Der gute Fra Checco und andere Geschichten

 

Der gute Fra Checco

Erstes Kapitel.

Er war wirklich gut! Alle Welt sagte es. In ganz Italien gab es keinen besseren Kapuzinerfrater als ihn, den »guten Fra Checco«. Man nannte ihn so hinter seinem Rücken und ihm ins Gesicht hinein, darin jede Miene sagte: »Seht mich an, ihr lieben Leute. Seht mich recht genau an. Ich bitte euch herzlich. Ihr müsst mir's ja doch vom Gesicht ablesen, wie gut ich bin. Keinem Würmlein am Wege könnte ich ein Leides zufügen. Wahr und wahrhaftig nicht! Für diese sündige Welt bin ich ein viel zu guter Mensch. Ihr dürft mir's glauben.«

Als wir ihn kennen lernten, war der gute Fra Checco überdies noch ein recht stattlicher Mann. Die dunkelbraune Kutte des großen Heiligen von Assisi kleidete den wackeren Bruder vortrefflich. Er hielt sein grobes Gewand der Demut äußerst reinlich, ängstlich darauf achtend, dass sein äußerer Mensch dem inneren gleichkam. Seine Sorgfalt dehnte sich sogar auf den Strick aus, womit er sein braunes Kleid gürtete: niemals zu hoch! Der Strick war stets von tadelloser Weiße und geradezu mit Grazie geknotet. Selbstredend steckten seine nackten wohlgeformten Füße – sie leuchteten in schönster Bronzefarbe – in den saubersten Sandalen. Diese bestanden freilich aus harter Rindshaut und waren von dem guten Bruder selbst verfertigt. Trotzdem mussten sie für wahre Wunder von Mönchsschuhen gelten, und so zierlich, als sollten sie die Füßlein einer reizenden jungen Dame bekleiden.

Als wir den Würdigen kennen lernten, stand er gerade im besten Mannesalter. Sein dichter, kohlschwarzer Bart umrahmte ein hübsches braunes Gesicht, das, trotz der Armut seines Bergklösterleins, recht wohl genährt war, und darin die dunklen südlichen Augen je nach Bedarf bald reinste Nächstenliebe, höchste Gottesfurcht und tiefste Demut, bald lustige Laune oder ehrenfeste Biedermännigkeit ausdrückten.

Der gute Fra Checco sammelte jahraus jahrein für sein Kloster Almosen ein. Weniger infolge dieses Gott wohlgefälligen Amtes, als vielmehr seiner menschenfreundlichen, achtbaren und herzgewinnenden Persönlichkeit willen war er weit und breit bekannt. Er besaß zur Popularität ein Genie, um das ihn ein Monarch von Gottes- und ein Reichstagsabgeordneter durch Volkesgnaden beneiden konnte. Dabei stand er so himmelhoch über allen Parteien, von denen sein schönes Vaterland, das einige Italien, zerrissen wird, dass sein reines Gemüt den liberalsten, also gottlosesten katholischen Christen mit derselben Nächstenliebe umfasste, wie das gläubigste Mitglied seiner großen Gemeinde. Er heischte demnach sein Scherflein ebenso gut von der frommsten Witwe, wie von dem fanatisiertesten Antiklerikalen – und von beiden ward ihm gegeben! Von dem einen allerdings häufig unter gräulichen Gotteslästerungen; aber gegeben ward ihm, und er, der wahrhaft Gute, steckte die Verwünschungen und wütenden Ausfälle gegen sein Kleid und seinen Gott mit derselben echt christlichen Demut und Bonhomie ein, wie die Soldi.

Jeden frühen Morgen, den Gott schuf, besuchte Fra Checco, nachdem er mit größter Inbrunst der ersten Messe beigewohnt hatte, die große Klosterküche – darin leider gar selten etwas Gutes gebraten oder gebacken ward, holte sich daselbst die von ganz Frascati gekannte dickbauchige, glänzende Blechkapsel, begab sich damit in den »Orto«, den klösterlichen Gemüsegarten, und ließ sich vom Bruder Gärtner sein umfangreiches Gefäß bis zum Rand mit Salat füllen; denn er, Fra Checco, nahm kein christliches Almosen umsonst.

Dieser Salat, den Fra Checco an alle, die ihm gaben, mit vollen Händen austeilte, war so berühmt, so populär, wie er selbst. Es war aber auch ein Salätlein! Auf Gottes weiter, schöner Welt konnte nur Klostersalat so zart, so aromatisch, mit einem Wort, so köstlich sein! Aus neunerlei Kräutern war er gemischt, in einer Zusammenstellung, einer Komposition der verschiedensten Qualitäten, die einem Lucius Lucullus Ehre gemacht hätte.

