Andreas Schimmelbusch

HABE NICHTS MEHR
AUSSER MIR

STORYS

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Über Andreas Schimmelbusch

Andreas Schimmelbusch, geboren 1973 in Frankfurt a.M., wuchs zeitweise in den USA auf und studierte an der Brown University Economics und Comparative Literature.
Danach arbeitete er eine Zeit lang an der Wall Street, bevor er 1998 bei seinem ersten Spielfilm ›Star!, Star!‹ (mit Barbara Sukowa) Regie führte. 2003 siedelte er nach Berlin über, war als Theaterregisseur u.a. an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz tätig und drehte zuletzt den Spielfilm ›Willkommen im Klub‹ (mit Wolfram Koch und Bibiana Beglau), der 2014 bei den Internationalen Filmfestspielen in Warschau Premiere feierte. Derzeit arbeitet er an dem Spielfilmprojekt ›Dachschaden‹ und an seinem ersten Roman.

Über das Buch

Was machen Kate und Johnny in ihrem Hotelzimmer? Wie schafft es der ranke Brite immer wieder, junge Frauen so umwerfend zu becircen? Hätte Oschätzchen vielleicht doch nicht ins Kino gehen sollen? Welches Spiel inszeniert Graf Koks vor Josefine und dem Rest der Welt?

 

Die Helden von Andreas Schimmelbusch sind auf der Flucht, vor sich und ihrem Leben. Es treibt sie in die Ferne nach Reykjavik, Frankfurt, Südfrankreich, New York, Kalifornien. Unterwegs, in fremden Städten, an vermeintlich angesagten Orten beobachten sie gebannt, was andere erleben – Banker, Schauspieler, Kreative, Trickbetrüger. Die Liebe der anderen oder der Erfolg der Bewunderten erscheinen immer größer als die eigenen Möglichkeiten.

 

Andreas Schimmelbusch versammelt Beziehungsgeschichten, Liebesgeschichten, Einsamkeitsgeschichten oder Geschichten über den Hunger nach Geschichten. Originell und berührend, in einem ganz eigenen Ton erzählt er von Sehnsucht, Liebe, Verlorenheit und dem Traum von der großen Bühne – für das eigene Leben.

Impressum

Originalausgabe 2017

© dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München 2017

Umschlaggestaltung: Wildes Blut, Atelier für Gestaltung, Stephanie Weischer unter Verwendung von Fotos von plainpicture und gettyimages

 

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

eBook-Herstellung im Verlag (01)

 

eBook ISBN 978-3-423-43279-5 (epub)

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-28132-4

 

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website www.dtv.de/ebooks

ISBN (epub) 9783423432795

 

 

 

 

Es sind Leute, die, um das Leben leben zu können, was ihnen erstrebenswert erscheint, sich halt in Rollen begeben, die eigentlich nicht die ihren sind, das ist natürlich etwas Trauriges oder auch etwas Schönes.

 

Rainer Werner Fassbinder

HEUTE NOCH ODER MORGEN SCHON

Sie geht einfach, verbringt den Vormittag noch am Wasserfall, kommt zurück, packt ihr Zeug, packt sein Zeug, packt alles zusammen, und verschwindet einfach, das muss man sich erst mal vorstellen.

Der Concierge hatte mich schon bei meiner Ankunft als Eindringling entlarvt, mir ein, relativ gesehen, schlechtes Zimmer zugeteilt, und zum Abendessen die Pylsur-Bude am Hafen ans Herz gelegt, wo ich mir erst zwei und dann noch mal zwei auf den Punkt gebrühte Würstchen mit allem – diversen Soßen, rohen Zwiebeln, geröstetem Speck – bestellte, ich ließ es mir schmecken, aber das konnte der Concierge natürlich nicht wissen, dass ich mich oft wochenlang nur von Junkfood ernährte, nicht weil mir das nötige Kleingeld zum Gourmettempel fehlte, es klingelte wie immer in der Kasse, sondern aus Langeweile, Hass und Aggression, aus Depression und Leerlauf, Trauer und Faulheit, wegen der ganzen Scheiße, meinem verschissenen Scheißleben, aber lecker war dieser Norsensenf, nicht ganz scharf, aber ganz süß auch wieder nicht, und dazu die gesichtslosen Hotdogs und das Viking aus dem Plastikbecher, der halbe Liter, die Festivalschorle, so wie man es am liebsten hat, aber das konnte er schließlich nicht wissen, der Concierge, dass er mir mein wunderschönes erstes Essen an dem wunderschönen ersten Abend meiner wunderschönen ersten Ferienwoche – womöglich schon seit Jahren – nicht etwa versaut, sondern überhaupt erst ermöglicht hatte. Oder doch?

Woher wissen Sie das so genau?, fragte ich ihn. Das ist schließlich mein Job, alles zu wissen, erwiderte er. Der Concierge wollte mir eigentlich keine Auskunft geben, und nichts verpflichtete ihn dazu, außer dass er hier eine Story witterte, die er wohl mit ein paar spitzfindigen Bemerkungen – wie ein allwissender Erzählguru – einleiten wollte, mich deswegen halbwegs brauchte, damit ich später auch bezeugen konnte, ja, mit dem Concierge ging es los, er war von Anfang an ganz nah an der Story dran, verlor als Erster ein Wort darüber. An Kate kommt man schwer vorbei, sagte er jetzt. Und schon war ich mittendrin.

Wieso das?, fragte ich. Sie ist, wie man so schön sagt, ein Blickfang, sagte er, etwas ganz Besonderes. Sagt man das?, fragte ich weiter.

