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EXTRA

 

 

Die Stardust-Maschine

 

Sie sind die Unsichtbaren – auf Katarakt, der Welt vieler Geheimnisse

 

von Hubert Haensel

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Wir schreiben das Jahr 1347 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. In der Milchstraße scheint der Untergang aller Kulturen bevorzustehen: Die Terminale Kolonne TRAITOR, eines der mächtigsten Instrumente im Arsenal der Chaosmächte, hat sie besetzt und beginnt damit, sie in eine Ressourcengalaxis umzuwandeln. Ganze Planeten wie Drorah oder Hayok werden zu Kabinetten für einen entstehenden Chaotender, und in der benachbarten Galaxis Hangay wächst eine Negasphäre heran.

In dieser kritischen Situation bot ES, der alte Mentor der Menschheit und die Superintelligenz der Lokalen Gruppe von Galaxien, den Terranern einen Exodus an: Niemand weiß bis heute, wo die »Fernen Stätten« liegen, in die dieser Treck führte, aber ES hat eines versprochen – eine neue Heimat und, zum ersten Mal seit Jahrtausenden, Sicherheit.

Ein Teil der Menschheit hat das Angebot angenommen und ist in das verheißene Land aufgebrochen; das Stardust-System, das idyllischer kaum sein könnte. Für die Terraner ist es, als würden sie in das Paradies zurückkehren. Doch kann es so etwas wie das Paradies wirklich geben?

Die Siedler der neuen Welten sind davon zunächst überzeugt, aber sie kennen noch nicht DIE STARDUST-MASCHINE ...

Wer zu den Sternen reisen will, der sehe sich beizeiten nach der richtigen Gesellschaft um.

(Aus den Memoiren des terranischen Raumfahrtpioniers H. Schw.)

 

1.

19. Dezember 1346 NGZ

 

Sie greifen an!

Timber F. Whistler kannte dieses beklemmende Gefühl bereits, aber trotzdem war es jedes Mal neu für ihn. Eben noch hatte er die Sonne als grell lodernden Ball in der Schwärze des Weltraums gesehen, nun wuchsen zwei Kugeln aus blauem Feuer vor ihm auf.

Sie waren Energiewesen und die seltsamsten Bewohner des Stardust-Systems. Die Aussiedler von Terra nannten sie Howanetze. Whistler erschrak vor ihrer Wildheit und unsäglichen Gier. Aggressiver als jemals zuvor stürzten sie seinen Schiffen entgegen.

Ihre Energiekörper flossen auseinander, ein Schimmer aus tödlichem Blau fächerte über die Schirme der Außenbeobachtung. Gefräßig schlossen sich die Howanetze um die NEW GOOD HOPE.

»Extremer Energieabfluss!«, meldete Blaine Fishbaugh von der Ortung. Seine Stimme klang gepresst.

Whistler blickte auf die Anzeigen. Der Schutzschirm flackerte, seine Struktur veränderte sich schnell. Höchstens noch dreißig Sekunden, dann würde der Schirm zusammenbrechen – das Ende für den SKARABÄUS und seine achtköpfige Besatzung. Vor Monaten schon hatte Whistler eines seiner Schiffe und zwei Techniker bei einem ähnlichen Angriff verloren.

Heute erwischt's mich selbst, dachte er in einem Anflug von Panik. Wir haben uns zu weit vorgewagt bei der Jagd nach Hyperkristallen.

Vier weitere Energiekugeln erschienen wie aus dem Nichts heraus. Whistler glaubte, ihren Heißhunger wahrzunehmen. Doch ihm war klar, dass er sich diese Empfindung nur einbildete.

Die Howanetze zogen sich enger um das Schiff zusammen. Heftig prallten sie dabei aufeinander, als machten sie sich gegenseitig die Beute streitig. Ihr greller werdendes Blau tauchte die kleine Zentrale in beklemmenden Widerschein.

Whistler rang nach Atem. Er konnte nicht ruhig bleiben, während die Belastungsanzeige des Schirmfelds in den Warnbereich sprang. Versteht ihr mich?, dachte er intensiv.

Es war absurd, auf diese Weise Kontakt zu den Energiewesen herstellen zu wollen. Dennoch hatte er während der letzten Stunden mehrere Versuche unternommen – stellte die extrem große Zahl von Howanetzen, die nun die NEW GOOD HOPE umschlossen, eine Reaktion darauf dar?

