Cover

Westend Verlag

Ebook Edition

Franz Keller

Vom Einfachen das Beste

Essen ist Politik
oder
Warum ich Bauer werden musste,
um den perfekten Genuss zu finden

Westend Verlag

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-696-5

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2018

Redaktion: Johannes Bröckers

Fotos: Peter Knaup (Rezeptfotos), Céline Keller (Falkenhof), Markus Basaler (Umschlag)

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Vom Einfachen das Beste
Schnell, billig, effizient – so muss Essen heut’ sein. Eine Katastrophe!
Ein Schwein, das nicht fett sein darf, ist eine arme Sau
Sterne schnuppern – Wie der erste Stern zum Schwarzen Adler kam
Star Wars – Mein Aufstieg zu den Sternen
Von Vätern und Söhnen
Der am besten bezahlte Koch in Deutschland
Zurück zu den Wurzeln und ein richtiger Schritt nach vorn
Wer Fleisch isst, sollte Tiere lieben
Vom ersten Tag bis zur letzten Stunde
Keine Angst vorm Kochen
Endiviensalat mit Kartoffel, Speck und Ei
Lauchgratin
Lauchgratin mit Fleisch
Pot-au-feu
Pot-au-feu, die einfache Variante
Champignonragout
Die Linsensuppe
Der Graupensalat
Bratkartoffeln mit Garnelen
Rosenkohl
Auf dem Weg zu einer ehrlichen Küche
Danke!

01a-Franz-Witz-IMG-20180218-WA0013.jpg

01-Franz-Witzigmann-jung.tiff

Seit fünf Jahrzehnten verbindet mich mit dem Jahrhundertkoch Eckart Witzigmann eine tiefe Freundschaft.

Ein Schwein, das nicht fett sein darf, ist eine arme Sau

Tatsächlich könnte man denken, dass ich heute genau dort wieder angekommen bin, wo ich einmal angefangen habe: in einem kleinen landwirtschaftlichen Familienbetrieb. Ist mein Leben heute also als Rückgriff auf die familiäre Tradition zu verstehen? Nicht wirklich. Sicher, ohne diese frühe Prägung und dem damit verbundenen Wissen, wäre ich wahrscheinlich nicht auf die Idee gekommen, meinen eigenen Hof zu gründen. Aber Tradition habe ich noch nie als ungebrochenes Festhalten an alten Werten verstanden, sondern eher als einen Ausgangspunkt für Innovation und Weiterentwicklung. Ich würde auch den Satz nicht unterschreiben, wonach früher alles besser war. Das stimmt einfach nicht. Ein kleiner Landgasthof mit landwirtschaftlichem Betrieb in den frühen fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Oberbergen am Kaiserstuhl lässt sich mit heute einfach nicht vergleichen. In Bezug auf unser Verhältnis zum Essen ist ein kleiner Rückblick trotzdem interessant.

