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KLAUS GIETINGER, geboren 1955, Sozialwissenschaftler, Drehbuchautor und Regisseur. Er schrieb und inszenierte diverse Tatort-Filme. Bei Edition Nautilus erschienen seine Biografie über Waldemar Pabst Der Konterrevolutionär (2009) sowie November 1918. Der verpasste Frühling des 20. Jahrhunderts (2018). Der von ihm und Margot Overath unter Mitarbeit von Uwe Soukup gedrehte Dokumentarfilm Wie starb Benno Ohnesorg – Der 2. Juni 1967 wurde für den Grimme-Preis 2018 nominiert. Klaus Gietinger lebt in Saarbrücken.

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Umschlaggestaltung: Maja Bechert · www.majabechert.de

Autorenporträt © Matthias Becker (Allgäuer Zeitung)

Eine erste Fassung des vorliegenden Textes wurde im März 1995 im Verlag

1900 Berlin veröffentlicht unter dem Titel Eine Leiche im Landwehrkanal.

Die Ermordung der Rosa L.

2009 erschien eine überarbeitete Ausgabe bei Edition Nautilus unter dem jetzigen Titel.

Die vorliegende 2. Auflage wurde erneut durchgesehen und überarbeitet im September 2018.

ePub ISBN 978-3-96054-097-7

KLAUS GIETINGER

EINE LEICHE
IM LANDWEHRKANAL

DIE ERMORDUNG ROSA LUXEMBURGS

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Inhalt

Vorwort zur Neuauflage

Einleitung

Der Schock der Revolte

Der »kleine Napoleon«

Die Verhaftung

Hotel ohne Wiederkehr: Das Eden

Der Tag danach

Strengste Untersuchung

Jorns wird zum Jagen getragen

Der Prozess

Die Flucht Vogels und seine »Verfolgung«

Der Schwarze Peter

Der siebte Mann

Hoher Besuch

Der Bekenner

Der Auftrag

50 Jahre danach

74 Jahre danach

Die Tat und die Verantwortlichen

ANHANG:

Die Beteiligten und Unterstützer des Mordkomplotts

Dokumente

Anmerkungen

Bildnachweis

Personenregister

Vorwort zur Neuauflage

25 Jahre sind vergangen, seit meine Recherchen zum Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht erstmals in Buchform erschienen sind. Inzwischen hat die historische Forschung die Ergebnisse meiner »investigativen Geschichtsforschung« (Helga Grebing) großteils übernommen. Neuere Bücher von Joachim Käppner (Die Revolution von 1918), Andreas Platthaus (18/19 – Der Krieg nach dem Krieg) und Marc Jones (Am Anfang war Gewalt) schließen sich meiner Interpretation der Quellen an. Standardwerke, wie das von Volker Ullrich (Die Revolution von 1918/19) haben auch keinen Zweifel an dem Ergebnis meiner Untersuchung. Wikipedia beruft sich darauf, genauso wie Quelleneditionen. Das Buch hat einiges bewegt.

Mancher hat sich über den Titel ereifert. Er bezieht sich auf ein Lied, das vermutlich schon vor Luxemburgs Schicksal Popularität erlangte. Der Landwehrkanal war ein bevorzugtes Gewässer für Selbstmörder beziehungsweise diente zur illegalen Leichenentsorgung. Der Taucher Alfred Kock, der im Februar 1919 nach der Leiche Rosa Luxemburgs suchte, fand drei andere auf nur 400 Meter Strecke. Die richtige tauchte erst Monate später auf.

2009 verkündete der Rechtsmediziner der Charité, Dr. Michael Tsokos, er beherberge die echte Leiche im Keller. Angeheizt von einem mit Farbfotos garnierten Artikel des Spiegel-Redakteurs Frank Thadeusz und mit Beihilfe des Verlegers Jörn Schütrumpf entwickelte sich eine unsägliche Fake-News-Kampagne, der fast alle Medien Glauben schenkten. Weder Elisabeth von Thadden von der Zeit noch Redakteure der FAZ oder der Süddeutschen Zeitung ließen sich mit Sachargumenten bremsen.

