William
Penn

Früchte
der
Einsamkeit

Reflexionen und Maximen
über die Kunst
der Lebensführung

Herausgegeben und eingeleitet
von Jürgen Overhoff

Aus dem Englischen übersetzt
von Joachim Kalka

COTTA

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

COTTA

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© 2018 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Rothfos & Gabler, Hamburg

unter Verwendung einer Abbildung von © Still Life, 1866 (oil on canvas), Fantin-Latour, Ignace Henri Jean (1836–​1904)/National Gallery of Art, Washington DC, USA/Bridgeman Images

Porträt Penns auf Seite 2 © akg-images/bilwissedition

Schriftprobe Penns auf Seite 5 © Heritage-Images/The Print Collector/akg-images (Ausschnitt aus dem Porträt William Penns von John Sartain)

Datenkonvertierung: C.H.Beck.Media.Solutions, Nördlingen

Printausgabe: ISBN 978-3-7681-9903-2

E-Book: ISBN 978-3-7681-9916-2

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Inhalt

William Penn, der weltkluge Visionär

»Der erlauchte William Penn« und seine Meditationen über das Leben

Kindheit und Heimsuchung eines jungen Gentleman

Recht und Gerechtigkeit. Jahre der Ausbildung in Oxford, Frankreich und London

Penn, der Quäker. Verfolgter, Prediger und Schriftsteller

Asyl in der Neuen Welt

Penns Reisen in Deutschland

Pennsylvania, das »Heilige Experiment«

Zurück in England: Politische Visionen für eine europäische Föderation

Früchte der Einsamkeit

Penns Erbe für die Welt

Einige Früchte meiner Einsamkeit,

in Gestalt von Reflexionen und Maximen über die menschliche Lebensführung

Die Vorrede

Reflexionen und Maximen

Weitere Früchte meiner Einsamkeit,

darstellend den Zweiten Teil der Reflexionen und Maximen über die menschliche Lebensführung

Einführung an den Leser

Reflexionen und Maximen etc.

Editorische Notiz

Literaturverzeichnis

William Penn,
der weltkluge Visionär

»Der erlauchte William Penn« und
seine Meditationen über das Leben

Es gab einmal eine Zeit, in der sich die größten Geister an ihm und seinem Wirken ausrichteten, an William Penn (1644–1718), dem streitbaren Pazifisten und eleganten englischen Gentleman, dem Großgrundbesitzer, der in Amerika die Kolonie Pennsylvania mit der Hauptstadt Philadelphia (zu Deutsch: ›Bruderliebe‹) gründete, um dort seinen Glaubensbrüdern, den unterdrückten Quäkern, und allen anderen wegen ihrer Religion verfolgten Menschen ein Asyl des Friedens zu gewähren. Die erste wichtige Würdigung seines Lebenswerkes erschien schon bald nach seinem Tod, als sich Voltaire, der geniale französische Dichter und Aufklärer, in seinen 1734 veröffentlichten Lettres philosophiques tief und ehrlich vor ihm verneigte. Im vierten Kapitel dieser philosophischen Abhandlung, das dem bemerkenswerten Engländer ganz gewidmet war, nannte der Franzose ihn voller Respekt »l’illustre Guillaume Penn«. Übersetzen lässt sich diese huldreiche Wendung mit den Worten: »Der erlauchte William Penn«.

