Chefarzt Dr. Norden – 1126 – Der Traum von der ewigen Jugend

Chefarzt Dr. Norden
– 1126–

Der Traum von der ewigen Jugend

Hat Andrea ausgeträumt?

Patricia Vandenberg

Impressum:

Epub-Version © 2018 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-663-1

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»Ihre Handschrift ist so unterirdisch, da brauche ich ja eine Grubenlampe zum Lesen«, schimpfte Dr. Lammers. Gemeinsam mit seiner Kollegin und Vorgesetzten Dr. Felicitas Norden eilte er den Flur entlang Richtung Notaufnahme. Fees Notizen raschelten in seiner Hand.

»Dann lassen Sie es eben bleiben.« Sie riss ihm das Blatt aus der Hand. »Ich übernehme den Patienten.«

Lammers blieb stehen und sah ihrem flatternden Kittel nach.

»Meine Güte! Dass Frauen immer so empfindlich sein müssen.«

Ein Glück, dass Felicitas ihn nicht mehr hörte. Dazu hätte sie einiges zu sagen gehabt. Die Wortfetzen wehten hinter ihr her, als sie in der Notaufnahme ankam. Einen Wimpernschlag später schnappte sie nach Luft.

»Dr. Steinhilber.« Schlagartig hatte sie wieder den Geruch des Hörsaals in der Nase. Die Mischung aus altem Holz, PVC und muffiger Heizungsluft war im Winter fast heimelig gewesen. An heißen Sommertagen hatten sich die Räume allerdings viel zu oft in reine Folterkammern verwandelt. Ein Glück, dass es inzwischen Klimaanlagen gab, die auch in der Behnisch-Klinik lautlos ihren Dienst taten. »Das ist ja eine Überraschung. Sie haben sich kaum verändert.« Einem jungen Erwachsenen hätte sie mit diesen Worten die Schamröte ins Gesicht und eine ordentliche Wut in den Bauch getrieben. Anders sah es bei den älteren Herrschaften aus.

Trotzdem reagierte der Mann nicht sofort. Er raunte dem Jungen auf der Liege ein paar Worte zu. Erst dann richtete er sich auf und musterte die Frau, die ihn angesprochen hatte. Endlich erreichte sein Lächeln die Augen und kräuselte die feine Haut.

»Felicitas Cornelius. Ich glaube es nicht.«

»So lange ist das her? Ich heiße seit einer gefühlten Ewigkeit Norden.«

Der Rettungsarzt Erwin Huber trat zu ihnen.

»Das ist Julius Steinhilber.« Er deutete auf den Jungen. »Er ist vierzehn Jahre alt und klagt seit einem Sturz vom Roller …«

»Scooter heißt das«, korrigierte Julius den Kollegen.

Erwin schnitt eine Grimasse.

»Tut mir leid. Also, noch einmal von vorn. Der junge Mann ist mit seinem Scooter auf der Halfpipe gestürzt und klagt seitdem über starke Schmerzen im linken Arm.«

»Da dachte ich mir, ich rufe lieber den Notarzt«, erklärte Emil Steinhilber. »Es könnte ja sein, dass er sich weitere Verletzungen zugezogen hat.«

Fee bedankte sich bei dem Kollegen Huber, schenkte Dr. Steinhilber ein Lächeln und beugte sich über Julius.

»Wie du gerade beeindruckend unter Beweis gestellt hast, kannst du uns sehr gut hören.«

»Ja, klar.«

»Weißt du auch, wo du bist?«

»Behnisch-Klinik. Das habe ich im Funk gehört. Total cool, in so einem Krankenwagen mitzufahren. Ich habe meinen Freunden schon Fotos geschickt.« Er deutete auf das Handy, das auf seinem Bauch lag.

»Hoffentlich nehmen sich deine Freunde kein Beispiel an dir und stürmen die Notaufnahme.« Fee hob die Decke und warf einen Blick auf den verletzten Arm.

»Schockraum zwei«, sagte sie zu dem Pfleger, der zu ihnen getreten war. »Ich komme sofort nach.« Sie sah dem Krankentransport kurz nach, bevor sie sich zu ihrem ehemaligen Dozenten umdrehte.

»Wollen Sie Ihren …« Mitten im Satz hielt sie inne. Nur jetzt nichts falsch machen, »… Sohn …?«

Emil Steinhilbers Lachen unterbrach sie. Also doch ein Fehler!