Das schaurige Bild der Frauentorsos im Verlies der Charité und die von Gabriele Denecke und Gabriele Conrad demutslos veröffentlichten Fotos der realen Wasserleiche Luxemburgs in einem RBB-Dokumentarfilm« waren der Höhepunkt einer pornografischen Leichenshow. Tsokos’ Behauptungen fielen in sich zusammen, als die Luxemburg-Biografin Annelies Laschitza, Tsokos’ Vorgänger Dr. Volkmar Schneider, der Rechtsmediziner Dr. Gerhard Bundschuh und ich selbst in einer Pressekonferenz seine Behauptungen widerlegten und ein weiterer Dokumentenband zu Rosa Luxemburg vorgelegt wurde.* Die falsche Luxemburg-Leiche fand nun ohne Medienaufsehen ihre letzte Ruhe.

Die echte Tote wurde Ende Mai 1919 an der Freiarchen-Schleuse angeschwemmt, unweit des heutigen Schleusenkrugs, wo gern im Freien Hausmannskost und Berliner Bier konsumiert werden.

Aber von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ließen sich schon nach dem Zweiten Weltkrieg keine sterblichen Überreste mehr finden, da die Gräber in der NS-Zeit eingeebnet worden waren. Nachforschungen 1950 auf Anweisung Wilhelm Piecks – inzwischen Präsident der DDR – förderten nur noch kleine Zinksargreste zutage.** Die Grabplatten an der Erinnerungsstätte in Friedrichsfelde sind somit symbolisch.

Beide waren mythische Figuren der deutschen Arbeiterbewegung, Revolutionäre und Kriegsgegner, deswegen mussten sie sterben. Der Mord an ihnen war der erste Spatenstich zur Beerdigung Weimars. Ihr Tod vertiefte die Spaltung der Arbeiterbewegung, machte aus Kommunisten Stalinisten und aus führenden Sozialdemokraten Pyrrhussieger. Die sie ermordeten, wurden nicht bestraft, der den Doppel-Mord befahl, der »Kreuzbube der Konterrevolution« (so Marc Jones) machte Karriere, und die verantwortlichen Sozialdemokraten, die dabei »Schmiere standen« (Hermann L. Gremliza), mussten 14 Jahre später (Ausnahme Gustav Noske) ins KZ oder ins Exil.

100 Jahre danach wäre es an der Zeit für einen Neuanfang. Und so rufe ich der SPD-Führung zu: Zeigt Mut, holt die Leichen aus eurem Keller und bekennt euch zur Verantwortung.

Klaus Gietinger

Saarbrücken im Juli 2018

* Laschitza/Gietinger [Hrsg.]: Rosa Luxemburgs Tod, Leipzig 2010

** Jürgen Hofmann, Das Grab der Rosa Luxemburg, S. 85–89, Dok. 51–59, S. 185–196, in: Laschitza/Gietinger [Hrsg.]: Rosa Luxemburgs Tod.

Einleitung

Die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ist eine der großen Tragödien des 20. Jahrhunderts.1 Kaum ein politischer Mord hat so sehr die Gemüter bewegt und das politische Klima in Deutschland verändert wie jener in der Nacht vom 15. auf den 16. Januar 1919 vor dem Hotel mit dem paradiesischen Namen Eden. Der Mord war Auftakt für weitere politische Morde und nicht nur das. »Da begann jener schauerliche Zug von Toten, fortgesetzt im März 1919 schon und ging weiter die ganzen Jahre und Jahre, Gemordete und Gemordete«, wie Paul Levi es in seinem berühmten Plädoyer drei Jahre vor dem deutschen Faschismus ausdrückte.

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Rosa Luxemburg (1871–1919)

Der Fall Luxemburg/Liebknecht war sozusagen der Sündenfall, »in dem Mörder mordeten und wussten, die Gerichte versagen«2. Über Jahre hinweg folgten Verdrehungen, Verdunklungen, Vorschubleistungen, falsche Verdächtigungen und Selbstbezichtigungen der Tat. Insbesondere der Prozess vor dem Kriegsgericht der Garde-Kavallerie-Schützen-Division (künftig: GKSD, jener Division, der die Mörder angehörten), eine »Justizposse, die als einer der großen Justizskandale unseres Jahrhunderts bezeichnet werden muss«3, machte aus der Tragödie eine Groteske, an der so mancher Sozialdemokrat kräftig mitwirkte.

