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Lothar Zenetti

In Seiner Nähe

topos taschenbücher, Band 1018

Eine Produktion des Matthias Grünewald Verlags

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Verlagsgemeinschaft topos plus

Butzon & Bercker, Kevelaer

Don Bosco, München

Echter, Würzburg

Lahn-Verlag, Kevelaer

Matthias Grünewald Verlag, Ostfildern

Paulusverlag, Freiburg (Schweiz)

Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Tyrolia, Innsbruck

Eine Initiative der

Verlagsgruppe engagement

www.topos-taschenbuecher.de

2015 Verlagsgemeinschaft topos plus, Kevelaer

Vorwort

Es gibt Geschichten, die uns über Jahre, ja ein Leben lang begleiten und so helfen, unseren Weg zu finden. Dazu gehört für mich eine Szene im Johannesevangelium (1,35–39), in der die erste Begegnung zweier Jünger mit Jesus erzählt wird:

„In jener Zeit“, lesen wir da, „stand Johannes am Jordan, wo er taufte, und zwei seiner Jünger standen bei ihm. Als Jesus vorüberging, richtete Johannes seinen Blick auf ihn und sagte: Seht, das Lamm Gottes! – Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus. Der aber wandte sich um, und als er sah, dass sie ihm folgten, fragte er sie: Was wollt ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi – das heißt Meister –, wo wohnst du? Er antwortete: Kommt und seht!“

Sooft ich diese Worte lese, fühle ich mich – wie soll ich sagen? – einbezogen, also mitten in die Geschichte hineinversetzt. Ich sehe mich als einen der Jünger, die Jesus nachgehen. Er fragt sie und sieht auch mich dabei an: Was sucht, was wollt ihr? Ach, Meister, denke ich, mag schon sein, dass ich – wie die Jünger – in der Aufregung auch erst einmal nach deiner Adresse frage. Aber du weißt, was ich wirklich sagen will: Ich möchte bei dir sein, in deiner Nähe. Ich möchte dich sehen, dir zuhören, dir mein Leben anvertrauen! – Ja, so ungefähr, du verstehst mich schon! –

Was Jesus den beiden Jüngern sagt, sagt er auch uns: Kommt und seht! Und da gingen sie mit, heißt es. Und sie sahen, wo er wohnte und lebte. Und sie blieben bei ihm an diesem Tag. Und mehr noch: ein Leben lang …

In Seiner Nähe – mit diesem schönen Wort möchte ich eine bunte Sammlung von Texten überschreiben, die über Jahre hin auf meinem Weg entstanden sind: Liedtexte und Gebete, Anregungen für den persönlichen Glauben, Gedanken zur Besinnung, Worte der Liebe, Ermutigung zum Vertrauen. Ernstes also und auch Heiteres.

Ich bin dem Matthias Grünewald Verlag dankbar dafür, dass er sich erbot, eine Auswahl meiner Texte aus inzwischen vergriffenen Büchern erneut zugänglich zu machen. Wie schon bei der Sammlung „Auf Seiner Spur“ hat Frau Anneliese Hück auch dieses Mal eine gute Auswahl zusammengestellt.

So verschieden die Beispiele auch sein mögen, eines haben sie gemeinsam: Angesichts heute weit verbreiteter Glaubensmüdigkeit wollen sie Worte finden, die trösten und ermutigen, die neue Hoffnung wecken.

Er, der als göttliches Wort unter uns Menschen gewohnt hat, möge uns in Seine Nähe rufen! Sein Wort gilt ja noch: „Kommt und seht!“

Lothar Zenetti

Er ist
nicht fern

Lobgesang

Mit den Schwingen der Vögel

schreibe ich deinen Namen

auf die silberne Stirne

des Himmels

Mit den Farben des Windes

male ich deinen Namen

und ich lasse ihn ziehn

mit den Wolken

Mit vervielfachten Lippen

bringe ich deinen Namen

übers Herz in die

Mitte der Sterne

Er ist nicht fern

Unbegreiflich ist Gott und

dennoch zum Greifen nah:

Überall und auch hier, wo du

bist, so lehren die Väter

der Gotteserfahrung, kannst du ihn

finden, ganz nahe bei dir,

so wie die Luft dich umgibt

hier in der wärmenden Sonne.