Der Tourist in mir tat naiv, ich wusste ja schließlich, um wen es ging, kannte Kate flüchtig, hatte ein, zwei Worte mit ihr gewechselt, ein gekrächztes Hallo vielleicht, hatte mich ihr aber immerhin vorgestellt, wusste also, wieso man es bestimmt schwer hatte mit dieser entrückten Figur, trotzdem, der Concierge sollte ruhig weitererzählen, denn während er sich jetzt um Kopf und Kragen redete, schoss ich mich perspektivisch auf seine Praktikantin ein, die im Büro hinter der Rezeption Mikado spielte, jedoch viel lieber auf den Bahamas wäre. Das mit den Bahamas war nicht nur so dahingesagt, sie wollte tatsächlich dorthin, das hatte sie mir gestern erzählt, wir hatten uns mit ihrer Freundin, einer Biologiestudentin, in einer Bar getroffen, die dem verschwommenen Leadsänger einer britischen Band anteilweise gehörte, aber als sie mir dann sagte, ich will auswandern, dahin, wo’s warm ist, saßen wir schon bei mir im Hotel vor der Minibar, und machten uns an.

Bine, wie sie hieß, verdiente sich mit dem Sommerjob genügend Asche für ihr Flugticket nach Nassau. Sie war eine gute Mitarbeiterin, so stellte sie es mir jedenfalls dar. Das mit dem Mikado macht dem gar nichts, sagte sie. Anscheinend hatte der Concierge ihr am Anfang des Sommers aufgetragen, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu gucken, da kannst du etwas lernen, und das tat sie dann auch, schaute ihm zu, wie er an der Rezeption werkelte, sah ihn meist leider nur von hinten, er hat einen ziemlichen Flacharsch, sagte sie mir, während sie sich an dem Reißverschluss einer ihrer eher klobigen Lederstiefel zu schaffen machte. Sie hatte sich in letzter Zeit wohl erstaunlich wenig Gedanken über eine ernsthafte Beziehung mit einem Mann wie mir gemacht.

Ich bin gerne unverantwortlich, sagte sie mir dann auch, als wir fertig waren, und ich bedankte mich artig für ihre Worte, die ich gerade – aus unerfindlichen Gründen – als Kompliment ansah.

Man könnte jetzt tangential abdriften, das Thema wechseln, sich mit einer Flasche Brennivín in das Dunkel der Hotelbar begeben, und sich darüber Gedanken machen, warum Bine so gerne unverantwortlich war, inwiefern das mit ihrem Exfreund, einem Arschloch von Fotografen, zusammenhing, aber da Bine hier eher als Nebenfigur auftrat, die erst viel später richtig ins Spiel einsteigen würde, riss ich mich jetzt wieder von ihr los, und lauschte erneut dem Concierge, der immer noch voll in Fahrt war.

Manchen steht das halt, sagte er gerade, manchen wiederum nicht, aber ihr, sagte er, kam mir dabei unangenehm nah – sein Atem stank nach getrocknetem Salzfisch –, er flüsterte ganz schwül, ihr steht das einfach. Was?, fragte ich. Die kurzen Haare. Aber Sie sagten doch vorhin, die wären lang, die Haare, l-lang und feuerrot. Kurz ist das neue L-lang, erwiderte der Concierge l-lapidar, da ging mir plötzlich ein L-licht auf. Sie hat sie sich geschnitten, sagte ich jetzt, daraufhin schnaubte der Concierge despektierlich, eben, heute Morgen, sagte ich noch, dann mischte sich Bine von hinten wieder ein, hatte Kate anscheinend den ein oder anderen Friseur empfohlen, und schon wieder befand ich mich auf dem Holzweg direkt hin zum Schauplatz einer unspektakulären Nebenhandlung, nämlich der Beziehung oder, besser, Nichtbeziehung zwischen Bine und Kate, deshalb brauchte ich schleunigst eine kurze zeitliche Synopsis, bedeutete das dem Concierge auch, keine Details, ich bitte Sie, nur den groben, äußeren Rahmen. Ich schmeichelte ihm.

Er räusperte sich genüsslich, ließ sich aber nicht lange bitten, meine Damen und Herren, vor einer Woche kommen die beiden hier an, sagte er, und heute Morgen reist sie einigermaßen überstürzt ab, nimmt alles mit, auch alles von ihm, hinterlässt das Zimmer in einem gnadenlosen Zustand, und ihm einen Zettel, auf dem eine Adresse steht. Und die wäre?, fragte ich sofort. Der Concierge schaute sich dämlich konspirativ in der gähnend leeren Lobby des Hotels um, rückte näher, wurde plötzlich ganz heiser, flüsterte wieder, das weiß nur ich, sagte er. Ich nickte. Sein Atem stank immer noch.

Ist das nicht gegen die Vorschriften?, fragte ich ihn, einfach so. Was? Dass Sie überhaupt mit mir reden. Der Concierge wischte sich den Sabber aus der Fresse. Wovon reden Sie?, wollte er wissen. Recht auf Privatsphäre, großes Einmaleins der Hotelbranche, Kodex des Rezeptionisten. Ich bin kein Rezeptionist, meinte der Concierge. Mein Fehler, gab ich scheinheilig zu. Bine kicherte. Der Concierge schmollte. Wollen Sie nun hören, wie es weitergeht, oder nicht?, ging er mich an, vollends angetan von sich selbst. Ich nickte wieder, war langsam außer mir. Bine und ich hatten gestern mehrmals, sozusagen zum Abschied, die Nacht zum Tag gemacht, er sollte gefälligst machen, ich wollte mich hinlegen, musste morgen ganz in der Früh nach Keflavík, in ein paar Stunden schon, den Flug verpasste man immer, aber jetzt machte er auf einmal, jetzt ging es endlich weiter. Ihr Typ, fing er an. Johnny?, fragte ich, aber wer denn sonst. Genau der, fuhr er fort, kommt eine halbe Stunde später hier rein, geht hoch ins Zimmer, ich denke natürlich, er weiß alles, aber er weiß anscheinend gar nichts, haben Sie meine Freundin gesehen?, fragt er mich, als er wieder herunterkommt, Kate, Fragezeichen.

