Cover

Egon Friedell

KULTURGESCHICHTE
DER NEUZEIT

Die Krisis der Europäischen Seele
von der Schwarzen Pest
bis zum Ersten Weltkrieg

Mit einem Nachwort von
Ulrich Weinzierl

Verlag C. H. Beck

Zum Buch

Die berühmte Kulturgeschichte der Neuzeit von Egon Friedell erschien erstmals 1927 bis 1931 in drei Bänden. Das monumentale Werk, das hier in einer einbändigen Sonderausgabe vorliegt, stellt die kulturelle Entwicklung des westlichen Menschen vom Beginn der Renaissance bis zum Ersten Weltkrieg dar. Es verfolgt über Jahrhunderte die Strömungen, die für die Neuzeit bestimmend wurden, erzählt die wichtigsten geistigen, politischen und sozialen Entwicklungen und stellt in packenden Portraits die entscheidenden Persönlichkeiten vor. Das Werk wurde ein großer Erfolg und wurde in zahlreiche Fremdsprachen übersetzt. Diese Ausgabe erscheint mit einem Nachwort von Ulrich Weinzierl.

«Mit einer unglaublichen Belesenheit, einem bestrickenden Witz, einem exakt wissenschaftlichen Verstand und wahrhaft subtilen Kunstgeschmack gibt Friedell unzählige Aspekte der kulturellen Entwicklung des europäischen – und amerikanischen – Menschen von der Renaissance bis zum Ersten Weltkrieg. Er stellt ihn in seine äußere und geistige Umwelt, schildert seinen Alltag, seine Tracht und Sitte mit derselben evokativen Frische wie die großen ideologischen Strömungen der Zeit.»

Hilde Spiel

Über den Autor

Egon Friedell wurde am 21. Januar 1878 in Wien geboren. Als Dramatiker, Kabarettist und Theaterkritiker, als Freund von Peter Altenberg und Alfred Polgar gehörte er zu den bestimmenden Persönlichkeiten des Wiener Kulturlebens. Von 1922 bis 1927 war er Schauspieler bei Max Reinhardt in Berlin und Wien. Kurz nach dem Einmarsch der Hitlertruppen in Österreich nahm sich Friedell am 16. März 1938 das Leben.

Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG – WAS HEISST UND ZU WELCHEM ENDESTUDIERT MAN KULTURGESCHICHTE?

