Über das Buch:
Da ist Dave Richman.
Er kann es sich nicht leisten, Fehler zu machen. Als FBI-Agent ist es seine Aufgabe, Menschenleben zu retten. Wie aber beschützt man eine Frau, die es zu ihrem Beruf gemacht hat, ihren Schutzengel herauszufordern?
Da ist Kate O´Malley.
Sie hat den Ruf, mit ihrem legendären Verhandlungsgeschick noch jedes Geiseldrama entschärft zu haben. Im Auge des Sturms ist ihr Platz – dort, wo sie sich nur noch auf sich selbst verlassen kann.
Und da ist der Unbekannte.
Er legt es darauf an, dass Kate einen Fehler macht. Er hat sie in seinem Fadenkreuz und sendet ihr schwarze Rosen. Hat er auch das Flugzeug in die Luft gejagt, um ihr die Schuld in die Schuhe zu schieben? Könnte es gar ein Mensch aus ihrem engsten Umfeld sein?
Als Kates Welt gefährlich ins Schlingern gerät, ist Dave an ihrer Seite. Er sieht in ihr mehr als ein Schutzobjekt, er findet sie im wahrsten Sinn des Wortes „liebenswert“ ...
Was aber soll sie anfangen mit dem Gott, auf den er so unbeirrbar baut?

Über die Autorin:
Seit 1996 hat sich Dee Henderson mit nur zwei Romanserien in die Spitze der christlichen Schriftsteller in den USA geschrieben. Dem Erfolg entsprechend hat die Tochter eines Pfarrers ihren Beruf als Finanzbeamtin an den Nagel gehängt und lebt als Schriftstellerin bei Chicago.

6

„Du bist schon den ganzen Nachmittag so zerstreut. Ist alles in Ordnung?“

Kate schreckte auf, als sie Lisas Frage hörte. Erst jetzt sah sie, dass ihre Schwester ihr ein Glas Limonade anbot.

„Entschuldige.“ Sie nahm das Glas. „Es ist alles in Ordnung.“

Bis auf die Tatsache, dass Bobby Tersh immer noch frei herumlief. Nach den letzten Hinweisen hielt er sich jetzt in Indiana auf. Dave hatte sie mit seiner Gewohnheit, immer wieder unverhofft aufzutauchen, durcheinander gebracht, und Jennifer hatte dieses Familientreffen einberufen, ohne den Grund dafür zu nennen. Mit einem Kopfschütteln nippte Kate an der kalten Limonade. Das Abendessen war vorbereitet. Jennifer, Marcus und die anderen O’Malleys sollten in der nächsten Stunde eintreffen.

„Ich habe gestern versucht, dich telefonisch zu erreichen, aber du hast zu Hause nicht abgenommen.“

„Warum hast du mich nicht angepiepst?“

„Ich habe ja gewusst, dass wir uns heute sehen.“

Kate legte sich weiter in die Kissen des Sofas zurück und lehnte das Glas mit der kalten Limonade an ihr Bein. Sie hatte gestern bis in die Abendstunden hinein die Verhandlungskassetten vom Banküberfall überprüft. Die taktische Lösung dieses Falls war unvermeidlich gewesen, aber trotzdem kam ihr das wie eine Niederlage vor.

„Kate.“ Lisa wedelte mit der Hand. „Siehst du? Du bist nicht bei der Sache.“

Kate stöhnte leise auf. Sie wollte auf keinen Fall, dass Lisa wusste, wie stark ihre Arbeit sie in Beschlag nahm. Die Familie machte sich ohnehin schon Sorgen um sie. Stephen musste wegen der schwarzen Rose Stillschweigen geloben.

„Entschuldige bitte.“ Auf der Suche nach einem neutralen Gesprächsthema bot sie Lisa eines an, das sie bestimmt interessieren würde. „Dave Richman ist vorgestern Abend zum Pizzaessen bei mir gewesen. In letzter Zeit taucht er jedes Mal auf, sobald ich mich umdrehe.“

Lisa stellte das Glas hin, das sie gerade zum Mund führen wollte. „Ach, wirklich?“

Mit einem halben Lächeln sah Kate zu ihrer Schwester hinüber. „Tu doch nicht so überrascht.“

„Deine Verabredungen mit Männern konnte man im letzten Jahr an einer Hand abzählen.“

Lisa drückte es noch milde aus. Kate war im letzten Jahr nicht ein einziges Mal mit einem Mann ausgegangen.

