Lovecraft-3_Cover_300dpi.jpg



Alles endet

Und noch immer wartet der Golem,

vom Chaos träumend,

auf das Erwachen.

Fürchte seine Träume!

Andreas Ackermann
Das Mysterium dunkler Träume



In dieser Reihe bisher erschienen:

2101 Das Amulett von William Meikle

2102 Götter des Grauens von Roman Sander (Hrsg.)

2103 Das Mysterium dunkler Träume von Andreas Ackermann



Andreas Ackermann


Das Mysterium
dunkler Träume


Eine Traumstaub-Erzählung






Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!
Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung
ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.
Infos unter: 
www.BLITZ-Verlag.de

© 2018 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 Windeck
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Mark Freier
Umschlaggestaltung: Mark Freier
Satz: Harald Gehlen
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-95719-423-7

Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!



Andreas Ackermann wurde 1967 in Thüringen geboren und lebt heute in einem Dorf in Niedersachsen.

Seit seiner Jugend interessiert er sich für phantastische Literatur, seltsame Filme, Dark-Wave und Gothic-Rock. Manchmal des Nachts, wenn der Regen auf das Dach des Hauses trommelt, hat er das Gefühl, auf ewig in den Traumlanden gestrandet zu sein.

Notizen, die auf Reisen durch innere Landschaften und ferne Städte entstanden, führten zur Entstehung seines Romans Nachtmarkt Voodoo, der 2012 in kleiner Auflage in der Goblin-Press veröffentlicht wurde.

2014 folgte ein Beitrag zum Kingsport Reiseführer im Basilisk Verlag. Eine weitere Geschichte erschien 2015 im Ulthar Reiseführer.

Sein Debüt wird dem Leser hiermit in stark überarbeiteter Form unter dem Titel Das Mysterium dunkler Träume wieder zugänglich gemacht.

Diese Geschichte handelt von einer Zukunft, die es niemals gab. ­Jegliche Ähnlichkeit mit existierenden Personen oder Orten ist rein zufällig und nicht beabsichtigt.



Handelnde Personen:

Maxemilian Meißner - Ein schlafloser Träumer, der unversehens in eine albtraumhafte Geschichte verwickelt wird.


Der Traumbringer, auch Der Eidechsenkönig - Ein ­Fremder.


Jack the Ripper, auch Der Spiralmann - Das Phantom der Altstadt.


Videodrome - Ein Lebemann, der mehrere Blutkanäle betreibt und mit außerirdischen Artefakten handelt.


Doktor Virelli, auch Der Alchemist - Ein Nekromant und Drogenhändler.


Mario von Henzenau - Der Hauptmann von Virellis Leibwache. Ein übel beleumdeter Abenteurer.


Der Kartograf - Ein Buchhändler, der versucht, das Geheimnis des ewigen Lebens zu ergründen.


Django, der Höllenhund - Ein Chirurg, der Menschen jagt, um sie auszuweiden.


Baron Victor Mabuse, auch Der Schwarze Baron - Ein verschwundener Wissenschaftler, von dem es heißt, er sei mit dem Teufel im Bunde.


Elric Hitchcock - Der Großinquisitor von Prag.


Killing Joke - Der Anführer einer Räuberbande von ­Romeros.


Kapitän Nemo - Das Oberhaupt der Wanderer.


Alegra - Die Schöne und das Biest.


Prinz Karl Rupprecht Wilhelm XIII. - Der Leiter einer Expedition des parapsychologischen Instituts Berlin. Ein Mitglied des Deutschen Herrscherhauses.


Kurt Engelherz - Der Adjutant seiner Königlichen Hoheit. Ein Offizier der militärischen Sektion des parapsychologischen Instituts.



Es war eine seltsame Welt hinter den Spiegeln ...

Drei Uhr nachts im Botanischen Garten. Obgleich ich hätte schwören können, dass ich den verwilderten Park um den Zodiac-Brunnen auf meinen rastlosen Wanderungen schon Hunderte Male durchquert hatte, war mir das Koma Kino niemals aufgefallen, bis ich, der Wegbeschreibung des Psychospiels folgend, in der Nacht zu Allerheiligen vor dem verfallenen Gebäude stand.