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Karl Liebknecht (1871–1919)

Als in den Zwanzigern das Eingeständnis eines Beteiligten und Ende der Zwanziger, Anfang der Dreißiger mehrere Prozesse erstes Licht ins Dunkel brachten, war auch dies von juristischen Eiertänzen und politischen Rückzugsgefechten begleitet. Und so musste Ossip K. Flechtheim 1948 resigniert konstatieren: »Wie sich im einzelnen die politische, moralische oder juristische Verantwortung auf die verschiedenen Richtungen verteilte, wird wohl eindeutig nie mehr festgestellt werden können.«4

Doch da meldete sich, 1959 erst im kleinen Kreis und 1962 öffentlich, einer der Verantwortlichen zu Wort, plauderte aus dem Nähkästchen und erntete wütende Proteste wegen der Dreistheit seines Geständnisses, aber auch zustimmendes Nicken z. B. vonseiten der damaligen Bundesregierung. Als dann 1966 Joseph Wulf5 die verloren geglaubten Akten des Kriegsgerichts der GKSD und weitere Akten der Staatsanwaltschaft aus den Jahren 1921 bis 1925 entdeckte und sie Dieter Ertel zugänglich machte, wurde der bislang letzte Akt dieser Tragikomödie eingeläutet.

Ertel studierte nicht nur die Akten, sondern interviewte auch jenen ominösen Verantwortlichen6 und verwertete alles in einem Dokumentarspiel, das genau 50 Jahre nach dem Mord gesendet wurde. Prompt bekam er Schwierigkeiten und sah sich in zwei denkwürdigen Prozessen vor Stuttgarter Gerichten (1969/70) demjenigen gegenüber, den er als Todesschützen Rosa Luxemburgs bezeichnet hatte. Ertel verlor, musste widerrufen – die Groteske hatte ihren letzten traurigen Höhepunkt erreicht. Ein Höhepunkt, der nur möglich war, weil die SPD-Regierung von 1919 kein Interesse an der Aufklärung dieses Verbrechens hatte. Aus gutem Grund. So konnte die Militärjustiz Fakten vertuschen und konnten sich in einer gigantischen juristischen Monokausalkette von über 50-jähriger Länge die jeweils nachfolgenden Juristen auf das scheinbar logische und gesetzliche Handeln ihrer Vorgänger berufen.

Wobei der Camouflage-Prozess vor dem Kriegsgericht der GKSD immer den Ausgangspunkt bildete. Denn was von einem deutschen Gericht einmal mit Siegel und Stempel versehen worden ist, kann in der Logik der Nachfolgejuristen nicht unwahr sein.

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Dieter Ertel war damals Leiter der Abteilung Dokumentarfilm des Süddeutschen Rundfunks (SDR). Später wurde er Fernsehdirektor des Südwestfunks (SWF).

Und so ist noch heute die Verwirrung unter den Historikern groß, weiß Huber zu berichten: »Auch spätere Bemühungen haben das Dunkel des Tathergangs nicht hinreichend erhellt«.7

Spricht Trotnow von dem Schützen Runge8, Wette von Oberleutnant Vogel9, der wiederum von Hagen Schulze zum Liebknechtmörder umgetauft wird10, macht die Illustrierte Geschichte der deutschen Novemberrevolution noch 197811 einen Vizefeldwebel Krull zum Mittäter, den Drabkin als Leutnant auf das Trittbrett des Mörderwagens stellt12. Während Hill zu berichten weiß, dass Pflugk-Harttung nie vor ein Kriegsgericht gestellt worden ist13 und die Zentralratsedition von Kolb und Rürup14 einen mysteriösen Matrosen als »angeblichen« Täter ins Spiel bringt, hält es Sibylle Quack 1983 für »problematisch«, hier eine eindeutige Aussage zu treffen15.

Neben Uneinigkeit über den Täter sind seit Jahrzehnten Gerüchte im Umlauf, die mit Regelmäßigkeit immer wieder auftauchen. So wird zum einen behauptet, Scheidemann habe ein Kopfgeld auf die beiden Sozialisten ausgesetzt16, zum anderen, Pieck habe als Judas jener Nacht »Karl und Rosa« verraten.17

Auch Mutmaßungen über Hintermänner schossen ins Kraut18 – wie sich zeigen wird, nicht immer ganz unberechtigt.