„Erwarte bloß nicht zu viel. Sein Interesse ist rein beruflich.“ Es war ihr gestern aufgefallen, wie oft er auf seinen Piepser sah. Er wartete auf eine Nachricht über die Festnahme von Bobby Tersh. Sie tat so, als würde sie es nicht bemerken, weil sie es genoss, dass er ihretwegen einen Samstag verschwendete, um ihr den Rücken zu stärken. Wenn sie das Lisa gegenüber erwähnen würde, würde sie damit mehr Aufmerksamkeit erregen, als sie wollte.

„Vielleicht hat er das Zeug zu einem guten Freund.“

Die Türglocke läutete, und Lisa stand auf, um die Tür zu öffnen. „Lass ihn nicht aus deinem Leben verschwinden, Kate. Du brauchst jemanden, der dieses Lächeln auf dein Gesicht zaubern kann.“

Die O’Malleys kamen mit lautem Gelächter zur Tür herein.

Kate stellte ihr Glas auf den Beistelltisch und stand auf. Die Lebensfreude, die ihre Geschwister bei ihrer Ankunft verbreiteten, ließ sie wieder aufleben.

„Kate!“

Sie lachte, als jemand sie mit einer festen Umarmung von den Füßen riss. „Hallo, Jack.“

„Wie gut, dass du heil geblieben bist.“

„Die Gerüchte über mein Ableben waren stark übertrieben.“

„Stephen hat mir befohlen, dir im Krankenhaus bloß kein Schlaflied zu singen.“

„So wie du singst, bin ich dankbar dafür. Danke für deinen E-Mailgruß. Manning platzt vor Neid. Woher hast du denn diesen explosiven Bildschirmschoner?“ Sie hatte lachen müssen, als sie ihn installierte. Wenn sie mit einem Mausklick die Drähte rechtzeitig durchschnitt, ging die Bombe nicht hoch.

„Ich wollte dir zuerst eine elektronische Grußkarte schicken, aber als ich den Bildschirmschoner gesehen habe, war mir klar, dass dir so etwas besser gefällt.“

„Das stimmt haargenau.“

Über die Schulter von Jack sah Kate, wie Lisa Jennifer mit ihrer Umarmung fast erdrückte. Die zierliche Jennifer schien noch mehr abgenommen zu haben, aber ihr Lächeln war strahlend und ihre Gesichtsfarbe gesund.

Kate fragte leise: „Hast du eine Ahnung, was sie uns mitzuteilen hat?“

Jack schüttelte den Kopf. Das Lachen in seiner Stimme verschwand, als die ernste Seite seines Wesens, die er so selten zeigte, zum Vorschein kam. „Wir konnten nichts aus ihr herausbekommen. Es muss eine größere Sache sein.“

Kate wäre beinahe zusammengezuckt. Sie war sich sicher, dass es etwas Schlimmes war. „Danke für die Warnung.“ Sie holte tief Luft. Was immer auch kommen sollte, es war unvermeidlich. Aber ein bisschen Ablenkung würde allen gut tun. „Wie wäre es, wenn du den Grill anwerfen würdest? Die eingelegten Steaks sind im Kühlschrank.“

„Ich bin schon auf dem Weg. Schließlich habe ich großen Hunger.“

„Natürlich. Du hast immer Hunger. Ich möchte meine Steaks rosa und nicht vertrocknet.“

„Trotz deiner Vorbehalte gegenüber meinen Kochkünsten lässt du mich noch immer an den Grill.“

„Jack, du weißt ja, dass Stephen dir sofort gute Ratschläge gibt, wenn er dich mit einem Streichholz in der Hand sieht.“

„Nur, weil wir dich nicht mit Feuer spielen lassen ...“

Sie gab ihm einen Klaps auf den Arm. „Na los, geh schon.“ Jack lachte und ging Richtung Terrasse. „Stephen, Jack holt gerade die Streichhölzer.“

Stephen durchschritt schnell den Raum und heftete sich Jack an die Fersen. „Bin schon da. Ich werde nicht zulassen, dass er mein Steak verbrennt.“

Mit einem Schmunzeln über die Berechenbarkeit der beiden hielt Kate Ausschau nach Rachel. Ihre Schwester hielt sich ein wenig im Hintergrund und beobachtete lächelnd die Begrüßungszeremonie. Kate ging sofort zu ihr, weil ihre herzliche Art ihr immer so gut tat. „Hallo, Rachel. Wie war es in Florida?“ Die zarte Bräune stand ihr gut.

