Clemens Brentano: Gesammelte Gedichte

 

 

Clemens Brentano

Gesammelte Gedichte

 

 

 

Clemens Brentano: Gesammelte Gedichte

 

Neuausgabe mit einer Biographie des Autors.

Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Berlin 2017.

 

Umschlaggestaltung unter Verwendung des Bildes:

Clemens Brentano, Gemälde von Emilie Linder, um 1835

 

ISBN 978-3-7437-1195-2

 

Dieses Buch ist auch in gedruckter Form erhältlich:

ISBN 978-3-7437-1137-2 (Broschiert)

ISBN 978-3-7437-1138-9 (Gebunden)

 

Die Sammlung Hofenberg erscheint im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG, Berlin.

 

Clemens Brentano hat selbst keine Sammlung seiner Lyrik herausgegeben. Seine Gedichte erschienen einzeln in Zeitschriften und Almanachen bzw. als Teil seiner Romane und Erzählungen. Viele Gedichte blieben jedoch zu Lebzeiten unveröffentlicht und wurden erst nach seinem Tod bekannt, wobei es sich dann oft nicht um authentische Texte, sondern um recht willkürliche Bearbeitungen der Herausgeber handelte. Der hier vorgestellten Textauswahl liegt die immer noch maßgebliche Edition der Lyrik zugrunde, die von Wolfgang Frühwald, Bernhard Gajek und Friedhelm Kemp erarbeitet wurde. Diese Herausgeber stellten die Texte dankenswerterweise in eine chronologische Ordnung und berücksichtigten bei wichtigen Gedichten auch unterschiedliche Textfassungen.

 

Der Text dieser Ausgabe folgt:

Clemens Brentano: Werke. Herausgegeben von Friedhelm Kemp, Band 1–4, München: Hanser, [1963–1968].

 

Die Paginierung obiger Ausgabe wird in dieser Neuausgabe wortgenau mitgeführt und macht dieses E-Book auch in wissenschaftlichem Zusammenhang zitierfähig. Das Textende der Vorlagenseite wird hier durch die Seitennummer in eckigen Klammern mit grauer Schrift markiert.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind über http://www.dnb.de abrufbar.

 

Simphonie

Ruhe! – die Gräber erbeben;

Ruhe! – und heftig hervor

Stürzt aus der Ruhe das Leben,

Strömt aus sich selbsten empor

Die Menge, vereinzelt im Chor.

 

Schaffend eröffnet der Meister

Gräber – Geborener Tanz

Schweben die tönenden Geister;

Schimmert im eigenen Glanz

Der Töne bunt wechselnder Kranz.

 

Alle in einem verschlungen,

Jeder im eigenen Klang,

Mächtig durchs Ganze geschwungen,

Eilet der Geister Gesang

Gestaltet die Bühne entlang.

 

Heilige brausende Wogen,

Ernst und wollüstige Glut

Strömet in schimmernden Bogen,

Sprühet in klingender Wut

Des Geistertanz silberne Flut.

 

Alle in einem, erstanden,

Sind sie sich selbst nicht bewußt

Daß sie sich einzeln verbanden;

Fühlt in der eigenen Brust

Ein jeder vom Ganzen die Lust.

 

Aber im inneren Leben

Fesselt der Meister das Sein;

Läßt sie dann ringen und streben;

Handelnd durcheilet die Reihn

Das Ganze im einzelnen Schein.

 

Phantasie

Für Flöte, Klarinette, Waldhorn und Fagott
Flöte

Stille Blumen,

In der Liebe Heiligtumen

Nicht entsprossen,

Welken nieder.

Süße Lieder,

Ohne Echo hingeflossen,

Kehren nimmer wieder.

 
Klarinette

Doch zeiget der Spiegel im Quelle,

So freundlich und helle,

Das eigne Gebild;

Wie's flüchtig in rastloser Schnelle

Sich eilend geselle,

Und Welle an Welle

Dem Leben entquillt.

 
Fagott

Wohnen nicht klar in mir

Des Geistes Gestalten;

Leben, so will ich Dir

Den Busen entfalten;

Wer den eignen Ton nicht hört,

Lausche, bis er wiederkehrt –

Widerschein

Blickt ins dunkle Herz herein.

 
Waldhorn

Des Vorhangs leises Beben

Erschreckt mich nicht,[28]

Und kann ich nicht erstreben

Das eigne Licht:

So wandl' ich schön und stille

Ein Kind dahin:

Mich grüßt durch fromme Hülle

Ein heil'ger Sinn.

 
Alle

Es eilet jed Leben die eigene Bahn;

Es schauet der Spiegel den Menschen nicht an;

Es küsset die Welle die Welle so gerne,

Und reißet vom Ganzen nicht einer sich los;

Doch blüht einem jeden das Ganze im Schoß,

Und tief durch den Schleier, da weht es von ferne.

 
Flöte

Helle Sterne

Blinken aus der weiten Ferne

Fremdes Licht –

Und die Tränen,

Die sich nach dem Freunde sehnen,

Siehst Du nicht.

 
Waldhorn

Es wandelt voll Liebe im Leben

Die Sonn' und das Mondlicht herauf;

Doch, wenn wir das eigne nicht geben,

Schließt nimmer der Schatz sich uns auf.

 
Fagott

Was wir suchen, ach, das wohnet,

Unerkannt

Uns im Herzen, unbelohnet;

Und die Hand

Haschet stets nach äußerm Schimmer.

Was wir nicht umfassen,[29]

Das müssen wir lassen;

Denn wir fassen's sicher nimmer.

 
Klarinette

Die ganze Welt

Umwölbet ein Zelt,

Über jeglicher Pforte

Stehn goldne Worte.

Das Aug' der Sonne glühet

Zur Blume, die aufsteht,

Den heißen Gruß;

Auf Mondeslippen blühet

Der Blume, die heimgeht,

Der stille Kuß.

Und wer mit beiden

Nicht kindlich spricht,

Dem leuchtet kein Licht,

Der findet den Ein- und den Ausgang nicht,

Der kann nicht kommen, nicht scheiden.

 
Alle

Und wer sich mit Liebe nicht selber umarmt,

Für den ist das Leben zum Bettler verarmt.

In eigenem Busen muß alles erklingen,

Und daß der Sinn leicht finden es kann,

Hat's viele buntfarbige Kleider an,

Und Hülle und Geist sich zum Leben verschlingen.[30]

 

Guitarre und Lied

Guitarre

Wache auf, Du süßes Lied,

Öffne Deine goldnen Augen;

Mondschein still herniedersieht.[30]

Leise, kühle Lüfte hauchen

Durch die tiefe dunkle Nacht.

Lasse Deinen hellen Blick,

Leuchtend, durch die Schatten schweben;

Antwort kehret bald zurück,

Wenn des Echos Wechselleben

Hallend an dem Fels erwacht.

Sag', wo willst Du hin?

Soll ich Dich begleiten,

Durch die Dunkelheiten

Deine Schritte leiten?

Soll ich stiller Liebe

Deinen düstern Sinn

Freundlich deuten?

Willst Du Deine Triebe

Durch den Abend singen;

Oder höher,

Immer höher

Zu den Sternen klingen?

Laß Dich traulich umschlingen;

Sprich Deine Worte

In meine Akkorde.

 
Lied

O, welch nächtlich banges Rauschen;

Ob sie wohl am Fenster stehet,

Oder an der kleinen Pforte,

Meine Töne zu belauschen;

Oder durch den Abend gehet.

 
Guitarre

Mädchen, höre seine Worte!

Mädchen, lieb Mädchen erscheine,

Sieh vom Fenster nieder;

Laß das Lied

Nicht so alleine.[31]

Ach, der helle Schimmer

Bald verglüht,

Kehret nimmer,

Nimmer wieder.

 
Lied

Nimmer, nimmer wiedersehen!

Stille Liebe, süße Blicke,

All die Töne, all die Lieder

In der kühlen Nacht verwehen;

Nimmer kehren sie zurücke.

 
Guitarre

Ach, das Mädchen sieht nicht nieder;

Von den Saiten schwingen

Sich die Töne durch die Nacht,

Worte irren und verklingen –

Wo die Liebe nicht wacht,

Ist alles leer,

Kein Freuen mehr.