Dass auch heutige Politiker gegen diese allgemeine Verwirrung nicht gewappnet sind, zeigte sich, als der Autor auf einer Veranstaltung seine Forschungsergebnisse vorbrachte und dies postwendend von einem bekannten Mitglied der SPD und Alt-68er als »Räuberpistole« bezeichnet wurde. Der Verwirrung zum Trotz soll im Folgenden versucht werden, die politische, moralische und juristische Verantwortung für diesen Doppelmord im Einzelnen zu klären.19

Der Schock der Revolte

Der Matrosenaufstand in Kiel und den Küstenstädten, Ausgangspunkt der Revolution 1918/19, überraschte die alten Gewalten nicht nur wegen ihres Zeitpunkts, sondern vor allem aufgrund ihres Ursprungs: »Einem spontanen und elementaren Aufbegehren innerhalb der bewaffneten Macht selbst.«20

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Revolutionäre Matrosen in Wilhelmshaven

Er versetzte die »Elite des Kaisers«, die Marineoffiziere, die sich bis dato als künftigen Ritterorden des Reiches gesehen hatten21, in einen Schockzustand. Martin Niemöller notierte: »Ich bin bei allem Grauen des Krieges mit sehr großer Selbstverständlichkeit und ohne eine Erschütterung, die mich in der letzten Tiefe der Seele gepackt hätte, hindurchgekommen. […] die Erschütterung, die endlich die Grundfesten meines Wesens und Daseins ins Wanken brachte, […] das war erst die Revolution, die kein Umbruch, sondern ein Zusammenbruch war! Damals versank mir eine Welt.«22

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Kapitänleutnant Niemöller und seine Mannschaft im November 1918

Nachdem sie ihre erste Lähmung überwunden hatten, gab es nur einen Gedanken: Rache. Rache für die »Schmach«, die »Erniedrigung«. Ihr Antrieb: Hass, tiefer Hass auf die »Massen«, auf die Revolte, und die, die sie angeblich schürten: Die USPD sowie Liebknecht und Luxemburg23.

Es organisierten sich Offiziersbrigaden. Einer der Rührigsten bei der Aufstellung solcher Truppen war ein junger Kapitänleutnant. Er schien alles und jeden zu kennen, ja, er imponierte auch Gustav Noske (siehe Portrait im Anhang, Seite 122), so dass dieser ihn noch in Kiel zu seinem Verbindungsoffizier machte und somit zu einem wichtigen Knotenpunkt der Konterrevolution. Sein Name: Wilhelm Canaris (siehe Portrait im Anhang, Seite 119).

Er hatte eine Vorliebe: Das Agieren im Hintergrund, im Dunkeln. »Das Katz-und-Maus-Spiel mit dem Gegner lockte ihn. Schon als Kind hatte er mit unsichtbaren Tinten experimentiert und sich falsche Namen zugelegt: Er liebte das Mysteriöse, die halbe Andeutung, die Verschleierung.«24 Auch er glaubte daran, dass die Matrosen nur verhetzt worden seien. »Der marxistisch-kommunistische Feind hatte die Flotte heimlich unterwandert und sie schließlich mit Hilfe seiner getarnten Helfershelfer an Bord ruiniert. Eine Lebenslüge war entstanden, die einer ganzen Generation deutscher Seeoffiziere erlaubte, im alten Geist weiterzumachen.«25

Zu diesen Männern gehörte auch ein Freund Canaris’, der einen relativ kleinen Seeoffiziersverband aufstellte. Einen »Stoßtrupp«26, der sich um die Jahreswende 1918/19 in der von »der roten Flut« erfassten Hauptstadt bildete.27 Man lagerte »in den Zelten Nr. 4« und wurde zu »Sondereinsätzen herangezogen«28.

Der Name des Anführers lautete Kapitänleutnant (Kaleu) Horst von Pflugk-Harttung (siehe Portrait auf Seite 126). Er und seine Marine-Eskadron unterstellten sich wiederum einer Division, die die entscheidende Rolle im »Kampf um das Reich« spielen sollte. Faktisch wurde sie von einem Hauptmann, der auch Canaris bestens bekannt war, geführt: Von Waldemar Pabst, dem 1. Generalstabsoffizier der GKSD.