Spürst du das: Wärme?

Und wie die Luft dich jetzt

gänzlich umfängt?

Fühle nur dies, fühl es mit

sämtlichen Poren der Haut und

mit allen Zellen des Körpers

und ungeteilter Aufmerksamkeit

bis in die Tiefen der Seele.

Atme sie ein, diese Luft,

diese Wärme, bis sie dich

völlig durchflutet.

Und so nimm sie wahr, diese Welt

und alle geschaffenen Dinge

in großer Ehrfurcht und Demut

und bete den an, der sie schuf.

Spür seine Liebe in allem,

spür seinen Atem in deinem.

Er ist nicht fern

einem jeden von uns.

Immerhin

Es könnte doch sein, dass es das gibt,

sagt, was ihr wollt:

Ein Erbarmen, das mich hält,

das mich trägt von jeher.

Ein Erbarmen, in das ich mich

bergen kann jederzeit.

Sagt, was ihr wollt,

es könnte doch sein, dass es das gibt:

Dass einer da ist, der ja zu mir sagt,

der in mir atmet,

dessen Herz in mir schlägt,

er macht, dass ich bin.

Es könnte doch sein, dass es das gibt,

sagt, was ihr wollt.

Ich sehe

Ich sehe den sanften Wind in den Lärchen

gehn und höre das Gras wachsen,

und andere sagen:

Keine Zeit!

Ich sehe den wilden Wassern zu

und den Wolken über den Bergen,

und andere sagen:

Wozu?

Ich sehe den Schmetterlingen nach

und den spielenden Kindern,

und andere sagen:

Na und?

Ich kann mich nicht sattsehen

an allem, was ist,

und andere sagen:

Was soll’s?

Ich bewundere dich, o mein Gott,

in allem, was lebt,

und andere sagen:

Wieso?

Großer Auflauf

Gesetzt den Fall,

der bekanntlich unsichtbare

Gott ließe sich erweichen

eines Tages

auf das besonders inständige

und anhaltende Gebet

des Weltkongresses für

Überwindung des Atheismus

oder dreier unbekannter

Wallfahrer hin

und zeigte sich

vierzig Minuten lang

in Frankfurt südlich des Mains

den staunenden Augen der

Bevölkerung von Sachsenhausen.

Da liefen gewiss die

Kinder und Kneipenwirte,

die Sparkassenangestellten

und die Hausfrauen zusammen

und rissen die Augen auf

und hielten es nicht für möglich,

wenn Seine Herrlichkeit

(natürlich nur ein Vorgeschmack)

den Platz am Affentor erfüllte

und rings die Seitenstraßen.

Ein Menschenauflauf ohnegleichen

wär’ die Folge und kilometerweit

ein wildes Hupkonzert

empörter Autofahrer,

die ja nie begreifen.

Doch sonst –

was würde sonst sich tun und

was sich ändern daraufhin?

Dies frag ich mich

und euch, verehrte Atheisten,

schreibt mir doch mal,

was ihr darüber denkt.

Wir

Wir sehen den Wald vor den Bäumen nicht

Wir sehn unter Leuten den Menschen nicht

Wir sehen vor Kirchen die Kirche nicht

Wir sehen den Weg, sehen ihn nicht

Wir hörn den Alarm in dem Lärmen nicht

Wir hören den Laut unterm Läuten nicht

Wir hörn in der Stimmung die Stimme nicht

Wir hören das Wort, hören es nicht

Wir können ihn sehen und sehen nicht

Wir können ihn hörn und wir hören nicht

Wir suchen ihn ferne und er ist nah