image

Für Christa

Danke für deine Geduld

Axel Schoppmann

Image
Image

Titelbild: Ponte Maria Pia, Porto, Portugal

Impressum

© 2018 Axel Schoppmann

Autor: Axel Schoppmann

Umschlaggestaltung: Axel Schoppmann

Umschlagfoto: Ponte Maria Pia, Porto, Portugal

Verlag: myMorawa von Morawa Lesezirkel GmbH

978-3-99070-388-5 (Paperback)

978-3-99070-389-2 (Hardcover)

978-3-99070-390-8 (e-Book)

Image

Holz-Spannbandbrücke Essing Foto: A.Schoppmann

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Technische Entwicklung - funktionelle Vielfalt

3 Fußgängerbrücken

4 Politisch - militärische Bedeutung

5 Wahrnehmungen: Ausblicke und Anblicke

6 Brücke als Symbol in Sprache und Schrift

7 Resumé und Ausblick

Stichwortregister

Verzeichnis der erwähnten Brücken

Bildquellen

Literaturquellen

1

Einleitung

Unser Vorhaben, einen Aufsatz mit dem Thema Brücken zu verfassen, stand vor dem Hintergrund dreier Aspekte, die das Vorhaben zu einer Herausforderung haben anwachsen lassen: da war einmal die Fülle des Materials, das einem entgegenschlägt, sobald man in der Literatur und in einschlägigen Internetseiten nach Übersichtsarbeiten und Abbildungen sucht. Es fällt schwer, das Material auch nur auf die wichtigsten Vertreter der historischen, stilistischen oder funktionellen Typen einzuschränken und in einem einigermaßen sinnvollen Rahmen unterzubringen, ohne sich (und in der Folge den Leser) dabei zu verlieren. - Ein zweiter Aspekt betraf die Breite des Themas 'Brücke', die einem bewußt wird, sobald man mehr darunter versteht als nur das Bauwerk. Bücher über Brücken in der Welt gibt es genug, und die Stapel wachsen, weil Ingenieure und Architekten auf diesem Gebiet zur Zeit äußerst schöpferisch unterwegs sind. Aber auch die Verwendung des Begriffs Brücke im übertragenen Sinn ist im täglichen (deutschen) Sprachgebrauch sowie in der Literatur und Philosophie sehr beliebt mit unterschiedlichsten Nuancen der Interpretation. Als öffentliche Gebäude haben Brücken, nicht nur im Verkehrswesen, eine beachtliche Bedeutung auch in der Politik und in der strategischen kriegsführung besessen, die es sich lohnt, in Erinnerung zu rufen. Zudem sind Brücken, wie noch heute existierende Exemplare erkennen lassen, in früheren Zeiten nicht nur als Verkehrswege genutzt worden, sondern als Absperrung, als Kontrollpunkte, als öffentlicher Lebensraum. Man hat auf ihnen gehandelt, gewohnt, gelebt und ist gestorben, ja getötet worden. Dieser dritte Aspekt, der zu diesem Buch geführt hat, betrifft schließlich zwei Bücher zum Thema Brücke, die Begeisterung für ihre Schönheit, aber auch Respekt wegen ihrer großen Bedeutung für unsere Zivilisation. Das eine zeigt uns, wie Brücken die menschliche Seele beflügeln können, der Autor des anderen hat ihre historische und metaphorische Bedeutung genutzt, um Krieg und Frieden im Roman abzubilden.

Dem Autor - als technischem Laien - bietet sich der thematische Einstieg über das eigene Erleben mit und auf Brücken an, über die sinnliche, emotionale Beziehung zu ihnen. Wir haben die ersten Jahrzehnte unseres Berufslebens der Sinnesphysiologie gewidmet auf dem Gebiet der Verarbeitung der Sehleistungen unserer Augen im Gehirn. In diesem Metier lernt man, genau hinzuschauen, zu beschreiben und zu bewerten, was man sieht, zum Teil aus ungewohnten Perspektiven. Unabhängig davon überraschte uns eine befreundete Buchhändlerin vor einigen Monaten mit der Bemerkung, Das Thema unseres Buchs sei zur Zeit aktuell und darüber hinaus "ein typisches Männerthema". Um diesen Aufsatz im Sinne der obigen Einschätzung der Freundin für alle Leser attraktiv zu halten, haben wir eine hoffentlich ausreichende Distanz zu technischen und chronologischen Faktensammlungen eingehalten und Objektivität nicht als einziges Kriterium regieren lassen. Unser persönlicher emotionaler Zugang auf der einen Seite, aber auch das 'naturwissenschaftliche, zur Nüchternheit erzogene Denken' auf der anderen hielten sich hoffentlich die Waage, sodaß wir hoffen können, unser Ziel erreicht zu haben, dieses "Männerthema" gender-neutral abgehandelt zu haben

Stadt, Fluss, Brücke

Unser Interesse an Brücken erwachte und wuchs in den letzten Jahren während und nach meist beruflich bedingter Aufenthalte im In- und Ausland. Dies geschah im Zusammenhang eben auf Grund des dienstlichen Reiseanlasses nicht mit dem Reiseführer in der Hand, sondern ad hoc, also schlicht und einfach unvorbereitet. Viele der besuchten Orte waren große Städte, die - was größere Städte nun einmal oft tun - häufig an einem stattlichen fließenden Gewässer, seltener am Meer oder schlicht im Inland ohne ein auffälliges, die Innennstadt durchströmendes Gewässer. Flüsse wirkten auf uns anziehend, zunächst aus Neugier, später mit einer gewissen Erwartung, Aufschluss über die Entstehung der jeweiligen Stadt zu erhalten, in der man sich gerade aufhielt. Fast ein Mechanismus, den man sich wohl nach vielen Städtereisen automatisch angewöhnt. Zu Städten gehörige Flüsse gelten als aufschlussreiche Indikatioren für die historische und soziologische Entwicklung und Bedeutung des Ortes, womit sie oft sogar als "Geburtshelfer" dieser Siedlungen gelten können. Darauf wird in Stadtportraits immer wieder verwiesen, und es erscheint auch einen Sinn zu ergeben, da in früheren Zeiten Flüsse oft die einzigen Fernverbindungen für Handel und Verkehr dargestellt haben angesichts der Tatsache, daß es damals keine leistungsfähigen und auch keine sicheren Straßen, geschweige denn schnelle motorisierte Landfahrzeuge gegeben hat. Die Rolle von Flussbrücken kam historisch natürlich auch in dezentral gelegenen Städten schon deshalb mit ins Spiel, weil es die Menschen immer dazu gedrängt hat, die Welt am anderen Ufer aufzusuchen, um dort Handel zu treiben, das Gelände kennenzulernen und zu wissen, ob am anderen Ufer Freund oder Feind lebte. Je nach den Verhältnissen im Hinterland der Stadt war man vielleicht darauf angewiesen, Land am anderen Ufer als Siedlungsgebiet zu gewinnen oder auch nur als Ackerfläche.

