohlzufühlen, weil man sich einzig und allein einem der drei rhetorischen Imperative verpflichtet fühlt: Unterhalte! Oder belehre! Oder berühre! Und am besten machen Sie von allem etwas.

Dieses Buch soll Ihnen ganz praktisch und konkret den Spaß am Redenhalten vermitteln, es soll helfen, Ängste abzubauen, und es soll Ihnen zeigen, dass es gar nicht so schwer ist, Menschen mit Worten zu berühren und im wahrsten Sinne des Wortes zu bewegen.

Speaker, Sprechertrainer, Vizepräsident der German Speakers Association (GSA)

Michael Rossié

15Gebrauchsanweisung

Auf die richtigen Worte kommt es an. Nicht nur, aber ganz besonders in einer Rede. Wenn Sie die richtigen Worte finden, können Sie viel bewegen: Sie können Kenntnisse vermitteln, Ihre Mitmenschen auf Ihre Seite ziehen, sie unterhalten, anrühren, ermutigen oder ihnen aus dem Herzen sprechen. Doch wie finden Sie die richtigen, die starken Worte? Wie halten Sie eine gute Rede, die Ihre Zuhörer erreicht, vielleicht sogar mitreißt? Darum soll es in diesem Buch gehen. Es möchte Sie unterstützen, eine gute Rede zu halten. Lebendig, anschaulich, auf der Höhe der Zeit. Denn viel hat sich geändert in den vergangenen Jahren, der Stil ist hemdsärmeliger, die Mittel sind vielfältiger geworden. Längst präsentiert man nicht nur mit Powerpoint, sondern alle möglichen Dinge kommen zum Einsatz: vom Papierblock bis zur Wäscheleine.

Dieses Buch möchte Sie begleiten auf Ihrem Weg zur guten Rede: Wie Sie Ihr Thema finden und formulieren, wie Sie die Rede gliedern, wie Sie die Rede formulieren und worauf Sie achten müssen, wenn Sie Ihre Rede halten. Dabei hat es vor allem ein Ziel: Dass Sie Ihren eigenen Stil herausbilden, dass Sie Dinge ausprobieren und weiterentwickeln, wenn Ihnen etwas liegt. Es gibt nämlich nicht die eine Methode, die zu einer guten Rede führt. Solche Reden wären gleichförmig und langweilig. Es ist die Vielfalt der Talente und der Mut, Neues auszuprobieren, was Reden interessant und immer wieder überraschend macht.

16Weitere Informationen zu diesem Buch finden Sie unter: www.der-rednercoach.de/starke-worte. Haben Sie Anregungen oder Kommentare? Dann schreiben Sie mir: info@der-rednercoach.de.

Und nun wünsche ich Ihnen viel Vergnügen mit diesem Buch!

München im Juli 2015

Dr. Matthias Nöllke

17Was Sie über Rede und Rhetorik wissen sollten

Die Gabe der Rede

Wie leicht fällt es Ihnen, eine Rede zu halten? Es gibt Naturtalente, die schütteln die passenden Worte einfach so aus dem Ärmel. Eine Kollegin von mir können Sie zu jeder Tages- und Nachtzeit auf die Bühne stellen, sie ist in der Lage, sofort loszureden. Über jedes beliebige Thema, versteht sich. Oder nehmen wir meinen Schwiegervater, Bürgermeister einer kleinen Gemeinde im Taunus: Der muss zu allen möglichen Anlässen Reden und Ansprachen halten. Kurz vorher weiß er meist nur ungefähr, was er sagen wird. Das beunruhigt ihn jedoch überhaupt nicht. Im Gegenteil, er mag das, denn dadurch hält er sich bis zuletzt alle Türen offen. Er verlässt sich darauf, dass ihm die angemessenen Worte von allein zufliegen. Und das tun sie auch jedes Mal.

Anderen fällt die Sache deutlich schwerer. Sie müssen sich vorbereiten, Sätze zurechtlegen und gründlich überlegen, was sie sagen. Auch und gerade, wenn es locker und lässig wirken soll. Sie reden lieber mit Manuskript als ohne. Sie können sich schriftlich besser ausdrücken als mündlich – zumindest wenn sie allein vor einer Gruppe oder gar auf einer Bühne stehen. Sie feilen lieber vorher an ihren Worten, als während der Rede um die passende Formulierung zu ringen. Sie müssen trainieren, damit ihre Rede gelingt. Zu diesen Leuten gehöre auch ich. Selbstverständlich bin ich überzeugt, dass wir nicht die schlechteren Redner sind. Oder anders gesagt: Dass wir nicht die schlechteren Reden halten. Wir nehmen nur einen anderen, einen etwas ausgedehnteren Weg, um unser Ziel zu erreichen.

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18Die spontanen Reden des Mark Twain

Der Schriftsteller Mark Twain war nicht nur mit seinen Büchern sehr erfolgreich, er war auch ein gefragter Vortragsredner. Tatsächlich soll er mit seinen Auftritten mehr verdient haben als mit dem Schreiben. Dabei gingen ihm die Vorträge keineswegs leicht von der Hand. „Es gibt zwei Arten von Rednern“, meinte er, „solche, die nervös sind, und solche, die lügen.“ Über seine spontanen Reden gab er bekannt: „Um einen Zufall herbeizuführen, bedarf es vieler Vorbereitung. Um eine gut improvisierte Drei-Minuten-Rede zu halten, benötige ich beispielsweise drei Tage.“

Und dann gibt es noch eine dritte Gruppe. Das sind die Menschen, für die es regelrecht eine Qual ist, vor anderen zu sprechen. Sie haben nicht Lampenfieber, sondern blanke Angst. Mit anderen ein Gespräch führen? Kein Problem. In einer Gruppe diskutieren und den eigenen Standpunkt darlegen? Das bringt sie nicht in Verlegenheit. Aber aufstehen und vor allen anderen eine Rede oder einen Vortrag halten? Das erfüllt sie mit Entsetzen. Manche bekommen Panikattacken, andere fühlen sich gelähmt. Es gibt welche, die starke Beruhigungsmittel einnehmen, um eine fünfminütige Präsentation vor den eigenen Leuten durchzustehen. Dabei merken die Zuhörer manchmal gar nicht, unter welcher Anspannung der Vortragende steht. Vielleicht meinen sie sogar: „Ach, die Frau Goldbach, das macht die aber gut. So munter und doch souverän.“ Unterdessen durchlebt ihre Kollegin gerade innere Höllenqualen und sagt sich: „Bring es einfach irgendwie hinter dich.“

