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Nr. 2643

 

TANEDRARS Puppe

 

Rückkehr in die Anomalie – und Sholoubwas Geschenk

 

Christian Montillon

 

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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Seit dem dramatischen Verschwinden des Solsystems mit all seinen Bewohnern hat sich die Situation in der Milchstraße grundsätzlich verändert.

Die Region um das verschwundene Sonnensystem wurde zum Sektor Null erklärt und von Raumschiffen des Galaktikums abgeriegelt. Fieberhaft versuchen die Verantwortlichen der galaktischen Völker herauszufinden, was geschehen ist. Dass derzeit auch Perry Rhodan mitsamt der BASIS auf bislang unbekannte Weise »entführt« worden ist, verkompliziert die Sachlage zusätzlich. Um die LFT nicht kopflos zu lassen, wurde eine neue provisorische Führung gewählt, die ihren Sitz auf dem Planeten Maharani hat.

Während Perry Rhodan in der von Kriegen heimgesuchten Doppelgalaxis Chanda gegen die aus langem Schlaf erwachende Superintelligenz QIN SHI kämpft, befindet sich Alaska Saedelaere in der Galaxis Escalian. Sie gilt als »Reich der Harmonie«, über das die viergeteilte Superintelligenz TANEDRAR gebietet. Über Splitter ihres eigenen Wesens begleitet sie die Bewohner ihrer Mächtigkeitsballung. Und manchmal belebt sie TANEDRARS PUPPE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Alaska Saedelaere – Der Unsterbliche will sich als Freund erweisen.

Endreas Konno – Der Koch sucht nach Nahrung und Wasser.

Carmydea Yukk – Die Lirbal will sich als Nicht-Fremde beweisen.

Craton Yukk – Carmydeas Zwillingsbruder kann seine Schwester nur als Fremde behandeln.

SIL – Das Geisteswesen erhält Besuch.

Ein anderes Schiff, eine andere Zeit (1)

 

Der Wurm wand sich, und das über Lichtjahre hinweg.

Sein gigantischer Körper blähte sich auf, ein dunkles Ding im hell wogenden Himmel, in dem tausend Sterne rotierten und glitzernde Nebel alles verschlangen.

Nur war es kein Wurm, und er wand sich auch nicht in Agonie oder aus sonstigen Gründen – das begriff Endreas Konno sogar in seinem von Panik und Furcht zerrissenen Bewusstsein. Er hatte solch entsetzliche Angst. Sie ließ seine Muskeln zittern und verwirbelte seinen Verstand in einen Sturm aus trüben, sinnlosen Gedankenfetzen.

Das dort draußen musste eine Art Sternennebel sein oder ein Hypersturm. Etwas in der Art. Ein kosmisches Phänomen, vielleicht ein Energiestrahl. Woher sollte er das wissen?

Jemand schlug gegen ihn, riss ihn von seinem Stuhl, auf dem er das flackernde, grobkörnige Holo beobachtete, das den Wurm zeigte.

Endreas prallte auf und überschlug sich. Ein Tritt erwischte ihn, eine Frau stolperte über seine Beine, landete quer auf ihm.

Er versuchte sich umzudrehen und den zitternden Körper – Mellani, es war ausgerechnet Mellani, Myrjas Schwester! – von sich zu stoßen. Er wollte wieder das Holobild sehen, den Wurm, der sich in das fremde All fraß. Er musste es unbedingt beobachten, denn es war die einzige Verbindung zur Außenwelt, die ihm bewies, dass all das wirklich geschah.

Alles ging viel zu schnell, als dass Endreas verstehen konnte, was sich rund um ihn abspielte. Eben noch hatte er sich an Bord der BASIS befunden, zwar auf einem aufregenden Flug, aber es sollte doch ... Routine sein.

Die Entführung hatte alles verändert.

