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Butler Parker
– 142 –

Parker und die leichten Damen

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-144-5

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Josuah Parker neigte zu dem Urteil, daß die beiden Damen eine merkwürdige Hast an den Tag legten. Sie kamen aus dem Durfield-Hotel, waren gut gekleidet und strebten einem Rolls-Royce zu, der in der Auffahrt zum Hotel stand. Eine der beiden Damen trug zudem eine Plastiktasche, die so gar nicht zu ihrem modischen Aussehen paßte. Josuah Parker aber trat höflich zur Seite, um dem unverständlichen Spurt der beiden Frauen nicht im Weg zu stehen. Und er zeigte sich wieder mal als vollendeter Kavalier alter Schule, als eine der beiden Damen strauchelte. Sie knickte mit dem linken Fuß um und wäre mit Sicherheit voll zu Boden gestürzt, wenn Parker nicht seine hilfreiche Hand zur Verfügung gestellt hätte.

»Darf ich mir erlauben ...?« fragte er und zog dazu seine schwarze Melone. In einer Mischung aus Wohlgefallen und Besorgnis sah er auf die junge Dame hinunter, die seiner oberflächlichen Schätzung nach etwa fünfundzwanzig Jahre alt war. Ihre ein wenig ältere Begleiterin hatte inzwischen den kleinen Unfall bemerkt und bremste ihren Schwung.

»Hau’ ab ...« sagte die Gestrauchelte in einem Ton, der in Parkers Ohren ordinär klang. Die junge Dame war blitzschnell wieder auf den Beinen und griff nach ihrer Einkaufstasche. Dann lief sie humpend weiter, schloß zu ihrer ungeduldig wartenden Begleiterin auf und erreichte zusammen mit ihr den Rolls-Royce.

Josuah Parker war indigniert. Er zeigte es auch. Seine linke Augenbraue steilte andeutungsweise nach oben, ein sicheres Zeichen dafür, daß er solches Benehmen mißbilligte. Er setzte die Melone auf und korrigierte den Sitz seines altväterlich gebundenen Regenschirms, der über dem angewinkelten linken Unterarm hing.

Die beiden Frauen, wie Parker sie bereits insgeheim nannte, hatten im Fond des Rolls-Royce inzwischen Platz genommen. Der Wagen zog mit durchtourenden Reifen an, erreichte die Straße und zwängte sich rücksichtslos in den Verkehr. Nach wenigen Augenblicken war der Wagen bereits in einer Seitenstraße verschwunden.

Parker verzichtete darauf, den Kopf zu schütteln. Er, das Urbild eines britischen Butlers, hätte sich solch eine gefühlsmäßige Entgleisung niemals gestattet. Gemessen betrat er die Halle des exklusiven Hotels, um Lady Agatha abzuholen, die an diesem Nachmittag hier ihren Tee mit einer Freundin einnahm.

Butler Parker fand, daß in der Halle eine gewisse Hektik herrschte. Angestellte des Hauses bewegten sich wesentlich schneller als üblich durch den hohen, imposanten Raum. Das Ziel ihrer Hast waren die weiter hinten in der Halle eingerichteten Verkaufssalons bekannter Firmen, die vom Parfüm bis hin zum Schmuck ein reichhaltiges und teures Angebot an Luxusgütern ausstellten.

Der Butler ließ sich von der Unruhe anstecken, wie deutlich zu erkennen war. Er schritt etwas schneller aus als gewöhnlich. Er dachte nämlich an eine gewisse Lady Agatha Simpson, deren Butler er war. Er kannte ihre exzentrischen Neigungen und ihre spontane Handlungsweise. Es stand immerhin zu befürchten, daß seine Herrin sich in irgendeiner Form betätigt hatte ...

*

Der Empfangschef im Park-Hotel, ein versierter Mann seines Faches, erkannte auf den ersten Blick, daß er es mit einem Paar zu tun hatte, das sich in der eleganten Welt der High Society wie selbstverständlich auskannte. Der Herr, etwa vierzig, begleitete eine um etwa zehn Jahre jüngere Dame, deren Haar vielleicht ein wenig zu blond war. Sie trug einen teuren Nerzmantel und unauffälligen, aber mit Sicherheit ebenfalls teuren Schmuck.

»Ist Arthur Carridge bereits hier?« erkundigte sich der Herr beim Empfangschef, »falls nicht, dann erwarten wir ihn drüben in der Bar. Mr. und Mrs. Belgate.«

Er nickte dem Empfangschef zu und geleitete seine Dame hinüber in Richtung Hotelbar. Der weite Gang dorthin wurde zu beiden Seiten von Verkaufssalons bekannter Londoner Firmen flankiert. Die Blondine blieb vor der Auslage eines Juweliers stehen und interessierte sich beiläufig, wie zu sehen war, für den ausgestellten Schmuck.

