cover.jpg

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Banshees

Das Projekt von San

»Fragen Sie die Banshees«

Transfer nach JERGALL

Das Bild im Außenspiegel

Die Straße nach Andromeda

Im Fluid

Eine lange Reise

Raum eins

Beim Echopilz

Letzte Hoffnung

Neu-Brigantia

Xenochronie

»Was ist schon für immer?«

Kommentar

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

img1.jpg

 

Nr. 2716

 

Das Polyport-Desaster

 

Bostich erteilt Perry Rhodan einen Auftrag – der Polyport-Präfekt soll die Katastrophe verhindern

 

Wim Vandemaan

 

img2.jpg

 

Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine aufregende, wechselvolle Geschichte erlebt: Die Terraner – wie sich die Angehörigen der geeinten Menschheit nennen – haben nicht nur seit Jahrtausenden die eigene Galaxis erkundet, sie sind längst in ferne Sterneninseln vorgestoßen. Immer wieder treffen Perry Rhodan und seine Gefährten auf raumfahrende Zivilisationen – und auf die Spur kosmischer Mächte, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Im Jahr 1514 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, das nach alter Zeitrechnung dem Anfang des sechsten Jahrtausends entspricht, gehört die Erde zur Liga Freier Terraner. Tausende von Sonnensystemen, auf deren Welten Menschen siedeln, haben sich zu diesem Sternenstaat zusammengeschlossen.

Doch Unruhe ist über die Galaxis gekommen: Auf der einen Seite droht Krieg zwischen den Tefrodern und den Blues, auf der anderen reklamiert das ominöse Atopische Tribunal die Rechtshoheit über alle Welten der Milchstraße. Ihre ersten Repräsentanten sind die Onryonen, die die Auslieferung Perry Rhodans und Imperator Bostichs fordern – sie sollen wegen zahlreicher Verbrechen vor Gericht gestellt werden. Das schlimmste Verbrechen liege allerdings in der Zukunft und wird als »Weltenbrand« umschrieben.

Noch gelingt es den beiden Unsterblichen, sich ihren Häschern zu entziehen, aber wie lange kann das gut gehen? Zudem drohen die Onryonen nun auch damit, das galaxisweite Transportnetz der Polyport-Höfe abzuschalten, das zu kontrollieren so viel Mühe gekostet hat. Nicht nur Rhodan fragt sich: Naht DAS POLYPORT-DESASTER ...?

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Großadministrator des Solaren Imperiums kommt dieses eine Mal zu spät.

Gaumarol da Bostich – Der Imperator schließt mit Rhodan einen Pakt.

Tyrone Kilmacthomas – Der Kapitän der WIZARD OF OZ kämpft mit den PaMAks.

Pral – Der Schattenmaahk will das Polyport-System retten.

Banshees

 

Kapitän Tyrone Kilmacthomas saß in der Zentrale seines Schiffes. Die Klimaanlage murmelte, da und dort klickten Geräte leise vor sich hin oder knackte etwas metallisch.

Der Small Talk unterbeschäftigter Maschinen.

Kilmacthomas fühlte sich ausgemergelt und erschöpft. Dabei hatten die Weißen an diesem Tag nicht zugeschlagen – die PaMAks, wie die Wissenschaftler sagten, oder Banshees, wie die meisten an Bord die Erscheinungen nannten.

Kilmacthomas zog die Bezeichnung die Weißen vor, weil sie nüchtern klang und neutral. Und weil sie dem Phänomen keine mythische Macht einräumten, wie der Begriff Banshees es tat.

Nein, zugeschlagen hatten sie nicht. Aber schon die Erwartung eines nächsten Angriffs kostete ihn mittlerweile Kraft, ja laugte Kilmacthomas aus. Es machte ihn viel reizbarer, als ihm lieb sein konnte und eines Kapitäns würdig war.

Dass sie ihn derart verändert hatten, dass sie ihn so hatten umprogrammieren können, war im Geheimen sein schwerster Vorwurf gegen die Weißen.

Natürlich ließen die Weißen, ließ ihre nebelartige Lautlosigkeit und ihre unsichtbare Allgegenwart niemanden unberührt – kein Besatzungsmitglied und schon gar keinen der knapp über 20.000 Passagiere.

