Rafael Ángel Herra

Die Kürze des Genusses

La brevedad del goce

Übersetzung aus dem Spanischen:

Hans Jürg Tetzeli von Rosador

Editorial Costa Rica

Verweile doch, o Augenblick, du bist so schön.

Permanece, oh instante, eres tan bello.

Goethe

I

Verweigere deine Lippen der Ewigkeit

Niégale tus labios a la eternidad

Ich möchte dich lehren,

das Vergängliche zu erkennen.

Quisiera enseñarte

a conocer lo efímero.

1

Ich werde dich abholen,

ich werde zwischen Blumen gehen,

mit meinen Schritten

die grünen Seufzer lieben

(hör zu, befeuchte dir den Mund)

ich werde den Garten der Wurzeln durchqueren

(hör zu, sie sind voller Düfte)

und werde an deine Tür kommen

mit einem Geschenk warmer Worte

auf den Lippen.

Iré a buscarte,

caminaré entre flores,

adorando los gemidos verdes

con mis pasos

(escucha, humedécete la boca)

cruzaré el jardín de las raíces

(escucha, están llenas de perfumes)

y llegaré a tu puerta

con un regalo de palabras tibias

en los labios.

2

Der Tag kommt langsam

während meine Geduld galoppiert.

El día viene tardo,

cuando mi paciencia va al galope.

3

Ich bin ein Leintuch nebelfarbig

rieche nach gebügeltem Stoff,

dein Körper ist warmes Gewicht

bis zum Erlöschen der Sterne.

Gehst du ins Bett?

Jede Falte wird Zuflucht von Schaudern sein,

du wirst Almosen verlangen

und ich werde zum Bettler aus Flicken

um deinen Körper zu spinnen.

Komm schon,

lauf zu mir,

noch gibt es keine Falten

noch Glanz der Haut.

Ich bin weißes Gewebe, sonst nichts

bereit, mir Wärme zu verdienen.

Lauf, schau nicht zurück,

komm mich mit Runzeln bedecken

mit deinem Leintuch weißen Himmels.

Soy sábana color de bruma,

huelo a tela planchada,

tu cuerpo es tibio peso

hasta la extinción de las estrellas.

¿Vas a la cama?

Cada arruga será refugio de estremecimientos,

pedirás limosna

y seré mendigo hecho remiendos

para hilar tu cuerpo.

Ven ya,

corre hacia mí,

no hay pliegues todavía,

ni brillos de piel.

Soy tejido blanco, nada más,

dispuesto a ganarme la tibieza.

Corre, no mires atrás,

ven a llenarme de arrugas

con tu sábana de cielo blanco.

4

Ich möchte dir das Unendliche entreißen,

das du in dir trägst,

geiziger Augenblick,

ich möchte deine Liebkosungen fühlen,

o kürzeste Zeit des Genusses,

und die lauen Nächte lieben

und deine Haut.

Quiero arrancarte el infinito

que llevas por dentro,

instante avaro,

quiero sentir tus caricias,

oh tiempo mínimo del goce,

y amar las noches tibias

y tu piel.

5

Ich möchte dich lehren,

das Vergängliche zu erkennen.

Lebe im Augenblick, das Jetzt,

zähle die Sekunden,

die Bruchstücke,

die Einzelheiten der Staubwolken,

das Zittern der Nadel,

vergiss die Monate und die Stunden,

kommuniziere allein mit zerstückelten Atomen,

überlasse den Körper

der Infinitesimalfraktion,

schenke die Haut den Einzelheiten,

dem kleinsten Lächeln der Zeit,

denke, es existiert nur die genussvolle Antimaterie.

Wenn du das Vergängliche durchstreifen wolltest,

lass mich dir die Räume zeigen

und die Zeiten ohne Erzählungen,

wo die Freuden wohnen.

Verweigere deine Küsse der Ewigkeit,

dem unendlichen Weltkreis,

lebe den Augenblick, das Jetzt,

das kurze süße Geheimnis,

das Gold dessen, das schon zu Ende geht.

Quisiera enseñarte

a conocer lo efímero.

Vive el ya, el ahora,

cuenta los segundos,

las fracciones,

el detalle de las polvaredas,

los estremecimientos de la aguja,

comulga solo con átomos despedazados,

olvida los meses y las horas

y abandona el cuerpo

a la fracción infinitesimal,

regálale la piel a los detalles,

a la sonrisa mínima del tiempo,

piensa que solo existe

la gozosa antimateria.

Si quisieras recorrer lo efímero,

déjame enseñarte los espacios

y los tiempos sin relato

donde habitan los placeres.

Niégale tus labios a la eternidad,

al infinito círculo del mundo,

vive el ya, el ahora,

el secreto breve y dulce,

el oro de lo que ya se acaba.

6

Was tue ich mit der Phantasie,

wie soll ich ihr das Joch auflegen

und sie in meinen Dienst stellen?

Oder ziehst du sie zügellos vor

und daß keiner sie aufhält?

Heute sage ich:

sei willkommen,

Ritt ohne Zügel

besiege das endlose Warten,

dass die Sternbilder ruhen

und mich das Morgen streift

mit seinen warmen Lippen.

¿Qué hago con la imaginación,

cómo atarle el yugo

y ponerla a mi servicio?

¿O la prefieres desbocada

y que nadie la detenga?

Hoy digo:

bienvenida seas,

cabalgata sin freno,

gánale a la vasta espera,

que reposen las constelaciones

y me roce el mañana

con sus labios tibios.

7

Die Brise weht, Zitronenbaum,

säuselt ihre Siege.

Folge ihr gleich,

fliege mit ihr,

lauf,

setze dich in Galopp

und dass sie nicht deinen Duft raube.

La brisa sopla, limonero,

susurra sus victorias.

Síguela ya,

vuela con ella,

corre,

lánzate al galope

y que no se robe tu perfume.

8

Was soll ich tun,

sag es mir,

um die Leere zu füllen?

Der Tag geht,

es wird Nacht,

ich möchte die Sterne sehen,

um die Kürze des Genusses zu erfinden.

Qué hago,

dime,

para llenar el vacío.

Se va el día,

anochece,

quiero ver las estrellas

para inventar la brevedad del goce.

9

Es ist Zeit zu arbeiten

(ich spreche dir ins Ohr),

bring das Werkzeug,

die Haut und das Herz,

leg dich an meine Seite, Traum,

die Stunde ist gekommen,

Hand ans Werk,

es bleibt nur Zeit

für die Lust.

Es hora de trabajar

(te hablo al oído),

trae las herramientas,

la piel y el corazón,

ponte a mi lado, sueño,

llegó la hora,

manos a la obra,

solo queda tiempo

para el goce.

10

Mich schmerzen die Schritte

hin zum Glanz des Abends.

Geh langsamer

(ich bitte dich)

oder kehr lieber um,

bleib nicht stehen,

lauf,

lass dich vom Wunsch beseelen,

die Kürze des Tages zu genießen.

Me duelen los pasos

hacia el fulgor de la tarde.

Camina más despacio

(te lo pido)

o mejor regresa,

no te detengas,

corre,

anímate a gozar la brevedad del día.