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Autoreninfo

Cay Rademacher, Jahrgang 1965, Studium von Geschichte und Philosophie in Köln und Washington. Redakteur bei GEO Epoche. Seit 2013 lebt er mit seiner Familie in der Nähe von Salon-de-Provence in Frankreich.

Haupttitel

Cay Rademacher

MORD IM PRAETORIUM

Historischer Köln-Krimi

Überarbeitete Neuausgabe

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe 2015–2016 by CMZ-Verlag

An der Glasfachschule 48, 53359 Rheinbach
Tel. 02226-9126-26, Fax 02226-9126-27, info@cmz.de

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagabbildung:
Lawrence Alma-Tadema (1836–1912), The Vintage Festival, 1870;
Öl auf Leinwand, 177 × 77 cm; Privatbesitz

Umschlaggestaltung:
Lina C. Schwerin, Hamburg

eBook-Erstellung:
rübiarts, Reiskirchen

ISBN 978-3-87062-168-1 (Paperback)
ISBN 978-3-87062-186-5 (eBook epub)
ISBN 978-3-87062-192-6 (eBook kindle)

20160717

www.cmz.de

Motto

Für Françoise

Inhalt

Die verlorene Liebesnacht

Der gläserne Reichtum

Gerüchte

Ein toter Informant und ein ahnungsloser Teilhaber

Die trauernde familia

Konkurrenten

Eine alte Geschichte

Galeria

Friedhofsliebe

Ein Verdacht

Tolbiacum

Ein neuer Imperator

Glossar

Die verlorene Liebesnacht

Es regnete, der Himmel war so grau wie der Rhein, der sich träge an der Stadt vorbeiwälzte, und ich wünschte, ich wäre in Rom. Heute morgen war ich noch im Tempel des Mercurius Augustus gewesen, einem bescheidenen Heiligtum, das man in die nordöstliche Ecke der Stadt gequetscht hatte, weitab vom Zentrum. An diesem Ort war ich um diese Zeit vollkommen allein, und so konnte ich ungehindert den Gott anflehen, den alten Marcus Cocceius Nerva endlich in den Hades einzulassen. Natürlich ist es ein Frevel, ausgerechnet im Tempel des Mercurius Augustus für den Tod des Kaisers zu beten, doch ich wußte mich in edelster Gesellschaft: Unser aller Herr, der ruhmreiche Konsul, Feldherr und Senator Marcus Ulpius Trajan, wartete so ungeduldig auf die Nachricht vom seligen Entschlafen des Imperators und Adoptivvaters wie ein ausgehungerter Löwe darauf wartet, daß sich das Tor zur Arena endlich öffnet, damit er an Majestätsbeleidigern, Vergewaltigern, Christen, Dieben und anderen Verbrechern seinen Hunger stillen kann.

Denn wenn Nerva stirbt, dann wird Trajan Kaiser. Und wenn Trajan Kaiser wird, dann eilt er nach Rom. Und wenn Trajan nach Rom eilt, dann eilen alle seine Freunde, Berater, Klienten, Freigelassenen und Sklaven mit. Und meine Wenigkeit, Aelius Cassator, Freigelassener von Trajans Schützling Publius Aelius Hadrian, gehört dazu. Und damit könnte ich endlich diese gräßliche Provinzstadt mit ihrem pompösen Namen verlassen: Colonia Claudia Ara Agrippinensium – nur als Abkürzung zu ertragen. Eine sehr schöne, sehr logische Gedankenkette. Doch Logik ist nichts für Götter, kleine Frevel bestrafen sie sofort.

Ich hatte mich sehr darauf gefreut, hier im praetorium die Saturnalien zu feiern und den einen oder anderen geharzten Weinschlauch zu leeren. Vielleicht wäre es mir sogar gelungen, die schöne Lubentina vor ihren anderen zahlreichen Liebhabern abzuschirmen und das große Fest auf höchst angenehme Weise in ihrem Bett zu beenden. Doch ich hatte meine Rechnung ohne Mercurius Augustus gemacht. Statt mir schweren Wein und eine sinnliche Sklavin zu verschaffen, legte er mir einen ärgerlichen Mann vor die Füße. Er war ungefähr 45 Jahre alt, klein und dürr, mit einem unattraktiven, durch einen verbitterten Ausdruck entstellten Gesicht – und er war tot.