Illuster, von einem milden Glanz durchleuchtet, erschien Penn dem Franzosen deshalb, weil er über eine ganz seltene Noblesse des Charakters und der Lebensführung verfügte, weshalb er sogar auf diejenigen anziehend wirkte, die seine religiösen Ansichten nicht teilten. Schon als junger Mann hatte er sich den Quäkern angeschlossen, einer Sekte aus dem Spektrum des radikal-egalitären Protestantismus, deren Angehörige sich selbst auch schlicht als »Freunde« bezeichneten. Weil sie den Kriegsdienst verweigerten und keine Eide schwören mochten, wurden ihre wichtigsten Anführer drangsaliert und inhaftiert, so auch Penn. Voltaire machte keinen Hehl daraus, wie sehr er die Bereitschaft dieses Mannes bewunderte, »für seine Sache zu leiden«. Sogar der englische König Charles II. Stuart bezeugte Penn Sympathien. Unmittelbar nach dem Ableben von Penns Vater, bei dem der leichtlebige Monarch hoch verschuldet war, beschenkte Seine Majestät den rechtmäßigen Erben des Verstorbenen zum Ausgleich mit Ländereien aus dem Besitz der Krone in Amerika, wo der überraschte Empfänger dieser Wohltat alsbald seine eigene Kolonie errichtete.

Voltaire zeigte sich von Pennsylvania und seiner »so sehr blühenden« Metropole Philadelphia hingerissen, denn dort werde, anders als in den alten Königreichen Europas, »niemand wegen seiner Religion malträtiert«. Jeder pennsylvanische Siedler genieße ohne Ausnahme eine uneingeschränkte »Freiheit des Gewissens«. Zudem hätten althergebrachte Standesunterschiede für die Bewohner des neuen amerikanischen Gemeinwesens keine Bedeutung mehr; alle akzeptierten sich gegenseitig als »gleiche Bürger«, die außerdem gelernt hätten, sich »als Brüder zu betrachten«. Möglich geworden sei dieser Lebensstil allein durch das Wirken Penns, der seiner Kolonie »sehr weise Gesetze gegeben« habe. Voltaires Eloge gipfelte dann in einem kaum zu überbietenden Lobpreis: »William Penn kann sich rühmen, das vielbesungene Goldene Zeitalter auf die Erde geholt zu haben, das wahrscheinlich niemals existiert hat, außer in Pennsylvania.« Penns Staat war für Voltaire eine Musterprovinz der angewandten Aufklärung.

Goethe, der deutsche Dichterfürst, stieß ins selbe Horn. Schon als junger Mann zeigte er sich von Pennsylvania sehr angetan, als er unter dem Einfluss der Frankfurter Pietisten um Susanne von Klettenberg stand, die regen Kontakt zu Penns Land der religiösen Freiheiten unterhielten. Kurz vor seinem Umzug nach Weimar wäre er dann sogar um ein Haar mit seiner großen Liebe Lili Schönemann nach Amerika ausgewandert, so jedenfalls bekannte er es später in seinen Memoiren. Noch im hohen Alter fragte er sich, welchen Verlauf sein Leben dann wohl genommen hätte. Die Faszination für Amerika ließ ihn zeitlebens nicht los. Davon zeugt nicht nur sein 1827 veröffentlichtes Gedicht Den Vereinigten Staaten, das mit dem Vers »Amerika, du hast es besser« einsetzt. Zwei Jahre später vollendete er seinen Roman Wilhelm Meisters Wanderjahre, in dessen siebenten Kapitel er seine große Verehrung für den Gründer der amerikanischen Provinz Pennsylvania zum Ausdruck brachte. Vom »erhabenen William Penn« ist da die Rede. Hervor hob Goethe vor allem das »hohe Wohlwollen, die reinen Absichten, die unverrückte Tätigkeit eines so vorzüglichen Mannes«. Dabei erinnerte er auch an »den Konflikt«, in den Penn »mit der Welt geriet«, redete von »den Gefahren und Bedrängnissen, unter denen der Edle zu erliegen schien«, die er letztlich aber in bewunderungswürdiger Weise meisterte.