Der Empfangschef wurde abgelenkt. Ein sportlicher Mann von etwa fünfundvierzig Jahren stellte sich als der Reiseinspektor eines Touristik-Unternehmens vor und erkundigte sich nach den Möglichkeiten, Reservierungen hier im Park-Hotel vorzunehmen. Der Empfangschef bedauerte es und gab diesem ein wenig lässigen Mann zu verstehen, daß ein Haus wie das Park-Hotel Gruppenreisende grundsätzlich nicht aufnahm. Der Inspektor wollte die Gründe dafür erfahren, sprach von Vollbelegung, Gewinn und Prozenten, der Empfangschef hingegen von der Exklusivität des Hauses.

Er verbeugte sich respektvoll, als das Ehepaar, das auf Sir Arthur Carridge wartete, den Empfang passierte. Der Herr rief ihm knapp zu, man werde in etwa zehn Minuten wieder zurück sein. Der Empfangschef machte sich eine entsprechende Notiz und widmete sich dann wieder dem Reise-Inspektor, der inzwischen wohl einsah, daß dieses Haus für Gruppenreisende wohl doch zu seriös war. Der sportliche Mann winkte dem Empfangschef zu und verließ ebenfalls die Halle.

»Klasse bleibt eben Klasse«, meinte der erfahrene Hotelfachmann zu seinem jüngeren Stellvertreter und deutete diskret auf das Ehepaar, das inzwischen die Straße erreicht hatte, »eigentlich eine Zumutung, hier bei uns normale Touristen absetzen zu wollen. Nicht zu glauben...«

Er widmete sich seiner Gästeliste und blickte verärgert drein, als einer der Hotelangestellten quasi im Dauerlauf zum Empfang lief.

»Sind Sie verrückt, Ben?« fragte er, als der Mann den Tresen erreicht hatte, »wir sind hier nicht auf einem Sportplatz.«

»Da drüben ... Da drüben...«, sagte der Mann und deutet auf die Verkaufssalons.

»Was ist dort drüben? Ben, nehmen Sie sich gefälligst zusammen!«

»Über... Überfall, Sir«, stammelte der Angestellte, »alles weg. Und Miß Dooren ist gefesselt.«

»Wie war das, Ben?« Der Empfangschef sah den Angestellten, der normalerweise vor den Lifts Dienst tat, ungläubig an.

»Alles weg, Sir. Kommen Sie!« Der Hotelangestellte sprach lauter und eindringlicher. Der Empfangschef warf einen schnellen Blick in die Halle und nahm zur Kenntnis, daß die dort sitzenden Gäste aufmerksam geworden waren. Er rang sich ein entschuldigendes Lächeln ab, verließ seinen Platz hinter dem Empfang und folgte dem Angestellten. Einige Minuten später kniete er bereits neben Miß Dooren und knotete die Fesseln auf, die die Handgelenke der Frau zusammenschnürten. Sie stöhnte, konnte sich jedoch nicht verständlich machen. Ein breites Heftpflaster verschloß ihren Mund.

Sie schien gequält, als der Empfangschef dieses Pflaster mit unnötiger und auch falscher Rücksichtnahme zentimeterweise von ihren Lippen zog.

»Was ist passiert?« fragte er dann.

»Der Schmuck«, antwortete Miß Dooren, nachdem sie tief Luft geholt hatte, »sie haben alles mitgenommen... Alles! Sie haben auch den Safe geöffnet!«

»Wer, Miß Dooren?« fragte der Empfangschef.

»Das Ehepaar«, hechelte Miß Dooren, deren Augen sich mit Tränen füllten, »sie wollten mich niederschießen.«

»Ich werde sofort die Polizei anrufen«, sagte der Empfangschef, »wie hoch, glauben Sie, ist der Schaden, Miß Dooren?«

»Fast eine Million Pfund«, sagte sie mit schwacher Stimme, »sie haben alles mitgenommen, wie gesagt: Alles!«

*

»Ich hatte zufällig in der Gegend zu tun«, behauptete der Chief-Superintendent und lächelte Lady Agatha an, »hoffentlich störe ich nicht, Mylady.«

»Sie sitzen also wieder mal in der Tinte«, stellte Agatha Simpson genußvoll fest. Die stattliche Dame hatte das sechzigste Lebensjahr längst überschritten und fühlte sich als erfolgreiche Amateur-Kriminalistin, die es gewohnt war, daß der Yard-Mann tatsächlich häufig in ihrem altehrwürdigen Haus in Shepherd’s Market erschien, um sie um Hilfe zu bitten. Daß das Ziel solcher Besuche allerdings Josuah Parker war, übersah sie souverän.