»Timber ...!«

Fishbaughs drängender Ausruf riss Whistler aus seinen Überlegungen. Schon neun Howanetze attackierten den SKARABÄUS. Der Energieabfluss über die Schutzschirm-Projektoren überschritt die Warngrenze.

Seid ihr wirklich nur instinktgeleitet?, dachte Whistler intensiv.

Vor fünf Wochen war die Verbindung ins Solsystem erloschen, wahrscheinlich würde es nie wieder einen Kontakt zu anderen Menschen geben. Hier im Kugelsternhaufen Far Away, irgendwo im Universum, durften sich mehr als achthundert Millionen Siedler sicher fühlen vor dem Zugriff der Chaosmächte.

Vielleicht sind wir die letzten Überlebenden ... Der ehemalige Industrielle reagierte betroffen. Aber wenn dem so ist, werden wir es wohl nie erfahren.

Wie eine Lawine hatte das Geschehen der letzten Monate alle Beteiligten mitgerissen. Erst allmählich normalisierte sich das Leben, sofern von Normalität überhaupt schon zu reden war.

Whistler hatte die Howanetze bislang nur als höchst willkommene Lieferanten der dringend benötigten Hyperkristalle gesehen, und daran würde sich so schnell bestimmt nichts ändern. Aber vielleicht konnte er diese eigenartigen, extrem fremden Geschöpfe domestizieren oder gar Freundschaft mit ihnen ...

Hörte er ein Wispern unter seiner Schädeldecke? Whistler stutzte. Nein, da war nichts ... oder?

Der Schutzschirm brach zusammen.

Verschwindet!, schrien Whistlers Gedanken den Howanetzen entgegen. Lasst uns in Frieden! Wir wollen euch nicht vernichten ...

Heftig pulsierend hüllten die Energiewesen das Schiff ein, dieses mehr als vierzig Meter messende Konstrukt aus einer an beiden Polen abgeflachten Kugel und angeflanschter Kommandozelle. Zu Whistlers Verblüffung zogen sich die Angreifer aber nicht weiter zusammen. Sie verharrten. Unschlüssig?

Ob sie meinen Aufschrei vernommen haben? Whistlers Hände verkrampften sich, als die grellblauen Sphären nacheinander verschwanden.

Die Empfindung von Heißhunger blieb. Er schluckte entsetzt, seine Kehle war trocken ... rau ... Vergeblich versuchte er, sich zu artikulieren, brachte aber keinen Laut über die Lippen.

»Wir verlieren weiterhin Energie!«, meldete Fishbaugh. Er, der kräftige Allrounder, war bis vor wenigen Jahren Angehöriger einer schnellen Angreiftruppe der Terranischen Heimatflotte gewesen; nach einer schweren Verwundung hatte er seinen Dienst quittiert und sein Leben ruhiger gestaltet. Die Ruhe, von der er gerne sprach, fand er dennoch nicht.

»Eines von diesen Biestern ist noch da!«, rief Fishbaugh. »Es greift wieder an, berührt die Außenhülle ...«

Ein durchdringendes Kreischen erfüllte das Schiff. Es drang aus den Maschinenräumen in die Zentrale herüber.

»Zu hoher Abfluss! Das überstehen die Projektoren nicht. Sie werden explodieren und das Schiff in eine Gluthölle verwandeln!«

Hör auf damit! Du bringst uns um!

Vor Whistlers innerem Auge entstand das Bild eines sich aufblähenden Howanetzes. Es zerbarst und verglühte in einem irrlichternden Funkenregen.

Der blaue Schleier über den Schirmen schien blasser zu werden. Aber noch war es zu früh für ein Aufatmen. Whistler erkannte, dass zwei der anderen SKARABÄEN ihre Schutzschirme aufgebaut hatten und damit die Howanetze anlockten. Das war die gewohnte Taktik, um die Energiekugeln zur Freigabe ihrer Hyperkristalle zu zwingen. Bis zur Erschöpfung wurden sie von einem Schiff zum anderen gejagt. Sie durften keinesfalls Zeit finden, zu viel Energie aus den Speicherbänken abzusaugen.