Goethe wusste auch, dass zu Penns zahlreichen Bedrückungen eine lange, insgesamt drei Jahre währende Zeit der zwangsverordneten Zurückgezogenheit zählte. Denn zwischen 1690 und 1692 konnte der vorübergehend wieder aus Philadelphia nach England zurückgekehrte Penn sein Londoner Domizil an der Themse kaum einmal unbehelligt verlassen. Der seit 1689 amtierende neue englische König William III., ein Oranier, hielt ihn für einen gefährlichen Parteigänger des gerade erst abgesetzten katholischen Monarchen James II. und ordnete deshalb seine permanente Überwachung an. In dieser schwierigen Lebensphase, in der sein Bewegungsradius so sehr eingeschränkt war, dass er faktisch unter Hausarrest stand, nutzte Penn die unfreiwilligen Stunden der Muße dazu, die Ergebnisse all seiner Erfahrungen und Betrachtungen, seines Denkens und bisherigen Tuns in knappen, aphoristischen Wendungen festzuhalten. Als der König dann seinen Zugriff lockerte, weil er einsah, dass er Penn zu Unrecht verdächtigt hatte, veröffentlichte dieser seine gesammelten Aufzeichnungen im Jahr 1693 unter dem bescheidenen Titel Some Fruits of Solitude und wies sie im Untertitel als persönliche Zusammenstellung von diversen »Reflexionen und Maximen« aus. Goethes eigene Kollektion von Sprüchen, Aperçus und Pointen, die er bis ins hohe Alter ständig erweiterte und die erst postum, im Jahr 1833, von Johann Peter Eckermann und Friedrich Wilhelm Riemer in der Cotta’schen Buchhandlung unter der Überschrift Einzelheiten, Maximen und Reflexionen herausgegeben wurde, erinnert in vielerlei Hinsicht an Penns Vorbild. Viele Sentenzen Goethes, wie zum Beispiel die Ziffern 78 und 709, preisen denn auch die von Penn begründete amerikanische Toleranz in Religionsangelegenheiten.

Penns von Voltaire so bewunderte Toleranzpolitik und seine von Goethe nicht minder geschätzte Herzensbildung und Menschenkenntnis, die aus einem tiefempfundenen Gerechtigkeitsstreben und einer großen Leidensfähigkeit erwuchsen, blieben vom Zeitalter der Aufklärung bis ins 20. Jahrhundert für Europäer und Amerikaner gleichermaßen bedeutungsvoll und verehrungswürdig. Seine Reflexionen und Maximen fanden immer wieder begeisterte Leser, sie galten lange als kostbarer Schatz einer unvergänglichen Weisheitsliteratur. Auch in deutscher Übersetzung erschienen sie. Johann Friedrich Schiller, ein Cousin des Dichters, veröffentlichte Penns Gedanken im Jahr 1785 in der Diktion der damaligen Zeit in Goethes späterem Hausverlag Cotta in Tübingen unter dem Titel Früchte der Einsamkeit, in Gedanken und Maximen über den menschlichen Lebenswandel. Die bislang letzte, leider etwas zu bieder geratene deutsche Übertragung, die 1913 am Vorabend des Ersten Weltkriegs im Heidelberger Universitätsverlag Winter erschien, besorgte Siegfried Graf von Dönhoff. Gelesen wurde dieses Büchlein hierzulande noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg, als das American Friends Service Committee, eine caritative Quäkerorganisation, die 1947 den Friedensnobelpreis erhielt, dem ehemaligen Kriegsgegner humanitäre Hilfe durch Kinderspeisungen leistete und damit auch in beeindruckender Weise für die eigenen Überzeugungen warb. Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer zunehmend erfolgreichen Einbindung in internationale Friedensorganisationen wie die UN oder die EU rückte das Interesse am Friedensapostel Penn dann mehr und mehr in den Hintergrund, als habe er seine Mission zur Genüge erfüllt.

