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Nr. 2660

 

Die springenden Sterne

 

Eine erschütternde Erkenntnis – Ramoz wirft einen Blick in die Vergangenheit

 

Christian Montillon

 

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Wir schreiben das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Auf eine bislang ungeklärte Art und Weise verschwand das Solsystem mit seinen Planeten sowie allen Bewohnern aus dem bekannten Universum.

Die Heimat der Menschheit wurde in ein eigenes kleines Universum transferiert, wo die Terraner auf seltsame Nachbarn treffen. Die Lage spitzt sich zu, als die Planeten von fremden Raumfahrern besetzt und die Sonne Sol »verhüllt« wird. Seither kämpft die solare Menschheit um ihr Überleben.

Von all diesen Entwicklungen weiß Perry Rhodan nichts. Auch ihn hat es in einen fremden Kosmos verschlagen: Mit dem gewaltigen Raumschiff BASIS gelangt er in die Doppelgalaxis Chanda. Dort regiert die negative Superintelligenz QIN SHI, die für ihre Pläne das geheimnisvolle Multiversum-Okular benötigt.

Um sich gegen QIN SHI zu behaupten, braucht Perry Rhodan Unterstützung – eine davon erwächst ihm aus Ramoz, einst Haustier seiner Gefährtin Mondra Diamond und nun »Seele der Flotte«. Eine besondere Rolle in dessen Leben spielten DIE SPRINGENDEN STERNE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Ramoz – Der Wiedergeborene gilt als Seele einer uralten Flotte.

Sajon – Der Zasa steht seinem Freund bei und begegnet springenden Sternen.

Mondra Diamond – Perry Rhodans Gefährtin hört eine Geschichte aus ferner Vergangenheit.

Wörgut Gooswart – Der Wortführer der Oraccameo kümmert sich um ein aufwendiges Forschungsprogramm.

Prolog:

Sehr viel früher

 

»Ramoz?«

Der Asteroid vor ihm explodierte zu einem Hagel tödlicher Geschosse. »Hm?«

»Was hältst du von: Sieg oder Tod?«

Ramoz steuerte einen wilden Ausweichkurs, riss die Maschine in eine enge Kurve. Ein Feuerball loderte vor ihm auf. »Klingt ziemlich dick aufgesetzt«, sagte er in aller Seelenruhe, während er in das Inferno hineinraste. »Ist außerdem alt und abgedroschen. Wir brauchen etwas Originelleres, wenn man die nächsten hundert Jahre davon sprechen soll.«

Ramoz hörte das Lachen seines Freundes Sajon aus dem Funkempfänger. Die Feuerglut im All erstickte. Er feuerte zwei weitere Raketen ab und schlug mit dem Mondsicheljäger einen Salto. Das Cockpit dröhnte unter der extremen Belastung des mörderischen Ausweichkurses.

Wenn es die eine Hölle wirklich gab, musste sie genauso aussehen wie dieses Asteroidenfeld. Allerdings glaubte Ramoz nicht an das Schattenreich der Verlorenen, ganz im Gegensatz zu Sajon.

In diesem einen Punkt waren sie sich trotz vieler, vieler Liter Rin'Cajar nie einig geworden. Und das, obwohl Rin'Cajar seiner Meinung nach alle Unstimmigkeiten löste. Denn wenn man zusammen in den Abgrund des Entzugs schaute, stand man sich einander hinterher näher als jedem anderen. Falls man überlebte. Ramoz und Sajon war das mehr als einmal gelungen. Gemeinsam durchlittene Qual verband für das ganze Leben.

Doch egal wie schwierig es sein mochte, durch das Asteroidenfeld zu manövrieren – langsamer flog Ramoz deswegen nicht.

Er kannte keine Angst und schon gar nicht während dieser Prüfung, die ihn endlich auf dem Weg zu einem echten Piloten weiter voranbringen würde. Falls er sie bestand. Aber darum sorgte er sich nicht.