Von einer Sekunde auf die andere hatte sich das Leben von Dutzenden, Hunderten, Tausenden Passagieren auf den Kopf gestellt. Überall Schreie, eine Unzahl hektischer Durchsagen und aufgeregter Meldungen. Alle an Bord bekamen es mit, sogar Endreas in seinem kleinen Restaurant, in dem er traditionelle Blues-Küche für jedermann anbot. Man hatte die BASIS entführt, in eine fremde, unbekannte Umgebung.

Und dann das Chaos.

Endreas war mitgerissen worden in sogenannten Evakuierungsplänen, die eher einer unkontrollierten Massenflucht glichen. Nur – wohin sollte man fliehen? In Beiboote? Rettungskapseln?

Dort draußen im All gab es angeblich feindliche Truppen oder Schutzschirme oder einen undurchdringlichen, finsteren Wall ... oder einen Bombenteppich, der alles in den Untergang riss.

Die Gerüchte überschlugen sich binnen Sekunden, und niemand wusste noch, was sich wirklich dort abspielte. Woher auch? Es gab keine offiziellen Meldungen mehr, weil immer weitere interne Kommunikationssysteme zusammenbrachen, von anderer Technologie ganz zu schweigen.

Und weil jeder an Bord an dieser entsetzlichen, lähmenden Angst litt.

Vielleicht sogar die Führungsoffiziere.

Vielleicht sogar Perry Rhodan selbst, falls er sich tatsächlich an Bord aufhielt und die entsprechende Meldung kein Pressegag war, was Endreas durchaus für möglich hielt. Einem Projekt wie diesem Flug der BASIS über Abgründe hinweg tat jede zusätzliche Aufmerksamkeit gut, und Politik und Wirtschaft bedienten sich bekanntermaßen seit jeher nicht immer nur sauberer Methoden.

Gerade weil er nicht wusste, was vor sich ging, hatte er das Holobild nicht aus den Augen lassen wollen. Sofort als ihn der Strom in dieses Beiboot förmlich hineindrückte, hatte er sich einen Platz davor ergattert, sich an den Sessel geklammert und das Holo angestarrt. Es zeigte die kosmische Umgebung – den fremden Kosmos, in den die BASIS entführt worden war.

Dort tobte ein Chaos aus Schiffen und offenbar hyperphysikalischen Phänomenen. Endreas kannte sich mit solchen Dingen nicht sonderlich gut aus. Er war Koch, kein Wissenschaftler oder Raumfahrer. Dennoch sah es so aus, als würde die BASIS zerbrechen.

Das gigantische Schiff ging in Fetzen und mit ihm die einzige Heimat in der Ferne, der letzte Schutz für alle Passagiere inmitten der Feinde.

Und nun lag Endreas am Boden. Mellani kroch von ihm weg, kniete sich hin, versuchte aufzustehen. Ein zweiter Schlag ging durch das Beiboot, in dem sie von der BASIS fliehen wollten, die in diesen Sekunden von irgendwelchen Gegnern überrannt wurde.

Er hatte solche Angst. Mehr als je zuvor in seinem Leben. Er hätte es nie für möglich gehalten, eine derart tiefe, sein Selbst paralysierende Furcht zu empfinden. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, hätte er meinen können, sie werde ihm von außen zugeführt wie künstliche Ernährung. Aber das lag bestimmt alles an diesem neuen Umfeld ... Wann war so etwas denn schon einmal geschehen?

Alles bricht zusammen, dachte Endreas. Nicht nur die BASIS, sondern auch unser Leben. Dieser Gedanke machte ihm noch mehr Angst, und einen Augenblick lang hoffte er, dass er nur träumte.

Vielleicht bildete er sich alles nur ein. Diese neue Blues-Gewürzmischung, die er verwendete – hieß es nicht, dass sie Halluzinationen auslösen konnte, vor allem bei Terranern?

»Wir werden beschossen!«, dröhnte eine Stimme durch den Raum, begleitet von statischem Knacken und Krachen.