Sechs Tage hatten wir die Saturnalien bereits gefeiert, sechs Tage, in denen die Menschen fröhlich waren, sich gegenseitig beschenkten und auf Gelagen an Festem und Flüssigem in sich hineinstopften, was nur hineinging. Sechs Tage lang gab es keine Unterschiede zwischen Herren und Sklaven – was für mich ein seltsames Gefühl war, da dies meine ersten Saturnalien waren, die ich nicht als Sklave feierte. Sechs Tage, an denen selbst ein so mieses Nest wie die CCAA im verregneten Dezember erträglich ist. Der siebte Tag sollte den Höhepunkt des Festes bringen, die größte Orgie fand im praetorium statt – allerdings jetzt ohne mich. Der Abend war noch nicht weit fortgeschritten, ich war noch so gut wie nüchtern und würde es auch bleiben müssen. Und den begehrten Platz in Lubentinas Bett würde ein Glücklicherer erobern. Es war zum Heulen.

Das praetorium ist der Amts- und Wohnsitz des kaiserlichen Legaten und aller hohen Tiere, die ein ungnädiges Schicksal zur CCAA verschlägt. Ein langgestreckter, braunroter Bau hart an der östlichen Mauer der Stadt, dessen passabel verzierte Front dem Rhein zugewendet ist, damit die Barbaren, die jenseits des großen Stromes hausen, eine Ahnung von Roms Größe bekommen. Fast die ganze CCAA ist auf einem Plateau erbaut, wenige Meter höher als die unmittelbare Flußniederung. Das praetorium liegt an der Grenze dieses Plateaus, die prachtvolle Front ragt sogar darüber hinaus. Also gibt es unten am Hang Abstützungen: gewaltige Kellergewölbe mit schönen Ziegelmauern, die in den letzten Jahren noch kräftig erweitert wurden. Oben besteht die Anlage aus einem zentralen Empfangs- und Festsaal, in dem gerade der öffentliche Teil des Gelages gefeiert wurde, und diversen Arbeits- und Wohnräumen, Schreibstuben, Archiven und ähnlichem im Nord- und im Südflügel. Den Geräuschen nach zu urteilen, fand hier der intimere Teil der Ausschweifungen statt.

Das Angenehmste am praetorium war die Hypokaustenheizung der meisten oberen Räume, die einem half, das nieselig-kalte Wetter zu vergessen. Die Fußbodenheizung ist die beste Waffe des Römers bei der Eroberung Galliens, Germaniens und Britanniens gewesen. Ohne sie wären wir hilflos, mit ihr beeindrucken wir die Barbaren mehr als durch unsere gut gedrillten Legionen. Unten dagegen war es kühl. Die großen Kellergewölbe dienten als Vorrats- und Verkaufsräume für Fisch-, Fleisch-, Wein-, und Gemüsehändler sowie für Läden, in denen man feine Stoffe, Glas oder Keramik kaufen konnte. Da ihre Besitzer zuhause oder bei Freunden ihre eigenen Orgien feierten und es hier keine Fußbodenheizung gab, die ein schnelles winterliches Liebesspiel erleichtert hätte, waren die Kellergewölbe um diese Zeit fast menschenleer.

Nur ein paar Sklaven huschten hier herum, die die Hypokaustenheizung zu befeuern oder sonstige Besorgungen zu erledigen hatten – trotz der angeblichen Gleichheit zwischen Herren und Sklaven während der Saturnalien. Einer von ihnen hatte den Toten entdeckt. Er war ermordet worden und lag am großen Becken unter dem Nordflügel, in das das Abwasser vom höhergelegenen Plateau floß, um dann von dort durch einen Kanal in den Rhein geleitet zu werden. Der Mann kannte sich im praetorium offensichtlich gut aus, denn die meisten Bürger und Sklaven der CCAA wußten sicherlich nichts von diesem architektonischen Detail. Eingeweihte dagegen benutzten es gerne, um sich ungestört zu erleichtern, vor allem an Feiertagen wie diesem, an denen die Latrinen durch Dutzende von Betrunkenen belegt und durch das, was diese dort hinterließen, auch unerträglich verschmutzt waren.