Seinen kühlen schimmernden Behälter wohlgefüllt, sein fleckenloses geistliches Gewand wohlgeschürzt, sein hübsches würdiges Antlitz förmlich leuchtend vor Gottesfurcht und Menschenliebe, wandelte Fra Checco gelassenen Schrittes, fromm-vergnügt durch den frühen Morgen den hohen Berg hinab, auf dessen Gipfel sein liebes Kloster inmitten ausgedehnter prächtiger Ölwälder thronte. Es mochte ein strahlender Tag sein, oder der Regen in Strömen fließen, mochte Frühlingsluft wehen, oder die Tramontana heulen, sengender Sommerbrand oder eisige Winterkälte sein – jeden frühen Morgen wandelte der Gute den Berg hinab; denn der Klostergarten gedieh zu jedweder Jahreszeit. Er kam, und wo die schokoladenfarbene Kutte erschien, das Blechgefäß leuchtete, das Antlitz des Würdigen sich zeigte – überall hieß es freudig: »Der gute Fra Checco ist da!«

Aber er gab nicht allein von seinem wundersamen Salat, sammelte nicht allein christliche Spenden – die er nur in bar annahm, er erteilte auch in allen weltlichen und geistlichen Angelegenheiten dieser Erde klug-frommen Rat. Mit besonders inniger Vorliebe und besonders starkem Erfolg übte er seine geistliche Tätigkeit auf irdischem Gebiet aus. Er versöhnte hadernde Ehegatten und schmollende Liebesleute; er vereinte streitende Parteien, ganz gleich welcher Richtung; er vermittelte Käufe von Wein, Öl und allen sonstigen Dingen, die überhaupt zu kaufen und zu verkaufen waren; er deutete Träume, prophezeite das Wetter, sagte Zahlen aus, die im Lotto und bei der Tombola unfehlbar gewinnen mussten – wenn die Seelen der Spielenden frei von jeglicher Schuld und Sünde waren. Er wusste, was niemand sonst wusste. Er kannte tausend Mittel und Mittelchen, erzählte die rührendsten heiligen Legenden, die schaurigsten Geistergeschichten, die lustigsten Schwänke und wurde dafür geliebt, verehrt, überall mit lautem Jubel willkommen geheißen, erhielt dafür Almosen, wie weit und breit kein anderer Kapuziner, der seinen Beruf auf Erden doch auch recht wacker erfüllte.

Jeden Sonnabendvormittag erschien er bei uns in der Villa Falconieri, und jeden Sonnabend freuten wir uns auf seine Ankunft. Brachte er uns doch nicht allein den köstlichsten aller Salate, der in einem römischen Klostergarten gediehen war, sondern zugleich mit den würzigen Kräutern seine ganze prächtige Person, die in unserm Hause längst eine zu diesem gehörende Gestalt geworden war.

Häufig stand ich, ihn erwartend, am Fenster meines Arbeitszimmers; denn es gewährte mir immer großes Vergnügen, den stattlichen Mönch aus den strahlenden Lichtfluten des freien Vorhofs durch das hohe Portal in die tiefen Schatten der Steineichen treten und die breite Allee langsam dahinwandeln zu sehen, von den Weibern und Kindern der in der Villa beschäftigten Arbeiter und unsern Dienstleuten mit Fanatismus begrüßt.

Da ich mich gern mit ihm unterhielt, so musste er mir stets gemeldet und – hatte ich nicht gerade ungewöhnlich viel zu jedes Mal: »Ecco Fra Checco!« Und ich setzte jedes Mal ergänzend hinzu: »Il buono Fra Checco!« Denn – man kann mir aufs Wort glauben, es gab keinen Besseren!

Wenn ich den Guten sprechen konnte, so kam er in mein Arbeitszimmer, nahm behaglich Platz, schlürfte gemütlich ein Glas besten Frascataners – er liebte nur süßen Wein, und schmauchte dazu schmunzelnd eine »Cavour«. Dann plauderten wir gar gemütlich.

Was erfuhr ich nicht alles von ihm! Ganze Novellenbände, die für mich nur den einen Fehler besaßen, dass es ihrer zu viele waren, um sie samt und sonders aufschreiben zu können. Da jedoch die ungeschriebenen Gedichte die schönsten sein sollen, so sind meine ungeschriebenen »römischen Dorfgeschichten« sicher meine besten.

