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Butler Parker
– 147 –

Parker lässt die Killer-Boa zappeln

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74093-439-2

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»Natürlich kannst du offen reden, Louise«, sagte Agatha Simpson unwirsch, »rede nur gefälligst keinen Unsinn. Mr. Parker ist mein zweites Ich, oder so. Du weißt schon, was ich meine.«

Louise Lancing sah zu Josuah Parker hinüber, der unbeweglich und steif, als habe er einen Ladestock verschluckt, hinter dem Plüschsessel Stellung bezogen hatte, in dem Lady Agatha saß.

»Ich geniere mich eigentlich«, zierte sich die Frau wie ein verschämtes Mädchen, obwohl sie weit über sechzig sein mußte. Sie war groß, hager und hatte weißes Haar.

»Meine bescheidene Wenigkeit kann und wird sich selbstverständlich umgehend zurückziehen«, ließ der Butler sich vernehmen.

»Sie werden bleiben, Mr. Parker, oder wir beide gehen gemeinsam«, entschied Lady Agatha. »Du kannst mir doch nicht einreden, Louise, daß du mir einen Seitensprung beichten willst, oder?«

»Natürlich nicht.« Louise Lancing holte tief Luft und nickte zögernd. Sie griff hastig nach dem Portweinglas und nahm einen mehr als damenhaften Schluck. »Nun gut, aber ich möchte nicht, daß man über mich lacht, meine Liebe.«

»Das kann ich nicht versprechen, Louise«, antwortete Lady Agatha ungehalten, »keine Vorbedingungen, wenn ich bitten darf.«

»Ich... Ich hatte in der vergangenen Nacht eine seltsame Erscheinung«, begann Louise Lancing, »und ich weiß sicher, daß ich nicht geträumt habe.«

»Das werde ich entscheiden«, unterbrach Agatha Simpson ihre Freundin.

»Ich komme mir eigentlich albern vor, Agatha.«

»Du bist albern, wenn du nicht endlich zur Sache kommst«, herrschte die Lady ihr Gegenüber an, »du hattest also eine Erscheinung? War sie jung und hübsch?«

Lady Agatha Simpson, um die sechzig Jahre alt, groß, von junonischer Fülle, war eine imponierend aussehende Dame der besten Gesellschaft und für ihre Ungeniertheit geradezu berüchtigt. Sie war nach einem telefonischen Anruf am Morgen zusammen mit Butler Parker ins nahe Mayfair gefahren, da sie wieder mal eine hübsche Abwechslung witterte.

»Sie war weder jung noch hübsch, diese Erscheinung«, antwortete Louise Lancing und griff nach dem Sherryglas, »diese Erscheinung war scheußlich, Agatha. Das Blut gefror mir in den Adern.«

»Handelte es sich, wenn man höflichst fragen darf, um eine quasi menschliche Erscheinung?« schaltete Josuah Parker sich ein. Er war ein Mann undefinierbaren Alters, das Urbild des hochherrschaftlich englischen Butlers. Josuah Parker trug unter seinem schwarzen Covercoat einen schwarzen Zweireiher, dazu Melone und einen altväterlichen gebundenen Regenschirm. Ein schneeweißer Eckkragen und ein schwarzer Binder vervollständigten den Gesamteindruck.

»Keine menschliche Erscheinung?« Lady Simpson, die passionierte Detektivin, verzog das Gesicht. »Ist dir ein Geist erschienen, meine Liebe?«

»Eine Schlange«, kam leise und zögernd die Antwort.

»Wir leben hier in London nicht im Paradies«, stellte Agatha Simpson fest. Sie hatte sich eine kleine Sensation von diesem Besuch versprochen und war nun mehr als enttäuscht.

»Es war eine Schlange«, wiederholte Louise Lancing mit etwas festerer Stimme, »und ich habe sie ganz deutlich gesehen.«

»Was halte ich davon, Mr. Parker?« Die Lady wandte sich ihrem Butler zu.

»Mylady erkundigen sich mit Sicherheit nach der Größe und dem Aussehen des erwähnten Reptils«, lautete Parkers höfliche und gemessene Antwort.

»Natürlich werde ich das tun«, nahm Agatha Simpson diese Anregung sofort auf und drehte sich wieder zu ihrer Freundin, »also, Louise, wie sah dieses Biest aus?«

»Es war schrecklich lang und dick wie ein Oberschenkel.« Louise Lancing flüsterte fast nur noch und warf einige mißtrauische Blicke in den Salon ihres Hauses, in dem der rote Plüsch Orgien feierte.

»Könnten Mylady möglicherweise mit ungefähren Längenangaben dienen?« fragte Parker die Dame des

Hauses.