»An diesem letzten Howanetz dranbleiben!«, ordnete Whistler an. »Ich will wissen, was es unternimmt ...«

»Ich habe es soeben aus der Ortung verloren!«, erwiderte Fishbaugh. »Das Biest ist für wenige Sekunden nur zwanzigtausend Kilometer entfernt materialisiert, danach aber endgültig verschwunden.«

»Welche SKARABÄEN sind aktiv?«

»Die 02 und die 07. Aber bei keinem von beiden ist dieses Netz.«

»Bist du sicher, Blaine?«

»Vollkommen. Wahrscheinlich achtet es schon nicht mehr auf uns, sondern bewegt sich geradlinig auf die Sonne zu.«

Whistler nickte zögernd. Er lehnte sich zurück, fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und dachte an die Explosion der 24 vor mehr als zweieinhalb Monaten. Das Schiff war von einem der Howanetze vernichtet worden, das nicht nur den schützenden Hochenergie-Überladungsschirm als Energiequelle angesehen, sondern alle energetischen Vorgänge im Schiff angezapft hatte.

War die NEW GOOD HOPE eben mit demselben Kugelwesen zusammengestoßen? Timber fragte sich, wie schnell die energetischen Geschöpfe lernten und ob sie in der Lage sein mochten, ihr Wissen oder ihre Erfahrungen weiterzugeben. Er war überzeugt, dass ausgiebige Forschungen an den Howanetzen bald unerlässlich sein würden.

Die Situation eben ... Ich habe sie provoziert – und sie auch wieder bereinigt, glaubte er zu wissen. Ihm war klar, dass er einen weiteren Versuch unternehmen musste, wenn auch erst beim nächsten oder übernächsten Flug. Falls er erneut eine derart heftige Reaktion erzielte, steckte vielleicht wirklich mehr dahinter. Dann durfte er annehmen, dass die Howanetze mentale Schwingungen erfassten und einfache Gedankenbilder verstanden.

»Sie verschwinden!«, hörte Whistler den Mann an der Ortung sagen. »Zeit für uns, die Ausbeute einzusammeln.«

»So eifrig bist du nur, weil das Howalgonium nicht stinkt, Blaine!«, rief jemand im Hintergrund der Zentrale.

Hin und wieder machten die Besatzungen der SKARABÄEN Witze darüber, dass diese Hyperkristalle das Endprodukt eines Stoffwechselvorgangs waren. Früher, wusste Whistler, hatten die Terraner davon gesprochen, dass Geld nicht stinke.

Wennschon ..., dachte er. Wir brauchen Hyperkristalle in großer Menge. Und sei es nur, um eines Tages mit den Schlachtschiffen auf Erkundung gehen zu können. Wir müssen unser weites stellares Umfeld ebenso kennenlernen wie die Welten von Stardust.

 

*

 

Acht Stunden später ...

Timber F. Whistler drehte einen ausnehmend schönen Kristall zwischen den Fingern. Das war Howalgonium, wenngleich die Lichtbrechung den Vielflächner in allen Farben des Spektrums schimmern ließ und nicht nur in dem gewohnten grünlichen Schimmer. Vergeblich suchte Whistler nach Unregelmäßigkeiten in der Struktur, nach winzigen Verunreinigungen, aber nicht einmal die Scanlupe offenbarte ihm Einschlüsse.

Er hatte nie einen perfekteren Brocken Howalgonium gesehen. Fast fühlte er Bedauern, dass dieses Stück zur industriellen Nutzung bestimmt war, dafür, die Erfordernisse moderner Technik in ihren vielfältigen Anwendungsbereichen zu stillen. Nur moleküldicke Scheiben würden nach dem Schnitt bleiben, in ihrer Festigkeit nahe an der Grenze zum Auseinanderbrechen der Kristallgitterstruktur, aber eben nur nahe. Insgesamt wartete eine Weiterverarbeitung ohne Rückstände, denn Kantenabschnitte und Ähnliches würden in einem folgenden Arbeitsvorgang auseinandergebrochen und für die Folienbedampfung vorbereitet werden.

Dieser Kristall war aber zu perfekt, um ihn geschliffen, poliert und wie momentan üblich nur brachial zerteilt in den schweren Baumaschinen einzusetzen. Im Bereich der neuen Städte fraßen sich diese Maschinen tief in die Planetenkruste und brachten das desintegrierte Material unter atomarer Verdichtung als Stütz- und Dichtmasse wieder aus. Die Siedler beanspruchten ihr Recht, im Stardust-System keineswegs schlechter zu leben, als sie auf den solaren Welten gelebt hatten.

»Die erwartete Kristallausbeute wurde bereits übertroffen«, stellte Whistler fest. »Wir fliegen zurück. Blaine ...«

»Ich gebe die Order weiter«, bestätigte Fishbaugh.

