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Nr. 3079

 

Yenren

 

Auf der Welt der Staubfürsten – sie entdecken die Aquamarin-Stele

 

Susan Schwartz

Christian Montillon

 

 

 

PERRY RHODAN KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Die Dinge ändern sich

2. Yenren

3. Unterbrechung

4. Yenren

5. Begegnungen

6. Yenren

7. Stele

8. Ein Patt und die Folgen

9. Wie in einem Spiegel

Leserkontaktseite

Risszeichnung Kampfschiff der PRECZER-Klasse

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Er wurde vorwärts durch die Zeit katapultiert und findet sich in einem Umfeld, das nicht nur Terra vergessen zu haben scheint, sondern in dem eine sogenannte Datensintflut fast alle historischen Dokumente entwertet hat.

Nachdem er in der fernen Galaxis Ancaisin einen Weg fand, die sogenannte Zerozone zu betreten, konnte er diese durchreisen und erreichte ein Zwillingsuniversum, das mit seinem heimischen das sogenannte Dyoversum bildet. In jener Hälfte des Dyoversums findet er tatsächlich Terra wieder – und viele Sonnen und Planeten, die er kennt. Aber nur wenige haben Zivilisationen hervorgebracht, unter anderem die Topsider.

Perry Rhodan gelingt es, ein Bündnis zwischen Menschen und Topsidern zu schmieden. Eine erste Bewährungsprobe durchläuft diese Orion-Allianz mit der Tastung – einem rätselhaften, aber nicht eindeutig feindseligen Vorgang, der sich in einem Rhythmus von über eineinhalb Jahrhunderten wiederholt. Wer ist dafür verantwortlich? Die Lösung suchen Terraner und Topsider auf YENREN ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner erkennt, welch gewaltige Aufgabe vor ihm liegt.

Ghizlane Madouni – Die Kommandantin kümmert sich um ihr Schiff.

Obyn – Die ehemalige Jinirali begegnet dem gegnerischen Anführer.

Pyrest – Der Wissenschaftler erfüllt sich einen Traum.

Gyesad – Nur Obyn kennt die Loyalität des Meisterspions.

Man sieht oft etwas hundert Mal,

tausend Mal,

ehe man es zum allerersten Mal

wirklich sieht.

(Anonyme Sammlung

altterranischer Weisheiten,

Kapitel 111: »Christian Morgenstern«)

 

 

1.

Die Dinge ändern sich

 

Perry Rhodan summte die Melodie des Liedes Dimensionsfahrstuhl vor sich hin, das die Opernsängerin Nene Emelumado ihm vor wenigen Stunden vorgesungen hatte. Er fühlte sich wohl, als er zusammen mit einem Werftarbeiter auf die Schwebeplattform trat und sie vom Boden abhoben.

Ihr Ziel bildete die TESS QUMISHA, eines von aktuell drei Raumschiffen in diesem Bereich der Rog-Fanther-Werft am Rand von Skiaparelli, der Hauptstadt des Mars. Noch war nur die obere Hälfte des Kugelraumers hinter den näher liegenden Fabrikationshallen zu sehen.

»Gute Laune?«, fragte der Werftarbeiter.

»Du auch, hoffe ich?«

Sie passierten eine automatische Fertigungsstraße, an der Roboter leicht geschwungene, armlange Bolzen herstellten. Eine der Maschinen stand so, dass sich das Licht im feinen Sprühnebel einer Lackierung als Regenbogen an ihr brach.

»Ich bin mir nicht sicher«, sagte der Mann. Er trug einen grauen Einteiler, über den sich in Brusthöhe ein schräger gelber Streifen zog. Seine Augen waren tiefgrün, wie eine Herbstwiese. »Es hängt von dir ab, ob mir dieser kleine Trip gefällt oder nicht.«

»Ist es dir unangenehm, mich zu begleiten?«, fragte Rhodan. Ihm war sofort die Reserviertheit des Werftarbeiters aufgefallen. »Du hast mir deinen Namen nicht genannt.«

»Richtig. Beides.«

Rhodan nickte. »Zur Kenntnis genommen. Mich kennst du ja, nehme ich an.«

Der Arbeiter atmete tief aus. »Darf ich dich kurz sprechen?«

»Tun wir das nicht längst?«

Der Werftarbeiter wich Rhodans Blick aus. »Plattform anhalten«, sagte er in dumpfem Tonfall.