»Sie war mindestens vier oder fünf Meter lang, diese Schlange«, schätzte Louise Lancing und schaute sich wieder ängstlich um, »noch einmal, Agatha, ich habe sie deutlich gesehen! Sie kam durch das Fenster und kroch dann am Fußende des Betts entlang...« »Was hattest du vor dem Schlafengehen getrunken?« wollte die Detektivin sachlich und ungeniert wissen.

»Nur wenig Milch mit Rum«, gestand Louise Lancing, »wenn du mich nicht ernst nimmst, brauchen wir uns nicht länger zu unterhalten.«

»Könnte es sich nach Lage der Dinge möglicherweise um eine sogenannte Boa constrictor gehandelt haben, Mylady?« fragte Josuah Parker.

»Natürlich, so etwas war es, Mr. Parker«, antwortete Louise Lancing fast dankbar, »diese Schlangen kenne ich vom Zoo und von Filmen her. Doch, es muß eine Boa gewesen sein.«

»Und sie kam einfach durchs Fenster!« Lady Simpson schüttelte ablehnend den Kopf. »Wieso bist du gerade in diesem Moment aufgewacht?«

»Ich hatte draußen auf dem Balkon n Geräusch gehört, Agatha«, erzählte e Dame des Hauses weiter, »ja... und dann sah ich sie. Es war schrecklich! Das Blut gefror mir in den Adern.«

»Das sagtest du schon, meine Liebe, und wo ist das Biest geblieben?«

»Das eben weiß ich nicht«, antwortete Louise Lancing, »ob es noch im Haus t? Deshalb habe ich dich doch angerufen.«

»Das sagst du erst jetzt!?« Agatha Simpson stieß einen baritonal gefärbten Schrei aus und bemühte sich dann ein wenig umständlich... auf den Sesse1. Sie raffte den langen Rock ihres Tweed-Kostüms um die Beine, die sie auf diese Art in Sicherheit brachte, dann wandte sie sich an Josuah Parker und deutete mit der ausgestreckten Hand ins Zimmer.

»Mylady hegen Wünsche?« erkundigte sich der Butler.

»Nun tun Sie doch endlich etwas«, verlangte Agatha Simpson, während Louise Lancing ebenfalls auf einen Sessel stieg und ihre Beine in Sicherheit brachte. »Ich wünsche nicht, von dieser Boa belästigt zu werden.«

*

»Von einer Boa war natürlich weit und breit nichts zu sehen, oder?« erkundigte sich Anwalt Mike Rander eine Stunde später. Er hatte dem Bericht des Butlers amüsiert zugehört.

»Das Reptil dürfte sich während der Nachtstunden bereits wieder entfernt haben, Sir«, meinte Josuah Parker, »ich möchte betonen, daß meine Wenigkeit das Haus der Lady Lancing genau durchsuchte.«

»Und Lady Agatha stand auf einem Sessel?« Mike Randers Gesicht zeigte ein verschmitztes Lachen.

»Nur für etwa zehn Minuten, Sir, danach brachten Mylady und die Dame des Hauses sich in der Küche in Sicherheit.«

»Warum hat die Frau in der Nacht nicht sofort die Polizei angerufen?«

»Lady Lancing nahm davon Abstand, den schützenden Raum, in den die Dame sich geflüchtet hatte, zu verlassen, Sir. Da dort, im Bad, kein Telefon installiert ist, konnte Lady Lancing keine Hilfe herbeirufen. Am Morgen dann fürchtete die Dame des Hauses den Spott der Behörden und wandte sich an Lady Simpson.«

»Was halten Sie von dieser ganzen Story?« wollte der Anwalt wissen. Mike Rander erinnerte, was Aussehen und Statur betraf, an einen Schauspieler, der sich auf die Darstellung des James Bond spezialisiert hatte. Seine britische Lässigkeit, die man leicht mit einem gewissen Phlegma verwechseln konnte, kontrastierte zu dem stets beherrschten Josuah Parker.

Mike Rander, für den Parker vor Jahren bereits als Butler gearbeitet hatte, war nach längerem Aufenthalt in den USA nach London zurückgekehrt und von Lady Simpson, seiner mütterlichen Freundin, sofort wieder vereinnahmt worden. Mike Randers Anwaltskanzlei befand sich in der Curzon Street. Als Verwalter des immensen Vermögens der Lady Simpson besaß der Vierzigjährige die besten Eigenschaften.

»Sie zögern mit einer Antwort?« wunderte sich Mike Rander, als Parker nicht sofort antwortete.

»Lady Lancing machte auf meine bescheidene Wenigkeit nicht den Eindruck einer Dame, die unter Halluzinationen leidet«, gab Butler Parker gemessen zurück.