Der vergessene Stern

Alle Dinge haben ihre Philosophie

Ästhetische, ethische, logische Geschichtschreibung

Landkarte und Porträt

Fibelgeschichte

Unwissenschaftlichkeit der historischen Grundbegriffe

Unterirdischer Verlauf der historischen Wirkungen

Der Irrtum Rankes

Alle Geschichte ist Legende

Homunculus und Euphorion

„Geschichtsromane“

Möglichste Unvollständigkeit

Übertreibung

Hierarchie der Kulturgebiete

Wirtschaft

Gesellschaft

Staat

Sitte

Wissenschaft, Kunst, Philosophie, Religion

Der Stein der Weisen

Der Repräsentativmensch

Der expressionistische Hund

Seelische Kostümgeschichte

Das Genie ist ein Produkt des Zeitalters

Das Zeitalter ist ein Produkt des Genies

Genie und Zeitalter sind inkommensurabel

Der Pedigree

Lessing und Herder

Winckelmann und Voltaire

Hegel und Comte

Buckle

Burckhardt

Taine

Lamprecht

Breysig

Spengler

Zivilisationshistorik

Pro domo

Der berufene Dilettant

Die unvermeidliche Paradoxie

Der legitime Plagiator

Pathologische und physiologische Originalität

ERSTES BUCH: RENAISSANCE UND REFORMATION – VON DER SCHWARZEN PESTBIS ZUM DREISSIGJÄHRIGEN KRIEG

ERSTES KAPITEL: DER BEGINN

Der Wille zur Schachtel

Das Recht auf Periodisierung

Die Konzeption des neuen Menschen

Die „Übergangszeit“

Beginn des Exkurses über den Wert der Krankheit

Am gesündesten ist die Amöbe

Alles Werdende ist dekadent

Höherer Wert der minderwertigen Organe

Gesundheit ist eine Stoffwechselerkrankung

Die lernäische Hydra

Achill aus der Ferse

Das Überleben des Anpassendsten

Es gibt kein gesundes Genie

Es gibt kein krankes Genie

Die Dreiteilung der Menschheit

Die Flucht in die Produktion

ZWEITES KAPITEL: DIE SEELE DES MITTELALTERS

Die „Romantik“ des Mittelalters

Das Leben als Abenteuer

Psychose der Geschlechtsreife

Der heilige Hund

Kein Verhältnis zum Geld

Universalia sunt realia

Die Weltkathedrale

Die Physik des Glaubens

Alles ist

Der Szenenwechsel

DRITTES KAPITEL: DIE INKUBATIONSZEIT

Die Erfindung der Pest

Die Parallelepidemie

Die Brunnenvergifter

Kosmischer Aufruhr

Weltuntergang

Entthronung der Universalien

Christus im Esel

Die zwei Gesichter des Nominalismus

Dämmerzustand

Folie circulaire

Anarchie von oben

Auflockerung der Stände

Erkrankung des metaphysischen Organs

Praktischer Nihilismus

Gesteigertes Wirtschaftsleben

Heraufkunft der Zünfte

Fachdilettantismus

Erwachender Rationalismus

Wirklichkeitsdichtung

Emanzipationen

Verfall des Rittertums

Die große Umwertung

Pittoresker Dreck

Orientalischer Tumult

Lebensstandard

Die Landstraße

Die heilige Feme

Erotik durch Sexualität verdrängt

Eßkultur

Der Weltalp

Die vierfache Zange

Der luxemburgische Komet

Gekrönte Paranoiker

Englischfranzösisches Chaos

Antiklerikalismus

Wiclif

Papa triumphans

Dämonen und Zauberer

Geldwirtschaft mit schlechtem Gewissen

Das Weltbordell

Das Narrengewand

Die Vision

Der Börsianer auf dem Thron

Der Nihilist auf dem Thron

Die drei Betrüger

Coincidentia oppositorum

Nikolaus Cusanus

Zweifache Wahrheit, doppelte Buchführung, Kontrapunkt und Totentanz

Die Überseele

Die neue Religion

Die Schule Eckharts

Der „Frankforter“

Die gemalte Mystik

Eine Parallele

Weltaufgang

VIERTES KAPITEL: LA RINASCITA

Die beiden Pole

Kultur ist Reichtum an Problemen

Der italienische Mikrokosmos

Die „lateinische Formation“

Die Wiedergeburt zur Gottähnlichkeit

Der Abschied vom Mittelalter

Chronologie der Renaissance

Der Vorsprung Italiens

Blüte des Frühkapitalismus

Die Renaissancestadt

Der Komfort

Künstlerischer Tafelgenuß

Die Welt der Profile

Geburt der Revolverpresse

Der göttliche Aretino

La grande Putana

L’uomo universale

Das Renaissancepublikum

Die „Zerrissenheit“ Italiens

Die „Rückkehr zur Antike“

Petrarca

Die Scheinrenaissance

Das Cinquecento

Der Stilisierungswille

Ein sophistisches Zeitalter

Die Humanisten

Der „literarische“ Charakter der Renaissance

Der Schnitt durch die Kultur

Prädominanz der bildenden Kunst

Michelangelo

Lionardo

Raffael

Raffaels Nachruhm

Der „Götterliebling“

Der Grundirrtum des Klassizismus

Machiavell

Der „Immoralismus“

Die „Schuld“ der Renaissance

Schönheit oder Güte

Der zweite Sündenfall

FÜNFTES KAPITEL: DAS HEREINBRECHEN DER VERNUNFT

Die Weltgeschichte ist ein dramatisches Problem

Das Drama der Neuzeit

Der neue Blick

Die Kurve von 1500 bis 1900

Die mystische Erfahrungswelt der „Primitiven“

Prälogisch oder überlogisch?