Im Jahr 2007 hätte man allerdings durchaus wieder auf Penn und seine eindringlichen Meditationen über das Leben aufmerksam werden können, denn da erschien auch in Deutschland in einer Rekordauflage der letzte Band der von unzähligen Enthusiasten gefeierten Harry-Potter-Saga, dem die Autorin Joanne K. Rowling als resümierendes Motto einige Sätze aus Penns Some Fruits of Solitude voranstellte. Die von Rowling ausgewählten Maximen handeln von eben jenen Themen, die in ihren Büchern das immer wiederkehrende Leitmotiv darstellen: Beständige Freundschaft und Trost auch im Angesicht von Sterblichkeit und Tod. Offenbar befand die englische Schriftstellerin, dass kaum jemals ein bedeutender Protagonist der internationalen Literaturgeschichte im Verlauf der Jahrhunderte über diese Gegenstände so einfühlsam, wahrhaftig und lebenserfahren geurteilt hat wie Penn. Doch wie viele ihrer Millionen Leserinnen und Leser, so ist man geneigt zu fragen, haben sich in der Folge eigentlich auf eine intensivere Betrachtung der Gedanken Penns eingelassen?

Seine ausgereiften Fruits of Solitude, also der literarische Ertrag eines stillen Nachdenkens in Zeiten der Einsamkeit, sind jedenfalls noch immer heilsam, wohltuend und erhellend – auch und erst recht in unserer oftmals so schwatzhaften, lärmenden Gegenwart. Penn ist kein Spötter, aber es fehlt ihm nicht an Witz. Er verfügt über subtilen Humor, ist milde und hat ein fast kindliches Gottvertrauen, wirkt dabei allerdings niemals naiv, sondern stets unbestechlich. Mit der hier vorgelegten, neuen Übertragung von Penns Meditationen in ein frisches, zeitgemäßes Deutsch sollen ihm und seinen so sehr bedenkenswerten »Früchten meiner Einsamkeit« möglichst viele Leser zugeführt werden. Ermutigend ist, dass diese Ausgabe der Reflexionen und Maximen in eben jenem Jahr veröffentlicht wird, in dem Penns 300. Todestag den Anlass zu einem weltweiten Erinnern bietet.

Penns Sentenzen sind in ihrer Gesamtheit ein echtes Lebenswerk. Sie bilden ein Ganzes, in dem alle Teile aufeinander abgestimmt scheinen, sich wechselseitig deuten und ergänzen. Damit ist gesagt, dass es sich dabei nicht nur um die Zusammenstellung der Erlebnisse einer bestimmten Lebensstufe oder das Resümee einer besonderen Erfahrung handelt, sondern dass sie Resultate seines persönlichen Nachdenkens über das Dasein und damit auch über sein eigenes Leben von der frühesten Kindheit bis ins vorgerückte Alter darstellen. So gewiss seine Reflexionen und Maximen das Allgemeinmenschliche zu fassen und zu benennen suchen, so sehr spiegeln sich in ihnen die einmaligen Erkenntnisse und Einsichten einer höchst individuellen Biographie, eines abenteuerlichen Lebens. Es ist dies ein Leben, das so wundersam wie ungewöhnlich war, und das doch allen seinen Betrachtern bis heute als ein rührendes, anspornendes und allgemeingültiges Lehrstück der menschlichen Existenz dienen kann – auch um Penns Weisheitslehre noch besser zu verstehen und zu würdigen.

Kindheit und Heimsuchung eines jungen Gentleman

William Penn kam am 14. Oktober 1644 als Sohn des gleichnamigen Captain William Penn in der englischen Hauptstadt London zur Welt. Sein Vater war ein ehrgeiziger Offizier der englischen Marine, der schon bald nach der Geburt seines Stammhalters zum Vize-Admiral befördert wurde und später wegen seiner herausragenden Verdienste zur See sogar als Knight seinem Namen das Adelsprädikat Sir voranstellen durfte. Als ranghohes Mitglied der Navy bezog er ein sehr gutes und regelmäßiges Einkommen, das es ihm erlaubte, mit seiner Ehefrau Margaret van der Schuren, die einer holländischen Familie entstammte, ein Leben in Wohlstand zu führen. Die Penns bewohnten ein geräumiges Haus in der Nähe des Tower Hill. Es verfügte über eine prächtig gewölbte Hall, ein Empfangszimmer, eine separate Küche, einen mehrfach unterteilten Keller und sogar zwei weitere Stockwerke mit verschiedenen Schlafzimmern. Dort wurde nur ein Jahr nach der Eheschließung seiner Eltern der junge William geboren, dem noch zwei weitere Geschwister, Richard und Margaret, im Abstand weniger Jahre folgten.

