hz-logo-s

 

 

Vorschau

Das Haus Zamis Band 49: Der Alchemist

Lydia ist in eine Goldstatue verwandelt worden. Ihre letzte Hoffnung ist der geheimnisvolle Alchemist, der angeblich Gold in – nun, etwas anderes verwandeln kann. Aber nicht immer geht es dabei so zu, wie man sich das erhofft hat.

Gleichzeitig macht Vindobene wieder seine vagen Andeutungen. Er spürt, dass im Café Zamis ein weiterer Dämon der sieben Todsünden drauf und dran ist, sein Gefängnis zu verlassen …

 

 

Mehr Informationen, aktuelle Erscheinungstermine

und Leserreaktionen zur Serie unter:

 

 

www.Zaubermond.de

 

 Midwinterblut

 

 

hz-logo

 

Band 48

 

Midwinterblut

 

von Logan Dee und Susan Schwartz

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

© Zaubermond Verlag 2016

© "Das Haus Zamis – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: Die Autoren-Manufaktur

 

http://www.zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

Malte S. Sembten

(Rüdiger Silber)

 

* 1. Juli 1965  † 22. April 2016

 

 

Was bisher geschah:

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert. Das geheimnisvolle »Café Zamis«, dessen wahrer Ursprung in der Vergangenheit begründet liegt und innerhalb dessen Mauern allein Cocos Magie wirkt, ist zu einem neutralen Ort innerhalb Wiens geworden. Menschen wie Dämonen treffen sich dort – und manchmal auch Kreaturen, die alles andere als erwünscht sind …

Unterdessen wird Coco Zamis von Asmodi erpresst. Der Fürst der Finsternis entreißt ihr das noch ungeborene Kind und benutzt es als Pfand. Während die junge Hexe bisher sicher war, dass sie es von dem Verräter Dorian Hunter empfangen hat, behauptet Asmodi, dass er es ist, der sie geschwängert hat.

Um ihr ungeborenes Kind wiederzuerlangen, begibt sie sich in Asmodis Hände. Doch keine der Aufgaben, die er ihr stellt, erfüllt sie zu seiner Zufriedenheit. Behauptet zumindest er und erpresst sie weiterhin.

Schließlich gelingt es ihr mit der Hilfe ihrer Familie, Asmodi den Fötus zu entreißen.

Aber jetzt ist es ihr eigener Vater, Michael Zamis, der ihr den Fötus verweigert.

Auf der Suche nach ihrem gestohlenen Dämonen-Fötus reist Coco Zamis nach London. Zufällig trifft sie ihren tot geglaubten Liebhaber wieder: Dorian Hunter. Doch der erkennt sie nicht, lädt sie aber in seine Villa in der Baring Road ein. Dort stößt Coco auf ein entsetzliches Geheimnis: Hinter einer mit magischen Schutzzeichen versperrten Kellertür wird ihr ungeborenes Kind versteckt gehalten. Dorian Hunter entpuppt sich als Marionette ihrer Familie. Er lebt in einer magisch erzeugten Scheinwelt. Coco kämpft mit allen Mitteln um ihr Kind. Mithilfe des geheimnisvollen Damon Chacal gelingt es ihr schließlich, den Fötus an sich zu bringen. Um ihn fürs Erste allen Widersachern zu entziehen, beschwört sie den einstigen Hüter des Hauses Zamis aus dem Reich der Toten und gibt ihr Ungeborenes in dessen Obhut.

Zurück in Wien erwarten Coco weitere Schwierigkeiten: Eine Dämonin namens Irene trachtet ihr nach dem Leben. Irene behauptet zunächst, die Schwester Dorian Hunters zu sein, dann jedoch stellt sie sich als seine ehemalige Geliebte heraus. Aufgewachsen ist Irene bei Mother Goose, einer alten Hexe, die mit Hilfe von Lebensuhren Macht auf Menschen und Dämonen ausübt. Um ihre Eltern und ihre Geschwister von einem tödlichen Fluch zu befreien, geht Coco Zamis einen Pakt mit Mother Goose ein, der ihre Familie zu zerreißen droht. Denn langfristig strebt Mother Goose eine Vormachtstellung in der Schwarzen Familie an – und damit sagt sie auch Michael Zamis den Kampf an …

 

 

Erstes Buch: Mother Goose

 

 

Mother Goose

 

von Logan Dee

 nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

 

1.

 

Wie aus dem Nichts lagen plötzlich zwei pergamentene Schriftstücke auf dem Tisch. Ich überflog sie und nickte schließlich. Nach wie vor blieb mir keine andere Wahl.

Zuvor aber vereidigte mich Skarabäus Toth, damit ich im Auftrag meiner Familie unterschreiben konnte. Dann ritzte er mich mit einem scharfen Dolch, sodass Blut aus einer Ader spritzte. Er tauchte eine Feder hinein und reichte sie mir.

Mit schwarzem Blut unterzeichnete ich den Vertrag.

Ich wusste, dass mein Vater mich dafür töten würde.

