Paprotta, Astrid Die ungeschminkte wahrheit

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ISBN 978-3-492-98323-5

© Piper Verlag GmbH, München 2004

© dieser Ausgabe: Piper Fahrenheit, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2017

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1

An einem Frühlingsabend kurz vor acht kletterte Pit Rehbein ganz in schwarz gekleidet auf den Rand eines Brunnens vor der Oper und begann zu singen. Das Plakat im Schaukasten kündigte Die Zauberflöte an, eine leichte Übung für Pit Rehbein.

»Dies Biiildnis ist bezaubernd schön

Wie noooch kein Auge je gesehn.«

Er unterbrach sich, hob seine Bierflasche und rief: »Zauberflöte! Kriegen Sie hier billiger«, dann sang er weiter.

»Ich füüühl es, wie dies Götterbild

Mein Herz mit neuer Regung füllt.«

Es gab dünnen Applaus und viel Gelächter, und auch die beiden Polizisten, die zufällig vorbeikamen, lachten. Die meisten Leute jedoch, penibel gekleidete Opernbesucher, ignorierten Pit Rehbein.

Er trank einen Schluck, dann beugte er sich zu den Polizisten herunter. »Was möchte die Staatsgewalt denn hören? Ich hätte noch Tosca im Angebot, vissi d’arte, vissi d’amore

»Nee, laß gut sein«, rief der Jüngere der beiden Uniformierten. »Komm da runter, die Show ist vorbei.«

»Wer sagt das?« fragte Rehbein.

»Ich sag das.« Der Polizist ging zum Sie über. »Sie könnten da reinfallen. In den Brunnen, meine ich, also los.«

»Fällt Ihnen auf, daß ich kein Trinkgeld kriege?« Mit großer Geste deutete Pit Rehbein auf die Opernbesucher. »Aber für den Schmirgel da drin bezahlen die sonst was.«

»Was ist Schmirgel?« fragte der Polizist.

»Na, die Aufführung soll nicht besonders gut sein.« Rehbein sprang vom Brunnenrand, dabei schwappte ein Rest aus seiner Bierflasche dem Beamten auf die Uniform.

»Tut mir leid«, sagte er. »Wollte ich nicht.«

»Ja, ja.« Aus zusammengekniffenen Augen blickte der Polizist auf seine Jacke: nur ein kleiner Fleck.

Es war der erste schöne Tag im Mai.

2

Mittags verdunkelte sich die Stadt. Ein fernes, dumpfes Knurren war zu hören, wie von einem bösen Hund, der gleich angriffslustig um die Ecke bog. Doch erst am Abend schlug das Gewitter zu. Blitze zogen eine Lichtschnur durch die Wolken, und der Regen überfiel Straßen, Keller und Cabrios. Kühler wurde es kaum; seit zwei Wochen hatte der Sommer die Stadt im Würgegriff. Machen Sie sich keine Hoffnung, hatte ein Wetterfrosch im Radio gesagt, es wird bloß schwüler.

»Die haut mir dann wieder auf’n Kopp«, sagte Ina Henkel. Sie stand am Fenster ihres Zimmers im Polizeipräsidium und sah zu, wie der Wind Abfallkörbe aus den Halterungen riß und der Regen auf Zeitungen einprügelte, die in Fetzen durch den Rinnstein schwammen. Sie mochte den Sommer nur, wenn sie nicht arbeiten mußte.

»Wer?« fragte Stocker.

»Die Schwüle. Krieg ich Kopfschmerzen von.«

»Das bilden Sie sich ein«, sagte Stocker. »Wenn Sie dieses Biowetter nicht so genau studieren würden, hätten Sie auch keine Probleme. Sie lesen mir vor, daß der Blutdruck sinkt und fallen zehn Minuten später ins Koma.«

Das Wetter, das den Namen Gundula bekommen hatte, die glühende Gundula, war das Thema der Woche. Die Leute fachsimpelten über Temperatur und Luftfeuchtigkeit und stellten fest, daß schwüle Hitze viel schlimmer war als trockene und daß dies vielleicht mit jener seltsamen gefühlten Temperatur zusammenhing, von der die Meteorologen so viel redeten. Die Zeitungen brachten Gundula auf die Titelseiten, schrieben »Deutschland stöhnt« und »Deutschland dampft« und druckten die guten Ratschläge der Mediziner: viel trinken, wenig bewegen, öfter mal ein Nickerchen, luftdurchlässige Kleidung, Schatten, Kopfbedeckung, Kräutertee.

»Kräutertee«, sagte Ina Henkel, »hab ich früher immer in die Pflanzen gekippt.«

»Ich auch«, sagte Stocker.

Sie drehte sich um, was vermutlich die erste ernsthafte Bewegung war, die sie seit einer halben Stunde machte. »Sie auch?«

»Natürlich«, sagte er. »Als Kind tut man das.«

Sie hatte nicht erwartet, daß Stocker getan hatte, was Kinder tun. Im Grunde schien es so, als sei der neununddreißigjährige Leiter der Mordkommission als neununddreißigjähriger Leiter der Mordkommission auf die Welt gekommen. Er lachte selten, ließ sich grundsätzlich von niemandem duzen, außer von seiner Frau vielleicht, und ordnete sein Leben in To-do-Listen. Sie fand es passend, daß er, der sieben Jahre älter war, den Eindruck erweckte, die Hitze mache ihm nichts aus, denn während sie seit Stunden glaubte, noch nicht einmal einen Arm heben zu können, pusselte er herum. Aber seinen Kräutertee hatte er früher auch weggekippt; wenigstens war er ein Kind gewesen.

Sie sagte: »Das wundert mich jetzt.«

»Ich mag keinen Kräutertee«, sagte er schlicht und begann die Tastatur auf seinem Schreibtisch mit einem feuchten Tuch abzuwischen, dessen Inhalt nach 4711 roch. Sauberkeit war wichtig bei der Hitze, erzählten die Mediziner und sprachen von Hygiene, peinlicher Hygiene, aber Stocker wischte seine Tastatur seit jenem kalten Tag im Herbst, an dem er gelesen hatte, daß sich auf jeder Taste und besonders in den Zwischenräumen gemeinhin mehr Bakterien tummelten als auf der Brille eines öffentlichen Klos. Er begann links oben, rieb über jede Taste, um irgendwann einmal rechts unten anzukommen. Er war beim L, als ein Kollege mit einem Zettel kam, den er als Fächer benutzte. »Da liegt ein toter Penner im Ostpark.«

»Kreislauf«, sagte Stocker bestimmt.

»Nein, Schuß.«

»Goldener.«

»Eher Blei.«

Der Erste Kriminalhauptkommissar Ralf Stocker trug eine helle Hose, die Oberkommissarin Ina Henkel ein dünnes Sommerkleid und ihre schönsten Pumps. Vielleicht waren sie zu optimistisch gewesen, was den Verlauf des Wetters betraf und die Mordlust der Menschen. Ina wollte den Kollegen mit dem Zettel fragen: Wer macht denn so was bei 35 Grad? Mechanisch kramte sie in ihrer Tasche nach dem Calvin-Klein-Flakon, weil sie sich vor jeder Leiche besprühte. Sie haßte Leichen im Sommer, denn die rochen nach zwei Stunden schon, zumindest bildete sie sich das ein.