„Ich bin mit einem Delfin geschwommen.“ In ihrer Stimme hallte noch die Erinnerung daran wider. Sie konnte sogar Tragödien noch etwas Positives abgewinnen, denn sie war nicht in Florida gewesen, um dort ihren Urlaub zu verbringen.

„Wer war dabei?“

„Diane Faber, zehn Jahre alt. Sie ist eine viel bessere Schwimmerin als ich.“

„Hat sie beide Eltern verloren?“ Der Tornado, der vor drei Wochen durch Florida gefegt war, hatte vierzehn Menschen das Leben gekostet. Als Notfall-Psychologin kam Rachel immer bei besonders schwierigen Fällen zum Einsatz.

„Ihren Vater. Er hatte ihr diese Reise zu ihrem Geburtstag versprochen.“

Positive Erinnerungen mussten wieder aufgebaut werden. Das Kind musste wissen, dass das Leben weiterging. Das war Rachels besondere Gabe bei ihrer Arbeit mit Kindern.

„Das ist hart.“

„Ja. Aber sie wird es schaffen. Wie geht es dir nach deiner Aufregung am Dienstag?“

„Na ja. Ich habe ein paar böse Träume.“

„Dann bist du ja noch ganz gut dabei weggekommen.“

„Ja, das stimmt.“

„Rachel, du musst unbedingt mein neues Haustier anschauen“, rief Lisa. „Ich habe ihn erst letzte Woche bekommen.“

„Ist es etwas Schlangenartiges?“, fragte Rachel ängstlich.

Kate musste schmunzeln, weil sie genau die gleiche Frage gestellt hatte, als Lisa ihr von dem neuen Haustier erzählte. Bei Lisa sollte man nichts als gegeben hinnehmen.

„Ein schwarzes Frettchen. Er ist einfach niedlich.“

„Allein die Tatsache, dass er ein Fell hat, ist eine Erleichterung. Ich will alles über diese Banksache hören – bis ins kleinste Detail.“

„Das wirst du“, versprach Kate und fand sich damit ab, die Geschichte heute Abend wenigstens einmal erzählen zu müssen. Rachel nickte und ging zu Lisa.

„Die Schnittwunden sehen so aus, als ob sie gut verheilen.“

Kate drehte sich um und sah Jennifer neben sich. Sie musste über diese Begrüßung lächeln. Jennifer war mit Leib und Seele Ärztin. „Ich wünschte, du wärst hier gewesen. Stephen musste mich mit der Nadel traktieren und mir einen Lutscher geben.“

„Das habe ich schon gehört. Wir haben miteinander telefoniert, als du noch in der Notaufnahme warst. Du wirst dich freuen: Ich habe ihm eine neue Kiste mit Lutschern mitgebracht, weil ihm die mit Kirschgeschmack ausgegangen sind.“

„Das wird man mir wohl nie vergessen.“

In Jennifers Augen blitzte etwas auf. „Nicht bis ein anderer aus der Familie ein besseres Gesprächsthema liefert.“

Kate sah Jennifer prüfend an. War dieser Ausdruck in ihren Augen ein Zeichen für gute oder schlechte Neuigkeiten? „Könntest du das sein?“

Auf Jennifers Gesicht zeigte sich ein wissendes Lächeln. „Nach dem Essen weißt du mehr.“

„So lange willst du mich schmoren lassen?“

„Du bietest mir eine gute Deckung. Ich werde mich noch eine Stunde lang hinter dir verstecken.“

Kate umarmte sie kurz. „Wenn das so ist, werde ich mich mit dem Essen beeilen.“

Marcus stand an den Rundbogen zur Küche gelehnt. Kate lächelte über den prüfenden Ausdruck in seinem Gesicht.