Ich bin tatsächlich in einer Gasthausküche aufgewachsen. In einer Familie, in der es noch kein Wohnzimmer gab. Der private Familienbereich unseres Hauses waren lediglich die Schlafzimmer. Unser Wohnzimmer war die Adler Wirtschaft und die Küche der wichtigste Raum im ganzen Haus. Ursprünglich hatte mein Großvater den Schwarzen Adler vor der vorletzten Jahrhundertwende gekauft. Der war damals ein einfacher Weinhändler und als Ende des 19. Jahrhunderts die Bahn am Kaiserstuhl gebaut wurde, hatte der Großvater einen richtigen Gedanken: »Wenn jetzt die Bahn kommt, dann kommt auch der Wohlstand.« Also erwarb er die ehemalige Poststation der Österreicher, die zwischenzeitlich auch mal eine Badeanstalt gewesen war, damals die höfliche Umschreibung für ein Bordell. Das jedenfalls war der Anfang unseres Stammhauses, dem Schwarzen Adler in Oberbergen/Vogtsburg, den alle immer nur die Adler Wirtschaft nannten. Ich kannte den Großvater nicht und weiß das alles nur aus den Erzählungen meiner Oma, ohne die das alles heute nicht wäre. Sie war damals 24, als sie meinen Großvater geheiratet hat, der vierzig Jahre älter war. Man kann sich vorstellen, dass es sich dabei nicht unbedingt um eine Liebesheirat handelte. Es war eher ein großer Skandal: In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, in einem Dorf mit knapp 600 Einwohnern, heiratet ein alter Knacker ein junges Mädchen. Wie es überhaupt dazu kam, hat mir die Oma mal erzählt. Sie war die dritte Frau meines Großvaters. Seine erste Frau, eine Französin, war ihm in den Wirren des Ersten Weltkrieges abgehauen und seine zweite Frau, ein Schwabenmädchen, war früh im Kindsbett gestorben. Eines Tages jedenfalls saß der inzwischen sechzigjährige Großvater auf dem Klo im Häuserl hinterm Misthaufen und las in der Zeitung. Und vor dem Misthaufen standen seine beiden Schwestern und redeten darüber, wer mal das Haus und wer die Reben erben würde, wenn der Alte mal nicht mehr wäre. Als der Großvater das hörte, dachte er sich, ich muss noch mal was tun, um einen Nachfolger für das zu haben, was ich geschaffen habe. So kam es zu dieser Verbindung. Der Großvater starb 1930, als mein Vater gerade drei Jahre alt war. Und Oma hatte eine harte Zeit durchzustehen. Kein Mensch im Dorf wollte etwas mit ihr zu tun haben. Sie wurde geschnitten und musste den Laden auch in den folgenden Kriegsjahren alleine zusammenhalten. Zum Glück hatte sie zwei Franzosen und einen Polen als Zwangsarbeiter, die Franzosen blieben und beschützten sie, als die Befreier kamen. Sehr tough, so würde man diese von den schweren Lebensumständen geprägte Frau heute bezeichnen, die auch meinen Vater ziemlich streng erzogen und hart rangenommen hat. Heute denke ich, mit ihrer Strenge hat sie ihn auch für etwas büßen lassen, was der Großvater ihr angetan hat. Mein Vater wäre gerne Koch geworden, doch in Omas Augen war Koch kein seriöser Beruf, weshalb Vater eine Lehre bei einem jiddischen Metzger begann, der sich allerdings vor allem auf den Viehhandel spezialisierte hatte. Und so lernte mein Vater schon sehr früh, wie ein guter Kuhhandel funktioniert. Der Handelstag war immer der Montag, aber die Tiere wurden oft schon ab dem Freitag in den Schlachthof gebracht. Zum Teil auch mit dem Zug von weiter her und dann wurden sie über so eine Rampe in den Schlachthof getrieben. Mein Vater hat also nur mit lebenden Tieren gehandelt. Kühe hatten wir nur auf dem Hof, wenn Vater sie dort zwischenparkte, weil die Fleischpreise am Markt gerade im Keller waren oder es vierzehn Tage vor den Festtagen war. Dann standen im Gaststall eben auch mal dreißig Rinder für zwei Wochen und mein Vater hat gewartet, bis der Preis wieder hochging. So hat er sein erstes Geld gemacht. Doch der Chef war damals immer noch die Oma. Sie hat auch die Kasse in der Wirtschaft gemacht, war am Abend immer die Letzte und hat den Geldbeutel mitgenommen und unters Kopfkissen gelegt. Mein Vater war schon verheiratet und hat noch kein eigenes Geld im Betrieb verdient. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen.

Das Einzige, was wir wirklich dauerhaft hatten, waren Hühner und Kaninchen. Die Hühner erst mal nur für die Eier, die Kaninchen fürs Fleisch. Und dann gab es noch drei Schweine. Als kleiner Junge habe ich so den perfekten Recycling-Kreislauf kennengelernt. Bei uns wurde nichts weggeschmissen und wehe, du hast mal ein Stück altes Brot in die falsche Tonne geworfen. Da gab’s was hinter die Löffel. Es wurde alles verwertet. Die Reste wurden wieder an die Schweine verfüttert und das gab wieder Fleisch. In meinen Kindertagen wurden die größeren Nutztiere, Rinder und Pferde, ja auch noch in mehrfacher Weise genutzt. Die mussten erst mal sechs, sieben Jahre lang Milch geben, Kälber bringen oder wie die Ochsen und Pferde die Karren ziehen und dann hat man sie noch gegessen. Deshalb musste das Fleisch ja dann auch so lange abgehängt werden, damit es wieder weich und genießbar wurde. Man hat doch früher keine jungen Tiere geschlachtet! Die Kühe haben erst mal Milch produziert und aus den männlichen Rindern hat man entweder Ochsen gemacht oder als kleinste Kälber an den Metzger verkauft. Sie waren eben als reine Fresser verpönt, weil sie nur die kostbare Milch weggesoffen haben. Irgendwann waren auch die Milchkühe dran, die nichts mehr gebracht haben. Der Anteil der Jungtiere war jedenfalls sehr gering. Und wie haben wir es mit dem »Tierwohl« gehalten? Ich glaube, dieses Wort war damals noch nicht erfunden. Schon in meiner Kindheit ist mir aufgefallen, dass nur Menschen, denen es selbst halbwegs gutgeht, auch mit ihren Tieren einigermaßen gut umgehen. Wir sind sehr egoistisch, was das betrifft. Wir haben kaum Platz oder Zeit übrig, um uns Gedanken zu machen, wie es wohl den Tieren geht, die uns anvertraut sind und die wir in unserem Sinne nutzen, ob nun als Arbeitstiere oder als Lieferanten für Milch und Fleisch. Mein Vater hat als Viehhändler und Metzger den Grundstein für die Adler Wirtschaft gelegt, aber der hat sich doch keine Gedanken um das Wohlergehen der Tiere gemacht. Außer beim Fressen, da hat er sehr genau darauf geachtet, dass sie die richtige und notwendige Ernährung kriegen. Das Verhältnis zu den Tieren war von einer sehr pragmatischen und einer ganz selbstverständlichen Dominanz des Menschen über das Tier geprägt. Ich war ja als Junge immer ganz nahe dabei. Keiner wäre auch nur auf den Gedanken gekommen, dass Tiere auch Ängste oder Stress haben könnten. Diesen Gedanken musste man noch nicht einmal verdrängen oder ausblenden, es gab ihn einfach nicht.