Entweder entstand eine Siedlung dort, wo ein Fluss als Handelsroute geschätzt wurde und sich eine Uferzone als Hafenanlage anbot. Oder es gab eine Furt, die sich zur, wenn auch Wasserstand - abhängigen Überquerung eignete, was aber eben vom Wasserstand abhing. Gerade aber das Hochwasser stellte eine Gefahr für die Siedler am Flussufer dar, genauso wie für diejenigen, die auf die andere Seite des Gewässers überzusetzen trachteten. Deshalb gab es frühe Anstrengungen, die Flüsse auf sicherem Wege und trockenen Fußes zu überqueren. Man baute zunächst hölzerne Stege, dann später, wenn die Stadt zu einigem Wohlstand gekommen war, leistete man sich steinerne Brücken. Die berühmtesten unter ihnen stehen in Rom, Paris, Avignon, Prag, in Deutschland in Heidelberg, Regensburg oder Trier. Brücken bildeten, ebenso wie der Fluß, den sie überspannten, für die Städte gleichzeitig einen sicheren Verkehrsweg und eine lukrative Einnahmequelle. Brücken ermöglichten den Städtern, Handelswege, nicht nur auf dem Fluß, sondern auch jenseits des anderen Ufers zu nutzen. Und sie verschafften eben auch die oben angenommene interkulturelle Horizonterweiterung für die Bürger der Stadt, nicht nur durch den Schiffsverkehr entlang des Stroms, auch über die Brücke in eine andere Himmelsrichtung. Die Bürger haben sich dafür bedankt, indem sie ihre Brücke(n) aufwendig ausstatteten und pflegten und die Brücke im Namen ihrer Stadt erwähnten wie Ravensbrück, Bruck an der Mur, Cambridge, Brügge usw. Vor oder auf vielen alten steinernen Brücken errichteten die Erbauer aber auch Grenztore und Zollstationen zur Erhebung Wohlstand vermehrender Zölle und zum Schutz vor unerwünschten Besuchern aus dem unbekannten Land jenseits des eigenen Machtbereichs. Namen wie "Innsbruck, Bersenbrück, Quakenbrück, Osnabrück, Brügge, Cambridge, oder einfach Bruck an der Mur" verraten die Schicksalsgemeinschaft von Brücke und Stadt, von Natur und Zivilisation an diesen Orten.

Um zu unserem persönlichen Zugang zum Thema zurückzukehren, sei daran erinnert, daß uns zunächst die Brücken meist nicht um ihrer selbst willen anzogen, sondern wir sie als Aussichtsplattform nutzen wollten, um quasi aus der Distanz einen guten Überblick über die unbekannte Stadt und die Flussufer zu erhalten, wie das in früheren Zeiten Neuankömmlinge taten, noch bevor sie sie betraten. Auf der Brücke fiel unser Augenmerk in erster Linie nicht auf das Gebäude in der Mitte des Flusses, sondern auf das sich unter uns bewegende Gewässer, das oft ruhig und in breiter Front auf den Betrachter zu floss, undurchsichtig, geheimnisvoll, mit Strudeln bei den Pfeilern. Die Bewegung der Strömung erzeugte vor unserem Auge Lichtspiele, flimmerte, täuschte manches Mal meine Wahrnehmung. Lange an einer Stelle aufs Wasser starrend, wurde man irgendwann unsicher, ob es wirklich der Fluss war, der sich auf einen zu bewegte, der Betrachter es war, der auf einem Fahrzeug auf ihn zufuhr, oder ob vielleicht wir und die Brücke uns auf wundersame Weise in dieser Gegenrichtung bewegten! Aus psychophysischen Experimenten, die damals an der Universität Ulm zur Physiologie des menschlichen Sehsystems durchgeführt wurden, wußte man, daß, wenn man den Blick starr auf eine sich von links nach rechts oder von oben nach unten bewegende große Fläche richtete, und nach einiger Zeit dann einen anderen, in Ruhe befindlichen Ort fixierte, sich dieser nun in der Gegenrichtung zu vorher zu bewegen schien. Schaute der Betrachter nun von der Brücke auf die Wasseroberfläche und schloß dann die Augen, so hatte man ein sich entsprechend entgegengesetzt bewegendes Nachbild. Dieser Effekt hat mit der Gewöhnung des Sehsystems an den vorigen Reiz, der sogenannten Adaptation zu tun, in deren Folge die Sensibilität für den gegenteiligen Reiz erhöht wird 1.

Nicht nur optische Täuschungen, auch andere Effekte der Beschaffenheit und Bewegungen der Oberfläche des mehr oder weniger schnell fließendes Wassers fielen auf, so, wie einem eben unwichtige Dinge auffallen, wenn man ohne Eile an einem Ort steht und die Zeit hat, die Umgebung zu betrachten: die Farben, der Wellengang, die Lichtspiele ihrer Strömung die Reflektionen der Sonne auf die sich spiegelnde Oberfläche (Abbildung) oder auch das durchschimmernde Gestein. Innerstädtische Flüsse könnte man natürlich vom Ufer aus oder unter einem Brückenbogen stehend betrachten und und von dort aus hypnotisch und meditativ auf sich wirken lassen. Bei einem bestimmten Einfallswinkel des Lichts, symmetrisch im gleichen Winkel reflektiert von den Wellen auf dem Strom, trafen die Strahlen mein Augen oder wurde das Gemäuer der Brücke von unten in ein flimmerndes Lichtspiel getaucht. Das alles hatte nicht direkt etwas mit der Brücke selbst zu tun, aber sie empfahl sich bei diesen Gelegenheiten als Schau - Bühne des Sinneszaubers. Viele dieser faszinierenden Lichtspiele kann man eben oft nur von oben, bei der Aufsicht auf die Wasseroberfläche beobachten, also am besten von der Brücke aus. Und mit echten, aber unerwarteten Effekten von Wasserbewegungen ist man als Landratte leicht zu begeistern, wenn zum Beispiel plötzlich die Bugwelle, dann der Bug eines Schiffes "ohne Vorwarnung" unter der Brücke hervorkommt und sich ins Gesichtsfeld schiebt. Adolf Muschg hat in seinem Vorwort zu einem Bildband über Brücken des Photographen Karl Lang zu meiner Überraschung und Freude in die gleiche Richtung gehende Beobachtungen und Sinnesempfindungen verspürt und bestätigt uns mit meisterlichen Worten, daß die Brücke "den Blick für den Fluss öffnet" und ..."daß das Wasser uns bewegt, indem es nicht aufhört, sich zu bewegen". Der Dichter vermag das ausdrücken, was unsnormalen Sterblichen zu beschreiben an Macht der Sprache fehlt: " ...seine Wahrheit für die Seele zieht der Kunstbau aus der Nähe zum Wasser, in dem er sich spiegelt 2.