Im nächsten Augenblick donnerte eine Explosion hinter ihm, er konnte nichts sehen. Metallfragmente sirrten in der Luft. Etwas pfiff, und Endreas sah tausend kleine Feuerspuren in der Luft.

Dann war da dieses Licht, das ihn geblendet die Augen zusammenpressen ließ. Es durchdrang auch die geschlossenen Lider, ließ Sterne und Feuerbälle auflodern.

Als er wieder einen Blick wagte, sah er zwei Dinge:

Blut ...

... und Mellani. In ihrer Brust klaffte ein Loch, und als sie einen Atemzug später zum zweiten Mal auf ihn fiel, konnte sie sich nicht mehr aus eigener Kraft von ihm herunterbewegen.

 

*

 

Er wusste nichts mehr außer einem; und dieses eine wollte er vergessen, aber es gelang ihm nicht. Die Bilder kamen immer wieder zurück:

Ein ums andere Mal stieß er die tote Mellani von sich.

Ein ums andere Mal glitten seine Hände dabei über ihr Blut.

Ein ums andere Mal hörte er dieses Pfeifen von Luft aus ihren Lungen.

Etwas später war er über Menschen gestolpert, die am Boden lagen, hatte jemanden beiseitegedrückt, so bleich, dass es sich wohl um einen Arkoniden handeln musste. Endreas war unter einem Siganesen hindurchgewankt, der auf einem winzigen Schwebesessel fast in Höhe der Decke hing.

Danach gab es in seiner Erinnerung nur Dunkelheit. Ein schwarzer Nebel wallte um alles, legte sich wie ein dunkler Mantel – ein Leichentuch! – über das, was geschehen war.

Und nun hörte er kein Geräusch außer seinem eigenen Atem.

Er sah nur den lilafarbenen Stoff seiner Hosen.

Er fühlte Kälte.

Wie war er an diesen Ort gekommen? Und vor allem: Wo war dieses Hier? Er saß mit angezogenen Beinen auf dem Boden, den Rücken gegen die Wand gepresst. Die Arme umschlangen die Unterschenkel, die Stirn lag auf den Knien.

Vorsichtig hob er den Kopf. Sein Nacken schmerzte bei der Bewegung, als würde er seit Stunden in dieser Haltung verharren, zusammengekauert wie ein Embryo im Leib der Mutter. Sein Gaumen war trocken und spröde, und als er die Lippen schloss, fühlte er die Zunge wie einen Fremdkörper im Mund.

Es gab nur wenig Helligkeit im Raum.

Raum?

So durfte man es wohl kaum nennen. Es war eher eine winzige Kammer und nicht einmal das. Seine Füße stießen an die vordere Wand? Doch es war keine Wand.

Endreas konnte sich nicht aufrichten. Die Decke hing zu tief. Weil es sie nicht gab, zumindest nicht im eigentlichen Sinn.

Er streckte die Hand aus, drückte mit zitternden Fingern gegen die Wand. Sie schwang nach außen, und Endreas kletterte aus dem Schrank, in dem er sich verkrochen hatte wie ein panisches, von seinen Überlebensinstinkten getriebenes Tier.

Das grausam helle Licht zeigte ihm seine verschmierten Hände.

Mellanis Blut?

Ja, aber ... nur ihres?

Er versuchte sich zu erinnern, aber er konnte den schwarzen Nebel in seinem Verstand nicht durchdringen.

Endreas blinzelte, und in dem wesenlosen Wabern zündete eine Erinnerung: das grüne und blaue Leuchten, das über die Wände kroch und hinter dem alle Bewegung erstarrte.

Dann war das Blinzeln vorüber.

Was ... was war das gewesen? Er konnte nicht mehr atmen. Panik schnürte ihm die Kehle zu. Er hob die Hand an den Hals, als müsse er eine unsichtbare Schlinge wegreißen, die ihn würgte.

Da ist nichts! Nichts! Was immer geschehen ist, ist vorbei! Ich bin in Sicherheit! Ich bin ... ich bin ...