 
Lied

Alles leer, und nimmer freuen,

Kaum im Herzen aufgeblühet,

Ist das Leben schon so schwer.

Muß ich mich dem Tode weihen,

Der mich langsam abwärts ziehet.

 
Guitarre

Ist denn keine Wiederkehr?

Ist die Liebe hingetragen

In den stummen Tod?

Ist sie nirgends zu erfragen;

Ist sie in dem Abendrot,[32]

Mit den andern Funken,

Hinabgesunken?

 
Lied

Alle Lichter bald versinken;

Alle Töne stumm ersterben;

Nur allein, wer liebetrunken,

Liebe sieht im Auge blinken,

Der kann nimmermehr verderben.

 
Guitarre

Ist die Liebe Dir versunken,

O, so wende,

Schnell behende,

Zum Himmel die Blicke,

Laß die untreue Erde zurücke.

Hinauf ins helle Getümmel,

In der Sterne froh Gewimmel!

Oben am Himmelszelt

Kein Echo Dich gefesselt hält.

Im hohen Wolkensaal,

Da sind Liebesblicke,

Und freudiges Hallen

Hörst Du zurücke,

In Tönen ohne Zahl,

Dir wieder schallen.

 
Lied

Aller Himmel bald verschwindet,

Alle Sterne bald vergehen,

Alle Töne niederfallen;

Denn allein ihr Blick entzündet

All das Licht in [33]Himmelshöhen.

 
Guitarre

Nun so laß uns abwärts wallen.

Bebe nicht,

Der Weg ist so tief,

Ohne Licht.

Manch Lied schon so entschlief;

Kannst Du in den Himmelsseen

Keine Freiheit mehr ersehen,

In den fernen

Goldnen Sternen,

Die wie Blumen drinnen brennen.

Keinen Frühling mehr erkennen.

So will ich Dich führen auf stillen Wegen;

In den Busen, wie ins Grab,

Dein Gebete,

Deine süße Rede

Traurig niederlegen.

Blicke nieder

Ohne Wehe,

Vergehe,

Kehre heller wieder.

 
Lied

Ach, mit tiefen, tiefen Wehen

Kehre ich ins Herz zurücke,

Sink' ich in die Tiefe nieder,

Und das Herz muß nun vergehen,

Weil ich's mit Gewalt zerdrücke.

 
Guitarre

Ach, so sterben alle Lieder,

Die so lange

Liebe suchen in dem Weibe.

Liebe, nein, die währt nicht lange,

Dient dem Leibe[34]

Bloß zum süßen Zeitvertreibe.

Ist die Zeit vertrieben,

Wo ist die Liebe geblieben?

Mit den Sinnen

Muß man die Liebe

Wild umspinnen;

Da ist Leben,

Wiedergeben

Zu gewinnen.

 
Lied

Laß, o laß mich ruhig sterben,

Drücke mir die Augen zu;

Laß mich glaubend still zerrinnen,

Soll ich zweifelnd denn verderben?

Gieb im Tode mir nur Ruh'.

 
Guitarre

Gehe hoffend still von hinnen,

Schlummre sanft Du süßes Lied;

Schließe Deine goldnen Augen,

Mondschein ist schon abgeblüht.

Leise Lüfte Dich verhauchen,

Kühler Morgen schon erwacht.

Lasse Deinen trüben Blick

Stille zu den Schatten schweben,

Sehne nimmer Dich zurück;

Denn der Liebe Wechselleben

Ist verhallt in tiefer Nacht. –

Ach, wo bist Du hin?

Konnt' Dich nicht begleiten,

Durch die Dunkelheiten

Deinen Schritt nicht leiten;

Konnt' nicht stiller Liebe

Deinen düstern Sinn

Freundlich deuten?[35]

Konntest nicht Deine Triebe

Durch den Abend singen;

Auch nicht höher,

Immer höher

Zu den Sternen klingen;

Mußte Dich traurig umschlingen –

Schlummert freundlich

Ihr letzten Worte,

Im letzten Akkorde.[36]

 

[Wie steigst Du so ganz leise]

Wie steigst Du so ganz leise

Still aus der Erd' heraus

Und lischst das schöne, weiße,

Hell Tageslichtlein aus.

 

Du machst das ganze Leben

So dunkel und so tot;

Willst mir wohl Ruhe geben,

Und trösten meine Not?

 

Da bist Du gar betrogen,

Giebst Dir verlorne Müh';

Den aus der Not gezogen,

Hat keine mich, als sie,

 

Die jetzt in stillen Stunden

Mein kleines Bildnis schaut,

Der Liebe zu gesunden,

Manch Hoffnungsschloß erbaut.

 

Die treue Lieb' bewachet,

Hat schwärzer Haar als Du,

Und ihre Sternlein machet

Sie jetzo balde zu.

 

Ich geh' in stillen Gründen,

Mein' Liebe sinnt von ihr[36]

Viel Blumen; daraus winden

Ich will ein Kränzlein mir.

 

Die Blümlein sind Gedanken,

Die schnelle all vergehn;

Doch eins hab' ich zu danken,

Das bleibet ewig stehn;

 

Ich hab' ein schön Geschmeide

Mit wundersamer Kraft,

Das alles Glück und Freude

Mir bald zu Diensten schafft.

 

Wohnt doch die Wahrheit drinnen,

Und zweifeln kann ich nicht,

Weil hell zu meinen Sinnen

Die Wunderblume spricht.[37]

 

[Der goldne Tag ist heimgegangen]

Der goldne Tag ist heimgegangen;

Ich sah ihn über die Berge ziehn,

Und all mein sehnendes Verlangen

Floh mit ihm hin.

 

Bunt ist wohl um des Jünglings Hüften

Der schimmernde Mantel hingewallt,

Und leise in den Himmelslüften

Sein Lied verhallt.

 

Ich sah wohl die glühenden Locken

Am Berge wehn,

Oben ihn stehn,

Und freundlich goldne Flocken

Auf die Bahn hinsäen,

Drauf weiter zu gehen.

 

Da breitet das Leben

Die Schmetterlingsflügel,[37]

Am duftigen Hügel

Ihn hoch zu erheben,

Uns nochmals zu geben.

 

So traurig saß er oben

Im Purpurzelt,

Und grüßt' die Welt:

Leb wohl da unten!

 

Da hat ihn der Flügel

Mit Flammen umwunden,

Am duftigen Hügel

Hinübergehoben.

 

Sein ödes Reich bleibt still zurücke,

Die Welt verweilt ganz herrenlos.

Das Leben forscht mit trübem Blicke

Im eignen Schoß.

 

Ein düstrer Mantel rauschet nieder

Rund um des Jünglings verlaßnen Thron,

Und aus den Wäldern hallet wider

Ein trunkner Ton.

 

Es rühren die nächtlichen Stunden

Sich tief im Tal,

Bereiten ein Mahl

Im dämmernden Saal,

Mit dichten Gewändern umwunden.

 

Ein matter Strahl

Blinkt am Pokal,

Und süß betrunken,

Vom goldenen Wein,

Schlummert die jüngste

Der Stunden schon ein,

Die andern lauschen

Von außenher zu,[38]

Und stürzen herein.

Es sterben die Funken,

Hinabgesunken

Ist der letzte Strahl

Von ihrem Pokal.

Sie irren und rauschen

Ohn' Schimmer und Schein,

Ohn' alle Ruh'.

Zerstört ist das Mahl

Und dunkel der Saal.

 

Da schreiten die Stunden so leise

Wohl in die Nacht,

Verhüllen auf finsterer Reise

Mit ernstem Bedacht,

In dunkeln Falten

Die regen Gestalten,

An denen sie sinnend vorüberwallten,

Und alles umarmt sich rings umher,

Es giebt keine einzelne Rechte mehr,

Es öffnet jed Leben dem andern die Brust,

Und trinket mit Lust,

Ganz ohnbewußt,

Den himmlischen Kuß,

Den Wechselgenuß.

So innig umschlungen,

So heilig durchdrungen,

Umhüllet ein Rausch,

Den lieblichen Tausch.

 

Und endlich lösen die Arme sich auf,

Der Mond zieht herauf;

Der dämmernde Blick

Träumt trunkenen Traum.