»Für wen halten Sie mich, verehrte Fee? Das hier ist mein Enkelsohn. Seit dem Unfalltod seiner Eltern lebt er bei mir.«

»Oh, das tut mir leid.«

»Schon gut.« Emil winkte ab. »Das ist schon zwölf Jahre her, und das alte Sprichwort hat wieder einmal recht behalten: Die Zeit heilt alle Wunden.« Seine plötzliche Heiserkeit strafte ihn Lügen. Schnell wechselte er das Thema. »Biochemie ausgezeichnet, Molekularbiologie ungenügend. Das habe ich nie verstanden.«

»Sie erinnern sich noch an meine Leistungen?« Fee wollte eben fortfahren, als der Kollege Lammers wie zufällig vorbeischlenderte.

»Darf ich einen Kaffee vorbeibringen? Da plaudert es sich doch gleich viel besser.«

Felicitas ballte die Hände zu Fäusten. Irgendwann würde sie ihm den Hals umdrehen! Sie zwang sich ein Lächeln auf die Lippen und winkte Dr. Steinhilber mit sich.

»Gehen wir zu Julius.«

*

»Haben Sie Oskar erreicht? Und wer kümmert sich denn jetzt um den Klinikkiosk?« Die ehemalige Haushälterin der Familie Norden lag im Klinikbett. Auf dem Weg in den Operationsbereich flogen die Bilder an den Wänden als bunte Flecken an ihr vorbei. »Sollen wir das mit der Operation nicht doch lieber lassen? So schlecht sehe ich doch gar nicht.«

Dr. Daniel Norden begleitete den Transport. Er gab der Schwester ein Zeichen. Sie stoppte das Bett.

»Ach ja?« Seine Stimme war eine einzige Herausforderung. »Dann können Sie mir ja sicher sagen, was Sie auf diesem Foto sehen.«

Lenni sah hinüber zu dem psychedelischen Muster in verschiedensten Grüntönen. Es erinnerte sie an das Chamäleon, das im ­Behandlungszimmer des Professors für Augenheilkunde hing. Vielleicht …

»Hätten Sie Lust, dort Urlaub zu machen?«, fragte Daniel weiter.

Lenni schluckte. Also doch kein Chamäleon.

»Mir ist eine Fliege ins Auge geflogen«, jammerte sie und rieb sich demonstrativ die Augen, bis sie tränten.

Daniel Norden lachte und gab der Schwester ein weiteres Zeichen.

»Schon gut. Ich werde den Kammerjäger kommen lassen. Aber um Ihre Fragen zu beantworten: Von Oskar habe ich leider noch nichts gehört. Soweit ich weiß, ist er heute Nacht auch nicht nach Hause gekommen. Dafür hat Anneka versprochen, den Kiosk zu übernehmen, bis Sie zurück sind. Sie hat noch ein paar Tage Zeit, bis ihr Studium beginnt, und ist froh, sich ein Taschengeld zu verdienen.«

»Wenigstens etwas«, murmelte Lenni.

So kleinlaut hatte Dr. Norden seine ehemalige Haushälterin in all den Jahren nicht erlebt. Doch für Reue war im Augenblick kein Platz. Leise surrend schoben sich die Türen zum Operationsbereich auf. Wasserrauschen empfing sie. Professor Lutz stand am Waschbecken. Er warf einen Blick über die Schulter.

»Da sind Sie ja schon!« Ein Handtuch in den Händen trat er ans Bett. »Wie fühlen Sie sich, liebste Lenni?«

Mit einem Handkuss und einem Einfühlungsvermögen, das seinesgleichen suchte, hatte er ihr Herz tags zuvor noch zum Flattern gebracht. Dummerweise war Lennis Lebensgefährte Oskar von ihren Schwärmereien alles andere als amüsiert gewesen und hatte das Weite gesucht.

»Ich bin nicht Ihre liebste Lenni«, fauchte sie den Professor an.

Dank seiner langjährigen Erfahrungen mit ängstlichen Patienten war Lutz Krugs Lächeln unerschütterlich.

»Keine Sorge. Ich werde alles dafür tun, damit Sie nicht im Altenheim landen.«

Lenni schielte hinüber zu ihrem ehemaligen Chef.

»Was reden Sie denn da? Ich und ein Altenheim! Können Sie jetzt endlich anfangen? Mit Ihrem Gerede machen Sie mich noch ganz nervös.«

»Ihr Wunsch ist mir Befehl.«

Die beiden Ärzte tauschten einen amüsierten Blick. Professor Krug gab seine Anweisungen, und die Patientin wurde in den OP geschoben.