Bezüglich des Stadtpanoramas dienten manche, besonders hoch gebaute Brücken mit großer lichter Höhe gern als Aussichtspunkt, von dem aus man mit den Augen die beiden Flussufer abfahren konnte, die Hafenzeile, die Uferbebauungen, alles, was an der Stadt charakteristisch war. Und dann folgte automatisch der Blick in die Gegenrichtung. Anschließend trat ich von der Brücke herab ans andere Ufer und schaute nun hinüber an der Brücke entlang ans andere Ufer. Es ließ sich garnicht vermeiden, daß sich mein Augenmerk vom Gewässer und der Besiedlungsstruktur der Stadt, sozusagen ihrem Ufergesicht und seinem möglichen historischen Hintergrund weg auf die Brücke selbst richtete.

Heutzutage betritt der Reisende eine Großstadt meist am Flughafenterminal, und das ist schade. Auch Städte, die am Meer liegen, richten ihr architektonisches Ensemble auf das Tor zur Stadt, durch das der Ankömmling zunächst eintritt, eben auf den Hafen aus. Die traditionellen Einfallswege zu Lande kommen uns an diesen Orten oft abweisend oder gesichtslos, ja vernachlässigt vor. Früher war der Eingang in die Stadt meist über die Brücke kommend. Daher nicht nur der Kontrollaufwand, auch der repräsentative Aufwand bei Bau und dekorativer Ausstattung von Brücken über Grenzflüsse. Heute überqueren wir mit dem Taxi Brücken auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel. Beim Bau einer neuen Brücke bekommt der Architekt/Ingenieur leider meist keine künstlerische Ausgestaltung mehr bezahlt. Da spricht der Stadtkämmerer das entscheidende Wort mit, es sei denn, wir haben eine Hauptstadt vor uns, in der ein eitler Machthaber wohnt, der sich mit Prunk und Dekor selbst ein Geschenk machen und die Besucher beeindrucken (einschüchtern?) will. In den anderen Fällen geht es um Quantitatives, um die schnellste und die billigste Lösung bei einem möglichst im Voraus berechneten Verkehrsaufkommen.

Irgendwann fielen in den letzten Jahrhunderten die regionalen Grenzen und Zollschranken, und die Städte am Fluss hatten die Gelegenheit zur Expansion auf das gegenüberliegende Flußufer. Handelswege führten nun über das Wasser, entweder per Schiff oder eben über Brücken und durch die Ortsteile am anderen Ufer. Von dieser Keimzelle aus entstand dann ein unabhängiger Ortsteil mit eigenem Charakter.

Das ist auch so in Wien, meinem Wohnsitz seit nun über dreißig Jahren. Obwohl die Entwicklung der transdanubischen Bezirke Wiens deutlich hinter denen um die Altstadt herum zurückliegt, bildet Wien in dieser Beziehung eine Ausnahme. Die Stadt besitzt heute mehr als zwei Dutzend Donaubrücken, aber man hat nicht das Gefühl - so wie in Budapest - daß die Stadt an der Donau liegt und eine enge Besiedlungsklammer um den Fluss gebildet hat. Die zahlreichen Donauüberquerungen sind, fast alle im letzten Jahrhundert entstanden und bezeugen eine quantitative Ausdehnung, ohne, so hat man den Verdacht, erkennbar strukturierte Flächenwidmungsplanung. Die Wachstumsrichtung über die Donau hinweg in die weiten Flächen des Nordrands kam lange Zeit nicht in Frage, weil die Donau immer wieder ihr Flussbett in die Ebene hinaus verlagerte auf Grund starker Frühjahrshochwässer und Eisstoßkatastrophen. Dann wurden Holzbrücken weggerissen und die aufgestauten Eismassen und das mitgerissene Treibgut zwangen das Wasser, zur Seite auszubrechen. Erst im 20. Jahrhundert gelang es der Stadt durch Dämme sowie den Bau eines Parallel - Flußbetts, das sogenannte Entlastungsgerinne, die Donau zu bändigen. Sie wurde begradigt, und der schmale, gewundene Flussarm, welcher historisch dem Stadtzentrum am nächsten gekommen war, wurde zum tief einbetonierten Donaukanal, den heute insgesamt 34 (!) Brücken überspannen.

Von den sieben Fußgängerstegen, die mit den längs des Kanals verlaufenden Autofreien Gehwegen eine verkehrsberuhigte Fußgängerzone ergeben könnten, befindet sich keiner in der Innenstadt. Die Stege in den Außenbezirken wurden bis auf zwei Uraltbrücken erst zwischen 1991 und 2003 der Bevölkerung zur Verfügung gestellt. Eine attraktive Einbindung der tief eingeschnittenen Trassen beiderseits des Donaukanals im Bereich der Innenstadt wurden erst in den letzten Jahren zumindest angedacht, aber immer noch nicht zu einem attraktiven innerstädtischen Fußgängerbereich umgewandelt, der unseres Erachtens nach durchaus lohnend wäre. Wie wir im folgenden sehen werden, gibt es international attraktivere Ansätze zugunsten der nicht motorisierten Bevölkerung, der Kinder und der wachsenden Seniorenscharen, die barrierefreie Kanalüberbrückungen benötigen anstatt immer noch mehr Fahhradwege und sogenannte Strandbars mit Partner - Liegestühlen im Sand. Wir haben vorbildliche Beispiele solcher moderner Konzepte in großen Städten wie Paris, Stuttgart oder New York gefunden (s. Kap. 3). Wo man früher zur Arbeit fuhr, verbringt man heute auch seine Freizeit oder seinen Ruhestand. Brücken beginnen, das städtische Privat- und Geschäftsleben zu erweitern. Besonders Fußgängerbrücken können, wenn sie nach den Bedürfnissen der Anwohner konzipiert sind, unser Lebensgefühl stärken durch wertvolle Ergänzungen des urbanen Begegnungsraums von Jung und Alt. Gleichzeitig besteht die Chance, durch modernes, ansprechendes Design das Stadtbild zu vervollkommnen. Hinter einer solchen Zielsetzung läuft man leider in vielen - nicht nur europäischen - Städten derzeit zum Teil noch hinterher.

Fußgängerbrücken erfreuen sich heute international eines großen Interesses. Sie erfreuen sich oft auch einer emotionalen Zuwendung seitens ihrer Benutzer. Das erkennt man an daran, daß sich Bürger zur Pflege und Verschönerung, Bemalung und Beleuchtung seiner Fassade einfinden und Kosenamen vergeben. Wir werden Beispiele hierfür kennenlernen- Die entscheidenden Kriterien sind weniger siedlungsgeographischer Natur als die Förderung des in unserer westeuropäischen Freizeit - Gesellschaft erwachte Lebensgefühl. Brücken trugen und tragen, wo immer dem Bedarf an neuen Fußwegen über Straßen oder Bachtäler hinweg Rechnung getragen wurde, einen substantiellen Freizeitwert zur Infrastruktur des "beschenkten" Viertels bei. Der Bau von Fußgängerbrücken bleibt ja auch angesichts der vergleichsweise geringen Dimensionen in weitaus bescheidenerem Rahmen, was Kosten und Bauzeit angeht. Erfolgreiche Designs im Kleinen können die Tür öffnen zu Umsetzungen von Konstruktionsentwürfen im Großen. Diese Situation hat uns dazu verführt, Fußgängerbrücken ein eigenes Kapitel einzuräumen3.

