Über das Buch:
So reich wie nur eine Blumenwiese sein kann – reich an Formen, Farben und Düften – so reich an Erfahrungen ist das Leben der Autorin. Auch in diesem Buch bindet sie für ihre Leser einen bunten Blumenstrauß aus diesen Erlebnissen: Da finden

wir helle Farben – hell wie ihre Geschichten aus dem Familienalltag. Aber auch die dunkleren, wie die Berichte von Menschen, die auch im tiefsten Leid die Nähe Gottes erfahren haben. Doch ob es der dunkle Lavendel oder die weißen Freesien sind – die Sträuße von Lotte Bormuth verströmen stets den kraftvollen Wohlgeruch der Liebe und Gnade Gottes.

Über die Autorin:
Lotte Bormuth ist eine der erfolgreichsten Autorinnen Deutschlands. In über 100 Titeln hat sie mit Lebensbildern und eigenen Erlebnisen vielen Menschen Trost, Freude und Glaubensmut vermittelt. 1945 als Flüchtlingskind nach Deutschland gekommen, engagiert sie sich heute für syrische Flüchtlinge in ihrem Umfeld.

Eine erneuernde Begegnung

Soeben komme ich vom Abendgottesdienst nach Hause und bin noch sehr von der Predigt bewegt. Der Direktor unserer Missionsgesellschaft predigte über das Thema „Helfende Begegnungen“. Er begann mit einer netten Erfahrung, die er selbst gemacht hatte.

So erzählte er: „Ich kam müde und abgekämpft von einer vierwöchigen Dienstreise aus Asien zurück. Nur noch an Ausschlafen und Erholen dachte ich. Aber da hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn mein Sohn kam auf mich zu und fragte: ‚Papa, gehst du heute Abend mit mir zum Christustreff?‘ Welcher Vater würde seinem Sohn einen solchen Wunsch abschlagen?

Ich sagte zu und so gingen wir am Donnerstagabend in die Lutherische Pfarrkirche. Sie war wieder voll besetzt mit jungen Menschen. Das hat mein Herz erfreut. Neben mir saß ein junger Bursche von etwa sechzehn Jahren. Er muss mich wohl beobachtet haben, denn plötzlich sah er mich freundlich an und fragte: ‚Geht es dir nicht gut? Brauchst du Hilfe? Du kannst am Schluss nach vorne auf die Bühne gehen. Dort triffst du auf einen Seelsorger. Er wird dir sicher helfen können.‘ Ich war etwas über seine Frage verwundert, ließ mich aber darauf ein und ging nach vorne, um über meine Müdigkeit und innere Leere zu sprechen. Ein noch sehr junger Christ – er war mindestens dreißig Jahre jünger als ich – fragte mich: ‚Hast du Probleme? Geht es dir nicht gut? Was kann ich für dich tun? Soll ich für dich beten?‘ Ich sah ihn an und fragte ihn, ob er denn nicht zuerst meinen Namen wissen wolle. ‚Aber ich kenne dich doch. Du bist doch der Chef der Mission. Wir können über alles sprechen, was dich bewegt.‘ Ich nickte. Da kramte der junge Mann in seiner Hosentasche und zog ein Fläschchen Öl heraus. ‚Ich möchte dich gerne salben und dich danach segnen.‘ Mir war bei der Begegnung mit diesem recht jungen Mann etwas seltsam zumute. Aber ich war damit einverstanden. So erlebte ich für mich eine sehr ungewohnte Seelsorge.

Am meisten aber hat mich beeindruckt, dass ich durch diesen jungen Christen tatsächlich Gottes Nähe und Hilfe erfahren habe; denn meine Müdigkeit und mein Ausgebranntsein waren mit einem Schlag wie weggeblasen. Ich fühlte mich frisch und wieder neu ausgerüstet für meinen Dienst im Reich Gottes. Das war für mich eine etwas erstaunliche und doch so ermutigende Begegnung.“

Es hat mich selbst tief bewegt, als unser Missionsdirektor dieses Erlebnis im Gottesdienst während seiner Predigt an die Gemeinde weitergab. Der Heilige Geist ist eine Kraftquelle für alle, die müde und ausgebrannt sind. Habe ich das nicht auch schon selbst oft erlebt, dass Gott mich durch ein freundliches Wort eines anderen Christen wieder aufgerichtet und mir den Blick für das Wesentliche geöffnet hat?