Der verängstigte Sklave hatte zunächst einen Dekurio der Wache alarmiert, der wiederum einen Boten zu Trajan schickte. Unser Herr zog sich für ein paar Augenblicke diskret vom Gelage zurück und besah sich angewidert den Toten. Die Leute sind immer wieder überrascht, wenn man ihnen sagt, daß während der großen, fröhlichen Feiern wie den Saturnalien und privaten wie Hochzeiten oder Geburtstagen mehr Menschen umgebracht, vergewaltigt oder bestohlen werden als an gewöhnlichen Tagen. Trajan war noch aus anderen Gründen indigniert, denn einen Mord zu wagen, während er nur wenige Schritte enfernt feierte, faßte er als persönliche Beleidigung auf.

Es dauerte nicht lange, bis die Wache herausgefunden hatte, wer der Tote war: Calpurnius Repentinus, ein geladener Gast, der Besitzer einer der größten Glasmanufakturen der CCAA.

»Glas?« fragte unser Herr.

»Trinkgläser, Salben- und Parfumfläschchen und dergleichen«, antwortete der Dekurio. »Diese Stadt ist im ganzen Imperium für ihre feinen Gläser bekannt, Herr.«

»Glas?« sinnierte Trajan wieder, allerdings hatte seine Stimme einen anderen Tonfall bekommen. Er war Soldat, die meisten Männer seiner Umgebung waren Soldaten, hinzu kamen Schreiber, Magazinverwalter und weitere überaus nützliche, aber leider vollkommen kulturlose Männer. Er schlenderte wieder nach oben zum Gelage und diskutierte das Problem kurz mit Hadrian. Mein ehemaliger Herr hatte mich nicht ganz freiwillig freigelassen und nutzte darum jetzt jede Gelegenheit, um mir eins auszuwischen. Was er übrigens in der CCAA zu tun hatte, während er eigentlich in Mogontiacum stationiert war, wußte ich nicht. »Mein Aelius Cessator kennt sich in der Kunst der Glasherstellung aus«, sagte er wie nebenbei. Das war eine grobe Übertreibung, mindestens. Doch damit wurde an diesem Abend nicht nur das Schicksal des Calpurnius Repentinus ein- für allemal besiegelt, sondern auch meins.

Nur ahnte ich das damals noch nicht.

Ich stand deshalb kurz nach Trajans Befehl, mich »um diese Sache zu kümmern«, neben dem Dekurio am Wasserbecken und sah verdrießlich zu, wie vier Sklaven sich an dem Toten zu schaffen machten. Der Soldat spuckte ins Becken. Er war ebenfalls mißmutig, denn auch ihm entging natürlich die Orgie. Gemeinsames Leiden verbindet, und so empfanden wir ein gewisses grimmiges Zusammengehörigkeitsgefühl.

»Immerhin war es eine saubere Arbeit«, sagte ich.

Der Dekurio nickte düster. Die weiße Narbe an seinem Kinn, die vom jahrelangen Tragen des Helmgurtes herrührte, wippte bestätigend auf und ab. »Würde mich nicht wundern, wenn es einer meiner Kameraden war. Das da sieht nach Legionärs- oder vielleicht auch Gladiatorenhandwerk aus. Ein Zivilist kriegt so etwas nur mit viel Glück hin.«

Calpurnius Repentinus war durch einen einzigen Stich direkt ins Herz getötet worden.

Der Dekurio gebot den Sklaven durch eine Geste Einhalt und beugte sich zu dem Toten hinab. »Der Größe der Wunde nach zu urteilen, war es ein gladius«, sagte er.

Ich ging ebenfalls in die Knie.

Repentinus’ weiße Toga war im ganzen Brustbereich blutverschmiert, aber weiter unten sauber.