Wieso auch? Jeder wusste, dass er der Beste war, von Sajon vielleicht abgesehen. Die meisten Pilotenanwärter hassten ihn dafür, dass er sie seine Überlegenheit ständig spüren ließ. Nur Sajon war von Anfang an klug genug gewesen, Ramoz' Genialität als Ansporn zu sehen und ihm nachzueifern.

Sollten sie ihn nur ablehnen und sich die Münder über ihn zerreißen. Ramoz verschwendete keine Zeit damit, sich um die Meinung minderwertiger Kreaturen zu scheren. Die Prüfungen überstand nur, wer sich auf das Wesentliche konzentrierte und sich nicht von Nichtigkeiten ablenken ließ.

Deshalb flog Ramoz mit geradezu spielerischer Leichtigkeit durch den Meisterparcours.

Dieses Asteroidenfeld mit seinen unberechenbaren Schwerkraftvektoren galt allgemein als unpassierbar. Ein winziger, auch von den fähigsten Wissenschaftlern nicht näher bestimmbarer Hypersturm tobte seit Jahrzehnten im Zentrum des Schwarms. Diese Anomalie wanderte stets mit dem Asteroidenfeld und machte den Weg hindurch zu einem Todesritt, den schon mancher Wagemutige mit dem Leben bezahlt hatte.

Um die Prüfung zum Abschluss der Grundausbildung zu bestehen, musste Ramoz das Asteroidenfeld lediglich am Rand durchschneiden.

Er war längst viel tiefer eingeflogen, als eigentlich nötig wäre. Er würde es allen zeigen! Würde beweisen, dass er der Beste war, den die Akademie jemals gesehen hatte!

Mit einem Mal ertönte nicht mehr Sajons Stimme aus dem Funkempfänger, sondern die eines Prüfers mit dem typisch rau-krächzenden Tonfall aller Oraccameo: »Kehr sofort um! Du überschreitest ...«

»Ich weiß, dass ich es schaffen kann!«

Kurze Stille folgte, während der Ramoz geradezu bizarre Manöver flog, um den Felsbrocken auszuweichen. Die Bordmaschinen dröhnten protestierend.

Die kleinen Asteroiden rasten auf unberechenbaren Bahnen, die Ramoz mit irrlichterndem Blick genau im Auge hielt. Transitierte nicht sogar einer der steinernen Klötze?

Die Stille dauerte an. Wahrscheinlich versuchte der Oraccameo zu verdauen, dass sein Prüfling sich dem Befehl nicht nur bloß widersetzte, sondern ihn auch noch sogar mitten im Satz unterbrach.

Aber für Ramoz gab es kein Zurück mehr. Er ging seinen eigenen Weg. Er würde allen beweisen, dass er zu gut war. Die Oraccameo konnten es sich nicht leisten, ihn wegen solcher Lächerlichkeiten wie mangelnder Disziplin aus dem Pilotenprogramm zu entfernen!

Qualität setzte sich durch.

Überall.

Immer.

In diesem Moment krachte etwas an den rechten Flügel des Mondsicheljägers.

Ramoz wurde in den Pilotensitz gepresst, flog im nächsten Augenblick gegen das Instrumentenpult. Gleichzeitig leckten Flammen über die Sichtscheibe. Ein winziger Riss platzte darin auf, verästelte sich zu einem Muster, das den Tod verhieß.

Ein Funke tanzte irgendwo vor ihm, mitten zwischen den Instrumenten.

Es stank verbrannt.

Eine Entladung züngelte blau vor seinen Augen, verschmorte seine Haare.

Dann ein Blitz aus Schwärze, der ihm über die Ohren direkt ins Gehirn schmolz.

Und: allumfassende Dunkelheit.

 

*

 

Nein.

Dies war nicht die Schwärze, die ihn ins Grab zog. Sie würde kommen, eines Tages, aber ...