Man muss es dick unterstreichen: Auch in der dritten Gruppe gibt es gute Redner. Redner, die etwas mitzuteilen haben und die dafür große Opfer auf sich nehmen. Was ihnen das Leben so schwer macht, ist auch gar nicht mangelnde Begabung, sondern ihre tief sitzende Redeangst, die durch einen Hang zum Perfektionismus häufig noch verstärkt wird. Sollten Sie zu dieser Gruppe gehören: Gegen Redeangst lässt sich sehr viel unternehmen. Das Thema wird uns das Buch über begleiten.

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Nehmen Sie den längeren Weg

Herausragende Reden werden so gut wie nie wirklich spontan gehalten. Auch von denen nicht, denen das freie Sprechen leichtfällt und die gerne improvisieren. Eine gründliche und durchdachte Vorbereitung lohnt sich daher für jeden. Die einzelnen Schritte 19verhindern ja keineswegs, dass Sie später noch davon abweichen. Im Gegenteil, durch kluge Vorbereitung erweitern Sie Ihr Spielfeld. Sie schaffen die Voraussetzungen, auf einem höheren Niveau zu improvisieren.

Wie gut sind Sie im persönlichen Gespräch?

Kommen Sie im persönlichen Gespräch gut an, können Sie diese Fähigkeit auch für Ihre Reden nutzen. Tatsächlich hat sich der Redestil sehr stark in Richtung Konversation entwickelt. Es geht nicht mehr so steif und förmlich zu. Dank Mikrofon und Lautsprecher brauchen wir nicht mehr laut und angestrengt vorzutragen, auch wenn wir viele Menschen erreichen müssen. Überhaupt ist der Tonfall wesentlich entspannter, ja lässiger geworden. Heute greift man auch bei beruflichen Reden gerne zu umgangssprachlichen Wendungen und redet möglichst natürlich. Es wird weniger deklamiert, weniger gepredigt und mehr geplaudert. „Reden ist wie Flirten mit ganz vielen“, sagt Michael Rossié, Speaker und Sprechtrainer. Die Vorstellung, dass wir mit dem Publikum so vertraut und charmant umgehen wie mit einem sympathischen Gesprächspartner, kann uns sehr helfen und unser Auftreten verbessern.

Und doch müssen wir deutlich unterscheiden zwischen einer Rede und einem persönlichen Gespräch. Bei einer Rede haben Sie nun einmal viele Menschen vor sich, die Sie erreichen wollen. Vor allem aber ist eine Rede ihrer Natur nach eine einseitige Angelegenheit: Sie sind die Person, die buchstäblich „das Sagen hat“. Sie dürfen sich unter keinen Umständen die Fäden aus der Hand nehmen lassen. Bei einem Gespräch hingegen sollten Sie genau das tun. Ein Gespräch gelingt nämlich vor allem dann, wenn jeder Gelegenheit hat, es zu steuern.

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Meinungsaustausch unter Managern

Ein junger Unternehmensberater hielt vor einer Gruppe von Finanzmanagern eine Präsentation zur „aktuellen wirtschaftlichen Lage“. Als er seine dritte Powerpointfolie sehen ließ, ergriff einer der Manager das Wort. Ein Kollege kommentierte seine Äußerung, und mit einem Mal entspann sich eine lebhafte Diskussion. Dem Unternehmensberater war sein Vortrag aus der Hand genommen worden. Nach zehn Minuten machte er weiter – verunsichert setzte er mit Folie 14 seinen Beitrag fort.

20Was hätte er tun sollen? Nach dem ersten Kommentar hätte er sofort wieder das Wort ergreifen müssen. Er hätte kurz auf die Äußerung eingehen sollen, um sich dann auf die „lebhafte Diskussion“ nach dem Vortrag zu „freuen“. Jede weitere Unterbrechung durch die Teilnehmer wäre nach diesem Hinweis als Störung erschienen. Und es wäre leicht gewesen, sie freundlich zu unterbinden (Näheres zu den Unterbrechungen im Kapitel „Wie Sie eine gute Rede halten“).

Introvertierte Redner

Davon abgesehen können Sie Redner erleben, die im persönlichen Gespräch eher blass bleiben, die in Diskussionen keineswegs die Wortführer sind. Die aber dennoch gute Reden halten. Sie haben nämlich verstanden: Die Rede ist für sie ein viel geeigneteres Mittel, sich Gehör zu verschaffen. Sie können ihren Gedankengang ungestört darlegen und wirken viel überzeugender als in einem Gespräch, in dem ihnen sofort jemand ins Wort fällt. Es mag überraschen, aber manche Introvertierte halten viel lieber ungestört eine Rede, als dass sie sich in einer Besprechung an einer Diskussion beteiligen.

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Mit einer Rede Aufmerksamkeit finden

Eine Rede hinterlässt einen wesentlich stärkeren Eindruck als ein Diskussionsbeitrag. Der geht oft genug unter oder wird zerredet. Für Ihr Anliegen erreichen Sie daher viel mehr, wenn Sie eine Rede halten. Die kann durchaus kurz und knapp sein. Aber sie lässt sich nicht so leicht übergehen. Und Ihre Worte wirken länger nach.