Der Concierge hielt jetzt inne – fand den kleinen verbalen Schnörkel am Ende seiner Ausführung vielleicht besonders gut –, mir lief dabei der kalte Schweiß von der Stirn, Folgen von gestern. Und weiter?, wollte ich wissen, drängelte, bekam aber erst mal keine Antwort. Wie viel?, fragte er dann. Was, wie viel?, schoss ich zurück. Wie viel ist Ihnen das Ende wert?, fragte er. Ich stockte.

Schon beim Hinflug hatte ich nämlich mein Auge auf das sündhaft teure Parfum eines äußerst hochnäsigen Designers geworfen, Extreme hieß es, der Name gefiel mir, sollte endlich Programm werden, hatte jedoch beschlossen, erst auf dem Rückweg zuzuschlagen, man wusste ja nie, schließlich konnte immer etwas dazwischenkommen.

Eine Nacht im Hotel Búdir womöglich, dieser verwunschenen Bleibe irgendwo in den südlichen Lavafeldern. Einmal zu tief ins Glas geguckt. Ein feines Lammessen mit der Freundin einer Biologiestudentin mit anschließendem Liebestaumel – in Anführungsstrichen, nicht der Taumel, die Liebe natürlich. Oder jetzt halt dieser blöde Rezeptionist, der vor mir ganz ungeniert die Hand aufhielt. Ich fluchte, aber es half alles nichts, also schob ich ihm hundert amerikanische Dollar rüber, die er naserümpfend akzeptierte.

Und?, fragte ich, ich gab ihm den Zettel mit der Adresse, erwiderte er. Und dann?, das konnte doch nicht wahr sein, wie der sich bitten ließ. Er schaute sich noch mal um, und weiter?, schubste ich ihn an, und weg war er, sagte er, sonst gar nichts?, fragte ich weiter, der Concierge schüttelte den Kopf, aber das wollte ich natürlich nicht wahrhaben – dafür hatte ich doch nicht eine C-Note hingeblättert – und hatte es plötzlich sehr eilig.

Im Aufzug sah ich durch ein kleines, rundes Fenster die Stockwerke vorbeirauschen, Sekunden später dann zuerst die stämmigen Beine, danach die wenig entwaffnende Korpulenz und, oben angekommen, das leicht vorwurfsvolle Antlitz der Zimmerdame. Sie wartete schon, wusste, ich konnte nicht anders, wartete nur darauf. Ich hatte sie bereits vorhin darum gebeten, mal schnuppern zu dürfen, in dem Zimmer, wo Kate mit Johnny knapp eine Woche lang gehaust hatte, sie hatte es also – war sie doch, einmal mehr, auf ein saftiges Trinkgeld aus – noch nicht sauber gemacht.

Während sie jetzt zum wiederholten Male das Treppengeländer polierte, trat ich ein. Das Zimmer roch gut, ein Frauenduft, womöglich Unisex. Ich begab mich zunächst auf den Balkon, der einzige im ganzen Haus, den – das hatte der Concierge ausdrücklich betont – nur die richtigen Leute zu Gesicht bekamen. Ich schaute in die Ferne.

Hier war ich also richtig, ganz oben, unter mir lag ein von Bars und Lokalen gesäumter Platz, wo es schon losging mit dem Wochenende, an dem die Isländer gerne brutal unterwegs waren, links die kleine Kirche, in der vier Frauen gerade ein impromptu Konzert gaben, zu sphärischen Klängen sangen, ich bin eine Eule, eine So-sommereule, meinte ich zu verstehen, dahinter dann der stadteigene See, in dem die Enten und Schwäne zu der Musik andächtig ihre Runden drehten, aber davon hatte man, wenn mal von Island die Rede war, bestimmt schon gehört, von diesem Zauber, rechts dann der Hafen, an dem es bekanntlich sehr gute Brühwürste gab, siehe oben, die Trinker demnach bis spät in die Nacht Schlange standen, und dahinter die schier unendliche Weite dieses Landes, dieser Insel, aber davon hatte ich mittlerweile auch genügend mitgekriegt, trotzdem kam mir die Gegenwart in diesem Moment von dem Balkon aus plötzlich ganz unverbindlich vor, im selben Moment jedoch auch gefährlich präsent. So geht es also auch, dachte ich mir.

Jedenfalls hatten die beiden im Zimmer das vollendete Chaos hinterlassen. Überall lag zerknülltes Papier, Johnny schrieb, standen überfüllte Aschenbecher, häuften sich die leeren Bierdosen, da ein vergessener Seidenschal, dort ein zerrissener Slip, achtlos, verwöhnt, wir haben’s ja. Sie wollten nicht, dass ich ihnen das Bett frisch überziehe, sagte jemand. Die Zimmerdame stand plötzlich hinter mir. Und, was dachten Sie sich dabei?, fragte ich sie. Ich weiß nicht, vielleicht konnten sie sich gut riechen, sagte sie, dann bäumte sie sich vor mir auf. Die beiden grüßten immer zuerst, Leute von Welt, sie waren unheimlich vornehm, sagte sie, blieb dann demonstrativ im Zimmer stehen. Es würde im Dutyfree nicht mal mehr für ein Mitbringsel oder einen Wikingerpulli oder eine Pulle Reyka reichen. Meine Informantin erhielt nun ihre Gage, ich verabschiedete mich, ohne mit der Zunge zu schnalzen, wollte ebenfalls vornehm wirken, schlich jetzt den Korridor entlang, kurvte um die ein oder andere Ecke, mein Zimmer – Betonung auf mein – ging natürlich nach hinten raus.

Hier war nichts mit unverbindlicher Gegenwart, mit gemeingefährlichem Präsens, hier kam es mir wieder vor, als hätte ich alles schon hinter mir. Als wäre mir alles schon vergangen. Ich schmiss die Schuhe gegen die Wand, legte mich aufs Bett, schloss die Augen, versuchte zu schlafen, hatte mir in der Apotek, einem Laden gleich nebenan, der seinem Namen alle Ehre machte, den halben Nachmittag einen hinter die Binde gekippt, das machte halt müde, dann auch noch die oben erwähnte Sache mit Bine, Abschied etc., aber schlafen konnte ich trotzdem nicht.