Er jedoch hätte als Kapitän davon unerschüttert bleiben sollen, Fels in der Brandung, sicherer Hafen oder was einem sonst so einfiel, wenn man über den Kommandanten eines Schiffes sprach, das so gigantisch und Ehrfurcht gebietend war wie die WIZARD OF OZ.

Tyrone Kilmacthomas warf einen Blick auf das Panoramaholo der Zentrale. Der Bildschirm wölbte sich in einem Halbrund wie in einem Holotheater. Das Stück, das aufgeführt wurde, hieß Die Sternenstille.

Kilmacthomas betrachtete das Übermaß der Sonnen, die Farbenflut der Staubnebel, die von aufbrennenden Sternen, von inneren Globulen und nahen Novae zum Glühen gebracht worden waren. Er sah die tiefroten Wasserstoffschlieren von Barnard's Loop, den blassblauen Dampf des Pferdekopfnebels und, viele Hundert Lichtjahre dahinter, die spektakulären Gaskaskaden des Orionnebels, die weißviolette Mitte, an den Rändern die Feuerfahnen wie aus flüchtigem Kupfer und Gold. Dort lag der Schoß für Millionen neuer Sterne. Jahr um Jahr kollabierte dort mindestens ein Protostern und gab die Unmenge Hitze frei, in die die Gravitationsenergie sich umgewandelt hatte. Gasklumpen lösten sich vom Muttergestirn, Kerne künftiger Riesenplaneten, gegen die selbst Jupiter sich wie eine Miniatur ausnehmen würde.

An der äußersten Peripherie des Nebels sah er etwas wie einen diffusen Stern, ein immer noch durchdringendes Licht mit wabernden Konturen. Das waren die Überreste von Hawkings Stern, einer markanten Supernova, die noch weit hinter dem Orionnebel stand, gute 8000 Lichtjahre von Terra entfernt. Die Explosion hatte den Stern für eine ganze Woche sogar am Tageshimmel der Erde aufstrahlen lassen wie einen abtrünnigen Splitter der Sonne.

Einer der zahllosen anderen Sterne im Holo musste Gwydion sein. Die weiße Sonne im Rigel-Sektor war knapp über 800 Lichtjahre vom Solsystem entfernt. Sie hatte neun Planeten. Brigantia, die Nummer vier, war das Ziel ihrer Reise.

Ein Ziel, das längst in unerreichbare Ferne gerückt war.

Kilmacthomas räusperte sich zweimal. »Ben?«, fragte er leise.

Ben Ryan sah ihn über die Schulter an und nickte ihm zu. »Alles klar.«

Kilmacthomas deutete ein Lächeln an. Nichts war klar. »Du hast das Kommando.«

»Aye«, sagte Ryan. Ein Druck auf die Sensortaste an der Lehne, und der Pneumosessel fuhr glatt und lautlos wie ein Eisstock von den Armaturen zurück und drehte sich dabei langsam Richtung Raummitte. Ryan bremste mit den Füßen, ächzte und wuchtete seinen gewichtigen Leib hoch. Kilmacthomas wunderte sich jedes Mal, dass Ryans Schritte unhörbar blieben und die Kugelzelle der WIZARD OF OZ nicht zum Dröhnen brachten.

Der Kapitän stand auf, gab seinen Platz frei und wartete, dass Ryan sich setzte. Als Ryan seine Masse Mensch niederließ, wippte der Kommandantensessel ein wenig, gab aber keinen Laut von sich.

Wenn Kilmacthomas gegangen war, würden nur noch Ryan und Holly Allgood in der Zentrale sein. Die Funkerin verließ die Zentrale kaum. Sie trug transparente, luftdurchlässige Kopfhörer und lauschte ins Nichts.

Was hielt sie wach?

Was hielt Kinder wach, die seit Stunden im Bett lagen und in die Finsternis starrten, wenn die Eltern außer Haus waren?

Die Abwesenheit der Eltern natürlich. Das Gefühl der Verlassenheit. Die Angst.

Als hätte sie seinen Blick gespürt, drehte Holly Allgood sich um. Sie lächelte tapfer. Ihr Gesicht war klein, hell wie ein Aquarell oder ein Porträt auf einem Porzellanteller, gerahmt von glatten kastanienroten Haaren.