Im himmlischen Raum

Erblühen die Sterne,

Und kehret das Licht

Bescheiden zurück.[39]

 

Das Leben flicht

Dann in der Ferne

Den bräutlichen Kranz,

Entzündet die Lieder,

Erleuchtet den Tanz.

Die reizenden Glieder

Umhüllt ein Gewand,

Durchsichtig gewebet.

Das Leben erhebet,

Zum Himmel gewandt,

Den Busen, und strebet

Sich wieder zu finden.

Die Sehnsucht erwacht

In schimmernder Nacht.[40]

 

[Ach nimmer will es in dem Herzen schweigen]

Ach nimmer will es in dem Herzen schweigen

Es treibt mich fort, fort aus des Lebens Mitte;

Wo eil' ich hin, wer leitet meine Schritte,

Das ferne weite Ziel noch zu erreichen?

All mein Leben,

Holder Frühling,

Morgenröte,

Abendschimmer,

Immer weiter abwärts schweben.

 

O stehe still du eilender Gedanken,

Laß mich in Deine klaren Augen sehen,

Daß alle meine Leiden dann vergehen.

O weile, sieh, ich kann nicht weiter wanken.

Ach, erbarme

Dich der Liebe,

Die die Sinne

Mir gelöset;

Laß mich ruhn in Deinem Arme.[40]

 

Die Füße hab' ich blutig schon gegangen,

Die Sonne brennt so heiß auf mich hernieder,

Und immer finde ich den Kummer wieder,

Bin ewig in dem Leben eingefangen.

Niemals weilen

Seine Schritte,

Vor mir fliehet

Sein Gebilde;

Nimmer kann ich ihn ereilen.

 

Mein Denken all in Liebe ist ertrunken,

Und überall seh' ich den Mächt'gen stehen,

Und überall hör' ich ihn mich verschmähen;

Bin stets in tiefen bangen Schmerz versunken.

Von dem Glücke

Ihn zu hören,

Seine Blicke

Aufzufangen,

Blicket nie ein Strahl zurücke.

 

Da sitz' ich weinend nun an fremder Schwelle,

Und harr' und hoffe, was ich nie erreiche,

Was ich im Herzen tief und still verschweige;

Und nimmermehr wird mir die Aussicht helle.

Muntre Lieder,

Freudig Lachen,

Frohe Blicke,

Leichte Sinne,

Nimmer kehren sie mir wieder.

 

So möge denn die Blume niedersterben,

Die ohne Nahrung sich hinabgehärmt,

Die nie ein goldner Sonnenstrahl erwärmt;

Ich habe nur gelebet zu verderben.

Frohes Leben

Ihn umschlinge

Dicht mit Freude;

Von der Armen

Sollst Du nie ihm Kundschaft geben.[41]

 

[Von den Mauern Widerklang]

Von den Mauern Widerklang –

Ach! – im Herzen frägt es bang:

Ist es ihre Stimme;

Und vergebens sucht mein Blick

Kehret mir ein Ton zurück? –

Ist's nur meine Stimme? –

 

Auf der Mauern höherm Rand

Sind die Blicke hingebannt,

Doch ich seh' nur Sterne;

Und in hoher Himmelssee

Ich die Sterne küssen seh',

Wären's unsre Sterne.

 

Nacht ist voller Lug und Trug,

Nimmer sehen wir genug

In den schwarzen Augen;

Heiß ist Liebe, Nacht ist kühl,

Ach ich seh' ihr viel zu viel

In die schwarzen Augen.

 

Sonne wollt' nicht untergehn,

Blieb am Berg neugierig stehn;

Kam die Nacht gegangen.

Stille Nacht in deinem Schoß

Liegt der Menschen höchstes Los,

Mütterlich umfangen.

 

[So weit als die Welt]

So weit als die Welt,

So mächtig der Sinn,

So viel Fremde er umfangen hält,

So viel Heimat ist ihm Gewinn.

 

[Weste säuseln; silbern wallen]

Weste säuseln; silbern wallen

Locken um den Scheitel mir.

Meiner Harfe Töne hallen[42]

Sanfter durch die Felsen hier.

Aus der ew'gen Ferne winken

Tröstend mir die Sterne zu.

Meine müden Augen sinken

Hin zur Erde, suchen Ruh'.

 

Bald ach bald wird beßres Leben

Dieses müde Herz erfreun,

Und der Seele banges Streben

Ewig dann gestillet sein.

Schwarzer Grabesschatten dringet

Um den Tränenblick empor,

Aus des Todes Asche ringet

Schönre Hoffnung sich hervor.

 

Meines Kindes Klage lallet

Durchs Gewölbe dumpf und hohl,

Idolmios Zunge lallet

Jammernd mir das Lebewohl

Zu der lang ersehnten Reise.

Senkt mich in der Toten Reihn.

Klaget nicht, denn sanft und leise

Wird des Müden Schlummer sein.

 

Und du Gute nimmst die beiden

Mütterlich in deinen Arm,

Linderst meiner Tochter Leiden,

Lächelst weg des Knaben Harm.

Aus des Äthers lichter Ferne

Blickt dann Trost der Geist euch zu.

Es umarmen sich zwei Sterne

Und ihr Kuß giebt allen Ruh'.

 

Schwermut glänzt des Mondes Helle

In mein tränenloses Aug',

Schatten schweben durch die Zelle,

Seufzer lispeln, Geisterhauch

Rauschet bang durch meine Saiten,[43]

Horchend heb' ich nun die Hand,

Und es pochen, Trost im Leiden,

Totenuhren in der Wand.[44]

 

[Die Seufzer des Abendwinds wehen]

Die Seufzer des Abendwinds wehen

So jammernd und bittend im Turm;

Wohl hör' ich um Rettung dich flehen,

Du ringst mit den Wogen, versinkest im Sturm.

 

Ich seh' dich am Ufer; es wallet

Ein traurendes Irrlicht einher.

Mein liebendes Rufen erschallet,

Du hörest, du liebest, du stürzest ins Meer.

 

Ich lieb' und ich stürze verwegen

Dir nach in die Wogen hinab,

Ich komme dir sterbend entgegen,

Ich ringe, du sinkest, ich teile dein Grab.

 

Doch stürzt man den Stürmen des Lebens

Von neuem mich Armen nun zu.

Ich sinke; ich ringe vergebens,

Ach nur in dem Abgrund des Todes ist Ruh'.

 

Da schwinden die ewigen Fernen,

Da endet kein Leben mit dir.

Ich kenn' deinen Blick in den Sternen,

Ach sieh nicht so traurig, hab' Mitleid mit mir!

 

[Um die Harfe sind Kränze geschlungen]

Um die Harfe sind Kränze geschlungen,

Schwebte Lieb' in der Saiten Klang:

Oft wohl hab' ich mir einsam gesungen,

Und wenn einsam und still ich sang,

Rauschten die Saiten im tönenden Spiel,[44]

Bis aus dem Kranze, vom Klange durchschüttert,

Und von der Klage der Liebe durchzittert,

Sinkend die Blume herniederfiel.

 

Weinend sah ich zur Erde dann nieder,

Liegt die Blüte so still und tot;

Seh' die Kränz' an der Harfe nun wieder, –

Auch verschwunden des Lebens Rot,

Winken mir traurig wie schattiges Grab,

Wehen so kalt in den tönenden Saiten,

Wehen so bang und so traurig: Es gleiten

Brennende Tränen die Wang' herab.

 

Nie ertönt meine Stimme nun wieder,

Wenn nicht freundlich die Blüte winkt;

Ewig sterben und schweigen die Lieder,

Wenn die Blume mir nicht mehr sinkt.

Schon sind die meisten der holden entflohn;

Ach! wenn die Kränze die Harfe verlassen,

Dann will ich sterben; die Wangen erblassen,

Stumm ist die Lippe, verhallt der Ton.

 

Aber Wonn', es entsprosset zum Leben

Meiner Asche, so hell und schön,

Eine Blume. – Mit freudigem Beben

Seh' ich Tilie so freundlich stehn.

Und vor dem Bilde verschwindet mein Leid.

