Irene Scharenberg

Doch der Tod wartet nicht

Kriminalroman aus dem Ruhrgebiet

Prolibris Verlag

Handlung und Figuren dieses Romans entspringen der Phantasie der Autorin. Darum sind eventuelle Übereinstimmungen mit lebenden oder verstorbenen Personen zufällig und nicht beabsichtigt. Nicht erfunden sind Veranstaltungen, Institutionen, Straßen und Schauplätze im Ruhrgebiet.

Für Sabrina

Die Autorin

Irene Scharenberg ist in Duisburg aufgewachsen und hat hier Chemie und Theologie für das Lehramt studiert. Vor einigen Jahren hat sie die Leidenschaft fürs Schreiben entdeckt. Seit 2004 sind zahlreiche ihrer Kurzgeschichten in Anthologien und Zeitschriften erschienen und in Wettbewerben ausgezeichnet worden. 2009 gehörte die Autorin zu den Gewinnern des Buchjournal-Schreibwettbewerbs, zu dem mehr als 750 Geschichten eingereicht wurden.

Irene Scharenberg ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter. Auch wenn sie heute am Rande des Ruhrgebiets in Moers lebt, so ist sie doch nach wie vor ihrer alten Heimat Duisburg und dem gesamten Pott sehr verbunden. »Doch der Tod wartet nicht« ist ihr sechster Kriminalroman mit den beiden Ermittlern Pielkötter und Barnowski.

Alle Rechte vorbehalten,

auch die des auszugsweisen Nachdrucks

und der fotomechanischen Wiedergabe

sowie der Einspeicherung und Verarbeitung

in elektronischen Systemen.

© Prolibris Verlag Rolf Wagner, Kassel, 2016

Tel.: 0561/766 449 0, Fax: 0561/766 449 29

Titelfoto: © Silke Sandkötter, Dorsten

E-Book: Prolibris Verlag

E-Book ISBN: 978-3-95475-139-6

Dieses Buch ist auch als Printausgabe im Buchhandel erhältlich.

ISBN: 978-3-95475-129-7

www.prolibris-verlag.de

Kapitel 1

Angespannt spähte Varujan zu dem Hauseingang auf der schräg gegenüberliegenden Straßenseite. Er führte die Zigarette in seiner rechten Hand mit einer fahrigen Bewegung zum Mund und zog gierig den Rauch ein. Nachdem er mehrmals hastig inhaliert hatte, warf er die Kippe auf den Boden und trat sie aus. Stoßweise blies er den Rauch aus, der wie eine Art Weichzeichner wirkte. Für einen kurzen Moment verschwanden die tiefen Furchen um seinen Mund und selbst die hässliche Narbe an seinem Kinn, die ihn stets an einen unrühmlichen Kampf erinnerte. Varujan starrte nach unten. Einem ersten Impuls folgend, wollte er die Kippe aufheben, ließ sie dann aber liegen. Niemand käme auf die Idee, diesen Bürgersteig abzusuchen.

Die Vorsicht, die er stets walten ließ, hatte ihm mindestens einmal das Leben gerettet und mehrfach vor dem unrühmlichen Ende seiner Karriere bewahrt, konnte jedoch zuweilen paranoide Züge annehmen. Unwillkürlich zog er den Schirm seiner gescheckten Armeekappe etwas tiefer in die Stirn. Er wollte gerade eine weitere Zigarette aus der kleinen Brusttasche seines karierten, nicht mehr ganz frischen Hemds fischen, da erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Abrupt hielt er inne und richtete seinen Blick zu der Haustür schräg gegenüber. Als er sah, dass sie sich leicht geöffnet hatte, verengten sich unwillkürlich seine Augen. Die Muskeln spannten sich an.

Eine ältere Frau mit einer kleinen Handtasche trat aus dem Haus und schlich langsam, als bereite es ihr extreme Mühe, die zwei Stufen nach unten. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte sie den Gehsteig. Ärgerlich griff Varujan wieder in seine Brusttasche, fingerte eine neue Zigarette heraus. Während er sie anzündete, rotierten seine Gedanken. Hatte sich etwa eine Änderung ergeben, von der er nichts wusste? Er inhalierte und schaute auf seine Armbanduhr. Wenn die Zielperson nicht bald in Erscheinung trat, könnte es Probleme geben.

Er hatte die Konsequenzen einer möglicherweise veränderten Situation noch nicht durchgespielt, da öffnete sich die Tür ein zweites Mal. Wie gebannt fixierten seine Augen den Hauseingang. Als ein junger Mann mit kurzen blonden Haaren auftauchte, verzog sich sein Mund zu einem Grinsen. Nach dem Foto zu urteilen, auch wenn er dort nur in einer Gruppe abgebildet war, handelte es sich eindeutig um die Zielperson. Der Mann trug eine blaue Jeanshose und ein leuchtend gelbes T-Shirt, das man gut von Weitem erkennen konnte. Alles würde gut. Zumindest für Varujan. In spätestens zwei Tagen würde er bei Anamaria sein, mit genug Kleingeld, um eine Weile bei ihr zu bleiben.