Sie verhielten dicht über dem Flachdach einer Lagerhalle. Die TESS QUMISHA parkte etwa einen Kilometer entfernt. Die Kugel des Schlachtkreuzers der OXTORNE-Klasse durchmaß 500 Meter und war ein Beiboot der RAS TSCHUBAI. Da diese zu gewaltige Dimensionen hatte, waren Rhodan und seine Begleiter nur mit der TESS durch die Zerozone in diese Hälfte des Dyoversums vorgestoßen – vor mittlerweile fast zwei Monaten.

Die extrem erhöhte Hyperimpedanz hatte zu schweren Schäden an der TESS geführt, weshalb das Schiff seitdem in der riesigen Werft des Mars repariert wurde. Eine Anpassung an die hiesigen Bedingungen erwies sich jedoch als äußerst schwierig – falls man sie überhaupt jemals leisten konnte. Noch war der Schlachtkreuzer nicht einsatzfähig, aber vor seinem Aufbruch wollte Rhodan an Bord nach dem Rechten sehen und auch mit Teilen der Mannschaft sprechen, etwa mit Kommandant Muntu Ninasoma.

»Natürlich weiß ich, wer du bist«, sagte sein Gegenüber. »Du hast Terra gefunden – nach fast einem halben Jahrtausend.«

Im ersten Moment wollte Rhodan erwähnen, dass ihm für die Suche weitaus weniger Zeit geblieben war, weil er Jahrhunderte in der RAS TSCHUBAI in Suspension verloren hatte ... aber er verkniff sich die Bemerkung. Der andere könnte es allzu leicht missverstehen; es ging ihm nicht um Eitelkeit oder darum, zu betonen, wie schnell es ihm gelungen war. Also schwieg er einfach.

Der Werftarbeiter stützte sich mit beiden Händen am Geländer der Schwebeplattform ab. Ein Vogel flog zwitschernd vorbei. »Eine Menge Leute waren davon überzeugt, dass du früher oder später hier auftauchen würdest. Es hat sich bewahrheitet. Dieselben Stimmen sind der Meinung, dass du die Erde bald zurückschicken wirst. In ...« Er zögerte.

»In die alte Heimat?«, schlug Rhodan vor.

»In das Herkunftsuniversum.« Er sah auf, und nun suchte er Rhodans Blick. »Was sagst du dazu?«

»Ich kann sie nicht zurückschicken, weil ich nicht weiß, wie.« Unter ihnen schleppte ein riesiger Lastenroboter ein mindestens 20 Meter großes, gebogenes Teil einer Raumschiffshülle. »Und wenn ich es könnte, steht es mir nicht zu, es einfach zu tun. Aber ja – ich suche einen Weg. Ich bin der Meinung, dass die Erde zurückkehren muss! An den angestammten, vorgesehenen Platz. Es ist ein wichtiges Zeichen für die gesamte Milchstraße. Ein Besatzervolk hat den Machtfaktor Terra entfernt.« Bei dieser Aussage war es ihm egal, dass die Cairaner nicht als Besatzer, sondern als Friedensmacht auftraten; ihm lag nicht an politisch korrekten Wortspielereien.