»Eine Boa, die nachts in ein Schlafzimmer kriecht, Parker! Ich möchte Sie doch bitten!« Mike Rander schmunzelte.

»Darf ich an gewisse Fälle erinnern, Sir, in denen gerade Schlangen eine wichtige Rolle spielten?« fragte Parker. »Gewisse Kriminelle arbeiten recht gern mit Reptilien, da sie sicher sein können und dürfen, daß damit Paniken und Nervenzusammenbrüche ausgelöst werden.«

»Die Urangst des Menschen vor der Schlange, wie?« Rander zuckte die Achseln.

»Möglicherweise ist diese Angst auch nur anerzogen, Sir.«

»Wie auch immer, Parker. Warum sollte man Lady Simpsons Freundin eine Boa ins Haus geschickt haben? Und falls ja, wie ist das Biest wieder rausgekommen?«

»Lady Lancing wurden bisher noch nicht mit Geldforderungen bedacht, wenn ich darauf hin weisen darf, Sir.«

»Was nicht ist, kann schließlich noch werden. Lady Lancing ist eine reiche Frau.«

»Man sollte vielleicht einen ersten Kontakt mit Chief-Superintendent McWarden aufnehmen«, schlug der Butler vor, »es könnte durchaus sein, daß die Polizei bereits ähnliche Beobachtungen gemacht hat.«

»Sollte man tun, Parker. Nehmen Sie das in die Hand, Sie haben einen guten Draht zu McWarden und...«

Mike Rander sprach seinen Satz nicht zu Ende und sah zur Tür der Bibliothek, die gerade geöffnet wurde. Kathy Porter trat ein, Lady Simpsons Gesellschafterin und Sekretärin. Sie war etwa achtundzwanzig, schlank, etwas über mittelgroß und hatte ein exotisch geschnittenes Gesicht. Ihr Haar war kastanienbraun mit einem gewissen Rotstich. Kathy Porter war eine rassige Erscheinung, schien dies aber keineswegs zu wissen. Auf den ersten Blick vermutete man ein recht scheues Reh, doch dieses Reh konnte sich in Sekunden in eine wilde Pantherkatze verwandeln.

»Ich muß stören«, sagte Kathy Porter und hielt einen braunen Umschlag hoch, »das hier ist mit der Morgenpost gekommen. Ich finde, daß es sich nicht mehr um einen bösen Scherz handelt.«

»Um was geht es denn?« Mike Rander ging der jungen Dame entgegen und nahm den Umschlag in die Hand. Er zog einen Bogen Papier hervor, dann ein Foto, das mit einer Polaroidkamera aufgenommen worden war.

Auf dem Bild war der mächtige dreieckige Kopf einer Boa zu sehen, die gerade eine weiße Laborratte verschlang. Es war kein schöner Anblick!

*

Kenneth Coldy bewohnte in Harrow einen kleinen Landsitz, der von einer hohen Hecke umgeben wurde. Der etwa fünfzigjährige, mittelgroße, bekannte Makler hatte Büros in der City von London. Coldy war Junggeselle aus Neigung, verließ am frühen Morgen sein Haus und ging zur Doppelgarage, die in einem ehemaligen Kutscherhaus eingerichtet war. Der Mann, der Golf spielte und die Jagd liebte, machte einen vorsichtigen, fast nervös-ängstlichen Eindruck. Seine Haushälterin, die ihn beobachtete, nahm mit Staunen zur Kenntnis, daß Coldy auf den üblichen Weg verzichtete, der an einem hohen Strauch vorbeiführte. Kenneth Coldy beschrieb einen weiten Bogen und blieb einen Moment vor der geschlossenen Garage stehen. Er schaute sich nach allen Seiten um, bevor er sich bückte und die Verriegelung aufsperrte.

Nachdem er das Schwingtor hochgedrückt hatte, betrat er fast zögernd den dunklen Raum und eilte zum Lichtschalter. Er wollte so schnell wie möglich in seinen Wagen steigen und die Tür hinter sich zuschlagen. Es gab da einige Dinge, die ihn mißtrauisch gemacht hatten, Dinge, über die er weder mit seiner Haushälterin noch mit seinen Angestellten sprechen konnte.

Als das Licht brannte, atmete der dann erleichtert auf. Die Garage schien unverdächtig, alles in bester Ordnung uu sein. Er ging schnell zu seiner Rover-Limousine, setzte sich ans Steuer und sorgte erst mal dafür, daß die Tür versiegelt wurde. Dann griff er nach dem Lederetui, in dem sich der Zündschlüssel befand und... hörte plötzlich hinter sich ein Geräusch, das ihn lähmte. Coldy blieb unbeweglich sitzen, spürte aber, daß von seiner Stirn augenblicklich Schweißtropfen perlten.