Nein, keine Sorge, sagte ich mir, sie wird dich schon wecken, hat es versprochen, du wirst nicht verschlafen, sagte ich mir im Halbschlaf, trotzdem bekommst du immer noch kein Auge zu, denn was ist, wenn du etwas vergessen hast, oder deine Nachforschungen waren einfach ungenügend, oder jemand hat dir womöglich mit böser Absicht etwas vorenthalten?

Keine Panik, ruhig Blut, sagte ich mir, und setzte mich in dem dürftigen Einzelbett auf. Du hast schließlich in den letzten Tagen jeden in Kate und Johnnys Dunstkreis regelrecht ausgequetscht, konntest nicht anders, musstest alles wissen, der Urlaub musste sich ja lohnen, hast schließlich dafür einen ganzen Monatslohn weggehauen, wenn nicht gleich zwei, also, aber es hat sich doch gelohnt, sagte ich mir zuletzt, und das stimmte sogar, und plötzlich wurde ich ganz ruhig, denn eins wusste ich doch mit hundertprozentiger Sicherheit – oder nicht? –, und zwar:

Ich war eingeweiht:

Für alle, die es wissen wollen oder gar müssen, noch mal von vorn:

Wie alles anfing:

Kate und Johnny nahmen also vor genau sieben Tagen den Flybus in die Stadt, vom Flughafen dauerte das ca. vierzig Minuten, im Taxi ging es vielleicht schneller, aber der Bus war romantischer, vielmehr, reeller, wenn man die beiden überhaupt je als reell unterwegs bezeichnen konnte. Sie buchten sich ins Hotel Borg ein, im Bezirk 101 gelegen, dem hippen Teil der Stadt, Downtown, wo sonst, ich wohnte ja auch da.

Sofort nach ihrer Ankunft – man hatte ihnen noch einen Fruchtkorb aufs Zimmer gebracht – schlief Johnny auf dem Sofa ein, den Kopf nach hinten gelegt, schnarchte leise, mit einer Dose Bier in der Hand, das hatte mir die Zimmerdame bereits erzählt, während Kate, aber hier hatte sie kurz innegehalten, woraufhin ich natürlich schnell ungeduldig wurde und sofort fragte, und?, wo war sie?, wo war Kate?

Die Lady war draußen, sie stand auf dem Balkon und rauchte, es umgab sie ein unverhältnismäßig dichter Schwaden, sagte die Zimmerdame. Gerade war ich am Gehen, da kam sie wieder ins Zimmer und stellte sich mir vor. Aber nicht etwa, indem sie mir die Hand reichte oder sogar ein paar Scheine, sondern lieber die indische – in Anführungsstrichen – Zigarette zuschob, die sie sich draußen vorsichtshalber schon mal angesteckt hatte und die wir zusammen gleich vollends cashten, um uns dann gemeinsam über den Fruchtkorb herzumachen. Ja, ich erinnerte mich noch genau an den exakten Wortlaut der Zimmerdame, auch mehr als grob an den weiteren Verlauf dieses ersten Tages der beiden, die relevanten Infos wurden mir nach und nach zugetragen:

Den frühen Abend verbrachten Kate und Johnny oben im Zimmer, womöglich im Bett, der Kellner nämlich, der ihnen ein spätes Abendessen servierte, hatte später zu berichten, die beiden waren völlig aufgedreht, konnten nicht voneinander lassen, nahmen ihn gar nicht mehr wahr, wirkten irgendwie erhaben, das waren seine Worte, grenzenlos, animalisch.

Kurz vor Mitternacht sah der Concierge die beiden dann das Hotel verlassen, gegen vier Uhr morgens – er war noch im Dienst, hatte dem Nachtportier freigegeben, wollte sich das nicht entgehen lassen – kamen sie zurück, beide dicht. Der Concierge gab Johnny den schweren, altmodischen Schlüssel, meine Frau ist schwanger, sagte dieser plötzlich, zeigte sich bereits hier ungemein offenherzig, aber Kate protestierte, schwanger werden, das habe ich gesagt, nicht schwanger, nicht, dass ich es bin, dass ich es werden will. Der Concierge tat seine Pflicht, freute sich mit, herzlichen Glückwunsch, hierauf reagierten die beiden aber nicht, denn sie küsste gerade sein Ohr, flüsterte ihm dabei etwas zu, streichelte ihn, nahm seine Hand an sich, machte sich mit dem Mund an seinen Fingerkuppen zu schaffen, entschuldigte sich dann, verzeihen Sie, ich und mein Mann, wir müssen jetzt hoch.

Der Concierge tat, was er sich – gemäß Kodex – längst angeeignet hatte, gratulierte seinen Gästen abermals, aber diese fuhren bereits Aufzug. Kate drückte – wie immer – den richtigen Knopf, die Tür ging zu, der Zug war abgefahren.

Und da kann ich jetzt noch so lange hier unten in der leerenden Gähne ausharren, sagte sich der Concierge in diesem Moment – das beichtete er mir später in einer übertrieben egomanischen Phase sogar gratis –, aber die kommen nicht wieder, bleiben oben, setzen sich jetzt bestimmt nicht gleich gegenüber der Rezeption auf einen der Plüschsessel und gehen sich an die Wäsche, nur um mir eine gemäße Show zu bieten. Der Concierge trug es jedenfalls mit Fassung, blieb schön am Boden – heute gab es leider nichts mehr zu gucken –, fand sich damit ab, weiter im Text.

Am nächsten Morgen war dann Bine dran. Ihr Chef schlief aus, erschöpft von den Strapazen der gestrigen Nacht, und sie war ganz allein, als sich voll zu früh, das was ihre Formulierung, ein Gast beschwerte, ein mürrischer Vorstand, obere Mittelschicht, wurde auf einmal patzig. Im Zimmer nebenan sei es die ganze Nacht lang heiß hergegangen, das Ganze sei nicht zu billigen, das war seine Formulierung. Bine entschuldigte sich in aller Form, das musste sie, das waren – laut Einmaleins – die Regeln, aber weil sie dabei wieder unterschwellig kicherte, nahm ihr der Vorstand die Entschuldigung nicht ab, wollte sich bei ihrem Vorgesetzten beschweren.