Das rationalistische Intermezzo

Die drei Schwarzkünste

Paracelsus

Menschenmaterial und verschiebbare Letter

Kopernikus

Überwindung des „Cap Non“

Columbus

Die Reise um die Erde in elfhundert Tagen

Das Verbrechen der Conquista

Die mexikanische Spätkultur

Christliche Elemente in der aztekischen Religion

Der weiße Gott

Peru

Die Rachegeschenke Amerikas

Faust

Sieg des Menschen über Gott

Vom theozentrischen zum geozentrischen Weltbild

Der Augustinermönch

SECHSTES KAPITEL: DIE DEUTSCHE RELIGION

Gott und die Völker

Die vier Komponenten der Reformation

Die Nachtigall von Wittenberg

Reformatoren vor der Reformation

Der Spatenstich

Das Doppelantlitz Luthers

Der letzte Mönch

Die große Krisis

Jehovah indelebilis

Luthers Damaskus

Luthers heroische Zeit

Die schöpferische Peripherie

Luthers Papst

Triumph des Gutenbergmenschen über den gotischen Menschen

Luther als Sprachschöpfer

Luther und die Künste

Luther und der Bauernkrieg

Luthers Erschlaffen

Luther und die Transsubstantiation

Luther und die Satisfaktionslehre

Paulus

Der jüdischste Apostel

Augustinus

Wahrer Sinn der christlichen Rechtfertigung

Der Calvinismus

Die Radikalen

Sebastian Franck

Geburt der Kabinettspolitik

Psychologie der Habsburger

Das Geheimnis Karls des Fünften

Sieg der Theologie über die Religion

Das Monstrum der Schöpfung

Der Grobianismus

François Rabelais

Unverminderter Plebejismus

Das klassische Zeitalter der Völlerei

Der Landsknechtstil

Hegemonie des Kunsthandwerks

Der Hexenhammer

Hexenwahn und Psychoanalyse

Säkularisation der Menschheit

Die antievangelischen Evangelischen

Jesus und die „soziale Frage“

Gott und die Seele

Das heilige Nichtstun

SIEBENTES KAPITEL: DIE BARTHOLOMÄUSNACHT

Die Erdhölle

Der Gegenstoß

Das Tridentinum

Paneuropäische Intoleranz

Der Anglikanismus

Das Naturrecht

Die Armee Jesu

Die Ubiquität des Jesuitismus

Philipp der Zweite

Der Welteskorial

Die spanische Kolonialpolitik

Der Abfall der Niederlande

Zusammenbruch des philippischen Systems

Don Juan und Don Quixote

Weltherrschaft des spanischen Stils

Französischer Klassizismus und Spielopernaturalismus

Der Skeptiker aus Lebensbejahung

Der Montaignemensch

Jakob Böhme

Giordano Bruno

Francis Bacon

Der Aufstieg Englands

Der elisabethinische Mensch

Die Flegeljahre des Kapitalismus

Die exakten Wissenschaften

Die Welt des Fernrohrs

Bacon als Charakter

Bacon als Philosoph

Bacon vor Bacon

Bacons Antiphilosophie

Bacons Ruhm

Der heimliche König

Die Seele Shakespeares

Das Theater Shakespeares

Die Welt als Traum

Die Agonie der Renaissance

Das zweite Trauma

Die neue Frage

ZWEITES BUCH: BAROCK UND ROKOKO – VOM DREISSIGJÄHRIGEN KRIEGBIS ZUM SIEBENJÄHRIGEN KRIEG

ERSTES KAPITEL: DIE OUVERTÜRE DER BAROCKE

Das Sinnlose

Das Unkraut

Die „Helden“

Wallenstein

Gustav Adolf

Übertreibende Beurteilungen

Wirtschaftliche Deroute

Die „konstituierte Anarchie“

Das Ende des Mittelalters

Die Vorbarocke

Die Staatsraison

Germanische und romanische Kultur

Das „alamodische Wesen“

Der Trompeter von Säckingen

Tabak und Kartoffel

Die Poeterey

Comenius

Die Naturwissenschaft

Die Vorherrschaft Hollands

Das niederländische Bilderbuch

Die Mythologie des Alltags

Rembrandt

Rubens

King Charles

Cromwell

Die Puritaner

Die Quäker

Milton

Hobbes

Spinoza

Die „Ethik“

Die Gleichung aus zwei Nullen

Die Welt ohne Zwecke

Die Logik der folie raisonnante

Das luftleere System

Der künstliche Irrationalismus

Das Welttheater

Exaltation, Extravaganz, Aenigmatik, latente Erotik

Die natürliche Unnatürlichkeit

Die Hegemonie der Oper

el siglo de oro

Die Königinnen ohne Beine

Gracian

El Greco

Die drei Therapien gegen den Rationalismus

Die Welt als Fiktion

Pascals Lebenslegende

Pascals Seelenanatomie

Der Überwinder

Der wahre Sonnenkönig

ZWEITES KAPITEL: LE GRAND SIÈCLE

Richelieu

Das Hotel Rambouillet

Mazarin

Das cartesianische Zeitalter

Das magische Koordinatenkreuz

Der deduktive Mensch

Die Sonne der Raison

Die Seele ohne Brüder

Übergang der Vorbarocke in die Vollbarocke

Der König als Mittelpunkt des irdischen Koordinatensystems

Innere Verwaltung Ludwigs des Vierzehnten

Das Theater von Versailles

Äußere Politik Ludwigs des Vierzehnten

Der Colbertismus

Dramatische Kristallographie

Der Hofnarr des Zeitgeists

Malerei und Dekoration

Lully

La Rochefoucauld

Die Allonge

Der Kaffee

Die Post

Die Zeitung

Bayle

Das Mikroskop

Newton

Karl der Zweite

Die „glorious revolution“

London

Locke

Thomasius

Der Große Kurfürst

Der Prinz Eugen

Christine von Schweden

Peter der Große

Die russische Psychose

Cartesianische und berninische Barocke

Die Weltfiktionen

Das Ideal der Fettleibigkeit

Das isolierte Individuum

Die Marionette als platonische Idee

Der Infinitesimalmensch

Leibniz

Die Welt als Uhr

Der Maskenzug

DRITTES KAPITEL: DIE AGONIE DER BAROCKE

Watteau

La petite maison

Pastell und Porzellan

Chinoiserie

Le siècle des petitesses

Der Esprit

Die Liebe als Liebhabertheater

Der Cicisbeo

Erotische Décadence

Das Häßlichkeitspflästerchen

Die tragische Maske des Rokokos

Spiegelleidenschaft

Theatrokratie

Die Régence

Der Lawsche Krach

Louis Quinze

Die noblesse de la robe

Das Konzert der Mächte

Der Duodezabsolutismus

Pleiß-Athen

Klopstock

Christian Wolff

Der Pietismus

Der bel canto

Bach und Händel; Friedrich der Große

Der König

Der Vater

Der Antimonarchist

Der Philosoph

Das Genie

Der Held aus Neugierde

Der tragische Ironiker

Der Politiker

Der Administrator

Der Stratege

Unsittliche Pflanzen

Erwachender Natursinn

Bibel und Hauptbuch

The comfort

Franklin und Robinson

Familienroman und comédie larmoyante

Die Wochenschriften

Hogarth

Die Dichter des Spleen

Die freethinkers

Hume

Berkeley

Montesquieu und Vauvenargues

Der Generalrepräsentant des Jahrhunderts

Der Märtyrer des Lebens

Voltaires Charakter

Voltaires Werk

Voltaire als Dichter

Voltaire als Historiker

Voltaire als Philosoph

Le jardin

DRITTES BUCH: AUFKLÄRUNG UND REVOLUTION – VOM SIEBENJÄHRIGEN KRIEGBIS ZUM WIENER KONGRESS

ERSTES KAPITEL: GESUNDER MENSCHENVERSTAND
UND RÜCKKEHR ZUR NATUR

Kulturzeitalter und Erdzeitalter

Die dreierlei Vorstellungsmassen

Der erste Weltkrieg

Die drei Krisen des Siebenjährigen Kriegs

Die friderizianische Großmacht

Philanthropie der Worte

Die bureaux d’esprit

Die Encyclopédie

Diderot

Die Materialisten

Epigenesis und Neptunismus

Neue Chemie

Galvanische Elektrizität

Astronomie und Mathematik

Blumenbefruchtung und Pockenschutzimpfung

Die Urpflanze

Nicolai

Mendelssohn

Nützliche Auslegung der Bibel

Der Auferstehungsbetrug

Lessing

Lichtenberg

Der Zerleuchter

Katastrophe des Jesuitenordens

Die Illuminaten

Knigge

Casanova und Cagliostro

Swedenborg

Preußens „Fäulnis vor der Reife“

Der Volkskaiser

Die josefinische Zwangsaufklärung

Das Regime der Velleitäten

Die Papierrevolution von oben

Das Ende Polens

Kosmopolitismus

Erziehungsmanie

Die Physiokraten

Konzeption des Maschinenmenschen

Die „Lästerschule“

Der Abfall Nordamerikas

Beaumarchais und Chamfort

Rousseaus Naturbegriff

Héloïse, Contrat und Emile

Rousseaus Charakter

Der Einbruch des Plebejers in die Weltliteratur

Der Rousseauismus

Triumph der Empfindsamkeit

Silhouette und Zirkelbrief

Der Frack

Ossian

Sturm und Drang

Zweidimensionale Dichtung

Hamann

Herder und Jacobi

„Ein sehr merkwürdiger Mensch“

Das Zeitalter Goethes

Der junge Schiller

Der Dichter Flickwort

Schiller als Didaktiker

Gluck und Haydn

Mozarts Lebensgleichung

Der doppelte Kant

„Alleszermalmer“ und „Allesverschleierer“

Die Kritik der Vernunft

Die reine Vernunft

Wie ist Natur möglich?

Wie ist Metaphysik möglich?