»Da habt ihr jetzt einen tüchtigen Sumpf«, sagte der Kollege.

Es war acht Uhr abends, dunkel wie in der Nacht, und der Regen schickte sich an, die halbe Stadt wegzuschwemmen.

 

»Ja, der Sänger. Wie soll ich sagen«, sagte Jendrik, »das war ein lustiger Typ. Das letzte Mal hab ich ihn vor der Oper gesehen, das muß im Frühjahr gewesen sein, da stand er auf dem Brunnen und sang – na ja, diese Oper, die sie drinnen wohl gespielt haben. Jedenfalls sang er ein paar Strophen – nennt man das Strophen? – und machte sich über die Leute lustig, die Opernbesucher, aber Randale hat er keine gemacht. Richtig Randale hat er überhaupt nie gemacht, und richtig singen konnte er wohl auch nicht.«

Der junge Streifenbeamte hielt eine Stablampe mit der rechten Hand und stützte mit der linken seinen Ellbogen. Schwer war so eine Lampe nicht, doch Ina Henkel wußte, daß er damit das Zittern seiner Hände verbarg. Jendrik war als erster hier eingetroffen, und er sah genauso übel aus wie sie alle hier, verdreckt und durchnäßt und verschreckt. Ja, vor der Oper, begann er erneut, da habe er ihn das letzte Mal getroffen, und daß er sich so genau erinnerte, läge daran, daß der Sänger, als er vom Brunnen sprang, ihm einen Rest aus seiner Bierflasche auf die Uniform gekippt hatte, nicht mit Absicht natürlich, das sei einfach so passiert. Sicher, sagte Jendrik, ein komischer Typ sei das irgendwie gewesen, aber doch ziemlich begabt, weil er von der Musik wohl etwas verstand.

Ein paar Meter entfernt stand Jendriks Streifenwagen, dessen Blaulicht im Regen ersoff. Im Minutenabstand stürzten Feuerstrahlen aus den Wolken, um zuckend vor ihren Füßen zu landen und diesen Menschen zu beleuchten, den Jendrik den Sänger nannte, sein Gesicht mit dem halb geöffneten Mund und den blicklos starrenden Augen. Dieses Gesicht. Ina glaubte sich in einen englischen Gruselfilm versetzt. Fehlte nur noch der schwarze Hund aus dem Moor, der alles verschlang, aber zum Glück war hier kein Moor in der Nähe, wenn sonst schon alles ähnlich war. Der Wind war jetzt so stark, daß es sinnlos war, einen Schirm aufzuspannen. Es wäre ja auch gefährlich gewesen, wegen der Blitze.

»Ich rekapituliere«, sagte Stocker zu Jendrik. »Sie können ihn identifizieren, Sie hatten mit ihm zu tun.« Leicht gebeugt stand er über der Leiche, mit den Händen auf den Knien. »Sie konnten ihn tatsächlich gleich erkennen?« Er richtete sich auf.

»Doch«, sagte Jendrik. »Irgendwie schon.« Er sah jetzt nicht mehr hin. »Der ist immer mal wieder auffällig geworden, aber nicht schlimm. War halt ein paar Mal betrunken, Sie wissen schon, dann stand er nachts in Vorgärten herum und sang seine Arien, und wir haben ihn halt mitgenommen. Er war immer sehr freundlich, tja –«

»Tja«, wiederholte Stocker. »Ohne festen Wohnsitz?«

»So kann man das nicht sagen«, sagte Jendrik. »Er hat immer die Adresse einer Verwandten angegeben, seiner Schwester, glaube ich. Zu den Pennern paßte der gar nicht, ich meine, man kann ihn nicht zur Obdachlosenszene zählen, ich hab ihn weder am Bahnhof noch sonstwo gesehen, Junkie war er auch keiner. Vielleicht war er ein Lebenskünstler«, sagte Jendrik, und in seiner Stimme schwang etwas mit, das nicht zu deuten war, eine kleine Sehnsucht vielleicht, ein Traum. »Der ist immer wieder irgendwo untergekommen, fast jedes Mal hat ihn eine Frau abgeholt, wenn er aus der Zelle kam. Also, jedes Mal eine andere

»Ach was«, sagte Stocker.

Jendrik nickte. Wieder zuckte ein Blitz über den Toten hinweg; Jendrik schloß die Augen und sagte: »Rehbein, Pit. Eigentlich Peter.«

»Das war also nicht seine Art?« Ina Henkel leuchtete dem Toten mit ihrer eigenen Lampe ins Gesicht.

»Nein«, sagte Jendrik, »nein. Das ist –« Er sprach nicht weiter.

Ina ließ den Lichtkegel über den Körper des Toten wandern. Sein Hals war eine einzige große Wunde; sie tippte auf Schüsse aus kurzer Entfernung. Sein Gesicht war unversehrt, obwohl es auf den ersten Blick nicht so ausgesehen hatte. Es war kein Blut, das im Regen verlaufen war und dem Toten über Stirn und Wangen rann, sondern Schminke – und es war viel zu viel, als hätte ein betrunkener Bestatter sich an ihm ausgetobt. Alles glänzte, Tusche, Lidschatten, Lippenstift und Rouge, alles war dick aufgetragen auf Lippen, Wimpern und Wangen.

»Wie findet ihr das?« Als die Kriminaltechniker kamen, vergaßen sie, sich über Regen und Wind zu beschweren und die Tatsache, daß man kaum Spuren sichern konnte. Dampfend in ihren weißen, hochgeschlossenen Monturen beugten sie sich über die Leiche und spekulierten darüber, ob sie es mit einem toten Transvestiten zu tun hatten.

»Nein, guck dir an, wie dick dieser Kleister ist, die Transen verstehen was vom Schminken, der hier nicht.«

»Die Klamotten passen auch nicht dazu. Olle Jeans und T-Shirt und dann diese Bemalung, das ist doch absurd.«

Stocker fragte: »Hat dieses bemalte Gesicht irgendeine Bedeutung?«

»Wenn er den Kleister nicht selber aufgetragen hat«, sagte Ina, »dann vielleicht.«

»Tja.«

»Weil«, fügte sie hinzu und wußte, daß er dasselbe dachte, »wir dann vielleicht einen Bekloppten hätten.«

»Psychisch gestört.« Stocker korrigierte sie so automatisch wie andere Leute »Gesundheit« sagten, wenn jemand niesen mußte. Egal. Irre Mörder waren die letzten, mit denen sie es zu tun haben wollte.

»Die Kosmetik geben wir nicht an die Presse«, sagte Stocker.

Ina nickte und kämpfte sich durch den Matsch zu einem weiteren Streifenwagen vor, in dem das Pärchen saß, das den Toten gefunden hatte. Ein kleiner, dürrer Mann hielt die Hand einer großen, noch dünneren Frau und betrachtete Inas völlig versaute Schuhe, bevor er berichtete, daß sie herumgelaufen waren, um Plätze zu vergleichen, Grillplätze, als das Gewitter kam und –

»Was meinen Sie mit Grillplätzen?« fragte Ina.