»Darf ich mir erlauben, Ihnen eine Kleinigkeit anzubieten?« erkundigte sich Josuah Parker. Er hatte McWarden eingelassen und in den kleinen Salon geführt.

»Ich glaube kaum, daß Mr. McWarden im Dienst etwas trinkt«, schaltete die ältere Dame sich ein und bedachte Parker mit einem grimmigen Blick. Obwohl sie immens reich war, oder vielleicht gerade deshalb, galt sie als ein wenig geizig.

»In meiner Stellung kann ich mir selbst im Dienst einen kleinen Sherry leisten«, meinte Chief-Superintendent McWarden genußvoll, »sorgen Sie sich nicht um mich, Mylady.«

»Sie sitzen also wieder mal in der Tinte«, wiederholte die passionierte Detektivin schadenfroh.

»Das wird sich erst noch zeigen müssen, Mylady. Ich wollte Ihnen nur von einem sensationellen Juwelenraub berichten.«

»Kein Fall für mich«, meinte sie wegwerfend.

»Eigentlich handelt es sich sogar um zwei Raubzüge«, korrigierte sich McWarden, »sowohl im Durfield-Hotel als auch im Park-Hotel sind Verkaufssalons geplündert worden. Der Wert beider Überfälle beträgt rund anderthalb Millionen Pfund.«

»Ein hübsches Sümmchen«, fand die Lady, »davon kann eine arme Frau wie ich nur träumen.«

»Sie untertreiben, erheblich, Mylady«, redete McWarden weiter, um sich dann an den Butler zu wenden, »im Fall Durfield-Hotel wissen Sie ja Bescheid, nicht wahr?«

»Beachten Sie bitte die Irritation meiner bescheidenen Wenigkeit«, erwiderte Josuah Parker, »wenn Sie erlauben, möchte ich nachdrücklich widersprechen.«

»Sie waren doch im Hotel, als die beiden Frauen mit ihrer Beute flüchteten, oder? Sie sind einwandfrei identifiziert worden.«

»Natürlich war Mr. Parker im Durfield-Hotel«, schaltete sich Lady Simpson ein, »er hat mich abgeholt. Das heißt, er wollte mich abholen.«

»Mylady hatten das Hotel bereits verlassen, wie ich an der Rezeption erfuhr«, berichtete der Butler weiter, »daraufhin suchte ich die neue Adresse auf, die Mylady hinterlassen hatte.«

»Dann haben Sie allerdings was versäumt, Mr. Parker«, gab McWarden zurück, »zwei Frauen haben einen Verkaufssalon der Diamant-Safes ausgeraubt und die Verkäuferinnen gefesselt.«

»Zwei Frauen, Sir?« erkundigte sich Parker höflich.

»Zwei Frauen«, wiederholte der Chief-Superintendent, »sie haben Schmuck im Wert von fast einer halben Million Pfund mitgenommen. Und zwar in einer ganz normalen Einkaufstasche aus Plastik.«

»Bemerkenswert«, urteilte der Butler, der an die Szene vor dem Hotel dachte.

»Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis man die beiden gefesselten und geknebelten Verkäuferinnen fand«, sagte McWarden, »während dieser Zeit waren die Täter bereits unterwegs, um dem Park-Hotel einen Besuch abzustatten.«

»Natürlich handelt es sich um eine einzige Bande, McWarden«, konstatierte Lady Agatha, »zwei Überfälle ... Anderthalb Millionen Pfund ... Mr. Parker, wie finde ich das?«

»Mylady dürften bereits mit dem Gedanken spielen, sich in diesen Fall einzuschalten«, lautete Parkers Antwort.

»Ich spiele nicht, ich habe mich bereits entschlossen«, sagte die resolute Dame, »Sie allein, mein lieber McWarden, wären ja völlig hilflos. Hat es Überfälle dieser Art bereits schon gegeben?«

»Seit einem guten Jahr nicht mehr, Mylady. Und damals handelte es sich um wesentlich geringere Beträge.«

»Darf man davon ausgehen, Sir, daß Sie den Computer des Yard bereits befragt haben?« Parker spielte darauf an, daß McWarden dort ein Sonderdezernat leitete.