Und wie Fra Checco erzählte! Man muss ihn gehört und – gesehen haben. Der gute Fra Checco erzählte, wie der geniale Ermete Zacconi spielt. Ich erlebte sein Erzähltes, sah es vor mir sich gestalten, vor mir sich ereignen. Meine armselige Schreiberkunst kam gegen sein Meistererzählen gar nicht in Betracht. Er war im Erzählen ein Wilhelm Shakespeare. Das war er, mein guter Fra Checco!

Einen seiner Besuche werde ich niemals vergessen. Es war eines Frühlingstags, und er kam in Begleitung eines blutjungen Priesters, des Padre Generoso da Tivoli.

Dieser junge Gottesdiener war ein Mensch mit schönem, ernsthaftem, etwas zu ernsthaftem Gesicht und von stillem, strengem, etwas zu strengem Wesen. Ich hatte den Jüngling gern, und in meiner Freude über seinen Besuch ließ ich von unserm Allerbesten auftragen: einen Marinesen von fast schwärzlichem Purpur, süß und schwer, den Trinker wie ein Feuerstrom durchglühend.

Wir tranken und plauderten. Der ernste Pater Generoso kostete nur aus Höflichkeit, redete nur aus Freundlichkeit; der gute Fra Checco leerte Glas auf Glas, erzählte Geschichte auf Geschichte. Darauf entspann sich zwischen ihm und mir folgendes Gespräch: »Hört, Sor Riccardo!«

»Ich höre, Fra Checco.«

»Ihr reitet jetzt oft ins Molaratal?«

»Sehr oft.«

»Ihr solltet Euch aber doch etwas in acht nehmen.«

»Wieso?«

»Denn Ihr reitet immer allein.«

»Immer.«

»Seht Euch vor.«

»Weshalb?«

»Die Gegend ist nämlich wieder einmal gar nicht recht sicher.«

»Ich fürchte mich nicht.«

»Immerhin solltet Ihr Euch vorsehen,«

»Das kann ich freilich.«

»Ihr nehmt hoffentlich keinen Revolver mit?«

»Nein.«

»Das ist recht.«

»Es ist etwas leichtsinnig.«

»Die Waffe würde Euch nämlich nichts nutzen.«

»Gar nichts?«

»Nicht das Geringste.«

»O, wirklich?«

»Sie würde euch im Gegenteil schaden. Denn bevor Ihr mit Eurer Pistole anlegen, zielen und schießen könntet, wäret Ihr bereits ein toter Mann.«

»Freilich! Eure braven Landsleute nehmen es mit einem Menschenleben nicht allzu genau.«

»Ganz und gar nicht. Aber was wollt Ihr? Es ist nun einmal so.«

»Ja, so ist es. Ihr und ich ändern nichts daran.«

»Gar nichts.«

»Da hier zu Lande ein Totschläger nur in den Buschwald zu gehen braucht –«

»Freilich.« »Und da die Polizei mit Suchen sich überhaupt nicht sehr anstrengen würde –«

»Nicht sehr.«

»Und da schließlich auch die Kirche dem Verbrecher seine Sünden vergibt –«

»Nun ja: schließlich.«

»Trotzdem werde ich dabei bleiben, auf meinen einsamen Ritten keine Waffe mit mir zu nehmen.«

»Es dürfte für Euch entschieden das Beste sein.«

»Möglich, dass Ihr recht habt.«

»Und hört, Sor Riccardo.«

»Ich höre, guter Fra Checco.«

»Führt immer Geld bei Euch.«

»Wieviel?«

»Nicht zu viel. Fünfzig Lire genügen.«

»Glaubt Ihr?«

»Mit fünfzig Lire werden sie zufrieden sein.«

»Die Briganten?«

»Wenn Ihr sie sonst als Galantuomini behandelt.«

»Die Schufte?«

Ein unbeschreibliches Lächeln glitt über das hübsche Gesicht des Guten, der mit diesem glanzvollen Leuchten auf seinem Antlitz einen geradezu liebenswerten Anblick bot. Mit der heitersten Gelassenheit und zugleich tiefsten Überzeugung wiederholte er seine Meinung über die Art, wie ich – für den Fall einer Begegnung, mit jenen angenehmen Herren umgehen sollte: »Behandelt sie als Ehrenmänner, und sie werden sich mit fünfzig Lire begnügen. Auch mit dreißig, wenn Ihr ausnehmend höflich seid.«

»Ich werde mir, Eurem Rat zufolge, die erdenklichste Mühe geben, die verdammten Ohrenabschneider durch ein rücksichtsvolles Benehmen zufrieden zu stellen.«

Wiederum das Lächeln, womöglich noch menschenfreundlicher, noch heiterer, noch strahlender.