Überland-Verkehrsbrücken können dagegen meist aufgrund ihrer flüchtigen Wahrnehmung durch ihre Benutzer anonym und ohne Identität bleiben, es ei denn, irgend eine besondere Eigenschaft, ein sensationelles Design, ein Adrenalinkick oder Rekordabmessungen veranlassten die Medien, ein solches Projekt mitsamt einer Neugierde erweckenden Namensgebung überregional bekannt zu machen. In unserer Kindheit schon war jede Urlaubsfahrt mit dem Auto in den Süden eine Herausforderung für die Familie, besonders für den Familienvater, aber nicht wegen der Staus und des hohen Verkehrsaufkommens. Das gab es damals nur selten. sondern weil eine Fahrgeschwindigkeit von über 80 kmh in den 1950er Jahren noch als vergleichsweise hohes Risiko und grenzwertige Nervenbelastung für den Fahrer empfunden wurde. Steile, heute allerdings als vergleichsweise harmlos gewertete Straßengefälle oder -steigungen, und eben auch Brückenüberquerungen wurden bereits Kilometer im Voraus angekündgt und mit strengen speed limits und Totenkopf-Schildern gepflastert. Es wurde dann auch totenstill im Fahrzeug, weil "der Fahrer sich konzentrieren muß". Der Höhepunkt der Aufregung bei uns Kindern war erreicht einige Kilometer nördlich der Wiedbachtalbrücke auf der A3 zwischen Köln und Limburg/Lahn. Dieses Viadukt besteht noch heute. Damals traute sich kaum einer, aus dem Fenster zu sehen, bevor 'die Gefahr vorbei war'! Wie man kürzlich lesen konnte, ist diese Situation an der Wied nach über 60 Jahren immer noch nicht Geschichte4.

Zwei Bücher über Brücken

Wie oben erwähnt, haben uns vor allem zwei Publikationen zu dem vorliegenden Aufsatz verführt. Das erste Werk, ein großformatiger Bildband mit dem Titel "Dream Bridges - Traumbrücken" hat der österreichische Architekt Wolfdietrich Ziesel (1933-2015) - gegen Ende seines Berufslebens - vorgelegt. In diesem Bildband, in dem er einige der von ihm am meisten bewunderten Brücken der Welt vorstellt, beruft er sich mit der Auswahl der Beispiele weniger auf technische Daten als vielmehr auf ästhetische Kriterien, zum Teil auch philosophische Überlegungen in seiner Eigenschaft als Mensch mehr denn als Fachmann. Für Ziesel sind "alle Brücken Träume, Visionen, Metaphern" 5. Ihre Gestalt, ihre Dimensionen, das Erlebnis in ihrer Nähe und auch die Zusammenhänge, in denen sie außerhalb der Architektenszene in der Literatur, in der Geisteswissenschaft zitiert, als Phänomen, und eben auch im symbolischen Bereich zur Sprache kommen, all diese Zusammenhänge zogen uns magisch an, und sie tun es noch heute mit der Vielfalt der assoziativen Verwendungen des Begriffs Brücke, seiner metaphorischen Klarheit und der von ihrer Namensbezeichnung ausgehenden Kraft. Wolfdietrich Ziesel hatte sein oben erwähntes Buch als "Sammlung über Wünsche und Träume von Brücken" charakterisiert, wobei er seinen fachlichen Hintergrund als Basis verwenden konnte, daüber hinausgehende Vorstellungen zur Sprache zu bringen und Visionen zu formulieren. In einer sympathisch bescheidenen Weise bezog er sich auf die Entwürfe, die er "mit Optimismus und Phantasie" gern in die Tat umgesetzt hätte, aber wegen der anders gelagerten Sichtweise bzw. Interessenlage seiner Auftraggeber nicht verwirklichen konnte, die also als unerfüllte Träume bestehen blieben. Uns und viele andere seiner Leser und Betrachter seiner Fotos hat er wiederum in seinem Sinne zum Träumen angeregt. Prof. Ziesel, der sich jahrzehntelang intensiv wie nur wenige andere mit Brücken beschäftigt hatte, verspürte offensichtlich eine Verpflichtung, der Öffentlichkeit gewidmete Gebäude wie Brücken nicht nur unter ökonomischen und anderen nüchternen Gesichtspunkten zu verwirklichen, sondern, der Größe und Allgegenwart dieser Konstruktionen entsprechend, intellektuelle, ästhetische und nicht zuletzt auch emotionale Aspekte mitschwingen zu lassen. Und diesen Ansatz würden die meisten Laien ebenfalls favoriseren, wenn sie den Entwurf einer Brücke, zumindest einer Fußgängerbrücke in ihrer Umgebung als gelungen und wünschenswert oder nicht beurteilen sollten. Der häufige Benutzer ein und derselben Brücke spürt bald, was an diesem oder anderen, neu geplanten Bauwerken, seine Lebensqualität verbessern könnte. Von exorbitanten Ausreißern abgesehen, interessieren mich der Kostenfaktor und die Bauzeit eher weniger. Kurzum, die breite Sicht des Phänomens Brücke durch diesen Autor spornte uns einfach an, diesen Gedankenansätzen selbst genauer nachzugehen.

Das zweite Buch, welches, diesmal aus einer anderen Richtung kommend, einen Anstoß gegeben hat, unsere eigenen Gedanken über Brücken im Vergleich zur mannigfaltigen Literatur über dieses Thema niederzuschreiben - es gibt ja eigentlich genug Bücher darüber aus der Feder berufener Autoren - war das 1961 mit dem Nobelpreis-gekrönte Buch "Die Brücke über die Drina" 6 des serbischen Schriftstellers Ivo Andric. Der 1892 in Bosnien geborene Autor hat das Format des historischen Romans verwendet, um den symbolischen Sinngehalt einer Brücke in den bereits reichhaltigen historischen Hintergrund des konkreten Bauwerks hineinzuweben. *). Andric beschreibt das Verhältnis zwischen Stadt und Flussbrücke treffend in seinem Buch "Die Brücke über die Drina: "Städte wachsen aus Brücken wie aus einer unzerstörbaren Wurzel". Diese Metapher weist auch darauf hin, daß Städte einen unerschöpflichen Lebenssaft aus der Gewässerverbinding mit der Welt gewinnen. Flüsse trugen zur Bildung des Ortsnamens und damit zu ihrer Identität bei. Wir haben aber bei unseren Übersiedlungen mit der Familie immer wieder beobachtet, daß Menschen in Städten an großen Flüssen offener gegenüber fremden Menschen und deren Einflüssen waren als in Orten fernab historisch bestehender internationaler Verkehrswege (was ja auf große, schiffbare Flüsse zutrifft.*