Herrlicher wird aus der Gruft sie ergehen –

Schöner und lieblicher seh' ich sie stehen,

Wie meinen Feinden sie mild verzeiht.[45]

 

[Wenn der Sturm das Meer umschlinget]

Wenn der Sturm das Meer umschlinget,

Schwarze Locken ihn umhüllen,

Beut sich kämpfend seinem Willen

Die allmächt'ge Braut und ringet,[45]

 

Küsset ihn mit wilden Wellen,

Blitze blicken seine Augen,

Donner seine Seufzer hauchen,

Und das Schifflein muß zerschellen.

 

Wenn die Liebe aus den Sternen

Niederblicket auf die Erde,

Und dein Liebstes Lieb begehrte,

Muß dein Liebstes sich entfernen.

 

Denn der Tod kömmt still gegangen,

Küsset sie mit Geisterküssen,

Ihre Augen dir sich schließen,

Sind im Himmel aufgegangen.

 

Rufe, daß die Felsen beben,

Weine tausend bittre Zähren,

Ach, sie wird dich nie erhören,

Nimmermehr dir Antwort geben.

 

Frühling darf nur leise hauchen,

Stille Tränen niedertauen,

Komme, willst dein Lieb du schauen,

Blumen öffnen dir die Augen.

 

In des Baumes dichten Rinden,

In der Blumen Kelch versunken,

Schlummern helle Lebensfunken,

Werden bald den Wald entzünden.

 

In uns selbst sind wir verloren,

Bange Fesseln uns beengen,

Schloß und Riegel muß zersprengen,

Nur im Tode wird geboren.

 

In der Nächte Finsternissen

Muß der junge Tag ertrinken,[46]

Abend muß herniedersinken,

Soll der Morgen dich begrüßen.

 

Wer rufet in die stumme Nacht?

Wer kann mit Geistern sprechen?

Wer steiget in den dunkeln Schacht,

Des Lichtes Blum' zu brechen?

Kein Licht scheint aus der tiefen Gruft,

Kein Ton aus stillen Nächten ruft.

 

An Ufers Ferne wallt ein Licht,

Du möchtest jenseits landen;

Doch fasse Mut, verzage nicht,

Du mußt erst diesseits stranden.

Schau still hinab, in Todes Schoß

Blüht jedes Ziel, fällt dir dein Los.

 

So breche dann, du tote Wand,

Hinab mit allen Binden;

Ein Zweig erblühe meiner Hand,

Den Frieden zu verkünden.

Ich will kein Einzelner mehr sein,

Ich bin der Welt, die Welt ist mein.

 

Vergangen sei vergangen,

Und Zukunft ewig fern;

In Gegenwart gefangen

Verweilt die Liebe gern,

 

Und reicht nach allen Seiten

Die ew'gen Arme hin,

Mein Dasein zu erweiten,

Bis ich unendlich bin.

 

So tausendfach gestaltet,

Erblüh' ich überall,

Und meine Tugend waltet

Auf Berges Höh', im Tal.[47]

 

Mein Wort hallt von den Klippen,

Mein Lied vom Himmel weht;

Es flüstern tausend Lippen

Im Haine mein Gebet.

 

Ich habe allem Leben

Mit jedem Abendrot

Den Abschiedskuß gegeben,

Und jeder Schlaf ist Tod.

 

Es sinkt der Morgen nieder,

Mit Fittichen so lind,

Weckt mich die Liebe wieder,

Ein neugeboren Kind.

 

Und wenn ich einsam weine,

Und wenn das Herz mir bricht,

So sieh im Sonnenscheine

Mein lächelnd Angesicht.

 

Muß ich am Stabe wanken,

Schwebt Winter um mein Haupt,

Wird nie doch dem Gedanken

Die Glut und Eil geraubt.

 

Ich sinke ewig unter,

Und steige ewig auf,

Und blühe stets gesunder

Aus Liebes-Schoß herauf.

 

Das Leben nie verschwindet,

Mit Liebesflamm' und Licht

Hat Gott sich selbst entzündet

In der Natur Gedicht.

 

Das Licht hat mich durchdrungen,

Und reißet mich hervor;[48]

Mit tausend Flammenzungen

Glüh' ich zur Glut empor.

 

So kann ich nimmer sterben,

Kann nimmer mir entgehn;

Denn um mich zu verderben,

Müßt' Gott selbst untergehn.[49]

 

[Die Liebe fing mich ein mit ihren Netzen]

Die Liebe fing mich ein mit ihren Netzen,

Und Hoffnung bietet mir die Freiheit an;

Ich binde mich den heiligen Gesetzen,

Und alle Pflicht erscheint ein leerer Wahn.

Es stürzen bald des alten Glaubens Götzen,

Zieht die Natur mich so mit Liebe an.

O süßer Tod, in Liebe neu geboren,

Bin ich der Welt, doch sie mir nicht verloren.

 

[Schnell nieder mit der alten Welt]

Schnell nieder mit der alten Welt,

Die neue zu erbauen.

Der, dem die Liebe sich gesellt,

Darf nicht nach Trümmern schauen.

Aus Kraft und nicht aus Reue dringt,

Was die Vergangenheit verschlingt.

 

Szene aus meinen Kinderjahren

Oft war mir schon als Knaben alles Leben

Ein trübes träges Einerlei. Die Bilder,

Die auf dem Saal und in den Stuben hiengen,

Kannt' ich genau; ja selbst der Büchersaal,

Mit Sandrart, Merian, den Bilderbüchern,

Die ich kaum heben konnte, war verachtet,

Ich hatte sie zum Ekel ausbetrachtet.[49]

So, daß ich mich hin auf die Erde legte,

Und in des Himmels tausendförm'gen Wolken,

Die luftig, Farben wechselnd oben schwammen,

Den Wechsel eines flücht'gen Lebens suchte.

Kein lieber Spielwerk hatt' ich, als ein Glas,

In dem mir alles umgekehrt erschien.

Ich saß oft stundenlang vor ihm, mich freuend,

Wie ich die Wolkenschäfchen an die Erde,

Und meines Vaters Haus, den ernsten Lehrer

Und all mein Übel an den Himmel bannte.

Recht sorgsam wich ich aus, in jenen Höhen

Den kleinen Zaubrer selbst verkehrt zu sehen.

 

Ich wollte damals alles umgestalten,

Und wußte nicht, daß Änderung unmöglich,

Wenn wir das Äußre, nicht das Innre wenden,

Weil alles Leben in der Waage schwebet,

Daß ewig das Verhältnis wiederkehret,

Und jeder, der zerstört, sich selbst zerstöret.

 

Dann lernt' ich unsern Garten lieben, freute

Der Blüten mich, der Frucht, des goldnen Laubes

Und ehrte gern des Winters Silberlocken.

An einem Abend stand ich in der Laube,

Von der die Aussicht sich ins Tal ergießt,

Und sah, wie Tag und Nacht so mutig kämpften.

 

Die Wolken drängten sich wie wilde Heere,

Gestalt und Stellung wechselnd in dem Streite,

Der Sonne Strahlen schienen blut'ge Speere;

Es rollte leiser Donner in der Weite,

Und unentschieden schwankt des Kampfes Ehre

Von Tag zu Nacht, neigt sich zu jeder Seite;

Dann sinkt die Glut, es brechen sich die Glieder,

Es drückt die Nacht den schwarzen Schild hernieder.

 

Da fühlte ich in mir ein tiefes Sehnen

Nach jenem Wechsel der Natur, es glühte[50]

Das Blut mir in den Adern, und ich wünschte

In einem Tage so den Frühling, Sommer,

Herbst, Winter, in mir selbst, und spann

So weite, weite Pläne aus, und drängte

Sie enge, enger nur in mir zusammen.

 

Der Tag war hinter Berge still versunken,

Ich wünschte jenseits auch mit ihm zu sein,

Weil er mir diesseits mit dem kalten Lehrer,

Und seinen Lehren, stets so leer erschien.

Der Ekel und die Mühe drückte mich,

Ich blickte rückwärts, sah ein schweres Leben,

Und dachte mir das Nichtsein gar viel leichter.

Dann wünscht' ich mich mit allem, was ich Freude

Und wünschenswertes Glück genannt, zusammen

Vergehend in des Abendrotes Flammen.