... nicht jetzt!

Noch nicht!

Der Mondsicheljäger trudelte im Chaos. Aus dem halb abgerissenen Flügel zuckten gelb und weiß irisierende Blitze; der Unfall konnte noch keine fünf Sekunden zurückliegen.

Ich war nicht ohnmächtig. Nur ein winziger Blackout, nicht einmal einen Atemzug lang.

Ramoz blieb noch eine Chance zu überleben. Noch war nicht alles vorbei. Er brauchte sich nur den Triumph der anderen Pilotenanwärter vorzustellen – hat-es-ihn-doch-noch-erwischt-das-widerliche-Großmaul –, und sofort weigerte er sich, den eigenen Tod zu akzeptieren.

Er zwang den Mondsicheljäger, ihm zu gehorchen. Er hämmerte auf die Steuerung ein, schrie Befehle in die akustischen Sensoren – als könnten Lautstärke oder Vehemenz auch nur das Geringste an seiner fatalen Situation ändern.

Dennoch bekam er die Maschine wieder unter seine Kontrolle.

Aus dem Funkempfänger knirschte und rauschte es statisch. Sehr gut; wenigstens gab es kein Oraccameo-Geschwätz, das ihn ablenkte. Er lebte noch – und um dafür zu sorgen, dass es so blieb, musste er sich in höchstem Maß konzentrieren.

Ramoz versank in den Steuerungsmechanismen, verschmolz geradezu mit dem Jäger, sah ihn als Teil seines Körpers, seines Lebens an. Und er wollte nicht sterben. Also akzeptierte er die Schwäche der Maschine.

Der rechte Flügel hing in Fetzen, was das Manövrieren noch schwieriger werden ließ.

Doch Ramoz hatte – das musste er zugeben – Glück. Es hätte schlimmer kommen können. Die Maschine gehorchte ihm.

Er raste zwischen Asteroiden hindurch, bis er eine ruhigere Zone vor sich sah – tiefer in der Todeszone. Er entschied sich gegen seinen Überlebensinstinkt, der ihn ausgerechnet dort nicht hinfliegen lassen wollte.

Alles in ihm drängte in die entgegengesetzte Richtung, zu den Rändern des Asteroidenschwarms und damit dem freien All. Die allermeisten hätten genau diesen Fehler begangen.

Er nicht.

Vielleicht hat Sajon recht, und es gibt die Hölle doch, dachte er. Wenn ja, dann lerne ich sie jetzt kennen. Und ich heiße sie willkommen!

Ramoz sprengte den rechten Flügel komplett ab. Ein sauberer Bruch. Das Metallteil trudelte einen Lidschlag lang neben dem Mondsicheljäger, blieb dann zurück.

Die Maschine flog dem Auge des Sturms entgegen. Die ruhigere Zone lag vor ihm, ein kleines Raumgebiet, in dem die zahllosen Asteroiden nicht ihren bizarren Bahnen folgten. Die Gesetzmäßigkeiten des Alls schlugen dort keine Kapriolen mehr.

Ramoz steuerte hinein, und ihm blieb zum ersten Mal seit dem Unfall ein Augenblick der Ruhe.

Er tastete über sein Gesicht, fühlte die flauschigen Härchen, die flache ... die gebrochene Nase. Er schrie unter der Berührung. Nun erst schmeckte er das Blut, das ihm über die Lippen rann.

Doch das, was er sah, lenkte ihn von den Schmerzen ab.

Vor ihm, im Zentrum der Stille, schwebte ein glitzerndes Etwas, ein funkelnder, riesiger Diamant aus Energie. Er leuchtete, und Ramoz sagte sich, dass dies nicht die Hölle sein konnte. Denn dort würde solche Schönheit niemals bestehen.

1.

Gegenwart:

Mondra Diamond

 

Mondra Diamond zweifelte an sich selbst.

