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Über dieses E-Book

Frankreich im Jahr 1687: Die Kaufmannstochter Adelais ist begeistert von dem Bräutigam, den ihr Vater für sie bestimmt hat. Arthur ist jung, reich und gut aussehend – scheinbar der perfekte Ehemann. Dass Adelais' geliebter Bruder Luc ihn nicht leiden kann, verdrängt sie erfolgreich.

Voller Vorfreude macht sich Adelais gemeinsam mit Arthur und Luc auf die Reise nach Bordeaux, um im Haus ihrer zukünftigen Schwiegereltern die Verlobung zu feiern. Auf dem Schiff dorthin kommt es jedoch zu einem Zwischenfall, der die junge Frau an Arthurs Charakter zweifeln lässt. Und dann ist da auch noch Paul, ihr mutiger Retter, der Adelais nicht mehr aus dem Kopf geht …

Impressum

dp Verlag

Erstausgabe Juni 2018

Copyright © 2021 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH
Made in Stuttgart with ♥
Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-386-0

Covergestaltung: Rose & Chili Design
unter Verwendung von Motiven von
periodimages.com: © Mary Chronis, VJ Dunraven Productions
shutterstock.com: © Elenarts, © Serge Ka
Lektorat: Astrid Rahlfs

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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dp Verlag

1

»Mon père m’a donné un mari,

il me l’a donné si petit,

que je l’ai perdu dans mon lit, …«

»Adelais!«

Die junge Frau kümmerte sich nicht um den wütenden Zwischenruf ihrer Mutter. Wenn Adelais Lavie sang, war sie in einer eigenen Welt. Ihre Stimme klang hell und glockenrein, und sie tanzte durch den Salon, dass ihre langen, hellbraunen Haare flogen.

»… j’pris la chandelle et le cherchis,

mon dieu, quel homm’, qu’il est petit!«

Unsanft fühlte sich Adelais am Arm gepackt. Sie wurde herumgerissen, stolperte über ihre eigenen Füße und fiel aus vollem Halse lachend auf das Sofa.

»Wirklich, Adelais.« Madame Lavie stand vor ihrer Tochter, die Hände in die Hüften gestützt, und blickte ärgerlich auf sie hinab. »Du bist ganz rot im Gesicht! Und dann singst du auch noch Schmählieder auf deinen künftigen Gemahl. Unmöglich!«

»Aber Frau Mutter, ich kenne doch meinen Zukünftigen noch gar nicht. Wie könnte ich ihn schmähen? Ich fand das Lied nur passend, schließlich hat mir Herr Vater den Bräutigam ausgesucht.« Adelais kicherte. »Ich hoffe nur, dass er nicht wirklich so klein ist, dass er in meinem Bett verloren geht.« Sie griff in die Gebäckschale auf dem Tisch und schob sich ein Küchlein in den Mund.

»Wenn du so weiter isst, wird jeder Mann hinter dir verloren gehen. Und nun begib dich auf dein Zimmer, damit dir Marie das Haar aufstecken kann.«

Adelais’ frohe Stimmung war verflogen. Das Gebäck in ihrem Mund schmeckte plötzlich nicht mehr süß, sondern nach verletztem Stolz und schlechtem Gewissen. Mühsam würgte sie es hinunter.

Sobald sie jedoch in ihrem Zimmer vor dem Spiegel saß und ihre Magd Marie begann, ihr die glatten Strähnen zu Löckchen aufzudrehen und hochzustecken, kehrte die erwartungsvolle Fröhlichkeit zurück.

»Denk dir, Marie, heute lerne ich den Mann kennen, an dessen Seite ich mein Leben verbringen werde! Ein Weinhändler ist er, ist das nicht aufregend?«

»Ist es das, Mademoiselle?« Die Magd zwinkerte ihr im Spiegel zu. »Ich selbst finde nichts Besonderes daran. Ich habe als junges Mädchen für einen gearbeitet. Er war ein Händler wie jeder andere.«

»Aber mein zukünftiger Gatte ist gewiss nicht wie jeder andere!« Adelais lachte auf. »Er muss doch etwas Besonderes sein, sonst hätte ihn mein Herr Papa nicht für seine einzige Tochter ausgesucht.«

Maries Blick im Spiegel zeigte Adelais deutlich, dass die Magd Zweifel hegte. Auch sie selbst war sich längst nicht sicher, dass ihr Vater das Wohl seines Kindes über die geschäftlichen Interessen stellte. Die Verbindung mit den Cléments aus Bordeaux würde ihm viel Geld ersparen, da man den Transport ihrer Fässer und seiner Tuchballen kostengünstig gemeinsam durchführen konnte. Dennoch hoffte sie, dass der Mann, den er für sie erwählt hatte, ihm in anderer Hinsicht ebenfalls zusagte. Wie auch immer – sie würde sich ohnehin mit dem Ehemann zufriedengeben müssen, der für sie bestimmt war. Es fiel ihr zwar zuweilen schwer, ihre Zunge im Zaum zu halten und ihre Gefühle zu verbergen. Im Grunde aber verhielt sie sich, wie es sich für eine wohlerzogene junge Dame geziemte. Die Rolle des Rebellen in der Familie hatte ihr Bruder Luc inne. Sie war die brave Tochter, die selten widersprach, die glücklich war, wenn sie singen durfte und etwas Leckeres zum Essen bekam. Solange ein Mann gut zu ihr war, war ihr alles andere gleich.