Entwickeln Sie Ihren eigenen Stil

In den folgenden Kapiteln werden Sie eine ganze Reihe unterschiedlicher Redeformen und Redestile kennenlernen. Sie bekommen Hinweise, wie Sie sie einsetzen können und was Sie vermeiden sollten. Dabei wollen wir von Anfang an eine Sache klarstellen: Eine gute Rede gelingt Ihnen vor allem dann, wenn Sie Ihre besonderen Qualitäten nutzen. Jeder von uns hat seine Stärken und einzigartigen Fähigkeiten. Es ist durchaus möglich, dass sie Ihnen noch gar nicht alle bewusst sind. Manches müssen Sie einfach ausprobieren, vieles entwickelt sich auch erst, wenn Sie Übung und Routine haben. 21Und doch ist es sehr hilfreich, genau darauf zu achten, was Ihnen leichtfällt, was Ihnen Vergnügen bereitet, was Sie besser können als andere. Dazu sollten Sie nicht nur in sich selbst hineinhorchen. Mindestens ebenso nützlich ist es, sich mit anderen darüber auszutauschen. Das ist nicht ganz einfach, denn niemand wird Ihnen ins Gesicht sagen, dass Ihre Pointen doch nicht ganz so treffsicher zünden, wie Sie glauben. Bei anerkennenden Worten können Sie nicht sicher sein, ob sie nicht aus reiner Höflichkeit geäußert werden. Und doch zeigt sich: Bitten Sie jemanden um ein ehrliches Feedback, einen Kollegen, einen Freund, Ihren Partner, so bekommen Sie häufig auch unbequeme Wahrheiten zu hören – die Ihnen aber weiterhelfen.

Vielleicht gibt es auch einen Redner oder eine Rednerin, die Sie besonders gut finden. In diesem Buch werden Ihnen viele sehr verschiedene Beispiele begegnen, an denen Sie sich orientieren können. Vielleicht können Sie das eine oder andere auch übernehmen. Dabei sollten Sie Ihre Vorbilder nicht kopieren, sondern sie nutzen, um Ihren eigenen Stil zu entwickeln. Darum geht es nämlich: Haben Sie einen besonderen Sinn für Humor und bringen Sie die Leute leicht zum Schmunzeln, dann können Sie diese Fähigkeit nutzen. Sie kommen aber auch vollkommen ohne Humor und lustige Bemerkungen aus. Wenn die Ihnen nicht liegen, dann lassen Sie die Finger davon. Ihre Rede kann dennoch (oder gerade deshalb) sehr gut gelingen. Denn es gibt so viele andere Qualitäten, mit denen Sie glänzen können.

Manche sind begnadete Geschichtenerzähler, andere finden einprägsame Formulierungen oder können ein Thema gut strukturieren. Manche können stichhaltig argumentieren, andere fühlen sich schnell in ihr Publikum ein und erreichen es emotional. Für eine gute Rede braucht man viele Fähigkeiten. Doch gelingt sie besonders gut, wenn Sie Ihre Stärken voll ausspielen können.

Das gesprochene Wort

Sehen wir uns das Material näher an, mit dem wir es zu tun haben: die gesprochenen Worte. Eigentlich liegen sie uns ja viel näher als die geschriebene Sprache. Die müssen wir erlernen, in der Schule oder sonst wo. Aber immer unter Anleitung. Bei der gesprochenen Sprache ist das anders. Die erwerben wir ganz von allein. Dadurch, dass wir anderen zuhören und mit ihnen sprechen. Niemand muss uns erklären, wie man Sätze bildet oder was ein Partizip ist. Wir nehmen die gesprochene Sprache auf, verstehen ihren Sinn und wenden sie selbst an. Wie wir sprechen – näselnd, nuschelnd, akkurat, 22bedächtig, hektisch –, das ist Ausdruck unserer Persönlichkeit. Das erzählt von unserer Herkunft, unserem Bildungsstand, unserer Stimmung. Und es gibt noch vier weitere Unterschiede, die für unser Thema wichtig sind:

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Gespräche aufschreiben

Zeichnen Sie mit einem Aufnahmegerät ein paar Minuten gesprochene Sprache auf, ein Gespräch oder besser noch: wie jemand von einem Erlebnis erzählt. Dabei sollten Sie den Leuten, die Sie aufnehmen, gerne zuhören und sie sympathisch finden. Wenn Sie ein Gespräch aufnehmen, beteiligen Sie sich selbst daran. Anschließend verfahren Sie wie ein Sprachwissenschaftler: Sie hören die Aufnahme ab und „transkribieren“ das Gespräch, das heißt, Sie schreiben es auf, mit allen Ähs, mit allen Unterbrechungen, Überlappungen, allen Fehlern und Pausen (für jede Sekunde machen Sie einen Strich). Auch wenn Sie das Ergebnis schon ahnen: Sie werden verblüfft sein, wie krumm und schief sich die Unterhaltung 23liest, die Ihnen so natürlich und geordnet vorgekommen ist, als Sie selbst daran teilgenommen haben.

Kleine Fehler machen Ihre Rede lebendiger

Das Bemerkenswerte ist: Gerade das Unvollkommene, das Improvisierte, die kleinen Fehler lassen die gesprochene Sprache natürlich und lebendig erscheinen. Streng genommen handelt es sich auch gar nicht um echte „Fehler“. Denn wir empfinden sie nicht so. Unser Gegenüber setzt an, korrigiert sich im Sprechen, weil ihm gerade ein neuer Gedanke kommt, wir fallen uns gegenseitig ins Wort, heften Satzbruchstücke an, lassen Silben weg, weil unser Gegenüber ohnehin versteht. Überhaupt kümmern wir uns darum, dass die anderen erfassen, was wir sagen. Wir gleichen unsere Fehler auf andere Art aus. Wir heben unsere Stimme oder senken sie, vollführen bestimmte Gesten und lassen unsere Mimik sprechen. Diese Informationen tauchen nicht mehr auf, wenn wir das Gespräch später aufschreiben. Deshalb wirkt das Gesagte auf dem Papier so konfus.

