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Das Haus Zamis Band 54: Beelzebub

Der Feind scheint geschlagen, Michael, Thekla und Coco gerächt. Doch noch bevor Georg das Erbe seines Vaters antreten kann, meldet ein anderer seine Besitzansprüche an und verlangt, ihm die Villa Zamis zu übergeben. Der Fremde nennt sich Baalthasar Zebub – und er strebt nicht weniger als den Posten des Fürsten der Finsternis an …

 

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Das Galgenhaus

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Band 53

 

Das Galgenhaus

 

von Logan Dee und Catalina Corvo

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

 

© Zaubermond Verlag 2018

© "Das Haus Zamis – Dämonenkiller"

by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt

 

Titelbild: Mark Freier

eBook-Erstellung: Die Autoren-Manufaktur

 

www.Zaubermond.de

 

Alle Rechte vorbehalten

 

 

 

Was bisher geschah:

 

Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.

Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert. Das geheimnisvolle »Café Zamis«, dessen wahrer Ursprung in der Vergangenheit begründet liegt und innerhalb dessen Mauern allein Cocos Magie wirkt, ist zu einem neutralen Ort innerhalb Wiens geworden. Menschen wie Dämonen treffen sich dort – und manchmal auch Kreaturen, die alles andere als erwünscht sind.

Michael Zamis, seine Frau Thekla und Coco reisen nach Rumänien. Dort, auf der Temeschburg, findet die Testamentseröffnung der Fürstin Bredica statt, einer Großtante Michaels. Hier trifft er seine ehemalige Geliebte Florentina wieder – und seine uneheliche Tochter Juna, die er bisher verschwiegen hat. Juna hat eine grausame Vergangenheit hinter sich – die sie auf der Temeschburg einzuholen droht.

Das in Aussicht gestellte Erbe der Fürstin erweist sich als Lockvogel, damit diese ihre Jugend wiedererlangen kann. Michael, Thekla und Coco Zamis sowie Juna und auch Skarabäus Toth entkommen der tödlichen Intrige nur knapp. Der Rückweg nach Wien führt durch den sagenumwobenen, dämonenverseuchten Hoia-Baciu-Wald …

 

 

Erstes Buch: Das Dorf der Fliegen

 

Das Dorf der Fliegen

 

von Logan Dee

nach einem Exposé von Uwe Voehl

 

1.

 

Wien, ein paar Monate zuvor

Skarabäus Toth saß in seiner Kanzlei hinter seinem Schreibtisch, zurückgelehnt, das Kinn war auf die Brust gesunken, die Augen geschlossen. Für jeden unbedarften Beobachter musste es so wirken, als schliefe der Alte, doch der Geist des Schiedsrichters war hellwach. Er lauschte auf den Puls der Stadt und auf das leise Wispern seiner unsichtbaren Boten. Sie trugen ihm vieles von dem zu, was die Schwarze Familie so trieb, es gab nur wenige Intrigen und tödlichen Streiche, über die er nicht früher oder später Bescheid wusste.

Hier schnappte jemand etwas auf und erzählte es weiter, dort war einer bestechlich und verriet den Inhalt geheimer Absprachen. Mancher arbeitete für Toth, ohne es überhaupt zu wissen. In den langen Jahren, die der alte Dämon als Schiedsrichter fungierte, hatte er sich in die Grundfesten der Stadt hineingefressen wie ein Geflecht, das nicht zu entwirren und nicht zu bekämpfen war.

Oft schien es, als täte er nichts, außer ab und an bei gewichtigen Anlässen mit seiner Schiedsrichterwürde anzugeben. Doch gefiel Toth der Gedanke, wie viele Dämonen ihn noch immer unterschätzten. Wie wenig ahnten sie doch, wie oft er bereits die Geschicke der Schwarzen Familien in bestimmte Bahnen gelenkt hatte, indem er diesen oder jenen Dämon mit einem komplizierten Geflecht aus Lüge und Wahrheit zu seiner Marionette gemacht hatte.

Die Welt war für ihn ein Schachbrett, ein Go-Spiel. Sie bestand aus Akteuren. Er selbst agierte kaum, stand außen vor. Blieb im Schatten. Eine graue Eminenz – das war er geworden. So gefiel er sich.

Er grübelte über den neuesten Klatsch, den seine mannigfachen Boten ihm in der letzten Zeit zugetragen hatten, und teilte ihn gedanklich in Kategorien ein. ›Unwichtig‹, ›wichtig‹, ›möglicherweise wichtig‹. Darüber hinaus gab es noch die Sonderrubrik ›absurd, aber potenziell nützlich‹.

Toth hatte seine Gedankenspiele wie ein feinmaschiges Netz vor seinem geistigen Auge ausgelegt, da klopfte eine Assistentin und brachte die Post.