Tiefste Niederlage und höchster Triumph der menschlichen Vernunft

Der Primat der praktischen Vernunft

Das Gesamtresultat der kantischen Philosophie

Die Kritik der kantischen Philosophie

Das unmögliche Ding an sich

ZWEITES KAPITEL: DIE ERFINDUNG DER ANTIKE

Der Herr in der Extrapost

Das Genie unter den Völkern

Augusteische, karolingische und ottonische Renaissance

Die Renaissancen der Neuzeit

Das falsche Klassenpensum

Der „klassische“ Grieche

Der „romantische“ Grieche

Der Sokratismus

Der Gipsgrieche

Die griechische Plastik

Die griechische Malerei

Der Alexandrinismus

Heraufkunft des Berufsmenschen und des kosmopolitischen Untertans

Hellenistische Großstadtkultur

Hellenistische l’art pour l’art-Kunst und Fachwissenschaft

Hellenistischer Nihilismus

Die griechische Musikalität

Die griechische Sprache

Die griechische Erotik

Die griechische Amoralität

Die Staatsnarren

Die griechische Religiosität

Der griechische Pessimismus

Der griechische Idealismus

Das Volk der Mitte

Der letzte Humanist

Die Ästhetik der Homosexualität

Mengs

Die Gräkomanie

„Rien“

DRITTES KAPITEL: EMPIRE

Die Fanale

Die Revolution

Die Nation der Extreme

Das Auslösungsschema

Demokratie und Freiheit

Die Zauberlaterne

Die tragische Operette

Geschichte der Französischen Revolution

Mirabeau

Die Kellerratte, der edle Brigant und der Oberlehrer

Die Herrschaft der Vernunft und der Tugend

Die Assignaten

Der Zeitreisende

Die Kurve der Revolution

„Monsieur Giller“

Das schlafende Deutschland

Haben die Klassiker gelebt?

Die beiden Gipsköpfe

Panoramic ability

Der Theatrarch

Das Pathos der faulen Äpfel

Das Genie der Kolportage

Der Bund der Dioskuren

Die Antipoden

Statiker und Dynamiker

Natur und Geschichte

Diktierer und Diktator

Psychologie der romantischen Schule

Die romantische Ironie

Die „Doppellieben“

Die unromantische Romantik

Novalis

Schleiermacher

Fichte

Schelling

Fortschritte der Naturwissenschaft

Das klassische Kostüm

Alfieri, David, Talma und Thorwaldsen

Goya

Beethoven

Der Malthusianismus

Die Kontinentalsperre

Das Napoleondrama

Napoleon und das Schicksal

Napoleon und die Stategie

Der Mann der Realitäten

Der Regisseur Europas

Der antiideologische Ideologe

VIERTES BUCH: ROMANTIK UND LIBERALISMUS – VOM WIENER KONGRESSBIS ZUM DEUTSCH–FRANZÖSISCHEN KRIEG

ERSTES KAPITEL: DIE TIEFE DER LEERE

Der innerste Höllenkreis

Die unwirkliche Gegenwart

Poetische, historische, journalistische Wahrheit

Der Geister-Strom

„Kritische“ Geschichtschreibung

Geschichte wird erfunden

Die Rangerhöhung der Geschichte

Was ist Romantik?

Das „Organische“

Die kranke Gans

Der Kongreß

Talleyrand

Die neue Landkarte

Die Heilige Allianz

Die Front nach innen

Der Napoleonmythus

Die Altteutschen

Befreiung Südamerikas und Griechenlands

Die österreichische Infektion

Die „modernen Ideen“

Der Mephisto der Romantik

Romantische Wissenschaft

Der „dichtende Volksgeist“

Der Zauberstab der Analogie

Geburt der romantischen Dichtung

Grillparzer und Raimund

Kleist

Farbenlehre und vergleichende Sinnesphysiologie

Elektrische und chemische Entdeckungen

Homöopathie

Rossini, Weber und Schubert

Biedermeier

Die Nazarener

Guéricault, Saint-Simon und Stendhal

Der Titelheld des Zeitalters

Der Byronismus

Das Selbstbewußtsein des Zeitalters

Die dialektische Methode

Hegels Geschichtsphilosophie

Amortisation Hegels durch Hegel

ZWEITES KAPITEL: DAS GARSTIGE LIED

Die Welt im Gaslicht

Lokomotive Nummer eins

Die Schnellpresse

Die Lithographie

Daumier

Der neue Gott

Balzac

Das Julikönigtum

Belgien, Polen und Hambach

Der Romantiker auf dem Thron

Manchester

Die soziale Frage

Friedrich List

Der Held als Denker

Der Geisterseher

Nur ein Lord

Carlyles Glaube

David Friedrich Strauß

Katholische Theologie

Kierkegaard und Stirner

Ludwig Feuerbach

Neptun, Aktualismus, Stereoskop und Galvanoplastik

Das Energiegesetz

Guano, Hydrotherapie, Morsetaster und Daguerrotyp

Ranke

Die französische Romantik

Hugo, Dumas, Scribe, Sue

Delacroix

Politische Musik

Mendelssohn und Schumann

Das junge Deutschland

Der „Zeitgeist“

Gutzkow

Laube und Heine

Politische Malerei

Georg Büchner

Nestroy

Andersen

Der blaue Vogel

DRITTES KAPITEL: DAS LUFTGESCHÄFT

Der Refrain

Die Februarrevolution

Die Nationalwerkstätten

Der März

Die Peripetie

Olmütz

Napoleon der Dritte

La civilisation

Der Krimkrieg

Der Zarbefreier

Die russische Seele

Slawophilen und Westler

Oblomow

Solferino

I mille

Das genre canaille

Offenbach

Gounod

Das Sittenstück

Der Comtismus

Spencer und Buckle

Darwin

Anti-Darwin

Der Paulus des Darwinismus

Ignorabimus

Die Spektralanalyse

Die Entstehung des Lebens

Zellularpathologie und Psychophysik

Die Milieutheorie

Flaubert

Der unsittliche Dichter

Renan

Sainte-Beuve

Die Parnassiens

Ruskin

Die Präraffaeliten

Der Ästhet

Whitman und Thoreau

Emerson

Der Materialismus

Der Marxismus

Der Klassenkampf

Lassalle

Mommsen

Das Dichterseminar

Die Marlitt

Bilanz der deutschen Literatur

Hebbel und Otto Ludwig

Der Antipoet

Feuerbach und Marées

Die beiden Philosophen

Schopenhauers Charakter

Schopenhauers Philosophie

Der klassische Romantiker

Bismarck und Friedrich der Große

Der letzte Held

Der Sezessionskrieg

Juarez und Maximilian

Schleswig-Holstein

1866

Custozza

Krismanič und Moltke

Königgrätz

Lissa

Nikolsburg

Der ungarische Ausgleich

Der lokalisierte Weltkrieg

Die spanische Bombe

à Berlin!

