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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 1

 

Die neue Menschheit

 

Sie sind die TALIN-Jäger – und suchen eine Superintelligenz

 

Uwe Anton

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

Im Mai 1513 Neuer Galaktischer Zeitrechnung bricht Perry Rhodan zu einer diplomatischen Mission auf: Mithilfe der exotischen Technik des Polyport-Systems reist er in die ferne Galaxis Anthuresta. Dort will er die Nachkommen jener Menschen besuchen, die einst in das Stardust-System ausgewandert sind.

Die Stardust-Terraner, wie sich die Menschen in Anthuresta nennen, haben bereits ein kleines Sternenreich aufgebaut. Ihre Raumschiffe erforschen die nähere Umgebung, ihre Abgesandten treten in Kontakt zu außerirdischen Völkern. In schier unglaublicher Ferne entwickelt sich eine neue Menschheit mit eigenen Visionen und Träumen.

Doch was wie eine Routinemission begonnen hat, wird rasch zu einem gefährlichen Trip. Perry Rhodan trifft auf einen Netzweber, er erfährt mehr über die gesellschaftlichen Entwicklungen der vergangenen Jahre, und er muss feststellen, dass eine Gefahr aus der Vergangenheit erwacht. Der Terraner aus der »alten Heimat« wird Zeuge, wie eine Bedrohung entsteht und wächst.

Nur Perry Rhodan und eine Handvoll von Helfern steht gegen die Gefahr – er kämpft für DIE NEUE MENSCHHEIT ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Polyport-Präfekt besucht die neue Menschheit.

Tetsuro Corris – Der Administrator der Stardust-Union lädt zur großen Feier.

Eritrea Kush – Die Admiralin der Stardust-Union freut sich über den Besuch aus der Ferne.

James Birungi – Der TALIN-Jäger baut eine harte Landung und wird ausgewählt.

Der Generex – Ein Wesen erwacht und kennt sich selbst nicht mehr.

1.

Stardust-System

1. Mai 1513 NGZ

 

Perry Rhodan warf einen Blick auf das Hologramm in der Zentrale des Shuttles, das ihn nach Aveda bringen sollte – und da war er. Unvermittelt, ohne Vorwarnung.

Ein Netzweber.

Rhodan hätte ihn fast nicht bemerkt. In der dreidimensionalen Darstellung wirkte die Struktur seines Netzes fast so dunkel wie das kalte, schwarze All, das sie umgab. Rhodan erkannte das feine Netzwerk nur, weil es vom fernen Licht der vier Millionen Sonnen des Kugelsternhaufens Far Away erhellt wurde, sodass es sich schwach als Silhouette abzeichnete.

Die Maschenweite des Netzes war sehr eng, betrug nur wenige Meter. Aber der ausgebreitete Netzkörper war gewaltig, füllte allmählich das komplette Holo aus.

Das sind bestimmt zwanzig Kilometer, dachte Rhodan, wenn nicht sogar mehr. Der Netzweber ist ganz nah.

Die Netzfasern selbst schienen auf den ersten Blick hauchdünn zu sein. Rhodan wusste aber aus Erfahrung, dass es sich bei ihnen nur um eine Projektion handelte. Die Hyperstruktur des Wesens sah ganz anders aus. Rückschlüsse auf die wirkliche Erscheinung konnte man aus der optischen Darstellung nicht ziehen.

»Ruf die Hyperortung auf!«, sagte er. »Schnell!«

»Was?« Mehul Tondesi sah ihn verwirrt an. Der Pilot seines Shuttles war ein lächerlich junger Mann, der zu dem Routineauftrag abkommandiert worden war, ihn nach Aveda zu bringen.

Rhodan konnte sich vorstellen, welche Befehle er von Admiralin Eritrea Kush bekommen hatte. Wir erwarten sehr hohen Besuch. Den Polyport-Präfekten. Den Sonderbeauftragten des Galaktikums für die Polyport-Domäne. Sorge dafür, dass er pünktlich und sicher nach Stardust City kommt.