Mein glücklichster Tag

Als ich fünfzehn war, lud mich unser freundlicher Hauswirt zu einer Jugendfreizeit ein. Sicher hat er geahnt, wie schwer es mir war, dass ich als Flüchtlingskind arm wie eine Kirchenmaus war. Ein Rock und zwei Blusen waren meine einzige Bekleidung. Aber für meine Eltern war es unmöglich, mich besser auszustatten. Opa Becker war ein wunderbarer Hauswirt, den ich kennengelernt habe. Er wollte mir Freude bereiten und sorgte dafür, dass ich eine Woche lang mit anderen jungen Menschen viel Schönes erleben durfte. Diese Christen haben mir geholfen, dass ich mich für die Botschaft der Bibel interessierte und dann bereit wurde, Jesus Christus in mein Leben aufzunehmen.

Aber als ich dann wieder zu Hause in meinem gewohnten Umfeld war, war die Situation dann doch anders als auf der Freizeit. Ich hatte Gott versprochen, täglich zu beten und auch sein Wort zu lesen. Verstanden habe ich nicht immer, was ich im Neuen Testament las. Das Tischgebet zu sprechen, kostete mich Überwindung, denn wir waren es in unserer Familie nicht gewohnt, unsere Hände vor dem Essen zu falten. Was mir geholfen hat, bei Christus zu bleiben, waren die netten jungen Menschen, die mir im Jugendkreis des EC zu Freundinnen wurden.

Vier Monate später, es war Anfang Mai, luden sie mich zu einer christlichen Konferenz ein. Mit dem Fahrrad fuhren wir die zwölf Kilometer nach Bad Hersfeld.

Ganz hinten fanden wir auf den letzten Bänken noch einen Sitzplatz in der Kirche. Es folgte ein bewegender Gottesdienst. Vor allem gefielen mir zwei Lieder, die wir gesungen haben: „Welch Glück ist’s, erlöst zu sein“ und „Welch ein Freund ist unser Jesus.“ Auch die Predigt hat mein Herz erfreut. Nach dem Gottesdienst wurde noch zum Abendmahl eingeladen. Ich aber war schon aufgestanden und wollte zum Ausgang eilen. Da sprach mich meine Freundin Renate an: „Lotte, bleib hier; wir können doch gemeinsam an der Feier mit Brot und Wein teilnehmen.“ – „Renate, ich kann nicht, denn ich habe kein schwarzes Kleid an“, war meine Entschuldigung. Sie aber erwiderte: „Hier in der Stadtkirche ist es nicht so wichtig, wie man sich zum Abendmahl kleidet.“ So setzte ich mich wieder an meinen Platz. Dieses heilige Abendmahl hat in mir die größte Freude meines Lebens geweckt. Ich verließ die Kirche und hätte beim Hinausgehen am liebsten laut gesungen. Ich spürte, dass die Worte des letzten Liedes auch für mich galten: Gottes Kreuz bedeckt meine Schuld und sein Blut macht mich hell und rein. Ich empfand ein tiefes Glück, wie ich es nie zuvor und auch später nicht in diesem Ausmaß empfunden habe.

Diese Feier war einzigartig. Obwohl die anderen Jugendlichen in der Mittagspause im Wald spazieren gingen oder Völkerball spielten, wollte ich ganz allein meine Freude erleben. Mein Gesicht muss vor lauter innerer Bewegung gestrahlt haben, denn ein älterer Herr, den ich nicht kannte, trat auf mich zu und legte mir seinen Arm über die Schulter. Dann sagte er: „Fest und treu wie Daniel war, stehst du auch allein, wag es doch vor aller Welt, Gottes Kind zu sein.“ Er muss wohl meine innere Erregung an meinen leuchtenden Augen erkannt haben. Das war der glücklichste Tag in meinem Leben. Ich wurde später oft noch an den ersten Maisonntag 1950 erinnert und hätte gern diese Flut von Glück wieder neu erlebt, aber es war mir später in dieser Weise nie mehr vergönnt. Heute erlebe ich die innere Zufriedenheit und Freude in anderer Art. Nicht mehr so intensiv.