FÜNFTES BUCH: IMPERIALISMUS UND IMPRESSIONISMUS – VOM DEUTSCH-FRANZÖSISCHEN KRIEGBIS ZUM WELTKRIEG

ERSTES KAPITEL: DER SCHWARZE FREITAG

Wer macht die Realität?

Das Zeitalter Bismarcks

Der französische Aufmarsch

Die deutschen Kriegshandlungen

Die Neutralen

Der Friede

Die Kommune

Das Sozialistengesetz

Der Kulturkampf

Der Berliner Kongreß

Krieg in Sicht

Zweibund, Dreibund und Rückversicherungsvertrag

Der Geist des Deutschen Reichs

Dühring

Der Stil der Stillosigkeit

Das Makartbukett

Die „deutsche Renaissance“

Der Eiffelturm

Das Kostüm

Die Meininger

Das „Gesamtkunstwerk“

Das höchste Theater

Die Kurve Wagners

Die „Fledermaus“

Die Literatur

Wilhelm Busch

Fernsprecher, Glühlampe und Fahrrad

Die Stereochemie

Die Marskanäle

Die Vorimpressionisten

Was ist Impressionismus?

Der „Ouvrier“

Der Farbe gewordene Antichrist

Die Goncourts

Zola

Tolstoi und Dostojewski

Der letzte Byzantiner

Die Rechtfertigung des Bösen

Der Entschleierer

Der Haß des Künstlers

ZWEITES KAPITEL: VOM TEUFEL GEHOLT

Die Zäsur

Wille zur Macht als Décadence

Hegel und Halske

Das neue Tempo

Die elektromagnetische Lichttheorie

Die Radioaktivität

Die Atomzertrümmerung

Fabier und Kathedersozialisten

Die Gymnasialreform

Der Kaiser Wilhelm

Bismarcks Entlassung

Kap-Kairo

Nordamerika

Ostasien

Russischjapanischer Krieg

Nachbismarckische Weltpolitik

Tripelentente

Annexionskrise

Der Pragmatismus

Mach

Bergson

Wundt

„Rembrandt als Erzieher“

„Geschlecht und Charakter“

Strindberg

Die Petarde

Der Wanderer

Nietzsches Psychologie

Nietzsches Christentum

Der letzte Kirchenvater

Das zweite Stadium des Impressionismus

Der Sänger aus Thule

Der letzte Klassiker

Zenith des bürgerlichen Theaters

Kleine Dramaturgie

Ibsens Kosmos

Die Rache Norwegens

Ibsens Kunstform

Das Testament der Neuzeit

Die literarische Revolution

Die „Freie Bühne“

Der Naturalismus

Hauptmann

Sudermann

Fontane

Wedekind

Maupassant

Die Sezession

Böcklin

Schnitzler und Altenberg

Der Verismo

Dorian Gray

Shaws Ironie

Amor vacui

Die Symbolisten

Das Theater der vierten Dimension

Das telepathische Drama

Die Lücke

Was ist Diplomatie?

Die Balkankriege

Serajewo

Die Wolke

EPILOG – STURZ DER WIRKLICHKEIT

Die neue Inkubationsperiode

Das Weltall als Molekül

Das Molekül als Weltall

Die Zeit ist eine Funktion des Orts

Masse ist Energie

Es gibt keine Gleichzeitigkeit

Der Schuß in den Weltraum

Heraufkunft des Wassermanns

Untergang der Historie

Untergang der Logik

Dada

Die Katastrophe des Dramas

Selbstmord der Kunst

Der Surréalisme

Der Turmbau zu Babel

Die beiden Hydren

Die fünf Möglichkeiten

Die Metapsychologie

Der Sklavenaufstand der Amoral

Der Orpheus aus der Unterwelt

Die Dogmen der Psychoanalyse

Das verdrängte Ding an sich

Das Licht von der anderen Seite

ZEITTAFEL · NAMENREGISTER

ZEITTAFEL

NACHWORT

NAMENREGISTER

MAX REINHARDT
GEWIDMET

daß dies alles eben darum in einer Art wahr ist, weil es in einer Art falsch ist.

Augustinus

Wer sich aber wundern sollte, daß nach so vielen Geschichtsschreibern auch mir die Abfassung einer solchen Schrift in den Sinn kommen konnte, der lese zuvor alle Schriften jener anderen durch, mache sich darauf an die meinige, und dann erst wundere er sich.

Flavius Arrianos (95–180 n.Chr.)

EINLEITUNG

WAS HEISST UND ZU WELCHEM ENDE
STUDIERT MAN KULTURGESCHICHTE?

Ausführlich zu schildern, was sich niemals ereignet hat, ist nicht nur die Aufgabe des Geschichtsschreibers, sondern auch das unveräußerliche Recht jedes wirklichen Kulturmenschen.

Oscar Wilde

Der vergessene Stern

Durch die unendliche Tiefe des Weltraums wandern zahllose Sterne, leuchtende Gedanken Gottes, selige Instrumente, auf denen der Schöpfer spielt. Sie alle sind glücklich, denn Gott will die Welt glücklich. Ein einziger ist unter ihnen, der dieses Los nicht teilt: auf ihm entstanden nur Menschen.

Wie kam das? Hat Gott diesen Stern vergessen? Oder hat er ihm die höchste Glorie verliehen, indem er ihm freistellte, sich aus eigener Kraft zur Seligkeit emporzuringen? Wir wissen es nicht.