Ich spielte von klein auf mit den Hauskaninchen, die die Großmutter im Hühnergarten züchtete. Aber ich hatte auch kein Problem damit, beim Töten und Schlachten zuzuschauen. Im Gegenteil: Ich war super stolz, als ich als kleiner Pimpf den ersten Hasen mit einem kräftigen Genickschlag töten und unter der Aufsicht der Oma auch ausnehmen durfte. Das war so selbstverständlich wie das Köpfen der Hühner und Hähne. Auch bei den größeren Schlachttieren ging es bestenfalls darum, darauf zu achten, sich selbst nicht in Gefahr zu bringen. Die Rinder und Ochsen wurden damals in unserem Schachthaus an den Hinterbeinen festgebunden und mit einer Seilwinde lebendig so hochgezogen, dass sie mit den Vorderhufen gerade noch den Boden berührt haben. Sie konnten sich dann weder bewegen noch sonst wie wehren und wurden schnell, präzise und mit ruhiger Hand mit einem Bolzenschuss getötet. Mein Platz war an der Winde. Hochdrehen im Schnellgang. Noch bevor ich in die Volksschule kam, durfte ich schon mein erstes Kalb schießen und das Blutrühren war sowieso eine meiner wichtigsten Aufgaben, wenn Schlachttag war.

Auch die Schweine lebten bei uns nicht sonderlich komfortabel. In den damals üblichen kleinen und düsteren Ställen gab es keine Tränke. Das Futter wurde so feucht gemacht und zusammengestellt, dass es genau richtig war. Das hatte den Vorteil, dass die Futtertröge immer blitzsauber geleckt waren. Weil nur einmal in der Woche gemistet wurde, standen die Schweine Anfangs zwar in viel Stroh, aber gegen Ende der Woche eben doch in ihren Exkrementen. Schon damals habe ich beobachtet, dass sie immer zunächst nur eine Ecke ihres Stalls dafür genutzt haben, um möglichst lange trocken zu liegen. Ihr Festtag war wohl nur immer der eine Tag in der Woche, an dem der Stall gemistet wurde und die Schweine frei im Hof herumstreunen konnten. Das klingt nun nicht sonderlich romantisch und das war es auch nicht. Es kam mir vollkommen natürlich vor. Wir lebten mit unseren Tieren, mit den Reben, dem Boden in einem sehr überschaubaren, gut funktionierenden Verwertungskreislauf. Unsere Tiere hatten keine Namen und wurden nicht verwöhnt, aber sie wurden mit Respekt betrachtet, denn wir wussten, dass wir ihnen unser Überleben zu verdanken haben. Das ist der große Unterschied zu heute: Wir verhätscheln unsere Haustiere und bestricken unsere Schoßhündchen mit Pullovern, aber die Nutztiere, von deren Fleisch, Proteinen und Energie wir leben, behandeln wir wie den letzten Dreck. Wir verbannen sie aus unserem Leben in riesige Zucht-, Mast- und Schlachtbetriebe. Die Lebensbedingungen, oder sagen wir besser die Produktionsbedingungen, die diese Tiere erleiden müssen, werden unserer Alltagswahrnehmung bewusst entzogen. Wir nehmen nur noch das abgepackte Schnitzel im Tiefkühlregal wahr und glauben vielleicht auch noch ernsthaft, wir könnten auf diese Weise ein gutes und gesundes Stück Fleisch produzieren. No way!

05-K%c3%a4lbchen-IMG_0764_copy.jpg

Auf dem Falkenhof bleibt die Milch meiner Mutterkühe ausschließlich ihren Kälbern vorbehalten.