»In der Nähe wird manchmal gegrillt«, sagte er. »Da kommen türkische Familien abends nach der Schicht. Manchmal sitzen auch Obdachlose hier, die grillen aber nicht.«

»Aha. Und?«

»Wir schreiben eine Seminararbeit im Bereich Gender Studies, dabei untersuchen wir das Grillverhalten von Familien.«

Was für ein Gemetzel. Was waren denn Gender Studies – müßte man Stocker fragen, der spulte solche Sachen auf Knopfdruck herunter.

»Also das Grillverhalten von Familien«, ergänzte die Frau, »im Gegensatz zum Grillverhalten von Studenten.«

Auch das noch. »Gibt es da Unterschiede?«

»Doch«, sagte die Frau, »das ist ja gerade das Thema unserer Arbeit.«

»Na gut«, sagte Ina. »Und in diesem Zusammenhang –« Sekundenlang hatte sie die Vision, wie der tote Rehbein auf einem Grill rotierte.

»– lag er einfach da«, hörte sie den Mann sagen. »Er lag auf der Seite, das heißt, er lag auf dem Bauch, aber sein Kopf war seitlich verdreht, wissen Sie? Das war schon ein Indiz, daß er tot war.«

Was du nicht sagst. »Haben Sie etwas verändert?« fragte Ina. »Oder ihn berührt?«

»Natürlich nicht«, sagte die Frau. »War ja auch blutig«, fuhr sie sachlich fort. »Und so komisch im Gesicht.«

Ina ging nicht darauf ein. »Ist Ihnen irgend etwas aufgefallen?« Die Standardfrage. »Haben Sie jemanden in der Nähe gesehen?«

Kopfschütteln.

»Spaziergänger? Geräusche? Irgendwas?«

»Nein«, sagte die Frau. »Na ja, weiter weg ein paar Kinder mit ihren Eltern, die rannten aber alle, weil es anfing zu donnern.«

»Sonst nichts?«

»Nein, sonst nichts.«

 

Ein Toter, der vom Himmel fiel. Der Streifenbeamte Jendrik hatte sein Ableben bedauert, wer noch?

The jaws of hell,

anytime, anytime,

we can wipe you out,

anytime, anytime.

Ina drehte die Radiohead-CD gerade so laut, daß die Nachbarn nicht wieder gegen die Wand klopften. Alle Fenster waren weit geöffnet, doch es kam keine Kühle herein, nur Mief. Abgase, fauliges Wasser, Blut, Schweiß und Tränen, all die Gerüche, die sie mit sich herumschleppte und von denen Stocker sagte: »Das bilden Sie sich ein.« Egal was er sagte, nur ihre Duftsammlung kam dagegen an, all die Fläschchen, für die sie im Bad ein eigenes Glasregal aufgestellt hatte, eckige, runde und ovale Flakons, kantige, winklige, elliptische, konische und komische. Sie könnte in Wetten daß auftreten, so viele Düfte hatte sie auf Anhieb identifizieren können.

Jerry bevorzugte die herberen Düfte, bei den schweren fing er an zu niesen. Sie nahm den schwarzweißen Kater vom Boden und drückte ihn an sich; Jerry war der verläßlichste Kerl in ihrem Leben, er blieb einfach da. Irgendwo draußen schickte ein plärrender Fernseher künstliche Lachsalven durch die Gegend und das Licht einer Straßenlampe warf ein Muster aufs Parkett. Sorgfältig zeichnete sie es mit der Fußspitze nach: ein Zinken, eine Knubbelnase, irgendwas in der Art.

Ina Henkels Wohnung sah wie alle Wohnungen aus, in die zwei Menschen eingezogen waren und ihren Plunder verstaut hatten – und die einer dann wieder verlassen hatte. Lücken blieben. Lücken nannte sie es selbst, weil sie nicht von Leere sprechen wollte, doch im Gegensatz zu Freundinnen, denen das gleiche passiert war, stürzte sie sich nicht in hektische Einkäufe, um die Lücken zu füllen. Es war egal. Es gefiel ihr sogar, daß viel Platz um die wenigen Möbelstücke herum blieb und die kahlen Wände das weiße Licht aus drei Stehlampen reflektierten. Wichtig waren Telefon und Kühlschrank, um Pizza und Salat für zwei zu bestellen und den Rest für den nächsten Abend zu verwahren. Hilfreich war auch Benny Unger, ein hübscher Kerl Mitte zwanzig, der halbe Hähnchen, Currywürste und Pommes in einem umgebauten Wohnwagen an der Straßenecke verkaufte, dessen knallrote Aufschrift das ganze Viertel in den Bann zog: »Hunger? Unger!« Benny, der Brathähnchenmann, der auch ein guter Nachbar war, hatte gesagt, ihre Wohnung könnte strenggenommen beides sein, Sozial- oder Designerwohnung, es käme nur darauf an, wie man diese spärliche Möblierung interpretierte, als reduziert auf das Nötigste oder reduziert auf das Wesentliche.

Früher hätte sie nächtelang geheult über so eine halb verlassene Wohnung und den ausgebüchsten Kerl, früher, wann war das gewesen? Sie setzte sich aufs Sofa, lehnte sich zurück und fixierte die weiße Wand – vor zwei, drei Jahren oder so, als sie im Urlaub die halbe Welt bereisen und die andere Hälfte auf den Einkaufszettel setzen wollte, um nicht dauernd an den Job zu denken. Früher, als es nach dem Job das Leben gab, war sie sommersüchtig, kinosüchtig, kneipensüchtig und dauernd verliebt, aber auch eine blöde, ängstliche Polizistin, der Leichen den Schlaf raubten, weil der Anblick toter Gesichter sie aufschreien ließ in der Nacht. Jetzt war sie sehr fleißig im Job. Sie machte mehr Überstunden als die Kollegen, sie bot sich regelrecht an. Sie hatte begonnen mit den Tätern zu sprechen, mit diesem Abschaum stand sie auf du und du.

Auf der Wand die Umrisse einer Hand. Nach fünf Minuten oder zehn machten die Krallenfinger eine Bewegung, und die Hand hielt eine Waffe. Der Übergang war fließend, das war er immer. Die Zeit blieb stehen. Erst die leere Hand und dann die Waffe. Ina legte den Kopf zurück und schloß die Augen, und als sie sie wieder öffnete, sah sie wegsackende Beine und Blut an der Wand.

Unmöglich, den Kopf abzuwenden oder aufzustehen, unmöglich, sich auch nur zu bewegen, denn die Hand an der Wand war ihre eigene. Sie wollte das nicht sehen und sah es jede Nacht, ihre Hand und ihre Waffe, nur das Blut war nicht ihres. Alles war schwarzweiß, und nur das Blut bildete einen roten Flecken, so war es immer. Früher war die Wand bloß weiß gewesen, früher, als sie noch keine Mörderin war.

Paß auf, häng nicht herum.