In der uralten Kirche All Hallows-by-the-Tower, deren Fundamente bereits in der angelsächsischen Zeit des 7. Jahrhunderts gelegt worden waren, ließen Margaret und William Penn ihren Erstgeborenen nach dem Ritus der anglikanischen Staatskirche taufen. Als Spross eines traditionsverbundenen und pflichtbewussten Elternhauses, dem es an Weltläufigkeit und Prosperität nicht mangelte, sollte sich William gemäß dem Wunsch seines Vaters zu dem Idealtypus eines englischen Gentleman entwickeln. Auf seine erstklassige Erziehung und Bildung wurde großer Wert gelegt. Im Alter von neun Jahren bezog er die zehn Meilen nordöstlich von London in der Grafschaft Essex gelegene Lateinschule von Chigwell, die über einen exzellenten Ruf verfügte. Hier wurde der Junge, der einen rigorosen Stundenplan zu bewältigen hatte, nicht nur in den klassischen Sprachen Griechisch und Latein unterrichtet, sondern auch beständig auf das Befolgen von guten Manieren und Regeln des Benimms aufmerksam gemacht. Er eignete sich eine schwungvolle, schöne Handschrift an und wurde von seinen Lehrern überdies zum Studium der Bibel sowie zum Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes ermuntert.

Als Penn die Schule von Chigwell besuchte, war England ein von Umsturz und militärischen Konflikten erschüttertes Land, das gerade erst einen Bürgerkrieg zwischen Royalisten und radikalprotestantischen Puritanern – die den Staat und die anglikanische Kirche von einem absolutistischen Regierungsverständnis und den letzten Resten des römisch-katholischen Ritus reinigen (purify) wollten – bis zur Erschöpfung ausgefochten hatte. Siegreich hervorgegangen waren aus diesem Kampf die für mehr parlamentarische Mitspracherechte eintretenden puritanischen Streitkräfte um ihren charismatischen Anführer Oliver Cromwell. Dieser hatte 1649 den englischen Monarchen Charles I. hinrichten lassen, um anschließend durch Parlamentsbeschluss eine Republik auszurufen, das sogenannte Commonwealth of England. Dauerhaft befrieden konnte Cromwell die neue englische Republik jedoch nicht. Ironischerweise schaffte er unter dem Eindruck anhaltender Krisen das Parlament ganz ab, nahm den präsidialen Titel eines Lordprotektors an und schrieb sich die alleinige Gesetzgebungskompetenz zu. Außerdem verwickelte er das Land in neue Kriege mit auswärtigen Mächten. Um einen lästigen Handelskonkurrenten auf den Weltmeeren auszuschalten, provozierte er den ersten englisch-niederländischen Seekrieg, den Englands Flotte für sich entschied. Auch Irland, das Rückzugsgebiet der Royalisten, wurde von Cromwells Armeen bis 1653 mit grausamer Härte zurückerobert. Nach heutigen Schätzungen kamen dabei 200 000 Menschen zu Tode.