Mist, blöder, sagte Bine daraufhin, hatte sich nämlich in diesem Moment beim Mikado mal wieder erfolgreich selbst besiegt. Was die Beschwerde anging, war sie ihr ganz egal, denn mittlerweile kannte sie ihren Chef. Der würde sich die Beanstandungen dieses Spielverderbers zwar erst mal anhören, ganz Dienst nach Vorschrift, ihn jedoch keineswegs ernst nehmen, das wäre ihm entschieden zu kleinlich, denn er stilisierte sich gern als jemand, der das Big Picture stets im Blick hatte, deshalb kannte er auch keinerlei Pardon für so einen bornierten Kleingeist aus der unteren Oberschicht.

Sie haben durchgevögelt, schob mir Bine ganz lapidar herüber, sobald sie mit ihrer Schicht fertig war. Toll, meinte ich. Was findest du toll?, das verstand sie nicht. Ich finde die beiden toll. Und warum? Anreisen, schlafen, ausgehen, saufen, küssen, vögeln, leben, was?, fragte sie, ankommen, schlummern, feiern, trinken, knutschen, ficken, sagte ich, leben, sagte ich, und das auch noch, mehr oder weniger, inkognito, das ist toll. Leben, sagte ich noch mal. Ja, ich weiß, was das heißt, sagte Bine, schien auf einmal missmutig. Das kann doch jeder, sagte sie, da ist doch nichts dabei, das haben wir doch auch, sogar mehrere Nächte hintereinander.

Ja, aber, sagte ich – obwohl ich Leute grundsätzlich nicht ausstehen konnte, die zu allem erst mal Ja, aber sagten –, Kate und Johnny kennen sich nicht erst seit gestern.

Bine schmollte auf einmal, das kannte ich noch gar nicht an ihr, hatte sie sich wohl doch etwas von ihrem Vorgesetzten abgeguckt, nicht doch. Fakt aber war, dass sie das alles gar nicht wissen konnte, ich war schließlich der Einzige, der wusste, was es zu wissen gab, über die beiden.

Die Zimmerdame hatte mir zum Beispiel verraten, dass sie sich schon vor ungefähr dreieinhalb Jahren lieben gelernt hatten, das hatte Kate ihr am dritten oder vierten Tag ihres Aufenthalts im trunkenen Zustand anvertraut, ebenfalls, dass im Bett alles immer noch so lief wie am ersten Tag, ein Gespräch unter Frauen, während Johnny nebenan duschte. Danach hatte sich Kate anscheinend, ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, an ihre Stimmübungen gemacht. Was für Übungen?, fragte ich. Sie wiederholte immer denselben Satz, sagte sie, sang ihn lauthals vor sich hin. Was war das denn für ein Satz? Hier zögerte die Zimmerdame mal wieder, wollte gesagten Satz wohl für sich behalten – quasi als Souvenir – oder wollte mehr Geld, aber das machte nichts, ich wusste bereits, welcher es war, konnte es mir schon denken, soweit schätzte ich Kate nämlich mittlerweile ein, dass sie immerzu mit der Liebe kokettierte, die Liebe in Person war, was auch immer das hieß. Bine hatte Kates Satz mit mir auch benutzt, gestern Nacht, mehrmals, aber das nur nebenbei, weil Kate den Satz bestimmt ganz anders sagte. I-I-lo-ov-you-ou-ou-ou-ou, dachte ich mir.

Nach getaner Arbeit, und nachdem sie Johnny nach seiner Dusche wieder schmutzig gemacht hatte, war der Zimmerkellner hoch aufs Zimmer gekommen, hatte den beiden Bloody Marys serviert, hatte einen unpassenden Witz gerissen, von wegen Johnny hätte nun bestimmt alle Hände voll zu tun, bei vier Marys und einer Kate, alle drei hatten sich auf verkaterte Weise darüber amüsiert, so jedenfalls hatte es der Kellner seiner Kollegin weitergegeben.

Bis in den späten Nachmittag hinein verweilten Kate und Johnny dann hinter verschlossener Tür, gingen bestimmt wieder ins Bett, süffelten ausgiebig, schauten sich tief in die Augen, und munkelten über ihre nächsten Schritte. Dachte ich mir.

Am frühen Abend verließen sie, laut Concierge, gemeinsam das Hotel, kurze Zeit später kam Johnny jedoch allein zurück.

Ich fasste es nicht.

Saß nämlich gerade in meinem Zimmer vor der Minibar, die Bine und ich zuletzt restlos geplündert hatten, und es gab nur noch lauwarmen Gin, vielleicht hatte der Kühlschrank ein Loch. Obwohl ich sonst keinen Gin trank, weil ich von Natur aus schon depressiv genug war, goss ich mir jetzt einen Gin and Tonic ein und nahm einen müden Schluck.

Ab morgen sitzt du wieder im Büro. Und was hast du jetzt davon? Und was dann?, und wie geht es dann weiter? Gut erholt, aber weiter wie bisher? Fragen über Fragen. Ich trank wieder, dann machte ich eine kurze Pause, tief ausatmen, dann noch einen Schluck, das Glas war leer, aber ich spürte mich immer noch, das würde sich nie ändern. Du weißt vielleicht alles, aber was hast du eigentlich hier gemacht, hast du überhaupt etwas gemacht? Langsam wurden mir die Fragen zu doof.

Ich hatte mir – wie gesagt – eine Woche freigenommen, was ich zu Hause, im Büro, so trieb, das tat nichts zur Sache, weil es nichts bedeutete, zusammenfassend war bloß zu sagen, dass ich die ganzen Bälle, die mir ständig zugespielt wurden, niemals fallen ließ, schließlich könnten sie ja kaputtgehen, das alles natürlich im übertragenen Sinne.