Ich habe meinen Vater als Kind manchmal begleitet, wenn er zu den Bauern fuhr, um deren Vieh zu begutachten. Da standen dann die kleinen Kälber, die nicht zur Aufzucht bestimmt waren, ein paar Meter von der Mutterkuh entfernt, mit einem Strick angebunden und warteten auf das zwei bis drei Mal am Tag zugelassene Milchsaufen an Mamis Euter. Mindestens jedes zweite Mal wurde dann vorher auch noch gemolken, schließlich wollten die Bauern ja auch noch Milch verkaufen. Mein Vater prüfte dann die Größe und optimale Rundheit und schimpfte nicht selten mit den Bauern, wenn die wieder mal zu geizig waren, zu viel Milch verkauft hatten und das Kalb zu dünn und mager war. Natürlich hatten alle Kälber auch den obligatorischen Maulkorb an, damit sie kein Gras fressen konnten, denn ihr Fleisch sollte ja weiß bleiben. Die Kälber hatten damals kaum zehn Wochen bis zur Schlachtung und wogen gerade mal um die fünfzig Kilo. Von so einer Kalbfleischqualität sind wir heute sehr, sehr weit entfernt. In unseren Tagen würde man jeden für verrückt erklären, der ein Kalb in dieser Größe schlachten würde. Das, was heute mit ganz wenigen Ausnahmen als Kalbfleisch auf dem Markt ist, hat ja mit Kalbfleisch im ursprünglichen Sinne nichts mehr zu tun. Für das Industrie-Kalbfleisch werden die im Turbotempo hochgemästeten Kälber bis zu 250 Kilo schwer und sie werden bis zur Schlachtung künstlich im Eisenmangel gehalten, damit das Fleisch schön hell bleibt und nicht rot wird. Die Mastkälber leiden also unter einer ständigen Mangelernährung, nur um zu vertuschen, dass sie längst keine natürlichen Kälber mehr sind und, um das Märchen vom hellen Kalbfleisch aufrechtzuerhalten. In meiner Kindheit war der Umgang mit den Tieren vielleicht ruppig, aber auf eine Art auch sehr ehrlich. Heute lügen wir uns die Taschen voll und blenden die üblen Bedingungen der Fleischproduktion einfach aus. Rund neunzig Prozent der deutschen Schweine werden in industriellen Mastfabriken großgezogen, sechzig Millionen Stück pro Jahr! In Deutschland wird das billigste Fleisch in ganz Europa produziert und das auf Kosten der gequälten Kreatur. In circa fünf bis sechs Monaten maximal wird ein kleines Ferkel auf ein Schlachtgewicht von achtzig bis neunzig Kilogramm hochgefüttert. Schnellste Gewichtszunahme ist gefragt. Kaum Platz, um sich zu bewegen. Leben, nein, vegetieren in den eigenen Exkrementen und keine trockenen Plätze, um sich abzulegen. So ergeht es Schweinen in der Mastfabrik. Dabei sind Schweine sehr empfindliche Tiere mit einem unglaublich feinen Geruchssinn und hoch entwickeltem Sozialverhalten. Der Stress, den wir ihnen mit diesen Produktionsbedingungen bereiten, macht es dann notwendig, ihnen die Ringelschwänze trotz EU-Verbotes auch weiterhin abzuschneiden. Sie würden sich sonst aus purer Not und mangels anderer Beschäftigungsmöglichkeiten gegenseitig daran verletzten. Die Folge wären gefährliche Infektionen, welche die übliche Quote an verendenden Tieren während der Mast weiter in die Höhe treiben würden. Ganz im Sinne des Wirtschaftsplans der Mastbetriebe muss dann also der Schwanz ab und basta. Wen interessiert das schon? Es findet ja im Verborgenen statt. Tageslicht, frische Luft, alles künstlich und nur so viel wie gerade notwendig. Außenaufzucht? Um Gottes willen! Viel zu gefährlich und zu teuer für das Mastergebnis. Die Hybridschweine der heutigen Zeit sind in ihrer überzüchteten Angepasstheit so empfindlich geworden, dass sie bei nasskalten Wetterperioden krank werden oder sich bei Sonnenschein sofort einen Sonnenbrand holen würden, weil man ihnen längst das Borstenkleid weggezüchtet hat, denn ohne Borsten ist das Schlachten schneller und damit viel billiger. Diese armseligen Tiere sind nur kleine lebendige Rädchen in hocheffizient organisierten Mastfabriken, die pro Monat bis zu 10 000 Schweine zur Schlachtreife entwickeln. Auf 2 000 Mastplätze kommt hier gerade mal ein Arbeiter – der Rest läuft vollautomatisch. Inklusive der Vernichtung kleinbäuerlicher Betriebe zum Beispiel in Rumänien, weil wir hier in Deutschland das Fleisch viel billiger produzieren, als die Bauern vor Ort und inzwischen rund zwanzig Prozent für den Weltmarkt exportieren. Ein tolles Geschäft. Wir ruinieren kleine und mittlere landwirtschaftliche Betriebe, produzieren mehr, als wir selber fressen können, und zerstören dabei auch noch unsere Umwelt. Das ist doch pervers!

Diese Entwicklung ist maßgeblich durch die deutsche und europäische Politik gesteuert. Neulich habe ich mit Kollegen aus der Schweiz gesprochen und denen habe ich gesagt: »Ihr macht es richtig. Ihr schützt eure Landschaft, ihr schützt eure Betriebe und eure Tiere und habt dadurch tolle Produkte.« In der Schweiz kann ein Bauer noch mit vierzig Milchkühen überleben. Bei uns braucht man etwa das Zehnfache an Vieh, um über die Runden zu kommen. Das müssen wir abstellen. Ich habe hier einen Freund, einen Bauern, der mir auch hilft mit seinen Maschinen. Wenn ich mit dem unter vier Augen rede, dann geht es auch gerne mal ans Eingemachte. Der hat inzwischen einige andere Höfe verdrängt. Es gibt noch genau drei Stück hier in meiner Gegend, die überleben können, in einem Umkreis von siebzig Quadratkilometern. Es geht doch hier schon lange nicht mehr um Tier- oder Landschaftsschutz, es geht nur noch um reine Gewinnmaximierung, die aber – und so pervers ist es nun mal – auch noch immer geringer ausfällt, je mehr wir produzieren!