Endlich schaltete Tondesi. Er stellte keine weiteren Fragen, nickte und aktivierte die Hyperortung. Ein zweites Holo bildete sich.

Darin wirkten die Netzfasern wie golden leuchtende, engmaschige Fäden.

Der junge Pilot überwand seine Erstarrung und riss die Augen auf. »Das ist doch nicht möglich! Ein Netzweber? Ist das ein Netzweber? Seit fast fünfzig Jahren ist im Stardust-System keiner mehr gesichtet worden!«

»Ich weiß«, sagte Perry Rhodan. Er überlegte fieberhaft. Die Netzweber stellten eigentlich keine Bedrohung dar. Sie waren intelligente Wesen, deren Körper in Gestalt großer fliegender Netze aus hyperenergetischen Strukturen bestanden und die sich von derselben Strahlung ernährten.

Und sie waren natürliche Teleporter, konnten mit der Kraft ihres Geistes bis zu 50.000 Lichtjahre überwinden. In Anthuresta hatten sie Transportfunktionen übernommen, forderten dafür aber einen Preis. Sie verlangten, an der Gedankenwelt derjenigen, die sie transportierten, teilhaben zu können. Weigerten sich ihre Partner, ihre Gedanken zu öffnen, nahmen sie sie mitunter ungefragt.

Die Netzweber labten sich an den Gedanken ihrer Passagiere, verschmolzen mit ihnen. Ihre Kunden hatten mitunter den Eindruck, ihre Gedanken und Gefühle würden von innen nach außen gekehrt und aufgesogen, in einem gewaltigen Treibsand versickern, der sie gierig aufnahm.

Die Passagiere trugen keine Schäden davon, aber ...

Rhodan sah wie gebannt auf das Holo der Hyperortung. Die goldenen Fäden schienen sich immer enger zusammenzuziehen.

Der Netzweber will uns teleportieren!

»Vollen Schub!«, sagte er. »Versuch ... Ach, lass es!« Rhodan verstummte.

Mehul Tondesi sah ihn fragend an. Der junge Pilot mochte sich auf seinen Beruf verstehen, war aber von der Situation eindeutig überfordert.

Doch Mehul wollte das Unausweichliche nicht akzeptieren. Er hantierte an seinen Kontrollen, versuchte Manöver, die er auf der Akademie trainiert hatte, hoffte darauf, dem Netzweber entrinnen zu können.

Irgendwie erinnerte dieser blutjunge Vertreter der neuen Menschheit, der Stardust-Menschheit, Perry Rhodan an die Terraner, die er gekannt hatte, als er selbst jung gewesen war. An Menschen, die niemals aufgegeben hatten, die notfalls bis zum letzten Tropfen Blut dafür gekämpft hatten, einem anscheinend unausweichlichen Schicksal zu entrinnen.

Die neue Menschheit ist nicht mit der alten vergleichbar!, mahnte sich Rhodan. Zum Glück nicht. Seinen Aufbruch in den Kosmos hatte er mit Soldaten begonnen, die noch im Kalten Krieg zwischen den terrestrischen Atommächten aufgewachsen waren und sich dann von dem ersten Schritt aus dem Solsystem hinaus überlegenen Gegnern gegenüber gesehen hatten.

Dieser junge Pilot hatte niemals Krieg miterlebt, Atlans Sternengöttern sei Dank. Die gesamte Stardust-Menschheit war eine junge und friedlich expandierende Gesellschaft. Vor fast fünfzig Jahren, bei den Kämpfen in der Stardust-Galaxis, war vielleicht ein Drittel der heutigen Bevölkerung noch gar nicht geboren.

Nein, die ersten Terraner hatten sich grundlegend von den Stardust-Menschen unterschieden. Bei aller Erinnerung an den vergleichbaren Schwung, die Tatkraft und Kreativität, die die neue Menschheit an den Tag legte, fielen Rhodan stets die Unterschiede ins Auge. Hier kamen junge Soldaten nicht von einem harten Kampfeinsatz nach Hause, sondern gut ausgebildet von der Akademie.