Noch immer quält mich die Frage, was mich veranlasst hatte, den alten Filmpalast zu betreten. Wilde Blumen rankten sich über die abbröckelnden Fassaden des düsteren Gemäuers. Ihr schwerer Duft weckte Erinnerungen an Dunkelheit und Wahnsinn. Je länger ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich mir, dass es dieser eigentümliche Geruch war, der meine Seele hinabzog.

Die Flügeltüren des Foyers wurden von konturlosen Steinskulpturen bewacht, die trotz angelaufenem ­Messing und blinden Scheiben vom einstigen Glanz träumten. Wann immer sie sich unbeobachtet wähnten, veränderten die Wächter ihre Position, ohne das verwitterte, von ihren Gasleuchtern beschienene Plakat absetzen zu können, das hoch über dem Eingang für die Erstaufführung des Gefährlichsten Spiels von allen warb.

Während die Türen mit leisem Wispern die Realität ausschlossen, erklang aus der Ferne das zynische Lachen des Grafen Zaroff.

Der Raum vor mir war so finster wie die Nacht. Ich benötigte endlose Augenblicke, um mich an die ­Dunkelheit zu gewöhnen. Schwarzer Marmor führte hinab in den bodenlosen Abgrund. Die von feinen Rissen durchzogenen Stufen endeten seitlich in verschlissenen Samtkissen, auf denen dunkelgekleidete Gestalten lagen. Aus ihren bleichen Körpern ragten obskure, verchromte Instrumente hervor, in denen sich die Glut der Wasserpfeifen spiegelte. Der Geruch von türkischem Tabak, Marihuana und Opium lag in der Luft.

In der Ferne vernahm ich leises Trommeln, begleitet von beschwörendem Gesang, der die Götter des Chaos pries. Unwillkürlich wandte ich mich zur Tür um, um von diesem unwirklichen Ort zu fliehen, fand diese jedoch fest verschlossen vor. Durch das verschmierte Glas erblickte ich Straßen, auf denen Menschen wandelten, doch keiner der Passanten beachtete mich, wie sehr ich auch versuchte, ihre Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.

So ging ich zurück zu dem finsteren Abgrund, den hungri­gen Augen entgegen. Schaudernd hielt ich den starren­den Blicken der reglos zusammengesunkenen Krea­turen stand, die einem Albtraum entsprungen schienen.

Mein Weg führte mich hinab ins kalte, dunkle Herz der Erde. Schemen düsterer Geschehnisse tanzten im Verborgenen, während meine Schritte unnatürlich laut von den mit dichten Spinnweben überzogenen Wänden widerhallten.

Inzwischen konnte ich den Grund des Gewölbes erkennen. Am Fuße der Treppe wiegte sich eine chromglänzende Abscheulichkeit zum Rhythmus der Trommeln. Aus klinisch blankem Stahl rann dunkles Blut hervor, aus dem sich zusehends Gewebe und Haut bildeten. Metallische Tentakel durchbrachen die Kopfhaut der rothaarigen Frau. Ihr Körper war von Tätowierungen überzogen, die sich bewegten, als seien sie selbst lebendig.

Ich kannte die Frau aus meinen Träumen. In ihren Augen lag das Versprechen von Sünde ohne Erlösung. So wie ich sie begehrte, hatte ich niemals zuvor eine Frau begehrt. Für nur eine weitere fiebrige Nacht mit ihr hätte ich mit Freuden alles gegeben, was ich besaß. Wie hypnotisiert eilte ich die Treppe hinab, ohne mir Gedanken über die Gefahr zu machen, in der ich schwebte.

Vor ihrem Sockel gabelte sich der Pfad; rechter Hand beschienen Fackeln einen in den Fels gehauenen Durchgang, links gähnte Dunkelheit. Während ich einen Atemzug am Abgrund der Nacht verweilte, um in das verführerische Angesicht des Traums zu blicken, schlugen dornenbewehrte Tentakel nach mir. Sie teilten mein Fleisch und zertrümmerten die aufgestapelten Schädel in ihren rings um mich ins Gewölbe eingelassenen Grab­nischen. Scharfe Klingen rissen Haut von Muskelgewebe und Sehnen und legten pulsierende Adern frei.

