Inhaltsverzeichnis

 

 

Blindflug 2014      3

Wesel-Flugplatz Römerwardt      4

Impressum      6

Zum Buch      7

Vorspann      8

Sommer 2014      12

Erinnerungen      15

Rückblende      24

Hirnforschungsexperiment      28

Die Zeit ist Vegetarierin      33

Der gebuchte Traum      35

Zurück im Sommer 2014      42

Der zweite Versuch für mein erstes Mal      53

Der lustige Zeugwart      71

Im Flieger      86

Wiesenstart      90

Sprungvorbereitungen      98

Berauscht im Himmel über Wesel      106

Blindflug 2014      112

Plötzliche Stille      118

Erdung      126

Nachspann      136

 

Blindflug 2014

 

 

 

 

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Wesel-Flugplatz Römerwardt

 

 

 

Flugplatz statt Bahnhof?

Das Wesel-Monopoly macht’s möglich.

Anstelle des Westbahnhofs wird das Spielfeld auf dem Brett den Flugplatz Römerwardt zeigen.

Schließlich herrscht hier ebenfalls ein reges Kommen und Gehen, ähnlich wie an einem Bahnhof - nur viel gemütlicher, entspannter und leiser.

Denn Segelflieger lieben das lautlose Dahinschweben, wie die Mitglieder der Luftsportfreunde Wesel unisono versichern und ihre Gäste nicht selten zum Ausprobieren herzlich einladen.

Das 300 000 Quadratmeter große Areal zwischen der B 8 und dem Rhein ist seit 1955 die Heimat der Luftsportfreunde Wesel, auch wenn es den Verein bereits fünf Jahre länger gibt. Im November 1950 hatten sich einige ehemalige Motor- und Segelflieger in einer Weseler Gaststätte zusammengefunden, um einen Luftsportverein zu gründen.

Auch wenn sich die Mitglieder zunächst einmal mit dem Modellflug beschäftigten war die Freude riesig, als durch die Besatzungsmächte am 28. April 1951 das generelle Flugverbot aufgehoben und die Freigabe für den Segelflug erteilt wurde.

Vorsitzender Gerhard Kostrzewa kümmerte sich deshalb intensiv um Räume, ein geeignetes Flugfeld und natürlich um Flugzeuge, lobt die Vereins-Chronik.

Das Gelände erhielt der Verein von der Stadt und ist seither Pächter, „mit allen Rechten und Pflichten eines Verkehrsbetriebes“, schildert Fluglehrer Sascha Hübers.

Der Flugplatz Römerwardt gehört zur Kategorie Sonderlandeplatz, auf dem Segel- und Motorsegelflug ebenso erlaubt sind wie die Starts und Landungen der Ultraleichtflieger.

Außerdem dürfen von hier aus auch Heißluftballone starten.

„Der Platz hat PPR-Status“, beschreibt der Weseler in der Fachsprache der Flieger die Öffnungszeiten.

Auf Anfrage kann der Platz dann genutzt werden.

Generell aber gilt schon, dass vorwiegend von Ende April bis Oktober geflogen wird.

(Quelle: NRZ)

 

 

Impressum

 

 

 

 

1.Auflage

Copyright 2018 Jürgen Borrmann

Alle Rechte vorbehalten

ISBN Ebook 978-3-9636-1478-1

Lektorin Karin Zeelen

Copyright Covergestaltung von Ruth Feuser Borrmann

Copyright Illustration von Ruth Feuser Borrmann

 

Zum Buch

 

 

Wie viel Überwindung kostet es, ein intaktes Flugzeug frühzeitig zu verlassen?

Ist ein Fallschirmsprung für Blinde wie ein Sturz ins Nichts?

Wie fühlt es sich an, im freien Fall ungebremst in die Tiefe zu krachen?

Ein Tandem-Fallschirmsprung setzt blindes Vertrauen voraus.

Warum das auf Jürgen Borrmann doppelt zutrifft, beschreibt er in Blindflug 2014:

„Ich bin aufgrund einer degenerativen Netzhauterkrankung inzwischen so scheel, wie ein Thunfisch in der Dose.“

Mit den Eindrücken seiner verbliebenen Sinne, lässt er die Leser mit Wortwitz und viel Humor an den Geschehnissen, die sich vor und am Sprungtag ereignen teilhaben.

Allerdings verlief nicht alles glatt, auch nicht zwischen Himmel und Erde...