In Sicherheit. Ja, er war in Sicherheit.

»Hallo?«, rief er in den kleinen Lagerraum hinein, in dem er Zuflucht gesucht hatte.

Niemand antwortete ihm.

Vorsichtig ging er quer durch den Raum, zum Schott, das hinausführen musste. Er öffnete, und davor erwartete ihn: Stille.

Schon nach wenigen Sekunden legte sich diese Stille so umfassend, so bedrückend auf seine Seele, dass sich unwillkürlich ein Gedanke in ihm festsetzte: Dies ist ein Geisterschiff, und ich bin völlig allein darin gestrandet.

Teil 1: Im Schauspielpalast

 

Der künstliche Mund lächelte, und die toten Augen lebten.

»Nun, Alaska, kennst du meine Geschichte«, sagte die Puppe der Prinzessin Arden Drabbuh, die so viel mehr war als der Gegenstand, als den jemand sie einst geschaffen hatte. Das vierfältige Geisteswesen TANEDRAR hatte sie als Gastkörper auserwählt und zu Saedelaere gesprochen.

Wobei sprechen nicht exakt zutraf; ein viel zu schwaches Wort für das, was hinter Alaska lag. Ein Splitter der Superintelligenz hatte sich mit ihm vereint und ihn zu einem Harmonischen werden lassen, einem echten Bürger des Reiches der Harmonie.

Eins mit TANEDRAR, hatte Saedelaere deren Entstehung miterlebt. Er kannte nun die vier Teilentitäten, die nach vielen Verwicklungen über kosmische Zeiträume hinweg miteinander verschmolzen waren und sich stets aufs Neue teilweise voneinander lösten, um im Auftrag der Hohen Mächte ins All aufzubrechen.

Es fiel Alaska Saedelaere nicht leicht, ins Hier und Jetzt zurückzukehren. Seine Umgebung, das Museum an Bord des fliegenden Schauspielpalastes, schien ihm seltsam unwirklich. Fast kam es ihm vor, als sei die Realität nur ein Traum und die Vergangenheit das eigentlich Lebendige.

»Doch, Alaska«, sagte die Puppe. Sagte die Superintelligenz in all ihrer orchestralen Stimmgewalt. »Dies ist die Wirklichkeit – der Schauspielpalast.«

Liest du meine Gedanken?

»Selbstverständlich. Aber das weißt du doch ... auch, dass unsere Verbindung viel enger ist. Du trägst meinen Splitter.« Die Puppe lächelte, wie die Prinzessin nie zuvor gelächelt hatte. Die Pupillen weiteten sich, Saedelaere sah sich selbst darin.

»Seit wann ...?«

Er musste die Frage nicht zu Ende bringen, weil TANEDRAR bereits antwortete. »Du hast meinem Bericht neun Stunden lang gelauscht.«

»Neun Stunden?« Ihm war es wie eine Ewigkeit vorgekommen. Teils hatte er viele Jahre lang mit der Superintelligenz gelebt. Gewartet. Gekämpft. Gehofft.

Er kannte TAFALLA, NETBURA, DRANAT und ARDEN, die vier Geisteswesen, die verschmolzen waren; er verstand, was sie ausmachte und wie sie dachten. Er wusste um den Schmerz, wenn ein Teil von TANEDRAR im Auftrag der Kosmokraten auszog, und den Jubel, wenn er wieder zurückkehrte.

»Das Ritual von Ankunft und Aufbruch«, sagte er. Mehr musste er nicht erklären. Die Kommunikation verlief im wahrsten Sinn gedankenschnell. Es hätte keines einzigen laut gesprochenen Wortes bedurft.

»Du hast es nun verstanden.« In der Stimme der Puppe lagen Zuneigung und Güte, aber auch unerbittliche Härte. Freude und Schmerz spiegelten sich in den künstlichen, lebendigen Augen – zwei Pole, genau wie Ankunft und Aufbruch. Nur dass es noch keinen Abschied gab.