»tun. Ja! Und folgt meinem Rat, unausgesetzt scharf achtzugeben, wenn Ihr ausreitet. Auf der geraden Landstraße, und wenn Ihr über ein weites Feld reitet, werdet Ihr sicher sein. Aber die Hohlwege! Teurer Sor Riccardo, hütet Euch vor den Hohlwegen! Zumal wenn die Straße in diesen Engpässen eine Biegung macht. Da ist ein Felsenpass bei Zagarola, ich sage Euch, ein wahres Paradies für die römischen Briganten! Rechts kirchturmhohe Wände, links kirchturmhohe Wände, die Straße schmal und immerfort in Windungen führend. Einfach prachtvoll für einen römischen Briganten, sage ich Euch.«

Ich kannte die Stelle. Sie zu passieren, galt noch Mitte dieses Jahrhunderts für geradezu lebensgefährlich. Dabei ist es die große Landstraße, die von Rom über Palestrina nach Neapel führt. Täglich Gräueltaten und – die päpstliche Regierung ließ es geschehen!

Allerdings wurde an dem bedenklichsten Punkt der Passage der rettenden Gottesmutter ein Heiligtum erbaut; aber die holde Himmelskönigin, die im Bildnis über der bangen Stelle schwebte, hielt ihre Arme vergeblich zum Schutz ausgestreckt. Nur, dass mancher Überfallene seinen letzten Seufzer auf der Schwelle des Kirchleins aushauchen konnte. So war es damals – so kann es auch heute noch sein.

Mein guter Fra Checco schlürfte den süßen blutroten Marineser, der vor ihm glühte, den seltenen Wein mit Kennermiene genießend, zog sein mächtiges, dunkelblaues Taschentuch aus dem linken Ärmel seiner Kutte, wischte sich umständlich die feuchten Lippen, nahm – um das Glück des Augenblicks vollkommen zu machen, aus seiner großen hübschen Olivenholzdose eine Prise und fuhr in seinen freundschaftlichen Ratschlägen fort: »Also, die Straßenbiegungen im Hohlweg! Passiert sie langsam und vorsichtig. Wenn dann plötzlich bei einer Wendung zwei oder drei Männer vor Euch stehen, die Gesichter entweder mit Ruß geschwärzt oder bis zu den Augen hinauf mit Tüchern verbunden, den Hut tief in die Stirn gedrückt, die Büchse mit gespanntem Hahn vorhaltend, dann – dann, teuerster Sor Riccardo, behandelt sie im Namen der Madonna als Galantuomini.«

Ich musste lachen. Und lachend sagte ich: »Mein guter Fra Checco, Ihr wisst ja mit der Sache so trefflich Bescheid, als ob Ihr in Eurem Leben einmal selbst ein Brigant – ein Galantuomo, gewesen wäret.«

Ich sagte das, wie ich nochmals bemerke, lachend; aber da geschah etwas Seltsames! Fra Checco, der gute Fra Checco, der prächtige Fra Checco, mein alter lieber Hausfreund, der menschenfreundlichste Kapuzinermönch unter der Sonne Italiens, die populärste Persönlichkeit in der ganzen Provincia romana – nur Vater Garibaldi und Francesco Crispi nahmen es in dieser Hinsicht mit ihm auf, fasste meinen schlechten Witz vollkommen ernsthaft auf; denn vollkommen ernsthaft antwortete er mir: »Freilich war ich Brigant! Im Volskergebirge! Fünfzehn Jahre!«

 

Zweites Kapitel

Fünfzehn Jahre Brigant im Volskergebirge unser alter Hausfreund, der beste und frömmste aller Kapuzinerbrüder, mein guter Fra Checco!

Und das träumte ich nicht? Das war Wirklichkeit?

Es war's!

Und Wirklichkeit war das heitere harmlose Antlitz! Nämlich sein, des ehemaligen volskischen Briganten, Angesicht! Ja, und nicht allein, dass der gute Fra Checco lächelte, es lächelte auch sein Gefährte, der sonst so ernsthafte, fast strenge junge Priester Padre Generoso da Tivoli.