Der »kleine Napoleon«

Die GKSD, ursprünglich eine kaiserliche Elitetruppe unter dem Kommando des Generalleutnants Heinrich von Hofmann, war 1918 an der Westfront eingesetzt worden.29

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Soldaten der Garde-Kavallerie-Schützen-Division im Januar 1919 in Berlin

Da von Hofmann jedoch herzkrank war, geriet sie sehr schnell unter die Führung Pabsts, der im März 1918 auf Befehl Ludendorffs zur GKSD kam.30 Pabst, klein, eitel, ehrgeizig und machthungrig, war eine der berüchtigtsten Figuren der Revolution 1918/19. Sein Einfluss und vor allem seine militärische Machtposition sind in der Vergangenheit eher unterschätzt worden.31

Dem »bemerkenswerten« Pabst32 unterstand mit der GKSD die stärkste konterrevolutionäre militärische Formation, das »Rückgrat aller eingesetzten Truppen«33, auf die sich Noske stützte34.

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Hauptmann Waldemar Pabst 1914

Kaum hatte ihn die Nachricht von der Revolution erreicht, trieb Pabst die GKSD in »Eilmärschen der Heimat zu«, in der Absicht, mit »der Herrschaft der Minderwertigen«35 aufzuräumen. Am 30. November 1918 erreichte die GKSD den Bahnhof Wildpark bei Potsdam.

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Graffiti auf dem Waggon: »Auf nach Berlin! Nieder mit Liebknecht und Genossen!«

Pabst hatte dort die erste Begegnung mit dem »roten Berlin«.

Der Volksbeauftragte Emil Barth erwartete ihn.

Barth: »He, Sie, kommen Sie mal her!«

Pabst: »He, Sie, kommen Sie mal her!«

Barth: »Ich bin ihr Vorgesetzter!«

Pabst: »Sind Sie eigentlich verrückt geworden?«

Als Barth Pabst dann noch seine Begleiter, darunter den »Rat der Deserteure« vorstellte, verlor Pabst die Contenance.

Pabst: »In drei Minuten ist der Bahnsteig geräumt, sonst gibt’s Dresche!«36

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Emil Barth (1879–1941)

Die GKSD bezog in Nikolassee, unweit des Wannsees, ihr Divisionsquartier, und »traf Vorkehrungen, dass keine ungebetenen Gäste kommen konnten«37. Kurz danach, am 10. Dezember 1918, ritt Pabst an der Spitze der GKSD durchs Brandenburger Tor nach Berlin.

Gleichwohl scheiterte der mit Wissen Eberts geplante Putschversuch der Obersten Heeresleitung (künftig: OHL) gegen die Arbeiter- und Soldatenräte.38

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Friedrich Ebert (SPD) begrüßt »seine« Truppen.

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Das von Pabsts GKSD im Auftrag Eberts zerstörte Berliner Stadtschloss

Die schimmernde Wehr löste sich auf. Berlin schien in der Hand der Massen. Einzig Pabst gelang es, die GKSD wenigs tens einigermaßen zusammenzuhalten.39 Er schottete sie gegen alle Einflüsse von außen ab und betrieb ständige »Aufklärung« durch Schulung in seinem Sinne.

So blieb die GKSD eine der wenigen alten, noch kampffähigen Verbände. Am 24. Dezember 1918 leitete Pabst den von Ebert befohlenen Angriff auf die Volksmarinedivision im Schloss40 und zögerte dabei nicht, beim Artillerieangriff auch Gasgranaten einzusetzen.41

»Doch das Donnern der Geschütze war nicht ungehört verhallt. ›Gegenrevolution der Offiziere!‹ hieß das Echo, das es erzeugte. Von Mund zu Mund flog es fort, von den Fabriksirenen ward es aufgenommen, und aufreizend wirkte es fort bis in den letzten Winkel des Häusermeeres Berlins und wunderbar ging die Drachensaat auf, die in den letzten Wochen gesät war […] in rasender Wut stürzte sich die losgelassene Meute […] auf unsere Truppen.«42 Die Massen erzwangen den Abbruch des Unternehmens.43