Waren das nicht Toms Abschiedsworte gewesen? »Häng doch nicht dauernd so rum.«

Als sie damit angefangen hatte, stundenlang die Wand anzustarren, um kurze Zeit darauf sogar durch ihn hindurchzusehen, den Mann, mit dem sie lebte, da hatte er gesagt: »Häng doch nicht dauernd rum, du bist ja halb tot.«

»Dann geh doch«, hatte sie gesagt, und er: »Das werd ich auch tun.«

Schön, er hatte es getan, und sie glotzte noch immer die Wand an, als wartete sie darauf, daß auch der Täter, mit dem sie es gerade zu tun hatte, dort erschien. Als sie das erste Mal dort ihre eigene Waffe sah, nicht wie sie abgefeuert wurde, sondern wie sie sich senkte, nachdem sie abgefeuert worden war, in jener Zeit hatte sie begonnen, mit den Mördern zu sprechen, weil sie ja jetzt auf Augenhöhe mit ihnen stand: Was hast du gedacht, was hast du geplant, wie stellst du das an?

Verdammter Arsch.

Jerry, friedlich schnurrend, lag neben ihr auf dem Sofa. Sie legte eine Hand auf seinen schwarzweißen Kopf – dem ging’s gut. Bekam sein Fressen und sein Spielzeug und scherte sich um nichts.

»Erzähl was«, murmelte sie, doch das kümmerte ihn nicht. Sie hatte ihn bekommen, kurz nachdem sie Tom kennengelernt hatte.

Seit Tom ausgezogen war, spürte sie hin und wieder einen leichten Schmerz, den sie exakt zwischen Brust und Magen orten konnte, so eine Art Liebeskümmerchen, das sich hin und wieder meldete wie ein zu schweres Essen.

Denk nicht daran. Mach deine Arbeit, paß auf. Aufpassen hieß: erkennen, recherchieren, analysieren, die Teile wieder zusammenfügen, halbwegs jedenfalls. Sie stand vom Sofa auf, eine Bewegung, die so mühsam war, als hätte man sie aus einem schweren Traum gerissen, und ging ins Schlafzimmer, wo der Schreibtisch stand.

Dieser Rehbein war seit vierundzwanzig Stunden tot.

Ina klappte ihr Notebook auf und sah sich die Liste an: Pit Rehbein hatte zwei Schußwunden in Schulter und Nacken, verursacht von einer nicht registrierten Pistole, 7,65 Millimeter. Zu allem Übel hatte er auch noch Würgemale am Hals, die von einem Strick stammen konnten, als hätte der Täter zuerst versucht, ihn zu erdrosseln und sich dann darauf besonnen, daß er ja verdammt noch mal eine Schußwaffe hatte. Dieses irre Gesocks. Der Regen hatte vieles weggeschwemmt, trotzdem hielten die Kriminaltechniker es für wahrscheinlich, daß er an jener Stelle erschossen worden war, an der man ihn gefunden hatte. Die Schminke auf seinem Gesicht gab auch nicht viel her, das war Dutzendware aus dem Kaufhaus. Doch hatten sie einen Papierfetzen in der Unterhose des Toten gefunden, einen dreimal gefalteten Zettel mit dem handschriftlichen Eintrag Vic553-delta. Der Mann trug nichts bei sich, keinen Ausweis, keine Schlüssel, kein Geld, nur diesen Zettel. Warum schob er sich den in die Unterhose, wenn er doch Jeans mit vier Taschen trug? Weil es für ihn ein wichtiger Zettel war, eine Aufzeichnung, die niemand so schnell bei ihm finden sollte? Was sollte das bedeuten, Vic553-delta, war das eine Telefonnummer, irgendwas Verschlüsseltes?

Der Zettel trug seine Handschrift, zumindest hatte seine Schwester das behauptet. Ina sah sich das Vernehmungsprotokoll noch einmal an. Lydia Rehbein, sechsunddreißig Jahre, allein lebend, Sekretärin. Und nicht nur das; allem Anschein nach war sie eine tüchtige Sekretärin, mit todschicker Kleidung und einer Frisur, wie ein Gino sie schnitt, ein Tino oder ein Marco für viel zu viel Geld. Selbst die Polizisten, die sie vom Tod ihres Bruders unterrichteten, schienen ein Zeitproblem darzustellen, weil doch die Arbeit rief, der harte Job. Sie sagte aus, ihr Bruder hätte keine Fehler gemacht, denn wer nichts tut, kleiner Scherz am Rande, der macht auch keine Fehler. Er wollte Romane schreiben, Musik studieren, Kunstgeschichte studieren und hatte nichts davon getan. Er lebte von der Hand in den Mund, was ja kein richtiges Leben war, er jobbte im Winter und lag im Sommer, wie sie sagte, auf der faulen Haut, gehätschelt und getätschelt von irgendwelchen dummen Frauen. Nein, sie kannte keine Namen. Frauen halt. Dumme Frauen. Ihr selber, hatte Lydia Rehbein gesagt, würde es im Traum nicht einfallen, einen gesunden Mann auszuhalten, der zu faul zum Arbeiten war, einen Mann mit großen Träumen und einem kleinen, jämmerlichen Leben. Doch er sah ja gut aus, nicht wahr? Also lebend, oh Gott. Der arme Kerl. Nein, sie hatte ihn monatelang nicht gesehen und überhaupt: wenn sie sich trafen, pumpte er sie an. Ja, so hat das enden müssen mit ihm, traurig, traurig, aber wahr.

Pit Rehbein war zweiunddreißig Jahre alt geworden. Seine Schwester nannte ihn Peter, schließlich hieß er so. Pit, hatte sie naserümpfend gesagt, allein der Name hätte schon so einen asozialen Klang.

 

Gegen halb elf beschlich sie das merkwürdige Gefühl, daß die Luft immer dumpfer wurde und sich wie ein Koloß ins Zimmer schob. Ina klappte das Notebook zu. Der Fernseher in der Nachbarschaft schickte die Tagesthemen durch die Nacht, guten Abend, meine Damen und Herren. Pit Rehbein würde kein Thema sein, aber vielleicht befaßte sich Fadenkreuz damit, wenn sie nicht weiterkamen, Fadenkreuz, das Kriminalmagazin, in dem Kollegen aus dem ganzen Land danach lechzten, der blonden Moderatorin Denise Berninger ihre Ermittlungsergebnisse zu Füßen zu legen – Kommen wir leider nicht weiter – Bitten wir die Zuschauer um Mithilfe – Wer kann Angaben machen – Bist du zu haben, Denise? Fadenkreuz, vom örtlichen Sender ins Land geschickt, stellte ungeklärte Verbrechen nach und ließ Polizisten im Studio noch etwas dazu sagen, was weder neu noch abendfüllend war. Der Witz war Denise Berninger selbst, falls man sie einen Witz nennen konnte. Eine Tragödin, das kam schon eher hin. Stocker fand die Sendung albern, sicher, Stocker fand alles albern, sogar Denise, meinte aber auch, daß so eine Fernsehfahndung nicht zu verachten sei und hatte einmal den Kollegen Kissel ins Studio geschickt, der über dem Boden schwebend zurückgekommen war und überall herumerzählte, Denise sei kleiner als es den Anschein habe.