»Das interessiert mich nicht«, fiel der Werftarbeiter ihm ins Wort. »Wie es in dieser anderen Milchstraße aussieht, spielt keine Rolle für mich und mein Leben. Das findet hier statt. In dieser Hälfte des Dyoversums. Genau wie das Leben meiner Eltern und deren Eltern und deren Eltern. Deine sogenannte Heimat haben wir seit Generationen nicht betreten. Soll ich fortfahren?«

Rhodan schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Ich verstehe, worauf du hinauswillst. Und glaub mir, ich verstehe es wirklich.«

»Ist dir dann auch klar, dass ich infrage stelle, dass der vorgesehene Platz für Terra, den du eben erwähnt hast, ein anderer als genau dieser ist? Hier? An diesem Ort? In diesem Universum? Wer sagt dir, dass die Versetzung nicht vorgesehen war?«

Rhodan schwieg einen Moment, während er den Kugelleib des Schlachtkreuzers betrachtete, mit dem die Odyssee in dieser Hälfte des Dyoversums begonnen hatte. Die Hülle sah nahezu unversehrt aus, von einem gezackten Loch im Ringwulst abgesehen, um das kegelförmige Montageroboter schwebten. Grelles Licht leuchtete aus dem Inneren; vielleicht wurde Metall verschweißt.

»Das vermag mir niemand zu sagen«, antwortete er schließlich mit einiger Verzögerung. »Und es sind gute Fragen, die du stellst. Sollte ich eine Möglichkeit der Rückversetzung finden – kann und werde ich die Entscheidung nicht allein treffen. Ich stehe im Kontakt mit Residentin Orfea Flaccu und der Regierung, sodass ...«

»Deine ersten Worte haben mir besser gefallen, als das politische Gerede, das du gerade von dir gibst.«

Rhodan lächelte schmallippig. Sein Gegenüber beeindruckte ihn mit seiner direkten Offenheit immer mehr. »Egal, wie es endet – es wird eine Abstimmung geben. Möglichkeiten für alle, sich zu entscheiden.«

»Und wie?«

»Ich behaupte nicht, dass es einfach wäre. Es ist bereits eine Krise. Und durch eine potenzielle neue Versetzung würden sich nicht alle Probleme lösen.«

»Im Gegenteil. Ein Beispiel gefällig? Ich arbeite hier auf der Marswerft. Aber ich habe Freunde auf Terra. Familie. Eine meiner ehemaligen Lebenspartnerinnen lebt mit meinem Sohn auf Luna. Ganz zu schweigen von NATHAN, der die Koordination der Werft stark beeinflusst. Auf Terra sitzen Projektleiter. Firmen, die uns beauftragen. Wenn die Erde und der Mond verschwinden und stattdessen der Ursprungsplanet zurückkommt, von dem wir nur durch Erzählungen deiner Mannschaft wissen ... also, wenn das geschieht, dann ...« Er ließ den Satz unvollendet.

Perry Rhodan trat einen Schritt näher zu dem Werftarbeiter. »Noch ist es nicht aktuell, aber ich danke dir.«

»Wofür?«

»Für deine Ehrlichkeit. Mir gegenüber. Im direkten Gespräch. Du hättest schweigen können, was weder dir noch mir geholfen hätte.«

»Du bist anders, als ich gedacht habe.«

»Probleme müssen ausgesprochen werden. Ans Licht gebracht. Und es schadet nichts, einen Menschen tatsächlich kennenzulernen, von dem man eine gewisse Vorstellung hat, ob sie nun positiv oder negativ ist.«

»Welzon«, sagte der andere und setzte die Schwebeplattform wieder in Bewegung. »Mein Name ist Jahn Welzon. Ich bringe dich zur TESS QUMISHA. Danke für deine Zeit, Perry.«

 

*

 

In der Zentrale des Schlachtkreuzers befand sich nur Muntu Ninasoma. Er saß mit gespreizt ausgestreckten Beinen im Kommandantensessel, ein Holo vor sich, in dem langsam Text ablief. Seine Augen bewegten sich beim Mitlesen. Er war offenbar so in die Lektüre vertieft, dass er die Ankunft seines Besuchers gar nicht bemerkte.

»Muntu«, sagte Rhodan.