»Tut mir leid, dass Lenni so schlechte Laune hat«, entschuldigte sich Daniel für seine zickige Haushälterin. In all den gemeinsamen Jahren war sie der Familie wie eine Ersatzomi ans Herz gewachsen. Kein Wunder also, dass die Nordens sich verantwortlich fühlten, allen voran Daniel und seine Frau.

»Schon gut«, winkte der Professor ab. Er streckte die Arme aus, um sich von einer Schwester in den Operationskittel helfen zu lassen. »Als junger Arzt war ich regelmäßig beleidigt, wenn mich Patienten so behandelt haben. Heute weiß ich zum Glück, dass nicht ich, sondern die Angst für die schlechte Laune verantwortlich ist. Das macht mein Leben entschieden leichter.«

Wohlweislich behielt Daniel für sich, dass Oskar nicht unbeteiligt war an Lennis Gemütsverfassung. Er wünschte dem Kollegen viel Glück und versprach, rechtzeitig nach dem Eingriff wieder zur Stelle zu sein.

*

»Ich bin auf den Ellbogen gefallen«, erzählte Julius und verzog das Gesicht, als Fee den Arm vorsichtig betastete.

Dr. Steinhilber stand neben seinem Enkel und beobachtete die Bemühungen seiner ehemaligen Studentin.

»Ist er gebrochen?«

Julius riss die Augen auf.

»Nächste Woche ist der Scooter-Contest. Da muss ich unbedingt mitmachen, sonst verliere ich meine Sponsoren.«

»Sponsoren?« Fee zog eine Augenbraue hoch.

»Julius hat wochenlang herumtelefoniert und Videos verschickt, um Sportartikelhersteller von seinem Talent zu überzeugen«, lieferte Emil Steinhilber die Antwort. »Sie haben ihn mit Kleidung und Schuhen unterstützt und wollen nun natürlich Erfolge sehen.«

»Meine Güte, was es heutzutage alles gibt.« Felicitas konnte nur den Kopf schütteln. »Allerdings fürchte ich, dass sich die Sponsoren noch ein wenig gedulden müssen. Für Julius fällt der Wettbewerb nächste Woche leider aus.«

Der junge Sportler zischte wie eine Schlange. Allerdings weniger wegen Fees Prognose, sondern vielmehr, weil sie seinen Arm vorsichtig hin und her drehte.

»Hämatom mit starker Schwellung des Gelenks und Bewegungsunfähigkeit«, stellte sie schließlich fest. »Ich fürchte, wir haben es mit einer Olekranonfraktur zu tun.«

Emil legte den Kopf schief und musterte Fee mit sichtlichem Wohlwollen.

»Sieh mal einer an. Meine Studentin hat sich ganz schön gemausert.« Seine Stimme klang wie Sandpapier.

»Der Ellenbruch an der Oberkante des Unterarms hat zum Glück auch wenig mit Mikrobiologie zu tun.« Lächelnd sah sie zu ihrem ehemaligen Dozenten hinüber. Noch immer konnte sie nicht glauben, dass er sich so wenig verändert hatte. Möglich, dass er mit den Falten um Augen und Mund und dem silbernen Haar noch besser aussah als früher. Schon damals hatten ihn die Studentinnen umschwärmt wie Wespen eine Sahnetorte. Da hatte sie keine Ausnahme gebildet. Schnell verscheuchte Felicitas diesen Gedanken. »Im Übrigen müssen Sie sich keine Sorgen machen. Das wird ein kleiner Eingriff. Mit bleibenden Schäden ist nicht zu rechnen.«

»Das klingt doch gar nicht schlecht.« Dr. Steinhilber nickte seinem Enkel zu.

»Gut. Dann nehme ich jetzt noch Blut für ein großes Blutbild ab. Im Anschluss lasse ich Julius zum Röntgen bringen.« Fee setzte sich auf einen Hocker und rollte zum Schrank hinüber.

Dr. Steinhilber ließ sie nicht aus den Augen. Obwohl sie schon lange nicht mehr seine Studentin war, machte sein Blick sie nervös. Sie atmete tief durch, staute die Vene und wollte zustechen, als er sie unterbrach.

»Wenn man die Nadel flach ansetzt, dann tut es am wenigstens weh.«

»Genau das hatte ich gerade vor.« Ihre Stimme war spitz wie die Nadel in ihrer Hand.

»Entschuldigen Sie, meine Liebe. Was Julius angeht, bin ich immer übervorsichtig.«