Behände sprang der Blondschopf die Stufen hinunter und hastete die Straße entlang. Offensichtlich hatte er es sehr eilig. Varujan hatte das vorausgesehen und setzte sich fast zeitgleich in Bewegung. Noch lief er auf der anderen Straßenseite, aber bei der nächsten günstigen Gelegenheit rannte er über die Fahrbahn. Das Risiko, als Verfolger erkannt zu werden, schätzte er wesentlich niedriger ein als das, den jungen Mann aus den Augen zu verlieren. Der kam verflixt schnell voran. Wahrscheinlich joggte er regelmäßig. Warum war davon keine Rede gewesen? Er selbst hatte andere Qualitäten. Automatisch fasste seine Rechte in die Hosentasche. Alles würde gut. Schließlich kannte er den Weg. Er wusste genau, wohin der Blondschopf wollte, der sich bisher nicht einmal die Mühe gemacht hatte, nach hinten zu sehen.

Varujan holte auf. Inzwischen betrug die Distanz nur noch wenige Meter, und er konnte die Aufschrift auf der Rückseite des T-Shirts entziffern. »Die Welt kann warten!« prangte neben einer Palme, deren Blätter sich wie ein Schirm über die Buchstaben spannten. Der Spruch entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Die Welt würde bald für immer auf Blondie warten müssen. Nur der Tod wartete nicht. Unwillkürlich verzogen sich Varujans Lippen wieder zu einem Grinsen.

Die Zielperson stoppte auf Höhe des Theaters und führte die Hand zum Gesicht. Vielleicht putzte sie sich die Nase oder rieb sich den Schweiß von der Stirn. Das konnte Varujan nicht erkennen. Als er seinen Schritt gerade verlangsamt hatte, quoll aus dem Hoteleingang gegenüber dem imposanten Schauspielhaus eine Horde Touristen und versperrte ihm die Sicht. Mit mühsam unterdrückter Wut umrundete er die lärmende Truppe und hastete zur nächsten Kreuzung. Die Zielperson überquerte gerade die Straße und eilte dann an einem langen Gebäude mit einem italienischen Restaurant und Cafés entlang. Varujan riskierte einen sehnsüchtigen Blick zu den Besuchern, die hier draußen an einladenden Tischen in der Sonne saßen. Zu gerne hätte er mit ihnen getauscht, aber er hatte noch etwas Dringendes zu erledigen. Erst danach würde es ihm vergönnt sein, sich eine ganze Weile auszuruhen.

Der Blondschopf überquerte den Platz und wandte sich vor einem imposanten, altehrwürdigen Gebäude nach links. Keine hundert Meter und er verschwand über eine Treppe in Richtung der unterirdischen Haltestelle. Alles läuft nach Plan, dachte Varujan beruhigt und folgte ihm. Auf dem Bahnsteig herrschte kaum Betrieb, so dass er die Zielperson auf den ersten Blick ausmachen konnte. Laut Anzeigentafel kam die Linie 9 in zwei Minuten, und er wusste genau, dass der junge Mann damit fahren würde. Er wusste sogar bis zu welcher Haltestelle. Nachdem Blondie sich vorhin für die Bahn entschieden hatte und nicht aus Zeitmangel in seinen Wagen gestiegen war, was er kurz befürchtet hatte, waren seine nächsten Schritte nur zu vorhersehbar. Varujan beschloss, das als gutes Omen zu werten.

Als die Straßenbahn hielt, stiegen sie fast zeitgleich ein. Varujan setzte sich einige Reihen hinter die Zielperson. Jetzt konnte er sich für eine Weile entspannen. Nachdem die Bahn aus dem Untergrund aufgetaucht war, registrierte er auf der rechten Seite ein riesiges Speichergebäude aus rotem Stein ohne Fenster, im Hintergrund einen kleinen Yachthafen. Er vergewisserte sich mit einem schnellen Blick, ob Blondie noch vorne saß. Alles lief nach Plan.

Plötzlich bremste die Straßenbahn, und sein Körper prallte gegen den Sitz des Vordermanns. Ein leichter Schmerz durchfuhr seinen Brustkorb, ließ aber sofort wieder nach. Mist, ein stärkerer Aufprall hätte seine Mission ernsthaft gefährden können. Automatisch fasste er nach dem nächsten Haltegriff, dann sah er zum Fenster hinaus. Im Kreisverkehr waren zwei Autos ineinander gefahren, eines stand der Bahn gefährlich nahe. Anscheinend hatte einer der beiden Fahrer die Vorfahrt missachtet. Ihm war egal, wer nicht aufgepasst hatte. Hauptsache, es hatte keinen Unfall gegeben, der ihn womöglich gezwungen hätte, die Aktion abzubrechen oder einen fatalen Fehler zu begehen.