Mein Freund, der Bauer, hat heute riesige Stallungen und hat neulich aus Brüssel Kohle für mobile Hütten bekommen, in denen die Schweine sich jetzt auf Strohplätze zurückziehen können – aber ihm ist auch klar, dass er keinen Cent mehr bekommt für seine Schweine, nur weil sie jetzt ein besseres Leben haben. Das gibt der Markt nicht her und es ist politisch nicht gewünscht. Es ist noch gar nicht so lange her, dass die Flächenbindung für Mastbetriebe aufgehoben wurde. Bis 2008 durfte ein Betrieb nur so viele Schweine züchten, wie er Flächen zur Verfügung hatte, um die entstehende Gülle auszubringen. Seit 2008 gilt diese Regel nicht mehr, abgeschafft vom damaligen Landwirtschaftsminister Horst Seehofer. Zehn Jahre später haben wir ein riesiges Nitratproblem im Wasser. Rund fünfzig Prozent aller Trinkwasser-Messstellen in Deutschland weisen inzwischen eine zu hohe Nitratbelastung aus. Ein Skandal. Und man kann jetzt schon erahnen, wie das Ganze ausgeht. Die Wasserpreise werden drastisch steigen, weil das Wasser viel aufwändiger gereinigt werden muss. Sein aktueller Nachfolger, Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, hat gerade in Brüssel für die Genehmigungsverlängerung des Unkrautvernichters Glyphosat gestimmt. »Rein sachorientiert,« wie der Minister betonte, dafür aber im Alleingang und entgegen der Absprachen mit dem deutschen Umweltministerium. Ich frage mich, ob der gute Mann die Folgen seines Votums tatsächlich auf »seine Kappe« nimmt, wenn wir in weiteren fünf bis zehn Jahren feststellen, dass wir Artenvielfalt und Biodiversität weiter dramatisch dezimiert haben. Wenn ich als Bauer auf der Weide stehe und meine Rinder beobachte, dann frage ich mich schon, welche Fakten und Interessen den Sachverstand unseres Landwirtschaftsministers bei dieser Entscheidung geleitet haben. An Kleinbauern wie mich hat er sicher nicht gedacht. Eher schon an die Fusion des deutschen Bayer-Konzerns mit dem US-Konkurrenten Monsanto: Kaufpreis schlappe 66 Milliarden Dollar. Da wäre es natürlich blöd, wenn ausgerechnet Glyphosat, einer der derzeitigen Topseller des Unternehmens, europaweit verboten würde. Dass bei diesen Summen Monsanto selbst Wissenschaftler und Studien gesponsert hat, die die Unbedenklichkeit des Unkrautgiftes bestätigen sollten, wundert mich ehrlich gesagt nicht. Und auch das ist ja hinlänglich bekannt: In Brüssel kommen auf einen Politiker ungefähr zwanzig Lobbyisten. Und die sorgen schon dafür, dass der Markt immer weiter nach einem bewährten Prinzip funktioniert. Die Massentierhalter und Großproduzenten machen die Gewinne, aber die Folgen für Umwelt und Gesundheit bezahlen die Bevölkerung und der Steuerzahler. Würde man nach dem Verursacher-Prinzip alle Kosten ehrlich aufrechnen, könnte auch die vollautomatische Mastfabrik niemals ein Kilo Schweinefleisch zu einem Erzeugerpreis von derzeit gerade mal 1,60 Euro produzieren. Und diese Verursacherkosten werden weiter steigen, wenn wir nicht eine radikale Kehrtwende einleiten. Aber vielleicht kriegen wir unser Fleisch ja demnächst auch auf Rezept aus der Apotheke und die Krankenkasse bezahlt. Als kleine Schluckimpfung. Immerhin werden inzwischen siebzig Prozent aller Antibiotika in Deutschland in der Tiermast eingesetzt, rund 800 Tonnen pro Jahr oder 150 Milligramm pro Kilo Fleisch. Aktuell halten jetzt sogar die letzten Reserve-Antibiotika Einzug in die Mastbetriebe. Ein Wahnsinn. Warum finden wir wohl schon in Fleischproben aus dem Supermarkt multiresistente Keime? Das ergibt einfach keinen Sinn. Reden wir hier noch über Tierwohl? Ich finde, es wird langsam auch für uns selbst verdammt gefährlich.