Er streckte die Arme aus, um sie zu umarmen. „Ich bin froh, dass es dir gut geht.“

Sie atmete tief ein und ließ die Luft mit einem Seufzer entweichen. In seinen Armen fühlte sie sich sicher. Sie würde alle beruhigen müssen, und das war ein gutes Gefühl. „Ehrlich gesagt war ich nicht so schwer verletzt.“

„Ich habe mit deinen Ärzten gesprochen. Du hast keinen schönen Anblick geboten.“

„Das ist relativ. Ich hätte mir beinahe das Nasenbein gebrochen, aber Dave hat den Schlag abgefangen.“

„Richman?“

Sie nickte. „Der Kampf war nur etwa vierzig Sekunden lang spannend.“

„Ich habe mit ihm kurz telefoniert, als er im Krankenhaus war. Er hat das nicht erwähnt.“

„Wahrscheinlich deshalb nicht, weil ihm durch den Schlag die Lippe aufgeplatzt ist.“ Sie lehnte sich zurück und sagte mit einem strahlenden Lächeln: „Danke für die Rosen.“

„Gern geschehen.“

„Sie waren viel zu teuer.“

„Irgendjemand muss dich schließlich verwöhnen.“

„Du hast mir wirklich gefehlt.“

„Das beruht auf Gegenseitigkeit.“ Er rieb ihr zärtlich die Arme. „Was gibt es sonst Neues bei dir? Hast du etwas Schönes zu verbergen?“ Sie verbarg zur Zeit so viel, dass sie errötete.

Er zog eine Augenbraue hoch. „Ich glaube, du musst mir erklären, warum du rot wirst.“

„Vielleicht später. Wir haben Steaks für den Grill, dann gibt es noch Krakauer und Bratwürste. Bringst du sie hinaus zu Stephen und Jack?“

„Je länger du dich vor meiner Frage drückst, desto mehr bin ich an der Antwort interessiert.“

„Ein bisschen unbefriedigte Neugier tut dir gut.“

Er deutete mit einer Kopfbewegung zur Küche.

„Hol lieber das Essen.“

Plötzlich war auf der hinteren Veranda lautes Gelächter zu hören. Lisa und Jennifer leisteten dort Stephen und Jack Gesellschaft.

Kate lächelte, weil sie dieses Lachen liebte. „Versuche, die Kinder in den Griff zu kriegen, solange du da draußen bist.“

„Das ist dein Revier, nicht meins.“

„Du bist der einzige Erwachsene hier. Ich werde die Kindereien mitmachen.“

„Vielen Dank.“

Kate legte den Arm um ihn und grinste. „Gib es doch zu. Du hast doch gern das Kommando.“

„Bei dieser Familie bedeutet das, dass ich auch den ganzen Ärger habe.“

„Genau.“ Es lag nicht nur daran, dass sie beide die Ältesten waren. Es war auch ihre Vergangenheit. Sie und Marcus waren schon zwei Jahre lang im Kinderheim gewesen, als die anderen dort ankamen. Ihre gemeinsame Geschichte ging noch tiefer. Im Gegensatz zu den anderen hatten sie nie eine echte Kindheit erlebt.

„Ich frage dich sehr ungern, aber wann musst du zurückfliegen?“

„Gleich morgen früh.“

„Das habe ich befürchtet.“

„Hattest du etwas Besonderes vor?“

„Ich habe mich auf ein Basketballspiel mit dir gefreut.“

Er lächelte. „Du brauchst bestimmt noch ein paar Tage, um dich zu erholen.“

„Ich bin zwar ein bisschen steif, aber ich kann schon wieder spielen. Du kannst ja meine schlechte Form ausnutzen.“

„Hast du Stephen in letzter Zeit geschlagen?“

„Sehr oft. Ich bin in Hochform.“

„Mal sehen, was Jack und Stephen vorhaben. Vielleicht können wir ganz früh morgens spielen.“

„He, Kate! Wir wollen endlich was zu futtern machen.“

Kate warf Marcus einen amüsierten Blick zu. „Ich komme ja schon, Jack.“

Das Essen war einfach toll. Kate saß zwischen Marcus und Lisa. Seit dem letzten Familientreffen waren sechs Wochen vergangen, und es gab wieder viel zu erzählen. Kate lehnte sich zurück und genoss die gute Laune der anderen. Wenn die ganze Familie versammelt war, bekamen auch Kleinigkeiten eine besondere Bedeutung.

Während alle die Teller zusammenstellten, um Platz für den Nachtisch zu machen, lehnte sich Lisa zu Kate herüber und flüsterte: „Erzählst du uns etwas von Dave?“

Kate zögerte, als sie in die Runde blickte. „Meinst du wirklich, dass ich das tun sollte?“

„Wie denkst du darüber?“

Warum eigentlich nicht? Dieser Abend war für Überraschungen wie geschaffen. Kate nahm ihre Gabel und schlug sie leicht gegen ihr Wasserglas. „Darf ich um eure Aufmerksamkeit bitten?“

Die Gespräche verstummten.