Die Bahn fuhr weiter. Offensichtlich hatte sich auch keiner der anderen Fahrgäste ernstlich verletzt. Während die Räder über eine Brücke ratterten, tauchten im Osten mehrere Hafenbecken auf. Unzählige Container stapelten sich in der Nähe des Ufers. Er wünschte, es wäre alles schon vorbei. Als sie später an der König Pilsener Brauerei entlangfuhren, beschleunigte sich unwillkürlich sein Pulsschlag. Jetzt dauerte es nicht mehr lange, dann hatten sie die Kirmes erreicht.

Zu seinem Erstaunen erhob sich die Zielperson, obwohl die Haltestelle weder angekündigt noch in Sichtweite war. Das schien auf Eile hinzudeuten. Jetzt hieß es, wachsam sein. Der Blondschopf stand vor der Tür und drückte mehrmals auf den Halteknopf. Mit einem Mal sah er nach hinten. Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Augen, dann hielt die Straßenbahn. Der Mann wandte sich wieder nach vorne und stieg aus. Varujan nahm eine der hinteren Türen. Draußen drang der Lärm der nahen Kirmes an seine Ohren. Unauffällig folgte er Blondie von der Haltestelle aus über die Straße. Es war nicht schwierig. Die Zielperson drehte sich nicht mehr um. Und selbst wenn, hätte sie wohl nichts geahnt. Varujan wäre nur einer von vielen gewesen, die auf die Kirmes strömten.

Bald hatten sie die ersten Schaubuden erreicht. Die Musik wurde lauter, die Menschenmenge dichter, und es bereitete Varujan einige Mühe, den jungen Mann nicht aus den Augen zu verlieren. Zum Glück war er relativ groß, und das leuchtend gelbe T-Shirt war gut zu erkennen. Varujan lüftete kurz seine Armeekappe und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Jetzt kam es auf den richtigen Zeitpunkt an. Unwillkürlich fuhr seine Rechte in die Hosentasche, als müsse er sich vergewissern, dass alles vorbereitet war. Inzwischen tummelten sich so viele Besucher in seiner Nähe, dass er es langsam riskieren konnte.

Der Mann lief kaum einen Meter vor ihm. Mit ausgefahrenen Ellenbogen kämpfte Varujan sich langsam nach vorne. Als er mit der Zielperson auf einer Höhe war, lächelte er siegessicher. Der Griff in seine rechte Hosentasche verstärkte sich. Noch zwei oder drei Besucher zur Seite drängen, den Blondschopf überholen, dann würde er die Richtung wechseln und ihm direkt gegenüberstehen. Er zog die Hand wieder aus der Hosentasche und stieß seinem Nachbarn den Ellenbogen in die Seite. Dabei hatte er wohl zu viel Kraft eingesetzt, denn plötzlich spürte er einen schmerzhaften Griff an seinem Oberarm. Ein Mann mit einem weiß-blau gestreiften Fan-Schal starrte ihn wütend an. »Ey, Leute, hier ist son Typ, der mit uns Krach anfangen will. Ich glaub, der brauch wat auffe Zwölf.«

»Alles gut«, erwiderte Varujan mit einem deutlichen Akzent in der Stimme. »Tschuldigung!« Weitere Kerle mit Schals tauchten auf. »Das war ein Versehen.« Schweißtropfen rannen nun seinen behaarten Nacken hinunter. Das karierte Hemd klebte an seinem Körper. Normalerweise hätte er nicht so unterwürfig reagiert, aber er konnte es sich nicht leisten, Zeit zu vertrödeln.

»Hast Glück, dass wir heut so friedlich sind«, entgegnete der Fußballfan, der mindestens einen halben Kopf größer war als er. »Sind wir doch, oder?«

Varujan traf ein harter Schlag auf die linke Schulter, den man nicht mehr als kameradschaftlich bezeichnen konnte, danach wandte sich der Trupp ab, und der äußerst heikle Zwischenfall schien ausgestanden zu sein. Er wollte aufatmen, aber dann stellte er fest, dass er den Blondschopf aus den Augen verloren hatte. Hektisch suchte er ihn in der Menge, konnte ihn jedoch nicht entdecken. Er stieß eine Reihe Schimpfwörter in seiner Muttersprache aus und kämpfte sich weiter vorwärts. Immer wieder wischte seine Hand über die Stirn. Kleine Bäche von Schweiß rannen inzwischen ungehindert seinen Rücken hinunter.

Noch ist nichts verloren, versuchte er sich einzureden. Schließlich kannte er den Weg, den die Zielperson nehmen würde. Zweimal war er die Strecke abgegangen. Es war nur eine Frage der Zeit, wann er den Mann erneut eingeholt hätte. Trotz dieser Beruhigung konnte Varujan die aufsteigende Panik nicht vollständig unterdrücken. Im Gegensatz zu dem Rest seines Körpers, der nun aus allen Poren schwitzte, wurde sein Mund ganz trocken. Seine Gedanken rotierten, fuhren regelrecht Achterbahn. »Benimm dich endlich wie ein Profi«, zischte er leise. Während er erneut Schimpfwörter hinterherschickte, lief er weiter.