»Oh. Entschuldige. Text anhalten.« Der Kommandant stand auf und ging gemächlich dem Neuankömmling entgegen. »Willkommen an Bord.«

»Du hast dein Haar geschoren. Die Glatze steht dir gut.«

»Ist pflegeleichter. Ich hatte ein Ekzem auf der Kopfhaut, das heilt auf diese Weise besser.« Ninasoma winkte ab. »Ich schiebe es auf diese hohe Hyperimpedanz, aber wenn ich deine Frau fragen würde, käme sicher eine ausführliche Erklärung, dass es daran nicht liegen kann. Egal, meine Haare wachsen sowieso wie Unkraut. Ein, zwei Wochen, und sie stehen wieder in voller Pracht. Ich glaube allerdings nicht, dass du wegen meiner Frisur an Bord gekommen bist.«

Rhodan schmunzelte. Er mochte die trockene Art des Kommandanten. »Ich werde auf Reisen gehen und wollte mich vorher über den Zustand der TESS informieren. Und die Zusammenarbeit mit den Leuten der Werft.«

»Schon wieder auf Reisen? Bist du nicht gerade erst nach Terra zurückgekehrt? Glückwunsch übrigens zum Bündnis mit den Topsidern. Orion-Allianz. Klingt gut.«

»Ich setze einige Hoffnungen auf den anstehenden Flug. Die Analyse der Galaktischen Tastung hat uns ein Ziel offenbart.«

»Die Tastung«, wiederholte der Kommandant. »Es war ein ... unwirkliches Erlebnis.«

»Wie hast du sie empfunden?«

Für einen Moment sah Ninasoma müde aus, und enttäuscht. »Eigentlich gar nicht. Als hätte ich sagenhafte 19,9 Sekunden lang innegehalten und über nichts nachgedacht.«

»War es unangenehm?«

Der Kommandant verneinte. »Eher ... erholsam. Und friedlich, jetzt, da du nachfragst.«

Als Galaktische Tastung bezeichneten die Terraner ein Phänomen, das alle 177 Jahre auftrat – wie am vergangenen Tag bewiesen worden war. Am 29. Januar 2047 NGZ hatte Terra sie zum dritten Mal erlebt.

Dank des neuerdings guten Kontakts mit den Topsidern stand außerdem fest, dass sich dieses Phänomen bereits früher und stets im gleichen zeitlichen Abstand ereignet hatte. In ihrem Staat, dem Sternengelege, reichten die Aufzeichnungen weiter zurück.

Während der Tastung empfanden nahezu alle intelligenten Lebewesen für die Dauer von exakt 19,9 Sekunden, dass etwas nach ihnen tastete. In ihre Gedanken sah, sie innehalten ließ, wie Ninasoma es beschrieben hatte. Jeder erlebte es anders, individuell verschieden; jeder beurteilte es jedoch als grundsätzlich positiven Impuls. Oder zumindest nicht als negativ und bedrückend.

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Illustration: Dirk Schulz

»Ich habe während der Tastung eine Gestalt gesehen«, erzählte Rhodan. »Grob gesagt, einen recht hünenhaften Humanoiden in einem mantelartigen Kleidungsstück – alles, auch das Wesen selbst, aus wirbelndem Staub gebildet. Das Wesen hat mich angesehen, in mich hineingesehen, mich zu lesen versucht.«

»Und hat es das geschafft? Dich zu lesen?«

Rhodan dachte nach. »Seltsam. Diese Frage habe ich mir bisher gar nicht gestellt. Ich denke, dass es zumindest teilweise so war. Aber es spielt keine Rolle.«

»Dass dich jemand aushorcht, ist dir gleichgültig?«

»In diesem Fall: ja. Es war ...« Er brach ab.

»Ja?«, fragte Muntu Ninasoma.

