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Betty J. Viktoria

Poldi Band 7

Falscher Ehrgeiz


Für Peròn, der seine wahre Seelenverwandte gefunden hat


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

1.

Poldi trabte so locker, dass Elina das Gefühl hatte, ewig so weiterreiten zu können. Sie saß aufrecht und stolz auf ihrem Trakehner und genoss jeden seiner raumgreifenden Trabtritte. Auch seinen Kopf trug der dunkelbraune Wallach von selbst in der Verbindung, so dass Elina sich aufrichten und auf ihren Sitz achten konnte. Sie war froh, dass ihr Pferd sich so schön präsentierte. Ihre Reitlehrerin Sandra war ebenfalls begeistert und lobte sie andauernd. Es war Elina fast schon ein bisschen unangenehm.

Vor einiger Zeit hatte Sandra angefangen, am Ende der Reitstunde die Hilfszügel, Dreieckszügel, von Poldi zu entfernen. Am Anfang war es eine riesige Umstellung für Elina gewesen. Denn dann musste sie sich noch mehr auf ihr Pferd und das Zusammenspiel mit ihm konzentrieren. Trotzdem korrigierte Sandra auch immer wieder ihren Grundsitz. Elina war ziemlich überfordert gewesen, doch genau deshalb ging ihre Reitlehrerin diese kleinen Schritte mit ihr. Wenn Poldi locker war, durfte Elina die Reitstunde ohne Hilfszügel beenden. Zuerst hatte Poldi dann immer den Kopf hochgerissen. Auch jetzt behaupteten einige der anderen Mädchen noch, er liefe wie ein Elch. Elina fand das gemein, denn er konnte ja nichts dafür, dass sie noch nicht so gut reiten konnte. Wenn sie ihm nicht die richtigen Hilfen gab, konnte er sie ja schlecht umsetzen. Aber Poldi nahm ihr das nicht übel und arbeitete brav mit. Sobald er wusste oder zu wissen glaubte, was sie von ihm wollte, erfüllte er ihre Wünsche. Trotzdem wusste Elina, dass es noch ein weiter Weg war, bis sie Poldi von Anfang an ohne Hilfszügel in die Verbindung reiten würde.

Kaum hatte sie den Gedanken beendet, da schwebte ihre beste Freundin Ida auf ihrer unglaublich strahlenden Schimmelstute Damura an ihr vorbei. Ida ritt schon, seit sie laufen konnte. Entsprechend hatte sie Elina einige Jahre und viel Training voraus. Obwohl Elina das wusste, war sie manchmal ein bisschen neidisch. Nicht, weil sie es Ida nicht gönnte, sondern weil sie selbst auch gern so gut gewesen wäre. Trotzdem war Elina an diesem Tag besonders stolz auf ihre eigene Leistung, auch wenn sie vielleicht noch nicht an die von Ida herankam.

 

„Das war wirklich eine tolle Stunde heute“, fand auch ihre Reitlehrerin Sandra.

Sie meinte nicht nur Ida und Elina, sondern auch Nina und Luisa. Die beiden gingen in Elinas Klasse und ritten ebenfalls schon wesentlich länger als sie. Allerdings hatten sie keine eigenen Pferde, sondern ritten auf den Schulponys Scando und Jazzy.

„Ihr arbeitet alle so hart an euch, das zahlt sich aus“, nickte Sandra anerkennend, als sie im Schritt ihre Runden drehten, und die Zügel lang ließen.

Elina konnte ihr nur zustimmen, denn auch Nina und Luisa hatten wirklich toll ausgesehen. Sie war immer froh, wenn jemand ihren Fortschritt bemerkte, und sie neben den anderen nicht mehr wie ein totaler Anfänger wirkte.

„Habt ihr den Aushang schon gesehen, den ich am schwarzen Brett gemacht habe?“, wollte Sandra geheimnisvoll von ihren Schützlingen wissen.

„Nein, was steht denn da?“, wollte Ida lautstark wissen.

An ihrer Art, wie sie fragte, konnte Elina erkennen, dass Ida bereits eine Vermutung hatte. Und so ging es auch Nina und Luisa.

„Etwa die Anmeldung für das Vereinsturnier?“, rief Luisa aufgeregt.

„Ganz genau“, bestätigte Sandra lächelnd. „Aber bitte tragt euch nur ein, wenn eure Eltern es euch erlauben.“

Damit spielte sie auf Ida an, die in den vergangenen Osterferien einfach Nina und Luisa für einen Ausflug ans Wattenmeer eingetragen hatte, obwohl deren Eltern strikt dagegen gewesen waren.

„Ist versprochen“, sagte Ida nun und verdrehte genervt die Augen, als Sandra nicht hinschaute.