Obwohl sie nichts dagegen hätte, wenn er hübsch wäre – ganz gewiss nicht!

Als ihre Frisur vollendet war, die Locken aufgetürmt und mit Bändern geschmückt, hielt ihr Marie das Korsett hin. »Seid Ihr bereit?«

Adelais seufzte. »Um ehrlich zu sein – nein. Aber Frau Mutter wird mich ohne das fürchterliche Ding nicht aus dem Haus lassen.«

Ergeben hob sie die Hände, ließ sich aus dem Kleid helfen und das Korsett anlegen. Sie zog den Bauch ein, und Marie tat ihr Bestes, die üppigen Rundungen in Form zu pressen. Als es geschafft war, waren sie beide atemlos und rot im Gesicht.

»Wenn ich erst einmal verheiratet bin und in meinem eigenen Haushalt lebe, werde ich nie wieder so etwas tragen, das schwöre ich!«, rief Adelais und schnappte nach Luft.

»Dann werde ich all Eure Kleider ändern müssen, Mademoiselle.« Marie lächelte und hielt ihr das Festgewand hin. »Aber das mache ich gern für Euch.«

»Danke, Marie.« Adelais schlüpfte vorsichtig mit dem frisierten Kopf unter die dunkelroten Stoffmassen und wartete, bis die Magd alles zurechtgerückt und verschnürt hatte. Dann betrachtete sie sich im Spiegel, nickte zufrieden und sagte: »Ich bin froh, dass du mit in mein neues Zuhause kommst. Bordeaux soll eine aufregende Stadt sein! Ach, es ist anfangs gewiss furchtbar ungewohnt, als Ehefrau zu leben. Aber ich freue mich so! Ich möchte viele Kinder haben, und ich werde sie wie verrückt lieben und schrecklich verwöhnen. Den ganzen Tag werde ich Kleider für sie nähen, ihre Haare kämmen und Lieder mit ihnen singen …«

»Da bin ich sicher«, erklang die strenge Stimme ihrer Mutter und störte Adelais’ wunderbare Zukunftsvorstellungen. »Doch über diese Dinge kannst du ein anderes Mal nachdenken. Heute darfst du nicht zu spät kommen, sonst wird es nichts mit den schönen Träumen. Kein Mann schätzt eine unpünktliche Frau.«

Wenn mein Gatte mich schätzt, wird es ihm gleich sein, ob ich einmal zu spät gekommen bin, dachte Adelais. Sie schwieg jedoch und folgte ihrer Mutter die Treppe hinunter. Dort warteten bereits ihr Vater und ihr Bruder Luc, Ersterer in seiner feinsten Ausgehkleidung, Letzterer hatte immerhin ein helles Hemd und saubere Schuhe übergezogen.

Luc lächelte sie an und bot ihr seinen Arm. »Du siehst wunderschön aus, Schwesterchen. Ich hoffe, der Kerl ist es wert.«

»Lucien! Sei froh, dass sich endlich eine angesehene Familie für deine Schwester interessiert. Alt genug ist sie ja.« Die Mutter zupfte ein letztes Mal an ihrem Kleid. »Und pass auf, dass sie sich nicht so vollstopft.«

2

Das Stadthaus des Weinhändlers lag nur wenige Straßen entfernt, sodass die Kutsche schon nach kurzer Zeit davor anhielt. Es war ein warmer Abend und Adelais, unter den Stoffmassen ihres Kleides, schwitzte bereits, ehe sie die endlosen Treppenstufen ins zweite Geschoss erklommen hatte. Ihr Bruder zog sie mit sich, so gut er konnte, doch als sie oben ankam, schnaufte Adelais ganz und gar nicht damenhaft. Das Korsett ließ ihr einfach nicht genug Luft zum Atmen! Sie hätte sich gewünscht, einige Augenblicke verschnaufen zu dürfen, aber ihr Vater drängte sie in den Salon.

Zum Glück waren erst wenige Gäste angekommen. Verstohlen wischte sie sich mit dem Ärmel über die feuchte Stirn und betrachtete die Männer und Frauen, die in kleinen Grüppchen beieinanderstanden und sich unterhielten. War einer der Herren dort ihr Zukünftiger? Sie wusste nichts über ihn außer seinem Namen: Arthur Clément.

Wie oft hatte sie diese Worte abends vor dem Einschlafen geflüstert, seit sie von den Plänen ihres Vaters erfahren hatte. Ebenso hatte sie ausprobiert, wie sie sich bald nennen durfte: Adelais Clément. Das klang doch wundervoll! Ihr wurde noch heißer vor lauter Aufregung. Rasch zog sie ihren Fächer aus dem Ärmel und wedelte sich Luft zu. Als eine Dienerin mit einem Tablett Häppchen vorbeikam, ergriff sie eines und stopfte es sich in den Mund.