Das Bemerkenswerte ist aber: Diese Art zu sprechen wirkt ganz natürlich und durchaus angenehm. Zumindest im persönlichen Gespräch oder wenn uns jemand etwas erzählt. Bei einer Rede verhält es sich etwas anders, wie wir gleich sehen werden. Allerdings gilt eine höhere Fehlertoleranz auch, wenn Sie völlig frei reden. Ohne vorformulierte Sätze. Haben Sie sich hingegen Ihre Sätze zurechtgelegt oder lesen sie ab, dann klingen Ihre Worte schon anders. Und Ihre Zuhörer nehmen das Gesagte auch anders auf. Machen Sie jetzt einen Fehler, bemerkt das jeder sofort. Aha, denken die Zuhörer, Sie haben sich versprochen.

Das führt zu einem etwas merkwürdigen Effekt: Redner, die keinen Fehler machen wollen, bereiten zur Sicherheit ein Manuskript vor. Sobald sie aber angefangen haben, daraus vorzulesen, fällt jeder kleinste Fehler auf. Ihre Kollegin, die später völlig unbekümmert loslegt, macht dreimal so viele „Fehler“. Nur merkt das niemand. Im Gegenteil, wir empfinden ihre Art zu sprechen als ungekünstelt und sympathisch. Natürlich gilt dies nur für bestimmte Fehler. Es sind die kleinen Holprigkeiten und Satzbrüche, die uns ganz automatisch unterlaufen. Vor allem wenn wir uns selbst korrigieren, weil uns eine neue, eine noch bessere Idee in den Sinn kommt.

24Eine Rede ist ein ganz besonderer Fluss

Anders als bei einem geschriebenen Text, den wir als Ganzes vor uns haben, fließen die Worte einer Rede für uns Zuhörer dahin. Was uns entgangen ist, können wir nicht zurückholen – es sei denn, wir unterbrechen die Rede und fragen nach. Außerdem wissen wir nicht genau, an welcher Stelle wir uns gerade befinden, wie nahe wir dem Ende sind – es sei denn, der Redner teilt es uns mit. Wir sind auch nur sehr begrenzt in der Lage, Bezüge herzustellen. Was der Redner vor zehn Minuten gesagt hat, das wissen wir so wenig wie jemand, der auf einen Fluss schaut und sagen soll: Was ist da vor zehn Minuten vorbeigeschwommen? Wir sind immer damit beschäftigt, das zu verarbeiten, was uns der Redner in diesem Moment mitteilt. Einen Blick für das Ganze haben wir nicht. Die Sache ist nur: Wir würden gerne die Rede überblicken, uns zurechtfinden, ihre Struktur begreifen. Das macht es nämlich sehr viel einfacher, uns die Inhalte zu merken und die gesamte Rede zu verstehen und zu beurteilen. Sonst plätschert die Rede an uns vorbei.

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Halten Sie keine „Plätscherreden“

Vielleicht haben Sie das ja schon einmal erlebt: Sie hören einer Rede zu, empfinden sie durchaus als angenehm, weil da lustige Geschichten vorkommen und Sie interessante Details erfahren. Aber wenn Sie sich anschließend die Frage stellen: Was hat mir der Redner da eigentlich gerade erzählt? Dann sind Sie etwas ratlos. Solche „Plätscherreden“ hinterlassen bei den Zuhörern im Nachhinein ein ungutes Gefühl. Geht es Ihnen um Inhalte, braucht Ihre Rede eine klare Struktur. Und diese Struktur müssen Sie Ihren Zuhörern immer wieder in Erinnerung rufen. Das macht Ihre Rede um vieles verständlicher und überzeugender.

Die Drei-Sekunden-Häppchen

Manche Menschen können sehr lebendig und verständlich erzählen. Wenn Sie ihnen aufmerksam zuhören, fällt Ihnen auf: Deren Redefluss ist keineswegs gleichmäßig. Mal ist er schneller, mal langsamer, vor allem aber macht der Sprecher immer wieder kurze Pausen. Die sind außerordentlich wichtig, wie der Hirnforscher Ernst Pöppel beschrieben hat: Für den Sprecher, um zu planen, wie es weitergeht. Für den Zuhörer, um das Gesagte zu verarbeiten. Durch die Pausen wird der natürliche Redefluss also portioniert, es entstehen kleine Häppchen. 25Das Bemerkenswerte dabei ist, dass diese Häppchen ungefähr gleich lang sind, nämlich zwischen zwei und drei Sekunden, wie Pöppel berichtet. Diese Zeitspanne ist unabhängig davon, wie schnell jemand spricht. Bei höherem Sprechtempo bringen wir also mehr Silben unter. Aber nach drei Sekunden folgt wieder eine kurze Pause. Sie dauert etwa eine halbe Sekunde, sagt Pöppel – und dann geht es weiter.

Auf diese Weise entsteht eine Abfolge von Informationshäppchen. Jedes Häppchen bildet eine Sinneinheit. Einheiten, die länger sind als drei Sekunden, können wir nur schwer verarbeiten, haben die Hirnforscher festgestellt. Wenn wir frei sprechen, machen wir das fast immer richtig. Es entspricht dem natürlichen Redefluss. Haben wir jedoch ein Manuskript mit bereits ausformulierten Sätzen vor uns, dann kann es durchaus passieren, dass die Einheiten zu lang geraten. Die Folge: Die Zuhörer kommen nicht mehr mit. Sogar wenn Sie langsam und sehr klar sprechen. Wenn die Häppchen zu groß werden, können wir sie nicht verdauen.

Die gleichen Verständnisprobleme entstehen, wenn Sie die Pausen falsch setzen. Sagen wir: nach drei Sekunden automatisch eine halbe Sekunde innehalten, unabhängig vom Inhalt. Die Häppchen bilden ja eine Einheit – vor allem inhaltlich. Missachten wir diese Regel, wird das Gesagte verwirrend. In freier Rede unterläuft uns so ein Fehler fast nie, höchstens wenn wir sehr zerstreut sind. Lesen wir hingegen ein Manuskript ab, nimmt die Gefahr gewaltig zu. Vor allem wenn wir ungeübte Vorleser sind und der Text uns nicht vertraut ist.