Jedenfalls war ich nach Island gefahren, davon schwärmte ja bekanntlich derzeit jeder, das grandiose Naturspektakel, die hübschen Elfen, die überaus trinkfesten, leicht debilen Isländer, die einem beim Anstehen vor der Barínn schon mal den Ellbogen in die Magengrube rammten, das Hotel kannte ich aus einem Reisemagazin, auch Englisch sprach dort jeder mit einem charmant verspielten Akzent.

Ich hatte mir ein Auto gemietet. Sightseeing betrieben. War abgetaucht in die Blue Lagoon an einem regnerischen Tag, die Digitalanzeige am anderen Ende des trüben, milchigen Wassers war nicht mehr zu sehen, die blauen Ziffern auf geschwärztem Hintergrund, hinter dem immer noch die Sonne schien, obwohl ich ja wusste, es war schon spät, es war sehr, sehr spät, aber trotzdem, mitten im Sommer war es hier sehr, sehr lange immer sehr, sehr hell, aber das wusste ja mittlerweile auch jeder, trotzdem sah ich jetzt nichts mehr, obwohl ich doch immer Ausschau hielt, suchte, reiste, die ganze Zeit den Impuls hatte, den Ball endlich fallen zu lassen, damit er kaputtging, damit ich kaputtging, vielleicht wieder genesen konnte.

Vielleicht half sie mir ja dabei, diese Frau, die gerade auf mich zu schwamm, die kurz lächelte – mich liebte – und dann verschwand, ich fand sie nicht wieder, sie war mir abhanden gekommen, vielleicht war sie auch nie dagewesen, jedenfalls sah ich sie nicht mehr, taugte nämlich nicht als Augenzeuge, war auf einmal der Angeklagte, wurde verdächtigt, überhaupt nichts zu wissen, aber eins wusste ich ganz bestimmt, es war später als spät, anders, es war höchste Zeit.

Nachdem ich mir dann diesen pseudoexistenziellen Mist unter der kalten Dusche gründlich aus dem Kopf gebraust hatte, fuhr ich meist wieder in die Stadt, allein im Bus mit den anderen Fahrgästen, allein mit denen, alleiner ging es nicht. Entsetzliche Trauer wurde nun abgelöst von blankem Entsetzen, abgelöst von sträflicher Langeweile, abgelöst von einer leisen Euphorie, die sich unangemeldet immer mal wieder zu Wort meldete, zuletzt noch abgelöst von der Liebe, großgeschrieben, die man vielleicht fühlte und spüren konnte, die man wollte und wollen wollte, die nicht da war, aber trotzdem immerzu präsent, abgelöst von der Realität, dem gegenwärtigen Tag, an dem ich Johnny im Restaurant des Hotels antraf, wo er an der Bar an einem kleinen Carlsberg nippte.

Hi, sagte er, sagte es, als wolle er es schnellstmöglich gesagt haben, es aus dem Weg schaffen, mich loswerden.

Ich nickte, setzte mich in seiner Nähe auf einen Hocker, bestellte auch.

Später erfuhr ich dann, dass Johnny, nachdem er vorhin selbst ins Hotel zurückgekehrt war – Kate und er hatten unten am Hafen Rentierburger gefrühstückt, danach wollte sie in den Süden, sich einen aktiven Vulkan anschauen, Hekla hieß er, galt sagenumwoben als das Tor zur Hölle –, sich von unten erst mal jemanden hoch ins Zimmer kommen ließ, um die Fenster komplett abzudunkeln.

Es gab dafür spezielle Rollos, das war hier so üblich in den Sommermonaten, damit man nachts überhaupt schlafen konnte.

Nachmittags war es weniger üblich, aber Johnny wollte seine Ruhe, das übermäßige Licht störte ihn, denn für gewöhnlich saß er nach dem Lunch drei bis vier Stunden am Schreibtisch und feilte an seiner Karriere.

Heute war ihm aber nicht danach, mit anderen Worten, er war abgelenkt, wie man so schön sagt, blockiert, anders ausgedrückt, ihm fehlte die notwendige Inspiration, deshalb zog er sich ein frisches Hemd an, nahm den Aufzug nach unten, stellte sich an den Tresen und kam mit demselben Kellner überein, der mir jetzt auch ein Carlsberg hinstellte. Das beste Bier der Welt, sagte der Kellner. Wahrscheinlich, sagte ich. Dann gab ich ihm ein saftiges Trinkgeld, ich hatte schließlich großen Durst, aber der Kellner verschmähte meine Generosität. Das macht man hier nicht, sagte Johnny. Nur wusste ich zu diesem Zeitpunkt natürlich noch gar nicht, dass er Johnny hieß, sondern nur, dass er ein knitterfreies Hemd mit hochgestecktem Kragen trug und einen angenehm penetranten Frauenduft verströmte. Was?, fragte ich nach. Hierzulande ist alles im Preis inbegriffen, erwiderte er. Und warf mir dabei einen merkwürdigen Blick zu, den ich bestimmt falsch interpretierte.

Sind Sie schon länger hier?, fragte er dann. Ich schüttelte den Kopf. Sie etwa? Er nickte. Wir sind schon fast eine Woche hier.

Johnny hatte volles Haar und feste Lippen, er konnte sich bestimmt sehen lassen, ging damit aber nicht hausieren, mir gefiel das. Und was machen Sie hier?, fragte ich. Johnny grinste. Wir kommen runter. Wir haben nicht viel Zeit, fügte er hinzu. Ich verstand ihn nicht gleich, was Johnny anscheinend nicht entging, aber auf einmal war er nicht mehr bei mir.

Eine junge Frau betrat gerade das Hotel, sie kam direkt auf mich zu. Ich fuhr mir schnell durchs Haar und setzte eine nonchalante Miene auf, aber die Frau nahm mich gar nicht erst zur Kenntnis.