Mit unerbittlicher Gleichgültigkeit zerschlug der oberste Richtherr das Stundenglas der Ewigkeit. Schwarzen Tränen gleich rann vergeudete Zeit durch seine Klauen. Blut und Leben pulsierten aus den Wunden. Schmerz schrieb Symphonien der Lust, während die Göttin der Träume begann, in der Farbe der Qual zu malen.

Ausweichend taumelte ich hinüber ins Licht.

Die Tunnel endeten in einem von rußgeschwärzten Petro­leumlampen spärlich erhellten Raum. Der Feuerschein prallte auf die Kälte der aus genieteten Stahlplatten zusammengefügten Wände. Eisige Flammen spiegelten sich in glänzendem Chrom, vor dem weitere Schädel angehäuft lagen. Sie mochten von Reptilien oder Dämonen stammen; menschlichen Ursprungs waren sie jedenfalls nicht!

Unschicklich bekleidete Puppen bewegten sich aufreizend zwischen rostigen, von der Gewölbedecke herabhängenden Ketten, die in blutbeschmierten, rasiermesserscharf geschliffenen Fleischerhaken ausliefen. Es handelte sich um wundersam mechanisches Spielzeug mit beinahe menschlicher Seele.

Auf einem mit Schlangenleder überzogenen Kanapee lag der Herr dieses unterirdischen Labyrinths. Seine Haut war über und über von rituellen Narben und Tätowierungen bedeckt. Eine grausig bemalte Maske verbarg den Großteil seines Gesichts.

Gemächlich erhob er sich und winkte mir einladend, näher zu kommen. Als ich vor ihm stand, griff er mit seinen langen, scharfkantigen Krallen nach der blutenden Wunde an meinem Hals.

Ich schrie vor Schreck auf. Seine Berührung erinnerte mich an totes Fleisch. Unwillkürlich zuckte ich zurück, als ich die Kälte spürte. Meine Reaktion entlockte ihm ein Grinsen, bei dem viel zu viele Zähne sichtbar wurden. Er glich den Abbildungen der Traumdämonen, die in den Chroniken der Geisterstadt zu finden waren.

„Ein Quäntchen Blut, ein Quäntchen roter Wein“, murmelte er vor sich hin.

Der Maskierte griff nach einem Glas mit rotem, dickflüssigem Inhalt, von dem er genüsslich trank. Dann deutete er auf eine silberne, mit Dämonenfratzen verzierte Vitrine, in der betörend schöne Plastiken aus metall­gefasstem Stein aufgereiht lagen. Sie hatten Ähnlichkeit mit den Goldstaubgewichten der Tuareg, wirkten aber dunkel und nachtseitig.

Mit ihnen wog man Albtraumstaub. Es handelte sich um die Maßeinheit für Schwarze Träume!

„Womit kann ich dienen?“, fragte er mich. Sein leises Flüstern wob Schatten in meine Seele. Unterdessen öffneten sich die Augen einer der schlafenden Figuren. Töd­liches Eis reflektierte den Trubel des schwebenden Marktes, die Schönheit des Verfalls. Leise erzählen sie mir von ihrer Welt, während ich in ihrem Traum versank ...



Lass alle Hoffnungen fahren, der du hier eintrittst

Es war einmal in einer träumenden Stadt, halb so alt wie die Zeit selbst. Noch immer überragte Das Schloss dunkel und unheilvoll die verfallenen Häuser und labyrinthischen Gassen der Altstadt, in denen seit jeher Vorsehung und Chaos zusammentrafen. Immer wieder verschwanden hier Anwohner und Touristen, ohne Spuren zu hinterlassen, was der Nähe der Katakomben und ihren grauenhaften Bewohnern zugeschrieben wurde.

Der fiebrige Rhythmus ferner Voodoo-Trommeln beherrschte die Dunkelheit. Wir rannten durch den Irrgarten des Nachtmarkts, verfolgt von vermummten Mitgliedern des Höllenfeuer-Klubs. Die Luciferi waren für die Grausamkeit berüchtigt, mit der sie verstümmelten und mordeten.