Täglich empfing er zahlreiche Briefe und Pakete von menschlichen und dämonischen Kunden, von Freunden wie Feinden. Zu dem Zeitpunkt, da die Sendungen sein Büro erreichten, hatten loyale Diener die Fracht bereits auf magische Fallen überprüft und gesichert. Mehrmals. So war er in der Vergangenheit einigen Anschlägen entgangen.

Die Post war an diesem Tag nicht allzu umfangreich. Einige Geschäftsbriefe, zwei dicke Umschläge. Einer kam vom Gericht, der andere von einer Angehörigen der Schwarzen Familie. Eine Frau von Karabaczek.

Toth verband nicht viel mit diesem Namen. Eine eher unbedeutende, neureiche Dämonenfamilie, die sich erst vor kurzer Zeit in Wien angesiedelt hatte. Die Frau, eine aufreizende Irin, hatte es immerhin bereits zu einer gewissen Bekanntheit geschafft. Galt sie doch derzeit als Favoritin Asmodis. Das bedeutete jedoch nicht viel und konnte sich morgen schon ändern. Asmodis Hunger in dieser Hinsicht war kein Geheimnis. Er hatte so viele Liebschaften, dass niemand einen Überblick über das Netz seiner Affären besaß. Möglicherweise nicht einmal der Fürst der Finsternis selbst.

Dem Schiedsrichter fiel kein Grund ein, in welcher Form die von Karabaczeks seine Dienste benötigten. Aber der Brief wunderte ihn auch nicht. Cynthia von Karabaczek hatte seit ihrer Ankunft in Wien kaum einen schwarzen Sabbat ausgelassen. Jedes Mal versuchte sie, sich vor der Wiener Elite durch besondere Perversion und Grausamkeit hervorzutun. So war es ihr auch gelungen, Asmodis Wohlwollen zu erringen. Offenbar wollte sie hoch hinaus, und jeder Dämon, der sich in Wien einen Namen machen wollte, kreuzte früher oder später Toths Weg.

Der Schiedsrichter öffnete das Päckchen. Zu seiner Überraschung befand sich darin ein schwarzes, neu aussehendes Fotoalbum. Kein Anschreiben. Die Karabaczeks hatten das Buch offenbar kommentarlos geschickt.

Der Schiedsrichter musterte es aus zusammengekniffenen Augen. Behutsam ließ er die dürren Finger über den Einband gleiten. War es ein getarntes Grimoire? Von außen ließ sich kein Hinweis erkennen, dass es sich um irgendetwas anderes als ein Fotobuch handeln könnte.

Auch eine magische Überprüfung brachte nicht viel. Das Buch war von einer eigenartigen, finsteren Aura umgeben, doch schien kein echter Zauber darauf zu liegen.

Einen Augenblick rangen Neugier und Ungewissheit miteinander, schließlich schlug der alte Dämon das Buch auf und blätterte darin. Die Fotos zeigten ausnahmslos Männer. Ihre Gesichter waren ihm unbekannt. Für einen Streich war das alles zu belanglos, für einen Erpressungsversuch zu unklar, und geschäftlich schien es auch nicht zu sein. Der Schiedsrichter schlug das Buch zu. Dann brachte er es zu seinem Ablageschrank für unklare Fälle.

In seinen Gedanken wie auch in seiner Kanzlei ließ der Schiedsrichter nie eine Information verfliegen. Alles wurde archiviert, denn alles konnte irgendwann von Nutzen sein.

Toth verwahrte das Buch in einer Hängeregistratur, dann setzte er sich wieder an seinen Schreibtisch und wandte sich seinen Tagesgeschäften zu.

Er führte auf magischem Weg in seinem Büro einige Korrespondenzen, da knarrte die Eingangstür, obwohl an diesem Tag keine Sprechzeit war. Eine Frau kam herein. Eine Dämonin. Toth spürte die Magie, die von ihr ausging, deutlich. Sie sprach mit der Assistentin im Vorzimmer.

Toth lauschte. Er hatte in seiner Kanzlei stets ein offenes Ohr. Für jeden. Für alles, was gesagt wurde. Ein kleiner Zauber, verwoben mit den Wänden, ermöglichte es ihm, alles zu sehen und zu hören, was sich im Vorzimmer abspielte.

Er schloss die Augen und murmelte den Zauber. In seinem Geist manifestierte sich das Vorzimmer, als stünde er selbst in der Mitte des Raums.

Die Besucherin am Empfang war eine attraktive Frau mittleren Alters, schlank, aber kurvig, langes, glänzendes rotes Haar. Sie trug ein schwarzes Businesskostüm, die blutroten Nägel waren perfekt manikürt, der dazu passende Lippenstift aufs Genauste konturiert. Das Augen-Make-up war zu dunkel und auffällig für Toths Geschmack. Und auch die große, protzige Perlenkette um ihren Hals verriet, dass ihr Sinn für Stil nicht über den Rand einer Modezeitschrift hinausreichte.