Die NEW GOOD HOPE beschleunigte bereits und schwenkte auf den neuen Kurs ein. Innerhalb Minutenfrist wanderte der innere Planet quer über die Schirme. Oljos ewig der Sonne zugewandte Seite schien das Lodern des weißgelben Muttergestirns zu reflektieren. Schließlich fiel die in Sonnenglut aufgeheizte Welt hinter den SKARABÄEN zurück.

Für einige Tage würden die Energiewesen wieder unbehelligt sein. Whistler lag viel daran, einen Gewöhnungseffekt zu vermeiden. Noch ließen sich diese Geschöpfe auf vergleichsweise einfache Weise anlocken und letztlich dazu verleiten, ihre Hyperkristalle auszuscheiden. Der Grund lag im Anziehungseffekt, den die Schutzschirme der SKARABÄEN auf die Energiekugeln ausübten. Doch falls dieser Effekt nachließ, blieb letztlich nur die zeitraubende Suche nach willkürlich abgesetzten Kristallen – obwohl der Raum zwischen den beiden inneren Planeten und der Sonne ein einziger riesiger Fundort war.

Die NEW GOOD HOPE beschleunigte bis zur halben Lichtgeschwindigkeit. Minuten später begann bereits das Bremsmanöver. Die Entfernungen zwischen den inneren Welten des Stardust-Systems waren auch ohne Überlichtmanöver gut zu bewältigen.

Im Mittelpunkt der Bilderfassung wuchs eine leuchtende Sichel: Aveda, die Hauptwelt der Siedler. Sie war Whistler von Anfang an vertraut erschienen. Der Planet war wie eine zweite Erde, ein blaues Juwel in der Samtschwärze des Weltraums. Geprägt nicht nur von ausgedehnten Ozeanen und Wolkenschleiern, sondern ebenso von dem saftigen Grün der zehn großen Kontinente.

Aveda war ein Paradies. Aber schon einmal waren Menschen durch eigene Schuld aus einem Paradies vertrieben worden. Das durfte sich nicht wiederholen.

Obwohl: Die Geschichte vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen – was verbarg sich wirklich hinter diesen einfachen Worten? Eine Warnung davor, das Gebiet des Gartens Eden zu verlassen, weil außerhalb unbekannte Bedrohungen lauerten? Niemand, schon gar nicht ein Spross der Whistler-Dynastie, würde sich davon abhalten lassen, hinter den Horizont zu schauen.

Noch war der Far-Away-Kugelsternhaufen ein großes unbekanntes Gebiet. Bis die ersten Expeditions-Raumschiffe in das Umfeld von Stardust vorstoßen konnten, mochten Jahre vergehen. Bislang gab es noch keine Anlagen, die aus Howalgonium das für Fernflüge wichtige HS-Howalgonium herstellen konnten, wenngleich entsprechende Pläne schon entstanden.

Whistlers Blick hatte sich zwischen die fremden Sterne verirrt. Was werden wir da draußen finden?, fragte er sich. Wird uns schon der Versuch, nach diesen Sonnen und ihren Planeten zu greifen, das Paradies kosten?

Er würde die Antwort erfahren. Mit seinen 121 Jahren hatte er noch einige Jahrzehnte vor sich, die er in jeder Hinsicht zu nutzen gedachte. Die Gründung der Whistler-Stardust & Co. war der Anfang gewesen.

Aveda schien mittlerweile zum Greifen nahe. Der Hauptkontinent Avateg stand bildfüllend auf den Schirmen. Timber sah das Dargot-Gebirge, das sich wie ein Wall parallel zur Westküste erstreckte und nur mit schwachen Ausläufern in die Ebene des Ashawar eindrang. Stardust City war westlich der letzten Höhenzüge, im Bereich des beginnenden Flussdeltas, aus dem Boden gestampft worden.

Früher hätte ein solches Gebiet als unsicher gegolten. Trügerischer, durchnässter Untergrund, dazu die latente Überschwemmungsgefahr, wenn der Ashawar nach Unwettern anschwoll und ungewöhnlich viel Schlamm und Geröll mitführte.

ES hatte das Areal für Stardust City ausgesucht. ES – das Kindermädchen der Menschheit, ging es Whistler durch den Sinn. Doch er schüttelte den Kopf. Diese Bezeichnung für die Superintelligenz, die er vor Jahren gehört hatte, ging völlig an den Tatsachen vorbei. ES stand auf der nächsten Stufe der Entwicklung, war eine vergeistigte Wesenheit.