Plötzlich legten sich von hinten zwei kräftige Hände um meinen Hals. Vater! 

 Ich hatte nicht gewusst, dass er so schnell von meinem Verrat erfahren würde.

Erbarmungslos drückte er zu. Ich rang nach Luft, keuchte …

 

Ich schreckte hoch, schnappte nach Luft und begriff erst ganz allmählich, dass ich nicht in Gefahr war. Ich lag in meinem Bett und hatte geträumt.

 Aber nur der letzte Teil, dass mein Vater plötzlich aufgetaucht war und mich erwürgte, war pure Fantasie. Der Rest war leider wahr und hatte sich tatsächlich so ereignet. Ich hatte mit meinem Blut geschworen, Mother Goose bei ihrem größenwahnsinnigen Plan, die Wiener Sippen anzuführen, zu unterstützen.

Ich war jetzt eine Woche wieder in Wien, ohne jedoch aktiv geworden zu sein. Weder Mother Goose noch Skarabäus Toth, der zu offensichtlich mit ihr paktierte, hatten bisher wieder Kontakt mit mir aufgenommen. Doch ich wusste, dass ich mich nicht der Hoffnung hingeben konnte, dass sie den Vertrag auf sich beruhen lassen würden.

Ich stand auf. Mein Hals schmerzte noch immer. Als hätte ich Vaters Angriff nicht bloß geträumt. Ich ging ins Badezimmer und schaute in den Spiegel. Fast wäre ich zurückgeprallt. Mein Hals war blutunterlaufen. Und deutlich zeichneten sich die Abdrücke einzelner Finger darauf ab.

Vaters Finger? War er hier gewesen und hatte mich tatsächlich gewürgt? Oder hatte er einen Meucheldämon ausgeschickt? Aber warum? Noch hatte ich ihm nichts von dem Vertrag erzählt … Oder hatte er es anderweitig herausbekommen?

Ich rieb den Hals mit einer Hexensalbe ein und murmelte einen Heilzauber. Der Schmerz klang sofort ab, aber die Abdrücke waren noch immer zu erkennen. Ich sah sie mir noch einmal genauer an. Nein, das waren nicht Vaters Finger. Die Abdrücke erinnerten eher an Klauen.

 Ich wusch mich, zog mich an und schlang mir ein Halstuch um, damit man die Male nicht gleich sah. Dann ging ich hoch ins Café Zamis.

Es war sechs Uhr morgens. Ein paar Nachtschwärmer hingen noch herum, ausschließlich Angehörige der Schwarzen Familie. Sie beachteten mich nicht.

 Karl stand gelangweilt hinter dem Tresen und nickte mir kurz zu.

 »Du siehst übermüdet aus«, sagte er. »Einen Espresso?«

»Lieber einen Großen Braunen«, sagte ich und nahm an der Theke Platz. Im Spiegel waren die meisten meiner Gäste nicht zu sehen. Nur ein Hexerpärchen und der Piranhamann waren zu erkennen. Ich nannte ihn so, weil mich sein Fischkopf an einen Piranha erinnerte. Sein Maul, aus denen die vielen spitzen Zähne lugten, war furchterregend. Er war nur ein sporadischer Gast im Café Zamis. Ich weiß nicht, warum er mir heute besonders auffiel, vielleicht, weil er heute noch trauriger wirkte als sonst. Er saß vornübergebeugt und löffelte lustlos eine kalte Fischklößchensuppe. Unter seinem Sitz hatte sich eine Wasserlache gebildet. Ich wusste nicht, wie er unter dem langen schwarzen Regenmantel, den er nie ablegte, aussah, aber manche Dinge wollte ich auch gar nicht wissen.

Nachdem mir Karl den Großen Braunen zubereitet hatte, trat ich an den Tisch des Piranhamannes und fragte: »Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

Er schaute auf und sah mich aus seinen schwarzen Fischaugen gierig an, als taxierte er seine nächste Beute. Dann verschwand dieser Glanz, und er nuschelte: »Es ist Ihr Café, Frau Zamis. Es ist mir eine Ehre, dass Sie mir Gesellschaft leisten.«

»Darf ich fragen, wie Sie heißen?«

»Berthold Honsowitz, aber tut das etwas zur Sache?«

Ich nahm Platz und nippte an meinem Großen Braunen. »Sie sehen so aus, als bedrücke Sie etwas«, sagte ich.

»Und? Was kümmert Sie das?« Er fuhr damit fort, seine Suppe zu löffeln.

»Das Café Zamis ist nicht nur für die leiblichen Stärkungen da, ich fühle mich auch für das seelische Wohl meiner Gäste zumindest mitverantwortlich.«

Das klang zwar ziemlich hochtrabend, aber es traf den Punkt. Mittlerweile hatte ich mich damit abgefunden, die Welt nicht retten zu können. Aber ich konnte zumindest versuchen, meine unmittelbare Umgebung friedlicher und freundlicher zu gestalten. Dass auch immer mehr Dämonen mein Café besuchten, bewies mir, dass ich auf dem richtigen Weg war.