War das möglich?

Ich lebte doch wahrhaftig lange genug in der Villa Falconieri bei Frascati, verkehrte dort in der Tat lange und intim genug mit diesem Volk, hatte doch gewisslich Gelegenheit genug gehabt, das Sichwundern zu verlernen – aber dennoch und dennoch: diesmal wunderte ich mich.

Geradezu verblüfft war ich über das so überaus heitere, so ungemein harmlose, so wahrhaft leuchtende Lächeln meiner beiden Gäste, die in ihren dekorativen geistlichen Gewändern vor mir saßen und von denen der eine behaglich meinen prachtvollen blutroten Marineser schlürfte, soeben eine frische »Cavour« sich ansteckte und mit seinem Gott sowohl, wie mit der ganzen Welt – am meisten jedoch mit sich selbst, ungeheuer zufrieden zu sein schien.

Nachdem ich mich von meinem Staunen einigermaßen erholt hatte, begann ich den guten Fra Checco über seine langjährige Brigantenkarriere – über seine Laufbahn als »Ehrenmann«, auszufragen: und ich fragte mit einem Gesicht, das auch möglichst heiter, möglichst harmlos, möglichst lächelnd war: »Also, mein lieber, guter Fra Checco, Ihr wart fünfzehn Jahre dort drüben im Volskergebirge Brigant?« »Nun ja, Sor Riccardo.«

»Es war wohl recht angenehm?«

»So, so.«

»Ihr scheint aber doch – nach Eurem heutigen Wohlbefinden zu schließen, auch schon damals ein ziemlich vergnügtes Leben geführt zu haben?«

»Gerade kein schlechtes.«

»Wie kamt Ihr eigentlich dazu, Brigant zu werden?«

»Ich ward es eben.«

»Ach so!«

»Ihr versteht –«

»Nun ja, ich verstehe! Wie einer Schneider, ein zweiter Schuster, ein dritter Zimmermann oder Maurer wird, so wurdet Ihr eben Brigant?«

»So wurde ich eben Brigant.«

»Ihr nahmt das Ding in Gottes Namen für ein Handwerk?«

»Seht Ihr!«

»Ihr meint: ich verstünde Euch?«

»Freilich.«

»Und weil das Banditenhandwerk damals seinen Mann am besten – wenigstens am leichtesten, ernährte, so wurdet Ihr eben Bandit, hättet aber genau so gut Schuster, Schneider, Zimmermann oder Maurer werden können. Stimmt's?«

»Altro!« (Das Wort ist für mich unübersetzbar.)

»Ich verstehe immer besser.«

»Ausgezeichnet, Sor Riccardo.«

»Was ich fragen wollte –«

»Fragt nur.«

»Und das Handwerk ernährte Euch wirklich gut?«

»Danke. Ich war zufrieden. Der Mensch muss eben zufrieden sein.«

»Standen die guten Heiligen Euch denn nicht zur Genüge bei?«

»Es hätte zu Zeiten besser sein können.«

»Bedaure.«

»Manchmal freilich standen uns die Heiligen bei.«

»Freut mich.«

»Wir ließen aber auch genug Messen lesen, beteten eifrig taten Wallfahrten und leisteten Gelübde.«

»Darum, dass Ihr Euren lieben christlichen Nächsten mit des Himmels Segen glücklich berauben und abstechen konntet?«

»Eh! Che volete?«

Auch das kann ich nicht in mein geliebtes Deutsch übertragen. Und zu diesem Ausruf die Gebärde, der Blick, das Spiel der Hände – man musste es von meinem guten Fra Checco gehört, musste ihn gesehen haben!

Er sagte es noch einmal: » Che volete, Sor Riccardo?«

Nach einer kleinen Pause innerlicher Erholung bat ich ihn: »Tut mir einen Gefallen.«

»Von Herzen gern.«

»Ihr habt doch noch etwas Zeit?«

»Ein Weilchen könnte ich heute noch bleiben.«

»Auch Padre Generoso?«

Auch Padre Generoso brauchte noch nicht zu gehen.

Ich stand auf, ging, zog die Klingel, eine unserer Donnen erschien und fragte nach meinem Begehr.

»Einen frischen Fiasko! Aber von demselben süßen Roten. Und hört! Ich bin für niemand zu Hause.«

Der Fiasko wurde gebracht und ward vor uns auf den Tisch gestellt. Ich füllte die Gläser, trank meinen Gästen zu, zündete mir eine Zigarette an und forderte Fra Checco nochmals auf, mir aus seinem – etwas sehr bewegten Weltleben zu erzählen.