Plötzlich lichtete sich kurz die Menschenmenge, und er erkannte kaum fünf Meter weit entfernt, den blonden Haarschopf und das gelbe T-Shirt mit der Palme. Für einen kurzen Moment konnte Varujan sogar die ersten zwei Buchstaben der Aufschrift auf dem T-Shirt lesen. Er atmete auf. Mit seiner Rechten formte er ein Victoryzeichen, dann fasste er schnell in seine Hosentasche. Ein Schwall Adrenalin durchflutete ihn, half ihm, sich zielstrebig weiter nach vorne zu arbeiten. Der Abstand verringerte sich. Nach wenigen Sekunden waren sie fast auf gleicher Höhe, aber das reichte nicht.

Varujan kämpfte sich durch den Wust der Kirmesbesucher. Nachdem er die Zielperson längst überholt hatte, drängte er sich nach links, wo die Menschen in die Gegenrichtung strömten. Er passte einen günstigen Moment ab, um zu wenden, und lief dann am Rande des Stroms zurück. Wachsam registrierte sein Blick jede Person, die ihm entgegenkam. Plötzlich sah er einen Kopf mit blonden Haaren, darunter leuchtendes Gelb. Varujan fühlte sich wie ein Tiger vor dem Sprung. Er visierte sein Opfer an. Trotz der Anspannung wirkten seine Bewegungen routiniert. Ein letzter Griff in die Hosentasche, das Messer lag gut in seiner Hand, wohlüberlegte Schritte.

Er erreichte die Zielperson ohne Schwierigkeiten. Als er unmittelbar vor ihm stand, rempelte er ihn an. Ehe der junge Mann reagieren konnte, stieß Varujan ihm das Messer unterhalb des linken Rippenbogens schräg hoch zum Herzen. Für einen kurzen Moment starrte er seinem Opfer ins Gesicht, dann verdrehte der Sterbende die Augen. Bevor er in sich zusammensackte, zog Varujan das Messer heraus und hastete sofort nach rechts weiter. Er touchierte einige Personen, dann erreichte er wieder die Menschenmasse, die in die andere Richtung eilte. Schweiß tropfte von seiner Stirn, hinter der die Gedanken rotierten. Die großen braunen Augen des Opfers geisterten durch seinen Kopf. Er war verwirrt. Ihm blieb jedoch keine Zeit, sich noch einmal umzusehen oder unnützen Gedanken nachzuhängen. Er musste schnellstens von hier fort.

Kapitel 2

»Chef, haben Sie nach Feierabend schon was vor?«, fragte Barnowski. »Ich hätte Lust auf son kühles Blondes in der Innenstadt. Am besten draußen. Allerdings wäre der Biergarten vom Finkenkrug natürlich auch eine nette Alternative zur City.« Weil Pielkötter noch zu überlegen schien, redete Barnowski weiter. »Gaby ist mit ihrer Freundin für drei Tage nach Paris gefahren. Besucht mit einer Frau die Stadt der Liebe und lässt mich hier alleine sitzen. Eigentlich sollte ich mich darüber furchtbar aufregen, tolerant wie ich jedoch bin ...«

»Gaby lässt Sie hier nicht sitzen, sondern arbeiten. Zudem sind Sie nicht alleine«, meldete sich Pielkötter nun doch zu Wort. Barnowskis Miene schien auszudrücken, dass er inzwischen bereute, ihn gefragt zu haben, und Pielkötter ruderte zurück. »Was ich aber eigentlich sagen wollte: Gute Idee!«

Er hatte gerade nach seiner leichten Sommerjacke gegriffen und zufrieden bemerkt, wie Barnowski sich wieder entspannte, da klingelte das Telefon. Mit undurchsichtiger Miene nahm er ab.

»Und?«, fragte Barnowski, nachdem Pielkötter seufzend aufgelegt hatte.

»Aus unserem Bier wird vorerst wohl nichts. Auf der Beecker Kirmes gibt es einen Toten. Offensichtlich wurde ein Mann niedergestochen. Wir müssen sofort aufbrechen.«

»Da hatten Sie wohl mal wieder den richtigen Riecher.«

»Wieso das?«

»Sie haben doch gerade gesagt, dass Gaby mich zum Arbeiten und nicht zum Herumsitzen in Duisburg zurückgelassen hat.«

»Nur hatte ich es gar nicht so wörtlich gemeint«, brummte Pielkötter, als sie gemeinsam das Präsidium verließen. »Fahren Sie!«, bat er, nachdem sie den Dienstwagen erreicht hatten. Während Barnowski durch den immer dichter werdenden Verkehr kutschierte, hing jeder seinen eigenen Gedanken nach.

Schon weit bevor sie den Kirmesplatz erreichten, waren alle Parkplätze belegt. Zum Glück brauchten sie den Dienstwagen nicht vorschriftsmäßig abzustellen. Barnowski hielt direkt neben dem Zugang, der auf kürzestem Weg zum Tatort führte. Weiter hineinzufahren verbot sich angesichts der Menschenmenge. Sie kamen nur langsam voran. Der Besucherstrom wurde nach innen immer dichter.