»Adelais!«, ertönte umgehend der mahnende Ausruf ihres Vaters. »Lucien, du solltest doch … ah, Messieurs Clément!« Wie ausgewechselt wandte sich ihr Vater zwei Herren zu, die eben auf ihn zukamen. Sein Tonfall wurde anbiedernd. Adelais verzog das Gesicht, doch da wurde ihr bewusst, was ihr Vater soeben gesagt hatte.

Clément?

Adelais kaute schneller und schluckte das Häppchen gerade noch rechtzeitig herunter, bevor ihr Vater sie an beiden Oberarmen packte und vor sich schob. »Dies ist meine Tochter Adelais.«

Sie meinte, ihr Herz müsse auf der Stelle stehenbleiben. Sie sah sich einem jungen Mann gegenüber, dessen Aussehen jeder Frau die Sprache verschlagen hätte. Auf den Älteren achtete sie nicht. Sie konnte ihren Blick nicht von dem ebenmäßigen Gesicht und der schlanken, hochgewachsenen Gestalt desjenigen abwenden, der ihr Zukünftiger sein musste. Sein offenes Haar fiel ihm über die Schultern und glänzte tiefschwarz, ebenso wie die Augen, die sie durchdringend musterten. Sie fühlte, wie ihr die Hitze ins Gesicht schoss. Da stieß ihr Vater sie unsanft mit dem Ellbogen in die Seite.

»Adelais!«, zischte er. »Willst du die Herren wohl begrüßen!« Er wandte sich an die Cléments. »Es tut mir leid, Messieurs. Meine Tochter ist ein wenig nervös.«

Adelais fühlte sich, als sei ihr Kopf vollkommen leer. Ihr wollte einfach nicht einfallen, was man zur Begrüßung sagte und wie man sich verhielt. So knickste sie mit weichen Knien, schaffte es kaum, sich wieder aufzurichten, und stammelte: »Sehr … erfreut.«

Dann presste sie die Lippen aufeinander und wollte beschämt den Blick senken, doch sie konnte ihre Augen nicht von denen ihres Gegenübers lösen. Diese hatten sich zu Schlitzen verengt und blickten nicht besonders freundlich. Verwirrt stellte Adelais fest, dass auch der schmale, gerade Mund nicht lächelte, sondern sich ein Mundwinkel zu einem höhnischen Ausdruck verzogen hatte. Oh, sie war so eine dumme Gans! Ihr zukünftiger Gemahl musste annehmen, ihr Vater wolle ihm ein einfältiges Ding als Eheweib andrehen, das nicht mehr als zwei zusammenhängende Worte herausbrachte! Sie musste sich beeilen, diesen Eindruck wieder zu zerstören. Also straffte sie die Schultern, zwang sich zu einem Lächeln und sagte: »Ich bin tatsächlich sehr aufgeregt, Messieurs Clément. Und es ist unglaublich heiß heute Abend, findet Ihr nicht? Wenn dieser Sommer nicht der wärmste ist, den ich je erlebt habe, dann weiß …«

Diesmal war es ihr Bruder, der sie in die Seite stieß und so zum Verstummen brachte.

»Du plapperst, Schwesterchen«, raunte er ihr ins Ohr, lachte leise und trat vor. »Messieurs, es freut mich, Euch kennenzulernen. Lucien Lavie, Stellvertreter meines Vaters im Tuchhandel Lavie.« Er deutete eine knappe Verbeugung vor dem älteren Clément an, dann trat er dem anderen Mann gegenüber. »Ihr müsst Arthur sein, der zukünftige Gemahl meiner Schwester.«

Stolz auf ihren jüngeren Bruder wallte in Adelais auf. Er ging so unbekümmert mit den Herren um, stand dort so vollkommen selbstsicher, als sei er ein erfahrener Geschäftsmann und nicht der zwanzigjährige Tunichtgut, den ihr Vater in ihm sah. Er war ebenso hochgewachsen wie der junge Clément und nicht minder gut aussehend mit seinen strahlend blauen Augen und dem hellbraunen Haar, das er zum Zopf gebunden trug. Adelais wusste, dass sie sich vom Gesicht her ähnelten, doch sie fühlte sich viel plumper in einem Körper, der im Gegensatz zu seinem zur Fülle neigte und nur durch das Korsett in seinen schlanken Formen gehalten wurde. Und nun sollte sich ein so schöner Mann wie Arthur Clément für sie begeistern? Das war wohl zu viel verlangt.

Aber hätte er sie nicht weniger abfällig mustern können? Zwar war er auf Luc eingegangen und hatte ihm auch geantwortet und ein knappes Lächeln aufgelegt, doch der Blick aus den schwarzen Augen lag immer noch auf ihr. Und er war keinen Deut freundlicher geworden.

Mon père m’a donné un mari …«

»Adelais!«, riefen Luc und ihr Vater wie aus einem Munde, gleichermaßen empört. Adelais aber lachte nur und sang weiter. Sie war glücklich.