»Natürlich habe ich bereits den Computer angezapft, Mr. Parker«, erwiderte McWarden, »aber auch nur halbwegs ähnliche Raubzüge sind nicht verzeichnet. Hier scheinen sich einige Damen darauf spezialisieren zu wollen, fast im Vorübergehen riesige Beute zu machen. Es muß sich um ungewöhnlich kaltblütige Frauen handeln, denke ich. Leicht wird es nicht sein, sie aufzuspüren.«

»Überlassen Sie das mir, McWarden«, sagte Agatha Simpson, »wie ich Mr. Parker kenne, habe ich bereits eine brauchbare Theorie.«

»In der Tat, Mylady«, antwortete der Butler und verzog keine Miene.

*

Es hatte geläutet, und Josuah Parker schritt in die große Wohnhalle des Fachwerkhauses, das seiner Herrin hier in Shepherd’s Market als Stadtwohnung diente. Das Fachwerkhaus, das auf den Gewölben einer ehemaligen Abtei stand, begrenzte einen kleinen idyllischen Platz, der von weiteren Fachwerkhäusern gesäumt wurde. Obwohl man wirklich nicht weit von Hyde Park entfernt war, schien man sich hier in einer Oase der Ruhe und des Friedens zu befinden. Von Lärm und Hektik der Millionenstadt London war nichts zu spüren.

Parker überhastete nichts. Zuerst hatte er McWarden einen zweiten Sherry gereicht, bevor er die Haustür öffnen wollte. Er stand inzwischen vor dem verglasten Vorflur und öffnete die Tür zu einem kleinen Wandschrank. Parker drehte einige Bedienungsknöpfe, auf dem Monitor erschien ein Fernsehbild der schweren Haustür. Dort waren zwei ältere Frauen zu sehen, die eindeutig der Heilsarmee angehörten. Sie hielten die typischen Sammelbüchsen in der Hand und waren wohl auch in der Stimmung, zum Dank für eine Spende ein Lied zu singen.

»Die Damen wünschen?« erkundigte sich der Butler über die Wechselsprechanlage. Die beiden weiblichen Soldaten fuhren ein wenig überrascht zusammen, als sie so plötzlich angesprochen wurden. Sie hielten Ausschau nach dem Besitzer der Stimme und entdeckten dann das Lautsprechergitter weit oberhalb der Tür hinter dem spitzgiebeligen, säulengetragenen Dachvorsprung.

»Eine Spende für die Heilsarmee«, sagte die jüngere der beiden und hob fordernd die Spendenbüchse.

»Ihnen wird sofort aufgetan werden«, verhieß Parker den Frauen, die vielleicht dreißig waren. Der Butler betätigte den elektrischen Türöffner, gab den Weg frei in den verglasten Vorraum, baute sich hinter der Zwischentür auf und war für die beiden Heilsarmeesoldaten deutlich zu sehen.

Sie änderten plötzlich ihre Absicht und wollten ihrerseits spenden. Sie hielten plötzlich schallgedämpfte Pistolen in den Händen, richteten die Läufe auf den Butler und feuerten ungeniert drauflos.

Parker zuckte mit keiner Wimper.

Die ihm zugedachten Spenden in Form von einigen Geschossen prallten gegen das schußsichere Panzerglas, hinterließen einige Kratzer und fuhren dann als verunglückte Querschläger zurück und jagten auf die beiden Heilsarmeedamen zu.

Sie hatten mit diesem Effekt nicht gerechnet, duckten sich, schossen aber dennoch weiter und liefen dann plötzlich los, als sie die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens erkannten. Sie rannten auf einen grauen Wagen zu, der plötzlich im Karree erschien. Er mußte vom an der Durchgangsstraße geparkt haben und sollte die beiden schießwütigen Soldaten der Heilsarmee aufnehmen.

Der ganze Spuk dauerte nur wenige Augenblicke. Die beiden Frauen saßen bereits im Wagen, schlugen die Tür hinter sich zu und feuerten dann noch mal auf die Haustür. Das Panzerglas zeigte sich unbeeindruckt wie Josuah Parker«

»Was ist los?« fragte Chief-Superintendent McWarden, der das Ankratzen der schußsicheren Scheiben natürlich gehört hatte. Er erschien neben dem Butler.

»Meine bescheidene Wenigkeit dürfte bei gewissen Damen Unwillen erregt haben«, antwortete der Butler gemessen.

»Das war doch ein Mordanschlag auf Sie, Parker ...«

»So könnte man es natürlich auch nennen, Sir«, räumte der Butler ein.

»Wo steht das Telefon? Ich werde sofort ...«