»Gib es auf.« Rhodan atmete tief durch und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Es ist sinnlos. Wir haben keine Chance.«

Tondesi konnte den Blick nicht von ihm lösen. »Aber ich muss doch ...«

»Es gibt kein Entrinnen«, sagte Rhodan ruhig. »Wir können dem Netzweber nicht entkommen. Aber uns wird nichts passieren.«

Seine Gelassenheit beruhte auf Erfahrungswerten. Er hatte schon einmal engeren Kontakt mit zwei Netzwebern namens Radyl und Felna gehabt. Das war schon einige Zeit her ...

»Er will uns nichts Böses. Ich weiß nicht, was er von uns will, aber eine Flucht vor ihm ist unmöglich.« Rhodan warf einen Blick auf das Holo. Der Netzweber kam dem Shuttle rasch näher, umschloss es mit einem immer festeren Griff.

Der unsterbliche Terraner wusste, was nun geschehen würde.

Das Netz zog sich enger.

Immer enger.

Dann sprang der Netzweber mit dem Shuttle in die Transition.

 

*

 

Einen Moment lang waren Perry Rhodans Gedanken noch völlig klar.

Er wusste, wer er war und weshalb er hier war.

Hier, in der fernen, nur über das Polyport-System erreichbaren Galaxis Anthuresta, über 660 Millionen Lichtjahre von der heimischen Milchstraße entfernt. Oder genauer gesagt, in dem lebensleeren Kugelsternhaufen Far Away, in dem eine neue Menschheit ihr Zuhause gefunden hatte.

Die Stardust-Menschheit. 804 Millionen Menschen, die ausgewandert waren, als eine unglaubliche Bedrohung die heimatliche Milchstraße an den Rand der Auslöschung gebracht hatte.

Auf der Reise durch das Polyport-System hatte Rhodan lange über die neue und die alte Menschheit nachgedacht. Die erste Generation der Stardust-Terraner hatte die Heimat verlassen, weil unglaublich viele feindliche Raumschiffe über eineinhalb Jahre lang das Solsystem belagert hatten. Wie setzten sich die heutigen Folgegenerationen mit dieser Abstammung eigentlich auseinander? War diese Frage bei der Stardust-Jugend vielleicht schon kein Thema mehr?

Er hatte in der Milchstraße das Distribut-Depot ITHAFOR betreten und war von dort aus mithilfe einer uralten Technik zum Transport-Hof NEO-OLYMP im Stardust-System gereist. Gute vier Stunden hatte er dafür gebraucht, diese unfassbare Entfernung zurückzulegen.

Eine Routinereise. Nichts Außergewöhnliches. Als Polyport-Präfekt war er nach Far Away gereist, um Repräsentationspflichten zu erfüllen. Die Bevölkerung des Stardust-Systems, die neue Menschheit, sollte über eine Verfassungsänderung und einen neuen Namen für den Kugelsternhaufen Far Away abstimmen. Eine große Feier war angesagt, zu der er selbstverständlich eingeladen worden war. Tetsuro Corris, der aktuelle Administrator der Stardust-Menschheit und sein Gastgeber, fieberte dem Ende des Tages und der Abstimmung entgegen.

Doch dann war der Netzweber gekommen. Er hatte ... er hatte ...

Der Entzerrungsschmerz brandete in Rhodan empor. Er begann peinigend und stechend in Kopf und Nacken, dehnte sich dann auf den Rücken, schließlich den gesamten Körper aus.

Rhodan fiel auf, dass seine Gedanken immer unklarer wurden, verschwommener. Er versuchte, sich zu konzentrieren, doch es gelang ihm nicht. Er spürte, wie etwas an seinem Denken nagte, es zu vereinnahmen drohte.

»Krian«, murmelte er. »Krian ...« Der Mond des Planeten Zeus. Im Stardust-System. In Krians geostationärem Orbit befand sich NEO-OLYMP. Der Polyport-Hof. Dorthin war er gereist, und ... Ein Shuttle hatte ihn nach Aveda bringen sollen, der Hauptwelt des Stardust-Systems.

Ein Shuttle ...