Er nickte ihr zu und verließ die Zentrale. Sein Quartier befand sich nur wenige Schritte entfernt, ein Stückchen weiter den Gang hinunter. Die Kabine war weder groß noch überbordend luxuriös eingerichtet. Die Tür glitt mit einem Zischen auf.

»Nicht ganz so grell!«, befahl er, und das Licht wurde sanft wie eine Katzenpfote, die die Krallen eingezogen hatte.

An der Kabinenwand hing ein Holorahmen. Das Bild hatte sich schon aufgebaut, als die Tür sich noch schloss. Er betrachtete es. Die einfachen Häuser leuchteten weiß getüncht im silbrig grauen Licht, die Tür- und Fensterrahmen und die Läden waren bunte Tupfer: hellblau, zinnoberrot, seegrün und ocker. Die Schieferdächer grün vom Moos oder fahlgelb und fleckig. Einige der Gebäude ruhten auf uralten Schiffsmasten. Reusen lagen aufgehäuft am Rand der Gassen: die Fahne mit dem pochenden Herzen von Walls Eiskrem wehte.

Die Häuserzeilen wanden sich die Klippen hoch; winzige Gärten, steinerne, bemooste Stufen. Der Hafen öffnete sich zum Meer.

Die Kähne im Hafen hoben und senkten sich sacht; die Möwen wischten wie verirrte weiße Bumerangs durchs Bild. Für einen Moment meinte Tyrone Kilmacthomas die Brise zu spüren, den Atemzug des Atlantiks. Das Meer war von einem jenseitigen Azur. Der Himmel unbegrenzt und wolkenlos.

Kilmacthomas räusperte sich zweimal, als hätte er dem Holo etwas zu sagen, was er ihm für dieses Mal jedoch verschwieg.

Er öffnete einen Schrank und gönnte sich das, was er seine kleine Zeremonie nannte.

Er hielt die Flasche Tawny Port ans Licht und wendete sie behutsam. Der Korken war durch die lange Lagerung brüchig geworden und spröde. Mit einem normalen Korkenzieher ließ sich in einem solchen Fall nichts Gutes ausrichten.

Er befeuchtete ein Tuch unter dem Wasserkran der Kochnische, kramte eine Kerze hervor, stellte sich auf und zündete sie an. Dann nahm er die Zange und erhitzte sie an der Flamme. Als es gut war, presste er die Zange für etwa eine halbe Minute um den Hals der Flasche. Er zählte die Sekunden ab. Dann löste er den Griff, legte die Zange ab, nahm das bereitliegende feuchte Tuch und wickelte es um die erhitzte Stelle.

Durch den Thermoschock brach das Glas sauber ab.

Kilmacthomas füllte ein Portweinglas. Das Gefäß ähnelte einer gläsernen Tulpe. Er hielt sich die Tulpe unter die Nüstern und sog das Aroma des Weins ein. Der Duft zauberte etwas wie einen Bannkreis um ihn, den die Weißen nicht passieren konnten.

Der Duft erinnerte ihn an das letzte Glas Port, das er in seinem Haus in Maidenhead getrunken hatte, am Abend vor dem Start. Es erinnerte ihn an die Reise mit der Eisenbahn zum Heathrow Space Port, die Fahrt vom Festland über den viele Kilometer langen Starward-Damm zu den Start- und Landefeldern des Raumhafens, den man in die Nordsee gebaut hatte. Das Wasser zu beiden Seiten des Damms war grau gewesen wie flüssige Asche.

Er dachte an das altersschwache, gut bewachte Topsiderschiff auf Landefeld 8, dessen Kapitän von dem militärischen Aufwand geschmeichelt sein musste, den die Londoner Behörden trieben; an die grellbunt in Purpur, Magenta und Gelb lackierte Walze des Springers; an die alles überragende Terkonitstahlkugel der WIZARD OF OZ, die auf ihrem Startfeld stand wie ein Riesenglobus auf filigranen Stelzen.

Die meisten Kolonistenfamilien waren seit über einer Woche an Bord gewesen, aber immer noch bestiegen Passagiere das Schiff, wurden Container voller persönlicher Güter eingeladen. Es gab immer solche, die sich bis zum letzten Moment nicht entscheiden konnten – oder sich vormachten, sie hätten sich nicht entschieden. Siedler, deren Leben einige Stunden vor dem Start noch in der Schwebe hing.