Benny dagegen war ein Riese, Benny Unger, der Brathähnchenmann, den sie unterm Fenster pfeifen hörte wie diesen Romeo – hatte der überhaupt gepfiffen vor Julias Fenster? Gesungen? Oder war er nur diesen Balkon hochgeklettert – sie kannte sich nicht aus in diesen Dingen, ihre Bildung, hatte Hauptkommissar Stocker mehrmals geklagt, ließ zu wünschen übrig. Egal, hatte sie geantwortet, man brauchte schließlich kein Vordiplom in Literatur, um einen Mordfall aufzuklären.

Es gebe kein Diplom in Literatur, hatte er gesagt, schon gar kein Vordiplom.

Benny Unger pfiff und rief dann leise ihren Namen. Sie lehnte sich aus dem Fenster und sagte: »Es ist gleich elf.« Ab zehn Uhr abends nannte sie immer die Uhrzeit, nur der Form halber, und Benny Unger spielte seinen Part mit einem ähnlich sinnfälligen Satz: »Ich hab noch Licht gesehen.«

»Es ist noch was übrig«, sagte er, als er zwei Minuten später seine durchtrainierten 180 Zentimeter durch die Tür schob. Seit er wußte, was sie tat (seine Frage »Was machste denn beruflich?« hatte sie allerdings erst beim dritten Mal beantwortet), war er schier verrückt danach, ihr Currywürste anzubieten, weil er die Fernsehkommissare immer Currywürste essen sah. Er kam aus Dresden, wohnte im Haus gegenüber, war ein paar Jahre jünger und versuchte ein besonders guter Nachbar zu sein.

»Ich ess’ doch jetzt keine Currywurst mehr«, sagte Ina.

»Es wär aber ein guter Grauburgunder.« Mit einem verheißungsvollen Blick langte er in seine Tasche und holte die Flasche hervor. »Sind dir nicht letztens wieder mal die Getränke ausgegangen?«

»Ja, letztens.« Sie guckte auf die dreiviertel volle Flasche und hätte ihm gern gesagt, daß sie lieber Rotwein trank.

»Da machen wir Schorle«, sagte er. »Mit viel Eis.«

»Eis? Du meinst Eiswürfel? In den Wein?«

»Für mich schon.« Er verbeugte sich leicht. »Ich komme aus dem Osten, ich habe keinen Geschmack.«

Als sie mit den Gläsern aus der Küche kam, hatte Benny schon den Kater auf dem Schoß.

»Ich glaub ja manchmal, der ist schwul«, sagte sie. »Er hat’s echt mit Kerlen, das war schon immer so.«

»Dann kommt er ja zur Zeit nicht unbedingt auf seine Kosten.« Benny blies ihm ins Ohr, worauf Jerry zu schnurren begann. »Außer bei mir natürlich.«

»Sag mal –« Ina holte Luft, doch fiel ihr keine passende Erwiderung ein.

»Wird so ein Tier nicht hysterisch bei dem Wetter?« fragte er.

»Ich werde hysterisch«, murmelte sie, »vor allem, wenn es nachts nicht abkühlt.«

»Irgendwie hatte der Osten schönere Sommer«, sagte er.

»Wenn du meinst.« Ina drückte sich das kalte Glas gegen die Stirn. Benny nervte sie gern damit, daß der Osten landschaftsmäßig dem Westen überlegen sei, guck doch bloß mal das Erzgebirge an. Die Elbe in Dresden, das war ein Fluß. In Hamburg fing er schon an, seine Erhabenheit zu verlieren. Überhaupt Dresden! Vergleiche doch Dresdner Bauwerke mal mit denen Münchens, lauf am Elbufer entlang und mach dann einen Spaziergang in Frankfurt am Main, haha!

Früher konnte man antworten, dann geh doch rüber! Warum sagte man das heute nicht mehr?

»Hast du gewußt«, fragte er, »daß in Eiswürfeln auch alle Bakterien konserviert werden?«

»Nein.« Ina bewegte ihr Glas hin und her und sah der kreisenden Flüssigkeit zu. Stocker mit seiner Bakterien-Phobie würde das interessieren.

»Diese Leichen«, fing Benny an und trank erst einmal bedächtig, während Ina ihn anschnauzen wollte, er möge bitte die Klappe halten, »diese Leichen müssen doch auch massig Bakterien absondern, nicht? Sonst würde ein Krankenwagen doch Tote mitnehmen. Tut er aber nicht.«

»So was Ähnliches«, murmelte sie. Leichengifte. Kein Gift im Grunde, aber fieses, unsichtbares Zeug.

»Da kann man sein ganzes Leben lang superreinlich sein«, murmelte Benny, »und dann das.«

»Sie kriegen’s ja nicht mehr mit.« Sie seufzte. Viel zu oft fing er von den Toten an. Fragte er sie aus, womit er ohnehin keinen Erfolg hatte, dann kaum über die Täter, die Mörder, immer nur über die Opfer, den Tod. Wenigstens stellte er die Standardfrage nicht, mit der fast jeder Kerl ankam, sobald er ihren Beruf erfuhr: Hast du schon mal jemanden getötet? Umgebracht, umgelegt, ermordet, kaltgemacht, um die Ecke gebracht, gekillt. Dabei hätte sie ihm antworten können: Ja, hab ich, und weißt du, wie das ist? Das wolltest du doch sicher als nächstes wissen, stimmt’s? Dunkel ist es. In meinem Kopf war alles dunkel, und erst hinterher wurde es wieder hell. Aber danach, verstehst du, herrscht ein anderes Licht, ist es nie mehr so klar, nie wieder rein, ist es eher wie eine schmutzige Beleuchtung, die von nun an das ganze Leben lang brennt wie eine Funzel. Sie unterdrückte ein Kichern – kein Lebenslicht, eine Lebensfunzel.

»…ende«, hörte sie Bennys Stimme. Sie holte tief Luft und sah ihn an.

»Huhu!« rief er.

»Sorry«, sagte sie. »Ich bin müde.«

»Ich hatte gefragt, was du am Wochenende machst.«

Sie schüttelte den Kopf. Arbeiten vermutlich. Frische Leiche, weißt du? Keine Zeit. Pit Rehbeins merkwürdige Notiz fiel ihr wieder ein: Vic553-delta. Könnte strenggenommen auch ein Gewürz sein, sollte sie den Hähnchenmann danach fragen?

Was war so wichtig daran, daß er sich diesen Zettel in die Shorts schob?

Am nächsten Morgen, als sie die Tür zu ihrem Büro aufriß, wollte sie Stocker erneut danach fragen, doch es blieb keine Zeit. Sie sah ihn telefonieren, und als sie seine Worte hörte, behielt sie die Hand auf der Türklinke: »Wo genau? Präzise bitte.«

 

Sie parkten hinter zwei Streifenwagen am Ende der Straße. An einem Kiosk konnte man tagsüber etwas trinken, direkt daneben befand sich ein Pissoir, da wurde man die Flüssigkeiten wieder los. Auf buckligem Pflaster stand eine Bank, bedeckt mit alten Zeitungen und Taubendreck. Hier führte ein kleiner Weg in ein Gebüsch, wo die Streifenbeamten Spalier standen, die Blicke in die Wolken gerichtet, bloß nicht auf den Boden, auf den Mann, der da lag, auf die Reste eines Mannes, auf Füße, Beine, Rumpf und Arme und einen Kopf, der so schief auf dem Hals saß, als gehörte er gar nicht zum Rest des Körpers.