Instinktiv wehrte er sich, als er spürte, wie etwas an seinen Gedanken zerrte, sie geradezu gierig aufsog. Der Vorgang war nicht mit Schmerzen verbunden, doch Rhodan war trotzdem nicht bereit, sich seine Gedanken nehmen zu lassen, seine Gefühle und Erinnerungen.

Es war ... unnatürlich.

Etwas labte sich an seinen Gefühlen und Erinnerungen, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte. Er fühlte sich, als würde jemand sein Innerstes vergewaltigen.

Doch dann kamen die Träume.

 

*

 

Rhodan sah unverständliche Bilder. Etwas sickerte aus ihm hinaus, doch er erhielt dafür etwas zurück.

Er hatte nicht danach verlangt, konnte es aber nicht verhindern.

War das ein luzider Wachtraum, wie die Netzweber sie einem manchmal vermittelten? Es war ihre Art der Kommunikation.

Zwei Wesen schlurften unter einem fahlroten Himmel zwischen Ruinen hindurch, die sich wie zerschmetterte Skelette von Dinosauriern emporreckten. Sie kamen ihm verschwommen bekannt vor, erinnerten ihn an ... an Jaranoc!

Selbstverständlich! An Jaranoc, diese Bewohner der Galaxis Anthuresta, die entfernt aussahen wie längst ausgestorbene Urweltechsen der Erde.

Aber das war nur eine entfernte Ähnlichkeit. Jaranoc waren stolze, kriegerische Geschöpfe von zweieinhalb Metern Größe mit breiten Schultern, die leicht ein Gewicht von 600 Kilogramm und mehr auf die Waage brachten. Die beiden Wesen waren deutlich kleiner. Sie sahen keineswegs so martialisch aus wie die Jaranoc, die Rhodan kennengelernt hatte, und schwächlicher. Ihnen sprossen keine spitz zulaufenden Hörner aus dem Schädel, und sie hatten keinen mit Stacheln besetzten Nackenschild.

Trotzdem war eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden: der gedrungene Körperbau, der dem eines Triceratops nicht unähnlich war, der rudimentäre, gebogene Schnabel, der kurze Schwanz.

Rhodan konnte sich keine weiteren Gedanken machen, ob er Jaranoc sah oder nicht, denn ein dunkler Schatten fiel über die Ruinen. Ein Raumschiff warf ihn, aber eins, wie er es noch nie gesehen hatte, unregelmäßig geformt und ...

Geschöpfe regneten aus dem Himmel, viele, ein Meer von ihnen. Sie sahen aus wie graue, hochgewachsene, aufrecht gehende Beuteltiere, Humanoide mit Känguruköpfen und Beuteln, die sich deutlich unter ihren Raumanzügen abzeichneten. Ihre Antigrav-Generatoren bewirkten, dass sie nicht stürzten, sondern schwebten, langsam, kontrolliert, zur Oberfläche des Planeten sanken.

Sie waren bewaffnet, eröffneten das Feuer. Rhodan sah, wie sie auf die Dinosaurierähnlichen schossen, sie jagten und verfolgten.

Ein Traum, dachte er. Das ist nur ein Traum. Ich träume von einem Krieg. Der Netzweber zeigt mir Bilder von Tod und Vernichtung. Das alles ist nicht wirklich.

Aber er wusste gleichzeitig, dass es wahre Bilder waren. So war es geschehen. Irgendwann, wahrscheinlich vor langer Zeit.

Pahl, dachte er, ohne zu wissen, was dieser Begriff bedeutete. Niemand hatte zu ihm gesprochen, auch die Bildszenen hatte er ohne ein Geräusch erlebt. Erlebt, nicht mit seinen Augen gesehen.

Die Traumbilder wurden undeutlich, verschwommen. Sie verschmolzen miteinander, ergaben keinen Sinn mehr. Rhodan sah, wie Echsen und Beuteltiere starben, sich mit schrecklicher Inbrunst umbrachten.

Langsam lösten sich die Bilder auf. Mit ihnen verschwand der Entzerrungsschmerz der Transition.