Die WIZARD OF OZ war ein Schiff der nordamerikanischen Raumfluglinie Kansas & Beyond; ihre Schiffe trugen Namen wie EMERALD CITY, PRINCESS OZMA oder eben WIZARD OF OZ – zu verspielt, wie Tyrone Kilmacthomas immer gefunden hatte. Kindlich und märchenhaft. Aber so waren die Leute in den alten Kolonien – selbst schuld, wenn man die ehrwürdige Krone des Mutterlands gegen das Regime von Disney & Co tauschte.

Immerhin roch es an Bord der WIZARD OF OZ alles andere als märchenhaft. Es war der unnachahmliche Verschnitt von Raumschiffsaromen: der Duft von Plastik und heißem Metall, Ozon, hunderterlei Parfüm. Und eben auch nach Mensch.

20.000 Passagiere und 2000 Mann Besatzung – man hätte meinen können, dass sich das verlaufen sollte in den 250 Millionen Kubikmetern Volumen des Schiffes. Aber diese Viertelmilliarde Kubikmeter war ja kein Freiraum, sondern mit den Schiffsmaschinen gefüllt und dem Maschinenpark, den das Schiff in den Rigel-Sektor transportierte: High- und Lowtech-Maschinen, Bauroboter, mobile Medostationen mit therapeutisch-pharmazeutischen Produktionslabors, Segmente für selbst vervollständigende Fabriken. Außerdem gab es Container voll tiefgekühlten Saatguts, Setzlingen und jungen Bäumen, Pferche für Highland-Rinder und Zuchtbullen, Schafe, sogar für zwanzig englische Vollblüter.

Eine Arche Noah.

Nur, dass es draußen auf Heathrow Space Port nicht geregnet hatte. Und dass sie nun schon einige Zeit länger unterwegs waren als Noah zu Zeiten der Sintflut. Und dass sie von keiner Taube an Land geführt, sondern im Nichts gestrandet waren.

Und darüber hinaus waren die Weißen durch den Bannkreis seiner Zeremonie gekrochen.

Tyrone Kilmacthomas starrte die Kabinentür an, als müsste im nächsten Moment einer der Weißen hindurchtreten. Nicht nur der Duft von Wein, sogar feste Wände waren für sie ja kein Hindernis.

Er schloss die Augen, nippte am Glas, ließ ein wenig vom Tawny über die Zunge laufen und unter die Zunge und schluckte dann den Wein.

Fast gegen seinen Willen kam ihm Stella Bangrove in den Sinn.

Bangrove, die Sprecherin der Siedler an Bord der WIZARD OF OZ, hatte wallendes, ungezähmt rotes Haar, leicht aufgewühlt, ganz zauberhaft – wie Tyrone vom ersten Augenblick an gefunden hatte.

Sie reiste mit ihrer achtjährigen Tochter Helen. Thomas Bangrove, der Vater, war – das hatte Tyrone Kilmacthomas schon kurz nach dem Start recherchiert – vor zwei Jahren gestorben.

Wenn Bangroves Haar durch seine Tagträume wehte, wurde sein Entschluss, sich in wenigen Jahren auf New Hibernia zur Ruhe zu setzen, wankend.

Neue Welten, neues Leben – warum nicht als Farmer auf Brigantia?

Aber seit sie festsaßen, seit der Weichen Kollision, fühlten sich solche Phantasien hohl an, Relikte einer verblassten Wirklichkeit.

Und spätestens seit der Entführung der beiden Techniker mochte Kilmacthomas sich solche Visionen nicht mehr gestatten.

Er versuchte, sich an die Namen der beiden zu erinnern. Joël Robuchon und Stanley Irgendwas. Die beiden jungen Leute, frisch von der Raumflugakademie. Es war ihre erste große Reise zu den Sternen.

»Tyrone?«, klang es im Lautsprecher.

Er erkannte Hollys Stimme und die Aufgewühltheit darin, Angst und Zorn, die sich die Waage hielten. Er aktivierte das Komgerät. Ihr helles Gesicht schien noch blasser, kalkig. »Die PaMAks haben wieder zugeschlagen«, sagte sie.