„Weil die Gerüchteküche für den Zusammenhalt dieser Familie sorgt“, sie lächelte der Hauptschuldigen neben sich zu, als der Raum von lautem Lachen widerhallte, „möchte ich ein Gerücht widerlegen, das bestimmt bald verbreitet wird. Ja, ich habe Dave Richman seit Dienstag getroffen, aber nicht zu Rendezvous. Ich bleibe bei meiner Meinung und werde mit einem Polizisten nichts anfangen. So, wer will zum Nachtisch Schoko- oder Erdbeereis?“

Sie stand auf, um das Dessert zu holen. Die überraschten Blicke, die um den Tisch wanderten, gefielen ihr.

„Kate trifft sich mit einem Mann.“ Jennifer war erfreut. „Das ist einfach wunderbar.“

„Ja, wirklich“, erwiderte Rachel. „Na los, Kate, wir wollen alle Einzelheiten hören!“

„Ich kenne ihn erst seit ein paar Tagen. Er hat das Zeug zu einem guten Freund.“

„Das sieht man. Du wirst ganz schön rot“, kommentierte Marcus. „Wann lernen wir ihn kennen?“

„Mit anderen Worten: Wann könnt ihr ihn unter die Lupe nehmen?“

„Genau. Lade ihn doch morgen zu unserem Basketballspiel ein.“

„Ihr würdet ihn zum Frühstück verspeisen.“

„Aber nur, wenn er uns nicht gefällt“, rief Jack vom anderen Ende des Tisches.

Kate musste grinsen, weil sie wusste, dass das stimmte. Am besten war es, wenn sie herausfand, ob Dave dieser Überprüfung standhalten würde. Niemand konnte einen Mann besser einschätzen als ihre Brüder.

„Ich möchte aber eure ehrliche Meinung hören“, sagte sie leise zu Marcus.

„Ist es schon so ernst?“

„Nein. Aber ... vielleicht wird es das irgendwann einmal.“

Er drückte ihre Hand. „Bring ihn mit.“

Kate half Lisa beim Verteilen des Nachtischs.

„Kate hat das Eis gebrochen, und so denke ich, es ist Zeit, dass ich euch auch etwas sage.“ Jennifer wirkte nervös. Dieser Eindruck verstärkte sich, als Kate sich wieder hinsetzte. Ihre Blicke wanderten um den Tisch, und sie sah dieselbe Beklemmung in den Gesichtern der anderen. Sie alle waren gefasst auf eine schlechte Nachricht.

„Ich danke euch, dass jeder von euch seine Pläne geändert hat und so kurzfristig hierher gekommen ist. Ich wollte euch das nicht am Telefon erklären.“

Rachel griff nach Jennifers Hand und drückte sie.

„Ich habe vor ein paar Monaten jemanden kennen gelernt. Tom Peterson ist ein Kollege aus dem Ärztehaus. Ich habe aus mehreren Gründen nichts von ihm erzählt, hauptsächlich deshalb, weil unsere Beziehung nichts anderes war als eine sehr gute Freundschaft. In den letzten Wochen wurde es ernst.“ Sie atmete tief durch. Auf ihrem Gesicht zeigte sich ein strahlendes Lächeln. „Ich bin verlobt.“

Verlobt? Und sie hat nie etwas von ihm erzählt? Kate versuchte, diese Neuigkeit zu verarbeiten. Es war sehr schnell gegangen; normalerweise war Jennifer kein impulsiver Typ.

Die erste Verlobung in der Familie. Stille machte sich breit.

„Meine Gratulation, Jen.“ Die ersten Worte kamen von Marcus. Kate blickte auf und sah auf seinem Gesicht nicht nur ein Lächeln, sondern auch so etwas wie Erleichterung. Er hatte sich bestimmt große Sorgen um Jennifer gemacht. Schließlich war er das Familienoberhaupt.

„Ich wollte nicht, dass ihr euch um mich ängstigt. Das mit der Verlobung ist einfach so passiert.“

Kate grinste breit. Sogar Jennifer fiel es schwer, eine plausible Erklärung für ihr Verhalten zu finden. Es musste die wahre Liebe sein.

„Wo ist der Ring?“

„Wann ist die Hochzeit?“

„Hast du uns wenigstens ein Foto von ihm mitgebracht?“

Die Fragen kamen fast gleichzeitig, als die Geschwister sich um Jennifer scharten, um ihr zu gratulieren und ihre Freude zu teilen.