Es scheint, als ob jeder, der nach dieser Erzählung gefragt wird, sie bereits gelesen hat oder sie zumindest kennt. Der Roman handelt vom Leben und Sterben auf und bei der im Titel erwähnten steinernen Bogenbrücke, die seit 500 Jahren nahe dem Städtchen Visegrad über den Fluss Drina führt. Er beginnt mit der Geburt ihres Erbauers im Jahr 1506 und endet symbolträchtig mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs, der die alte imperiale Ordnung in Europa beendete und ein neues Zeitalter hervorbrachte. Stadt, Fluss und Brücke gab es wirklich und gibt es noch heute (Abb.1). Letztere heißt bei den serbokroatisch sprechenden Einheimischen Most Mehmed-paše Sokolovića nach ihrem Initiator, einem als Knabe von den Janitscharen nach Istanbul entführten gebürtigen Christen, der umerzogen und ausgebildet wurde und in der Armee Karriere machte. Er machte seinem Vorgesetzten den Bau einer Brücke über die Drina schmackhaft, die eine sichere und bleibende Verbindung zwischen dem christlichen Europa und dem osmanischen Reich schaffen sollte. In all den Jahrzehnten und Jahrhunderten ihrer Existenz diente die Brücke nicht nur als Verkehrsverbindung und Transportweg, sondern war lokale Begegnungsstätte, Bezugspunkt und Konfliktzone für Menschen verschiedener Nationen und Religionen, wie sie in weiten Teilen des Balkan verstreut und vermischt beheimatet waren und sind und zusammen oder auch voneinander getrennt leben.

Ivo Andric hat die Funktion und das Schicksal der Brücke über die Jahrhunderte hinweg stellvertretend für die Menschen in seiner Heimat, aber auch für den Lebensweg der Menschen im Allgemeinen gezeichnet, wobei der rauhe, steinige Fluss als Metapher für die Zeit und das mühsame Leben, und die Brücke als Weg durch den unveränderlichen Lauf der Zeit hindurch verstanden werden kann. Die Zeit frisst an althergebrachten Vorurteilen und erzwingt Änderungen in der modernen Zivilisation, eine Welt im Kleinen und doch so charakteristisch für diese Gegend Europas. Die geschichtlichen Eckdaten und viele der sich um sie rankenden Ereignisse, und auch manche Menschenschicksale und Mythen um diese Brücke sind "authentisch" berichtet. Andric hat aber Persönlichkeiten hinzugedacht und den Lebensweg real existierender Männer, Frauen und Kinder ausgefüllt und ausformuliert in dem von ihm abgedeckten Zeitraum von 450 Jahren, beginnend mit dem Bau der Brücke bis zum Beginn des ersten Weltkriegs 7.

Der Autor hat die Brücke in seinem Roman nicht nur als historische Konstante, als Rückgrat seines Erzählstrangs verwendet. Parallel dazu bedient er sich der metaphorischen Bedeutung des Wortes Brücke für die Begegnungen der Menschen auf der Brücke, stellvertretend für das, was Menschen und die Kulturen trennt und was sie verbindet. Wie die Brücke selbst gleichzeitig als Symbol für Liebe und Hass zwischen den Menschen steht, so verbindet und trennt das historische Bauwerk die Familien, die Generationen verschiedener Herkunft über die Zeiten hinweg. Ein steinernes Monument der Ewigkeit und der Vergänglickeit zugleich, über einem mitunter sich wild gebärdenden Fluß. Vielen Generationen dienend, hat diese Brücke Leben und Tod miterlebt, verursacht und erlitten. Diese Erzählkunst hat außer mir viele Leser des Buches magisch angezogen.

So beginnen wir mit einer kurzen Entwicklungsgeschichte des Brückenbaus, die wir mit einigen wenigen, aber leider notwendigen, wenn auch sparsam verwendeten technischen Eckdaten versehen. Anschließend machen wir die Leser darauf aufmerksam, was Brücken eigentlich 'mit uns machen' und wie sie auf uns wirken, sobald wir sie genauer betrachten. Bei dieser Betrachtung wird uns auffallen, wie vielfältig der Begriff 'Brücke' im übertragenen Sinn in der Alltagssprache, aber auch in der Literatur und in der Philosophie zur Anwendung kommt. Brücken hatten auch in der Geschichte immer eine konkrete politische, leider auch eine militärisch/strategische Relevanz.

Die zukünftige Entwicklung modernen Brückendesigns wird vermutlich an Fußgängerbrücken abzulesen sein, denn sie, nicht die Eintragungen ins Guinnessbuch der Rekorde, die futuristischen Autobahnbrücken und arabischen und ostasiatischen Gigantomanien scheinen das Potential zu besitzen, Veränderungen in - nicht nur unserer - urbanen Kultur zu bewirken oder zu unterstützen.

Image

Abb.1 Osmanische Brücke über die Drina in Bosnien Foto: despotodstiga

*) Das Buch des Nobelpreisträgers Andric wird uns im Verlauf dieser Schrift an verschiedenen Stellen wiederbegegnen und immer wieder einen Beitrag zu den unterschiedlichen Aspekten des Themas liefern (S.33, S.57, S. 85)

2

Technische Entwicklung - funktionelle Vielfalt *)