 

 

Vorspann

 

 

Wenn unser Geist mit Ideen oder Erlebnissen bestäubt wird, erwacht die DNA für Inspirationen.

Schaffen Sie es, sich in unseren Köpfen einzunisten, gehen wir mit ihnen schwanger.

Was am Ende dabei auch immer rauskommen mag; die Kopfgebärenden nennen es wie die Schoßgebärenden mein Baby.

 

Bevor Sie mein Baby in Augenschein nehmen, darf ich Sie mit den Geburtshelferinnen von Blindflug bekannt machen:

Beginnen wir mit Darling.

Sie hielt mir den Rücken für die Verschriftung von „Blindflug 2014“ frei und lockerte die Story mit einigen Illus auf.

Übrigens: Darling wird Ihnen in der Geschichte auch als Protagonistin ins Auge fallen.

 

Des Weiteren möchte ich Ihnen Karin Zeelen vorstellen: Sie brachte als Lektorin Ordnung im Kreißsaal der Buchstaben, damit Ihr Guckequipment wegen meiner Fehler und Vertipper nicht betriebsmüde wird oder gar Sorgenfalten wirft.

Blindflug erzählt eine wahre Geschichte, die handelnden Personen und Orte sind real.

Lediglich einige wenige Story Zutaten sind mit von der Partie, Sie wissen schon, künstlerische Freiheit und so.

 

Machen Sie es sich hübsch bequem, es geht sofort los, auf weiterlesen!

 

 

 

 

 

 

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Hi, ich heiße Jürgen und bin aufgrund einer degenerativen Netzhauterkrankung inzwischen so scheel, wie ein Thunfisch in der Dose.

In meinem Fall hat sich der Dosendeckel noch nicht ganz geschlossen, sodass ich helle Lichtquellen wahrnehmen und mitunter auch als Orientierungshilfe nutzen kann.

Keine Sorge liebe textbegleitende Augenpaare, für Sie besteht keine Ansteckungsgefahr; die Retinopathia Pigmentosa oder Röhrenblick, so wird der visuelle Schlamassel umgangssprachlich genannt, ist lediglich für die Personen mit einem entsprechenden Defekt im genetischen Set up vorbehalten, oder sollte ich vorgesehen sagen.

Wie auch immer, der Verlust der Pixeldichte entscheidet darüber, wann aus Sehen Wahrnehmung wird.

Irgendwann, das gehört zum Lieferumfang, endet diese Guckinkompetenz mit dem Licht-aus-Fest.

Der Verlauf kann sich mitunter über Jahrzehnte hinziehen, es sei denn, die Betroffenen schließen ihre Augen vorzeitig.

 

Liebe Blindflugfreunde, da wir uns nun auf Augenhöhe befinden, darf ich Sie jetzt in den Sommer 2014 begleiten - viel Vergnügen!

 

 

Sommer 2014

 

 

Meinen 55. Geburtstag beging ich mit einem fröhlichen bunten Strauß Leute.

Während ich mich unterhielt, tippte mir jemand auf die Schulter:

 

„Glückwunsch du alte Netzhaut“, kondolierte der Bunte und überreichte mir eine hohe schlanke Flasche und einen mit mehreren Bögen gefüllten Briefumschlag.

Dann setzte er sich zwischen seine Frau und einen Freund und erklärte, „das ist von uns dreien, also von ihr, von ihm und von mir.“

Dann mach doch mal auf.“

 

Die Flasche?

 

Ich dachte eher an den Umschlag.


„Also bei aller Wertschätzung, ich werde jetzt nicht dir zu Ehren mit dem Gucken anfangen.“

Der Bunte wusste genau, wie das zu verstehen ist: Vor kurzer Zeit wurde er aufgrund einer Altersmarkuladegeneration so eine Art Clubmitglied in der Scheelenszene.

Der Verlauf seiner visuellen Kompetenz Einbußen war so flott, dass er binnen weniger Monate weder Schriften ohne Hilfsmittel erkennen, noch seinen Wagen konfliktfrei steuern konnte.

 

Er reichte Darling den Umschlag und forderte sie auf, „lies doch mal bitte vor.“

 

Der Bunte ist ein Fuchs, ging es mir durch den Kopf, er weiß um die Natur der Frauen und kann sich ziemlich sicher sein, dass es kaum ein Erdweibchen geben dürfte, das einem verschlossenen, üppig gefüllten Umschlag widerstehen kann, oder doch?