»Warum haben die nicht einfach alles abgeriegelt?«, fragte Pielkötter ärgerlich. »Wahrscheinlich haben sie nur ein kleines Fleckchen rund um die Leiche abgesperrt, und die Leute müssen durch eine Art Nadelöhr daran vorbei.«

»Wenn sie denn nicht neugierig stehen bleiben und gaffen«, ergänzte sein Mitarbeiter. »Aber vielleicht sind die Kollegen einfach noch nicht so weit.«

»Trotzdem geht das nicht. Überlegen Sie mal, wie schwierig sich eine Bergung von mehreren Verletzten gestalten würde, wenn hier ein Unglück passiert wäre.« Unwillkürlich kratzte sich Pielkötter an der rechten Schläfe. Es gehört jetzt nicht zu deiner Aufgabe, dir darüber den Kopf zu zerbrechen, ermahnte er sich, während sie sich Seite an Seite weiter durch die Menge kämpften.

Kurz bevor sie das rot-weiße Absperrband erreichten, erkannte Pielkötter Jochen Drenck, den Leiter der Spurensicherung. Wie der das nur schaffte, mit seinem Team meistens als Erster vor Ort zu sein? Selbst der Rechtsmediziner Ernst August Kowalski war schon eingetroffen, stellte er zu seinem Erstaunen fest. Seine Stimmung sackte automatisch weiter ab. Nichts gegen Kowalski, aber im Moment hatte er das Gefühl, die Situation einfach besser mit dessen Kollegen Karl-Heinz Tiefenbach ertragen zu können. Der besaß diese Portion schwarzen Humor, der zu einem bitter nötigen inneren Abstand verhalf, wenn man einem unnatürlich zu Tode gekommenen Menschen begegnete. Dabei stellte er das Opfer niemals bloß. Wenn Pielkötter es recht bedachte, konnte man Tiefenbachs makabre Art sogar als seltene Begabung auffassen. Sie würde ihm jetzt fehlen.

Pielkötter betrachtete den Toten, den man immerhin durch eine Plane vor neugierigen Passanten geschützt hatte. Der Mann war kaum älter als sein Sohn. Die starren Augen wirkten, als würden sie hinauf in den Himmel sehen. Ganz sicher hatte der junge Mann nicht damit gerechnet, heute vor so vielen Menschen erstochen zu werden. Hier lag ein Mensch, der das Leben noch vor sich haben sollte, und die Kirmesmusik dudelte weiter, als wäre nichts geschehen. Am liebsten hätte Pielkötter alle Stecker der Lautsprecherboxen aus der Anlage herausgezogen.

»Der Einstich befindet sich unterhalb der linken Rippe«, erklärte Kowalski zur Begrüßung. »Bei der Tatwaffe handelt es sich wahrscheinlich um ein Messer. Vermutlich reichte die Klinge bis zum Herzen. Den Zeitpunkt dürften Sie in etwa kennen, sofern Sie direkt nach der Tat informiert worden sind.«

»Um achtzehn Uhr achtundvierzig ist der Anruf eingegangen.«

»Kommt hin, mehr kann ich Ihnen dazu auch nicht sagen.«

»Haben Sie inzwischen seine Papiere gefunden, irgendetwas, das auf seine Identität hinweist?«, wandte Pielkötter sich an Drenck. Der Leiter der Spurensicherung verneinte, und Pielkötter drehte sich wieder zu Kowalski um.

Der Rechtsmediziner erhob sich ruckartig. »Bis gerade war auch der Bereitschaftsarzt von der Kirmes hier, aber es gab einen anderen Notfall. Da musste er dringend hin. Unser Opfer war ohnehin schon tot, als er eingetroffen ist. Viel mehr hätte der Ihnen auch nicht erklären können. Genaueres bekommen Sie sowieso erst nach der Obduktion.« Kowalski grinste. »Und die darf mein Kollege durchführen, denn ich bin dann mal weg. In wenigen Stunden endet mein Dienst, und dann geht es in den wohlverdienten Urlaub. Um genau zu sein, in unser Ferienhaus in der Provence.«

Pielkötter gönnte ihm die Tage in Südfrankreich und fühlte sich gleichzeitig erleichtert, dass von nun an Tiefenbach, den er immer mehr zu schätzen wusste, für diesen Fall zuständig sein würde. »Dann wünsche ich Ihnen einen schönen Urlaub«, sagte er laut und drehte sich zu dem Leiter der Spurensicherung um.

»Tatort Kirmes«, tönte Jochen Drenck und verdrehte die Augen, wenn auch nicht so gekonnt, wie Barnowski das zuweilen drauf hatte. »Vielleicht darf es noch ein Kaugummi oder ein Papierchen sein? Kaum zu glauben, was hier auf wenigen Quadratmetern auf dem Boden alles rumliegt. Leider kann man nicht unbedingt davon ausgehen, dass irgendein Teil zu dem Täter gehört. Zumindest nicht, wenn das ein Profi war.«

»Wieso ein Profi?«, fragten Barnowski und Pielkötter wie aus einem Mund.