Seminarthema Genickschuß: Ina spielte es mit sich selber durch. Aufgesetzte Waffe oder Schuß aus kurzer Distanz, wenn der Kopf des Opfers nach vorn geneigt ist. Ausschuß im Stirnbereich. Sie stand frierend in der Hitze und verlief sich bald mit den Augen, weil sie in einen schwarzen Krater guckte und schwarze Krater in einem Menschen nichts zu suchen hatten.

»Was sagen Sie, Frau Henkel?« Stocker streifte Handschuhe über, was für Ina das Zeichen war, dasselbe zu tun. Stocker hielt ein Auge auf sie, seit sie geschossen hatte. Er stellte solche Fragen wie: »Haben Sie Ihre Waffe dabei? Wann hatten Sie das letzte Schießtraining? Warum nicht? Glauben Sie, davon wird es besser?«

Es war noch kein Techniker und auch kein Pathologe da, der ihnen das hätte abnehmen können, also hielten sie die Luft an, während sie mit den Händen nach der Leiche tasteten. Auf den Kopf achten, weil man nicht erkennen konnte, wie fest der mit dem Hals noch verbunden war, auf den eigenen Atem achten und so tun, als täte man das jeden Tag. Behutsam, als sei er ein neugeborenes Baby, berührten sie die Schultern des Toten und drehten ihn so, daß sein Gesicht der Sonne zugewandt war.

Kein altes Gesicht. Nur ein paar Falten ließen sich erahnen unter dieser braunen Paste, die auf der Stirn mit Blut vermischt war. Er war geschminkt, so wie Pit Rehbein, trug Jeans wie Pit Rehbein, trug Lidschatten, Lippenstift und Rouge.

»Du meine liebe Güte.« Stocker hob den Kopf und fixierte die Streifenbeamten. »Kennt den jemand?«

Ein gemurmeltes Nein. Aber sie hatten vielleicht nicht so genau hingesehen.

»Was ist denn das hier?« Stocker machte eine weit ausholende Bewegung. »Das ist doch so ein Treff hier, der Kiosk da vorne wird doch gerne von Obdachlosen belagert.«

»Wenn er auf hat«, murmelte einer der Streifenbeamten, und Stocker sagte patzig: »Ja natürlich, wenn er geöffnet hat.« Er zerrte an seinen Handschuhen. »Hat er auf?«

Sie nickten.

Aus irgendeinem Grund schien er zufrieden. Erneut beugte er sich über den Toten, als ein Funkgerät zu schnarren begann und der Uniformierte, dem es gehörte, so hastig zur Seite sprang, als hätte dieses Geräusch die Totenruhe gestört. Ina hörte nicht, was Stocker sagte. Einen Moment lang sah sie nur diesen kleinen, rothaarigen Kollegen von der Streife mit seinem Funkgerät, dessen Namen sie immer vergaß und ihn deshalb den Iren nannte, sah, wie er wortlos zu fuchteln begann, was man komisch finden könnte, hätte man jetzt Sinn dafür. Doch deswegen starrte sie ihn nicht an. Es war die Art, wie er den Kopf zu ihr drehte, noch während er der krächzenden Stimme lauschte. Ein wenig hob er die Schultern dabei, fast wie um Verzeihung bittend, dann wischte er sich die Stirn. Er steckte das Funkgerät wieder ein, schlich heran und sagte leise: »Zentrale hat da gerade einen ähnlichen Fund gemeldet.«

»Was denn«, rief Stocker, »noch einen?« Einen Moment lang sah er wie ein Mann aus, der sich fürchtete.

Der Streifenbeamte nickte. »Leichenfund hinter einer Kirche. Auch so jemand –« Er machte eine unbestimmte Handbewegung.

»Das gibt’s nicht«, sagte Stocker.

»Doch, schon«, sagte der Kollege und wiederholte leise: »Hinter einer Kirche.«

 

Dreimal rief der Pfarrer das Wort Schande in die heiße Luft. Er war gekleidet wie ein Sanitäter, mit weißer Hose und weißem T-Shirt, nur hellblaue Flip-Flops störten die Harmonie. Schlappend lief er im Kreis herum und rief, daß es das noch nie gegeben hätte, diese Schande, einen Menschen einfach im Gebüsch zu verscharren.

»Das gibt es öfter als Sie denken«, sagte Ina.

»Aber doch nicht hinter einer Kirche!« schrie der Pfarrer.

Nein, vielleicht nicht hinter einer Kirche, und nein, nicht die dritte ähnlich zugerichtete Leiche innerhalb von vierundzwanzig Stunden, nein, das war nicht üblich, das war – wie nannte man das – ein Omen?

Nein, das nannte man Serie. Und eine Serie war das Unangenehmste, was passieren konnte.

Eine Frau, Mitte Dreißig vielleicht. Sie trug eine Cordhose und ein viel zu warmes Sweatshirt. Ihre Lippen waren geschlossen, aber ihre Augen nicht. Diese Augen – Ina sah auf sie herunter, diese Angst darin, für immer festgehalten, dieser letzte Blick, der nur das Unbegreifliche sah. Daß da jemand kommt und löscht alles aus. Sie ging einen Schritt zurück. Schleichst du dich heran, oder näherst du dich friedlich, um erst einmal zu quatschen? Nein, du schleichst dich nicht heran, du willst, daß sie es wissen. Dreh dich um, sagst du, da weiß sie, was kommt, auch wenn sie es nicht begreift. Diese Angst in ihren Augen, die hast du haben wollen, nicht wahr? Aber dann wolltest du auf Nummer sicher gehen, hast vielleicht gelesen, daß Genickschüsse tödlich sind, ein Schuß, ein Treffer. Knie dich hin, sagst du, und sie? Sie sagt nichts mehr, kann nichts mehr sagen, kann noch nicht einmal schreien. Oder hat sie geschrien, und niemand hat es gehört? Gehst du das Risiko ein, daß sie schreit? Drückst ihr die Waffe in den Nacken, und dann schließt du ihre Augen nicht.

Genickschuß vermutlich, wie bei dem Mann zuvor. Bei Rehbein hast du noch geübt mit dem Genickschuß, da hast du dich zuerst vielleicht gar nicht getraut. Rehbein hatte zwei große Wunden und außerdem diese Würgemale am Hals. Mit dem Mann von vorhin hast du es schon besser getroffen, da hast du die Waffe aufgesetzt, nicht? Aber den richtigen Punkt hast du auch bei ihm noch nicht getroffen – hier schon, bei ihr. Das ist eine saubere Wunde, du schießt dich langsam ein. Nur das verdammte Schminken kriegst du nicht hin, oder soll das so sein?

Sie legte den Kopf in den Nacken und schloß die Augen. Leichenmalerei, neues Wort. Als sie die Augen wieder öffnete, begegnete sie Stockers Blick.