 

Der Gärtner gieng nun still an mir vorüber

Und grüßte mich, ein friedlich Liedchen sang er,

Von Ruhe nach der Arbeit, und dem Weibe,

Das freundlich ihn mit Speis und Trank erwarte.

 

Die Vöglein sangen in den dunkeln Zweigen,

Mit schwachen Stimmen ihren Abendsegen,

Und es begann sich in den hellen Teichen

Ein friedlich monotones Lied zu regen.

Die Hühner sah ich still zur Ruhe steigen,

Sich einzeln folgend auf bescheidnen Stegen.

Und leise wehte durch die ruh'ge Weite,

Der Abendglocke betendes Geläute.

 

Da sehnt' ich mich nach Ruhe nach der Arbeit,

Und träumte mancherlei von Einfachheit,

Von sehr bescheidnen bürgerlichen Wünschen.

Ich wußte nicht, daß es das Ganze war,

Das mich mit solchem tiefen Reiz ergriff.

 

Des Abends Glut zerfloß in weite Röte,

So löst der Mühe Glut auf unsern Wangen[51]

Der Schlaf in heilig sanfte Röte auf.

Kein lauter Seufzer hallte schmerzlich wider,

Es ließ ein Leben ohne Kunst sich nieder,

Die hingegebne Welt löst' sich in Küssen,

Und alle Sinne starben in Genüssen.

 

Da flocht ich trunken meine Ideale,

Durch Wolkendunkel webt' ich Mondesglanz.

Der Abendstern erleuchtet, die ich male,

Es schlingt sich um ihr Haupt der Sternenkranz,

Die Göttin schwebt im hohen Himmelssaale

Und sinkt und steigt in goldner Strahlen Tanz.

Bald faßt mein Aug' nicht mehr die hellen Gluten,

Das Bild zerrinnt in blaue Himmelsfluten.

 

Und nie konnt' ich die Phantasie bezwingen,

Die immer mich mit neuem Spiel umflocht;

So glaubte ich auf einem kleinen Kahne

In süßer Stummheit durch das Abendmeer

Mit fremden schönen Bildern hinzusegeln.

Und dunkler, immer dunkler ward das Meer,

Den Kahn und mich, und ach, das fremde Bild,

Dem du so ähnlich bist, zog's still hinab.

 

Ich ruht' in mich ganz aufgelöst im Busche,

Die Schatten spannen Schleier um mein Aug',

Der Mond trat durch die Nacht, und Geister wallten

Rund um mich her, ich wiegte in der Dämmrung

Der Büsche dunkle Ahndungen, und flocht

Aus schwankender Gesträuche Schatten Lauben

Für jene Fremde, die das Meer verschlang.

Und neben mir, in toter Ungestalt,

Lag schwarz wie Grab mein Schatten hingeballt.

 

Und es schien das tiefbetrübte

Frauenbild von Marmorstein,

Das ich immer heftig liebte,

An dem See im Mondenschein,[52]

Sich mit Schmerzen auszudehnen,

Nach dem Leben sich zu sehnen.

 

Traurig blickt es in die Wellen,

Schaut hinab mit totem Harm,

Ihre kalten Brüste schwellen,

Hält das Kindlein fest im Arm.

Ach, in ihren Marmorarmen

Kann's zum Leben nie erwarmen!

 

Sieht im Teich ihr Abbild winken,

Das sich in dem Spiegel regt,

Möchte gern hinuntersinken,

Weil sich's unten mehr bewegt,

Aber kann die kalten, engen

Marmorfesseln nicht zersprengen.

 

Kann nicht weinen, denn die Augen

Und die Tränen sind von Stein.

Kann nicht seufzen, kann nicht hauchen,

Und erklinget fast vor Pein.

Ach, vor schmerzlichen Gewalten

Möcht' das ganze Bild zerspalten!

 

Es riß mich fort, als zögen mich Gespenster

Zum Teiche hin, und meine Augen starrten

Aufs weiße Bild, es schien mich zu erwarten,

Daß ich mit heißem Arme es umschlinge,

Und Leben durch den kalten Busen dringe.

 

Da ward es plötzlich dunkel, und der Mond

Verhüllte sich mit dichten schwarzen Wolken.

Das Bild mit seinem Glanze war verschwunden

In finstrer Nacht. In Büsche eingewunden,

Konnt' ich mit Mühe von der Stelle schreiten.

Ich tappe fort, und meine Füße gleiten,

Ich stürze in den Teich. Ein Freund von mir,

Der mich im Garten suchte, hört den Fall,[53]

Und rettet mich. Bis zu dem andern Morgen

War undurchdringlich tiefe Nacht um mich,

Doch bleibt in meinem Leben eine Stelle,

Ich weiß nicht wo, voll tiefer Seligkeit,

Befriedigung und ruhigen Genüssen,

Die alle Wünsche, alle Sehnsucht löste.

 

Als ich am Turm zu deinen Füßen saß,

Erschufst du jenen Traum zum ganzen Leben,

In dem von allen Schmerzen ich genas.

O teile froh mit mir, was du gegeben,

Denn was ich dort in deinem Auge las,

Wird sich allein hoch über alles heben.

Und kannst du mir auf jenen Höhen trauen,

So werd' ich bald das Tiefste überschauen.

 

Ich glaube, daß es mir in jener Nacht,

Von der ich nichts mehr weiß, so wohl erging,

Als ich erwachte, warf sich mir die Welt

Eiskalt und unbeweglich hart ums Herz.

Es war der tötende Moment im Leben,

Du, Tilie, konntst allein den Zauber heben.

 

Mein Vater saß an meinem Bette, lesend

Bemerkte er nicht gleich, daß ich erwachte.

Es stieg und sank mein Blick auf seinen Zügen

Mit solchem Forschen, solcher Neugierd', daß

Mir selbst vor meiner innern Unruh bangte.

Dann neigte er sich freundlich zu mir hin

Und sprach mit tiefer Rührung: Karl, wie ist dir?

Ich hatte ihn noch nie so sprechen hören,

Und rief mit lauten Tränen aus – O Vater!

Mir ist so wohl, doch, ach! die Marmorfrau –

Wer ist sie? – Wessen Bild? – Wer tat ihr weh?

Daß sie so tiefbetrübt aufs holde Kind,

Und in den stillen See herniederweint?

 

Mein Vater hob die Augen gegen Himmel,

Und ließ sie starr zur Erde niedersinken,[54]

Sprach keine Silbe und verließ die Stube.

In diesem Augenblicke fiel mein Los.

Ein ew'ger Streit von Wehmut und von Kühnheit,

Der oft zu einer innern Wut sich hob,

Ein innerliches, wunderbares Treiben

Ließ mich an keiner Stelle lange bleiben.

 

Es war mir alles Schranke, nur wenn ich

An jenem weißen Bilde in dem Garten saß,

War mir's, als ob es alles, was mir fehlte,

In sich umfaßte, und vor jeder Handlung,

Ja fast, eh' ich etwas zu denken wagte,

Fragt' ich des Bildes Widerschein im Teiche.

Entgegen stieg mir hier der blaue Himmel,

Und folgte still wie die bescheidne Ferne,

Der weißen Marmorfrau, die auf dem Spiegel

Des Teiches schwamm. So wie der Wind die Fläche

In Kreisen rührte, wechselte des stillen

Und heil'gen Bildes Wille, und so tat ich.

 

Sprich aus der Ferne

Heimliche Welt,

Die sich so gerne

Zu mir gesellt.

 

Wenn das Abendrot niedergesunken,

Keine freudige Farbe mehr spricht,

Und die Kränze stilleuchtender Funken

Die Nacht um die schattigte Stirne flicht:

 

Wehet der Sterne

Heiliger Sinn

Leis durch die Ferne

Bis zu mir hin.[55]

 

Wenn des Mondes still lindernde Tränen

Lösen der Nächte verborgenes Weh;

Dann wehet Friede. In goldenen Kähnen

Schiffen die Geister im himmlischen See.

 

Glänzender Lieder

Klingender Lauf

Ringelt sich nieder,

Wallet hinauf.

 

Wenn der Mitternacht heiliges Grauen

Bang durch die dunklen Wälder hinschleicht,

Und die Büsche gar wundersam schauen,

Alles sich finster tiefsinnig bezeugt:

 

Wandelt im Dunkeln

Freundliches Spiel,

Still Lichter funkeln

Schimmerndes Ziel.