Rhodan rang nach Atem. Schweiß perlte auf seiner Stirn, tropfte aufs Gesicht. Sein Puls raste.

Die Traumbilder wirkten einen Augenblick lang nach, lösten ein verstörendes Echo in seinem Inneren aus. Sie hatten einen konkreten Ursprung, davon war er überzeugt. Aber sie waren zugleich verfremdet, nicht für bare Münze zu nehmen.

Sie verblichen endgültig. Langsam nahm das Innere der Zentrale des Shuttles wieder konkrete Züge an.

»Eine Warnung«, flüsterte er. Er war auf einmal felsenfest davon überzeugt, dass der Netzweber ihm eine Warnung hatte zukommen lassen wollen.

Doch wovor?

Rhodan sah, dass Mehul Tondesi mit weit aufgerissenen Augen in seinem Pneumosessel lag. Der junge Pilot starrte ins Leere. Äußerlich fehlte ihm nichts, doch sein Gesicht war bleich und verzerrt. Sein Atem ging unnatürlich schnell.

Der Kontakt mit dem Netzweber hatte Tondesi viel stärker zu schaffen gemacht als ihm, dem Aktivatorträger mit der Mentalstabilisierung.

Rhodan zitterte plötzlich. Nicht nur wegen des Nachhalls der Furcht und des Schreckens, der seine Gedanken noch hartnäckig überlagerte. Es war merklich kühler in der Zentrale des kleinen Raumschiffs geworden.

Ein leises Zischen zerrte ihn endgültig in die Wirklichkeit zurück.

Mehul Tondesis Raumanzug wies mehrere kleine Lecks auf, durch die langsam, aber stetig Sauerstoff ausströmte.

 

*

 

Rhodan schüttelte sich, um die letzten Eindrücke des hartnäckig verharrenden Traums zu beseitigen, und griff nach der Schulter des Piloten. Er zerrte daran. »Der Netzweber hat das Shuttle freigelassen und ist verschwunden.«

Der junge Mann öffnete die Augen, doch Rhodan erkannte, dass Tondesi nicht sah, was um ihn herum vorging. Es würde noch eine Weile dauern, bis er sich vollends erholt hatte.

Rhodan wandte sich den Kontrollen hinter dem Sitz des Piloten zu. »Ortungsholo!«, forderte er.

Er verharrte inmitten der Bewegung. Die angeforderte dreidimensionale Darstellung bildete sich nicht. Offensichtlich war das kleine Shuttle beschädigt worden. Es war auf Transitionen nicht ausgelegt. Vielleicht war die Energieversorgung ausgefallen, als der Netzweber es freigegeben hatte, und mit ihr der Prallschirm. Winzige Gesteinsbrocken waren wie Geschosse durch das Shuttle geknallt ...

Aber das bedeutete ... Rhodan lauschte, hörte aber nichts.

Er rief die Positionsanzeige manuell auf.

Das Shuttle trieb ganz außen im Stardust-System, fast auf Höhe der Umlaufbahn des 22. und äußersten Planeten, eines mondlosen Eisbrockens. Derzeit war er fast hundert Milliarden Kilometer von seiner Sonne entfernt.

Sehr, sehr weit entfernt von Aveda und den anderen Planeten in der Lebenszone des Stardust-Systems.

Rhodan versuchte, die Funkanlage zu aktivieren, um einen Notruf zu senden. Es gelang ihm nicht. Ein kurzer Check zeigte ihm, dass auch das Triebwerk und die Lebenserhaltung ausgefallen waren.

Sie trieben am Rand des Systems hilflos durchs All.

Rhodan atmete tief durch.

Der Ausfall der Lebenserhaltung bedeutete, dass die Temperatur unaufhaltsam sinken würde. Das war wahrscheinlich noch schlimmer als der Ausfall der Atemgasregeneration.

Wie lange würde die Luft in der kleinen Kabine reichen? Er konnte notfalls auf die Sauerstoff-Versorgung seines Raumanzugs zurückgreifen, den er vorschriftsmäßig angelegt hatte. Mehul Tondesi hatte diese Option nicht. Das Zischen, mit dem die Luft aus den kleinen Rissen in dessen Anzug strömte, schien immer leiser zu werden.