Keine Frage, es handelte sich um Cynthia von Karabaczek. Sie behauptete, Toth unbedingt sprechen zu müssen, aber die Assistentin wimmelte sie gemäß Toths Anweisung, heute niemanden zu empfangen, ab.

Schließlich fuhr die Dämonin wütend auf dem Absatz herum. Dann stieß sie einen einzelnen hohen Ton aus. Einige von Toths magischen Fallen schlugen Alarm. Magie ging von dem Geräusch aus. Cynthia schien einen Zauber zu wirken.

Der Schiedsrichter ballte eine Faust. Gerade wollte er eine magische Falle aktivieren, die der vermessenen Landpomeranze eine Lektion erteilte, doch in diesem Augenblick fuhr die Schreibtischschublade wie von selbst auf und rammte gegen seinen Bauch.

Einen Augenblick lang blieb ihm die Luft weg. Diesen Augenblick nutzte Cynthia von Karabaczek, um mit einem zuckersüßen »Leben Sie wohl« die Kanzlei zu verlassen.

Toth schloss die Schublade. Seine Kiefer mahlten. Sollte das ein schlechter Scherz sein? Einen derart dämlichen Streich erwartete er nicht einmal von einem Dämonenkind.

In diesem Augenblick krachte eine Blumenvase vom Regal. Wasser und Blumen verteilten sich über den Boden. Toth erhob sich stirnrunzelnd.

Im nächsten Moment hörte er seine Assistentin schreien. Zugleich flogen die Bücher, die er in einem Bord über dem Schreibtisch aufzubewahren pflegte, durchs Zimmer. Dicke Wälzer mit Gesetzestexten. Der Schiedsrichter duckte sich gerade noch rechtzeitig, um dem Österreichischen Strafrecht Allgemeiner Teil II, Strafen und Maßnahme, auszuweichen.

Seine magischen Fallen reagierten nicht auf die Ereignisse. Dabei waren mächtige Zauber im Fundament des Kanzleigebäudes verankert. Zauber, die Unsichtbare sichtbar machen konnten und sogar gegen Angriffe aus der Ferne schützten.

Er taumelte durch den Bücherhagel ins Vorzimmer. Dort schwebte seine Assistentin in der Luft. Sie röchelte heiser, strampelte mit den Beinen und griff sich an den Hals, wie jemand, der gewürgt wurde.

Toth intonierte einen uralten, machtvollen Zauber, der es ihm ermöglichte, durch die Schleier der Realität zu blicken. Dann endlich erhaschte er einen Blick auf die Angreifer. Durchscheinende Gestalten, für das bloße Auge nicht sichtbar und selbst für viele magische Kreaturen unsichtbar. Geister. In einer solchen Zahl und Stärke, dass sie auf der physischen Ebene präsent waren.

Ein durchschimmernder Strick erschien um den Hals der Assistentin, dann zogen nebelhafte Hände die Schlinge zu. Ihr Röcheln erstarb. Sie stürzte zu Boden wie ein Tier nach der Schlachtung.

Kaum hatte seine Hilfskraft ihr Leben ausgehaucht, wandten sie sich ihm zu. Sie waren wie ein Sturm. Mobiliar flog durch die Gegend, ein Stuhl zerschellte am Türrahmen, in dem der Schiedsrichter stand.

Plötzlich hörte er die Stimmen der Geister, es mochten gut drei Dutzend zornige Seelen sein, wie einen kakophonischen Chor, der sich schmerzhaft in seinen Geist grub. Selbst für einen abgebrühten Dämon war das unirdische Geheul dieser verlorenen Seelen schwer zu ertragen.

Einige der durchscheinenden Gesichter kamen ihm vage bekannt vor. Er fragte sich, wo er die Gesichter schon einmal gesehen hatte. Da fühlte er schon ihre kalte Berührung wie die Ankündigung des nahen Todes.

Er spürte, wie er angehoben wurde, der Boden unter seinen Füßen verschwand. Etwas legte sich wie eine Schlinge um seinen Hals.

Toths Gedanken rasten. Woher kannte er diese Leute? Waren es Rächer aus dem Jenseits? Aber er konnte sich nicht erinnern, sie umgebracht zu haben. Im letzten Augenblick traf ihn die Erkenntnis wie ein kalter Guss.

Die Porträts aus dem Fotoalbum. Das Buch musste der Fokus sein, der die Geister ans Diesseits band. Doch es befand sich in seinem Büro. Nur wenige Meter entfernt, und zugleich außerhalb seiner Reichweite.

Mit aller Kraft, die sein gebrechlicher Körper aufbringen konnte, stieß Toth eine einzige Silbe hervor. Sie aktivierte einen alten ägyptischen Feuerspruch.