Der unverzichtbare Rückkanal

Ein fundamentaler Unterschied zwischen geschriebener und gesprochener Sprache: Wenn wir sprechen, reagieren unsere Zuhörer unmittelbar. Im Gespräch sowieso, aber auch während einer Rede. Sie nicken, sie lachen, sie schütteln den Kopf oder öffnen staunend den Mund. Sie blicken uns an, schauen nachdenklich zur Seite, schließen die Augen oder wenden den Blick ab. Sie lehnen sich zurück, sie kratzen sich am Kinn, sie lächeln zustimmend oder rutschen nervös auf ihrem Stuhl herum. Wenn wir schreiben, bleiben wir von den Reaktionen unserer Leser erst einmal unbehelligt. Der Punkt ist: Wenn wir sprechen, brauchen wir die Reaktionen der Zuhörer, die Informationen aus dem Rückkanal. Bleiben sie aus, fühlen wir uns unwohl.

Wie die Zuhörer reagieren, das beeinflusst nämlich unmittelbar, wie wir weitersprechen. Am stärksten natürlich im Zweiergespräch. Signalisiert 26der andere Interesse, Ungeduld, Heiterkeit oder Ablehnung, wirkt sich das sofort aus. Aber auch bei einer Rede vor vielen Leuten brauchen wir Feedback, die Informationen aus dem Rückkanal. In einem psychologischen Experiment ging es für die Wissenschaftler darum, ihre Teilnehmer unter starken Stress zu setzen. Wie erreichten sie das? Die Teilnehmer mussten einen Vortrag halten. Und das (vorher eingeweihte) Publikum reagierte nicht etwa ablehnend, sondern mit völlig versteinerter Miene. Anders gesagt: Die Redner hatten keine Ahnung, wie ihre Worte ankamen. Das verunsichert und wird als belastender empfunden als eine ablehnende Reaktion. Denn wir wissen gar nicht, was wir von dieser Null-Information halten sollen.

Redner sind einer solchen Situation in zwei Fällen ausgesetzt: Wenn sie ohne Publikum in eine Kamera sprechen müssen. Oder wenn sie im Scheinwerferlicht auf einer großen Bühne stehen und die Zuhörer nur noch als dunkle Schatten wahrnehmen. Bevor Sie als Redner in diese Verlegenheit kommen, haben Sie meist schon eine gewisse Routine erworben. Aber auch dann müssen Sie sich auf diese sehr künstliche Situation vorbereiten und trainieren. Sie müssen so tun, als säße da ein Publikum, das außerordentlich leicht zu begeistern ist. Manche ausgebufften Profiredner verfahren übrigens auch so, wenn ein echtes Publikum vor Ihnen sitzt.

Die Vielfalt der Ausdrucksmittel

Wenn wir sprechen, verfügen wir über eine ganze Palette zusätzlicher Ausdrucksmittel. Wir setzen sie ein, ohne groß darüber nachzudenken. Unsere Sätze haben eine bestimmte Sprachmelodie, einzelne Wörter und Silben betonen wir stärker als andere, wir begleiten unsere Aussagen mit verschiedenen Gesten, auch unser Gesichtsausdruck, die Mimik, „redet mit“. Wohin wir unseren Blick wenden, ist ebenso aussagekräftig wie unsere Körperhaltung. Und schließlich spielt es auch eine Rolle, an welchem Ort wir uns befinden, auf einer Bühne, in der Mitte, am Rand oder unter den Zuhörern, ob wir uns bewegen oder wie angewurzelt an unserem Platz stehen bleiben.

Dabei erzielen wir die stärkste Wirkung, wenn der gesamte Ausdruck stimmig ist. Gestik, Mimik, Haltung und Sprachmelodie müssen zueinanderpassen. Ist das nicht der Fall, sind unsere Zuhörer irritiert, unsere Glaubwürdigkeit schwindet. Drei Aspekte sollten wir beachten:

Wie Sie welche Ausdrucksmittel einsetzen können, das wird uns im Kapitel „Wie Sie eine gute Rede halten“ näher beschäftigen. Nur noch so viel: Gerade in Deutschland machen viele Redner von ihren Ausdrucksmöglichkeiten nur sehr eingeschränkt Gebrauch. Das hat mit unserem gebremsten Temperament und mit unserem etwas unterkühlten Naturell zu tun. Sind Sie auch von dieser Art, brauchen Sie sich keineswegs zu verstellen. Und doch können wir unseren Worten schon mehr Nachdruck geben, wenn wir Gestik, Mimik und Sprechweise besser nutzen. Ein erster Schritt besteht einfach darin, die Bremsen ein wenig zu lösen und abzuwarten, wie wir allmählich in Fahrt kommen.

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Mehr Ausdruck wagen

Probieren Sie es zunächst einmal in Ihren eigenen vier Wänden aus. Hier können Sie ungestört experimentieren: Tragen Sie einen Text vor. Das kann eine Rede sein, die Sie schon mal halten mussten. Sie können auch schlicht einen Text vorlesen, aus der Zeitung oder aus diesem Buch. Worauf es ankommt: Tragen Sie den Text möglichst ausdrucksstark vor. Gestikulieren Sie, setzen Sie Ihre Mimik ein, verziehen Sie ruhig einmal das Gesicht, machen Sie Pausen, heben Sie die Stimme, flüstern Sie, betonen Sie wichtige Worte. Dabei brauchen Sie kein Programm abzuarbeiten. Lassen Sie es einfach laufen. Sind Sie damit durch, versuchen Sie es gleich noch einmal. Und geben Sie beim zweiten Mal ruhig ein wenig mehr Gas. Merken Sie, wie Ihr Vortrag lebendiger wird? Bis zu welcher Grenze fühlen Sie sich noch wohl? Finden Sie das heraus.

28Was ist Rhetorik?