„Die Reitschüler müssen sich extra eintragen, damit ich sehen kann, wie ich die Schulpferde zuteile“, erklärte Sandra. „Ihr dürft aber natürlich euer Wunschpferd aufschreiben. Ich werde das berücksichtigen.“

Elina wusste, welche Wunschpferde Luisa und Nina hatten. Sie ritten eigentlich nie ein anderes Pferd. Das lag auch daran, dass Sandra zwar durchaus der Meinung war, dass ein guter Reiter mit beinahe jedem Pferd klarkommen sollte. Allerdings meinte sie auch, dass ein kontinuierliches Arbeiten an sich selbst und mit dem Pferd nur stattfinden konnte, wenn man auch mit einem speziellen Pferd als Partner fungierte. Außerdem hielt sie viel von Luisa und Nina, denn sie ließ die Beiden manchmal auch außerhalb der Reitstunden auf Jazzy und Scando reiten.

 

„Bedeutet ein Vereinsturnier, dass nur Reiter von hier daran teilnehmen?“, wollte Elina unsicher von Ida wissen, als sie Poldi und Damura in die Boxen brachten.

„Es bedeutet, dass nur Vereinsmitglieder teilnehmen dürfen“, korrigierte Ida und nahm Damura den Sattel ab. Da sie für die Schimmelstute sehr klein war, stellte sie sich dabei immer auf Zehenspitzen.

Elina verstand den Unterschied nicht sofort und Ida erklärte ihr:

„Man muss sein Pferd ja nicht bei uns im Stall stehen haben, um Mitglied im Reitverein  zu sein. Manche Vereinsmitglieder haben ihre Pferde in anderen, kleineren Ställen stehen, die kein Verein sind. Oder sie haben ihre Pferd zu Hause untergebracht.“

Bei diesen Worten musste Elina unwillkürlich grinsen, denn sie stellte sich vor, wie jemand seine Pferde tatsächlich im Haus leben ließ. Aber natürlich hatte sie nun verstanden, was Ida meinte. Es würden also vielleicht auch Reiter von außerhalb anreisen. Das klang alles ziemlich aufregend für sie.

„Wirst du mit Damura teilnehmen?“, fragte Elina neugierig, als sie in ihre gemütlichen Stallturnschuhe schlüpfte.

„Aber natürlich“, verkündete Ida und fügte dann etwas kleinlauter hinzu: „Wenn meine Mutter es erlaubt.“

Elina schaute sie verwundert an. Idas Mutter war selbst eine erfolgreiche Reiterin, die hart mit ihrer Tochter trainierte. Manchmal nahm Elina selbst an diesen Zusatzreitstunden teil. Dabei hatte sie schon viel gelernt, aber es war auch wirklich anstrengend. Deshalb konnte sie sich nicht vorstellen, was Idas Mutter dagegen haben könnte. Sie sollte doch froh sein. Doch Ida erklärte:

„Seit dem Unfall konnte meine Mutter ja nicht mehr reiten und sie konnte mich auch nicht mehr zu Turnieren fahren. Aber inzwischen glaube ich, dass sie sich seit dem Unfall auch ein bisschen um mich sorgt. Sie hat Angst, dass ich auch runterfallen könnte, und weil ihr das auf einem Turnier passiert ist, hält sie das für besonders gefährlich.“

Elina wusste, dass Idas Mutter in einer hohen Springprüfung von Damura gefallen und schlimm gestürzt war. Seitdem hatte sie lange auf Krücken gehen müssen. Als Elina Ida vor einigen Monaten kennen gelernt hatte, hatte ihre Mutter gerade erst wieder angefangen, Auto zu fahren. Inzwischen lief sie auch schon manchmal ohne Gehhilfe. Aber Ida hatte vermutlich Recht, denn auch die zusätzlichen Springstunden hatte ihre Mutter zuerst nicht erlauben wollen. Schließlich durfte Ida in der Anfängergruppe springen, was stark an ihrem Ego kratzte.

„Runterfallen kann man doch aber immer“, meinte Elina. „Das sagst du doch selbst.“

„Ja schon, aber sag das bitte nicht meiner Mutter, sonst wird sie noch schlimmer“, kicherte Ida.

Elina wusste, dass sie diese Sachen auch niemals vor ihren eigenen Eltern sagen durfte. Obwohl sie sich sicher war, dass sie ihr Poldi nicht wegnehmen würden, wären sie davon sicher nicht begeistert.