So recht behaglich im Armsessel zurückgelehnt, erzählte er. Und – ich kann es nicht oft genug staunend, bewundernd sagen, wie erzählte er! Vom Scheitel bis zur Sohle ein großer Komödiant, Zoll für Zoll ein König seiner Kunst, ein zweiter Zacconi.

Wiederum erlebte ich, was ich hörte; und ich erlebte es mit stockendem Atem, mit stark pochendem Herzen, fiebernden Pulsen – schaudernder Seele. Aber so tragisch der Inhalt seiner Erzählungen war, so dramatisch er diese vortrug, stand doch der Meister hoch über seinem Stoff, geradezu himmelhoch. Eine olympische Ruhe, eine selige Heiterkeit schwebte über allem, dass sogar der heiße feuchte Blutdunst, der seinen Geschichten entstieg, sich in die leuchtenden Lüfte des Südens verlor und die goldene Sonne Roms auch das Haupt dieses – Gerechten bestrahlte. Denn dem Erzähler kam nicht in den Sinn für etwas anderes, als für einen ehrlichen Handwerker sich zu halten, der sein tägliches Brot im Schweiße seines Angesichts redlich verdiente, gerade so gut, als wäre er Schuster, Schneider, Zimmermann oder Maurer geworden.

Er fühlte sich durchaus als nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft, als guter Staatsbürger, frommer Christ und ehrenwerter Mann, überdies Zoll für Zoll als Galantuomo.

Von Fra Checco, des guten Fra Checco Räubergeschichten seien in folgendem zwei seiner Abenteuer mitgeteilt, nur zwei! Ich denke jedoch, sie werden genügen.

Der gute Fra Checco erzählte:

 

Drittes Kapitel

»Wir lagen also dort drüben im Volskergebirge und waren unser wohl zwanzig Mann. Eher einer mehr als weniger.

Für einen ehrlichen Briganten, der ein ›Galantuomo‹ sein will, waren die Zeiten nicht gerade günstig. Unser heiliger Vater war in Rom der Gefangene von Banditen geworden, die keine ›Galantuomini‹ waren. Pius IX. saß im Vatikan, Viktor Emanuel okkupierte den Quirinal, und die guten Heiligen ließen die beiden auch ruhig sitzen: den einen drüben, den andern hüben.

Sie hätten wahrlich wieder einmal ein Wunder tun und unsern Heiligen Vater befreien können.

Aber es sollte ja wohl eine neue Zeit kommen? Nicht allein für Rom, sondern auch für die Volskerberge.

Was wohl diese mit der neuen Zeit zu tun hatten? Es war jedoch so. Selbst die Briganten sollten aus dem Volskergebirge fortgeschafft werden. Als ob sie nicht noch heute drinnen wären? Ebenso gut könnte die neue Zeit die Berge aus dem Volskergebirge wegbringen.

Indessen, neue Besen kehren bekanntlich gut. Das neue einige Königreich Italien kehrte ganz Italien aus. Nachdem es den Kirchenstaat rein aus der Welt gefegt hatte, kamen die Klöster an die Reihe. Wie die flogen! Hinaus damit! Fort mit dem Gerümpel, dem Kehricht, dem Unrat! Als gäbe es heute nicht Klöster und Mönche wieder genug im einigen Königreich Italien? Also: auch wir ehrlichen Banditen sollten an den neuen Gott im Quirinal glauben müssen. Trotzdem wir genau das Nämliche wollten und taten, was jener wollte und tat: auf der Welt etwas mehr Ordnung schaffen, damit es darin etwas weniger Hungrige und mehr Satte, etwas weniger Arme und mehr Reiche, mit einem Wort, mehr Gleichheit und Gerechtigkeit auf Erden gab, sollten wir dennoch unser ehrliches Handwerk aufgeben.

So kam denn nach den frommen Vätern und Brüdern unwiderruflich die Reihe an uns.

Jagd machten sie auf uns, als wenn wir keine guten katholischen Christen, sondern Hasen wären. Eine ganze Koppel der bunten Bluthunde von Karabinieri ließen sie auf uns los.

Hei, wie die uns hetzten!