Einen winzigen Bruchteil der Geschichte dieses winzigen Sterns wollen wir zu erzählen versuchen.

Für diesen Zweck wird es nützlich sein, wenn wir vorher in Kürze die Grundprinzipien unserer Darstellung erörtern. Es sind Grundgedanken im eigentlichsten Sinn des Wortes: sie liegen dem Gesamtbau des Werkes zugrunde und sind daher, obschon sie ihn tragen, unterirdisch und nicht ohne weiteres sichtbar.

Alle Dinge haben ihre Philosophie

Der erste dieser Grundpfeiler besteht in unserer Auffassung vom Wesen der Geschichtschreibung. Wir gehen von der Überzeugung aus, daß sie sowohl einen künstlerischen wie einen moralischen Charakter hat; und daraus folgt, daß sie keinen wissenschaftlichen Charakter hat.

Geschichtschreibung ist Philosophie des Geschehenen. Alle Dinge haben ihre Philosophie, ja noch mehr: alle Dinge sind Philosophie. Alle Menschen, Gegenstände und Ereignisse sind Verkörperungen eines bestimmten Naturgedankens, einer eigentümlichen Weltabsicht. Der menschliche Geist hat nach der Idee zu forschen, die in jedem Faktum verborgen liegt, nach dem Gedanken, dessen bloße Form es ist. Die Dinge pflegen oft erst spät ihren wahren Sinn zu offenbaren. Wie lange hat es gedauert, bis uns der Heiland die einfache und elementare Tatsache der menschlichen Seele enthüllte! Wie lange hat es gedauert, bis der magnetische Stahl dem sehenden Auge Gilberts seine wunderbar wirksamen Kräfte preisgab! Und wie viele geheime Naturkräfte warten noch immer geduldig, bis einer kommt und den Gedanken in ihnen erlöst! Daß die Dinge geschehen, ist nichts: daß sie gewußt werden, ist alles. Der Mensch hatte seinen schlanken ebenmäßigen Körperbau, seinen aufrechten edeln Gang, sein weltumspannendes Auge seit Jahrtausenden und Jahrtausenden: in Indien und Peru, in Memphis und Persepolis; aber schön wurde er erst in dem Augenblick, wo die griechische Kunst seine Schönheit erkannte und abbildete. Darum scheint es uns auch immer, als ob über Pflanzen und Tiere eine eigentümliche Melancholie gebreitet sei: sie alle sind schön, sie alle sind Sinnbilder irgendeines tiefen Schöpfungsgedankens; aber sie wissen es nicht, und darum sind sie traurig.

Die ganze Welt ist für den Dichter geschaffen, um ihn zu befruchten, und auch die ganze Weltgeschichte hat keinen anderen Inhalt. Sie enthält Materialien für Dichter: Dichter des Werks oder Dichter des Worts: das ist ihr Sinn. Wer aber ist der Dichter, den sie zu neuen Taten und Träumen beflügelt? Dieser Dichter ist niemand anders als die gesamte Nachwelt.

Ästhetische, ethische, logische Geschichtschreibung

Man hat sich seit einiger Zeit daran gewöhnt, drei verschiedene Arten der Geschichtschreibung zu unterscheiden: eine referierende oder erzählende, die einfach die Begebenheiten berichtet, eine pragmatische oder lehrhafte, die die Ereignisse durch Motivierungen verknüpft und zugleich Nutzanwendungen aus ihnen zu ziehen sucht, und eine genetische oder entwickelnde, die darauf abzielt, die Geschehnisse als einen organischen Zusammenhang und Verlauf darzustellen. Diese Einteilung ist nichts weniger als scharf, weil, wie man auf den ersten Blick sieht, diese Betrachtungsarten ineinander übergehen: die referierende in die verknüpfende, die verknüpfende in die entwickelnde, und überhaupt keine von ihnen völlig ohne die beiden anderen zu denken ist. Wir können uns daher dieser Klassifikation nur in dem vagen und einschränkenden Sinne bedienen, daß bei jeder dieser Darstellungsweisen einer der drei Gesichtspunkte im Vordergrund steht, und in diesem Falle gelangen wir zu folgenden Ergebnissen: bei der erzählenden Geschichtschreibung, der es in erster Linie um den anschaulichen Bericht zu tun ist, überwiegt das ästhetische Moment; bei der pragmatischen Darstellung, die es vor allem auf die lehrhafte Nutzanwendung, die „Moral“ der Sache abgesehen hat, spielt das ethische Moment die Hauptrolle; bei der genetischen Methode, die eine geordnete und dem Verstand unmittelbar einleuchtende Abfolge aufzuzeigen sucht, dominiert das logische Moment. Dementsprechend haben auch die verschiedenen Zeitalter je nach ihrer seelischen Grundstruktur immer eine dieser drei Formen bevorzugt: die Antike, in der die reine Anschauung am stärksten entwickelt war, hat die Klassiker der referierenden Geschichtschreibung hervorgebracht; das achtzehnte Jahrhundert mit seiner Neigung, alle Probleme einer moralisierenden Betrachtungsweise zu unterwerfen, hat die glänzendsten Exemplare der pragmatischen Richtung aufzuweisen; und im neunzehnten Jahrhundert, wo die Tendenz vorherrschte, alles zu logisieren, in reine Begriffe und Rationalitäten aufzulösen, hat die genetische Methode die schönsten Früchte gezeitigt. Jede dieser drei Behandlungsarten hat ihre besonderen Vorzüge und Schwächen; aber so viel ist klar, daß bei jeder von ihnen ein bestimmtes Interesse das treibende und gestaltende Motiv bildet, sei es nun ästhetischer, ethischer oder logischer Natur: den entscheidenden, obschon stets wechselnden Maßstab des Historikers bildet allemal das „Interessante“. Dieser Gesichtspunkt ist nicht ganz so subjektiv, wie er aussieht: es herrschen über ihn, zumindest in demselben Zeitalter, große Übereinstimmungen; aber er ist natürlich auch keineswegs objektiv zu nennen.