Unter „Rhetorik“ verstehen wir das Handwerkszeug, das wir brauchen, um eine gute Rede zu halten. Rhetorik wird zwar gern mit „Redekunst“ übersetzt, aber eigentlich ist der Ansatz viel pragmatischer. Und zwar schon bei den alten Griechen, die ja die Rhetorik erfunden haben. Die brauchten sie vor allem bei zwei Gelegenheiten: Vor Gericht musste jeder sein Anliegen selbst vortragen und sich auch selbst in öffentlicher Rede verteidigen. Es gab keine Anwälte, die das übernahmen. Zweitens konnte jeder Bürger in der Volksversammlung das Wort ergreifen, um die öffentlichen Angelegenheiten zu erörtern, über die abgestimmt werden sollte. Man musste also gut reden können, um sich Recht und Einfluss zu verschaffen. Diese Fähigkeit betrachteten die Griechen nicht als naturgegeben, sondern als erlernbar. Es gab Lehrbücher für Rhetorik, Rednerschulen und Rhetoriklehrer, die sich ihren Unterricht gut bezahlen ließen.

Die Römer führten die griechische Tradition fort, die noch heute unser Verständnis von Rhetorik prägt. Die Techniken und Redefiguren, mit denen wir uns auch in diesem Buch beschäftigen, stammen fast ausnahmslos aus der Antike. Es ist fast schon ernüchternd, welche Tricks und Kniffe bereits vor mehr als zweitausend Jahren eingesetzt wurden – und funktionierten. Wir müssen sie nur dem heutigen Sprachgebrauch anpassen.

Und doch gibt es neben der politischen Rede und der Gerichtsrede noch eine dritte Tradition, die wir nicht übersehen sollten: die Predigt. Sie hat die Aufgabe, wichtige Glaubensinhalte zu verkünden, in Erinnerung zu rufen und auszulegen. Auch die Bekehrung, die sittliche Ermahnung und die „Moralpredigt“ fallen in diesen Bereich. Was eine gute Predigt auszeichnet, das ist eine vielschichtige Frage. Mit ihr beschäftigt sich eine eigene Disziplin, die Homiletik, gewissermaßen die Rhetorik der Predigt. Ihr Einfluss reicht weit über den religiösen Bereich hinaus. Viele politische Reden sind stark von dieser Tradition geprägt und durchtränkt von religiösen Motiven. Das macht sie nicht etwa altbacken, sondern gibt ihnen erst den besonderen Drive. Denn gute Predigten sind eingängig, lebensnah, mitreißend. Und sie wollen wirken, unser Leben verändern, es mit Sinn erfüllen. Gute Predigten sind niemals lau und unverbindlich.

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29Wortgewaltige Prediger

Drei Redner, die auf ganz unterschiedliche Art in der Tradition der Predigt stehen: der Bürgerrechtler Martin Luther King, der Politiker Oskar Lafontaine und die ehemalige Bischöfin und EKD Ratsvorsitzende Margot Käßmann (sehen Sie sich einmal ihr Statement zur „Toleranzfähigkeit der Religionen“ auf YouTube an). Aber auch viele Motivationsredner sind unverkennbar von der Predigt beeinflusst. Und zwar von einer ganz bestimmten Art: der Erweckungspredigt. In der steht das persönliche Erlebnis ganz im Vordergrund (und nicht die religiöse Überlieferung). Auch das Ziel ist ganz ähnlich: Die Zuhörer sollen ihr Leben ändern – ganz so, wie es der Prediger vorgemacht hat.

Künstlichkeit oder Natürlichkeit

Von Anfang an lastete auf der Rhetorik ein schlimmer Verdacht: Sie kann dazu missbraucht werden, die Zuhörer zu täuschen. Wer rhetorisch beschlagen ist, der schafft es, auch aus einer schwächeren Position heraus noch Recht zu behalten und seinen Gegner in Verlegenheit zu bringen. Schon der Philosoph Platon betrachtete daher die Rhetorik mit großem Argwohn. Und die Ilias erzählt davon, wie der schlaue Odysseus bei dem Superhelden Achill kein Gehör fand, gerade weil er so geschliffen daherredete. Erst der tumbe Krieger Ajax vermochte ihn umzustimmen. Und zwar dadurch, dass er nicht die geringste Anstrengung unternahm, Achill zu überreden. Taktisch kann es manchmal ein Nachteil sein, eine allzu brillante Rede zu halten.

Einerseits haben die rhetorischen Figuren ihre Wirkung. Sie haben sich seit zweieinhalbtausend Jahren bewährt. Wir genießen es, wenn eine Botschaft, eine Meinung, eine Mitteilung gut und griffig formuliert ist. Andererseits aber sind wir dann doch etwas argwöhnisch, wenn die Aussagen allzu feingeschmirgelt daherkommen. Dann wirken sie unecht, gekünstelt, raffiniert – aber eben nicht glaubwürdig und überzeugend. Dieser Effekt wurde schon in der Antike bemerkt – und Abhilfe ließ nicht lange auf sich warten. Überzeugender als die ausgeklügeltste Rhetorik ist der (vermeintliche) Verzicht auf Rhetorik. Wir reden „ganz natürlich“, was selbstverständlich ebenfalls ein rhetorisches Mittel ist. Jay Heinrichs, Autor und Speaker aus heutiger Zeit, hat das so ausgedrückt: „Der beste Trick besteht darin, dass die andern glauben, du arbeitest ohne Tricks.“

30Rhetorik als Infotainment

Auf der anderen Seite soll eine Rede aber auch Vergnügen machen. Sie soll die Zuhörer unterhalten und erfreuen – nicht nur belehren oder überzeugen. Auch diese Empfehlung stammt aus der Antike. Kirchenvater Augustinus übernahm sie für die Geistlichkeit und erklärte: So wie die Nahrungsmittel erst durch die Beigabe von Gewürzen schmackhaft werden, so braucht auch die Predigt Inhaltsstoffe, die vielleicht nicht nahrhaft sind, die sie aber attraktiv machen. Nur dann werden die Zuhörer sie überhaupt schlucken.