Er stellte die gläserne Tulpe ab. »Wo?«

»Hauptdeck 4«, sagte sie. »Niall ist schon unten.«

»Und was ist es diesmal?« Bitte lass sie keine Kinder genommen haben!, flehte er inständig. »Kinder?«

Allgood schüttelte stumm den Kopf. »Du musst schauen«, sagte sie.

 

*

 

Das Schiff der MOTHER GOOSE-Klasse hatte 42 Hauptdecks, verbunden über zwanzig Antigravschächte und einige Notfall-Turbolifte mit autarker Energieversorgung.

Diese Hauptetagen waren in den Passagierbereichen – auf den Decks 5, 7, 9 und 11 – noch einmal in verschiedene Decks unterteilt. Dort lagen die Wohnräume, die Messen und Medostationen, die Sportstätten, das große Schwimmbecken und der multireligiöse Gebetsraum mit dem Holopfeil, der nach Mekka wies und nach Jerusalem, das Kreuz im Alpha-und-Omega-Kreis. Auf Deck 4, tief im Bauch der mächtigen, doppelwandigen Kugelzelle aus Terkonit, waren die landwirtschaftlichen Nutzfahrzeuge untergestellt.

Der Kapitän glitt den Antigravschacht hinunter. Zwei Mitglieder der Besatzung kamen ihm entgegen; sie grüßten im Vorüberschweben knapp und ernst, als wären sie bereits im Bilde.

Auf Deck 4 zog Kilmacthomas sich aus dem Schacht und verfiel in Laufschritt. Kurz darauf stand er an der energetischen Absperrung.

Der Wachhabende an der Schirmkontrolle schaltete den Energieschirm ab und ließ Kilmacthomas passieren. Sofort danach baute sich der Schirm wieder auf, obwohl es keine Schaulustigen gab oder sonst irgendwen, der in die abgeriegelte Region hätte eindringen wollen.

Kilmacthomas wusste nicht, wer den bleichen Phantomen zuerst den Namen Banshee gegeben hatte. Die Hyperphysiker und Mediziner an Bord bezeichneten die Phänomene als PaMAk, als Para-Materielle Aktionsfiguren. Aber aus irgendeinem Grund hatte sich diese Bezeichnung als wenig populär erwiesen.

Vielleicht klang Banshee einfach vertrauter. Banshees, hieß es, waren blasse Todesbotinnen, die Augen rot geweint. Ob sie Greisinnen waren oder verführerisch junge Frauen, darüber gingen die Lehrmeinungen auseinander. Überhaupt sollte der Spuk selten sichtbar sein, viel eher hörbar: Sollte jemand sterben, war einige Tage zuvor der herzzerreißende Klagegesang einer Banshee zu hören, und zwar vor dem Fenster des Hauses, in dem die betroffene Familie lebte.

In welch krausen Aberglauben wir uns flüchten, dachte Kilmacthomas. Lichtjahre von der Erde entfernt, in einer Welt aus Stahl und Hyperenergie.

Ein weiterer Sicherheitsmann kam Kilmacthomas entgegen und begleitete ihn in den Hangar. Der Raum war riesig, die Decke etwa vierzig Meter hoch. In übereinandergestapelten, offenen Garagen standen die Rodungs- und Saatautomaten, außerdem die gewaltigen John-Deere-Mähdrescher, die für Tyrone Kilmacthomas immer eine Augenweide waren.

Er musste nur dem Gemurmel folgen, vielleicht hundert Meter Richtung Schiffshülle. Dort fand er Niall Quinn und seine Leute.

Quinn, der Sicherheitschef der WIZARD OF OZ, war ein schmalschultriger Hüne mit grazilen Klavierspielerhänden. Zwei Köpfe größer als Kilmacthomas, nickte er ihm aus der Höhe zu und wies auf den Boden.

Kilmacthomas sah den polierten Kahlkopf des Chefarztes, Dr. Anatou Stosch. Einer der Männer, die das Etwas betrachteten, wich zur Seite und steuerte auch den Roboter zurück, ein hüfthohes Analysegerät auf breiten, lautlos rollenden Raupen.