 

Alles ist freundlich wohlwollend verbunden,

Bietet sich tröstend und traurend die Hand,

Sind durch die Nächte die Lichter gewunden,

Alles ist ewig im Innern verwandt.

 

Sprich aus der Ferne

Heimliche Welt,

Die sich so gerne

Zu mir gesellt.[56]

 

[Ist des Lebens Band mit Schmerz gelöset]

Ist des Lebens Band mit Schmerz gelöset,

Liegt der Körper ohne Blick, ohn' Leben,

Fremde Liebe weint, und er geneset.

Seine Liebe muß zum Himmel schweben,

Von dem trägen Leibe keusch entblößet,

Kann zu Gott der Engel sie erheben.[56]

Und er hält sie mit dem Arm umfasset,

Schwebet höher, bis das Grab erblasset.

 

Ist er durchs Vergängliche gedrungen,

Kehrt die Seele in die Ewigkeit,

O, so ist dem Tod genug gelungen,

Und er stürzet rückwärts in die Zeit.

Um die Seele bleibet Wonn' geschlungen,

Alles giebt sich ihr, die alles beut,

Wird zum ew'gen Geben und Empfangen,

Kann des Wechsels Ende nie erlangen.[57]

 

[So bricht das Herz]

So bricht das Herz, so muß ich ewig weinen,

So tret' ich wankend auf die neue Bahn,

Und in dem ersten Schritte schon erscheinen

Die Hoffnungen, der Lohn ein leerer Wahn.

Mit Pflichten soll ich Liebe binden,

Die Liebe von der Pflicht getrennt;

Und frohe Kränze soll ich winden,

Die keine Blume kennt.

 

Der erste Blick muß schon in Tränen schwimmen,

Mir gegenüber steht das stille Haus,

Der Orgelton schwillt bang um helle Stimmen,

Die blassen Kerzen löschen einsam aus.

Ihr Stimmlein kann ich nicht erlauschen,

In Gottes Hand erlosch ihr Licht,

Und aus der schlanken Pappeln Rauschen

Die stumme Freundin spricht.

 

[Es ist der laute Tag hinabgesunken]

Es ist der laute Tag hinabgesunken,

Er lächelte in stiller Dämmrung nieder;

Die Dunkelheit hat sich um ihn gewölbet,

Wie um Mathildens kurzes Wachen sorglich

Die Mutter stilles Wiegendunkel hüllet,[57]

Wenn sie die zarten, holden Augenlider

Mit leisen Küssen rührend ihr geschlossen.

Das Leben träumte schon vom Wiedersehen,

Umarmte schon die Rosenglut der Küsse,

Die ihm des jungen Morgens goldene Lippen,

Voll heiliger Scham auf seinen runden Wangen,

Wie züchtigen Kuß der Braut entgegenbeben.

Und alle Äußrung war zurückgekehrt;

Sie ruhte still im innern Leben schaffend.

Es war die Form vom unerkannten Leben

In allgemeine Einigkeit verschwunden,

Von jedem Reize sank der Gürtel nieder,

Und alles ist nur ein und einzig da.

Ohn' eine Farbe löste sich der Wechsel

In eine Ruhe aller Farbenspiele.

Das Wort war in sich selbst zurückgekehrt

Und die Geschlechter starben mit Entzücken

Den süßen Tod, der alle Trennung bindet.

Das Leben lag dem Leben an dem Busen,

In tiefen Schlaf und Traum zerschmolz die Täuschung,

Die das Geschaffne schaffend überraschet.

Da hatte ich den lieben Brief erhalten,

Aus dem ein heitres Leben zu mir spricht,

Das durch des Sinnes düstere Gestalten

Wie Sternenglanz durch weite Nacht sich flicht,

Und lichter will sich meine Bahn entfalten

Und freundlich spielen mit dem holden Licht,

Das durch des Tages Dunkel sich verbreitet

Und heute mich zur stillen Nacht begleitet.

 

Die ruhige Nacht, dir hab' ich sie zu danken,

Sie blüht aus deinem trauten Wirken auf,

Umfaßt das weite Leben mir mit Schranken,

Die nimmer ich mit Träumen mir erkauf',

Und stille durch der regen Seele Ranken

Sproßt freundlich eine Blume mir herauf,

Sie soll dir voll erblühn und ich verspreche,

Daß, welkt sie nicht, nur deine Hand sie breche.[58]

 

Du reichst mit deiner Liebe im Akkorde

Ein Lebenslied, das sich zu dir gesellt;

Erstorben ist die Sprache, wenige Worte

Durchirren, sich verspätend, meine Welt;

Da öffnest du in stiller Nacht die Pforte,

Willkommen sind sie dir, und wohlbestellt

Ist deine Hütte, meine Töne klingen

Zu deinen gut ein sanftes Lied zu singen.

 

Ein zartes Lied, es kann es keiner lehren,

Es schaffet sich im inneren Gemüt,

Wo Sehnsucht, Lieb' und himmlisches Verkehren

Beisammen sind. In Liedes Busen glüht

Ein leises Bitten und ein still Gewähren,

Um die wie Blumenkelch dein Leben blüht;

Und an dem Rande schwebe ich und schwelge,

Ein Schmetterling, vom Lied im Blumenkelche.

 

Es harrte still dein mütterlich Verlangen;

Du siehst ein Zähnchen in dem kleinen Mund,

Und große Freude hat dich nun umfangen,

Du tust es fröhlich seinem Vater kund,

Du zeigst des Kindes runde, volle Wangen,

Wie es so fröhlich ist und so gesund;

Doch ich, ich weine, habe nichts zu zeigen,

Und was ich weine, muß ich still verschweigen.

 

Noch zweimal wird das Kind dich überraschen,

Einmal, wenn ihm der Muttersorge Blick

Im Gehn zum Vater folgt, der froh es haschen

Und küssen wird, er leitet es zurück,

Du lohnst das Kind und gibst ihm was zu naschen,

Und lebend geht und kehret schon dein Glück.

Doch mir, mir wandelt nie ein solches Leben,

Um mich wird nie sich stille Heimat weben.

 

Und wenn es einst die heiligen Worte spricht,

Dich stammelnd Mutter und ihn Vater nennet,[59]

Der Sinn durch die Gestalt in Worte bricht

Und es des Wechsellebens Geist bekennet,

Dann scheint des dritten Tages festlich Licht,

Es ist von dir ein fertig Bild getrennet;

Doch ich werd' ewig mich zum Spiegel bücken

Und nie ein neues Leben drin erblicken.

 

Und ewig soll ich stillen Kummer wiegen,

Erreich' wohl nie das freundlich holde Bild,

Das, göttlich aus sich selbst emporgestiegen,

Ein zartes Licht, die rohe Nacht erfüllt,

An das sich bang all meine Wünsche schmiegen;

Mein bißchen Gutes, all mein Denken quillt

Von diesem Licht, und seh' ich's nicht mehr wallen,

Dann ist die Nacht. Ins Grab muß ich dann fallen.[60]

 

[Sie blüht mir nicht in Tälern]

Sie blüht mir nicht in Tälern, nicht auf Höhen,

Nicht in dem Wolkenflug; nicht in der Flut,

Die fort wie Sehnsucht eilt, kann ich sie sehen,

Und aus dem stillen See, der ewig ruht,

Steigt nicht ihr Bild. Es ist schon längst geschehen,

Daß die Natur verlor, was ich mit Mut

Erringen soll. Drum muß mit meinen Sinnen

Ich ewig der Entflohenen Netze spinnen.

 

[Tief unter mir ist alle Welt geschwunden]

Tief unter mir ist alle Welt geschwunden,

Seit ich an eines schönen Geistes Hand,

Die Binde von den Augen losgebunden,

Auf meines Daseins höchster Zinne stand,

Ist alle Lust oft rund um mich gewunden,

Weil sich die Liebe schaffend um mich wand;

Auch wird wohl einst mein krankes Herz gesunden,

Hab' ich die Aussicht wieder nur gefunden.