All diese traurigen Zahlen und Fakten sind ja kein Geheimwissen, sondern öffentlich nachzulesen. Und trotzdem bewegt sich wenig. Unsere Zuneigung zum Fleisch als Hauptmahlzeit ist weiterhin stark ausgeprägt. Noch immer essen über neunzig Prozent der Deutschen mehrmals in der Woche Fleisch und Wurst. Warum ist das so? Ich habe da einen Verdacht. Wenn heute von Schlemmen gesprochen wird, denke ich oft, ihr habt doch alle keine Ahnung. In den 1960er Jahren haben die Leute wirklich gefressen. Ich habe damals immer gedacht, das wäre völlig normal. Erst mit der Zeit habe ich verstanden, dass für diese Leute, die zwei Kriege überlebt und die den Hunger am eigenen Leib erfahren hatten, Essen noch eine viel tiefergehende Bedeutung hatte. Wenn Schlachtfest war, dann haben sich alle, auch meine Großmutter, die Wampe so voll gehauen, bis sie einen Schnaps brauchten. Sie waren betrunken und haben sich des Lebens gefreut. Nach dem Schlachtfest hatten wir immer Sauerkraut übrig, Kartoffelbrei und von der Leberwurst. Von der frischen Blutwurst und vom Fleisch wurde alles gegessen, aber von der Leberwurst, die eines der Produkte ist, die beim Schwein immer anfällt, weil du so viel Fett hast, blieb immer was übrig. Meine Oma hat dann am nächsten Tag ihr Krautleimen gemacht. Das Wort kommt eigentlich vom Fachwerkbau. Da wurden zwischen den Balken Weiden gespannt, also verflochtene Weidenmatten, und dann wurde Lehm und Stroh vermischt und dazwischen geschmiert. Für ihre Krautleimen vermischte Oma den Kartoffelbrei mit dem Sauerkraut und dann wurde geschichtet: eine Schicht Kartoffel-Sauerkraut-Brei, eine Schicht Leberwurst und oben drauf noch eine Schicht puren Kartoffelbrei. Die so geschichteten Kraut-Leimen kamen dann in den Backofen und wurde fertig ausgebacken. Eigentlich war dieses Gericht ein Abfallprodukt, aber ein super Essen, zu dem es einen schlichten Feldsalat gab. Und wenn dann immer noch was von der Leberwurst übrig war, hatte Oma ein weiteres Spezialrezept. Zunächst hat sie die Leberwurst erhitzt und in ein Sieb gepackt, damit das Fett rauslaufen konnte. Mit dem Fett wurde dann Wirsinggemüse oder Rosenkohl zubereitet. Die so etwas trockener gewordene Leberwurstmasse hat sie dann mit zehn Eiern zu einem Kuchen verarbeitet, der dreißig Minuten gebacken wurde. Der fertige Leberwurstkuchen wurde in Stücke geschnitten und dazu gab es dann natürlich mehlig kochende, aufgeplatzte Pellkartoffeln, die wiederum mit frischer Butter und Salz auf einfachste Weise verfeinert wurden.

So ging das jahrelang in Oberbergen nach den Schlachtfesten und es wurde immer alles fein säuberlich weggeputzt. Nichts außer den Schweinefußkappen und den abgeschabten Borsten wanderte damals noch auf den Misthaufen. Auch die Knochen wurden zermahlen und den Hühnern zum Fraß vorgelegt und selbst die Spitzen der Schweinefußkappen wurden noch zum Reinigen der Därme für die Würste verwendet. Die ursprüngliche Küche und die angeschlossene Metzgerei im Schwarzen Adler hat sich an dem orientiert, was wir gerade hatten, und war ein echter Verwertungsbetrieb. Diese Art der Küche ist wirklich kreativ. Wobei kreativ in diesem Fall auch bedeutet, aus sehr wenig oder gar nichts etwas Leckeres zu machen. Ein Prinzip, das sich ganz wunderbar auch im Alltag anwenden lässt. Die Situation kennt doch eigentlich jeder: Du kommst am Abend nach Hause und stellst fest, dass du noch Hunger und Lust auf etwas Warmes hast. Und dann machst du den Kühlschrank auf und schaust, was sich dort findet. Vielleicht gibt es noch Eier, etwas Schnittlauch und etwas Fleisch vom letzten Braten. Also fix das Fleisch in Streifen geschnitten ein paar Zwiebeln in der Pfanne angaren, das Fleisch dazu und fertig ist ein schnelles Omelett mit Schnittlauch. Das geht auch genauso mit rohen oder gegarten Gemüseresten, selbst mit Salatblättern, die da noch auf den Verzehr wartend herumliegen.

Omas Küche war also ganz typisch für die Jahrzehnte nach dem Krieg. Essen war viel zu wertvoll, um es wegzuschmeißen. Essen war die tägliche Lebensversicherung, die Gewissheit, dass das Leben weitergeht. Nach allem, was die erlebt hatten, war das absolut verständlich. Die haben damals gedacht, es ist wichtig, dass sich jeder Mensch ein anständiges Essen leisten kann. Und Fleisch ist ein anständiges und richtig gutes Essen, also müssen wir es möglichst billig produzieren. Diese Erfahrung hat sich fest in unsere Ernährungs-DNA eingeschrieben und scheint bis heute für unser Essverhalten prägend zu sein. Seit mehr als fünfzig Jahren heißt die Devise deshalb in der Fleischproduktion immer nur: »Billiger, billiger, billiger.« Dabei haben wir nicht nur die Qualität aus den Augen verloren, sondern auch jeden Maßstab. Laut einer Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sollte ein Erwachsener nicht mehr als 300 bis 600 Gramm Fleisch und Wurst pro Woche verzehren. Also zwischen sechzehn und 31 Kilo pro Jahr. Tatsächlich aber isst der Durchschnittsdeutsche knapp das Doppelte, rund sechzig Kilo. Da frage ich mich schon: Muss das eigentlich sein? »Wie jetzt Keller, will du jetzt auch Vegetarier werden?«, höre ich meine Kritiker schon fragen. Nein, will ich nicht. Ich glaube auch ehrlich gesagt nicht an eine rein vegetarische Ernährung. Aber wir müssen anfangen, umzudenken. Und zwar grundsätzlich. Statt weiter einer Billiger-ist-besser-Strategie zu folgen und damit unser Essen tatsächlich zu entwerten, müssen wir uns auf ein Weniger-ist-mehr umstellen. Mehr Qualität, die sich eben nur erzeugen lässt, wenn wir die Produktionsbedingungen der Massentierhaltung verändern und auf ein sinnvolles Maß zurückfahren.