»Tja, er ist offensichtlich nicht beim Pissen mit einem Kurzschwert niedergestochen worden, sondern davor oder danach«, kommentierte der Soldat meine Suche. »Ich stelle mir das so vor: Er ist fertig, richtet seine Toga, dreht sich um und, zack!, wird ohne Vorwarnung umgelegt. Seine Hände sind unverletzt, er hat nicht gekämpft.«

Ich nickte. »Kann aber auch sein, daß sein Mörder ihm irgendwo im praetorium mit gezücktem Schwert auflauerte und ihn zwang, bis hierhin hinabzusteigen, wo er ihn dann gefahrlos in den Hades schicken konnte«, entgegnete ich. »Außerdem wüßte ich zu gerne, warum man ihm Charons Fährpassage spendiert hat.« Ich deutete auf die Hände des Opfers, an deren Fingern einige breite goldene, edelsteinbesetzte Ringe steckten. »Ein Raubmord war es auf jeden Fall nicht.«

Wir untersuchten den Toten genauer und entdeckten einen fein gearbeiteten, edelsteinbesetzten Dolch, den er gut versteckt unter seiner Toga getragen hatte.

»Schöne Arbeit«, kommentierte der Dekurio fachmännisch. »Nicht von hier. Nur in Rom selbst gibt es Waffenschmiede, die so etwas hinkriegen.« Er schnalzte zugleich bewundernd und bedauernd mit der Zunge. Es tat ihm offensichtlich leid, daß er diesen Dolch – jetzt, da man ihn vor Zeugen gefunden hatte – nicht heimlich einstecken konnte.

»Es ist den Gästen verboten, auf Feiern wie diesen versteckte Waffen zu tragen«, meinte ich entrüstet. »Warum hat Repentinus so etwas gewagt?«

Der Dekurio spuckte wieder verächtlich ins Wasserbecken. »Ein Provinzler! Hier in der CCAA hält man sich grundsätzlich nicht an die Gesetze. Jeder, der hier auch nur ein bißchen was auf sich hält, hat eine Waffe versteckt. Aber das ist alles nur pure Prahlerei. Keiner von denen traut sich jemals, blankes Eisen zu ziehen!« Ich schüttelte spöttisch den Kopf. »Einer hat es heute abend schon gewagt«, entgegnete ich.

Zusammen mit dem Dekurio verbrachte ich dann den Rest des Abends damit, alle im praetorium stationierten Soldaten auszufragen – zumindest alle, die noch nüchtern genug waren, um unsere Fragen verstehen zu können. Die Männer, die Wache stehen mußten, waren dankbar für jede Abwechslung und erzählten uns in aller Ausführlichkeit allen möglichen Unsinn, die anderen unterbrachen wir beim Trinken oder beim Liebesspiel, weshalb ihre Antworten entsprechend knapp und unfreundlich ausfielen. Doch als ich mich endlich müde auf mein Lager werfen konnte, war ich so klug wie zuvor. Niemand hatte etwas gesehen, niemand hatte etwas gehört, niemand wußte etwas über das Opfer, niemand hatte sich durch irgend etwas verdächtig gemacht. Ich befürchtete bereits, daß der Dekurio Unrecht hatte. Wer immer Calpurnius Repentinus in den Hades geschickt hatte – einer der Soldaten im praetorium war es mit ziemlicher Sicherheit nicht. »Wenn du nicht weißt, wer es war, dann mußt du wissen, warum er es war!« Dieser Satz zeugte von schlechtem Latein und guter Menschenkenntnis. Er stammte von meinem ehemaligen Sklavenaufseher, der nach diesem Motto verfuhr, wenn irgendeiner von uns Sklaven etwas ausgefressen hatte und er sich daran machte, den Übeltäter aufzuspüren. Ich beschloß, mich am nächsten Tag umzuhören. Vielleicht stieß ich dabei auf jemanden, der Calpurnius Repentinus so feindlich gesonnen war, daß er nicht einmal die Saturnalien abwarten konnte, um ihn in die Unterwelt zu schicken.