»Sie haben mich vergrault«, nuschelte Honsowitz. »Ich muss mir eine neue Bleibe suchen …«

»Wer hat Sie vergrault?«

Er legte den Löffel beiseite und sah mich grimmig an: »Die verdammten Selkies! Sie haben mich im Schlaf überfallen und meinen Abwassertunnel für sich beansprucht …«

Selkies? Ich war alarmiert. Also hatten die Selkies Lydias Spur aufgenommen und trieben sich nun in Wien herum.

»Das ist wirklich bedauerlich«, rang ich mir ab.

»Das hilft mir auch nicht weiter. Zurück in die Wien traue ich mich nicht. Haben Sie vielleicht einen kühlen Platz für mich?«

Ich fühlte mich plötzlich mitschuldig. Es war falsch, denn nicht ich hatte die Selkies in Rage versetzt, sondern meine Schwester Lydia. Sie hatte einen Selkie getötet. Jeder in der Schwarzen Familie wusste, dass so etwas Unglück nach sich zog. In diesem Fall war es so, dass sie nach Rache dürsteten.

 Ich überlegte kurz. Feuchte Kellerräume gab es unter dem Café Zamis genug, und auch eine Matratze würde sich finden lassen. »Ich spreche mit Karl«, sagte ich. »Er soll Ihnen einen Schlafplatz herrichten.«

Honsowitz sah mich dankbar an. Dennoch war da wieder ein gieriges Funkeln in seinem Blick, das mir Sorge bereitete.

Bevor ich es mir noch anders überlegte, stand ich rasch auf und ging wieder zu Karl hinüber. Als er hörte, was ich vorhatte, gab er ein unwilliges Knurren und Murmeln von sich, das ich interpretierte als: »Wir sind doch keine Absteige für Obdachlose!«

»Es ist ja vielleicht nur für ein paar Nächte«, beschwichtigte ich ihn, obwohl ich das selbst nicht glaubte. Ich hatte keinen Grund, Honsowitz’ Worte in Zweifel zu ziehen. Wenn die Selkies wirklich in der Wien aufgetaucht waren, würden sie erst wieder abziehen, wenn sie den Tod ihres Artgenossen gerächt hatten.

Was saß ich hier noch herum? Ich musste Lydia auf dem schnellsten Wege warnen. Ich stand auf, zog mein Handy aus der Tasche und wollte mich gerade an einen stillen Ort zurückziehen, als ein weiterer Gast das Café betrat.

Ich staunte nicht schlecht, als ich meinen Bruder Georg erkannte. Meine Familie mied das Café. Normalerweise kamen sie nur, wenn es Probleme gab. Und auch diesmal schaute mein Bruder nicht gerade freundlich drein, während er sich mir näherte. Wenigstens sah er wieder normal aus, seinem Dämonenalter entsprechend und nicht wie ein Jugendlicher. Mother Goose hatte also Wort gehalten und den Verjüngungsfluch, den sie über meine Familie verhängt hatte, zurückgenommen.

Ich setzte eine freundliche Miene auf und begrüßte ihn. »Magst du auch etwas trinken?«

»Nein«, sagte er unwirsch und betrachtete Karl und die Gäste. »Sag mal, ist das hier eine öffentliche Versammlung oder so was? Ich muss unter vier Augen mit dir reden.«

»Meinetwegen.« Ich ging voran und führte ihn in eine Nische. Dort ließ ich ihn Platz nehmen.

Er schien noch immer nicht überzeugt. »Bist du dir sicher, dass man uns hier nicht hört?« Von einem der anderen Tische drangen Stimmen herüber. Man konnte jedes Wort verstehen.

»Keine Sorge, von hier aus kann man alles hören, aber nichts dringt heraus.«

Es war eines der vielen Geheimnisse des Cafés. Ich hatte es nur per Zufall entdeckt, aber seitdem war dieser Bereich nur für mich zugänglich. Eine magische Barriere hielt unbefugte Gäste fern.

»Dein Wort in Asmodis Ohr«, sagte Georg und setzte wieder seine Leidensmiene auf.

»Was führt dich zu mir?«, fragte ich geradeheraus. »Sag nicht, du überbringst mir den offiziellen Dank unseres Vaters, weil ich euch gerettet habe.«

»Du hast dich seit deiner Rückkehr nicht mehr bei uns gemeldet«, erinnerte mich Georg.