Landkarte und Porträt

Man könnte nun meinen, daß bei der erzählenden Geschichtschreibung, wenn sie sich auf eine trockene sachliche Wiedergabe der Tatsachen beschränkt, das Ideal einer objektiven Darstellung noch am ehesten zu erreichen wäre. Aber schon die reine Referierung (die übrigens unerträglich wäre und, außer auf ganz primitiven Stufen, nie versucht worden ist) erhält durch die unvermeidliche Auswahl und Gruppierung der Fakten einen subjektiven Charakter. Hierin besteht eigentlich die Funktion alles Denkens, ja sogar unseres ganzen Vorstellungslebens, das ausnahmslos elektiv, selektiv verfährt und zugleich die der Wirklichkeit entnommenen Ausschnitte in eine bestimmte Anordnung bringt. Und diesen Prozeß, den unsere Sinnesorgane unbewußt vollziehen, wiederholen die Naturwissenschaften mit vollem Bewußtsein. Aber es besteht hier doch ein kardinaler Unterschied. Die Selektion, die unsere Sinnesorgane und die auf ihren Meldungen aufgebauten Naturwissenschaften treffen, wird von der menschlichen Gattung nach strengen und eindeutigen Gesetzen entschieden, denen das Denken und Vorstellen jedes normalen Menschen unterworfen ist; die Auswahl des historischen Materials wird aber nach freiem Ermessen von einzelnen Individuen oder von gewissen Gruppen von Individuen, im günstigsten Fall von der öffentlichen Meinung eines ganzen Zeitalters bestimmt. Vor einigen Jahren hat der Münchener Philosoph Professor Erich Becher in seinem Werk „Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften“ den Versuch gemacht, eine Art vergleichende Anatomie der Wissenschaften zu liefern, eine Art Technologie der einzelnen Disziplinen, die sich zu diesen etwa verhält wie eine Dramaturgie zur Kunst des Theaters. Dort findet sich der Satz: „Die Wissenschaft vereinfacht die unübersehbar komplexe Wirklichkeit durch Abstraktion … Der Historiker, der ein Lebensbild des Freiherrn vom Stein entwirft, abstrahiert von unzähligen Einzelheiten aus dessen Leben und Wirken, und der Geograph, der eine Gebirgslandschaft bearbeitet, abstrahiert von Maulwurfshügeln und Ackerfurchen.“ Aber gerade aus dieser Gegenüberstellung sehen wir, daß Geographie und Geschichte sich eben nicht als gleichberechtigte Wissenschaften koordinieren lassen. Denn während es für Maulwurfshügel und Ackerfurchen ein ganz untrügliches Merkmal gibt, nämlich das einfache optische der Größe und Ausdehnung, läßt sich durch keine ebenso allgemeingültige Formel feststellen, was in der Biographie des Freiherrn vom Stein diesen quantités négligeables entspricht. Es ist ganz dem dichterischen Einfühlungsvermögen, dem historischen Takt, dem psychologischen Spürsinn des Biographen überlassen, welche Details er auslassen, welche er nur andeuten, welche er breit ausmalen soll. Geograph und Biograph verhalten sich zueinander wie Landkarte und Porträt. Welche Erdfurchen in eine geographische Karte aufzunehmen sind, sagt uns ganz unzweideutig unser geometrisches Augenmaß, das bei allen Menschen gleich und außerdem mechanisch kontrollierbar ist; welche Gesichtsfurchen in ein biographisches Porträt aufzunehmen sind, sagt uns nur unser künstlerisches Augenmaß, das bei jedem Menschen einen anderen Grad der Feinheit und Schärfe besitzt und jeder exakten Revision entbehrt.

Der geographischen Karte würde nicht einmal die historische Tabelle entsprechen, die die Fakten einfach chronologisch aneinanderreiht. Denn erstens ist es evident, daß eine solche Tabelle nicht mit derselben Berechtigung eine Wiederholung des Originals in verjüngtem Maßstabe genannt werden kann wie eine Landkarte. Und zweitens hätte eine solche amorphe Anhäufung von Daten nicht den Charakter einer Wissenschaft. Nach der doch wohl ziemlich unanfechtbaren Definition Bechers ist eine Wissenschaft „ein gegenständlich geordneter Zusammenhang von Fragen, wahrscheinlichen und wahren Urteilen nebst zugehörigen und verbindenden Untersuchungen und Begründungen“. Keine dieser Forderungen wird von einer solchen nackten Tabelle erfüllt: sie enthält weder Fragen noch Urteile noch Untersuchungen noch Begründungen. Mit demselben Recht könnte man einen Adreßkalender, ein Klassenbuch oder einen Rennbericht ein wissenschaftliches Produkt nennen.

Wir gelangen demnach zu dem Resultat: sobald die referierende Geschichtschreibung versucht, eine Wissenschaft zu sein, hört sie auf, objektiv zu sein, und sobald sie versucht, objektiv zu sein, hört sie auf, eine Wissenschaft zu sein.

Fibelgeschichte

Was die pragmatische Geschichtschreibung anlangt, so bedarf es wohl kaum eines Beweises, daß sie das vollkommene Gegenteil wissenschaftlicher Objektivität darstellt. Sie ist ihrer innersten Natur nach tendenziös, und zwar gewollt und bewußt tendenziös. Sie entfernt sich daher von der reinen Wissenschaft, die bloß feststellen will, ungefähr ebenso weit wie die didaktische Poesie von der reinen Kunst, die bloß darstellen will. Sie erblickt im gesamten Weltgeschehen eine Sammlung von Belegen und Beispielen für gewisse Lehren, die sie zu erhärten und zu verbreiten wünscht, sie hat einen ausgesprochenen und betonten Lesebuchcharakter, sie will allemal etwas zeigen. Damit ist sie jedoch bloß als Wissenschaft verurteilt, wie ja auch die Lehrdichtung dadurch, daß sie keine reine Kunst ist, noch nicht jede Existenzberechtigung verliert. Das höchste Literaturprodukt, das wir kennen, die Bibel, gehört ins Gebiet der didaktischen Poesie, und einige der gewaltigsten Geschichtschreiber: Tacitus, Machiavell, Bossuet, Schiller, Carlyle, haben der pragmatischen Richtung angehört.