Hinter den Schießscharten der verrammelten Läden und Lokale drängten sich die Schaulustigen. Jene, denen es nicht gelungen war, sich in einem der Gebäude in Sicherheit zu bringen, verfolgten die Blutjagd aus nächster Nähe. Im Takt der Trommeln schlugen sie mit ihren Klingen gegen Holz und Metall.

Unsere Flucht endete am Planetarium, nahe dem Abgrund über der schlafenden Stadt. Sie hatten uns zu einem der Stollen gehetzt. Ein bis zur Unkenntlichkeit verwitterter, über gekreuzten Knochen in den Fels eingelassener Schädel markierte den Eingang zur Unterwelt. Aus den Tunneln zogen Nebelschleier durch die Gitterstäbe des mit massiven Holzbalken vernagelten Tores.

Uns blieb kein Ausweg.

Zu beiden Seiten des Labyrinthes gähnte die unergründliche Tiefe. Verkümmerte Pflanzen krallten sich in den Abhang. Ihre knorrigen Wurzeln ragten aus dem zerklüfteten Fels hervor. Während wir hinab auf das kalte Neonlicht der Smaragdstadt starrten, nahten unsere Verfolger gemächlichen Schrittes.

Wir hatten einen der ihren getötet, und sie würden sich unsere Köpfe holen!

Wenige Stunden zuvor wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, dass ich um mein Leben fürchten musste, auch wenn sich seit Wochen die Anzeichen mehrten, dass das Ende der Zeit nahte.

Die Geschichten über die Spiralmänner, die meinen Großeltern noch Angst eingejagt hatten, waren seit Langem vergessen. Nur die Alten trafen sie im Schlaf, sprachen im Wachen aber nie von ihnen. Heutzutage glaubte keiner mehr daran, dass der Weltuntergang bevorstand, wenn sie wieder auftauchten. Lediglich die Insassen des städtischen Irrenhauses schrien ihre unverständlichen Warnungen in die Dunkelheit hinaus, doch kaum jemand achtete auf die Voraussagen aus den Gefilden des ­Deliriums, von dem aus ein düsterer, schmaler Treppenschacht hinauf zu den seltsam unwirklichen Bauwerken des Botanischen Gartens führte.

In den Chroniken der Geisterstadt fanden sich flüchtige Hinweise, dass manches dieser Gebäude bereits alt gewesen sei, lange bevor sich die Menschen am Ufer der Moldau angesiedelt hatten. Sowohl der Rote Turm des Alchemisten als auch Midian wurde erwähnt, doch die Herkunft der Bauwerke blieb verborgen.

Unzählige Legenden rankten sich um die Heimstätten der Verdammten.

Die merkwürdigsten Geschichten kursierten über Rabensteins Labor. Der berüchtigte Alchemist hatte die Nebel des Orion noch kurz vor dem Bau der Großen Mauer besucht. Es wurde gemutmaßt, er habe bei seinen Forschungen zum Chaos, dem Urzustand der Welt, die Alten Götter erzürnt. Manch einer glaubte, das Verschwinden Midians sei eine fatale Folge der gewagten Expedition gewesen.

Im Laufe der Zeit hatte das Wachstum der exotischen Vegetation das Antlitz der verfallenen, im Stile der unterschiedlichsten Epochen erbauten Türme, Kuppelbauten und Minarette verändert. So war ein sagenumwobener, verwunschener Ort entstanden, dessen dunkles Herz Das Asyl der Altstadt genannt wurde. Unter den pflanzenüberwucherten Gebäuden befanden sich weitverzweigte, zum Teil überflutete Tunnel.

Fand man einen der Eingänge zur Unterwelt, war alles möglich, und selbst die Todeshändler scheuten den Schritt hinab in die verbotenen Schächte. Nur Verzweifelte und Verrückte betraten die Gänge abseits des frei zugänglichen Teils der Katakomben. Es hieß, das Brechen der mit dem Bildnis der Göttin Kali versehenen Tonsiegel an der Pforte sei mit einem schrecklichen Fluch belegt.