»Das habe ich in der Tat.« Saedelaeres Worte klangen leise und schwach, ganz anders als die der Superintelligenz, ein Oboenton zwischen Orgelklängen. Er fühlte sich verloren, und er glaubte noch immer, innerlich zerrissen zu werden.

TANEDRARS Splitter drohte ihn einerseits zu vereinnahmen und ihm einen Teil seines Willens zu nehmen. Andererseits zog ihn eine große, umfassende Gemeinschaft an.

Es tat unendlich gut, Teil der allumfassenden Harmonie zu sein, die von der Superintelligenz ausging und die ganze Galaxis umfasste. So viel Schönheit lag darin, so viel Verständnis für Dinge, die sich Saedelaere bislang entzogen hatten. Noch war er nicht einmal ansatzweise fähig zu verstehen, was mit ihm geschah.

Er war in gewissem Sinn eins mit Hunderttausenden, Millionen und Milliarden von Lebewesen. Alles hatte sich seit dem Moment verändert, als die Superintelligenz ihm einen Escaran, einen Harmoniebewahrer, übergeben hatte, einen Splitter ihrer eigenen Mentalsubstanz.

Saedelaere wusste nicht, ob die Vor- oder Nachteile überwogen. Schließlich fühlte er sich schon seit so langer Zeit wie ein Einzelgänger, dass es zu einem Teil seines Lebens geworden war. Seit einer schieren Ewigkeit glaubte er, dass sein Schicksal darin bestand, sich von anderen zu isolieren; vielleicht sogar für immer etwas zu suchen, ihm nachzujagen, was mal in dieser, mal in jener Form erschien.

Zuletzt hatte sich diese unbestimmte Sehnsucht in der Person der Frau Samburi konzentriert, der wundervollen Kommandantin der LEUCHTKRAFT, der verschollenen Beauftragten der Kosmokraten, der letzten Enthonin. Sie hatte für einige Zeit seine Einsamkeit gelindert und zugleich vermehrt, indem sie ihm das neue Cappinfragment verliehen hatte und ihn damit erneut von allen anderen isolierte, ihn zwang, wieder eine Maske zu tragen.

Und nun? Die Harmonie wollte die Vergangenheit überdecken und hinwegwischen. Sie versuchte, über Saedelaeres Seele zu schwappen und ihn mit sich zu reißen. Herrschte er überhaupt über seinen eigenen Willen? Konnte er sich selbst noch für zurechnungsfähig halten?

Die Puppe hob eine Hand, und als sie die Finger auf Saedelaeres Wange legte, pulsierte die Haut warm und weich und lebendig. Blut schien durch Adern zu strömen, die es nicht gab. »Du weißt nun vieles über mich«, sagte TANEDRAR mit sanfter Stimme.

Gleichzeitig fühlte sich der Terraner abgeschätzt, ja gemustert, als lauere die Superintelligenz auf seine Reaktion. »Aber nicht alles. Was ist ...«

»Stell keine Fragen«, unterbrach TANEDRAR. »Und glaub nicht, dass du mich täuschen kannst. Ich weiß, was im Reich der Harmonie vor sich geht – in meinem Reich! Es sind meine Kinder. Jede Sonne, jeder Planet, jedes Lebewesen ... wie würdest du es sagen ... all das liegt mir am Herzen. Und vergiss außerdem nicht, dass ich genau weiß, wer du bist.«

Er wagte keinen Widerspruch. Auch als sogenannter kosmischer Mensch, der weit in die Geheimnisse des unendlichen Alls vorgedrungen war und mehr gesehen hatte als die meisten anderen, stand er nicht jeden Tag einer Superintelligenz gegenüber. Dieses Wesen vor ihm war nicht nur eine Puppe, die von einem fremden Bewusstsein beseelt wurde; es war so viel mehr.