Er ließ das Büro und alles, was darin war, sofort in Flammen aufgehen. Dieser Zauber war eigentlich als letzte Verteidigung gedacht. Ein Schutz für den Fall, dass jemals seine Akten in fremde Hände fielen. Er hatte nie geahnt, dass er den Zauber wirklich einmal brauchen würde.

Doch der Plan ging auf. Der Druck auf seine Kehle ließ nach. Im nächsten Moment landete er wieder auf dem Boden. Ein vielstimmiges, hohles Kreischen erklang in seinem Kopf. Dann verschwanden die Geister, während das Album zusammen mit dem Inhalt sämtlicher Aktenschränke verbrannte.

Rauch drang aus dem Büro und umhüllte den alten Dämon. Irgendwo jaulte eine Sirene. Die Sprinkleranlage ging los.

Hustend floh Toth aus der Kanzlei. Dann ließ er zu, dass die Flammen auch das Vorzimmer ergriffen. So musste er wenigstens die tote Assistentin und das zerstörte Mobiliar nicht erklären. Erst als er sicher war, dass alle Spuren des Geisterangriffs beseitigt waren, löschte er das Feuer mit einem zweiten Zauberwort.

Als die Feuerwehr kam, blieb nicht viel für sie zu tun. Man schob den Ursprung des Feuers auf eine defekte Stromleitung und das schnelle Erlöschen der Flammen auf die Leistungsfähigkeit der Sprinkleranlage.

Nachdenklich betrachtete Skarabäus Toth die verkohlten Überreste seiner Kanzlei. Eine Renovierung war ohnehin schon länger vonnöten gewesen. Die Einrichtung ließ sich leicht ersetzen. Viel schwerer wog der Verlust seiner Akten. Zwar verwahrte er alle wichtigen Unterlagen der Schwarzen Familie zusätzlich in einem geheimen Archiv, sodass der Hauptärger darin bestand, Mandantenakten neu anzulegen und Gerichtsunterlagen anzufordern.

Dennoch – dieser Angriff in seinem ureigenen Territorium würde nicht ungesühnt bleiben. Cynthia von Karabaczek hatte ihm den Krieg erklärt, und Toth war nicht der Dämon, sich das gefallen zu lassen. Die Wahnsinnige hatte in ihrer Heimtücke und Überheblichkeit einen entscheidenden Fehler gemacht. Sie musste sich ihres Plans so sicher gewesen sein, dass sie sich offen gezeigt hatte. Der Schiedsrichter kannte nun seinen Feind. Er richtete und verhängte die Höchststrafe innerhalb eines Lidschlags. Das Einzige, was nun fehlte, war ein Henker.

Wenn Cynthia ihren Angriff so offen startete, dann musste sie ihren Einfluss in der Schwarzen Familie womöglich schneller ausgebaut haben, als Toth es ihr zugetraut hatte. Ihr Galgenhaus besaß einen gewissen Ruf. Dort waren mächtige Kräfte am Werk, die das Haus angeblich schützten. Was für Kräfte das waren, ließ sich angesichts dieser Attacke leicht spekulieren. Die Familie musste über eine besondere Form der Nekromantie verfügen, wenn sie sich eine solche Zahl an Geistern untertan machen konnte.

Offen würde Toth den Kampf nicht austragen. Das war nicht seine Art. Aber es würde sich jemand finden, der diese Arbeit für ihn übernahm. Es fand sich immer jemand.

Während er die Sanitäter dabei beobachtete, wie sie die verbrannte Leiche der Assistentin mit einer Plane überdeckten, ging er in Gedanken alle Kandidaten durch, die es den von Karabaczeks, diesen unsäglichen Emporkömmlingen, heimzahlen konnten.

Plötzlich spürte er, dass jemand hinter ihm stand.

Als er sich umwandte, stand seine tote Assistentin hinter ihm. Als verkohlte Leiche.

»Ein Herr Baalthasar Zebub möchte Sie sprechen«, sagte die Untote.

»Was ist? Ich …«, begann Toth, während sich die Umgebung vor seinen Augen veränderte. Er saß plötzlich wieder in seinem Arbeitszimmer – und alles sah genauso aus wie zuvor – bevor es niedergebrannt war.

Jemand schob die Assistentin beiseite, und ein eher mickriger Dämon stand mit einem Mal vor ihm. Er war höchstens ein Meter sechzig groß, in einen schwarzen Umhang gehüllt und trug schwere schwarzglänzende Stiefel mit hohen Absätzen. Statt einem Kopf staken gleich drei aus dem Umhang heraus. Der mittlere war menschlich, der linke der eines schwarzen Katers, und der rechte der einer warzigen Kröte. Ein summender Fliegenschwarm umschwirrte die Gestalt.