Jochen Drenck schien zu überlegen, ob er darauf wirklich antworten sollte. »Na ja, ich habe da vorhin so eine Bemerkung von Kowalski aufgeschnappt, die in die Richtung geht«, fuhr er so leise fort, dass Pielkötter das bei der Beschallung durch Helene Fischers »Atemlos« kaum verstehen konnte. »Aber da ich nicht sicher bin, ob ich das richtig verstanden habe … Er hat nur so vor sich hin gemurmelt. Warten wir einfach ab, was Tiefenbach rauskriegt und offiziell zu den Akten gibt. Mein Team und ich werden da auch so einiges beizutragen haben, wir tüten hier fleißig alles ein, als gäbe es auf jeden Fall das entscheidende Beweismittel zu finden.«

In Pielkötter stieg leichter Ärger hoch. Warum hatte Kowalski ihm gegenüber seinen Verdacht nicht erwähnt? War es wirklich zu früh für eine solche Einschätzung? Auch Jochen Drenck fand er heute etwas seltsam. Der war doch sonst so gewissenhaft. Sein letzter Satz hatte für Pielkötters Geschmack eine Spur zu ironisch geklungen. Den Tatort gründlich umzudrehen gehörte nun einmal zu seinem Aufgabengebiet, nicht aber Spekulationen, mit welcher Chance sie dabei etwas finden würden.

»Kowalski geht Ihnen gegen den Strich, nicht wahr?«, fragte Barnowski, als sie außer Hörweite waren. »Sie verstehen nicht, warum er mit seiner Einschätzung uns gegenüber hinter dem Berg gehalten hat?«

Pielkötter brummte etwas Unverständliches.

»Ich kann ihn sehr gut verstehen«, nahm sein Mitarbeiter den Rechtsmediziner zu seinem Erstaunen in Schutz. »Ohne Obduktion lässt sich nichts Genaueres sagen. Und wer äußert schon gerne eine Vermutung, die er hinterher vielleicht zurücknehmen muss.« Barnowski zog die Stirn in Falten. »Trotzdem hat die Sache was. Wenn ich jemanden umbringen wollte, würde ich einen einsamen Ort wählen oder einen, an dem es nur so von Menschen wimmelt wie hier.«

»Bleibt nur zu hoffen, dass Sie mit Ihrer Theorie falsch liegen und irgendjemand hat doch etwas gesehen«, sinnierte Pielkötter und strich sich über den kaum erkennbaren Ansatz seines Stoppelbarts. »Immerhin hat eine Person das Opfer entdeckt und die Polizei gerufen, statt sich einfach aus dem Staub zu machen.«

»Zwei Personen, um genau zu sein«, antwortete Barnowski. »Ein junges Pärchen. Christian Lübbenau von der Streife hat mir das mitgeteilt, als Sie sich mit Jochen Drenck unterhalten haben.«

»Aha! Und wo sind die beiden Zeugen jetzt?«

»In der Obhut von Lübbenaus Kollegen. Da, hinter der Absperrung.« Er hob den Arm und zeigte mit dem Finger auf eine monströse Losbude. »Der jungen Frau ist beim Anblick des Toten wohl etwas flau geworden und sie durfte sich an dem Stand auf einen Hocker setzen.«

»Dann schauen wir mal, was die beiden uns zu erzählen haben«, entgegnete Pielkötter und setzte sich in Bewegung. Erst jetzt bemerkte er, dass der Besucherstrom erheblich nachgelassen hatte. Eigentlich gab es nur noch vereinzelte Menschen, die alle in eine Richtung liefen. Wahrscheinlich waren endlich einige Polizisten postiert worden, um die Leute umzuleiten.

Eine kaum Zwanzigjährige saß wie ein Häufchen Elend auf einem Plastikhocker, während ihr etwas älterer Freund einen Arm um ihre Schultern gelegt hatte. Neben ihnen stand Martin Semmler, ein Beamter, den Pielkötter flüchtig kannte.

»Das ist keine große Ausbeute an Zeugen«, bemerkte Semmler nach einer kurzen Begrüßung. »Es gibt noch einige Leute, die sich wohl unbedingt in den Vordergrund drängen wollten, obwohl sie erst eingetroffen sind, nachdem das Opfer bereits auf dem Boden lag. Hab sie aber vorsichtshalber auch auf die Liste gesetzt.«

Pielkötter bedankte sich und wandte sich den jungen Leuten zu. »Das ist Kommissar Bernhard Barnowski, und ich bin Hauptkommissar Pielkötter«, erklärte er. »Sofern ich richtig informiert bin, haben Sie den Toten zuerst entdeckt und gleich die Polizei gerufen.« Das klang alles sehr sachlich, aber damit hatte er gute Erfahrungen gemacht. Wenn man übertriebenes Mitleid demonstrierte, konnte das leicht zu unkontrollierten Emotionen führen.