»Muss ich das?«, fragte ich extra spitz. »Vielleicht habt ihr es schon gemerkt: Ich wohne nicht mehr in der Villa Zamis, sondern hier. Und zwar schon seit einiger Zeit.«

»Trotzdem gehörst du zur Familie«, widersprach Georg. »Und das Oberhaupt ist nun mal unser Vater …«

»Mal schickt er mich zum Teufel, mal erklärt er mich für vogelfrei, und wenn es ihm passt, kehrt er den alten Patriarchen heraus und will, dass ich ihm Rede und Antwort stehe und …«

Georg hieß mich einer ungeduldigen Geste zu schweigen. »Ich bin wegen Lydia hier«, sagte er. »Sie hat uns erzählt, was in Goosetown passiert ist und dass du es irgendwie geschafft hast, den Fluch von uns zu nehmen.«

»Wie ich sehe, hat es funktioniert.«

»Ja, nur nicht bei Lydia!«

Das war ein Schock für mich. »Aber … das verstehe ich nicht.« Hatte Mother Goose ihr Wort nicht gehalten? Oder hatte Lydia die alte Hexe derart verärgert, dass sie sie nach wie vor bestrafte? Lydia hatte mir erzählt, wie sauer Mother Goose gewesen war, als sie ihr das schwarze Herz des Selkies überreichen wollte.

»Wie wär’s, wenn du mir erzählst, was in Goosetown wirklich passiert ist?«, schlug Georg vor.

»Damit du zu unserem Vater rennst und ihm brühwarm alles berichtest.«

»Wäre das so schlimm?«

Ich konnte Georgs Blick nicht aushalten. Ich spürte seinen Willen, seine Macht. Er setzte seine Hexerkräfte ein, um meinen Willen zu brechen.

Erzähl es mir, Coco! Ich will die Wahrheit hören. Die ganze Wahrheit!

»Hör auf damit!«, befahl ich. Er wusste genau, was ich meinte, und augenblicklich beendete er seine Attacken.

»Ich sag es dir auch so. Aber zuerst musst du mir versprechen, es für dich zu behalten.«

»Meinetwegen. Du irrst dich nämlich, wenn du glaubst, ich hätte nichts Besseres zu tun, als es unserem Vater weiterzutratschen. Du weißt, dass ich auf deiner Seite bin.« Er klang nun leicht eingeschnappt. Außerdem musste er mir das nicht extra sagen. Trotzdem tat es gut, es noch einmal versichert zu bekommen. Natürlich hatte sich Georg öfter auf meine Seite geschlagen als jedes andere Familienmitglied.

Also erzählte ich ihm von dem Vertrag, den ich mit Mother Goose abgeschlossen hatte. Danach herrschte erst einmal Stille. Fassungslos sah er mich an.

»Das kann ich nicht glauben!«, sagte er schließlich. »Meine Schwester ist einen Pakt eingegangen, der unsere ganze Familie in den Schmutz zieht und ihren Untergang bedeuten kann!«

»So ist es nicht«, verteidigte ich mich, aber ich merkte selbst, wie unsicher ich klang. »Ich helfe der alten Schachtel dabei, einige ihrer Feinde aus Wien zu vertreiben. Mir wird schon eine Lösung einfallen, wie ich aus dem Vertrag wieder rauskomme!«

»Das glaubst auch nur du!«, Er fasste sich an den Kopf. »Wie naiv muss man sein, um einen Vertrag zu unterschreiben, bei dem Skarabäus Toth seine Finger im Spiel hat!«

»Vergiss das einfach alles«, sagte ich genervt. »Ich musste es tun! Sonst würdest du jetzt wahrscheinlich nicht mehr leben. Und Vater und Mutter auch nicht. Und was Lydia betrifft, da finde ich schon eine Lösung.«

Georg sprang auf, so heftig, dass der Stuhl gegen die Wand prallte und polternd zu Boden fiel. Wäre ein Laut nach draußen gelangt, wären die Gäste wohl ebenso erschrocken aufgesprungen. So aber schaute niemand zu uns rüber.

»Ich wäre lieber tot, als die Ehre unserer Familie aufs Spiel zu setzen!«, rief er zornentbrannt. Er funkelte mich wütend an. »Deshalb also hast du dich hier verkrochen, anstatt unserem Vater Bericht zu erstatten!«

»Ich muss niemandem Bericht erstatten!«, schrie ich zurück. Auch ich war jetzt wütend. Ich hatte die Nase voll, mir ewig ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen. Das hatte ich schon selbst zur Genüge.

 Trotzdem beherrschte ich mich und nahm einen neuen Anlauf: »Hör zu, Georg, lass uns vernünftig miteinander reden …«

»Es gibt nichts mehr zu bereden«, sagte er. »Ab sofort kannst du nicht mehr mit meiner Hilfe rechnen!«

Kopfschüttelnd verließ er unsere Nische und verließ wutentbrannt das Café.

 Ich wusste, dass ich Mist gebaut hatte. Dazu hatte es Georgs Anklage nicht bedurft. Aber ich hatte keine andere Möglichkeit gesehen, um ihn und meine Eltern zu retten. Und auch jetzt, eine Woche später, wusste ich keine Lösung. Die Nachrichten, dass die Selkies in der Wien aufgetaucht waren und Lydia noch immer alterte, zeigten mir, dass eines jedoch zwecklos gewesen war: sich der Hoffnung hinzugeben, es würde sich alles schon wieder einrenken.