»Herr Toth, darf ich eintreten?«, fragte der Menschenkopf mit süffisantem Lächeln. »Mein Name ist Zebub. Baalthasar Zebub.«

»Was soll das? Ist das ein weiterer Scherz dieser Cynthia von Karabaczek? Stecken Sie unter einer Decke?« Insgeheim musste Toth zugeben, dass ihn das, was hier geschah, dennoch beeindruckte.

Der Dämon nahm auf einem niedrigen Stuhl vor dem Schreibtisch Platz.

»Keineswegs. Ich kam nur gerade zur rechten Zeit und konnte doch nicht dulden, dass Ihre Kanzlei in Trümmern liegt. Betrachten Sie den kurzfristigen Wiederaufbau als Gelegenheit, Ihnen meinen guten Willen zu demonstrieren.

Ich möchte Ihnen ein Geschäft vorschlagen. Sie sind der intriganteste und brillanteste Schiedsrichter, den die Schwarze Familie jemals hatte. Sie sind loyal, solange Sie Ihren Vorteil sehen. Selbst Asmodi weiß um Ihre Gefährlichkeit, und daher überlegt er schon seit Längerem, Sie abzusägen.«

»Das ist eine Unterstellung. Ich bin Asmodi treu ergeben, und er weiß meine Dienste überaus zu schätzen.«

Baalthasar Zebub lehnte sich zurück. Wie aus dem Nichts erschien eine glühende Zigarre in seiner Hand, an der er genüsslich sog, während Toths Miene immer grimmiger wurde.

»Dann sind es also nur Gerüchte, dass diese Cynthia von Karabaczek Ihren Posten beansprucht?«

Toths Miene wurde noch eine Spur abweisender. »Ich höre so vieles. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendein dahergelaufener Emporkömmling meine Nachfolge antreten möchte. Bisher ist es keinem gelungen. Und diese Dame wird meine Rache zu spüren bekommen.«

»Frau von Karabaczek hat die allerbesten Kontakte zu Asmodi, wie Sie wissen. Und ihre Kräfte hat sie soeben eindrucksvoll demonstriert, nicht wahr? …«

»Kommen Sie zur Sache!«

»Ich biete Ihnen einen Deal an. Ich helfe Ihnen, diese impertinente Person loszuwerden – und Sie treten in meine Dienste. Ich versichere Ihnen nochmals, dass ich Ihre Fähigkeiten überaus zu schätzen weiß …«

»Es tut mir sehr leid, aber ich habe bereits einen – Dienstherrn.« Das letzte Wort sprach er mit offensichtlichem Spott aus.

»Sie sollen Asmodi auch weiterhin dienen – vorerst. Unser kleiner Deal bleibt unter uns.«

»Ich soll der Diener zweier Herren sein? Ist das nicht ein bisschen zu viel verlangt?«, spottete Toth weiter. »Allerdings …«

»Ja?«

Toth rieb sich das Kinn. »Diese Frau von Karabaczek ist in der Tat eine impertinente Person.«

»Das kann man laut sagen. Ehrlich gesagt, auch mir ist sie ein Dorn im Auge, daher biete ich meine Hilfe an.«

»Eben noch sprachen Sie von einem Deal. Was verlangen Sie also als Gegenleistung?«

»Zunächst nichts. Gar nichts. Außer vollständiges Stillschweigen. Haben Sie nicht zufällig vor ein paar Tagen ein frisches Testament hinterlegt, das ein Herr Zamis aufgesetzt hat?«

»Woher wissen Sie …?«

Baalthasar Zebub winkte ab. »Es wurde mir zugetragen. Kommen wir nun zu unserem Deal: Ich sorge dafür, dass das Testament nicht umsonst aufgesetzt wurde – und Sie können es zu Ihrem Nutzen einsetzen. Lassen Sie Ihrer Fantasie freien Lauf, Herr Toth.«

Toth musste nicht lange nachdenken. Genau gesagt, höchstens eine Sekunde.

Es würde ein Leichtes sein, das Testament in seinem Sinne zu verändern, sodass Michael Zamis darin seine Kinder vor der Familie von Karabaczek warnte und ihr sogar die Schuld an seinem nahenden Tod gab. Die dünnen Lippen des Schiedsrichters verzogen sich zu einem boshaften Grinsen.

Das jedoch schnell erstarb.

»Leider ist an Herrn Zamis’ Tod in absehbarer Zeit nicht zu denken.«

»Überlassen Sie diesen Punkt beruhigt mir, mein Lieber.«

Es klang so überzeugend, dass sogar Toth sich den Fortgang einen Augenblick genüsslich weiter ausmalte.

Michael Zamis’ Kinder würden ihren Vater grausam rächen wollen, die waren einfallsreich. Sie würden diese Nekromantenschlampe und ihr ach so mächtiges Galgenhaus zu Fall bringen.