Was ist eine Brücke? Um die Entstehung der ersten Brücken geschichtlich zuordnen zu können, müssen wir zuerst einmal wissen, was man unter einer Brücke zu verstehen hat. Die ethymologische Herkunft des Namens erlaubt da einige Aufschlüsse: Der Name 'Brücke' leitet sich aus dem althochdeutschen pruccha ab. Das englische Wort bridge und das schwedische brygga deuten auf eine indogermanische Herkunft hin, wo die Brücke bhreu heißt, was in mehreren Sprachen soviel wie 'Holzscheit' oder 'Brett' bedeutet. Ein ähnlicher Sinnzusammenhang besteht wohl auch mit den Worten 'Pritsche' oder 'Prügel'. Das lateinische/französische Wort pons/ pont leitet sich wohl vom Sanskrit -Wort patha oder panthan ab 12,13. Bretter oder Baumstämme stellten wahrscheinlich auch die ältesten, von Menschen verwendeten Bach- oder Tal - 'überbrückungen' dar. Die Menschen begannen Übergänge zu bauen, wo immer es eine Möglichkeit, oder vielmehr die Notwendigkeit gegeben hat, Wasserläufe oder steile Geländeeinschnitte zu überqueren oder mühsame Umwege sozusagen 'durch die Luft' abzukürzen. Analoge Entwicklungen in mehreren Regionen der Welt sind bereits aus vorgeschichtlicher Zeit bekannt. Die meisten heute existierenden Brückentypen sind vermutlich aus funktionellen Vorläufern entstanden, die die Natur zur Verfügung gestellt hat. Die Geschichte der Brücken beginnt an Orten, wo der prähistorische Mensch vom Sturm umgedrückte, über einem Bachlauf zu liegen gekommene Bäume, oder flache, im Flussbett liegende Steinplatten als Überquerungshilfe vorfand und benutzte. Von diesen zufällig liegenden, nützlichen Objekten lernte er, daß man auch an anderen Orten trockenen Fusses über den Bach kommen kann, wenn man entsprechende Steinplatten oder Holzstämme dort hinbringt und optimal ausrichtet. Ebenso mögen zu späteren Zeiten ausgewaschene Höhlen oder Felsengewölbe als Modell für Steinbogenbrücken hergehalten haben. Unsere Urahnen lernten irgendwann, In ihrem eigenen Lebensraum, z.B. in der Nähe ihrer Siedlungen, beständige Übergänge, robuste hölzerne oder steinerne Stege über Wasserläufen oder sumpfigen Arealen zu errichten. Breitere Gewässer wurden mit schwimmenden Floßbrücken überspannt, indem man sich an Wurzeln und Seilen entlang hangelte. Wo starke Wasserströmungen herrschten, lernten diese Menschen bald, Holzpfähle in das Bachbett zu rammen, um darauf Holzplanken zu befestigen zum Zweck ortsfester permanenter Übergänge. Bei Ausgrabungen vorgeschichtlicher Siedlungen aus der Bronzezeit, vor allem in der Nähe von Gewässern, wurden immer wieder Reste von Bauwerken gefunden, die auf Grund ihrer Position, der Umgebung und der Analyse im Boden gefundener Holzpfähle nur als Brückenstege interpretiert werden können 14. Auch in römischer Zeit wurden in moorigen Gegenden zum Zwecke der militärischen Nutzung Holzbohlenwege gefunden 15-18. In Großbritannien sind aus frühhistorischer Zeit stammende, sogenannte clapper bridges (zu deutsch 'Trittsteinbrücken') beschrieben, also Fußgängerüberwege, ebenso alt wie Übergänge aus bearbeiteten Baumstämmen. Sie wurden aus flachen großen Trittsteinen gelegt und blieben schon allein wegen ihres Gewichts stabil liegen. Der Begriff clapper leitet sich auch nicht vom deutschen Wort 'klappern' ab, sondern kommt entweder aus dem lateinischen Wort claperius ('Steinhaufen') oder aus dem angelsächsischen 'cleac', was soviel heißt wie 'überbrückender Trittstein' 19. Ein bemerkenswertes Beispiel für clapper bridges sind die 55 m langen tarr steps bei Dulverton in Somerset, UK (Abb.2), die eine lokale Berühmtheit erlangt haben, obwohl ihr bronzezeitliches Alter nicht gesichert ist 20.

Vorläufer modernen Brückenbaus in Asien und Südamerika

Die vermutlich längste noch existierende Steinplattenbrücke der Welt ist die 2070 m lange sogenannte Anping - Brücke (Abb.3) 22,23. Sie steht an der chinesischen Ostküste in Jinjiang in der Provinz Fujiang. Die Platten überspannen ein breites, aber relativ flaches Gewässer und waren ursprünglich auf einer Länge von 2255 m verlegt. Diese Steinplattenbrücke ist vergleichsweise wesentlich jünger als die englischen clapper bridges. Die Anping-Brücke wurde um 1150 n. Chr. als Straßenbrücke gebaut. Insgesamt jedoch finden sich in der chinesischen Literatur Zeugnisse von Brücken aus Holz oder Steinplatten aus einer Zeit, da in Europa an dieses technische Niveau noch nicht zu denken war. Um 1100 v. Chr., und wer weiß, wie lange davor, kannte man sowohl primitive Steinplatten-Übergänge als auch aufwendige und technisch ausgereifte Holzbrücken. Die dokumentierten Zeichnungen lassen darauf schließen, daß es sich hier nicht etwa um nicht verwirklichte Prototypen handelt, sondern um Brücken, die tatsächlich gebaut und betreten wurden. Die älteste, in der Literatur verbürgte Brücke muß eine Schiffsbrücke gewesen sein, die aus nebeneinander vertäuten Booten mit quer aufgelegten Brettern bestanden hat und eine beeindruckende Länge von mehreren hundert Metern erreicht haben soll. Sie ist über einen Nebenfluß des Gelben Flusses gespannt worden. In der Folge werden mehrere dieser zum Teil langlebigen Schiffsbrücken in der Literatur erwähnt .

Berichte aus China zwischen dem dritten und zehnten Jahrhundert n. Chr. dokumentieren den hohen Entwicklungsstand vieler Brücken in China. Um das Jahr 500 gab es schon drei verschiedene Typen von stabilen Brückenbauten: sogen. 'Kragträger-Brücken', das sind Auslegerbrücken mit überhängenden Steinen oder Holzbalken, 'Holzbalken-Brücken', die oft auf Steinpfeilern ruhten, was die Lebensdauer der Gesamtkonstruktion erheblich verlängert haben wird, und 'Steinbogen-Brücken', die vor allem dort verwendet wurden, wo Schiffsverkehr unter der Brücke durchfahren mußte. Die Steinbögen waren deshalb ziemlich steil und mit Treppen für Fußgänger ausgestattet. Alte Zeichnungen aus China zeigen, wie mühsam die Lastenträger mit beidseitig geschulterten Lasten an langen Stäben auf diese Brücken hinaufkraxeln mußten, um den Scheitelpunkt zu erreichen. Diese Brücken bestanden zwar teilweise aus konisch behauenen Steinen und Eisenstoppern. Fachleute konnten von den Zeichnungen aber ablesen, daß diese Brückenbögen wesentlich weniger Lasten aushielten als die etwa 250 Jahre später (?) entwickelten römischen Steinbogenbrücken. Das kann man offenbar am Verhältnis zwischen Gewölbedicke und Bogenspannweite ermessen. Aber haltbar waren diese alten Brücken schon: die berühmte Baodai-Brücke in Suzhou (Abb.4) nahe Shanghai an der Ostküste Chinas, Baujahr 1446 n.Chr, die mit sage und schreibe 53 Bögen über 300 m lang wurde und noch heute besteht und von Fußgängern auch noch benutzt werden kann 24. Die chinesische Brückenbaukunst könnte sich sehr gut unabhängig von der europäischen Architektur-Entwicklung, vielleicht sogar viel früher als letztere entfaltet haben, denn sie befand sich schon vergleichsweise viel früher auf technisch und architektonisch hohem Niveau. Als Beispiel dafür sei die Anchi-Brücke erwähnt, die bereits im Jahre 605 nach Christus nahe der Stadt Chao Hsien mit 37 m Spannweite und 50 m Gesamtlänge über den Fluß Chao führte. Sie war die erste Segmentbogenbrücke Chinas; die Trägerkonstruktion bildete das Segment eines Kreises, nicht, wie bis dato üblich, das eines Halbkreises. Zudem waren die Bogenzwickel (die Füllungen zwischen Fahrbahn und Bogen) durch kleinere Bogenöffnungen ausgehöhlt, um das Gewicht zu mindern und Hochwasser durchzulassen. Die Anchi-Brücke bekam dadurch auch eine zusätzliche optische Leichtigkeit. Sie überstand während ihrer langen Lebensdauer zahlreiche Hochwasser - Situationen und Erdbeben. In Europa konnte man Segmentbogenbrücken erst im 14. Jh. bauen. Das älteste Beispiel ist Ponte Vecchio in Florenz, die im Jahre 1345 eröffnet wurde 25.