 

Als sie in die Stallgasse der Schulpferde und an das schwarze Brett kamen, standen auch Nina und Luisa vor dem Aushang. Er verriet ihnen, welche Prüfungen es geben würde. Während Elina noch versuchte, herauszufinden, was all die Abkürzungen bedeuten sollten, schaute Ida verträumt auf den Aushang der Springprüfungen. Sie hielt sich für eine Springreiterin, auch wenn Damura ein traumhaftes Dressurpferd war. Allerdings machte die Stute auch im Springen eine wunderbare Figur. Ein „Allrounder“ sagte Idas Mutter immer stolz. Auch Nina und Luisa sahen sich an, was ausgeschrieben war. Nun kam Elina sich doch wieder hilflos vor, denn sie verstand nichts von dem, was dort stand. Ida sah zu ihr rüber.

„Soll ich dir das erklären?“, bot sie von sich aus an.

„Ja bitte“, nickte Elina.

„Das hier sind die Dressur- und hier die Springprüfungen“, meinte Ida und deutete jeweils auf eine Seite des schwarzen Bretts. „Es gibt Reiterwettbewerbe, bei denen die Richter auf den Reiter und seinen Sitz achten. Dann gibt es die Prüfungen von E bis S.“

„Als ob Sandra ein S-Springen oder eine S-Dressur ausrichten würde“, unterbrach Luisa sie.

„Das stimmt“, gestand Ida. „Ich meine ja nur theoretisch.“

„Und was richtet Sandra aus?“, hakte Elina nach.

„Reiterwettbewerbe und Prüfungen bis Klasse L“, antwortete Nina.

„Und was wollt ihr reiten?“, fragte Elina weiter.

„Mal sehen, was wir reiten dürfen“, gab Luisa zurück. „Ich würde aber gern mit Jazzy ein E-Springen machen, vielleicht sogar A, wenn Sandra es erlaubt.“

Ida sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. Obwohl Elina wusste, dass das „A“ für „Anfänger“ stand, hatte sie schon gehört, dass es sich dabei nicht wirklich um reiterliche Anfänger handelte. Ida war auf Turnieren noch nie höher als A geritten.

„Ich weiß, dass Sandra das wohl kaum erlaubt“, seufzte Luisa, als sie Idas Blick bemerkte.

Die antwortete nur schulterzuckend:

„Mal sehen, was meine Mutter davon hält.“

Nina und Elina standen etwas unschlüssig daneben. Sie waren sich unsicher, ob sie überhaupt teilnehmen sollten. Elina ahnte schon, dass ihre Eltern sicher nichts dagegen hätten. Ihr Vater fände die Idee vielleicht sogar toll, dass sie in die Fußstapfen ihrer Tante treten könnte-wenn auch nur auf unterstem Niveau.

 

„Was würdest du mir denn empfehlen?“, wollte Elina von Ida wissen und deutete auf den Aushang.

Ida machte ein nachdenkliches Gesicht und schien nach einer diplomatischen Antwort zu suchen.

„Vielleicht einen Reiterwettbewerb oder ein E-Springen“, meinte sie dann langsam.

Nun war es Luisa, die die Augenbraue hochzog.

„Wieso denn nicht?“, wollte Ida von ihr wissen. „Poldi kann das doch alles.“

„Ja, Poldi“, wiederholte Luisa. „Aber Elina muss es auch können.“

„Sie kann schon ziemlich viel“, nahm Ida sie in Schutz.

„Ist schon okay“, meinte Elina, weil sie nicht der Auslöser für einen Streit sein wollte.

„Einen Reiterwettbewerb kannst du bestimmt reiten“, fand auch Nina. „Ich glaube auch kaum, dass Sandra uns mehr erlaubt.“

„Ich hoffe schon“, sagte Luisa. Dann sah sie Ida an und fragte:

„Was schwebt dir denn vor?“

Ida überlegte noch kurz, bevor sie antwortete:

„Ich würde auch gerne das A-Springen reiten.“

„Aber?“, hakte Nina nach.

„Meine Mutter könnte etwas dagegen haben“, seufzte Ida. „Ich werde versuchen, sie zu überreden.“

„Das steht uns auch bevor, aber zum Glück sind die Teilnahmegebühren ziemlich gering“, meinte Nina. „Ich glaube nicht, dass unsere Eltern etwas dagegen haben.“

Dem stimmte Luisa zu. Und trotzdem machten sie sich alle ihre Gedanken. Ida würde das Gespräch mit ihrer Mutter suchen müssen und ahnte schon, dass es nicht einfach würde. Nina und Luisa hofften inständig, dass sie Scando und Jazzy reiten dürften. Und Elina selbst musste noch herausfinden, welche Prüfung für sie und Poldi die richtige wäre.

 

„Springen oder Dressur?“, wollte Miko beim Abendessen von seiner kleinen Schwester wissen.

Elina musste kichern, als er das fragte. Ihre Eltern sahen sie verständnislos an.

„Das hat Lena dir verraten“,  warf Elia ihrem Bruder vor und griff nach einer Scheibe Brot.