Johnny küsste sie prompt auf den Mund, das war sie natürlich, das war Kate, er stellte mich ihr vor, ich krächzte ein paar Worte, wollte höflich sein, aber Kate wollte nichts trinken, zupfte sich an ihrem Rockzipfel, das war wohl ein Code der beiden, denn Johnny ließ sein Carlsberg stehen, um dann mit der wahrscheinlich schönsten Frau der Welt im Aufzug zu verschwinden.

Ich hielt mich an meinem Glas fest. Junge, Junge. Der Urlaub war jedenfalls gerettet. Ich würde mich einfach an die beiden dranhängen.

An der Rezeption erfuhr ich eher zufällig, dass Kate und Johnny vorhatten, am nächsten Tag aufs Land zu fahren, fischen, sagte mir der Concierge, kam nicht umhin, mir prahlerisch Bilder der pittoresken Fischerhütte, die er ihnen für die eine Nacht – oder auch länger – zur Verfügung gestellt hatte, vorzuführen, obwohl er sonst nicht so drauf war, sich über die Gewohnheiten anderer Gäste vor anderen Gästen auszulassen, was er mir dann auch unmissverständlich klarmachte, die Bilder mit einem grobschlächtigen Tastendruck kurzerhand verschwinden ließ, aber ich wusste es natürlich besser. Denn fischen gehen würden die beiden bestimmt nicht, jedoch behielt ich diese Information feinsäuberlich für mich, schließlich gingen den Concierge meine eigenen, intimsten Erkenntnisse ebenfalls nichts an.

Behutsam vertiefte ich mich in meine Gedanken. Ich sah die beiden nämlich schon vor mir.

Johnny würde sie gleich nach der Ankunft an besagter Hütte fragen, und jetzt?, was machen wir jetzt?, weil er davon ausging, sie hätte sich bestimmt etwas ausgedacht, aber dem war nicht so, Kate hatte nichts geplant, also würde er erst mal runter ans Wasser, um sich eher halbherzig an einer Angel zu versuchen. Kannst du das überhaupt?, ruft Kate ihm noch nach, dann setzt sie sich auf einen Felsen, sondiert die Lage. Irgendwann bringt sie ihm ein kaltes Bier.

Johnny hat sich der Angel längst entledigt, sitzt am Fluss im Gras, denkt sich vielleicht, eines Tages saß ich am Fluss im Gras, neben mir die nagelneue Rute, da gesellte sich plötzlich eine Frau zu mir, aber ich kannte sie schon, es war meine eigene, die heute jedoch bestimmt etwas im Schilde führte, mir nämlich ungefragt ein kaltes Bier mitbrachte.

Johnny ist überrascht, trotzdem greift er nach der Dose, aber Kate weicht ihm aus, öffnet die Dose jetzt selbst, nimmt einen Schluck, lecker, schaumbetont, aber sie verzieht unversehens die Miene, denn Kate trinkt kein Bier. Gib schon her, sagt Johnny. Er streckt schon wieder die Hand nach der Dose aus. Sag was Liebes, Johnny, sagt Kate. Dieser versucht es mit einem Lächeln. Sag Zuckerhäschen. Bestimmt haben die beiden ganz übertriebene Kosenamen. Johnny murmelt daraufhin etwas in seinen Bart, was Kate jedoch anscheinend nicht zufriedenstellt. Sag mein Küken, sagt sie.

Später in der kleinen Fischerhütte haben sie dann, obwohl Johnny nichts gefangen hat, trotzdem genug zu essen, danach machen sie Liebe, wobei eine schlecht platzierte Stehlampe zu Bruch geht. Nichts kaputt, flunkert Kate, lacht und setzt sich dabei nach oben auf eines der Stockbetten, in denen die Angler saisonbedingt ihren Rausch ausschlafen. Langweile ich dich, Johnny?, fragt sie. Die Frage kommt ihm gleich bekannt vor, nein, sagt er vorsichtig, weil ich mich verändern werde, sagt sie dann, aber die kurze Szene hat sie ganz klar aus einem Buch, aus dem Garten Eden, aus dem sich die beiden kurz vor Antritt ihrer Reise noch vorgelesen hatten.

Johnny weiß in diesem Moment nicht, was er denken soll. Was soll man auch denken, wenn eine Frau, an der man nichts auszusetzen hat, einem – allem Anschein nach – folgenschwere Konsequenzen ankündigt?

Daraufhin steigt Kate wieder aus dem Bett und legt ihre Arme um Johnny, der mit dem Rücken zu ihr am Fenster steht. Es wird dir gefallen, sagt sie.

Ich gehe jetzt schlafen, sagt Johnny, vielleicht weil er Kates potenzielles Vorhaben – egal, was es sein wird – nicht gutheißt, das tragische Ende des eben zitierten Romans noch vor Augen hat, oder einfach, weil ihm bewusst ist, dass Kate bereits übermorgen abreisen muss, ihre Proben hatten begonnen, während er selbst noch ein paar Wochen verharren würde, um der eigenen Arbeit nachzuhängen. Und da soll diese Nacht doch lieber eine geruhsame werden, denkt er sich, während er in dasselbe Bett klettert, welches Kate gerade verlassen hat, am späten Abend bin ich jetzt müde und wünsche mir und hoffe, dass diese Nacht hier in dieser Hütte unter diesem geborgten Himmel mit dieser Frau, die vorhin noch so lustvoll einen staubtrockenen Lampenschirm zertreten hat, einträchtig verläuft, dass nichts weiter kaputtgeht, und dass diese Frau, von der ich schon so viel weiß, zu mir kommt, mich nicht zu lange im Dunkeln lässt. Das denkt sich Johnny, während er langsam wegdöst.

Und Kate? Wer weiß. Vielleicht tut sie ihm diesen Gefallen, vielleicht auch nicht, vielleicht bleibt sie die ganze Nacht – es ist hier wieder einmal rund um die Uhr hell – draußen auf ihrem moosigen Felsbett sitzen, raucht, heckt aus, plant hier und jetzt womöglich ihren baldigen Höllenritt.