Jennifer nahm den Verlobungsring von ihrer Halskette und steckte ihn an ihren Finger. „Ich möchte ihn zu unserem Treffen am vierten Juli mitbringen, damit ihr alle ihn kennen lernen könnt. Einfach mit Tom im Schlepptau aufzutauchen erschien mir nicht angebracht.“

„Also wirklich, Jen, wenn du gesagt hättest, dass du ihn gern hast, dann wäre das bei uns automatisch auch der Fall gewesen“, protestierte Jack.

„Das solltet ihr auch tun!“

Kate umarmte Jennifer. „Du liebst ihn wirklich.“ Sie wollte unbedingt eine Bestätigung hören, denn Jennifer war ihre kleine Schwester.

„Mehr als man mit Worten ausdrücken kann.“

Kate konnte die Freude ihrer Schwester sehen. Sie sah aber auch etwas, was sie nicht verstand. Jennifers Blick fiel auf die anderen, während sie Kates Hand drückte. „Du wirst ihn mögen, Kate.“ Was sie sonst noch sagen wollte, war nicht für die Ohren der anderen bestimmt. Kate erwiderte den Druck. Später.

Als sie zurücktrat und Jennifer beobachtete, fühlte sich Kate trotz ihres Lächelns unwohl – nicht wegen Jennifer, sondern wegen ihnen allen. In wenigen Monaten würde ihre Familie sich erweitern und damit verändern. Sie versuchte, sich das vorzustellen, aber es gelang ihr nicht. Seit mehr als zwei Jahrzehnten waren sie nur zu siebt gewesen. Sie spürte, wie ihr plötzlich die Tränen kamen, und sie zwinkerte mehrmals, um sie zu unterdrücken.

Eine Hand legte sich um ihre Taille, und sie drehte sich um. Es war Marcus. „Dieser Tag musste einmal kommen. Es wird anders sein, Kate, aber besser.“

„Hast du schon wieder meine Gedanken gelesen?“

„Ich empfinde dasselbe wie du.“

Sie lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter. „Eine O’Malley-Hochzeit.“ Sie lachte leise, weil Lachen besser war als Weinen. „Kannst du dir die Überraschungen vorstellen, die für diesen großen Tag geplant werden?“

„Es wird auf jeden Fall nicht langweilig werden.“ Marcus strich ihr beruhigend über den Rücken. „Stell dir nur vor, mit einer größeren Familie werden wir endlich einen gemischten Vierer spielen können, Jungs gegen Mädels.“

Sie stieß ihm den Ellbogen in die Rippen. „Ihr Jungs werdet keine Ausreden mehr haben, wenn ihr verliert.“

Er antwortete mit einem breiten Grinsen. „Ja, du hast Recht.“

Das Familientreffen ging kurz nach neun Uhr abends allmählich zu Ende. Rachel und Jennifer übernachteten bei Lisa. Kate war es klar, dass sie fast die ganze Nacht lang weiterreden würden. Marcus verließ Lisas Haus zusammen mit Jack.

„Also dann: Spielzeit morgen früh um sechs?“, wollte Marcus noch einmal wissen, als er Kate zum Abschied umarmte.

„Ja. Mit Dave, wenn er Interesse hat.“ Sie wusste noch nicht, wie sie ihm die Einladung überbringen sollte.

„Gut.“

Jennifer kam in die Küche. Es war das erste Mal, dass Kate sie allein antraf. „Jen, ich freue mich so sehr über diese gute Nachricht.“

„Danke.“ Das Lächeln war echt, aber auch die subtilen Signale einer inneren Anspannung.

Es gab noch mehr zu erzählen, das war Kate jetzt klar. Sie legte ihren Arm um Jennifers Schultern. „Das ist aber nicht der einzige Grund für deinen Besuch.“

„Nein. Können wir uns morgen treffen, wenn du Feierabend hast?“

„Ich kann mir auch in der Mittagspause Zeit für dich nehmen.“

Jennifer zögerte. „Abends wäre es mir lieber.“

„Okay.“ Noch immer lag die Vorahnung über etwas Schlimmes in der Luft. „Ich rufe an, wenn ich Feierabend habe, komme vorbei und hole dich ab.“

Jennifer antwortete mit einer festen Umarmung. „Danke.“

„Das ist doch selbstverständlich. Rufst du mich vorher an, wenn du mich brauchst?“

Jennifer nickte.