Auch Hängebrücken gab es offensichtlich schon 1500-1800 Jahre lang in Südostasien, vielleicht lange Zeit, bevor die südamerikanischen Indianer sie zu bauen begannen. Ihre Wiege liegt möglicherweise im Himalaya in Nepal. Hängeseilbrücken hatten im Gegensatz zu den heutigen Straßenverkehrsbrücken kein festes, ungefähr horizontales Tragwerk, das über Seile an dicken Kabeln aufgehängt ist, welche ihrerseits über die Spitzen von Pylonen laufen und an den Endpunkten im Felsen verankert sind. Die Laufstege von Hängeseilbrücken hängen meist parallel zu den Tragseilen durch, und diese führen ohne Pylonen direkt zu den Ankerpunkten an den Endpunkten der Brücke. Hängeseilbrücken sind in "Leichtbauweise" ausgeführt, und werden - auch auf Grund der Steigungen - nur für Fußgänger verwendet. Die alten Hängeseilbrücken der Inkas waren aus biologischen Fasern geflochten und mußten regelmäßig erneuert werden, was es schwer macht, sie zeitlich einzuordnen. Bei den ältesten von ihnen geht man von einer Entstehung um etwa 250 n.Chr. aus. Die Stege waren aus Holz, und die Seile vermutlich aus Tierhaaren (Yak-Haare) oder pflanzlichen Fasern (Bambusfasern, Hanfstricke) geflochten. Die An-Lan -Brücke im Südwesten Chinas in der Provinz Sichuan, deren neueste modellgetreue nachgebaute Version noch heute an gleicher Stelle steht, wurde damals entsprechend den lokal vorhandenen Materialen ausgerüstet, angeblich bereits vor der Zeitwende. Auf Grund des flachen, aber sehr breiten Flussbettes war die Brücke auf einer Breite von 340 m zwischen Bambus - Stehern in kurzen Abständen aufgespannt und mit einem Boden aus hölzernen Planken versehen. Diese Materialien sind heute durch Stahlstäbe und einen Betonboden ersetzt 26.

Vermutlich tausend Jahre später entwickelten südamerikanische Inkastämme in nachbarschaftlicher Gemeinschaftsarbeit Hängeseilbrücken als Talübergänge in ihrer zerklüfteten Heimat, deren Überquerung durch tief eingeschnittene Täler und steile Abhänge erschwert war. Hier herrschten andere klimatische Bedingungen und andere natürliche Materialien standen zur Verfügung. Oft mussten auch tiefe, reißende Flüsse überquert werden. Es standen wahrscheinlich weder starke Bäume in Reichweite, noch beherrschten die Eingeborenen geeignete Techniken oder besaßen Werkzeuge, mit denen man steinerne oder hölzerne Stege oder Brückenbögen hätte errichten können. Sogenannte "primitive" Völker entwickelten mit nach heutigen Maßstäben instabilen und kurzlebigen Materialien Fertigkeiten, um in teilweise atemberaubender Weise steile Hänge und Flußtäler zu überbrücken, indem sie armdicke Hängeseile aus miteinander verflochtenen Pflanzenstielen herstellten, an denen die Laufstege aufgehängt wurden. Das waren geniale Konstruktionen aus Grasfasern, offenbar ein Material, das ihnen in Mengen in ihrer Umgebung zur Verfügung stand und geeignet war, für viele Monate das Körpergewicht mehrerer Menschen zu halten und den Zerstörungskräften von Sonne und Regen zu widerstehen. Angeblich existierten einmal gleichzeitig mehr als 1oo solcher Hängebrücken als Talübergänge. Ein Beispiel hierfür stellt die Qu’eswachaka-Brücke über den Rio Apurimac in Peru dar (Abb.5) 27,28. Sie ist, je nach Quelle, 28 - 38 m lang und 1,20 m breit und existierte angeblich in der heutigen Form und an dieser Stelle schon seit 500 Jahren. Sie wird seit Generationen in der 2. Juniwoche erneuert. Der Neubau wird von rituellen Handlungen der indianiischen Bevölkerung beider Seiten begleitet. Sie ist das letzte der früher so zahlreichen Flechtkunstwerke dieser Art! Auch diese Hängeseilbrücke wurde durch die Jahrhunderte hindurch aufgrund ihres nicht allzu langlebigen Baumaterials alljährlich durch eine identische Neukonstruktion ersetzt. Dabei beteiligen sich jedesmal - auch noch heute - jeweils fünf umliegende Gemeinden, deren 700 Einwohner die Hauptnutzer des hängenden Kunstwerks sind. In einer rituellen Zeremonie werfen die Bauleute zunächst die alte Konstruktion in den Fluss. Aus lokalen Grashalmen flechten die Frauen aus Ichu-Gras (Jarava ichu) lange Seile, die anschließend in traditioneller Teamarbeit von Männern aus verschiedenen Dörfern der Umgebung zu dicken parallelen Tauen verflochten werden. Aus diesen bindet man später die Gehflächen und seitlichen Geländer zusammen (Abb.6). Die Fertigstellung der Brücke wird gekrönt von einer feierlichen Weihe durch die örtlichen Maya-Priester. Das Wissen, die Fertigkeiten und die mit dem periodischen Neubau verbundenen Rituale der Qu'eswachaka-Brücke wurden 2013 verdientermaßen in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

Die Qu’eswachaka-Brücke ist ein besonders kunstvolles Beispiel für die Gemeinschaft bildende Wirkung eines öffentlichen Bauwerks, gegründet auf dem gemeinsamen Interesse und Nutzen. Ihr Bau und ihre Erhaltung erscheinen essentiell für den Zusammenhalt zweier Gemeinden in diesem bergigen und zerklüfteten Gebiet Perus, die andernfalls geographisch getrennt leben müßten und nur unter großem Aufwand zusammenkommen könnten. Solche Kooperativen laden geradezu ein, literarisch verwertet zu werden. Wie wir sehen werden, haben die Grasbrücken der Anden in der Tat Eingang in die Weltliteratur gefunden 29.