Hatte sie das Richtige getan? Oder den größten Fehler ihres Lebens begangen, als sie freiwillig im Kalten Raum zurückgeblieben war?

MIKRU-JON war fort, unerreichbar, genau wie Perry Rhodan.

Sie hingegen, Mondra, saß währenddessen mit Ramoz in einer unbestimmbaren, nach wie vor rätselhaften Anomalie fest.

»Was ist mit dir?«, fragte ihr einziger Begleiter an Bord des fremden Schiffes im Kalten Raum. Der Dorn, der aus seinem Auge ragte, verströmte ein weißlich grelles, pulsierendes Licht, das unwirkliche Schatten auf sein Gesicht warf.

Als würde er unter der Beleuchtung eines Leichenbeschauers liegen und auf seine Obduktion warten, durchfuhr es Mondra. Sie zögerte. Was sollte sie antworten? Wie ihm begreiflich machen, was sie fühlte?

»Es ist nichts«, log sie schließlich. »Nur die Kälte.«

Sie wusste selbst, dass es alles andere als überzeugend klang. Es war zwar kalt, aber noch vor Kurzem hatten wesentlich tiefere Temperaturen in diesem ... Geisterschiff geherrscht.

Nur dass es sich nicht mehr um ein Geisterschiff handelte.

Die Einheit gehörte zu einer geheimen Flotte, die offenbar vor Ewigkeiten in der Nähe einer grünen Sonne in einem hyperphysikalisch vom Normalraum abgetrennten Raum versteckt worden war. In einer Nische jenseits des Normalraums hatte sie in Stasis gelagert und darauf gewartet, dass die »Seele der Flotte« zurückkehrte. Sämtliche Schiffe waren tot gewesen – ohne Energie. Die Erschaffer des Verstecks hatten die ganze Flotte in eine Art Stasis versetzt.

Ramoz galt als diese ominöse »Seele«, aber als die Flotte aus ihrer Stasis geweckt werden sollte, war nach Jahrtausenden des Wartens gerade genug Energie geblieben, um eine einzige Einheit wieder in Betrieb zu nehmen: In jener, in der sich seitdem Mondra und ihr Begleiter aufhielten, funktionierten inzwischen die Bordsysteme wieder.

Nach Ramoz' Ankunft hätte sich dem Plan der geheimnisvollen Drahtzieher zufolge die gesamte Flotte aktivieren sollen. Doch die Energie, die nach all der Zeit noch vorhanden war, reichte dazu nicht mehr aus. Nach all den Ewigkeiten in Stasis war nur genug geblieben, ein einziges Schiff der tödlichen Kälte zu entreißen.

Alle anderen Einheiten hingen noch immer antriebslos und dunkel in dem Kristallgestöber, das überall im Raum trieb. Zahllose Hyperkristalle hielten die hyperphysikalische Ebene des Verstecks stabil.

Eine Art Schleuse führte inzwischen in den Normalraum; Nemo Partijan hatte sie geöffnet. Wie genau dem Wissenschaftler das gelungen war, entzog sich Mondras Kenntnis.

Obwohl sie in den letzten Jahrzehnten einiges erlebt hatte, war sie nicht in der Lage, völlig zu durchschauen, was sich um sie herum in der Galaxis Chanda abspielte. Welche Bedeutung kam den Kristallen genau zu? Wie passte Ramoz in das Puzzle? Was lief auf hyperphysikalischer Ebene ab? Wieso hatten die Drahtzieher vor Ewigkeiten die Flotte überhaupt versteckt, und wann genau war das gewesen?

Je länger sie nachdachte, umso mehr Fragen taten sich vor ihr auf; und umso mehr schalt sie sich selbst. Sie hatte zu spontan gehandelt, sich impulsiv entschieden, bei Ramoz zu bleiben, ohne die Folgen genau zu durchdenken.

Aber nun gab es kein Zurück mehr.