„Lass dir von Lisa und Rachel nicht die Nachtruhe rauben. Sie planen eine Hochzeitsreise nach Tahiti, wenn du nicht aufpasst.“

Jennifer lächelte. „Momentan diskutieren sie über Paris oder Rom.“

„Du hast ihre Reiselust entfesselt.“

„Ich habe vergessen, wie viel Spaß es macht, die beiden zu beobachten, wenn sie in Hochform sind.“

„Ja, das ist wahr. Genieße den Abend. Und vergiss nicht, Tom anzurufen.“

„Es ist schon spät.“

„Vertrau mir. Er wird am Telefon warten und Angst haben, dass die Familie dich überredet hat, es dir noch einmal zu überlegen.“

„Das stimmt.“ Mit einem breiten Grinsen warf Jennifer einen Blick auf die Küchenuhr. „Ich denke, ich warte noch eine halbe Stunde mit meinem Anruf.“

Kate lachte.

„Bist du so weit, Kate?“

„Bin schon auf dem Weg, Stephen.“ Sie drückte Jennifers Hand. „Wir sehen uns morgen.“

Stephens Auto versperrte ihrem Wagen den Weg. „Stephen.“

Er blieb auf halbem Weg stehen. „Ja?“

Sie lehnte sich gegen die offene Autotür. „Könntest du morgen ein paar Minuten eher zum Sportzentrum kommen?“

„Aha, du willst wohl ein bisschen trainieren, bevor Marcus dazukommt?“

„Ich will mich auf keinen Fall blamieren, wenn wir spielen.“

Er warf seine Schlüssel in die Luft und fing sie wieder auf, während er nachdachte. „Machst du dafür mit mir einen Einkaufsbummel, um für Rachel ein Geburtstagsgeschenk zu finden?“

Kate wusste, dass sie damit ein Geschäft zu ihren Gunsten machte. Stephen würde die schweren Einkaufstüten tragen. „Abgemacht.“

Auf dem Heimweg ließ sie das Radio abgeschaltet, weil sie nachdenken wollte. Die Müdigkeit, die auf einen Tag mit so vielen Gefühlen folgte, setzte bereits ein. Was hatte Jennifer ihr noch zu sagen? Es war etwas Vertrauliches. Sie hatte keine Ahnung, was das zu bedeuten hatte. Nach der Uhr auf dem Armaturenbrett war es 21.48 Uhr. Wenn sie wartete, bis sie zu Hause war, müsste sie Dave nicht mehr anrufen, weil sie ihn so spät nicht mehr stören wollte. Die Jungs würden das verstehen, aber es wäre eine faule Ausrede. Sie war noch nie feige gewesen. Wenn Dave nein sagte, dann sagte er eben nein.

Sie griff nach dem Autotelefon.

* * *

Dave nahm die leere Schüssel. „Sara, möchtest du noch Popcorn?“

Sie lag ausgestreckt auf seinem Sofa und benutzte den Schoß ihres Mannes Adam als Kopfkissen. „Na klar.“ Sie reichte ihm ihr Gefäß vom Boden. „Wir können den Film anhalten.“

„Diesen Teil habe ich schon gesehen.“ Außerdem wollte er sie nicht von ihrem Platz verjagen. Ihm gefiel es, wenn sie und Adam so entspannt und zufrieden waren. Sie hatten ihn am Nachmittag in seinem Haus besucht, weil Sara sich alte Familienbilder ansehen wollte. Dann waren sie zum Abendessen geblieben. Jetzt sahen sie sich gemeinsam einen Film an. „Ich bin gleich wieder da.“

Dave trank etwas kaltes Mineralwasser, während er wartete, bis das Popcorn fertig war. Als das Telefon klingelte, nahm er vor dem zweiten Klingeln den Hörer ab.

„Richman.“

„Entschuldige, dass ich dich so spät noch störe.“

Er lächelte. „Habe ich nicht gesagt, dass du mich aufwecken kannst, wenn du mich brauchst?“

Er zog sich einen Stuhl unter dem Küchentisch hervor, setzte sich, streckte die Beine aus und machte es sich gemütlich.

„So dringend ist es nun auch wieder nicht.“

„Das ist auch nicht nötig.“ An den Hintergrundgeräuschen erkannte er, dass Kate mit dem Auto unterwegs war. Sie klang müde, und das beunruhigte ihn.