»Nun«, begann er, räusperte sich und ging langsam um die tote Frau herum. Auch sie war geschminkt wie eine Frau sich niemals schminken würde, noch nicht einmal, wenn sie übertrieb: schichtweise Rouge, tonnenweise Make-up und ein Lidstrich, der fast bis zur Schläfe ging.

»Hat er das vorher gemacht oder danach?« murmelte Ina.

»Hält man denn still?« Stocker hob die Schultern. »Gucken Sie, die hat die Lippen zusammengepreßt, die sind auch nicht bemalt wie bei den Männern. Nein, ich denke, er schminkt sie nach dem Exitus, und diesmal kam er an die Lippen nicht richtig heran.«

»Ich kenne sie nicht!« schrie der Pfarrer dazwischen. »Ich kenne sonst alle hier.«

»Wer sind alle?« Ina ging zu ihm hinüber, und das permanente Schlappen seiner Flip-Flops hörte auf. Plötzlich stand er ruhig da und rieb sich die Stirn.

»Ja hier, die Leute. Obdachlose.« Er seufzte. »Sie kommen hierher unter die Bäume, und solange sie friedlich bleiben, dürfen sie da auch sitzen. Sie belästigen ja niemanden, ich meine, wenn man vorne zur Kirche reingeht, sieht man sie nicht.«

»Und man soll sie nicht sehen?«

»Das ist eine rhetorische Frage«, sagte er streng.

»Kirchenbesucher sind doch gute Menschen, oder?«

»Hören Sie auf«, sagte er.

»Oder etwa nicht?«

»Erwarten Sie denn, daß jeder Kirchenbesucher ein Herz für Arme hat?« Er lächelte verkniffen. »Es kommen nicht nur Gläubige zum Gottesdienst, das wissen Sie doch genau.«

»Schön«, sagte Ina. »Es handelt sich also um Obdachlose, die hinter Ihrer Kirche kampieren.«

Der Pfarrer nickte. »Ich hatte schon mal Lebensmittel für sie, da kamen aber immer mehr. Das geht nicht, ich kann sie nicht durchfüttern. Sie kriegen ja auch Sozialhilfe.«

»Und diese Frau hier?«

Heftig schüttelte er den Kopf. »Die war noch nie dabei. Oder falls doch, dann weiß ich nichts davon. Fragen Sie die Kollegen, vielleicht –«

Hinter der Absperrung standen die Kollegen, wie er sie nannte, vier Männer und eine Frau. Sie waren gekommen, um im Schatten zu sitzen und waren über eine Leiche gestolpert, stumme Leute, die jetzt geduckt im Sonnenlicht standen und aussahen, als würden sie frieren. Ihr Leben steckte in Plastiktüten. Einer der Männer hob die Hand wie ein aufmerksamer Schüler. Er trug ein rotes Halstuch.

»Sind Sie die Frau Kommissarin?«

»Ja«, sagte Ina.

»Sie sind aber sehr jung.« Er nickte bedächtig.

Was antwortete man auf sowas?

»Sie lag da«, sagte er. »Wie tot.«

»War tot«, murmelte die Frau neben ihm.

»Ja«, sagte er. »Wie so ’ne Puppe, ganz still.«

»Kennen Sie sie?« fragte Ina.

Kopfschütteln. Es war ansteckend, pflanzte sich fort. Niemand hatte sie zuvor gesehen, hier nicht und auch nicht woanders. Ina versuchte es weiter. »Wie ist das nachts, schlafen Sie manchmal hier?«

»Wer?« fragte der Mann mit dem Halstuch.

»Sie.«

»Ich?« Er legte den Kopf schief.

»Sie sind das Siezen nicht gewohnt«, rief der Pfarrer.

»Und ich bin es nicht gewohnt«, sagte sie, »daß einer ständig dazwischenquatscht. Gehen Sie mal weg hier.«

»Ich wollte nur helfen.«

»Im Winter«, sagte der Obdachlose, während die anderen zustimmend nickten. »Manchmal schlafen wir im Winter hier, wenn es nicht zu kalt ist. Im Sommer ist es wieder zu warm, ja? Da geht kein Lüftchen hier in der Nacht, da sind wir dann anderswo.«

»Es gibt aber Leute, die hier schlafen?« fragte Ina und ärgerte sich, daß sie den Pfarrer verscheucht hatte, weil sie auch ihn das jetzt hätte fragen können.

»Ich hab schon hier geschlafen«, sagte die einzige Frau in der Runde. »Aber wie er sagt, es ist so eng und schwül. Zum Sitzen ist es schön, aber nicht zum Liegen. Wir schlafen gern im Ostpark. Wenn sie hier geschlafen hat« – sie deutete zu der Stelle, an der die Leiche lag – »dann hat sie es nicht besser gewußt. War vielleicht neu.«

»Kennen Sie denn ihn hier?« Ina nahm das Foto von Pit Rehbein, das seine Schwester ihnen überlassen hatte und das einen selbstbewußt grinsenden Mann zeigte.

Die Frau lächelte.

»Kennen Sie ihn?«

»Na, der schwarze Peter ist das doch, der Pit.«

Ina sah Stocker herankommen und sagte: »Erzählen Sie von ihm.«

»Der hat die aber nicht umgebracht, oder?«

»Nein, bestimmt nicht. Woher kennen Sie ihn?«

»Vom Großmarkt. Da kann man aushelfen, er ist mit so Wagen rumgefahren, Wagen voller Gemüse, ich hab das Gemüse sortiert. Da nennen sie ihn schwarzer Peter, weil er immer bloß schwarz angezogen ist. Der kann Sprachen, also Italienisch oder Spanisch, ich weiß nicht genau. Und singen tut er wie ein junger Gott.«

Ina schlug ihr Notizbuch auf, weil sie sich das komische Wort, das Rehbein sich notiert hatte, nicht merken konnte. »Vic553-delta«, las sie vor. »Sagt Ihnen das was?«

Nein, das sagte ihnen nichts. Sie versuchte es erneut, sagte einmal Vic, dann Witsch und buchstabierte es schließlich, aber das hatte auch keinen Erfolg.

»Hat Pit Rehbein mal so etwas gesagt?«

Nein.

»Der Olaf hat mal beim Pit gewohnt«, sagte der jüngste Mann in der Runde.

Ina drehte sich so schnell herum, daß er zurückwich. »Er hatte eine Wohnung?« Hätte das seine bescheuerte Schwester nicht wissen müssen?

»Ja, das hab ich gehört«, sagte er.

»Wer ist Olaf?«

»Kumpel halt. Wollen Sie mit ihm reden?«

Sie nickte, und der Mann sagte: »Dann müssen Sie zum Großmarkt kommen, morgens um sechs. Wenn Sie vorne reinkommen, gleich scharf links, da sind Tomaten. Meistens ist er da, nicht immer. Der Olaf ist ja Student und arbeitet nicht viel. Kommen Sie?«

Sie nickte erneut. Tomaten. Scharf links. Morgens um sechs.

Der Mann schob einen Finger in den Mund und nuschelte: »Was heißt hatte

Sie sagte nichts.