Weitere Beispiele von Hängebrücken aus geflochtenem krautigen Pflanzenfasern sind aus Indien bekannt. Sie existieren meist heute nicht mehr oder sind durch Hartholz oder Metallkonstruktionen ersetzt worden. Selbst bei Verwendung von Holz als Baumaterial entwickelten die ansessigen Handwerker mancherorts erstaunliche Techniken (Abb.7). In Nordostindien existierte eine höchst überraschende Lösung für eine Flußüberquerung aus Holz, von der noch heute Zeugnisse zu bewundern sind. Die War-Khasis, ein Volksstamm in der Provinz Mehalaya, ziehen noch heute buchstäblich „gewachsene Hängebrücken“ aus lebenden Bäumen heran. Manche Bäume aus der Gattung Ficus (Maulbeergewächse, Feigen) bilden Luftwurzeln aus, was offenbar umgekippte Stämme oder Äste dazu befähigt, dort, wo sie Bodenkontakt bekommen, neu anzuwurzeln. Diese Eigenschaft haben die Eingeborenen in diesen indischen Urwaldgebieten erkannt und dazu genutzt, lebende Brücken sozusagen zu "pflanzen". Diese Bauten, oder besser "Anbauten", pflanzte man buchstäblich dadurch, daß man mehrere Luftwurzeln eines uferständigen Baums über einen Wasserlauf hinwegführte und dann auf dem gegenüberliegenden Ufer am Erdboden befestigte. Diese Triebe wurzelten nicht nur selbständig, sobald sie Bodenkontakt hatten, sondern verzweigten und verflochten sich miteinander über dem Fluss. Eine Weiterentwicklung erfuhr diese Technik dadurch, daß man die Wurzeln gebündelt durch den ausgehöhlten Stamm eines Betelnussbaums (Areaca catechu) führte . Nach wenigen Jahren bildete der Baum, von den Benutzern sorgsam getrimmt, mit seinen Ausläufern und Ablegern einen zusammenhängenden, sicheren Überweg, der über die Zeit noch an Dicke, Tragfähigkeit und Robustheit gewann, zumal die Eingeborenen ihn oft noch durch aufgelegte und in die Wurzel eingewachsene Steine und Steinplatten verstärkten. Da diese Feigenart mehrere hundert Jahre alt wird, haben sich Beispiele dieser durch Menschenhand gezogenen Wurzelbrücken z.T. über sehr lange Zeit erhalten. Sie spannen sich über bis zu 30 m breite Flüsse, konnten bzw. können zugleich 50 Erwachsene oder mehr tragen. Anders als geschnittenenes Holz faulen diese lebenden Brücken trotz des feuchten tropischen Klimas nicht, stehen sehr stabil über dem Wasser und haben angeblich eine Lebensdauer von 500 Jahren, ähnlich der ihrer nicht zur Brückenbildung geeigneten Pflanzenverwandtschaft 30-32 (Abb.8).

Baustoffe bestimmten den Fortschritt: Brücken aus Holz, Naturstein und Ziegel in Europa

Leider wissen wir aufgrund der Vergänglichkeit pflanzlicher Materialien nicht viel darüber, wie genau vor vielen hunderten von Jahren hölzerne Brücken in Europa ausgesehen haben mögen. Die archäologische Forschung bietet uns heute lebenden Nachkommen der damaligen Zimmerleute fast die einzige Quelle für diesbezügliche Informationen, da schriftliche oder graphische Überlieferungen in der Literatur kaum zu finden sind. Was man orten und in ihrer Anordnung rekonstruieren konnte, waren Brand- oder Verrottungsspuren oder Reste von Holzpfeilern im Boden. Mit den heutigen ausgereiften Detektionsmethoden können Wissenschaftler glücklicherweise die Position und Signifikanz von Holzfundamenten rekonstruieren, vor allem seit der Zeit, als die Holzpfähle durch Metallschuhe verstärkt wurden, um sie besser in den Boden treiben zu können und um ihre Stabilität und Lebensdauer zu erhöhen. Allerdings reichen diese Funde und die daraus gewonnenen Informationen nur selten aus, um sicher zu folgern, wie die auf den Pfählen stehenden Konstruktionen ausgesehen haben mögen.

Im Falle der Holzpfahljoch - Brücken, einem sehr früh entwickelten Brückenbautyp, konnte man die damalige Bauweise nachvollziehen. Diese Bauten bestanden meist aus drei Lagen aufgeschichteter Balken und Bretter. Die unterste Lage bildeten die Jochbalken, auf den senkrechten Holzpfählen lagernd und längs zum Fluß ausgerichtet. Darüber und quer dazu wurden Tragbalken befestigt, die wiederum im rechten Winkel dazu Querbalken trugen, auf die dann ein Gehsteig aus Erde oder Lehm aufgebracht war. Eine 700 m lange Brücke dieses Bautyps hat im 4. Jh nach Christus in Köln gestanden und mit einer Länge von 400 m und über 10 m Breite den Rhein überspannt. Das haben archäologische Ausgrabungen und Rekonstruktionszeichnungen ergeben. Diese Kölnef Römerbrücke stand im oberen Teil auf 19 Steinpfeilern 34. Holzpfahljoch - Brücken gab es auch in anderen Städtegründungen am Rhein wie z.B. in Köln und Mainz bereits kurz nach der Zeitwende. Laut der vorhandenen Dokumente wurden sie als Nachfolgerinnen von Schiffsbrücken gebaut und später selbst durch auf Steinpfeilern stehende Holzbrücken ersetzt, was den - militärisch bedingten - Bedarf an soliden und verläßlichen Flußübergängen unterstreicht 34.

Heute werden Holzbrücken - außer in Form kleinerer Zimmermannswerkstücke auf Waldwegen und in Parks - meist im Verband mit Stahl oder Betonbestandteilen aufgestellt, wobei die Holzanteile meist für Bodenbeläge und Geländer von Fußgängerbrücken, die Stahl- und Betonanteile dagegen für die Stützen der Tragwerke von Straßenverkehrs - Brücken eingesetzt werden *). *

Im Gegensatz zu Holzbrücken sind Zeugnisse römische Steinbrücken frühgeschichtliche bis in unsere Zeit in Anzahl erhalten geblieben. Sie bestehen meist aus mehreren Lagen vorbehauener oder aufgeschichteter Steine und wurden bei alpinen Bachübergängen und engen Talüberquerungen verwendet. Auch Steinbogenbrücken sind schon aus der Zeit vor Christi Geburt in Italien und bald danach auch in Westeuropa verbreitet gebaut worden. Was die Rohstoff - Verfügbarkeit für den Brückenbau zu jener Zeit angeht, ähnelten sich die Resoursen in den Alpen und in Nordwesteuropa insofern, als dort überall durch großflächige Rodungen schon früh baumarme Flächen mit felsigem Untergrund entstanden. Aus den nun offen zu Tage liegenden Granitfelsen brach man äußerst robuste Steinplatten und -quader, die man an Flußübergängen oder anderen geeigneten Stellen verlegen konnte. Manche der z.T. riesig dimensionierten Platten erlaubten, auf ihnen wie über "richtige" kleine Brücken einen Bachlauf zu überqueren, indem man sie als Monolithe auf steinerne Stützen legte.

Die ältesten erhaltenen steinernen Bogenbrücken stehen in Griechenland; früheste Zeugnisse gehen auf das 2. Jahrtausend vor Christus zurück. Sie werden den Mykenern aus der Zeit um 1300 v. Chr. zugeschrieben. In griechische Steinbogenbrücken wurden noch keine Steinbögen aus trapezförmig verjüngten Steinen verwendet. Die Bogenöffnung entstand dadurch, daß Steine pro Schicht vorkragten und dadurch immer näher zueinander kamen, bis sich die oberste Schicht berührte oder ein Stein die Lücke schloß. Diese sogenannten Kragsteinbrücken.**