Du hast dir Feinde gemacht, du kleine irische Fee, dachte er unwillkürlich. Und du wirst mit deinem Blut für diesen Streich bezahlen.

 

 

2.

 

Gegenwart

Mir kam es vor, als führen wir schon seit Stunden durch den Wald. Warum mein Vater ausgerechnet wieder diese Route gewählt hatte, erschloss sich mir nicht. Wir waren bereits auf der Hinfahrt von den dämonischen Bewohnern des Hoia Baciu angegriffen worden. Aber offensichtlich liebte ein Michael Zamis die Herausforderung. Wollte er es einfach allen nur zeigen, dass er sich von nichts und niemandem ins Bockshorn jagen ließ? Oder hatte ihn unser Sieg – wenn man es denn so nennen wollte – auf der Temeschburg erst so richtig in Kampfstimmung versetzt?

Weil ich zusammen mit Juna und meiner Mutter auf der Rückbank saß, konnte ich nur den Hinterkopf meines Vaters sehen und ab und zu seine von buschigen Brauen überschatteten Augen.

Er fuhr schnell, viel schneller, als es die schmale, holprige Schotterstraße erlaubte. Und eigentlich fuhren wir auch nicht, sondern wir schwebten dahin. Natürlich, mein Vater bediente sich nicht nur seiner herausragenden Fahrereigenschaften, sondern auch seiner magischen Fähigkeiten, um möglichst schnell den Wald hinter sich zu lassen.

Es war noch immer Nacht, und wenn ich den Kopf wandte und aus dem Fenster schaute, war da nur Schwärze, in der sich mein müdes Gesicht spiegelte. Hätte nicht ab und zu ein Zweig über das Fenster gekratzt, so hätte ich gar nicht das Gefühl gehabt, dass wir uns von der Stelle bewegten.

Neben meinem Vater, auf dem Beifahrersitz, saß Skarabäus Toth und schnarchte leicht. Obwohl ich nach wie vor sicher war, dass er mit der Fürstin Bredica viel mehr unter der Decke gesteckt hatte, als er zugab, konnten wir ihm nichts beweisen. Als Schiedsrichter der Schwarzen Familie war ihm vordergründig nichts vorzuwerfen, dass ihn die Fürstin mit der Eröffnung ihres Testaments betraut hatte. Doch dass er nicht gewusst haben sollte, dass die meisten der Erbberechtigen sterben sollten, das kaufte ich ihm nicht ab. Zuletzt hatte sich die Gräfin als durchaus rabiater Geist präsentiert und auch Toth als Mitwisser ausschalten wollen. So gesehen verdankte er mir sein Leben, weil ich rechtzeitig einen Heilzauber eingeleitet hatte.

Ich seufzte unwillkürlich über die Ungerechtigkeit der Welt, vielleicht auch über meine eigene Barmherzigkeit. Niemand würde Toth für das Massaker auf der Temeschburg zur Verantwortung ziehen. Es waren alle umgekommen, und meine Eltern, Juna, Toth und ich waren die Überlebenden dieser grauenvollen Nacht.

Neben mir saß Juna, meine Halbschwester, und ich fragte mich, wie das alles sich entwickeln würde. Lange genug hatte meine Mutter Juna verleugnet. Ich hatte sie erst auf der Temeschburg kennengelernt und erfahren, dass wir verwandt waren. Ihren bisherigen Erzählungen nach hatte sie es bisher nicht gerade leicht gehabt im Leben. Das, was sie durchlitten hatte, konnte man nicht mehr rückgängig machen. Aber nun war sie offiziell in den Kreis unserer Familie aufgenommen worden, und ich hoffte, dass es ihr besser ergehen würde als in der Vergangenheit. Ich zumindest war entschlossen, alles dafür zu tun, und hatte sie eingeladen, mit uns nach Wien zu kommen.

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als mein Vater irgendetwas murmelte und leicht den Kopf schüttelte.

»Wie meinst du das?«, fragte meine Mutter. Ich hörte die leichte Besorgnis aus ihrer Stimme heraus, und erst jetzt fiel mir auf, dass sie die ganze Zeit über hellwach gewesen war.

»Wir hätten längst aus diesem verfluchten Wald heraus sein sollen!«, fluchte mein Vater.

Als hätte Skarabäus Toth die ganze Zeit nur so getan, als schliefe er tief und fest, schaltete auch er sich nun in das Gespräch ein.

»Ich habe Ihnen davon abgeraten, durch diesen Wald zu fahren. Die Dämonen, die hier herrschen, sind älter als die Schwarze Familie, mein Lieber. Sollte Sie hier jemand angreifen, kann ich leider nicht das Geringste für Sie bewirken.«

»Das war mir klar«, schnaubte mein Vater. »Aber ist Ihnen klar, dass die hiesigen Dämonen auch Ihnen an den Kragen gehen könnten?«

Obwohl ich von hinten sein Gesicht nicht sehen konnte, stellte ich mir vor, wie er grimmig grinste.