Es gab nur eine Möglichkeit: Ich musste meinem Vater gegenübertreten und versuchen ihm klarzumachen, dass ich den Pakt nur zum Wohl unserer Familie eingegangen war.

 

Er war kreuz und quer durch die Stadt gefahren. Selten hatte sich Georg derart hintergangen gefühlt. Selten so enttäuscht. Und selten so ratlos. Wenn es stimmte, was ihm seine Schwester erzählt hatte, dann stand die Zukunft seiner Familie auf dem Spiel. Wenn erst die ersten von Mother Goose’ Lebensuhren verteilt waren, gab es kein Zurück mehr. Irgendwann würden die betroffenen Familien darauf kommen, dass Coco dahintersteckte. Und dann war es nur eine Frage der Zeit, bis die gegnerischen Familien allen Zamis den Krieg erklärten – nicht nur Coco.

Er war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht merkte, wie die Ampel auf Grün sprang. Hinter ihm begann ein Hupkonzert.

 »Ihr könnt mich alle mal!«, schrie Georg und stieg aus. Den Wagen ließ er einfach stehen. Mit einem Schnippen sorgte er dafür, dass nicht nur das Hupkonzert aufhörte, sondern alle Wagen hinter ihm plötzlich nicht mehr ansprangen. Es würde Stunden dauern, bis ihre Fahrer sie flottbekommen würden. Und ebenso viele Stunden, bis das daraus resultierende Verkehrschaos beseitigt werden würde.

Georg grinste. Das alles war zwar etwas pubertär, aber es tat verdammt gut, sich abzureagieren. So langsam bekam er wieder einen kühlen Kopf. Trotzdem, was hatte sich seine Schwester dabei gedacht? Und er war verdammt, den Mund darüber zu halten. Er hatte es ihr geschworen.

Andererseits hatten sie gemeinsam immer einen Ausweg gewusst. Vorrangig erschien ihm dabei Lydias Zustand. Er mochte seine große Schwester nicht besonders, aber das Schicksal hatte sie nicht verdient. Er hatte am eigenen Leibe erlebt, wie der Zauber wirkte, wenngleich er ihn hatte jünger werden lassen. Mother Goose’ Magie hatte nicht nur seinen Körper verändert, sondern auch seinen Geist. Zuletzt hatte er nicht nur ausgesehen wie ein Kind, sondern auch so gedacht.

Noch immer gedankenverloren bog er in die Ratmannsdorfgasse ein. Schon von Weitem sah er eine seltsame Gestalt vor dem Grundstück der Villa stehen. Sie war hochgewachsen, größer als die zwei Meter hohe Steinmauer, die das Anwesen umgab. Es war eine Frau, wie er erkannte. Sie trug ein enges schwarzes Catsuit, das ihn an einen Taucheranzug erinnerte. Und tatsächlich trug sie Flossen an den Füßen.

Als er sich ihr näherte, fuhr ihr Kopf herum. Die nassen, schulterlangen Haare klebten an ihrem Kopf. Die grauen Augen blitzten ihn an. Ansonsten wirkte sie durchaus attraktiv. Als er fast heran war, griff sie an. Ohne Vorwarnung stürzte sie sich auf ihn. Sie war so schnell, dass er ihren Bewegungen kaum mit den Augen folgen konnte. Instinktiv ließ er sich rückwärts fallen und wirkte einen Schutzzauber. Im letzten Moment prallte sie dagegen. Er sah ihr weit aufgerissenes Maul mit dem scharfen Gebiss darin und wagte sich nicht vorzustellen, wie er jetzt aussehen würde, wenn sie ihn erwischt hätte. Sie schrie auf und ging zu Boden. Georg setzte nach. Er versuchte sie zu fassen, aber sie war feucht und glitschig wie ein Fisch. Doch nach wie vor gelang es ihr nicht, seinen Schutzzauber zu überwinden. Schließlich standen sie sich wie zwei Catcher gegenüber und taxierten sich.

»Lassen wir doch den Unsinn!«, schlug Georg vor. »Was willst du von mir?«

»Bist du ein Zamis, oder warum tauchst du hier auf?«, fragte die Dämonin mit hasserfüllter Stimme.

»Fragst du immer erst hinterher? Ja, ich bin ein Zamis. Wenn du schon mal von uns gehört hast, dann solltest du wissen, dass es böse enden kann, wenn man sich mit uns anlegt.«

»Dann gehörst du also zu dieser Brut! Ich suche eine Lydia Zamis, um ihr etwas mitzuteilen.«

»Klar, und deshalb greifst du mich an, was?« Er sah sie abschätzend an. Sein Blick glitt an ihr herunter. Was er für Taucherflossen gehalten hatte, waren echte Flossen. Irgendwie konnte sie darauf stehen.