Saedelaere suchte die richtigen Worte. »Und wer bin ich deiner Meinung nach?«

»Ein kosmisches Wesen«, antwortete TANEDRAR. »Hast du das nicht eben selbst gedacht? Du trägst ein lebensverlängerndes Gerät unter dem linken Schlüsselbein. Du weißt nicht nur von Superintelligenzen, sondern von den Hohen Mächten, die über ihnen stehen und die den Kosmos eigentlich bestimmen. Du weißt von den Kosmokraten und Chaotarchen. Und ebenso ist dir der Moralische Kode nicht fremd, dessen Geheimnisse dir und mir unergründlich scheinen. Die letzten Fragen kann niemand beantworten. Auch ich nicht.«

»Bist du dir so sicher?« Saedelaere fühlte Erregung in sich aufsteigen. »Ich suche schon lange Antworten, und gemeinsam mit meinen Freunden ...«

»Perry Rhodan«, drang es aus dem Mund der Puppe. »Ich lese seinen Namen in deinen Gedanken, und ich sehe, wie er an den Kosmonukleotiden rührte. TRIICLE-9. DORIFER. Auch er ist ein kosmischer Mensch.«

»Er hat ...«

»Schweif nicht in die Vergangenheit ab. Lenk nicht von dem ab, was wirklich zählt. Dich führte ein Ziel hierher, in mein Reich.«

Er suchte nach einer Antwort, doch ehe er sie formulieren konnte, setzte sein unfassbares Gegenüber erneut an.

»Du fragst dich, ob ich dich zu meiner Marionette machen will.«

Die Puppe nahm seine Maske ab, und die Fingerspitzen strichen erst über seine Haut und dann über das pulsierende Cappinfragment, das stärker leuchtete und irisierte als jemals vorher.

»Aber du kannst nicht ...« Saedelaere hauchte die Worte. »Du darfst mein Gesicht nicht ansehen.«

»Überlass mir, was ich darf oder nicht.« Die Puppe beugte sich vor und küsste ihn wie schon zuvor, und die Lippen waren weich und warm. Er spürte Süße auf seiner Zunge, in seinem Mund.

Vergiss nicht, wer ich bin, hörte er in seinen Gedanken, während der Kuss noch immer andauerte und der immaterielle Harmoniebewahrer in seinem Bewusstsein glühte. Außerdem lebt dieser Körper, den ich mir erwählte, nicht. Er hat keinen Verstand, den er verlieren könnte. Glaubst du nicht, dass ich vorzusorgen vermag, wenn ich es für richtig halte?

Arden Drabbuh, die Puppe, löste sich von ihm. Saedelaere sah nur ihre Augen, in denen sich nun das spiegelte, was hinter ihm lag; ein winziges Abbild des Museumsraums. Ein Dutzend halb nackte Wesen schliefen am Boden, nur noch wenige wälzten sich in Agonie und Verzückung. Masken, einfache wie kunstvolle, lagen als unscheinbare Punkte weithin verstreut, weggeworfen wie wertloser Tand.

»Du bist nicht meine Marionette. Als solche brauche ich dich nicht. Ich könnte Milliarden Körper fernsteuern, wenn mir der Sinn danach stünde.«

»Also benötigst du meine Hilfe auf andere Art?« Statt einer Antwort fühlte Saedelaere, wie sich der Escaran langsam zurückzog. Der Splitter war noch immer vorhanden, als ein Teil seines Wesens und seines Verstandes, aber TANEDRAR beeinflusste sein Denken nicht mehr über diese geistige Verbindung.

»Du sollst nicht mein Vasall sein, kein willenloser Erfüllungsgehilfe.«

Zugleich mit der Erleichterung empfand Saedelaere plötzlich Angst, die mit eisiger Kälte sein ganzes Inneres erfüllte: Ich darf die Harmonie nicht verlieren!

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Das wirst du nicht.

Einerseits klang es wie der Beweis von TANEDRARS Gnade, andererseits fühlte es sich wie eine Drohung an.

 

*