Einer der Nutznießer dieser verheerenden Kriege war der Marineoffizier William Penn. Wiewohl er ursprünglich ein Parteigänger des englischen Monarchen gewesen war, hatte er sich nach dessen Hinrichtung aus opportunistischen und patriotischen Motiven dem neuen Lordprotektor angedient und war dafür fürstlich belohnt worden. Mitte der 1650er Jahre übertrug Cromwell dem Seehelden das im Südwesten Irlands zwischen Cork und Killarney gelegene Schloss Macroom mit allen zugehörigen Gütern im Umfang von mehr als 300 Morgen Ackerland. Bevor der neue Eigentümer sich jedoch auf seine stattlichen Besitzungen begab, übernahm er noch weitere militärische Aufträge in Übersee. Er segelte mit seinem Verband in die Karibik, wo er den Spaniern wichtige Kolonien streitig zu machen suchte. Während er die begehrte Insel Hispaniola vergeblich belagerte, hatte er andernorts größeres Schlachtenglück: Mit einem Dutzend gut ausgerüsteter Fregatten gelang es Admiral Penn, die reiche Zuckerinsel Jamaika zu erobern. Sie wurde dem englischen Commonwealth dauerhaft einverleibt.

Sein Sohn William nahm diese dramatischen Ereignisse aus der Ferne wahr. Krieg, Blutvergießen und Kanonendonner kannte er nur vom Hörensagen, aus Erzählungen und Briefen, die ihn in der Abgeschiedenheit seines vom Schlachtenlärm verschonten Lernortes Chigwell am Rande des großflächigen Waldes von Epping erreichten. Doch verspürte er stattdessen in dieser pastoralen Welt der äußeren Ruhe ein intensives inneres Beben, ein seelisches Erzittern, das von ganz anderer, sachterer Art war, und doch einen unauslöschlichen Eindruck hinterließ. Während seiner fortlaufenden Lektüre der Bibel wurde er, wie er sich im Alter erinnerte, regelmäßig »von Freude überwältigt und zu Tränen gerührt«. Einmal widerfuhr ihm ein geradezu mystisches Erlebnis. Er war elf Jahre alt, sein Vater kehrte gerade von der Kriegsfahrt nach Jamaika heim, als ihn in Chigwell eine »unbeschreibliche Freude« überkam und er »einen Schimmer draußen im Raume« wahrnahm, der zu einer niemals zuvor gefühlten Erleuchtung und Klarheit führte – und zu einem daraus resultierenden tiefen inneren Frieden. Seit diesem Augenblick lebte in ihm ein Wissen um eine Wirklichkeit, die er zwar als Jüngling noch nicht in Worte fassen konnte, die er aber niemals mehr vergaß.

Unmittelbar nach seines Vaters Rückkehr aus der Karibik verließ William mit seiner Familie England und zog auf die neuerworbenen irischen Güter, wo er erneut von einer besonderen religiösen Erfahrung ergriffen wurde. Die Jahre der politischen und militärischen Wirren hatten im Commonwealth bei vielen, die sich zu Beginn des Bürgerkriegs im Staat für Gleichheit und Partizipation auch der einfachsten Bürger eingesetzt hatten, eine tiefe Frustration und politische Resignation bewirkt. Je weniger das staatliche Leben zu versprechen hatte, um so attraktiver wurden für die nach Gerechtigkeit dürstenden Menschen neue Religionsgemeinschaften, die den Frommen und Rechtschaffenen eine geistige und emotionale Heimat boten. Eine derartige kirchliche Sekte, die sich während der Herrschaft Cromwells in England herausgebildet hatte, war die Gemeinschaft der »Kinder des inneren Lichtes«, deren Angehörige sich ab 1652 »Gesellschaft der Freunde« nannten. Sie lehnten jeglichen Waffengebrauch ab und verkündeten die radikale Gleichheit aller Menschen, weshalb ihnen die althergebrachten weltlichen und kirchlichen Hierarchien nichts mehr galten. Von ihren Gegnern wurden sie Quäker genannt (von to quake = erbeben), gemünzt auf das Zittern, von dem manche Freunde während ihrer Andachten und Gebete ergriffen wurden. Sie selbst übernahmen die ursprünglich abschätzig gemeinte Benennung als Ehrentitel. Ab 1654 missionierten die Quäker auch in Irland.