»Sie haben hatte gefragt. Pit hatte eine Wohnung, haben Sie gefragt.«

Ina preßte die Lippen zusammen. Es war immer so beschissen, das zu sagen. Stocker nahm es ihr ab, förmlich wie immer. »Herr Rehbein ist tot.«

Sie sagen nichts, guckten nur auf ihre Füße. Ein Seufzen, so ein rasselndes Geräusch, sonst war es still.

»Er wurde getötet wie diese Frau hier«, sagte Stocker. »Und ich möchte Ihnen dringend raten: Passen Sie auf. Schließen Sie sich zusammen, gehen Sie nirgendwo alleine hin, wo wenig Menschen sind. Schlafen Sie nicht alleine.«

»Da macht einer Jagd?« fragte die Frau.

»Tja«, murmelte Stocker. »Das könnte sein.«

»Warum denn?«

Stocker sagte nichts. Wieder war es still, bis der Mann mit dem Halstuch, der zuerst gesprochen hatte, erneut einen Finger hob. Er sah Ina an, als wollte er sie zum Bleiben zwingen.

»Ja?« sagte sie.

»Sind tot, ja?«

»Ja.« Sie wollte noch etwas sagen, aber ihr fiel nichts ein.

 

Tot und scheinbar vom Himmel gefallen, Menschen, die niemand vermißte, Pit Rehbein, ein Mann ohne Namen und eine namenlose Frau. Vom Himmel gefallen wie der Täter selbst, ein Geist ohne Spuren.

Am Nachmittag, als Stocker nach dem dritten Mord das Schreckenswort Serie ausgesprochen hatte, war die Versammlung im Konferenzraum der Mordkommission größer als gewöhnlich. Ganz vorn saß ein Kriminaltechniker mit rotem Gesicht, der von einem Hund sprach, irre oder nicht, dem das Wetter sehr entgegengekommen war, zumindest an dieser abgelegenen Stelle im Park, wo es keine verwertbaren Spuren gab. »Wir haben genug Schuhabdrücke«, sagte der Techniker, »aber brauchbare Fasern sind Mangelware. Wir haben keine Kippen im Umkreis, als hätte der Hund die alle aufgesammelt, falls es welche gab. Wir haben es da zu tun mit« – er überlegte, doch eine neue Wendung fiel ihm nicht ein – »einem Hund.«

Stocker klopfte mit einem Stift auf den Tisch. »Was wir sagen können ist, daß da offenbar einer herumgeht und Obdachlose erschießt, respektive Menschen, die er dafür hält. Ob wahllos oder bewußt ausgewählt, wissen wir nicht. Wie es scheint, geht er präzise und geräuschlos vor. Das erste Opfer hat er vermutlich erst erwürgen wollen, es dann aber erschossen, zumindest gibt es Würgemale am Hals. Die anderen Opfer haben diese Male nicht. Das ganze Vorgehen spricht gegen Nazis und sonstigen Pöbel, der die Leute lieber lautstark totprügelt oder tritt. Bislang hat nur eines der drei Opfer einen Namen, Rehbein, Peter, genannt Pit. Von den anderen beiden machen wir Fotos und zeigen sie in der Szene herum, eventuell kommen Zeitung und Plakate hinzu.«

Ein Kollege hob artig die Hand und fragte: »Könnte man nicht Denise bitten, ob sie das bringt? Wegen der Reichweite.«

Ja, wegen der Reichweite. Ina schüttelte den Kopf. Und dann willst du es natürlich sein, der sich zur ihr Studio setzt, wegen der Reichweite und überhaupt.

»Die Furie aus Fadenkreuz?« Stocker verzog die Lippen. »Ich vergesse immer ihren Vornamen.«

Da schien er der einzige zu sein. Denise Berninger war der blonde Engel der Verbrechensopfer – und aller männlichen Polizisten, von Stocker einmal abgesehen. Das lange Haar zurückgekämmt und mit taubengrauen Augen legte sie jeden einzelnen Zuschauer in Fesseln und sprach selbst die schlimmsten Worte so aus, daß sie erhaben klangen: Mord, Totschlag, Vergewaltigung – Großaufnahme – Täter flüchtig, Polizei hilflos, Angst, Schmerz, Grauen. Reglos, niemals lächelnd und die ganze Welt fixierend, leitete die Berninger ihre Kriminalfälle gern mit Wendungen ein wie: »Blicken wir in einen Abgrund des Bösen…« oder: »…bekommen wir eine Ahnung, was das Böse ist.«

Mit dem Bösen hatte sie es. »Zu was ist der Mensch fähig?« war eine weitere ihrer Lieblingsfragen, die ihr bisher kein Mensch hatte beantworten können.

»Frau Berninger wird sich das ohnehin nicht entgehen lassen«, sagte Stocker, »die müssen wir um nichts bitten.« Er nahm seinen Stift und ließ ihn umgehend wieder auf den Tisch fallen. »Die nicht.« Er sah in die Runde. »Bitte, ich möchte noch mehr zum Täter hören.«

»Der will uns was erzählen«, sagte Ina. »Oder was haben wir von diesem Make-up zu halten?«

»Das kommt auf keinen Fall an die Presse«, sagte Stocker. »Und auch nicht zu Frau Berninger. Diesen Vorsprung brauchen wir, falls die Trittbrettfahrer kommen und sich bezichtigen.«

»Ja, aber was bedeutet die Schminkerei?«

»Er schickt sie schön ins Paradies«, sagte der Kollege Alexander Kissel. »Wenn man auf Erden schon ein bisserl verwildert war. Hat er vielleicht freundlich gemeint.«

»Es sind keine bekannten Leute«, murmelte Ina.

»Was hast du denn gedacht?« Kissel lachte ihr ins Gesicht. »Stadtbekannte Penner, die für Szenemagazine posieren, gibt es nicht.«

Sie ignorierte ihn. »Bisher gibt es nur zwei Leute, die den Rehbein halbwegs kannten. Diese Frau hinter der Kirche war zumindest denen unbekannt, die sie gefunden haben, na ja, und von dem Mann heute morgen wissen wir es noch nicht.«

»Das hat System«, sagte Stocker. »Er scheint hinter Einzelgängern herzuschleichen, die sich abseits halten, was sein Risiko enorm verringert, entdeckt zu werden. Rehbein in dieser entlegenen Ecke im Park, der Mann und die Frau an Stellen, die zwar tagsüber, aber nicht nachts bevölkert sind. Da kann er in aller Ruhe –«

»– schießen und schminken«, beendete ein Kriminaltechniker seinen Satz. »Wir vermuten, daß ein Schalldämpfer benutzt wird. Den Kleister trägt er natürlich auch nicht mit den Fingerspitzen auf, da nimmt er Schwämmchen und Pinsel.«

»So gehört sich das auch«, murmelte Ina.

»Wir brauchen Fakten über die Opfer«, sagte Stocker, »auch wenn ich glaube, daß er wahllos vorgeht. Aber die müssen ja zumindest mal einen Namen kriegen, nicht?« Er schob seinen Stuhl weit zurück, als läge etwas auf dem Tisch, von dem ein ekelerregender Geruch ausging.

»Da kommt noch mehr«, sagte er dann.

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