»Es war richtig. Aber zu meiner anstehenden Reise: Unseren Wissenschaftlern ist es in Kooperation mit den Topsidern gelungen, zwei Punkte auszumachen, von denen die Tastung ausgegangen ist. Einer liegt unerreichbar weit in der Eastside der Milchstraße – den anderen werden wir mit der ORATIO ANDOLFI und der topsidischen CHOLEMCO ansteuern, etwa tausend Lichtjahre entfernt.«

Der Kommandant gab einen knappen Bericht über den Stand der Reparatur. Die größeren Zerstörungen an der TESS QUMISHA waren beseitigt, die einfache Technologie an Bord funktionierte weitestgehend. Die Anpassung der komplexeren Aggregate und Technologien an die massiv erhöhte Hyperimpedanz würde noch lange Zeit in Anspruch nehmen – falls sie überhaupt gelang. »Zumindest einen simplen Flug sollten wir hinbekommen. Fragt sich nur, wann. Aber Perry ...«

Rhodan sah ihn auffordernd an.

»Es gibt etwas anderes, das wir besprechen müssen. Es geht um Anno Baldwin.«

Der Name kam ihm vage bekannt vor, doch er konnte ihn keinem Gesicht zuordnen. »Ein Besatzungsmitglied?«

Ninasoma nickte. »Ohne offizielle Funktion im laufenden Schichtbetrieb. Seine Arbeit ist am ehesten einem Kosmopsychologen vergleichbar. Er bezeichnet sich selbst als Sozialeffektor – er entdeckt Spannungen innerhalb der Mannschaft, beobachtet, nimmt Kontakt auf und baut Probleme ab, wendet sie ins Positive. Seine Erfolgsquote ist erstaunlich. Ich sehe ihn als soziales Genie.«

»Und aktuell hat er eine solche Spannung an Bord ausfindig gemacht?«

»Nicht in der TESS QUMISHA. Bleibt dir noch Zeit für ein Gespräch mit ihm?«

Rhodan warf einen Blick auf die Uhr. Der geplante Abflug der ORATIO ANDOLFI und der CHOLEMCO stand erst in zwölf Stunden an. »Sicher.«

 

*

 

Anno Baldwin erwies sich als – freundlich formuliert – schmächtiger Mann. Ebenso gut könnte man ihn als spindeldürr bezeichnen, wobei er die Grenze zur Magersucht um mindestens zehn Kilogramm unterschritt. Davon unabhängig nahmen sein einnehmendes Lächeln und der strahlende Blick seiner Augen Rhodan sofort für sich ein.

Er empfing seinen Gast in seiner Privatkabine und bat ihn mit einer angedeuteten Verbeugung herein. »Hoher Besuch in meinen vier Wänden.«

»Von denen allerdings nicht viel zu sehen ist.«

Baldwin schmunzelte. »Gefällt es dir?«

»Es ist interessant.«

»Eine sehr diplomatische Antwort.«

Der Raum stand übervoll mit Schränken, in deren Fächer sich Berge von Folien stapelten; Vasen; Holobilderrahmen mit Planetenmotiven; ein Stoffwimpel mit dem Logo der LFG; eine Flasche Vurguzz – zweifellos nicht das Original, sondern aus der späteren Liebhaberabfüllung; ein aufgebautes Schachspiel und tausend andere Dinge. Dabei wirkte der Raum keine Sekunde lang chaotisch.

Rhodan entdeckte sogar eine Gucky-Plüschfigur, ging dorthin und musste lächeln. Er hatte den Mausbiber lange nicht gesehen; seit dem Aufbruch der RAS TSCHUBAI in die Heimatgalaxis der Cairaner, von wo aus sie den Weg durch die Zerozone in diese Hälfte des Dyoversums angetreten hatten.