Dass er dieses Zischen überhaupt vernahm, bestätigte Rhodans schlimmste Befürchtungen. Auch die Kanzel des kleinen Shuttles musste ein Leck aufweisen, durch das sie wertvolle Atemluft verloren.

Die Kälte des Alls schien unaufhörlich tiefer in Rhodans Körper zu dringen. Ihm wurde klar, dass ihre Lage viel prekärer war, als er nach dem Ende der Transition angenommen hatte.

Würde man hier nach ihnen suchen?

Plötzlich wurde er sich der Stille bewusst, die ihn umgab. Er hörte nur die Geräusche, die er selbst verursachte.

Und das leise Zischen der Atemluft, die aus Tondesis Raumanzug entwich.

 

 

Zwischenspiel

Vergangenheit

1469 NGZ

 

Übergangslos wurde er wach.

Er wusste, er hatte geschlafen. Lange geschlafen, ohne wirklich Ruhe zu finden.

Sehr lange.

Eine Ewigkeit.

Aber mehr wusste er nicht. Weder, wer er war. Noch, wie lange er geschlafen hatte. Auch nicht, warum er überhaupt geschlafen hatte.

Er war verwirrt. Er ahnte, dass etwas geschehen sein musste. Etwas von außerordentlicher Bedeutung, das sein Erwachen herbeigeführt hatte.

Doch er konnte sich nicht erinnern. Er suchte in seinem Verstand, aber ... da war nichts. Gar nichts.

Erschüttert wurde ihm klar, dass er keine Erinnerungen mehr hatte. Jedenfalls keine konkreten.

Erinnerungen machten jedes Wesen aus. Ein Wesen ohne Erinnerungen war leer. Wertlos wie ... wie ...

Tau, dachte er. Wertlos wie Tau.

Weshalb war er erwacht? Was war geschehen?

Auch das wusste er nicht.

Er horchte. Nach außen, in sich hinein.

Er war allein. Außer ihm war hier niemand.

Abrupt befürchtete er, mit der Zeit verrückt zu werden. Die Einsamkeit würde ihn in den Wahnsinn stürzen. Er hatte so etwas schon einmal durchgemacht, und ... und ...

Dann kamen die Schmerzen. Plötzlich und unvermittelt erfüllten sie ihn.

Und eine weitere Ewigkeit später hörte er die Stimme.

»Hab keine Angst«, sagte sie. »Ich bin bei dir. Ich werde dich beschützen und dir dienen, wie ich es immer getan habe.«

2.

Sepura 2

Ende April 1513 NGZ

 

Der Autopilot der GRINGER setzte zur Landung auf dem zweiten Planeten des Sepura-Systems an, und ein merkliches Knirschen ging durch das Schiff.

James Birungi lehnte sich angespannt in seinem Pneumosessel zurück.

Starts und Landungen wurden allmählich kritisch. Die GRINGER hatte einige Jahrzehnte auf dem Buckel; die meisten Teile der Space-Jet stammten noch aus der Milchstraße. Er wusste, dass sie »zusammengebastelt« worden war – aber eigentlich hatte sie jahrelang gut funktioniert.

Nun fehlte ihm das Geld für die eigentlich vorgeschriebenen Wartungen. Also bat er gelegentlich einen TALIN-Jäger, der etwas von Technik verstand und handwerkliches Geschick hatte, nach den wichtigsten Systemen zu sehen. Das war eine Notlösung, aber etwas anderes konnte er sich nicht leisten.

Nach diesem Flug würde alles anders werden, da war er sicher. Bei dieser Mission würde er endlich Glück haben. Vielleicht würde er ein altes, noch funktionsfähiges Waffensystem finden, das er an die Stardust-Administration verkaufen konnte. Oder wertvolle Hyperkristalle. Oder ...

Nein. Er wagte kaum daran zu denken.

Oder den Hauptpreis. Das große Los.

Die Unsterblichkeit.