Der Vergleich ist gut gewählt. Denn wie wir ein Gericht auch überwürzen können, so lässt sich auch eine Rede dadurch ruinieren, dass wir zu viel Spiel und Spaß hineinpacken. Diese Gefahr droht ganz besonders heute, im Zeitalter von „Infotainment“ und „Gamification“. Alles soll ganz leicht, lustig und spielerisch erscheinen. Sonst schalten die Leute ab oder gar nicht erst auf Empfang. Der Redner und Rhetoriktrainer René Borbonus hat ein Zitat des Filmregisseurs Billy Wilder zu seinem Motto gemacht: „Ich habe zehn Gebote. Die ersten neun lauten: Du sollst nicht langweilen.“

Nun hat sich durch diesen Trend vieles zum Besseren verändert. Gerade im Geschäftsleben sind die Reden viel schneller, lebendiger und lockerer geworden. Steife Ansprachen sind kein Zeichen von Seriosität mehr, sondern wirken heute verstaubt, mitunter sogar lächerlich. Aber Infotainment hat seinen Preis. Gags nutzen sich ab. Überraschungseffekte zünden nur ein einziges Mal. Vor allem aber drohen die Inhalte verloren zu gehen. Nach Augustinus: Die Nahrhaftigkeit verschwindet, wenn es nur noch um die Gewürze geht. Das Publikum freut sich an den amüsanten Geschichten, den Scherzen und originellen Einfällen, doch weiß es gar nicht so recht, worauf der Redner eigentlich hinauswill.

Unterhaltsame Elemente zerstreuen die Aufmerksamkeit, sie lenken ab. Manchmal braucht man das. Das Publikum kann nicht über einen längeren Zeitraum konzentriert zuhören. Es muss sich immer wieder entspannen können. Da sind humorvolle Anmerkungen, kleine Erzählungen, ja muntere Abschweifungen durchaus willkommen. Aber sie dürfen nicht zur Hauptsache werden. Und sie sollten nicht zu weit von Ihrem Thema wegführen. Sonst haben Ihre Zuhörer Schwierigkeiten, sich wieder darauf zu konzentrieren. Eben war es doch noch so lustig. Und jetzt erzählen Sie wieder dieses trockene Zeug. Mit so einem Kontrastprogramm schaden Sie Ihren Inhalten.

31Daraus folgt zweierlei: Wenn Ihnen diese unterhaltsamen Elemente nicht so recht liegen, können Sie vollständig darauf verzichten – solange Ihre Inhalte wichtig sind. Ihre Zuhörer werden Ihnen sogar dankbar sein, wenn Sie einen klaren, gut strukturierten Vortrag halten. Dazu gehört natürlich, dass Sie die begrenzte Aufmerksamkeitsspanne berücksichtigen. Aber das können Sie eben auch auf die traditionelle Weise tun, zum Beispiel indem Sie das Gesagte noch einmal zusammenfassen. Zweiter Punkt: Es kommt Ihren Inhalten zugute, wenn Sie beim Entertainment kein Vollgas geben. Setzen Sie Ihre Geschichten, Scherze, Anspielungen und Abschweifungen mit Bedacht ein. Sie müssen Ihrem Thema dienen und immer wieder darauf hinführen.

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Die vortrefflichen Vorlesungen von Robert Sapolsky

Wie sich eine hochkomplexe Materie mit viel Humor vermitteln lässt, das zeigen die Vorlesungen des amerikanischen Neurologen Robert Sapolsky. Auch wenn sich seine Ausdrucksweise sehr weit von der Wissenschaftssprache entfernt, bleibt er immer eng am Thema und präzise in seinen Aussagen. Und sein Witz erschließt sich häufig erst, wenn man den Lernstoff verstanden hat. Beispiele (in englischer Sprache) finden Sie in seiner Vorlesung „Introduction to Human Behavioral Biology“ auf YouTube oder unter www.robertsapolskyrocks.com.

Alles dreht sich um das Publikum

Es scheint so selbstverständlich, dass ich Sie schon aufstöhnen höre. Und doch weiß es jeder, der beruflich und auf Familienfesten immer wieder Reden mitanhören muss. Gegen kaum einen anderen Grundsatz wird so häufig und hartnäckig verstoßen wie den, seine Rede auf das Publikum auszurichten. Es gibt Redner, die schauen ihr Publikum nicht einmal an (nicht einmal ein Mal!). Andere verlieren sich in Details, die sie pflichtschuldig herunterbeten, als drohten ihnen bei Nichterfüllung schwere Strafen. Oder sie dozieren in ihrer Fachsprache, obwohl im Publikum kein einziger Spezialist sitzt. Manche überziehen hemmungslos ihre Redezeit. Am eindrucksvollsten habe ich das bei der Hochzeit eines Freundes erlebt. Es war nicht einmal der Vater, sondern der Onkel der Braut, der nach einer Viertelstunde durch höflichen Beifall und verlegenes Gelächter dazu bewegt werden sollte, allmählich zum Ende zu kommen. Er redete noch über siebzig Minuten lang weiter und vergaß auch nicht, die allgemeine Weltlage zu kommentieren. Von den Anfängen bis zur Gegenwart.

32Solche endlosen Reden des Grauens sind dann doch die Ausnahme, aber sogar erfahrene Profis missachten gelegentlich ihr Publikum. Manche wissen schlicht nicht, wer da vor ihnen sitzt, oder sie haben es vergessen. Manche halten ohnehin ihren bewährten Standardvortrag, egal vor welchem Publikum. Weil sie routinierte Redner sind, kommt der Vortrag zwar immer noch leidlich gut an. Doch wäre seine Wirkung wesentlich stärker, wenn sich der Profi ein wenig mit der Frage beschäftigt hätte, wer ihm heute zuhört.

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Baseball für Deutsche

Auf einer Tagung in München hielt ein Amerikaner, ein sehr erfahrener Referent, eine muntere Motivationsrede. Im Publikum waren fast ausschließlich Deutsche, die meisten des Englischen mächtig. Sie konnten seinen Ausführungen auch gut folgen. Einziger Schönheitsfehler: Seine Rede hängte er an einem Baseballspiel auf. Auch wenn man über Deutschland ganz wenig weiß, zwei Dinge weiß man ganz bestimmt: Die Mauer ist weg. Und von Baseball haben die Deutschen keine Ahnung. Nun hätte der Redner nicht einmal sein Beispiel ändern müssen. Er hätte es nur „für Deutsche“ verständlich machen müssen. Zum Beispiel, indem er die Begriffe aus dem Baseball mit dem Fußball vergleicht, der diesen Deutschen ja wesentlich vertrauter ist. So hätte er den Eindruck vermieden, dass er nur das erzählt, was er immer erzählt – und das Publikum nur als Staffage betrachtet.