„Wo bist du gerade?“

„Ich glaube, ich habe mich verfahren.“ Ihre Stimme klang amüsiert.

„Soll ich dich retten? Du kannst ja Leuchtraketen abschießen oder irgendetwas in der Art machen.“

„Einmal an einer Baustelle falsch abgebogen, und schon weiß ich nicht, ob ich in nördlicher oder südlicher Richtung fahre.“

„Das ist sehr einfach. Richte dich nach den Hochhäusern, und irgendwann bist du am See. Er ist groß und nur schwer zu übersehen.“

Ihr leises Lachen gefiel ihm besser als die Müdigkeit in ihrer Stimme. „Ah, das ist schon besser. Ich habe eben Yorkshire gefunden.“ Er hörte im Hintergrund eine Autohupe. „Entschuldige, dass ich vom Thema abgekommen bin. Warum habe ich dich eigentlich angerufen?“

Er lachte leise. „Das ist mir egal. Ich freue mich, dass du es getan hast.“

„Erzähl mir, was du heute gemacht hast. Vielleicht komme ich dann wieder darauf.“

„Mein Sonntag war sehr ruhig. Zuerst war ich mit Sara und Adam in der Kirche. Zum Abendessen gab es Schaschlik. Wir haben noch etwas übrig, wenn du Lust darauf hast. Es gibt nichts Neues von Bobby Tersh.“

„Das Ganze ist erst zweiundsiebzig Stunden her. Nimm es locker, Dave.“

„Sei vorsichtig, wenn du nach Hause kommst, sonst werde ich wieder vor deiner Tür kampieren.“

Er erwartete eine ironische Erwiderung, aber keinen leisen Seufzer. „Du kannst mich jederzeit erschießen.“

Er schwieg einen Moment. „Was hast du vergessen?“

„Meine Schwester hat sich verlobt.“

„Oh weh. Das hat dich natürlich abgelenkt. Welche Schwester?“

„Jennifer.“

„Du bist bestimmt begeistert.“

„Kann sein.“

„Bist du noch nicht sicher?“

„Das bedeutet eine große Veränderung für den O’Malley-Clan.“

Adam kam in die Küche, und Dave musste lächeln. „Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es gar nicht so übel ist, einen Schwager zu haben.“

Adam zog fragend eine Augenbraue hoch.

„Kate“, flüsterte Dave. Adam grinste, machte das Popcorn fertig und verschwand mit der vollen Schüssel.

„Ich habe Jennifers Verlobten noch nicht kennen gelernt. Er kommt zu den Feierlichkeiten am vierten Juli hierher.“

„Das klingt ganz so, als ob das ein interessanter Feiertag wird.“

„Wir werden nett zu ihm sein. Jennifer hat sich schon alle Genehmigungen eingeholt.“

„Na prima.“ Er hörte plötzlich Radiomusik. Einen Augenblick lang schwiegen beide.

„Ich möchte dir ein Angebot machen.“

Dave lehnte sich nach vorn. Er hörte die Anspannung in Kates Stimme. „Welches Angebot?“

„Morgen früh spielen wir Basketball, bevor Marcus zurückfliegen muss. Willst du mitspielen?“

„Wann und wo?“

„Um sechs, im Sportzentrum in der Haverson Street.“

Er war ein Morgenmuffel. „Ich werde dort sein“, antwortete er ohne zu zögern. Was tat man nicht alles für seine Freunde? Auf keinen Fall würde er das Sara erzählen.

„Danke. Ach, übrigens habe ich sie gebeten, nett zu dir zu sein.“

„Wirklich?“

„Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist, aber ich möchte gerne, dass du sie kennen lernst.“

„Das ist eine hervorragende Idee. Wir sehen uns dort.“

„Dann treffen wir uns in etwa acht Stunden. Danke, Dave.“

„Nichts zu danken. Gute Nacht, Kate.“

Er hielt den Hörer noch in der Hand, als er schon das Freizeichen hörte. Dann lächelte er, ging zum Telefon und legte auf.

„Wer war das?“ Sara riss sich kurz vom Film los, als er sich im Wohnzimmer wieder auf seinen Platz setzte.

„Eine Bekannte.“

Er war froh, dass sie zu stark mit dem Film beschäftigt war, um nachzufragen. Adam wechselte jedoch einen Blick mit ihm und schüttelte mit einem spitzbübischen Lächeln den Kopf.