»Erzähl mir mehr«, bat sie. »Du bist die Seele der Flotte, derjenige, dessen Ankunft im Versteck seit Langem erwartet wurde!«

Er wich ihrem Blick aus. Sein Augenlid flatterte – in der zweiten Augenhöhle irisierte weiterhin der metallische Dorn und schickte Lichtblitze durch den Raum. Der Anblick des robotischen Implantats übte auf Mondra eine bizarre Faszination aus.

Das Leuchten wird ... stärker, dachte sie, und statt des letzten Wortes kam ihr noch ein anderes in den Sinn: schlimmer. Wie eine Krankheit, die den eigentlichen Ramoz auffraß.

»Wer hat dieses Versteck erschaffen?«, fragte sie. »Waren es wirklich die Oracca?«

Eine Holoprojektion hatte sich nach der Ankunft auf diesem Schiff mehrfach gemeldet, auch während des seltsamen Prüfungsvorgangs, bei dem Ramoz bewiesen hatte, dass er tatsächlich die erwartete Seele der Flotte war. Es hatte optisch eindeutig an einen Oracca erinnert, einen Angehörigen des uralten Volkes dieser Doppelgalaxis, dem Perry Rhodan beim Verzweifelten Widerstand begegnet war: ein dürrer, ausgemergelter, Kutten tragender Humanoide.

»Oracca«, wiederholte ihr Gegenüber in nachdenklichem Tonfall und streckte beide Hände aus. Die Fingerspitzen zitterten. Die Härchen des orangefarbenen Flaums sträubten sich auf dem Unterarm. »Nein, nicht, ich ...«

Er beugte sich zu ihr, packte sie an den Schultern. Die Spitze des Dorns stoppte erst kurz vor ihrem Auge. Mondra blinzelte, hielt sich mit Mühe davon ab, zurückzuzucken und ihn von sich zu stoßen.

Er streichelte ihre Wange, fuhr mit dem Zeigefinger über ihre Lippen. Sie ließ es zu. Ihr Nacken kribbelte.

»Oraccameo«, sagte er gedehnt, und sie glaubte, Abscheu und Verachtung aus diesem einen Wort herauszulesen.

Seine Schultern bebten, als er vor ihr in die Knie brach und ihre Beine umklammerte, als wäre er wieder das kleine, luchsähnliche Wesen, als das sie zuerst auf ihn getroffen war.

Das Haustier.

»Du meinst – die Oracca?«, vergewisserte sie sich verwirrt.

»Vorfahren dieses Volkes«, erwiderte er. »Jahrhunderttausende ist es her, ich ...« Er hustete. »Sie waren damals noch größer, und ... ich ...«

Ramoz hob den Blick.

Für einen Moment sah es so aus, als würde der Augendorn flackern und verschwinden.

Eine Täuschung, dachte Mondra. Sicher nicht mehr als eine Täuschung. Sie versuchte, sich aus seiner Umklammerung zu lösen. »Lass mich!«, bat sie.

Er gehorchte. Sein Auge schloss sich. Mit der Rechten umklammerte er den Dorn, als wolle er sich ihn aus dem Schädel reißen.

»Miese Arbeit der Designer und Ingenieure«, sagte er unvermittelt. »Sie kümmern sich um die Technologie, scheren sich aber keinen Deut um den Piloten.«

Die Worte verwirrten sie. »Was meinst du damit? Den Dorn?«

»Dorn?«, fragte er. »Natürlich nicht.« Und: »Wer bist du?«

»Aber Ramoz, ich bin ...«

»Ramoz«, unterbrach er sie, scheinbar völlig entrückt. »Ich fliege in die Hölle, und es gelingt mir gut. Wovor sollte mir grauen? Ich kann alles. Ich habe keine Angst. Ich bin der beste Pilot!«

Er ruckte etwas zurück, knickte die Beine in den Knien nach außen, zu einem umgekehrten Schneidersitz. Sein Oberkörper wankte vor, zur Seite und rückwärts. Er sah aus, als wäre er in eine seltsam entrückte Ekstase gefallen.