Sekunden später passierte es dann...

Über seinen Kopf hinweg schlang sich ein armdicker, schlauchartiger Gegenstand zielsicher um seinen Hals. Kenneth Coldy schrie auf, griff automaisch nach diesem Gegenstand und hörte dann ein fast giftiges Zischen. Rasend schnell wurde der eben noch etwas schlaffe Schlauch hart und würgte ihn. Coldy brüllte und krallte seine Finder in diesen immer härter werdenden Ring, der ihm den Atem nahm. Der Mann keuchte, warf sich zur Seite, riß und zerrte an diesem Gegenstand und hörte das fortwährende Zischen hinter sich. Wenig später schwanden ihm die Sinne. Er wurde ohnmächtig, seine Hände lösten sich von dem Gebilde, das ihn gewürgt hatte. Kenneth Coldy rutschte über das Schaltgestänge seines Wagens und blieb regungslos liegen.

Wie lange er gelegen hatte, konnte ihm später erst die Haushälterin sagen. Es waren fast zehn Minuten gewesen. Coldy hörte im Erwachen aus seiner Bewußtlosigkeit ein forderndes, hartes Pochen gegen die Scheibe, öffnete zögernd die Augen und holte dann hechelnd Luft. Er griff nach seinem Hals, erinnerte sich plötzlich, was passiert war, richtete sich auf und brauchte wertvolle Zeit, bis er endlich den Türverschluß öffnen konnte. Coldy fiel förmlich aus dem Wagen, kollerte auf den Zementboden der Garage und schmetterte dann die Tür zurück ins Schloß.

»Sir, was ist passiert?« fragte die Haushälterin, eine ältere, derbe Frau, die sich um ihn bemühte.

»Weg, nichts wie raus«, stieß der Makler mit heiserer Stimme hervor, »schnell, Mrs. Neiler!«

Er kümmerte sich nicht weiter um sie, raffte sich auf und stolperte zum Ausgang. Als er das Freie erreichte, knickten seine Beine ein, er fiel auf die Knie, drückte sich mit den Handflächen vom Kies ab und lief weiter. Erst vor der Haustür blieb er stehen und sah sich nach seinem dienstbaren Geist um.

»Was ist denn, Sir?« fragte Rose Neiler, die ihm folgte.

»Nichts, Mrs. Neiler, nichts«, behauptete Kenneth Coldy, »schnell ins Haus! Schließen Sie ab, legen Sie die Kette vor!«

»Sind Sie angegriffen worden?« Rose Neiler war nicht ängstlich.

»Abschließen, abschließen, beeilen Sie sich doch! Alle Fenster zu!«

Kenneth Coldy schleppte sich in die Wohnhalle und ließ sich in einen Sessel fallen. Er nickte dankbar, als die Frau ihm gerade einen Drink reichte. Der Makler wollte gerade trinken, als das Telefon läutete.

»Nein, nein, ich werde abheben«, sagte Coldy und stemmte sich aus dem Sessel. Er zögerte einen Moment, bevor er den Hörer aus der Gabel nahm, um seinen Namen zu nennen. Er hörte zu, wich dem Blick seiner Haushälterin aus und erklärte nach einigen Augenblicken, er sei überzeugt worden und ginge auf die Bedingungen ein. Dann ließ er den Hörer aus der Hand fallen, schleppte sich zurück zum Sessel und erlitt einen Weinkrampf.

Rose Neiler sah ihn überrascht-verständnislos an und wußte nicht, was sie tun sollte. Sie gewann aber den Eindruck, daß Kenneth Coldy etwas Schreckliches erfahren hatte.

*

»Ich werde Ihnen ein Geheimnis anvertrauen«, schickte Chief-Superintendent McWarden voraus, »ich rede mich damit zwar wieder mal um Kopf und Kragen, aber ich setze auf Ihre Verschwiegenheit. «

»Geschenkt«, meinte Anwalt Mike Rander, »Sie wissen genau, daß wir Sie nicht anschwärzen werden, McWarden. Sie haben von dieser Schlangengeschichte also schon gehört?«

Butler Parker, Mike Rander und McWarden hatten sich in den Räumen der Anwaltskanzlei getroffen, die sich in einem alten Backsteinbau in der Curzon Street befand. Über den Büros lagen auch die Privaträume Mike Randers, die er allerdings nur selten benutzte. Im Lauf der Zeit war er Dauergast im altehrwürdigen Fachwerkhaus der Agatha Simpson in Shepherd’s Market geworden.