Unwissenschaftlichkeit der historischen Grundbegriffe

Als Reaktion gegen den Pragmatismus trat in der neuesten Zeit die genetische Richtung hervor, die sich zum Ziel setzt, die Ereignisse ohne jede Parteinahme lediglich an der Hand der historischen Kausalität in ihrer organischen Entwicklung zu verfolgen, also etwa in der Art, wie der Geologe die Geschichte der Erdrinde oder der Botaniker die Geschichte der Pflanzen studiert. Aber sie befand sich in einem großen Irrtum, wenn sie glaubte, daß sie dazu imstande sei. Erstens nämlich: indem sie den Begriff der Entwicklung einführt, begibt sie sich auf das Gebiet der Reflexion und wird im ungünstigen Fall zu einer leeren und willkürlichen Geschichtskonstruktion, im günstigen Fall zu einer tiefen und gedankenreichen Geschichtsphilosophie, in keinem Fall aber zu einer Wissenschaft. Die Vergleichung mit den Naturwissenschaften ist nämlich vollkommen irreführend. Die Geschichte der Erde liegt uns in unzweideutigen Dokumenten vor: wer diese Dokumente zu lesen versteht, ist imstande, diese Geschichte zu schreiben. Solche einfache, deutliche und zuverlässige Dokumente stehen aber dem Historiker nicht zu Gebote. Der Mensch ist zu allen Zeiten ein höchst komplexes, polychromes und widerspruchsvolles Geschöpf gewesen, das sein letztes Geheimnis nicht preisgibt. Die gesamte untermenschliche Natur trägt einen sehr uniformen Charakter; die Menschheit besteht aber aus lauter einmaligen Individuen. Aus einem Lilienkeim wird immer wieder eine Lilie, und wir können die Geschichte dieses Keims mit nahezu mathematischer Sicherheit vorausbestimmen; aus einem Menschenkeim wird aber immer etwas noch nie Dagewesenes, nie Wiederkehrendes. Die Geschichte der Natur wiederholt sich immer: sie arbeitet mit ein paar Refrains, die sie nicht müde wird zu repetieren; die Geschichte der Menschheit wiederholt sich nie: sie verfügt über einen unerschöpflichen Reichtum von Einfällen, der stets neue Melodien zum Vorschein bringt.

Zweitens: wenn die genetische Geschichtschreibung annimmt, ebenso streng wissenschaftlich Ursache und Wirkung ergründen zu können wie die Naturforschung, so befindet sie sich ebenfalls in einer Täuschung. Die historische Kausalität ist schlechterdings unentwirrbar, sie besteht aus so vielen Gliedern, daß sie dadurch für uns den Charakter der Kausalität verliert. Zudem lassen sich die physikalischen Bewegungen und ihre Gesetze durch direkte Beobachtung feststellen, während die historischen Bewegungen und ihre Gesetze sich nur in der Phantasie wiederholen lassen; jene kann man jederzeit nachprüfen, diese nur nachschaffen. Kurz: der einzige Weg, in die historische Kausalität einzudringen, ist der Weg der Künstlers, ist das schöpferische Erlebnis.

Und schließlich drittens erweist sich auch die Forderung der Unparteilichkeit als völlig unerfüllbar. Daß die Geschichtsforschung im Gegensatz zur Naturforschung ihre Gegenstände wertet, wäre noch kein Einwand gegen ihren wissenschaftlichen Charakter. Denn ihre Wertskala könnte ja objektiver Natur sein, indem sie, wie in der Mathematik, eine Größenlehre oder, wie in der Physik, eine Kräftelehre wäre. Aber hier zeigt sich der einschneidende Unterschied, daß es einen absolut gültigen Maßstab für Größe und Kraft in der Geschichte nicht gibt. Ich weiß zum Beispiel, daß die Zahl 17 größer ist als die Zahl 3, daß ein Kreis größer ist als ein Kreissegment von demselben Radius; aber über historische Personen und Ereignisse vermag ich nicht Urteile von ähnlicher Sicherheit und Evidenz abzugeben. Wenn ich zum Beispiel sage, Cäsar sei größer als Brutus oder Pompejus, so ist das nicht beweisbarer als das Gegenteil, und in der Tat hat man jahrhundertelang diese für uns so absurde Ansicht vertreten. Daß Shakespeare der größte Dramatiker sei, der je gelebt hat, kommt uns ganz selbstverständlich vor, aber diese Meinung ist erst um die Wende des achtzehnten Jahrhunderts allgemein durchgedrungen; es war dieselbe Zeit, wo die meisten Menschen Vulpius, den Verfasser des „Rinaldo Rinaldini“, für einen größeren Dichter hielten als seinen Schwager Goethe. Raphael Mengs, in dem die Nachwelt nur noch einen faden und gedankenlosen Eklektiker erblickt, galt zu seinen Lebzeiten als einer der größten Maler der Erde; el Greco, in dem wir heute den grandiosesten Genius der Barocke anstaunen, war noch vor einem halben Menschenalter so wenig geschätzt, daß in der letzten Auflage von Meyers Konversationslexikon nicht einmal sein Name genannt wird. Karl der Kühne erschien seinem Jahrhundert als der glänzendste Held und Herrscher, während wir in ihm nur noch eine ritterliche Kuriosität zu sehen vermögen. In demselben Jahrhundert lebte Jeanne d’Arc; aber Chastellain, der gewissenhafteste und geistreichste Chroniqueur des Zeitalters, läßt in dem „Mystère“, das er auf den Tod Karls des Siebenten dichtete, alle Heerführer auftreten, die für den König gegen die Engländer kämpften, die Jungfrau erwähnt er aber überhaupt nicht: wir hingegen haben von jener Zeit kaum etwas anderes in der Erinnerung als das Mädchen von Orléans. Die Größe ist eben, wie Jakob Burckhardt sagt, ein Mysterium: „Das Prädikat wird weit mehr nach einem dunkeln Gefühle als nach eigentlichen Urteilen aus Akten erteilt oder versagt.“

Unterirdischer Verlauf der historischen Wirkungen