»Sei froh, dass ich dich nicht getötet habe. Aber vielleicht bist du ja später an der Reihe. Bist du ihr Bruder?«

»Allerdings, und ich werde dich auf keinen Fall zu meiner Schwester lassen. Verzieh dich, sonst …

Die Selkie-Dämonin gab einen pfeifenden Laut von sich. Er war so schrill, dass sich Georg am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Gleichzeitig kamen aus allen Ecken und Winkeln weitere Selkies hervorgesprungen. Sie bewegten sich blitzschnell auf dem Asphalt und dem Bürgersteig und glitten auf ihn zu. Dabei hinterließen sie eine dicke Schleimspur.

»Glaub mir, wir sind schneller«, sagte sein Gegenüber kalt lächelnd. »Du schaffst nicht mal einen Schritt auf euer Grundstück. Bevor du auch nur die Tür aufgeschlossen hast, haben wir dich zerfetzt.«

Schneller, als er reagieren konnte, hatten ihn die Selkies umringt. Er rümpfte die Nase, als ihr penetranter Fischgeruch ihn wie eine Wolke einhüllte. Die meisten von ihnen ließen noch furchterregendere Gebisse als seine Gesprächspartnerin in der Morgensonne blitzen.

»Also gut, ich sehe ein, dass ich euch unterlegen bin«, seufzte Georg und gab sich scheinbar geschlagen. In nächsten Augenblick versetzte er sich in den schnelleren Zeitablauf. Seine Umgebung schien zu erstarren, während er selbst sich weiter bewegte. Die Gartentür vor ihm sprang auf. Natürlich hatten sein Vater oder seine Mutter seine Ankunft und das Erscheinen der Selkies längst bemerkt. Er hatte nicht einen Moment das Gefühl gehabt, in Not gewesen zu sein. Dennoch war die Gefahr nicht zu unterschätzen. Er musste wissen, was sie vorhatten.

Kurzerhand schlang er einen Arm um die Selkiefrau und zog sie mit sich auf das Grundstück. Es ekelte ihn, was er unter ihrem Anzug fühlte. Ihr glitschiger Körper war viel weicher als der eines Menschen. Andererseits erregte es ihn und weckte seine dämonischen Triebe. Mit ihr zu schlafen würde sicherlich etwas Besonderes sein. Wenn sie so wie jetzt den Mund geschlossen hatte, sodass die Zähne nicht zu erkennen waren, besaß sie sogar ein hübsches Gesicht.

Er warf die Gartentür hinter sich zu und kehrte wieder in den normalen Zeitablauf zurück. Mehrere Dinge geschahen gleichzeitig. Von draußen warf sich jemand gegen das Tor, aber dafür hatte Georg nur ein Grinsen übrig. Niemand würde die magischen Sperren, mit denen das Grundstück abgesichert war, durchbrechen.

Die Selkie-Frau kreischte auf, als sie merkte, was passiert war. Aber ihr Wutschrei ging augenblicklich in ein ängstliches Wimmern über. Sie fiel auf die Knie. Während sich ein feuriges Gitter wie ein Käfig über sie stülpte und sie weiter zu Boden drückte.

Georg sah, dass sein Vater plötzlich neben ihm stand. Sein Gesicht loderte rot vor Wut. Sein Arm mit dem ausgestreckten Zeigefinger wies auf die Dämonin. Er hatte diesen Zauber gewirkt. Es roch nach verbranntem Fisch, während die Flammen sich in die Schuppen fraßen.

»Wer ist die Schlampe?«, fragte Michael Zamis und sah dabei Georg an.

»Lass sie noch ein wenig am Leben. Zumindest bis sie uns sagt, was sie von Lydia will. Sie ist eine Selkie!«

»Das sehe ich selbst«, knurrte Michael Zamis. »Ich kenne dieses Gezücht!«

Das Wimmern der Selkie hatte sich zu einer wahren Kakophonie gesteigert.

 »Wer bist du, die du es wagst, uns zu behelligen?«, fragte Michael Zamis mit donnernder Stimme. Er liebte diese theatralischen Auftritte. Vor allem auf seinem Grund und Boden, wo ihm kaum jemand gefährlich werden konnte.

»Ich bin nur Mare, die Botin«, jammerte die Selkie-Frau. Angesichts ihrer aussichtslosen Lage hatte sie jegliche Arroganz verlassen.

»So, so, nur eine kleine Botin. Und deswegen hast du dich gleich auf meinen Sohn gestürzt? Wie lautet deine Botschaft?«

Draußen vor dem Tor wurde der Lärm lauter. Die Selkies rannten vergebens gegen die magischen Barrieren an. »Sie sollen sich ihre hässlichen Fischköppe blutig rammen!«, zischte Michael Zamis, und Georg wusste, dass es mehr als eine Verwünschung war. Es war ein Fluch. Die Schreie draußen bewiesen, dass er seine Wirkung zeigte. Michael Zamis lachte zufrieden. »Also? Antworte gefälligst, wenn ich frage, Hündin!«

Die Schuppenhaut der Dämonin warf inzwischen Blasen. Ihr Gesicht war von der Hitze zerfressen. Die Augäpfel drohten zu platzen.