»Aber seien Sie unbesorgt, es wird sich inzwischen herumgesprochen haben, dass mit uns nicht zu spaßen ist …«

»Da wäre ich mir nicht so sicher«, widersprach ihm meine Mutter. »Allein, um die Schmach zu tilgen, die wir ihnen auf unserer Hinreise versetzt haben.«

»Wir sollten uns zusammenschließen«, sagte mein Vater, und damit meinte er, dass wir unsere Kräfte bündelten. Ich fühlte bereits, wie seine Gedanken nach meinen tasteten. Gleichzeitig spürte ich auch meine Mutter. Und einen ganz neuen Charakter, weich und fast zögerlich. Erst nach einigen Sekunden begriff ich, dass es Juna war. Ich tastete nach ihrer Hand und drückte sie.

Auch die anderen spürten mich nun… Dadurch, dass wir uns verbunden hatten, waren auch unsere Instinkte geschärft, während wir gleichzeitig einen magischen Schutzwall um uns schufen. Und sollte doch jemand von uns angegriffen werden, so würden die Kräfte von uns anderen ihn direkt unterstützen.

Ich fühlte die Anspannung der anderen, und auch meine Nervosität stieg. Wieder blickte ich hinaus, aber dort lauerte nur Finsternis. Ich beugte mich ein wenig vor, um über die Schulter meines Vaters durch die Windschutzscheibe nach vorn zu schauen. Die hellen Lichtkegel der Scheinwerfer bohrten sich in die Dunkelheit und verloren sich im Nirgendwo. Ebenso gut hätten wir zigtausend Meter unter der Meeresoberfläche dahintauchen können …

Kaum war mir der Vergleich durch den Kopf geschossen, als ich tatsächlich glaubte, in dem Bentley noch mehr als zuvor dahinzuschweben.

Mein Vater stieß einen Fluch aus. »Pass mit deinen Gedanken auf!«, warnte er mich.

Ich erschrak, versuchte, mir den Vergleich aus dem Kopf zu schlagen, aber je mehr ich mich anstrengte, desto stärker verfestigte er sich.

Der Bentley schwankte.

»Haltet mich da gefälligst raus, ihr Narren!«, schrie Toth. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass er sich in unseren Gedankenverbund nicht eingeklinkt hatte.

Nicht einklinken hatte können. Denn er gehörte ja nicht zur Familie. Dennoch spürte er die Auswirkungen.

Der Wagen schwankte immer heftiger. Junas Hand verkrampfte immer mehr. Als ich erneut aus dem Fenster schaute, hatte sich die Umgebung verändert. Ein grünliches Leuchten erstrahlte draußen – wie unter Wasser, obwohl es dieses Leuchten in der Realität gar nicht gab, sondern nur in meiner Fantasie. Oder in einem Aquarium.

»Hör damit auf, Coco!«, schrie mein Vater erneut, aber dennoch konnte ich nicht verhindern, dass ich nach wie vor wie gebannt hinausstarrte. Ich wusste nicht mehr, ob ich es war, der diese Umgebung nur dachte – oder ob sich die Realität tatsächlich verändert hatte.

Noch während ich hinausblickte, glaubte ich in der Tiefe einen flatternden Schatten zu erkennen. Er schien gigantisch zu sein und sämtliches Licht zu absorbieren. Langsam schwebte der Schatten höher. Seine Ausmaße waren so riesig, dass ich seine Konturen kaum bestimmen konnte. Am ehesten verglich ich das, was ich sah, mit einem monströsen Rochen.

Einem Rochen mit Tentakeln, denn gleich mehrere dieser Auswüchse lösten sich aus der amorphen Masse und schossen zu uns empor.

Ich schrie auf, während ich gleichzeitig spürte, wie Juna meine Hand losließ. Fast panisch versuchte ich sie erneut zu ergreifen, aber ich fand sie nicht mehr.

In der nächsten Sekunde wurde es stockdunkel im Wageninneren.

 

»Löst euch von ihr!«, schrie Michael Zamis. »Coco stößt uns alle ins Verderben!«

»Wir dürfen sie nicht im Stich lassen!«, widersprach Thekla Zamis mit fester Stimme.

»Ich – will noch nicht sterben«, sagte Juna. Sie ließ die Hand ihrer Halbschwester los, und augenblicklich war sie – frei.

Erleichtert atmete sie auf. Der Wagen schwebte zwar noch immer, anstatt zu fahren, aber das hatte er auch zuvor getan. Ruhig glitt er dahin. Auch die grünlich schimmernde Umgebung draußen war wieder der Dunkelheit gewichen, die die Lichtfinger der Scheinwerfer in sich aufsog. Dennoch war es normaler als der Albtraum, den sie soeben erlebt hatte.