Mein Metzger, der mir seit zwanzig Jahren mein Charolais-Fleisch liefert, ist da nicht sonderlich optimistisch. Er hat selbst einen Hof mit über 700 Tieren und bewirtschaftet mit vier Bauern gemeinsam rund 470 Hektar. Die haben Riesenställe, wo sie das Stroh reinpumpen, alles automatisiert. Es gibt hier auch keine Bullen mehr, denn über die künstliche Befruchtung lässt sich besser steuern, wann die Kälber geboren werden, um Personalkosten zu sparen. »Aber den Weg zurück, den wird es nicht geben,« sagt mein Metzger, »es wird nur einen Verdrängungswettbewerb geben.« Und aus seiner Perspektive hat er recht. Noch immer geben pro Jahr alleine in Deutschland mehr als fünf Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe auf. Kleine und mittlere Höfe verschwinden zugunsten größerer Produktionseinheiten. In diesem Verdrängungskampf gehen selbst die subventionierten Biohöfe kaputt, weil im globalen Markt aus dem Ausland vieles billiger kommt. Ich frage mich allerdings, was ist ein Bio-Zertifikat wert, wenn wir die langen Transportwege nicht mit auf die Rechnung setzen. In einem deutschen Bio-Supermarkt Kartoffeln aus Ägypten zu verkaufen, halte ich im Sinne einer nachhaltigen Strategie jedenfalls für ziemlich absurd. Ein anderes Beispiel: Ich liebe Quinoa, lecker, vielseitig verwendbar und reich an essentiellen Aminosäuren und Mineralien. Quinoa ist in den letzten Jahren schwer in Mode gekommen, auch bei Leuten, die ein Gluten-Problem haben. Aber wenn ich jetzt lese, dass sich die Bauern in Peru, dort, wo Quinoa seit 6 000 Jahren angebaut wird, ihr traditionelles Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten können, weil alles in den Export geht, frage ich mich, ob ich das noch essen darf, weil unsere Art zu leben am anderen Ende der Welt schon wieder kleine Bauern platt macht.

»Erst kommt das Fressen und dann die Moral«, heißt es bei Bertolt Brecht. Ich würde diesen Satz heute umdrehen. Essen und all die Dinge rund um das Thema Ernährung, haben für mich immer mehr mit Moral zu tun. Mit Achtung. Achtung vor der Natur, vor dem Menschen, Achtung vor der Kreatur. Auch darum geht es in diesem Buch. Wir haben ja heute eine sehr differenzierte Sicht auf die Dinge. Wir reden über Gesundheit, über die Umwelt, über das Klima oder den Tierschutz, aber wir verlieren dabei das Ganze aus dem Blick, die Sicht auf die Zusammenhänge. In unserem Essen aber kulminiert das alles. Unsere Ernährung ist deshalb ein gutes Thema, um diese Zusammenhänge verständlich zu machen. Was hat das Tierwohl oder der Pflanzenschutz mit unserer Gesundheit zu tun? Wie hängt die Qualität unserer Nahrungsmitte ganz unmittelbar mit dem Umwelt- und Klimaschutz zusammen?

04-Schweinestall-DSC_7039.jpg

Meine Schweine sehen zwei Winter. Erst dann hat das Fleisch die richtige Reife und Struktur entwickelt. Dazu braucht ein Schwein auch genügend Bewegung. Meine Bunten Bentheimer sind eine sehr alte Schweinerasse, der man es noch nicht weggezüchtet hat, fett zu werden. Eber Eberhard sorgt in der Rotte für Nachwuchs. Das Ergebnis ist ein sensationelles Schweinefleisch.

Ich habe mir schon vor zwanzig Jahren gesagt, ich kann ja nicht nur rumjammern, sondern ich muss einfach mal damit anfangen, einen anderen Weg zu gehen. Hinter der Idee »Vom Einfachen das Beste« steht deshalb nicht nur eine kreative Küche, sondern die Wiederentdeckung eines sinnvollen Verwertungskreislaufs, den ich in meiner Kindheit kennengelernt habe und den ich heute unter der Prämisse, die denkbar beste Qualität zu erzeugen, Schritt für Schritt in Gang gesetzt habe. Die Überzeugungsarbeit für diese Philosophie leistet der Genuss der zubereiteten Speisen, den ich bei meinen Gästen auf dem Falkenhof oder in unserer Adler Wirtschaft in den Augen ablesen kann.