 

[Der Gottheit hoher Tempel ist zerstöret]

Der Gottheit hoher Tempel ist zerstöret

Es ründen an der heil'gen Kuppel sich die Töne

Nicht mehr in schöne Worte des Gebetes,

Und teilen sich im Takte an den Säulen

Den' in den Kronen leichte Melodien

In lieblicher Verirrung schöner Locken

Auf ihre ernsten hohen Stirnen wallen.

Zertrümmert ist das herrliche Gebäude

Und mit dem Echo ist das Wort gestorben.

Vom weiten Himmel hallt kein Lied zurücke,

Denn schrecklich ist die Macht des großen Lebens

Und unermeßlich ist es hier zu beten.

 

[Es senke sich ein leiser Traum hernieder]

Es senke sich ein leiser Traum hernieder

Der ihr der eignen Schönheit Gürtel löst

Und sanften Blicks mit schmeichelndem Gefieder

Des eignen Herzens Fülle ihr entblößt.

Im leichten Spiel küss' sie der eignen Lieder

Gestalten, und der leise Kuß erlöst

Die Blume von der Träne die sie drücket

Daß sie zum Grabe müd sich bücket.

 

[Sie las den Brief]

Sie las den Brief, ich soll Dich freundlich lieben.

Der Brief hat sie im zärtern Sinn berührt

Sie hat ans End, ein kleines ja geschrieben

So nimm mich an, so schön zu Dir verführt

Ist Dir und mir der schöne Trost geblieben

Die unbedingte Liebe, und gerührt

Will ich mein stilles Haus für mich beschicken.

Wie Tageslicht sollst Du ins Fenster blicken.

 

[Nur einer noch strebt zu dem Himmelsbogen]

Nur einer noch strebt zu dem Himmelsbogen

Der letzte ist's, die grüne Hoffnung spielt[61]

So bang um ihn, der ewig hingezogen

Im Himmelblau, die letzte Blüte kühlt.

Die Blüte harrt, will daß aus jenen Wogen,

Ein Sternlein ihr in Busen fall', doch wühlt

Ein schwarzer Sturm, in sanften Himmelsmeeren

Und ohn' den Stern, kann lang die Blüt' nicht währen.

 

Und endlich irrt, von unerstiegnen Höhen

Die es verließ, und nimmermehr erringt

Ein Wesen her; das mir mit süßen Wehen

Den Busen löst. Zur offnen Wunde dringt

Sein höhres Leben. Nie wird mir's vergehen

Weil mein Gebet sich um die Schönheit schlingt.

Doch kann sie nur sich schön herniederneigen

Und ohne sie ich nie die Höh' ersteigen.

 

So fesselt mich die schönste Freiheit wieder

Mit ew'ger Sehnsucht an die Erde hin.

Denn sie verlor die Göttlichkeit der Lieder

Die sie elegisch singt. Der hohe Sinn

Blickt traurig zu der harten Erde nieder

Und sucht der Freude spärlichen Gewinn.

So bete ich zum Ewigen das nimmer

In ihr verlischt, und weine um die Trümmer.

 

Ein reines Wesen hat mich an der Stelle

Wo es mich liebend stille angerührt

Mit Heiligkeit erfüllt und zarter Helle.

Und alles, was das Leben zu mir führt

Wird wilde Woge, in der sanften Quelle

Die sich wie Ähnlichkeit in mir verliert.

Ich seh' im Quell die Sterne spiegelnd beben,

Den Spiegel aber wellenabwärts streben.

 

Es spricht die kalte Schönheit auch aus Dir

Die nichts erzeugt, als ihren eignen Willen

So schön zu sein, und jeder beuget ihr

Den eignen Sinn, ihn mit ihr anzufüllen.[62]

 

Sie wandelt ewig sich nur schaffend hier.

Und nie kann sie die fremde Sehnsucht stillen.

Sie blickt in sich sich selbst so schön erbauet,

Denn sie erlischt wenn sie ins Leben schauet.[63]

 

[Willst du mir Trost verleihen]

Willst du mir Trost verleihen

Laß mich aus deinen Augen,

Der Liebe Schwärmereien

Minutenwahrheit saugen,

 

Laß um des Lichtes Quelle

Die trunkne Fliege schwirren,

Laß, wird es ihr zu helle

Sie in die Flamme irren.

 

Du sahst im Nektarkelche

Die heitre Psyche sterben,

Wenn ich noch länger schwelge

Läßt du mich auch verderben?

 

Aus deines Herzens Raume

Möcht' ich nur einmal trinken,

Und dann zum kühnsten Traume

Im Götterrausche sinken.

 

Du bist die Zaubervase,

Die meinen Geist umhüllet,

Und im Champagnerglase

Ist schon mein Los erfüllet.

 

[Die Klage, sie wecket]

Die Klage, sie wecket

Den Toten nicht auf,

Die Liebe nur decket

Den Vorhang Dir auf.[63]

 

Man liebt und was immer

Das Leben belebt,

Mit fassenden Sinnen

Die Augen erhebt.

 

Das zarte Umfassen,

Es löst sich so bald,

Die Augen erblassen,

Es stirbt die Gestalt.

 

Die Liebe, sie schicket

Die Klage ihr nach,

Die Liebe, sie blicket

Den Toten bald wach.

 

Die Klage, sie wecket

Die Toten nicht auf,

Die Liebe nur decket

Das Leben Dir auf.[64]

 

[Ich trage weit, weit]

Ich trage weit, weit

Herüber ein Leid,

Ich soll es verkünden

Und kann doch die Worte nicht finden.

 

Das Leid ist so groß,

Im eigenen Schoß

Läßt sich's nicht bewahren,

Drum sollst Du es, Freundin! erfahren.

 

Und kannst Du die Sprache nicht finden:

So wird sich's verkünden,

So kommt es zu Tage,

In eigener Sprache.[64]

 

Es hat es die Freundin erfahren,

Will still es bewahren;

Und freundlich Dein Leben,

Im Troste erheben.

 

Unerkanntes stilles Leben,

Hat Dir heimlich Nachricht geben,

Und ich komme schon zu spät.

Ahndung hat mich übereilet,

Und Dir zärter mitgeteilet,

Daß sie nun im Himmel geht.

 

Ach! sie sprach in letzten Stunden,

Schon von Dämmerung umwunden,

Liebe Worte leis von Dir.

Hat sich Deiner nie entwöhnet,

Heimlich oft nach Dir gesehnet;

Und sprach in dem Tod zu mir:

 

Möge sich ein neues Leben

Zwiefach schöner um Dich weben;

Hemme Deiner Tränen Lauf,

Gehe, schließe neue Bande.

Suche meine unbekannte,

Mir verlorne Schwester auf.

 

Teile, was Du mir geteilet,

Ihr, die noch im Leben weilet,

Bilde ihr ein freundlich Glück;

Und ich schaue dann hernieder,

Sehne aus dem Himmel wieder

Auf die Erde mich zurück.

 

Ach! ich hab' ihn wohl verstanden,

Deiner Töne stillen Sinn;

Tön' in Silben sich verbanden,[65]

Worte klangen zu mir hin.

Schmerz und Trost hat freundlich sich gereiht,

Zogen einig durch die Dunkelheit.

 

Hell in Deiner Brust erwachte

Meiner Rede dunkler Blick,

Gabst in Worten, was ich dachte,

Zartes Echo! mir zurück.

Schmerz und Trost so traulich sich umschlang,

In der Töne rührendem Gesang.

 

Alle Lichter sind versunken,

Nimmer wird die Liebe wach,

Ist im dunklen Blick ertrunken;

Als ihr Aug' im Tode brach,

Aller Trost mit ihr von dannen ging,

Schmerz allein mit Wehe mich umfing.

 

Sieh, ich bin schon weit gegangen,

Kann der Ferne nie entgehn;

Kann die Nähe nie erlangen,

Muß sie immer ferne sehn.

Schmerz auf Erden immer mit mir zieht,

Trost am Himmel auf den Wolken flieht.

 

Werde ich doch bald gesunden,

Schon die Trauer von mir weicht;

Habe ich sie doch gefunden,

Die an mildem Reiz ihr gleicht.

Vor der Stimme Ähnlichkeit ist schon

Aller Schmerz aus meinem Sinn entflohn.