Ich war ein blutjunges Bürschlein, gerade Zwanzig geworden. Aber schon seit drei Jahren betrieb ich das Handwerk. Seit drei Jahren hatte ich unter keinem andern Dach als dem Gewölbe des Himmels geschlafen, hatte ich an keinem andern Tisch gesessen, als an dem, der uns von der Natur gedeckt wurde. Mein Schutzpatron, der heilige Rocco, hatte mich stets beschützt. So war ich denn auch jetzt ohne Furcht, als die verdammten Karabinieri Jagd auf uns anstellten.

Aus den Felsenbergen, in denen wir uns so sicher wähnten, als lägen wir in Vater Abrahams Schoß, trieben sie uns in den Buschwald unterhalb der kleinen Stadt Sermoneta. Nun, auch dort waren wir gut aufgehoben! Denn es war bisher noch nicht vorgekommen, dass ein wackerer Brigant in der Monarchie nicht zu jeder Tageszeit ungestört sein Schläfchen hätte halten können.

Aber diese Häscher des Herrn Viktor Emanuel drangen selbst in die Wildnisse unserer Wälder, spürten uns selbst dort auf, jagten uns aus den schützenden Dickichten hinaus in die offenen pontinischen Sümpfe. Es war, als hätten sie den Teufel im Leibe, der ja auch freilich ihren Savoyer König auf den Thron gebracht hatte.

Einige von uns entwischten. Auch mich bekamen sie nicht. Es stand mir daher frei, den glücklich Entkommenen nachzulaufen und mich vor den Sbirren zu retten. Das wäre jedoch feig gewesen, und ein guter Brigant ist und bleibt ein wahrer Galantuomo. Den Kameraden, die die bunten Hunde des Königs aus dem Buschwald vertrieben hatten, wollte ich nach; ihr Schicksal wollte ich teilen – bei St. Rocco, das wollte ich!

Bereits war ich bis an den Saum der Macchie gelangt, und noch befand ich mich in den Dickichten sicher geborgen.

Vor mir lag ein weites, freies Feld. Kein Baum und kein Strauch darauf! In der Mitte erhob sich eine Hirtenhütte aus trockenen Ginsterstauden. In diese hatten sich meine Kameraden geflüchtet, und die Karabinieri hatten die Kapanna umzingelt. Ich sah es auf den ersten Blick: die Briganten waren verloren! Nach meiner Schätzung mussten es ihrer zwölf Mann sein, darunter unser tapferer Hauptmann Pier' Leone.

Nun hätte ich hinlaufen und mich mit den andern verloren geben können; aber – ohne letzte Beichte, ohne letztes Sakrament wie ein Heide aus dem Leben zu gehen. Ja, würden die Teufel mich als guten Christen sterben lassen? Sie hätten mich ja niedergeschossen, wie einen tollen Hund. Und das durfte ich weder meinem lieben heiligen Schutzpatron, noch meiner armen sündigen Seele antun. Ich durfte nicht!

Also blieb ich denn in Gottes Namen am Rande des Buschwalds unter einem dichten Myrtengebüsch. Von diesem Versteck aus sah ich alles. Ich sah zu, wie meine Kameraden als Galantuomini starben, als Helden, als Märtyrer!

Und sie hätten am Leben bleiben, hätten zum mindesten vor ihrem ruhmvollen, aber unchristlichen Tode das letzte Sakrament empfangen können –

Sie sollten sich ergeben, rief der Hauptmann von den Karabinieri ihnen zu. Auf Gnade und Ungnade sollten sie sich ergeben! Verloren wären sie ja doch auf dem freien Felde, in der einsamen Hirtenhütte, von der ganzen königlichen Blutbande umzingelt.

Aber sie wollten sich nicht ergeben; sie wollten fallen, den Heldentod sterben.

›Nehmt Vernunft an und ergebt euch! Es bleibt euch ja doch nichts anderes übrig.‹

Aber sie wollten nicht. Daraufhin ließen sich die Königlichen herbei, mit den Briganten zu verhandeln. ›Wenn ihr euch ergebt, sollt ihr am Leben bleiben.‹

Ja, wohl blieben sie da am Leben: bis an ihr Lebensende im Bagno! Zeit ihres Lebens in Ketten geschmiedet! Ein freier Brigant, ein König der Felsenberge und Vollstrecker göttlicher Gerechtigkeit auf Erden, von der irdischen Gerechtigkeit dem schändlichsten Verbrecher gleichgestellt!