Es war frühmorgens.

Ich saß anscheinend immer noch am Tresen, und war so daneben, dass ich jedem, der es hören wollte, alles erzählte, alles, was ich wusste, aber zum Glück hörte keiner mehr zu. Ob ich geschlafen hatte und, wenn ja, wo, war nicht mehr mit hochprozentiger Sicherheit zu ermitteln. Auch nicht, was ich in den – mittlerweile – zwei Nächten sonst so getrieben hatte. Später entdeckte ich in meinem Zimmer keinerlei Spuren, die auf etwas Außergewöhnliches hinwiesen, aber was hieß das schon. Jedenfalls frühstückte ich gerade und schmeckte Johnny komischerweise immer noch in meinem Bier.

Als die beiden kurz danach im Hotel einliefen, nahmen sie kommentarlos den Aufzug, während ich ihnen auf den Treppen bis ganz nach obenhin nachstieg. An ihrer Zimmertür hing erwartungsgemäß die rote Karte, aber ich klopfte trotzdem an. Es dauerte nicht lange, da öffnete Johnny die Tür, er trug einen Slip, wisperte, aber nicht in meine Richtung, sah mich nicht mal an, schaute nach hinten, sah etwas, was ich nicht sah, keine Ahnung, wer das ist, sagte er, dann war er plötzlich wieder bei mir. Erinnerst du dich?, fragte ich, aber es war hoffnungslos. Johnny musterte mich von oben bis unten, zeigte keinerlei Reaktion, rümpfte nicht mal die Nase, dabei wusste ich schließlich, dass ich bis zum Himmel stank. Bitte nicht stören, sagte er dann, zeigte freundlicherweise sogar auf die Karte, die seit ihrer Ankunft an dem Türknauf der Suite baumelte.

Erst heiß, dann kalt, das war mein Rücken, das kam vom Alkohol. Was willst du?, er. Ich wollte, ich. Einen Drink?, er, und als ich daraufhin nickte, war er schon drauf und dran, mich reinzulassen, als sie ihn zurück ins Zimmer rief, so lauthals fluchte, dass er keine andere Wahl hatte, als mich stehenzulassen, er lächelte noch ein letztes Mal, dann ging die Tür zu. Auf dem Weg nach unten roch es im Aufzug nach Kate, man spürte noch ihre Präsenz, hatte jedoch das dunkle Gefühl, dass ihre Stimme eben das letzte Lebenszeichen war, was man je von ihr erhalten sollte.

Ich fasste es nicht.

Dachte nach. Warum man die ganze Zeit Gin saufen musste – die Rapper mit Saft, die neuen Briten leichtfüßig aus Tassen von Wedgwood –, das sollte mir mal einer erklären, denn Gin war ein Downer, und ich, von Haus aus eher unglücklich veranlagt, hatte mir wohl eine der restlichen Fläschchen zu viel gegeben, was meiner schlechten Laune dann auch keinen Abbruch tat, im Gegenteil.

Seit heute Mittag waren Kate und Johnny, wie gleich anfangs erwähnt, verschwunden.

Ich hatte ihren Abgang – so früh ließ der Kater ein Aufstehen meinerseits nicht zu – natürlich verpasst, bekam meine Infos also wieder bloß aus zweiter Hand.

Anstatt zum Flughafen war Kate mit dem Auto zu Edward, der ihr – dank Bine – mit seinen Scherenhänden half, ihren hüttennah ausgeheckten Plan in die Tat umzusetzen.

Als sie ins Hotel zurückkam, strahlte sie übers ganze Gesicht, das war dem Concierge gleich aufgefallen, obwohl er sie zuerst fast verwechselt hatte, das ist doch die Seberg, aber dann erkannte er Kate auf einmal, bitte vielmals um Entschuldigung.

Kurz danach ließ sie sich jemanden hoch aufs Zimmer kommen, um ihr beim Packen zu helfen, einigen Berichten zufolge – die ich gerade nicht mehr zuordnen konnte – war sie zu diesem Zeitpunkt hochgradig nervös und deshalb selbst nicht imstande dazu. Unten beglich sie die Rechnung, auch die ihres Mannes, hinterließ den mittlerweile berüchtigten Zettel und verschwand.

Irgendwann kam dann auch Johnny zurück ins Hotel. Er hatte eine heftige Fahne. Morgens war er, nachdem er sich von Kate – wie gewohnt – verabschiedet hatte, runter an den Hafen, hatte gegessen – vier mit allem und extra Speck – und getrunken und wollte danach eigentlich zurück ins Hotel, um mit der Arbeit anzufangen, das steckte er jedenfalls dem Budenbesitzer – den ich mittlerweile gut kannte –, nachdem ihn dieser, wahrscheinlich wegen seines verwegenen Äußeren, gefragt hatte, sind Sie Schriftsteller?

Johnny verweigerte ihm hierauf nicht die Antwort, ins Hotel zurück ging er auch nicht, sondern blieb erst mal sitzen und suchte äußerst gepflegt den Absturz.

Er beobachtete dabei in aller Ruhe das Treiben auf der Hauptstraße des kleinen Städtchens, ein Typ spielte beherzt Gitarre. Das Land der tausend Bands, sagte der Besitzer nebenbei, und Johnny schloss kurz die Augen, öffnete sie dann wieder.

Sein Getränk stand immer noch da, er trank zu Ende, bestellte von Neuem, obwohl er das nicht musste, denn der Besitzer ließ sein Glas nie leer ausgehen, sorgte stets für genügend Nachschub.

Dann schaute sich Johnny plötzlich um, als wollte er nicht, dass sich ihm jemand unbemerkt näherte. Er schüttelte den Kopf. Hatte vielleicht so ein merkwürdiges Gefühl. So einfach geht das bestimmt nicht über die Bühne, sagte er laut vor sich hin. Nein, sagte er, und stand auf.

Schwankte, laut Besitzer, ein starker Wind wehte vom Meer. Zahlte, Haare zu Berge, weg war er.