„Stimmt“, gestand Miko. „Sie hat mir gesagt, dass ich dich das heute fragen soll, wenn du aus dem Stall kommst.“

„Und was hat das nun zu bedeuten?“, mischte sich ihre Mutter neugierig ein.

„Es gibt ein Vereinsturnier“, sprudelte es aus Elina heraus. „Da kann man in verschiedenen Prüfungen antreten.“

„Im Springen und in der Dressur“, ergänzte Miko stolz und Elina nickte.

Er traf sich in letzter Zeit auffällig häufig mit einem Mädchen namens Lena. Elina kannte sie aus dem Stall und fand sie sehr nett. Allerdings kannte auch Miko sie schon eine Weile und bisher waren sie eigentlich nur befreundet gewesen. Sie traute sich auch nicht, ihn zu fragen, ob er und Lena mehr als nur Freunde waren. Das brachte sie auf eine andere Idee:

„Was reitet Lena denn?“

Sie konnte sich nicht vorstellen, dass  Lena nicht teilnehmen würde.

„Das hat sie mir noch nicht verraten“, meinte Miko schulterzuckend.

Wahrscheinlich interessierte es ihn auch nicht besonders. Aber wenn er Interesse an Lena hatte, dann würde er es sich vermutlich trotzdem anhören und auch merken.

„Und du, Elina?“, wollte ihr Vater wissen. „Möchtest du auch auf dem Turnier starten?“

„Ich glaube schon“, antwortete sie etwas zögerlich. „Ich habe nur keine Ahnung, was ich da reiten soll.“

„Tante Hella ist mit Poldi viel gesprungen“, wusste ihr Vater.

Elina sah, wie ihre Mutter ihm einen durchdringenden Blick schickte. Entweder wollte sie ihm damit sagen, dass er ihre Tochter nicht auf solche gefährlichen Ideen bringen sollte, oder sie hatte Angst, dass er sie unter Druck setzte.

„Ich weiß nicht, ob ich schon gut genug dafür bin“, murmelte Elina. „Aber ich würde es gern versuchen.“

So viel Entschlossenheit kannten ihre Eltern gar nicht von ihr. Auch wenn sie sich schon verändert hatte, seit Poldi ihr Pferd war, war Elina immer noch ziemlich unsicher. Doch gerade im Stall wurde sie immer selbstbewusster. Und da das Turnier in ihrem Heimatstall stattfinden sollte, wusste sie nicht, was dagegen sprach.

„Sandra hilft dir bestimmt, die richtige Prüfung zu finden“, meinte ihre Mutter nun.

„Und Lena auch“, fügte Miko hinzu.

„Kaufen wir dir dann ein richtiges Turnierdress?“, wollte ihre Mutter plötzlich begeistert wissen.

„Ich glaube nicht, dass sich das für ein Turnier lohnt“, warf Elina ein.

„Lena kann dir vielleicht ein altes Outfit leihen“, sagte Miko. „Das hat sie mir schon gesagt.“

Etwas enttäuscht seufzte ihre Mutter. Aber Elina wollte ihren Eltern keine solchen Umstände bereiten, wo sie doch bloß das erste Mal mit Poldi an einem Vereinsturnier teilnahm. Schließlich wusste sie noch gar nicht, ob es ihr gefiel. Dafür brauchte sie nun wirklich kein neues Outfit.

 

Als sie später auf ihrem Zimmer war, zog sie eine kleine Schatzkiste unter ihrem Bett hervor. Darin hob sie ihr Pferdetagebuch auf und ein paar Erinnerungen an Tante Hella. Unter anderem waren ein paar Turnierschleifen dabei, die sie mit Poldi gewonnen hatte. Es wäre wirklich schön, wenn sie in die Fußstapfen ihrer erfolgreichen Tante treten könnte. Als Elina Poldi vor weniger als einem Jahr von ihr geerbt hatte, hatte sie bei einem Pferd gerade einmal feststellen können, wo vorne und hinten war. Inzwischen hatte sie so viel gelernt und trainiert, dass sie an einem kleinen Wettbewerb teilnehmen konnte. Bestimmt hielt Poldi das für lächerlich, wenn sie in einem Reiterwettbewerb starten würde. Er hatte mit Tante Hella schon ganz andere Klassen bewältigt. Und trotzdem fand Elina den Gedanken schön, dass sie hier etwas fortführte. Allerdings wäre es ihr noch lieber gewesen, wenn sie mit ihrer Tante gemeinsam hätte reiten können. Dann fasste sie einen Entschluss, den sie auch in ihrem Tagebuch festhielt. Sie wollte auf diesem Turnier ihr Allerbestes geben-für Tante Hella.