»Die Figur stammt aus der Edition von 1967 NGZ«, plauderte Anno Baldwin. »Sehr schwer zu bekommen, noch dazu in diesem Zustand. Aber ich schätze, du bist nicht hier, um über Sammelleidenschaft zu sprechen?«

»Kommandant Ninasoma hat mir von deiner Beobachtung erzählt, ohne ins Detail zu gehen.«

Baldwin deutete auf einen schlichten Tisch, an dem zwei einfache Holzstühle standen. »Ich habe einige Male die Werft verlassen und Skiaparelli besucht, die Mars-Hauptstadt«, sagte er, während sie sich setzten. »Ich habe mich umgehört, Stimmungen aufgenommen, mit Leuten gesprochen ... und öffentlich zugängliche Daten ausgewertet. Es geht mir um die Zu- und Auswanderungen im Solsystem. Also, in diesem Solsystem. Der Wechsel zwischen den einzelnen Planeten. Es gibt zwei Datumsbereiche, die eine Änderung in der Statistik markieren. Seit Ende November letzten Jahres tut sich etwas.«

»Also kurz nach unserer Ankunft mit der TESS.«

Baldwin nickte. »Das andere Datum ist der ...«

»Lass mich raten. Der 5. Januar dieses Jahres.«

»Wusstest du es bereits?«

»Nach deiner Einleitung war es logisch«, sagte Rhodan.

An diesem 5. Januar hatte er in einer Pressekonferenz erklärt, dass er nicht auf diese Seite des Dyoversums gekommen war, um imperiale Strukturen aufzubauen – sondern weil Terra und Luna ein gemeinsames Erbe der Menschheit bildeten. Dass er herauszufinden versuchte, ob eine Rückkehr möglich und für Terraner technisch umsetzbar wäre. Und falls ja, dass die Bürger der Liga entscheiden dürften und müssten, ob sie mit zurückwechseln wollten. Ob Erde und Mond selbst den Wechsel vollziehen durften, müsste Gegenstand einer großen Abstimmung sein. Sollte jedoch kein Weg gefunden werden, stand all das ohnehin nicht zur Debatte.

»Lass es mich zusammenfassen«, sagte Baldwin. »Eine gewisse Wechselwanderung zwischen zum Beispiel Terra, Luna, dem Mars und der Venus ist völlig normal. Seit November gibt es eine leichte Änderung – die sich verstärkt. Und am 5. Januar einen massiven Schub bekommen hat. Die Zuwanderung nach Terra und Luna ist um zehn Prozent gesunken – die Auswanderung auf die anderen Planeten und Monde um zehn Prozent gestiegen.«

Rhodan schloss die Augen. »Also rechnen die Leute damit, dass die Versetzung gelingen wird – und sie treffen die nötigen Vorkehrungen, um hierzubleiben.«

»Nicht die Leute«, schränkte Anno Baldwin ein. »Nur einige von ihnen. Eine Zahl, die allerdings zunimmt.« Wieder dieses einnehmende, zuversichtliche Lächeln.

»Sie wandern aus, weil sie dieses Universum nicht verlassen wollen«, sagte Rhodan.

»Positiv gesehen, trauen sie dir die Rückversetzung zu. Auch wenn sie das vielleicht nicht gut finden.«

Ich werde einen Weg entdecken, dachte Rhodan. Alles andere musste sich danach ergeben. Etwa die Frage, ob sich eine Mehrheit fand, die dafür stimmte, dass Terra und Luna zurückkehren sollten. »Wie beurteilst du es? Müsste mich das optimistisch stimmen? Oder eher pessimistisch?«

»Hast du damit gerechnet, dass jeder begeistert sein wird?«

»Nein.«

»Dann gebe ich dir folgenden Rat: Momentan ändert weder dein Optimismus noch dein Pessimismus etwas an der Gesamtlage. Also sei optimistisch. Es fühlt sich besser an.«

»Wenn nur alle Ratschläge so gut wären wie dieser. Halt weiterhin die Augen und Ohren offen!«

»Das ist mein Job. Außerdem kann ich gar nicht anders. Es liegt mir irgendwie im Blut.«

»Vielleicht solltest du dich über dieses Thema mit einem der hiesigen Werftarbeiter unterhalten«, schlug Rhodan vor. »Jahn Welzon. Er scheint ein guter Mann zu sein.«

»Ich nehme Kontakt auf.«

»Tu das.« Rhodan stand auf. »Ich muss aufbrechen.«