Ein Jahr später geriet ich in eine Krise. Ich besuchte die Jakob-Grimm-Schule in Rotenburg und war Fahrschülerin. Eines Tages fragte mich mein Klassenlehrer, ob ich nicht bereit wäre, zu seiner Familie zu ziehen. Ich brauchte dann nicht mehr den weiten Weg zu Fuß zu gehen und dann noch mit dem Zug zu fahren. Ich könnte bei ihnen kostenlos wohnen und essen, wenn ich bereit wäre, nachmittags auf die beiden kleinen Kinder aufzupassen, damit seine Frau ein wenig entlastet würde. Abends könnte ich dann noch meine Schularbeiten erledigen.

Meine Eltern erlaubten mir diese Aufgabe und waren sicher auch froh, dass ein Esser weniger am Tisch war, denn wir waren damals wirklich sehr arm. Von einem Tag auf den andern ging es mir in jeder Weise sehr gut. Es standen immer reichlich Lebensmittel auf dem Tisch und oft fand ich noch am Abend eine Tafel Schokolade auf meinem Bett. Geschlafen habe ich im Kinderzimmer bei meinen beiden Lieblingen. Mit den kleinen Mädchen war ich am Nachmittag viel an der frischen Luft und so schliefen sie in der Nacht ganz fest. Mein Lehrer, bei dem ich Deutschunterricht hatte, hat meinen Dienst sehr geschätzt. Die Mutter der beiden Kleinen war durch die schwere Geburt ihrer Kinder sehr geschwächt und freute sich, dass ich mich um ihre Schätzchen kümmerte.

Aber ich bekam auch Probleme. Oft vergaß ich über der Arbeit die tägliche Bibellese und mein Glaubensleben geriet ins Wanken. Heute weiß ich, dass die tägliche Beschäftigung mit der Heiligen Schrift für einen Christen unerlässlich ist. Ich entschuldigte meine Schlamperei damit, dass ich durch die Pflege der Kinder ziemlich stark belastet war.

Etwa ein Jahr blieb ich in dieser Familie, bis es der Mutter wieder besser ging. Dankbar verabschiedete sie sich von mir und schenkte mir noch ein schönes Körbchen.

Wie froh war ich jetzt, dass ich montags meinen Bibelkreis und am Sonntag den Gottesdienst wieder besuchen konnte. Auch im Lesen der Bibel war ich wieder treu.

Mir war damals während meiner Schulzeit der Glaube an Jesus so wichtig, dass ich mich ganz bewusst von weltlichen Vergnügungen fernhielt. Meine Klassenkameraden hielten mir deswegen oft vor: „Lotte, du wirst nie einen Partner finden.“ Aber wie erstaunt waren sie, als ich nur wenige Monate nach meinem Abitur von einem Theologen gefragt wurde, ob ich seine Frau werden wollte. Für mich waren diese Semester an der Universität voller Freude. Mein Verlobter half mir in meinem Studium.

Im Jahr 2017 haben wir schon unsere diamantene Hochzeit feiern dürfen. Zusammen blicken wir auf 60 Jahre Ehe zurück. Wir sind zu einer kinderreichen Familie mit Kindern, Schwiegerkindern, Enkeln und Urenkeln zusammengewachsen. Wie sehr hat es mich gefreut, dass einige aus meiner großen Enkelschar den Verkündigungsdienst bei Kindern ihrer Gemeinde übernommen haben. Die Ernte ist groß, und es gibt nur wenige Arbeiter. Darum wollen wir beten, dass der Herrgott viele Diener zum Bau seines Reiches findet.

Rückblickend staune ich bis heute, wie reich Gott mein Leben gemacht hat und welch wunderbare Konsequenzen sich für mich aus der Einladung unseres Hauswirts zu der Jugendfreizeit ergeben haben.

Freude und Leid im Dienst für Gott

Unser Vierzehnjähriger hatte den Auftrag übernommen, in einem bestimmten Revier Zeitungen auszutragen. Als Weihnachten nahte, fragte er mich, was er denn den Lesern in seinen Straßen schenken könnte. „Weißt du, Mama, meine Leser sollen doch auch wissen, warum Jesus in Bethlehem geboren wurde.“ Ich hatte in dieser Zeit gerade ein neues kleineres Buch geschrieben, das ich ihm zur Verfügung stellte. In jedes Haus kam nun zum Christfest die Botschaft von Gott. Wie sehr freuten sich seine Leser, dass ihr junger Zeitungsausträger ihnen noch ein Geschenk brachte. Im Gegenzug wurde auch er von ihnen mit Schokolade, Äpfeln und Apfelsinen bedacht, worüber er sich natürlich sehr freute.