Tyrone Kilmacthomas schluckte. »Lebt es?«

»Schwer zu sagen«, dröhnte Stosch mit Stentorstimme, die wie immer so klang, als spräche er an Speaker's Corner zu einem unüberschaubaren Pulk Menschen. Er setzte seine Transpektivbrille ab, mit der er das Etwas betrachtet hatte.

Tyrone Kilmacthomas beugte sich zu diesem Etwas.

Auf den ersten Blick sah es aus wie ein neugeborenes Baby. Es war nackt, aber frei von Geschlechtsteilen, was ihm etwas Puppenhaftes verlieh. Die Augen waren von einem lebendigen Blau. Sie schauten ängstlich hin und her, ohne jemanden zu fixieren. Aus dem Nabel quoll in langsamen Stößen ein gelbliches Sekret. Es streckte die Finger, griff ins Leere, ballte sie erneut zu winzigen Fäusten. Die Haut sah weich und jung aus, aber nur auf den ersten Blick glatt. Unter der Haut tat sich etwas, ruckartige, kantige Bewegungen, als ob Legionen winzigster Maschinen darunter wimmelten.

»Was ist das?«, fragte Kilmacthomas und wies auf eine größer werdende kantige Beule.

»Eine Mechanik«, sagte Stosch. Er tippte gegen die Transpektivbrille. »Es hat kein Herz. Keine Lunge, keine Leber, keinerlei Organe. Sehen Sie selbst.«

Stosch reichte ihm die Transpektivbrille; Kilmacthomas setzte sie auf und stellte sie auf das Etwas ein. Die Knochen waren zu sehen, aber sie wirkten auf unbestimmte Art nicht richtig. Im Rumpf entdeckte er kein erkennbares Organ. Dort sah es aus, als ob einige Dutzend vielfingrige Hände miteinander rängen.

Und im Schädel? Zogen zahllose haarfeine Fäden kreuz und quer, ohne einander, wie es schien, ein einziges Mal zu berühren. Kilmacthomas schüttelte ratlos den Kopf und gab Stosch die Brille zurück.

»Kein Mensch«, sagte er. Es klang beschwörend. Er dachte: Eine mechanische Puppe, in Menschenhaut gekleidet.

»Genanalyse abgeschlossen«, verkündete in diesem Moment der Medoroboter.

»Und?«, fragte Stosch.

»Die DNS der Haut ist eine Verbindung der DNS der Besatzungsmitglieder Stanley Vonholdt und Joël Robuchon.«

Das Kind der beiden Männer, dachte Kilmacthomas. Es klang wie der Scherz eines Wahnsinnigen.

»Was bezwecken die Banshees damit?«, fragte Stosch dröhnend, als wollte er die Weißen hinter ihrer Barriere ansprechen und zu einer Antwort zwingen. Aber er sah dabei Kilmacthomas an.

»Ich weiß es nicht«, sagte der Kapitän.

Die Augen des Etwas wurden ruhiger. Sie fixierten ihn; das Etwas streckte beide Arme nach ihm aus. Kilmacthomas bog unwillkürlich den Oberkörper zurück. Dann erstarrte das mechanische Baby mitten in seinen Bewegungen.

Es ist tot, dachte Kilmacthomas.

»Bringen wir es in ein Labor«, sagte Stosch ungewohnt leise.

»Und in Quarantäne«, ergänzte Kilmacthomas.

Am liebsten hätte er Befehl gegeben, den Leichnam von Bord zu werfen. Leider war das seit der Weichen Kollision nicht möglich. Der Weltraum selbst hatte sich vor ihnen verschlossen.

Wir sind gefangen im eigenen Schiff, dachte er. Wie Ratten in einem Labyrinth.

Das Projekt von San

An Bord der KRUSENSTERN

20. Juli 1514 NGZ

 

»Kontakt zu Perkon hergestellt«, teilte Marian Yonder mit. Der Kommandant der KRUSENSTERN machte auf Perry Rhodan wie so oft einen übernächtigten Eindruck. Rhodan neigte sich ein wenig vor und betrachtete Yonders Bild im Holo. Das Haar lag wirr, der Blick wirkte selbstversunken.