»Ihr habt vierundzwanzig Stunden, um Lydia Zamis herauszugeben«, flüsterte sie mit letzter Kraft. »Andernfalls …«

»Andernfalls?«, knurrte der Patriarch.

 »Ich erkläre es dir später, Vater«, sagte Georg rasch. »Lydia hat Mist gebaut. Lass diese Selkie gehen. Die anderen werden sich schon verziehen, wenn sie merken, dass sie keine Chance gegen uns haben.«

»Sie werden sich erst recht verziehen, wenn sie merken, dass wir es ernst meinen.« Michael Zamis lächelte. Er schnippte mit den Fingern. Der Flammenkäfig loderte auf. Die spitzen Zungen bohrten sich wie Speere in den Körper der Selkie.

Michael Zamis sorgte dafür, dass ihre gellenden Todesschreie bis zu ihren Gefährten drangen.

Während er sein Opfer abfackeln ließ, wandte er sich bereits wieder ab. »Gehen wir ins Haus. Ich bin gespannt, mein Sohn, was du mir zu erzählen hast.«

Während sie den Gartenweg in Richtung Eingang marschierten, bedauerte Georg bereits, den Mund zu weit aufgemacht zu haben. Er wollte nicht als derjenige dastehen, der seine Schwester anschwärzte. Andererseits zeigte das Auftauchen der Selkies, dass Coco nicht übertrieben hatte. Die Sache war ernst.

In der Villa warteten bereits Thekla und Lydia Zamis. Sie hatten den Tod der Selkie vom Fenster aus mitangesehen. Während Thekla keinen Kommentar abgab, ätzte Lydia: »Warum hast du sie nicht länger leiden lassen? Ich hasse diese Kreaturen!«

Michael Zamis warf ihr einen wütenden Blick zu. »Schweig gefälligst! Kommt mit in die Bibliothek. Georg hat uns etwas mitzuteilen!«

Er ging voran. Thekla folgte ihrem Mann mit stoischer Miene. Lydia warf Georg einen kurzen fragenden Blick zu. Der zuckte nur resignierend mit den Schultern. Dann schloss er sich seiner Mutter an. Es war nicht seine Schuld, dass Lydia die Rache der Selkies heraufbeschworen hatte. Also musste sie es auch gefälligst ausbaden.

Nachdem sie in der Bibliothek Platz genommen hatten, schaute Michael Zamis kurz auf die magischen Monitore, die seit Kurzem die altmodischen Kristallkugeln ersetzt hatten. »Sie schaffen ihre Toten fort«, sagte er mit dunkler Befriedigung in der Stimme. Die meisten hatten einen zerschmetterten Schädel davongetragen.

Dann wandte er sich um. Seine Miene versprach nichts Gutes. »Und jetzt zu dir, Tochter!«, donnerte er. »Was haben diese Kreaturen mit dir zu schaffen?«

Wieder schaute Lydia zu Georg, als wollte sie wissen, was ihr Bruder erzählt hatte. Georg machte ein trotziges Gesicht.

»Ich habe keine Ahnung, was diese Stinker wollten«, sagte Lydia schnippisch und rümpfte theatralisch die Nase. »Müsste ich etwa?«

Georg schüttelte nur den Kopf. Lydia machte es allen nur schwerer, wenn sie die Bockige spielte. Dabei tat sie ihm fast leid. Sie, die immer auf ein perfektes Aussehen Wert gelegt hatte, war rapide gealtert. Sie sah aus wie eine Greisin. Die dicke Make-up-Schicht, mit der sie ihr Gesicht vollgekleistert hatte, machte es nur noch schlimmer. Die Runzeln und Furchen waren trotzdem zu erkennen. Wie ein Spinnennetz zerteilten sie die Schminke. Ihre noch vor wenigen Wochen knalleng sitzenden Kleider schlabberten um ihren dürren Körper. Die welken Brüste hatte sie auch noch hochgeschnürt und stellte sie mit einem gewagten Dekolleté zur Schau, so als wollte sie einfach nicht begreifen, dass sie einfach nur noch eine Jammergestalt war. Nicht einmal ein Ghoul würde sie mit der Kneifzange anfassen, geschweige denn die Lust verspüren, mit ihr ins Bett zu steigen. Und das Schlimmste war: Sie alterte jeden Tag mehr. Selbst Theklas Hexenkünste hatten bislang nichts dagegen bewirken können. Ihre letzte Hoffnung hatte zuletzt ihrem Bruder Adalmar gegolten, der versprochen hatte, in seinen Zauberbüchern nach einer magischen Formel zu suchen. Nur Adalmar war weit weg, in seinem abgelegenen Refugium in den Abruzzen, und bisher hatte er sich noch nicht wieder gemeldet.

Georg hatte seinen Vater gedrängt, mit Coco Kontakt aufzunehmen. Sie hatte ja zumindest erreicht, dass der Verjüngungsfluch nach ein paar Tagen von ihm und seinen Eltern wieder abgefallen war. Also hatte sie vielleicht auch eine Erklärung, warum es bei Lydia nicht funktioniert hatte.