Einer ihrer talentiertesten Wanderprediger, Thomas Loe, war 1657 von England aus nach Cork gelangt, wo die Nachrichten von seinem rhetorischen Geschick auch William Penns Vater zu Ohren kamen. Neugierig geworden, lud der weitgereiste Seefahrer den frommen Pilger in sein neues Zuhause ein, um ein eigenes Urteil über die verbalen Fähigkeiten dieses Quäkers zu fällen. Als Loe im Schloss von Macroom eintraf, war die Familie Penn mitsamt dem Gesinde bereits vollzählig versammelt. Die inbrünstig vorgetragenen Überzeugungen des Redners und seine Wortkunst verfehlten ihre Wirkung nicht. Der dreizehnjährige William wurde vom ehrlichen Gesicht des schlichten Mannes berührt, von seiner Demut, seiner Friedfertigkeit und der damit einhergehenden Würde und Menschlichkeit. Die lautere Ansprache traf ihn im Innersten. Es war die zweite religiöse Heimsuchung des jungen englischen Gentleman – und als er seinen Vater, den Admiral, anblickte, sah er, wie auch im wettergegerbten Antlitz dieses hartgesottenen Kriegers »die Tränen von seinen Wangen herabflossen«.

Recht und Gerechtigkeit.
Jahre der Ausbildung in Oxford, Frankreich
und London

Die bemerkenswerten Gefühlsregungen des älteren Penn hatten allerdings keine nachhaltige Wirkung, sie waren nur vorübergehender Natur. Der überraschende Tod Oliver Cromwells, der im September des Jahres 1658 an den Folgen einer Malariainfektion verstarb, veränderte die Ausrichtung der englischen Politik grundlegend und stellte auch den Admiral vor neue Herausforderungen. Cromwells Sohn Richard, der zunächst als neuer Lordprotektor von England, Schottland und Irland das Commonwealth regierte, konnte sich nicht dauerhaft durchsetzen, so dass sich die republikmüde gewordenen Bürger des Landes nach der Wiederherstellung des Königtums und der alten Ordnung sehnten. Am 25. April 1660 konstituierte sich ein überwiegend aus Royalisten bestehendes Parlament, das den auf dem europäischen Kontinent lebenden Sohn und rechtmäßigen Nachfolger des hingerichteten Monarchen nach England zurückbeorderte, um ihn dort als König Charles II. zu inthronisieren. Eine imposante Flotte von 31 Schiffen der Navy segelte über den Ärmelkanal, um den neuen Herrscher aus dem Exil heimzuholen. Admiral Penn wurde auserkoren, den Monarchen auf seinem Schiff nach England zu eskortieren. Mit beachtlicher Geschmeidigkeit und gestärktem Nationalstolz überstand der ältere Penn auch den zweiten gravierenden Regimewechsel seines Lebens, wobei er diesmal sogar bis in den innersten Zirkel der Macht vorstieß.

Auch für seinen Sohn hatte der Admiral nun hochfliegende Karrierepläne. Von fordernden Hauslehrern war William schon in Macroom mit aller Sorgfalt auf ein Studium in England vorbereitet worden, das er just in dem Moment in Oxford antrat, als die Restaurationsepoche eingeläutet wurde. Charles II., ein noch junger Mann und fröhlicher Libertin, lebte seinen vom strengen Puritanismus ernüchterten Untertanen nun eine Moral der sinnlichen Lebenslust und Freizügigkeit vor. Zur Charakterisierung dieser Ära des lasziven Frohsinns wurde das später so beliebte Wort vom »Merry Old England« geprägt. Die allermeisten Dozenten und Studenten der Universität Oxford – von jeher eine konservative Institution höherer Bildung mit starken royalistischen Neigungen und Tendenzen – fügten sich in die neuen Verhältnisse. Die Hochburg der königstreu-anglikanischen Gelehrtenwelt in Oxford war das bereits im Reformationszeitalter gegründete Christ Church College, das von König Henry VIII., dem ersten Oberhaupt und eigentlichen Begründer der anglikanischen Staatskirche, gestiftet und mit beträchtlichen Finanzmitteln ausgestattet worden war. An diesem auch architektonisch ehrfurchtgebietenden College, dem eine im Hochmittelalter gegründete Kathedrale angegliedert war und in dessen Mauern König Charles I. vor seinem unglücklichen Ende noch einmal Zuflucht gesucht hatte, immatrikulierte sich William Penn auf Betreiben seines Vaters im Oktober des Wendejahres 1660. Wer zu diesem Zeitpunkt in England nicht nur nach akademischer Bildung, sondern auch nach Macht und politischem Einfluss strebte, befand sich hier am richtigen Ort.