Hier auf dem Hof füttere ich meine Gäste gerne zuerst mit meinem Schweinefleisch an, das auf dem Markt so nicht mehr zu bekommen ist. Ich züchte seit Jahren Bunte Bentheimer. Das ist eine sehr alte Schweinerasse aus der ehemaligen Grafschaft Bentheim im Westfälischen, der man es noch nicht weggezüchtet hat, dass sie fett wird. Schweinefleisch muss heute ja mager sein, weshalb das Industrieschwein zwar die ein oder andere Rippe mehr hat, aber kein Fett mehr ansetzt, obwohl es sich in seinem engen Mastknast kaum mehr bewegen kann. Kein Mensch ist heute so bekloppt wie ich und lässt sein Schwein eineinhalb Jahre alt werden, mit dem Ergebnis, dass es dann bis zu zwanzig Prozent zu viel Fett hat. Trotzdem sage ich voller Überzeugung: Ein Schwein, das nicht mehr fett werden darf, ist einfach nur eine arme Sau. Ein Schwein muss zwei Winter gesehen haben. Erst dann hat das Fleisch die richtige Reife und Faserstruktur erreicht. Und dafür muss ein Schwein sich auch ausreichend bewegen können. Was machen wir mit dem überschüssigen Fett? Wir können es verarbeiten: Als Bratfett in der Küche etwa, als Lardo in hauchdünnen Scheiben serviert oder, um im Winter das Schmalz als Butterersatz als Brotaufstrich zu verwenden. Dahinter stecken natürlich viele kleine Arbeitsschritte und die kosten auch Geld, aber wenn dann meine Gäste davon kosten, wundern sie sich über den Geschmack. »Ah, Herr Keller, also ihr Gänseschmalz schmeckt ja sooo lecker.« Wenn sie Moslems wären, müsste ich ihnen erklären, dass mein Gänseschmalz zu vierzig Prozent aus Schweinefett besteht – was auch so sein muss, da Gänsefett halt nun mal fast flüssig ist. Es ist immer eine Mischung aus beidem und ich kann meine Gäste beruhigen, da meine Schweine eben nicht aus dem Mastknast kommen. Ich habe mal einen sehr kritischen Brief von einem Gast bekommen, zu dem ich gesagt hatte: »Keine Angst, mein Fleisch können sie genießen, ich habe hier keine KZ-Schweine.« Er schrieb mir, dass dieser Vergleich in keiner Weise statthaft sei, und ich habe mich auch entschuldigt, aber was man den Industrieschweinen heute zumutet, ist wirklich der blanke Horror und macht die Bevölkerung krank.

Wir haben hier in Deutschland einen sehr hohen Lebensstandard und wenn wir diesen Standard halten wollen, und zwar egal in welcher Bevölkerungsschicht oder Klasse, dann müssen wir doch dafür sorgen, dass die Leute imstande sind, gesund zu leben. Qualitativ hochwertige Nahrungsmittel sind dafür die beste Basis. Ich bin nicht naiv. Ich weiß schon, dass man den Leuten nicht sagen kann, ihr müsst ab sofort Schweinefleisch essen, das jetzt nicht mehr 3,20 Euro das Kilo kostet, sondern 12,30 Euro. Das funktioniert genauso wenig wie der Vorschlag der Grünen, die vor ein paar Jahren mal einen von oben verordneten Vegi-Tag für alle Kantinen in Deutschland einführen wollten. Da kam von allen Seiten die Kritik: »Wir lassen uns doch nicht vorschreiben, was wir essen und was nicht.« Die Überzeugungsarbeit muss hier anders funktionieren. Ich stelle mir eher eine Kampagne vor, die das Bewusstsein für eine vernünftige Ernährung und für vertretbare Produktionsbedingungen entwickelt. Eine Kampagne, die den Leuten klarmacht: Esst weniger Fleisch, und wenn ihr Fleisch esst, dann sucht euch das Beste raus! Kauf es bei deinem Bauern in der Nähe, von dem du weißt, wie er seine Rinder, Schweine oder Hühner hält und kauf es nicht blind in irgendeinem Supermarkt, wo du weder weißt, wo es herkommt, noch wie es gefüttert wurde oder wie viele Antibiotika da drin sind. In meinem kleinen Rahmen versuche ich die Leute zunächst mit Genuss zu überzeugen, und dann erkläre ich ihnen auch gerne, was dieses Geschmackserlebnis mit der Lebensweise meiner Schweine oder Rinder zu tun hat. Es gibt ja zum Glück schon eine große Bewegung in diese Richtung. Wir haben einen wachsenden Anteil an Vegetariern, obwohl der gefühlt viel höher ist als die knapp sieben Prozent der Deutschen, die sich tatsächlich ausschließlich vegetarisch ernähren. Der Anteil der echten Veganer liegt bei gerade mal 0,1 Prozent. Da kann man noch nicht von einer Massenbewegung oder einem kollektiven Umdenken sprechen.

Weitsicht FDP