Sie wagte es, einen Blick zu ihrer Sitznachbarin zu werfen. Coco starrte noch immer hinaus, und sofort bedauerte es Juna, sich von ihr gelöst zu haben. Doch als sie erneut nach ihrer Hand griff, zuckte sie wie unter einem elektrischen Schlag zurück.

»Warum musstest du auch unbedingt durch diesen Wald fahren!«, zischte Thekla erneut, während Michael Zamis abermals laut fluchte.

»Fahren Sie sie über den Haufen!«, hörte Juna Skarabäus Toth schreien, und als sie erneut nach vorn blickte, sah auch sie das kleine Mädchen, das mitten auf der schmalen Straße stand. In der Hand hielt sie ein Plüschtier fest umklammert.

Der Wagen beschleunigte und raste direkt auf das Mädchen zu.

Es machte keinerlei Anstalten, dem schweren Bentley auszuweichen oder zu flüchten. Es stand regungslos da in seinem weißen Kleidchen und starrte ihnen entgegen. Dabei glaubte Juna, keinerlei Erschrecken in dem Blick zu erkennen. Eher Teilnahmslosigkeit.

Wie auch immer das Mädchen dort hingekommen war, sie konnte nicht fassen, dass ihr Vater nach wie vor auf das hilflose Kind zusteuerte.

»Brems endlich!«, schrie sie und erschrak selbst über die Lautstärke ihrer Stimme. Nie zuvor hatte sie ihren Vater so angefahren. Sie hätte es gar nicht gewagt …

»Ich denke nicht daran«, presste Michael Zamis zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor. »Es ist eine Falle, kapier das!«

»Es ist ein Kind!«, widersprach Juna. Das Mädchen war nur noch wenige Meter entfernt. Erst jetzt schien es zu begreifen, wo es sich befand. Die Augen weiteten sich. Juna las das Erschrecken darin. Der Mund des Kindes öffnete sich zu einem Schrei …

Juna schloss entsetzt die Augen, aber das Bild des Mädchens ließ sich nicht einfach wegklicken.

Sie darf nicht sterben! Es darf nicht sein!

Im nächsten Moment wurde sie nach vorn geschleudert. Nur der Sicherheitsgurt bewahrte sie davor, nicht von ihrem Sitz katapultiert zu werden. Sie hörte die Schreie der anderen und hielt noch immer die Augen geschlossen. Sicherlich lag das Mädchen nun mit verrenkten Gliedern unter dem Wagen. Nur deswegen hatte er so unvermutet gestoppt.

Doch sie hatte weder einen Schrei gehört noch den Aufprall gespürt.

»Irgendetwas ist hier faul!«, hörte sie ihren Vater murmeln. »Bleibt alle im Wagen, bis …«

Aber Juna dachte nicht daran. Sie öffnete endlich die Augen wieder, löste ihren Gurt und schaute nach links. Coco war verschwunden. Vielleicht war ihre Schwester ja schon draußen – zu dem Kind hin … Die Tür stand jedenfalls offen.

Juna sprang nun ebenfalls hinaus. Ihr wurde bewusst, wie feige sie war. Wie ein Kaninchen hatte sie nur dagehockt und angesichts des scheinbar Unvermeidlichen einfach nur die Augen zugemacht, während Coco bereits gehandelt hatte.

Außerhalb des Wagens kam ihr die Dunkelheit weniger allumfassend vor. Sie konnte die Bäume beidseits des Bentleys genauso deutlich erkennen wie den Schotterbelag der Straße.

Nur Coco konnte sie nirgendwo erblicken.

Sie wagte kaum, die wenigen Schritte bis zur Kühlerhaube des Bentleys zu gehen. Noch immer erwartete sie, dort das blutüberströmte Mädchen liegen zu sehen. Doch als sie die Stelle erreichte, deutete nicht das Geringste auf einen Unfall hin. Sie bückte sich, suchte den Boden nach Spuren ab und versuchte auch unter den Bentley zu schauen, obwohl ihr davor graute.

Nichts! Das Mädchen schien wie vom Erdboden verschluckt.

Sie stand wieder auf und zuckte ratlos mit den Schultern, um ihrem Vater zu signalisieren, dass hier draußen niemand mehr war. Die Frontscheibe war verdunkelt, dennoch glaubte sie, sein regungsloses Gesicht dahinter zu erkennen. Sicherlich war er sauer auf sie, weil sie eigenmächtig ausgestiegen war …

Genau wie Coco. Aber wo steckte ihre Halbschwester? Juna folgte mit den Blicken den Lichtkegeln der Scheinwerfer. Coco war verschwunden –

Aber dafür war das Mädchen wieder zu sehen. Es stand in fünfzig Metern Entfernung und schaute ihr entgegen.