Seit dem rätselhaften Blitzeinschlag im Altstädter Brückenturm waren die Hängenden Gärten geradezu besessen vom Okkulten. Man munkelte, etwas unsagbar Böses sei bei dem Brand im Spiegelzimmer freigesetzt worden. Gerüchte sprachen von der Wiederkehr der Pest, und schnell verbreitete sich über das Funkfeuer die Nachricht, die Prager Gothic-Rock-Legende XIII. Stoleti habe ein neues Album aufgenommen. Es handelte sich um das erste Lebenszeichen der Band seit fast einem Jahrzehnt. Alle Exemplare der Lichtbogen-Crash-EP waren bereits am Tag der Veröffentlichung restlos ausverkauft worden. Rückwärts abgespielt fand sich im Text die auf Deutsch gesprochene Botschaft: ­Armageddon folgt dem Feuer.

Der Verrückte Spielzeugmacher fertigte Amulette mit Abbildungen des brennenden Turms, die nicht selten als Obolus für die Fahrt über den Styx unter der Zunge von Toten gefunden wurden.

Als sich in den Umrissen des Mondes ein schemenhafter roter Drache abzuzeichnen begann, prophezeite ­Lunare, der berühmte mechanische Astrologe des Goldenen Gässchens, dass die Verstorbenen schon bald unter den Lebenden wandeln würden. Zeitgleich hatte eine entsetzliche Mordserie begonnen. In rascher Folge waren bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Leichen in Nähe der Katakomben gefunden worden. Die alte Hysterie breitete sich von Litfaßsäule zu Litfaßsäule, über den Ǽther zu den psychiatrischen Behandlungszimmern aus: Jack sei zurückgekehrt, und die Toten reisten schnell!

Der Mythos des Rippers hatte anfänglich scharenweise Touristen angelockt, doch die Sensationsgier war schnell versiegt, nachdem bekannt wurde, dass die blutigen Kameraimplantate verschwundener Nachtschwärmer bei den Organhändlern des Nachtmarkts aufgetaucht waren. Todesclips ihrer letzten Augenblicke verbreiteten sich virengleich weit über die Stadtmauern von Metroprag ­hinaus, und das schemenhafte Grauen beschwor lange vergessene Ängste herauf. Der Alchemist destillierte aus dieser Angst das neue Voodoo-Elixier für die Adrenalin-Junkies. Die rauschbringende Essenz wurde in Parfümfläschchen aus dem China der Ming-Zeit abgefüllt. In den roten Ton waren obszöne Sexszenen und Abbildungen von Höllengöttern geprägt. Sie wurden von den ­Straßenapothekern im Asyl zum Verkauf angeboten und fanden sich gleichermaßen in teuren Handtaschen, modischen Geh­röcken und abgetragenen Lederjacken. In tief in das Fundament gegrabenen Tunneln und mondänen Nachtklubs vermischten sich Dekadenz und Todesnähe so zu einem albtraumhaften Cocktail.

Die Nachfrage nach neuem, immer extremerem Grauen stieg, was professionelle Todeshändler zum Nachtmarkt lockte. Das Kopfsteinpflaster im Labyrinth der Hängenden Gärten wurde seit Wochen von Cliphändlern, Kopfjägern und Blutreportern bevölkert. Der stetige Nachschub aus der Büchse der Pandora forderte einen ungewohnt hohen Blutzoll. Dies hatte die Händlergilde veranlasst, zur Verstärkung der Nachtwache zusätzliche Söldner anzuheuern. Sie rekrutierten sich vorrangig aus ledergekleideten Jagdmeistern, deren tätowierte, von scharfen Zähnen gezeichnete Körper nicht selten mit Stahl und künstlichen Muskeln verstärkt waren.

Der übliche Broterwerb dieser exotischen Jäger war es, die Abschussprämie für menschenfressende Flusskrokodile und mutierte Reptilien zu kassieren, von denen die Einwohner innerhalb der Stadtmauern bedroht wurden. Im Grunde wusste jeder, dass es sich bei ihnen um gnadenlose Halsabschneider handelte, doch in diesen gefährlichen Zeiten waren selbst sie gerne gesehen. Dennoch wurden jede Nacht entsetzlich zugerichtete, oft noch unnatürlich lange zuckende Leichen unter den toten Augen des träumenden Golems in seiner in das Mauerwerk der Karlsbrücke eingelassenen Gruft gefunden.