 

Und sie sehnet sich dann wieder

Aus dem Himmelsschein zurücke,

Alle Sterne, ihre Blicke

Sehen auf den Freund hernieder.[66]

 

Alle Dunkelheit dann fliehet,

Und der Lichter froh Getümmel,

In dem tiefen blauen Himmel,

Wie ein ganzer Frühling blühet.

 

Und der Morgen wird ein Küssen,

Mittag wird ein süß Umfangen;

Abendrot ein still Verlangen,

Nur die Nacht werd' ich vermissen.

 

Die Nächte sind verschwunden,

Die Küsse sind dahin.

Es sind die dunkeln Stunden,

Mit Einsamkeit umwunden;

Kein Freuen wohnt darin,

Kein heller Sinn.

 

Die Blicke so gelinde,

Sind von mir weggewandt.

Der Locken zart Gewinde

Umfaßt mit goldner Binde

Nicht mehr des Freundes Hand.

Das all verschwand.

 

O führ' das zarte Leben,

Vertraulich mir zurück.

Will Freude viel erstreben,

Dir alles wieder geben;

Kehrt nur von jenem Glück

Ein stiller Blick.[67]

 

[Tief ist das Tal]

Tief ist das Tal, so tief hinabgesunken,

So tief ihr Grab! Und in der weiten Welt

Schließt sich die Heimat zu, die Sternenfunken

Sind meiner Wohnung Licht, das Himmelszelt

Mein kühles Dach. In dunkler Fern' ertrunken[67]

Ist alle Aussicht, und den Busen schwellt

Ein ewiges und nie erfüllt' Verlangen

Die nimmer kehrt, die Holde, zu umfangen.

 

Da sitz' ich stumm auf Berges Höh' und blicke

Mit Wehmut in der Kindheit Paradies,

Der Hütte Licht, es winkt mir still zurücke,

Es ruft des Freundes Flöte mir so süß.

Als wolle sie dem finsteren Geschicke,

Das mich von Haus und Hof der Schöpfung stieß,

Den bittern Ernst in sanften Tönen lösen,

Und süßen Trost mir in den Busen flößen.

 

Es bricht der Kampf, im Herzen tief zerronnen

Ist meiner Jugend innerstes Gebild,

Aus Kindesliebe war es zart gesponnen,

In Traulichkeit und Milde eingehüllt.

Des Lebens jüngster Tag war kaum begonnen,

Ein dichtes Dunkel schon die Bahn erfüllt

Und für des Mittags, für des Abends Wonnen

Ein Strom von Schmerz schon aus dem Morgen quillt.

 

Wo, dunkles Leben, führst du mich nun hin,

Wo lebt ein Wesen, das ich dicht umschlinge,

Dem ich das Herz, und den verwaisten Sinn

Zur Pflege und zur Liebe wiederbringe;

Ihm werde jede Blüte zum Gewinne,

Die aus dem armen Frühling ich erringe.

Der stumme Freund, er wird ja nimmer sprechen,

Das dunkle Leben nie ein Wort durchbrechen.

 

Da flüstert's freundlich durch die dunkeln Eichen,

Es weht wie Trost mir aus dem Tal herauf,

Ein heilig Wort spricht durch des Waldes Schweigen,[68]

Es ziehet schnell der Wolken wilder Lauf,

Vor meinem Sinn die schwarzen Schatten weichen,

Und Mondeslicht, und Sterne blühen auf.

Des stummen Freundes inniges Umfassen

Spricht laut zu mir: ich will dich nie verlassen.

 

So hell und still von zartem Licht umgossen,

Ist mir zu Füßen wie ein Bildersaal

Mein vorig Leben rührend aufgeschlossen,

Erinnerung spielt in der schönen Wahl.

Ich sehe früh die Blüten all entsprossen,

Und früh herab gewehet in das Tal,

Da weine ich nun an dem eignen Grabe,

Betraure tief, was ich verloren habe.

 

Und kann noch einst das Leben mir erblühen,

Wie mir der Frühling hier im Mondschein blüht

Kann mir im Leben wieder Leben glühen,

Kann Ruhe mir das krankende Gemüt

Mit heiterm Sinn und Freudigkeit umziehen,

So kehre ich und singe hier ein Lied

So werde hier an dieser ernsten Schwelle

Die Aussicht in den frühen Tod mir helle.[69]

 

[Ich eile hin, und ewig flieht dem Blicke]

Ich eile hin, und ewig flieht dem Blicke

Des Lebens Spiegel fort in wilder Flut,

Die Sehnsucht in die Ferne nimmer ruht,

Und weinend schaut Erinnerung zurücke

Da blickt aus einer Blume neu Geschicke.

Zwei blaue Kelche voll von Liebesglut

Erwecken in dem Flüchtling neuen Mut;

Daß er das Leben wieder jung erblicke.

Es hat der Sinn die Aussicht wiederfunden,

Er sieht im klaren Strome abgespiegelt,[69]

Des Wechsel-Lebens zwiefach-lieblich Bild,

Die Fläche ruht und schwillt in tiefen Stunden,

Wenn Leidenschaft die Trunkenheit entzügelt,

Und Liebe sich dem Strome nackt enthüllt.[70]

 

[O lieber Gott, so mild und lind]

O lieber Gott, so mild und lind,

Du schließest mit Erbarmen,

Die Kinder all, die Waisen sind,

In deine Vaterarmen.

 

Siehst nieder in der stillen Nacht

Mit tausend kleinen Sternen,

Und wo dein freundlich Auge wacht,

Muß sich der Feind entfernen.

 

Drum fasse Mut, du Menschenkind,

Verlier' dich nicht im Dunkeln,

Die Lichter ja am Himmel sind

Um tröstlich dir zu funkeln.

 

[Kann je um dich sich fremde Öde ziehen]

Kann je um dich sich fremde Öde ziehen,

Wo keiner dir das Wort im Aug' erblicket,

Das Samenkorn im Herzen schon ersticket,

Eh' dir die Blumen auf der Lippe blühen?

 

So sei der Freund, den du mir selbst verliehen,

Dir in die volle Einsamkeit geschicket,

Sei zärtlich dir die treue Hand gedrücket,

Daß Heimweh und die Sehnsucht bald entfliehen.

 

Und dann hast du zum Lohne selbst empfunden,

Was du so freundlich an dem Freund geübet,

Denn alles was die Aussicht ihm getrübet:[70]

 

Die Fremde und die Sehnsucht sind verschwunden,

Hat er in deinem Briefe doch gefunden,

Dein Leben hell und seins, und wie er liebet.[71]

 

Sonett

Es saß ein Kind ganz still zu meinen Füßen,

Und spielte froh mit freundlichen Gedanken,

Es blickt mich an, bis ihm die Blicke sanken,

Und goldne ferne Lande sich erschließen,

 

Von allen Seiten dringt ein süßes Grüßen,

Das alte Leben muß nun abwärts wanken,

Daß neue frohe Zweige grün umranken

Und rund umher ihm zarte Blumen sprießen.

 

Das Kind erwacht, und fraget mich mit Bangen,

Ob andern wohl ein solcher Traum gelinge,

Ob ich's allein mit Zauberei umfangen,

 

Daß dankbar es die Arme um mich schlinge.

Da rötet mir Verwunderung die Wangen

Woher das Kind die kühne Frag' erschwinge.

 

Sonett

Soll sich vor Dir des Baumes Stolz enthüllen,

Der nur allein sich selbsten aufwärts strebet,

Des Busches Geist, der heil'ge Schatten webet,

Und was der Blume zarte Kelche hüllen.

 

So mußt Du alle laute Neugier stillen

Der zarte Geist, der in dem Busen lebet,

Gar schnelle wie ein leiser Hauch entschwebet,

Und nimmer kehret er den stolzen Willen.[71]

 

Im tiefen Grund nur wohnet das Ergründen,

Das Äußre laß vor Deinen Augen schwinden

Und steige kühn dann in die heil'ge Erde.

 

Ein freudig Staunen wird sich um Dich winden

Wie die verschiedne äußere Geberde

Aus innerem und heil'gem Geiste werde.[72]

 

»Ich habe das gar nicht verlangt«

Schaut kalt vom hellen Himmel Mondschein nieder

So störet keine Farbe meinen Blick