»Ja, das stimmt«, antwortete der junge Mann. »Wir haben sehr schnell angerufen. Höchstens zwei, drei Minuten, nachdem wir den Toten entdeckt haben.« Seine Freundin nickte.

»Die Personalien hat mein Kollege bestimmt schon aufgenommen«, fuhr Pielkötter fort, wobei er in Semmlers Richtung blickte.

»Jana Richter und Tim Evershagen«, reagierte der sofort. »Die Adressen und Telefonnummern stehen auch auf der Liste.«

Bevor Pielkötter mit der eigentlichen Befragung beginnen konnte, rannte ein älterer Mann mit ehemals wahrscheinlich weißem Kittel auf ihn zu. Anscheinend versuchte er, seine Glatze durch ein paar darüber gekämmte spärliche Haarsträhnen zu kaschieren. Der Versuch war kläglich gescheitert, der kahle Schädel wurde eher betont als kaschiert. »Sind Sie hier verantwortlich?«, fragte der Mann von der Losbude mit einer gehörigen Portion Ärger in der Stimme.

»Wofür genau soll ich verantwortlich sein?«

»Für das ganze Chaos hier.« Das Gesicht seines Gegenübers lief rot an. »Sie können doch nicht einfach die ganze Kirmes absperren. Das ist geschäftsschädigend. Ich habe den beiden jungen Leuten gestattet, sich an unserem Stand von dem Schock zu erholen. Und was ist der Dank? Wissen Sie, wie viele Leute hier vorbeigekommen sind, bevor sie alles abgeriegelt haben? Schauen Sie sich jetzt um!«

»Hören Sie mir mal gut zu!«, entgegnete Pielkötter in schneidendem Tonfall. »Quasi vor Ihren Augen ist ein Mensch erstochen worden, der den größten Teil seines Lebens noch vor sich hatte. Sie jedoch denken an nichts anderes als an Ihr Geschäft. Sie sollten sich schämen. Und wenn Sie beabsichtigen sollten, unseren Einsatz im Dienst der Allgemeinheit in irgendeiner Weise zu behindern, wird das äußerst unangenehme Folgen nach sich ziehen. Ich werde Sie ins Präsidium bestellen, und es kann eine ganze Weile dauern, bis wir mit Ihrer Aussage fertig sind.«

»Aber ich habe doch überhaupt nichts gesehen«, erklärte der Mann nun kleinlaut. War seine Wut schon verraucht oder dem ängstlichen Gefühl gewichen, einem stärkeren Gegner gegenüberzustehen?

»Am besten beschäftigen Sie sich jetzt direkt mit diesem Herrn. Sein Losverkauf kann warten«, wandte sich Pielkötter an Barnowski.

Sein Mitarbeiter grinste. Anscheinend juckte es ihm in den Fingern, dem Mann ordentlich einzuheizen. Schließlich brachte der Tote nicht nur das einträgliche Geschäft des Standbetreibers zu Fall, sondern auch ihre Freizeitpläne. Während Barnowski sich mit dem Zeugen entfernte, drehte sich Pielkötter wieder zu dem jungen Paar. Für einen kurzen Moment überlegte er, die beiden einzeln zu befragen, aber er entschied sich dagegen. So verstört, wie die Frau ihm erschien, würde sie ohne den Rückhalt durch ihren Freund sicher nicht viel Brauchbares von sich geben.

»Ich weiß, wie Sie sich jetzt fühlen.« Kein Mitleid, aber Verständnis zeigen. Das konnte sich für die Befragung sehr nützlich erweisen. »Allerdings ist es von größter Wichtigkeit, dass Sie sich genau zu erinnern versuchen.«

»Eigentlich haben wir so gut wie nichts gesehen«, erklärte der junge Mann.

»Gut, fangen wir mit Ihnen an. Sie sind also mit Ihrer Freundin hier entlanggelaufen. Haben sich unterhalten und plötzlich hat etwas Ihre Aufmerksamkeit erregt. Was war das genau?«

»Irgendwie ging nichts mehr. Also, alles geriet ins Stocken.« Er schien angestrengt nachzudenken. »Wir haben uns jedoch nichts dabei gedacht. Das war vorher auch schon passiert, aber dann liefen die Leute doch nach wenigen Sekunden weiter. Nur ... als es diesmal wieder vorwärts ging, ist Jana gegen ... also gegen diesen Mann gestoßen, der am Boden lag.«

»Haben Sie einen Verdächtigen in seiner Nähe gesehen?«, fragte Pielkötter, wobei er zuerst Tim Evershagen ansah, dann seine Freundin. »Vielleicht jemanden, der sich zu ihm hinuntergebeugt oder versucht hat, wegzurennen?«

»Nein, die Leute sind einfach um ihn herumgelaufen, ohne sich um ihn zu kümmern«, antwortete der Zeuge, während seine Freundin zustimmend nickte. »Ich glaube, die haben überhaupt nicht bemerkt, was mit dem los war. Haben ihn gar nicht richtig angeschaut. Sind einfach vorbei. Bis auf eine ältere Frau. Die hat gefragt, ob wir ein Handy dabei hätten. Sie hat gesagt, wir sollten schnell den Notruf wählen. Bevor der Notarzt und die Polizei eingetroffen sind, ist sie jedoch verschwunden. Später hat sich dann ein kleiner Menschenauflauf gebildet, aber ob darunter einer war, der mehr gesehen hat, als wir? Ich meine, die sind alle nach uns eingetroffen.«

»Sie sind also auf den Toten aufmerksam geworden, weil Sie fast über ihn gestolpert wären«, wandte sich Pielkötter an die junge Frau. Dabei fiel ihm auf, dass er bisher der Einzige war, der den Tod beim Namen nannte.

