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Fachbereich
PHYSIOLOGISCHE PSYCHOLOGIE

Neuropsychologie des Gedächtnisses

Von Prof. Dr. Hans Joachim Markowitsch

Neuropsychologie des Gedächtnisses

Ich will meinen Vortrag in drei Bereiche unterteilen. Zuerst werde ich über Gedächtnis allgemein sprechen, dann über Beziehungen zwischen Gedächtnis und Gehirn und zum Schluss will ich über psychiatrische Störungen, die sich auf den Gedächtnisbereich auswirken, reden.

Ich beginne mit einem Zitat von Ewald Hering. Ewald Hering war ein berühmter Physiologe, der 1870 formulierte: „Das Gedächtnis verbindet die zahllosen Einzelphänomene zu einem Ganzen und wie unser Leib in unzählige Atome zerstieben müsste, wenn nicht die Attraktion unserer Materie ihn zusammenhielte, so zerfiele ohne die bindende Macht des Gedächtnisses unser Bewusstsein in so viele Splitter als es Augenblicke zählt.”

Ich denke, damit hat Ewald Hering sehr plastisch ausgedrückt, was uns als bewussten Menschen ausmacht, dass unser Gedächtnis wesentlich unsere Persönlichkeit bestimmt und uns zu bewussten, eigenständigen Individuen macht. Die Frage, die man jetzt zu Anfang stellen kann, lautet: Wie hat sich Gedächtnis entwickelt? Wie weit gibt es bei Tieren vergleichbare Formen zu Gedächtnis, das heißt, wie ist die vermutliche Evolution unseres Gedächtnisses?

In der Evolution ist „Gedächtnis” eng mit „Geruch” verknüpft

Aus evolutionsbiologischer Sicht ist Gedächtnis sehr eng mit unserem Geruch verknüpft. Sehen wir uns die Tierwelt an: Hunde schnüffeln an anderen Hunden. Sie stellen dadurch fest, ob ein anderer Hund paarungsbereit oder aggressiv ist und können insofern auch Begegnungen mit anderen Tieren vermeiden. Man weiß auch, dass sehr viele männliche Tiere – ob man da an Löwen oder an Nashörner denkt, oder eben auch an Hunde – ihr Revier markieren. das heißt, wenn ein jüngerer Hund oder Löwe über das Revier geht, muss er befürchten, von einem älteren Tier angegriffen und möglicherweise schwer verletzt zu werden. Insofern ist also die Fähigkeit, über den Geruch Informationen zu speichern, sehr wesentlich für Tiere und schützt sie individuell vor einem frühzeitigen Tod.

Das gleiche gilt auch für die Art, für die Gattung. Auch da ist es wichtig, aggressive Rivalen von sich fernzuhalten, um das Überleben der Spezies langfristig zu sichern. Wir wissen heute, dass die Hirnregionen, die mit Geruch zu tun haben, sich gerade bei der Entwicklung des Menschen zu denen entwickelt haben, die zentral sind für Gedächtnisverarbeitung, für das Einspeichern von Information und auch wieder für den Abruf von Information.

Klassische Konditionierung

Wir sagen heute, dass es nicht ein Gedächtnis gibt, sondern dass Gedächtnis sich entwickelt. Der berühmte Nobelpreisträger Eric Kandel hat sein Leben damit verbracht, über ganz einfache Tiere – Meeresschnecken, Aplysia – zu forschen. Diese Tiere sind, etwa ein Pfund schwer und 40 cm lang. An diesen Tieren hat er untersucht: Was verändert sich in deren Gehirnen, wenn sie ihre Kiemen zurückziehen, also erschreckt sind und ähnliches.

Es gibt in der Tradition der Gedächtnisforschung das große Gebiet der „klassischen Konditionierung”. Dieser Bereich ist eng verbunden mit dem Namen Iwan Pawlow, der um 1900, 1910 vor allem Hunde untersuchte: Wenn ein Hund Futter bekommt, läuft ihm der Speichel im Maul zusammen. Pawlow hat nun dem Tier zuerst ein Stück Fleisch gezeigt und dann, kurz bevor er das Fleisch zeigte, mit einer Glocke einen Ton erschallen lassen. Er fand heraus, dass der Hund schon anfing zu speicheln, wenn nur der Glockenton ertönte.

Das ist eine Form von Konditionieren, bei der, ohne dass das Tier etwas dagegen machen könnte, eine Reaktion in ihm vorgeht, eben dass ihm der Speichel im Maul zusammenläuft. Diese Form der Konditionierung wurde vor allem in der damaligen Sowjetunion als Hauptform von Gedächtnisentwicklung und Lernen propagiert.

Operante Konditionierung

In den USA ging man einen anderen Weg. Dort stand die sogenannte „instrumentelle” oder „operante Konditionierung” im Vordergrund. Hier hatten die Individuen, vor allem auch Tiere, eine Wahlfreiheit. Das heißt, man zeigte ihnen zum Beispiel zwei Reize: auf der einen Seite senkrechte, schwarzweiße Streifen, auf der anderen waagrechte, schwarz-weiße Streifen. Sie mussten lernen: „Immer da, wo die senkrechten Streifen sind, wartet dahinter eine Futterbelohnung”. Sie mussten die senkrechten wählen, die waagrechten vermeiden, um zu ihrem Futter zu kommen. Das nennt man „operantes Konditionieren”.

Und dann gibt es noch die höheren Formen. Erst vor kurzem wurde ein Beispiel bekannt, wo man herausgefunden hat, dass ein Hund in der Lage war, über 200 Puppen am Namen zu erkennen. Sein Frauchen hat ihm zugerufen: „Hol Josefine” und er brachte ihr die richtige Puppe an. Dann haben die Forscher eine neue Puppe dazu gelegt, dem Hund rief sein Frauchen zu: „Hol Sirikit” und der Hund – das sieht man in einem Film, der das Experiment dokumentiert – dreht sich erst dreimal im Kreis und überlegt: Was kann die wohl gemeint haben? Dann rennt er jedoch zielstrebig auf die neue Puppe zu und bringt ihr „Sirikit”.

Einsichtsvolles Lernen bzw. Probemlösefähigkeit

„Problemlösen”