Mittlerweile lagen Gutachten vor, die ES' Wahl als zuverlässig bestätigten. Sigurd Echnatom hatte diese Überprüfungen eingeholt, nicht als Ausdruck seiner Zweifel an der Superintelligenz, sondern eher, um allen Eventualitäten Rechnung zu tragen – und was Rechnungen anging, kannte sich der Mann aus wie kein Zweiter.

Stardust City gründete auf felsigem Untergrund. Mächtige Gesteinsadern zogen sich nach Süden bis in die Aglahad-Halbinsel hin, und nur der Randbereich der Alango Bay war weitläufig durchfeuchtetes Gelände zwischen den Armen des Deltas. Das Land bestach zudem durch seinen überquellenden Tier- und Pflanzenreichtum. Analysen der Sedimente hatten keine erhöhte Überschwemmungsgefahr ergeben. Abgesehen davon konnte die vorhandene Technik mit jedem Hochwasser fertig werden.

Es war früher Morgen Ortszeit, als die NEW GOOD HOPE die letzten faserigen Wolkenbänke durchstieß und zur Landung auf dem noch provisorischen Raumhafen ansetzte. Einige Dutzend SKARABÄEN standen dort, umgeben von einem Heer von Lastenschwebern; alle anderen Raumfahrzeuge befanden sich zwischen den Planeten im Einsatz.

Whistler lächelte in sich hinein. Er mochte diese Kulisse, sie gab ihm das Gefühl, zu Hause zu sein.

 

*

 

Die Sonne war nur ein blasser Abglanz ihrer selbst, morgenmüde und rötlich-verschlafen, als der ehemalige terranische Großindustrielle den SKARABÄUS über die Rampe verließ und mit schnellen Schritten die Piste überquerte.

Ein neuer Tag zog herauf und flößte der Sonnenscheibe neue Kraft ein. Mit einem Mal schienen die Wolken aus flüssigem Gold zu bestehen, ihr Widerschein vertrieb den Rest der Finsternis, als wische eine unsichtbare Hand ungeduldig die Nacht fort.

Tief atmete Whistler ein. Es roch nach Frische, nach der unverbrauchten Kühle des neuen Morgens. Ein Hauch von Feuchtigkeit hing in der Luft und trug das mineralische Aroma des Ashawar heran.

In der ersten Stunde nach Sonnenaufgang waren diese Empfindungen stets intensiv wahrzunehmen, danach vermischten sie sich mit den Ausdünstungen der Technik: ein Hauch von Ozon und Metalllegierungen, manchmal roch es auch nach Chemie. Whistler empfand nichts Ungewöhnliches dabei, denn es war mehr als die Natur stets ein Teil von Timbers Leben gewesen: ein Geruch wie in den Hallen der Terrania-Robotik-Retrodesigns.

Mit einem leichten Kopfschütteln vertrieb Whistler die Bilder der Vergangenheit. Er vermisste nichts von alldem. Stardust war seine Chance, ein neues Wirtschaftsimperium aus dem Boden zu stampfen und zugleich seine Sehnsucht nach fernen Welten zu stillen.

Sein Blick wanderte an dem Stardust-Monument empor, dem Wahrzeichen der neuen Metropole. Fast einen Kilometer hoch wuchs die schlanke Felsnadel auf – wer jemals eine Abbildung der einstigen Mondrakete STARDUST gesehen hatte, für den musste die Ähnlichkeit frappierend sein.

War dieser Felsen wirklich nur durch Verwitterung entstanden? Eher sah Whistler die ordnende Hand von ES darin – vielleicht sogar einen Hinweis auf das Zweite Galaktische Rätsel. Irgendwo im Stardust-System hatte die Superintelligenz zwei Zellaktivatorchips verborgen. Zweimal potenzielle Unsterblichkeit!

Der auffrischende Wind vertrieb Whistlers Nachdenklichkeit. In Momenten wie diesem war er überzeugt, dass Terra den Kampf gegen die Terminale Kolonne TRAITOR überstehen würde. Und dass im Stardust-System die Saat für ein neues, kosmisches Zweigvolk der Menschheit aufging.

Das Schicksal verstreut uns Terraner immer weiter hinaus ins Universum – wie die Samen einer Blume, die der Wind verweht ...

Whistler aktivierte sein Kombiarmband und sendete einen Anforderungsimpuls an die Automatik seines Gleiters. Das Fahrzeug wartete mehrere Kilometer entfernt bei den Lagerhallen.

Als die Maschine neben ihm aufsetzte, stand die Sonne bereits in voller Pracht strahlend über dem Horizont. Zwei SKARABÄEN schwebten nahezu lautlos ein und senkten sich auf die Piste herab.