Was wissen Sie über Ihr Publikum?

Manchmal kennen wir unser Publikum recht gut. Etwa wenn wir vor Kollegen, Kunden, Verwandten oder unseren Gästen das Wort ergreifen. In anderen Fällen können wir nur Vermutungen anstellen, wen wir da vor uns haben. Das Überraschende ist, dass die Reden vor bekannten Gesichtern vielfach keineswegs besser gelingen. Man weiß schon, mit wem man es zu tun hat. Man macht von diesem Wissen nur keinen Gebrauch. Womöglich liegt es daran, dass wir in diesen Fällen einfach gar nicht näher über das Publikum nachdenken. Weil es uns so vertraut ist.

Doch hängt der Erfolg unserer Rede davon ab, ob wir unser Publikum erreichen, die Leute, die da vor uns sitzen und für die unsere Rede bestimmt ist. Sie müssen mit unserer Rede etwas anfangen können, sie verstehen, irgendeinen Nutzen daraus ziehen. Bereits wenn wir die Rede vorbereiten, sollten wir uns drei Fragen stellen:

Natürlich sind unsere Antworten nur Vermutungen und sehr ungefähre Einschätzungen. Das liegt in der Natur der Sache. Es reicht auch vollkommen aus. Wir müssen gar nicht so genau wissen, was in den Köpfen unserer Zuhörer vor sich geht. Doch helfen uns die drei Fragen, dass unsere Rede gelingen kann. Und diese sehen wir uns jetzt genauer an.

Das Vorwissen des Publikums

Wie gut kennt sich Ihr Publikum in dem Thema aus, über das Sie sprechen? Das sollten Sie wissen, damit Sie die Zuhörer nicht überfordern, aber auch nicht langweilen. Denn wenn Sie ihnen Erkenntnisse auftischen, die sie bereits kennen, stehlen Sie ihnen nur die Zeit. Warum höre ich mir das überhaupt an, fragen sie sich zu Recht und schalten innerlich ab. Auch hat der Wissensstand des Publikums starken Einfluss darauf, wie Sie Ihre Rede einleiten. Häufig sollten Sie die Zuhörer erst einmal auf Ihr Thema einstimmen und ihnen zeigen, dass es für sie wichtig ist. Haben Sie jedoch ein Publikum vor sich, das bereits großes Interesse mitbringt, steigen Sie besser gleich in die Thematik ein – ohne langen Anlauf.

Sprechen Sie als Experte vor einem Laienpublikum, lassen sich Fachbegriffe oft nicht ganz vermeiden. Das müssen Sie auch gar nicht. Was Sie aber für Ihre Zuhörer tun sollten: jeden Fachbegriff erklären. Und zwar so, dass sich jeder im Publikum etwas darunter vorstellen kann. Auch wenn die Wirklichkeit viel komplizierter ist und Ihre Fachkollegen über solche groben Vereinfachungen den Kopf schütteln würden. Für sie sind die Erklärungen auch nicht gedacht.

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„Ich vereinfache jetzt mal stark …“

Vielleicht fühlen Sie sich bei manchen Erklärungsversuchen nicht ganz wohl. So simpel ist es ja eigentlich gar nicht. Die Zuhörer könnten falsche Schlussfolgerungen ziehen. Wie können Sie das vermeiden? Teilen Sie ruhig mit, dass Sie jetzt „unzulässig vereinfachen“ oder eine Erklärung „für den Hausgebrauch zusammenstricken“. Ihre Zuhörer werden es Ihnen danken, dass Sie sich bemühen, das Komplizierte so einfach wie möglich zu machen. Endlich erklärt es mal jemand so, dass sie es halbwegs verstehen.

34Die Wertvorstellungen des Publikums

Niemals dürfen Sie die Wertvorstellungen Ihrer Zuhörer ignorieren. Auch und gerade dann nicht, wenn Sie vor einem Publikum sprechen, dessen Einstellung Sie nicht teilen. Das müssen Sie auch gar nicht. Und Sie müssen auch nicht den Eindruck erwecken, als würden Sie das tun. Aber Wertvorstellungen lassen sich nicht diskutieren oder in einer Rede mal eben so über den Haufen werfen. Die Kunst besteht gerade darin, ein Publikum zu erreichen, das in bestimmten Fragen ganz anders denkt als Sie. Das gelingt nur, wenn Sie die Wertvorstellungen Ihres Publikums kennen und sie respektieren.

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Als Vegetarierin vor der Metzgerinnung

Sabine Dross ist Ernährungsexpertin und Vegetarierin. Sie soll einen Vortrag über gesunde Ernährung halten – vor der Metzgerinnung. Die ahnt nichts von ihren fleischlosen Vorlieben. Aber sie spielen in ihrem Vortrag auch überhaupt keine Rolle. Frau Dross weiß, sie findet überhaupt nur dann Gehör, wenn sie den Konsum von Fleisch nicht grundsätzlich infrage stellt. Das heißt keineswegs, dass sie ihre Einstellung verleugnet – ihre Einstellung spielt in ihrem Vortrag nur keine Rolle.

Dabei müssen wir unterscheiden: Selbstverständlich können Sie eine Position vertreten, die im Publikum niemand teilt. Aber Sie sollten nicht die Wertvorstellungen der Zuhörer verletzen. Sonst stoßen sie nur auf starke Ablehnung. Sie verhärten die Fronten, statt sie aufzulösen. Sie werden nur Verständnis finden, wenn Sie Ihre Position mit den Wertvorstellungen der anderen in Einklang bringen. Gibt es da einen Widerspruch, können Sie versuchen, andere Wertvorstellungen ins Spiel zu bringen. Solche, die Ihr Gegenüber teilt. Ohne diese gemeinsame Grundlage gibt es keine Verständigung. Ihre Rede ist buchstäblich sinnlos.