Sie wollten und wollten nicht am Leben bleiben! Als tapfere Briganten wollten sie sterben, als Helden und Märtyrer. Ihre Antwort auf die schmachvolle Aufforderung der Königlichen war, dass sie aus der Hütte auf die Bluthunde schossen. Der Hauptmann der Römer fiel. Er ward mitten ins Herz getroffen.

Jetzt wurden die Sbirren wild. Sie schossen wieder; sie schossen die Hütte in Brand.

Eine Flammensäule stieg auf.

Nun jubelten die bunten Bestien: ›Jetzt haben wir sie! Jetzt müssen sie heraus! Jetzt räuchern wir sie aus!‹

Aber ich kannte sie besser. Gleich wusste ich: heraus kommen die nicht! Lebendig nicht! Eher lassen sie lebendigen Leibes sich verbrennen, als dass sie lebendigen Leibes sich ergeben! Noch dazu diesen Königlichen! Ja, wären es noch aus der alten guten Zeit die Päpstlichen gewesen. –

Es war ganz stille geworden. Nur das Prasseln der Flammen wurde gehört bei dem großen Mittagschweigen. Stumm standen die Karabinieri um die brennende Hütte. Jeden Augenblick erwarteten sie, die Briganten aus den Flammen hervorsteigen zu sehen. Sie warteten, warteten. –

Und immer noch das Prasseln der Flammen!

Sonst kein Laut.

Die Königlichen standen immer noch stumm, und – immer noch warteten sie.

Dann aber warteten sie nicht mehr – –

Die brennende Hütte war zusammengestürzt. Ein hoher, glühender Haufen, dem dichter, grauer Qualm entstieg, lag auf dem weiten, freien Feld: das feurige Grab von einem Dutzend tapferer Briganten.

Doch was geschah nun?

Einige von den Königlichen begaben sich eilends fort, die übrigen gingen in die Macchie, hieben mit ihren Dolchmessern junge Steineichen ab, entlaubten sie, kehrten zu der Brandhütte zurück, warfen mit den Stangen die rauchenden Reste der Kapanna auseinander, zogen die verkohlten Leichname der Helden aus ihrem glühenden Grabe heraus.

Ich hatte richtig gerechnet: zwölf Leichname waren es!

›Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs –‹ Fast laut zählte ich, bis das Dutzend voll war.

Gegen Abend kamen die Karabinieri, die vom Feld sich entfernt hatten, wieder zurück. Auf Ochsenkarren führten sie Holzwerk mit sich. Es schienen Balken zu sein; aber es waren hohe Kreuze, welche die Henker des Königs Viktor Emanuel in Sermoneta gezimmert hatten.

Wozu bedurften sie der Kreuze? So vieler? Jesus Christus war ja doch schon auf Golgatha ans Kreuz geheftet worden.

Inzwischen zählte ich diese Kreuze: ›Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs –‹ Fast laut zählte ich, bis das Dutzend voll war; denn es waren zwölf Kreuze.

Doch wozu die zwölf Kreuze?

Ich sah es!

Sie nahmen die Leichname der Verbrannten und schlugen die verkohlten Leiber ans Kreuz. Ein volles Dutzend toter Helden wurde auf dem Feld von Sermoneta von den königlichen Knechten gekreuzigt!

Ich sah es! Mit diesen meinen Augen –

Und was weiter?

Man wird es mir nicht glauben, und doch war's so. Wahr und wahrhaftig, so war es! Sie luden die zwölf Gekreuzigten auf den Ochsenkarren, fuhren damit fort, fuhren nach Sermoneta. Dort, auf dem Marktplatz vor dem Dom, richteten sie die zwölf Kreuze auf: nachdem sie damit den ganzen Ort wie in einer Prozession durchzogen hatten. ›Zum abschreckenden Beispiel‹.

Ich stand am Weg, den die Prozession nahm, sah es also mit diesen meinen eigenen Augen.«

So erzählte mir der gute Fra Checco, und so war es geschehen auf öffentlichem Markt von Sermoneta im Jahre des Herrn 1873.

Sei der Gekreuzigte den Gekreuzigten gnädig!

Und jenen andern desgleichen!

 

Viertes Kapitel

»Nach diesem« – so erzählte Fra Checco, der Gute, weiter – »trieben wir es, nach Ansicht der Unverständigen, ein wenig arg. Aber die Ungerechtigkeit auf Erden war eine zu große! In den römischen, ehemals päpstlichen und christlichen Landen schrie sie gen Himmel. Doch dieser hörte nicht darauf. Also mussten wir Briganten Gerechtigkeit schaffen.