Yonder zögerte einen Moment, dann schlich sich ein Lächeln auf seine Lippen. »Announ da Zoltral ist inzwischen über unser Eintreffen persönlich informiert worden. Sie hat ausrichten lassen, dass sie zurzeit mit ernsteren Dingen beschäftigt sei, die Sternenbaronie betreffend. So bald wie möglich werde sie aber der familiären Affäre ihre Aufmerksamkeit schenken. Sie hat es noch ein bisschen – hm – glamouröser ausgedrückt. Möchtest du dann mit ihr sprechen?«

Rhodan nickte. Schließlich war er die besagte familiäre Affäre.

Allerdings hätte Rhodan schon ADAM fragen müssen, wie sich der neu installierte Plasmakommandant der KRUSENSTERN nannte, wenn er Klarheit über das Verwandtschaftsverhältnis erhalten wollte, in dem er zu Announ stand. Schließlich war es einige Tausend Jahre her, dass er mit Thora eine Zoltral geheiratet hatte.

Eine Ehe übrigens, der, da nach irdischem Recht geschlossen, in arkonidischen Gefilden keine Gültigkeit beigemessen wurde. Schließlich hatte die Bürokratie des Kristallimperiums kein Interesse daran, dass irgendein Himmelskörper des ältesten und gewaltigsten Sternenstaates der Milchstraße als Erbe an – wie hatte Thora ihn damals bezeichnet? – eine Kreatur unterhalb der Entwicklungsstufe C fiel.

»Alles klar bei dir?«, fragte Yonder besorgt.

Rhodan nickte. Yonder beendete die Verbindung; das Holo erlosch.

Natürlich war gar nichts klar.

Die KRUSENSTERN benötigte dringende Reparaturen, um die Schäden zu beheben, die sie vor sechs Tagen beim Kampf gegen das Schiff des Gestaltwandlers erlitten hatte.

Und das waren noch Rhodans geringste Probleme. Mit dem Atopischen Tribunal war ein unbekannter neuer Machtfaktor in der Milchstraße aufgetreten.

Außerdem bereitete das Polyport-System zunehmend Sorge. Es geriet mehr und mehr außer Takt. Der Verkehr mit der Galaxis Anthuresta war weitgehend zum Erliegen gekommen.

Andererseits hatte sich der Kontakt zu Anthuresta auch aus anderen Gründen ausgedünnt. Die Stardust-Menschheit hatte begonnen, sich abzunabeln. Resident Joschannan hatte der Distanzierung nicht vehement genug gegengesteuert, wie Rhodan fand.

Doch Rhodans Meinung war, was das betraf, nicht sehr gefragt. Die meisten Terraner teilten die Meinung des Residenten: Die Liga Freier Terraner hatte Vorrang. Zumal nun, da das Kristallimperium auf geradezu gespenstische Weise der Kontrolle Bostichs zu entgleiten drohte.

Schließlich war auch noch der lange schwelende Konflikt zwischen Tefrodern und Blues-Völkern voll entbrannt.

Das hatte die Stardust-Menschheit den meisten Terranern weit entrückt, ähnlich weit wie die Alashan-Menschheit.

Perry Rhodan war von Bostich zum Polyport-Präfekten ernannt worden. Rhodan war klar, dass Bostich damit keine Auszeichnung im Sinn gehabt hatte.

Vielleicht hatte der Imperator gehofft, Rhodan werde sich als Präfekt überwiegend in den entlegenen Provinzen dieser Präfektur aufhalten. Wie Atlan.

Seit über einem halben Jahrhundert lebte Atlan fern der Milchstraße. Auf gewisse Weise beruhigte diese Tatsache Rhodan nun, da sich der Arkonide hierdurch hoffentlich nicht im Einflussgebiet des Atopischen Tribunals aufhielt.

Genauso, wie es ihn beruhigte, dass Icho Tolot wieder ganz in seiner Nähe war.

Und dass sich mit Avan Tacrol neben Tolot sogar noch ein zweiter Haluter an Bord der KRUSENSTERN befand.

Tacrol war zwar im Kampf mit dem Marshall schwer verletzt worden. Er befand sich aber, wie Jatin versichert hatte, auf dem Weg der Besserung.

Kein Wunder, kümmerte sich mit der Ara doch eine ausgezeichnete Medikerin um ihn.

Und genoss er doch, wie Rhodan beobachtet hatte, die Aufmerksamkeit noch eines anderen Besatzungsmitglieds: der Pilotin Farye Sepheroas.

Rhodans Enkelin.