In diesem Fall konnte sich der Bunte auf die Kraft der Natur verlassen: Darling griff mit der Anmut einer Jurorin nach dem Umschlag, öffnete ihn und beförderte mehrere Dokumente ans Tageslicht.

Die Spannung lag lastend über der Tischplatte und es war absolut ruhig, als alle auf die Worte „and the winner is“ warteten.

Okay, vielleicht hat nicht jeder mit dem Wort des Oscars gerechnet, ich bin mir allerdings sehr, sehr sicher, dass, ausgenommen des Geschenketrios, niemand die Worte „Erlebnisgutschein für einen Tandem Fallschirmsprung“ erwartet hatte.

 

 

Erinnerungen

 

 

Bevor ich meiner Verwunderung, leck mich die Bretter, wer von euch kam denn bloß auf diese Idee, hörbaren Ausdruck verleihen konnte, fiel mir eine nicht alltägliche Frage ein, die mir der Bunte vor einer gefühlten Ewigkeit beim Pausenbier einer Sommerlochkabarett- Veranstaltung gestellt hatte:

 

„Was möchtest du in deinem Leben noch unbedingt machen?“

 

„Ich würde mir gerne nach der Pause die zweite Hälfte anschauen“, lautete meine Antwort.

 

Der Bunte ließ nicht locker und bohrte rheinisch nach, „nee, mal ehrlich.“

 

„Na ja“, grübelte ich, seit unzähligen Monden flackert in mir immer mal wieder die Frage auf, wie sich wohl der freie Fall bei einem Fallschirmsprung anfühlt.

Außerdem bin ich auf meine vegetative Zerzaustheit gespannt, wenn ich fernab der Erdoberfläche ein intaktes Flugzeug verlassen soll.

 

„Das dürfte für dich doch kein Problem sein“, meinte der Bunte, „selbst wenn du die Gefahr vor Augen hast, siehst du sie doch nicht.“

 

„Neidisch?“, fragte ich amüsiert und legte eine Schüppe Nonsens nach.

Fakt ist, dass ich mich bisher nicht überwinden konnte, zu ebener Erde ein fahrendes Auto zu verlassen.

In luftiger Höhe damit anzufangen, mag zwar wie der dritte vor dem ersten Schritt klingen, für mich ist es beim genaueren Hinschauen dennoch die plausiblere Variante.

 

„Findest du?“, hakte der Bunte mit schelmischem Unterton nach.

 

„Und ob ich das finde.

 

Schau doch mal: Sollte etwas schiefgehen, habe ich die Garantie, nicht als Pflegefall enden zu müssen, Jippi!“

 

Der Bunte gab einen unartikulierten Laut von sich.

 

Ich fuhr fort: „Du sollst wissen, dass ich durchaus zweckmäßiges, wie Schnabeltassen zu schätzen weiß, doch nicht, wenn sie sich anschicken, fester Bestandteil meines Lebens zu werden.“

Es entging mir nicht, dass der Bunte mit einem bis in die Unendlichkeit interpretierbaren „gut zu wissen“ reagiert hatte.

Ich wiegelte ab, „es gibt Ideen, die wie das Leben sind, irgendwann atmen sie nicht mehr.

Deshalb lasse ich die Fallschirm Idee nach meinem 50sten fallen.“

Damals dachte ich, dass fallen lassen gut zum Thema passt.

Apropos fallen: Auf dem Weg zum Harnstüberl fanden wir uns treppabwärts unversehrt sitzend auf den Stufen wieder, als wir zu ungestüm die verstorbenen Pausenbierchen rechtzeitig vor dem Beginn der zweiten Hälfte beisetzen wollten.

 

„Pizza Fungi mit Zwiebeln“, verkündete ein in meiner Nähe aufgelaufener Servierkörper.

 

Sofort ließ ich die Erinnerung los und fragte mich, wie konnte es dem Bunten entgangen sein, dass das Verfallsdatum meines Sprungwunsches längst abgelaufen war, oder war es ihm vielleicht gar nicht entgangen?

Ich konzentrierte mich wieder auf die Tischgeschehnisse. Darling hatte sich inzwischen durch zwei Seiten mit Flugplatz Standorten für die Gutscheineinlösung gekämpft.

 

Dann sagte der Bunte, „den Rest könnt ihr euch ja zu Hause in Ruhe anschauen.“

Er wandte sich an mich und fragte, na „Alte Tante Ju“, wie gefällt dir das?

 

„Ich bin erschüttert“, lautete meine Antwort.