Wie sich jedoch schon bald herausstellte, interessierten den sensiblen jungen Studenten aus Macroom diese verlockenden Perspektiven nicht. Vielmehr schloss er sich in Oxford einer Gruppe von akademischen Außenseitern an, die keine Günstlinge der neuen Machthaber werden wollten, sondern die kritische Suche nach Wahrheit und die Freiheit des Gewissens höher schätzten. Kopf und Ideengeber dieses Zirkels war der puritanische Theologe John Owen, ein Nonkonformist, der das Christ Church College in der Zeit des Commonwealth als Dean geleitet hatte und im Moment der Wiedererrichtung der Monarchie seines Amtes enthoben worden war. Owen hielt in seiner Privatwohnung weiter Vorlesungen ab und bot Bibelstunden an, in denen er seine Hörer dazu aufforderte, sich der neuen Ordnung, der er Scheinheiligkeit und Bigotterie vorwarf, innerlich zu widersetzen. Die Universitätsleitung drohte allen Studenten, die sich nicht von Owen lösen mochten, mit Geldstrafen und ernsten Verwarnungen. William Penn, der sich mit zunehmender Intensität auf einer schweifenden religiösen Suche befand und Owen weiter hören wollte, ließ sich von derartigen Mahnungen nicht beeindrucken. Im März 1662 wurde er von der Universität verwiesen und nach Hause geschickt.

Sein Vater war außer sich. Er strafte den renitenten Studenten, der eine glänzende Laufbahn aufs Spiel zu setzen schien, mit Stockhieben und Faustschlägen, »und das«, wie der bekümmerte Sohn nachmals schrieb, »viele Male«. Nachdem sich sein erster, wilder Zorn gelegt hatte, besann sich der Admiral jedoch eines Besseren. William wurde außer Landes geschickt, nach Frankreich, zunächst in die Hauptstadt Paris, um außerhalb der englischen Politik und aller religiösen Diskussionszusammenhänge das strahlende, verführerische Leben der Seine-Metropole zu genießen. Gefragt war mondäne Ablenkung. Eine Zeitlang bewegte sich der nunmehr Achtzehnjährige nach seiner Ankunft in Paris tatsächlich mit Interesse in den höfischen Kreisen der Stadt, fand auch Gefallen an modischer Kleidung und eleganten Umgangsformen. Mit Leichtigkeit lernte er die französische Sprache. Doch nach Verstreichen der ersten Monate seines Aufenthalts im Zentrum Frankreichs zog er in Richtung Südwesten weiter, in die zwischen Angers und Tours gelegene Stadt Saumur, wo sich eine renommierte und florierende protestantische Akademie befand. Erst 1685 wurde dieser Hort der französisch-reformierten Gelehrsamkeit als Folge des Edikts von Fontainebleau – das einem Generalverbot protestantischer Religion und Kultur in Frankreich gleichkam – dauerhaft geschlossen. Bei seiner im Frühjahr 1663 erfolgten Ankunft in Saumur fand Penn die dortige Hochschule jedoch noch in der Blüte ihres Wirkens vor.