2.

21. Dezember

 

»Das ist Staatseigentum!«, sagte eine monotone Stimme hinter Whistler. Schon die Lautstärke, in der er so unverhofft und ohne Begrüßung angesprochen wurde, ärgerte ihn.

Weit hatte er den Kopf in den Nacken gelegt. Er schaute an dem Stahlgebirge empor, das vor ihm aufwuchs, als sei an dieser Stelle die Welt zu Ende. Wolken umflossen die senkrechte Wand, an einigen Abschnitten ergoss sich kondensierendes Wasser in Sturzbächen in die Tiefe. Die obere Kante des Würfels verschmolz mit dem Blau des Himmels. Dutzende Fluggleiter hingen dort, für Timber nur zu erkennen, wenn er die Augen zusammenkniff.

»Habe ich mich unklar ausgedrückt?«, fuhr die Stimme fort, einen Hauch von Unbehagen verbreitend. »Der gesamte verpackte Inhalt der LFT-BOX war und ist Staatseigentum; es wird keine Verkaufsgespräche geben.«

Dröhnend hatte sich das Schott eines Ladesegments in Bewegung gesetzt. Im unteren Bereich, gut einen Kilometer entfernt, ergriffen schwere Lastenschlepper das erste Bauteil und bugsierten es auf einen Verbund mehrerer Antigravplattformen.

Trotz der stabilisierenden Antigravs war das gewaltige Raumschiff tief in den Boden eingesunken. An den Seitenwänden hatten sich in den letzten Wochen Schlingpflanzen emporgearbeitet. Wo vor einer Woche erst unscheinbare Blätter gewesen waren, öffnete sich mittlerweile eine üppige Blütenpracht.

»Über Stardust-3D und New Home Trivid wurde unmissverständlich bekannt gegeben, dass die Entladebereiche Sperrzone sind!«, redete die Stimme auf Whistler ein. »Falls Unbelehrbare zu Schaden kommen, trägt die Administration keinerlei Haftungsrisiko.«

Ein zweites schalenförmiges Bauteil schwebte zentimetergenau nach außen. Der Größe nach handelte es sich um das Rumpfsegment eines Raumers der MARS-Klasse. Zehn der fünfhundert Meter durchmessenden Schlachtkreuzer waren von den Luna-Werften als Bausätze geliefert worden. Außerdem zwanzig Schwere Kreuzer und siebzig Leichte Kreuzer. Und das war nur der spezielle Teil der Fracht, dessen Entladung im Gange war. Die nach Tausenden zählenden Gleiter, Shifts, Space-Jets und Baumaschinen, das Millionenheer der Roboter sowie Kontingente der Rohstoffbarren waren schon in den ersten Tagen einsatzbereit gemacht worden.

Langsam drehte Whistler sich um. »Ich denke, dass ich weder ein Unbelehrbarer noch unbefugt bin«, stellte er eindringlich fest.

Sein Gegenüber verzog keine Miene. Sigurd Echnatom, Vorläufiger Administrator der Stardust-Kolonie, kniff lediglich die Augen etwas weiter zusammen, als müsse er gegen die blendende Sonne schauen. Der verkniffene Blick ließ sein Gesicht ungemein kantig erscheinen, zumal die scharfrückige große Nase dem ehemaligen Staatssekretär ohnehin den Ausdruck eines Raubvogels verlieh.

»Ich interessiere mich tatsächlich für einen der Bausätze«, sagte Whistler.

Ein mitleidiges Lächeln kräuselte Echnatoms Mund. Langsam schüttelte er den Kopf. »Diese Schiffe sollen die Sicherheit der Stardust-Kolonie gewährleisten.«

»Bestimmt nicht in zerlegtem Zustand«, platzte Whistler heraus, und beinahe hätte Echnatoms irritierter Blick ihm ein Lachen entlockt. »Wenn ich mich nicht irre, sind die von mir übereigneten SKARABÄEN konstant an Transporten und Patrouillenflügen beteiligt.«

»Die SKARABÄEN wurden dem Staat überschrieben. Als Gegenleistung für die zeitlich unbefristete Lizenz, die Whistler-Stardust & Co. das Sammeln von Hyperkristallen im genau definierten Bereich zwischen der Sonne und der Umlaufbahn des zweiten Planeten Parga gestattet«, schnarrte Echnatom. »Ansprüche auf Gewährung weiterer Vergünstigungen bestehen nicht. Nebenabreden waren zu keinem Zeitpunkt Bestandteil der Vereinbarung.«