»Sajon«, schrie er, »hör mir zu! Ich bin im Zentrum gewesen und habe den Diamanten gesehen, riesig und herrlich! Er war ...«

»Ramoz!«, rief er plötzlich seinen eigenen Namen mit verstellter Stimme.

»Schon gut«, fuhr er in normalem Tonfall fort. »Ich fange von vorne an.«

Mondra beobachtete das Schauspiel fassungslos. Er erinnert sich, erkannte sie erschüttert, und er wähnt sich wieder in der Vergangenheit. Er erlebt es so, als würde es in diesem Augenblick geschehen.

Voll Mitleid setzte sie sich neben ihn, umarmte ihn, um ihm Ruhe und Trost zu spenden.

Er drehte den Kopf, schaute sie an, legte die Wange auf ihre Schulter. »Ich erzähl dir alles der Reihe nach.«

»Das ist eine gute Idee, Ramoz.«

»Klar doch, Sajon! Wir beide sind eben die Besten!« Er blickte durch sie hindurch ins Leere, und Mondra Diamond lief ein Schauer über den Rücken.

2.

Vergangenheit:

Ramoz

 

Er erinnerte sich an den riesigen Diamanten wie an einen Traum. Denn nur dort gab es solche Schönheit. Nur dass sich der Anblick anders als die Nachtbilder in seinen Verstand eingebrannt hatte und sich wohl nie wieder daraus lösen würde.

»Wie lange bist du dort gewesen?«, fragte Sajon. Er hatte sich den Haarflaum rund um die Augen frisch in grellem Blau gefärbt – eine seiner Marotten, die ihn aussehen ließ, als trage er eine altmodische Datenbrille.

Ramoz rieb mit den Reißzähnen über den Unterkiefer; er war nervös, auch wenn es ihm schwerfiel, das vor sich selbst einzugestehen. Schließlich gab es allen Grund dazu. Er musste sich nur umsehen. Die flatternden Luftvorhänge kamen ihm wie böse Omen vor.

»Ich weiß es nicht«, antwortete er seinem Freund. »Manchmal denke ich, ich habe all das nur wenige Atemzüge lang gesehen, dann wieder kommt es mir vor wie mein halbes Leben.«

Sajon lachte. »Die Wahrheit, mein Bester, liegt irgendwo dazwischen. Wenn all das vorbei ist, trinken wir einen Rin'Cajar. Vielleicht verschafft dir das einen freien Kopf, und du kannst klar nachdenken, um dich zu erinnern. Du weißt, wo du mich findest.«

Wenn all das vorbei ist ... Eine hübsche Umschreibung dafür, dass Ramoz seinen Ausbildern gegenübertreten musste. Er konnte froh sein, wenn die Oraccameo ihn nicht verschwinden ließen, wie es hin und wieder angeblich geschah. Ramoz hatte keine Bestätigung für dieses Gerücht gefunden, aber es hielt sich hartnäckig.

Von seiner üblichen Selbstsicherheit – die andere gern Überheblichkeit nannten – blieb momentan nicht mehr viel. Stattdessen fühlte er sich klein; kleiner als je zuvor in seinem Leben. Ein äußerst unangenehmes Gefühl, denn es sprach davon, wie unbedeutend er war.

Er verabschiedete sich von seinem Freund, und als dieser hinter den samtenen Luftvorhängen verschwand, kam sich Ramoz unendlich einsam vor. Ihm war nie zuvor klar geworden, wie sehr Sajons Gesellschaft ihn beruhigte und ihm half, seine Gedanken zu sammeln.

Es war nicht einfach, der Beste zu sein.

Die Unterstützung eines Freundes kam dabei sehr gelegen.