Offensichtlich kämpfte Jana Richter nun mit ihren Tränen, und er musste eine Weile auf ihre Antwort warten. »Es war so furchtbar«, sagte sie schließlich. »Im ersten Moment habe ich geglaubt, ich hätte ihn mit dem Fuß verletzt. Ich konnte gar nicht richtig klar denken. Ich weiß nicht einmal mehr, was ich zuerst bemerkt habe. Das Blut an seiner Kleidung oder diese Augen.« Die Frau wurde von einem Weinkrampf geschüttelt, und der junge Mann zog seinen Arm noch enger um ihre Schultern.

Pielkötter wartete kurz ab, dann richtete er sich wieder an Tim Evershagen. »Haben Sie eigentlich einen Schrei gehört?«

»Nein, als wir den Mann auf dem Boden gesehen haben, war er bestimmt schon tot, die Augen standen ja offen. Da hat sich auch nichts mehr bewegt.«

»Er könnte kurz vorher geschrien haben.«

»Zumindest habe ich nichts davon bemerkt.«

»Und Sie?«, fragte Pielkötter die Zeugin, die sich wieder etwas beruhigt zu haben schien.

»Auch nicht. Die Musik war ja so laut.«

»Können Sie mir die ältere Frau beschreiben, die Sie gebeten hat, den Notarzt anzurufen?«

»Die Frau schätze ich auf Anfang vierzig«, antwortete der junge Mann nach einigem Zögern. Das ist also in seinen Augen alt, dachte Pielkötter. »Sie hatte dunkles Haar und trug eine rot-weiß gestreifte Bluse. Ach, und eine Brille mit rotem Rand. An mehr erinnere ich mich wirklich nicht.«

»Sprach sie mit Akzent?«

»Nö, nix Besonderes. Ich glaub die war von hier. Sonst wäre mir das bestimmt aufgefallen.«

»Vielleicht erinnern Sie sich an andere Personen, die in dem Moment, als Sie den Toten entdeckt haben, in der Nähe gestanden haben. An irgendein Detail, auch wenn Ihnen das jetzt unwichtig erscheint.«

»Einer hatte eine grün gescheckte Feldmütze auf«, meldete sich Jana Richter stockend zu Wort und schnäuzte anschließend in ein Taschentuch. »Ich glaube, so eine tragen Soldaten. Mein Bruder hat auch so ein Ding. Die hat er auf einem Trödelmarkt in London gekauft. Der sammelt Sachen vom Militär.«

»Können Sie den Träger der Mütze genauer beschreiben?«

»Tut mir leid, ich habe den ja nur von der Seite und dann von hinten gesehen. Der ist ziemlich schnell weg. Also, so schnell das möglich war.« Sie schien angestrengt zu überlegen. »Der war auf jeden Fall viel älter als wir.«

»Ich habe den Mann mit der Mütze auch gesehen«, schaltete sich Tim Evershagen ein. »Jana hat Recht, er wirkte älter. Über dreißig vielleicht. Das ging alles so schnell. Aber er war ganz sicher kleiner als ich mit meinen ein Meter zweiundachtzig.«

»Ja, das stimmt. Er war kleiner.«

»Okay«, sagte Pielkötter. »Sofern Ihnen im Moment nichts mehr einfällt, können Sie gehen. Bitte kommen Sie aber morgen früh noch einmal ins Präsidium. Vielleicht schaffen wir es ja doch, eine Skizze vom Profil des Mannes zu erstellen. Jedes ungenaue Bild ist besser als nichts. Hier, nehmen Sie meine Karte. Am besten rufen Sie vorher an.«

Tim nahm die Visitenkarte entgegen.

»Ach ja, falls Sie Hilfe in Anspruch nehmen möchten ...«

Jana Richter winkte ab. »Das hat man uns vorhin schon angeboten, aber ich komme alleine klar.«

Während die Zeugen aus seinem Blickfeld verschwanden, registrierte Pielkötter, dass die Kollegen den Leichnam in einen Zinksarg legten und abtransportierten. Eine grausame Welt, schoss es Pielkötter durch den Kopf, der Tote war noch so jung. Wieder musste er an seinen Sohn denken. Bisher hatte er noch jeden Fall gelöst, und er würde alles daran setzen, auch diesen Mörder zu überführen, schwor er sich in diesem Moment.