Nach seinem Gespräch mit Coco wusste er nun, was passiert war. In Bezug auf Lydia war er zwar immer noch nicht schlauer, aber wenigstens wusste er ungefähr Bescheid.

Sein Vater wandte sich ihm zu. »Dann klär du uns auf, Georg!«

Es war ein Befehl, dem er sich nicht widersetzen konnte. Also erzählte er in knappen Worten, was er im Café Zamis von seiner Schwester erfahren hatte. Er hoffte, seinen Schwur zumindest insofern nicht zu brechen, als dass er nichts über den Inhalt des Paktes verriet, den Coco mit Mother Goose eingegangen war.

Als er geendet hatte, erwartete er einen Wutausbruch. Eine Explosion. Auch Lydia hatte den Kopf eingezogen. Doch zu seiner Überraschung erhob sich Vater geräuschlos aus dem Sessel und ging wortlos im Zimmer auf und ab.

Das Schweigen hing wie eine Glocke über die Anwesenden. Nicht ein Laut durchbrach die Stille.

Schließlich schien Michael Zamis einen Entschluss gefasst zu haben. Er blieb mitten im Schritt stehen und verkündete: »Die Lage ist ernst. Wir befinden uns im Krieg. Ich muss mit Coco reden. Sofort!«

 

Das Gespräch mit Georg war mir auf den Magen geschlagen. Ich hatte gehofft, zumindest ihn auf meine Seite ziehen zu können. Aber offenbar hatte ich mich getäuscht. Und wenn ich ehrlich war, so hatte er ja aus seiner Sicht sogar allen Grund, mich eine Verräterin zu schimpfen. Und anscheinend hatte ich mal wieder die völlig falschen Worte gefunden, sonst wäre er nicht so ausgerastet.

Jedenfalls war für mich der Morgen gelaufen. Nach seinem Abgang verzog ich mich in meine unter dem Café liegenden Gemächer und warf mich aufs Sofa.

Nach einer Stunde klopfte jemand an meine Tür.

»Wer immer es ist, verschwinde!«, brüllte ich. Ich hatte nicht die geringste Lust auf irgendein Gespräch.

»Ich bin es, Johann!«, hörte ich eine markante Stimme. Johann war, wenn ich ihm glauben sollte, von seiner Herrin Chrona aus dem centro terrae hoch auf die Erde geschickt worden. Seine Aufgabe war es angeblich, mir zu Seite zu stehen, weil dank Mother Goose’ Lebensuhren einiges aus dem Takt geraten war. Gut, einmal hatte er mich rausgehauen, aber ansonsten hatte sich der Zwei-Meter-Koloss nicht gerade als große Hilfe erwiesen. Er war hauptsächlich damit beschäftigt, den Frauen nachzusteigen und sich weiteres Gewicht anzufuttern.

»Dann komm herein, meinetwegen!«, sagte ich missgelaunt.

Er trat ein und sagte: »Oben will dich jemand sprechen. Dein Vater.«

»Ich will ihn aber nicht sprechen.«

»Soll ich ihn nur rauswerfen oder ihm den Kopf abreißen?«

Das ging mir jetzt doch zu weit. Aber wo Johann schon mal hier war, kam mir eine andere Idee. »Könntest du nicht mal mit deiner Herrin reden, ob sie Mother Goose nicht ihre Uhren wegnehmen kann? Dann würden sich viele Probleme von allein lösen.«

»Ich habe bereits mit Chrona gesprochen«, sagte Johann zu meiner Überraschung. »Sie ist der Ansicht, dass du die Sache schon ganz gut im Griff hast.«

»Das sehe ich allerdings anders.«

»Außerdem hast du ja mich. Wir werden dieser Mother Goose schon einheizen.«

Auch das sah ich anders, aber ich wollte ihm nicht seinen Optimismus nehmen.

 »Also schön«, seufzte ich. »Dann werde ich jetzt erst mal meinen Gang nach Canossa antreten.«

»Canossa?«

»Mein Vater!«

 

 

2.

 

Mein Vater hatte vor der Bar auf einem Hocker Platz genommen. Ich sah ihm seine Ungeduld sofort an. In seinem langen schwarzen Ledermantel erinnerte er mich an einen unberechenbaren Revolvermann, der jederzeit ausrasten konnte.

Karl hatte ihm einen Mocca hingestellt, aber mein Vater hatte ihn nicht angerührt.

Ich trat zu ihm und reichte ihm die Hand. »Schön, dich zu sehen«, heuchelte ich.

»Das beruht leider nicht auf Gegenseitigkeit«, sagte er und sah sich um. »Kann man dich auch mal unter vier Augen sprechen, oder ist das hier eine Art Debattierclub?« Missmutig schaute er auf die anderen Gäste.

»Nein, natürlich nicht«, sagte ich rasch und verzog mich mit ihm in die Nische, in der ich keine zwei Stunden vorher mit Georg in Streit geraten war.