Am eigenen Leibe hatte Pabst die Kraft der Massen erlebt und ihre demoralisierende Wirkung auf das, was sein Leben war: die Truppe. Die »Drachensaat« Rosa Luxemburgs war aufgegangen. Es gab keine kaiserliche Armee mehr. Doch Pabst gab nicht auf. Er zog sich mit den Resten seiner Truppe wieder an den Rand Berlins zurück, entließ die »spartakistisch verseuchten« Elemente und machte durch Freiwillige in kürzester Zeit eine schlagkräftige, wie er unter hoher Spannung stehende Truppe daraus. Er selbst besuchte sodann in Zivil Versammlungen, in denen Liebknecht sprach. Er kam zu der Auffassung, dass er hier seinen gefährlichsten Gegner vor sich hatte.44

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»Standrechtlich« erschossene »Spartakisten«. Noske 1933:
»Und ich habe ausgemistet und aufgeräumt in dem Tempo, das damals möglich war.«

Vollends überzeugt von der »Gefahr«, die von den Spartakisten ausging, war er, als ihn einer seiner eigenen Offiziere bat, Rosa Luxemburg zur Truppe sprechen zu lassen. Der Offizier, »ein katholischer Adliger«, hatte eine Rede Rosa Luxemburgs gehört und »hielt sie für eine Heilige, einen neuen Messias« mit ungeheurem Sendungsbewusstsein.45 »In diesem Augenblick erkannte ich die ganze Gefährlichkeit der Frau Luxemburg. Sie war gefährlicher als alle anderen, auch die mit der Waffe.« Er beschloss, sie zu beseitigen. Als dann der Januaraufstand ausbrach, war es soweit.46

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Gustav Noske schreitet die Front der republikfeindlichen Marineoffiziersbrigade Loewenfeld ab.

Im Luisenstift Noskes bot er diesem seine Dienste an und wurde »einer der rührigsten« Helfer47, begierig, den »Volksverhetzern« ein für alle Mal den Garaus zu machen.

Die Verhaftung

Am Vormittag des 15. Januar 1919 – alle strategisch wichtigen Punkte Berlins waren längst in Hand der Freikorps, der Widerstand der Aufständischen erloschen, die ersten »Erschießungen auf der Flucht« praktiziert – bezog die GKSD das im Jahre 1912 erbaute Nobelhotel Eden und machte es zu ihrem Stabsquartier.48

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Das Eden-Hotel stand direkt gegenüber dem Haupteingang des Zoos

Trotzdem beherbergte das Hotel auch noch zivile Gäste, wie z.B. den Reichskanzler a. D. von Bülow. Pabsts GKSD erhielt ihren Sold nicht nur von der OHL49, sondern sie wurde von den Industriellen Stinnes und Minoux direkt finanziell unterstützt50.

Pabst pflegte auch beste Kontakte zum Berliner Reichsbürgerrat und seinem Vorsitzenden, dem Bankier und Millionär Salomon Marx.51 Schließlich stand Pabst auch in Verbindung mit dem von der Großindustrie reichlich ausgestatteten Vorsitzenden der Anti-Bolschewistischen Liga, Eduard Stadtler.52

Der GKSD waren zu diesem Zeitpunkt unter anderem auch das Regiment Reinhard, die Marine-Eskadron Pflugk-Harttung und die Einwohnerwehren unterstellt.53

Pabst selbst hatte sich maßgeblich um den Aufbau dieser Wehren gekümmert.54 Schon in Dahlem hatte Noske Leutnant von Oertzen den Befehl zur Überwachung des Liebknechtschen Telefons gegeben.55 Gleichzeitig ließen Noske und Pabst gemeinsam die Post Liebknechts überwachen.56

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Hetzblatt gegen Luxemburg und Liebknecht (ihre Namen stehen jeweils auf dem Lendenschurz)

In der ganzen Stadt suchten bandenähnliche Organisationen und Bürgerwehren Liebknecht und Luxemburg. Niemand sorgte sich um die Legalität dieses Unterfangens.57

Zahlreiche Spitzeldienste diverser »staatstragender Verbände« entwickelten (zum Teil in Konkurrenz miteinander) einen fieberhaften Aktionismus.58 Am wichtigsten waren dabei die »Spionageabteilungen« (Pabst) der GKSD59, der Kommandantur des Anton Fischer60 und des Regiments Reichstag61. Diese Spitzelorganisationen hatten Verbindung zu den Staatsanwälten Robert Weismann62 und Karl Zumbroich63.

Pabst gibt an, dass er zum Zeitpunkt des Umzugs von Dahlem ins Eden-Hotel noch nicht genau wusste, wo sich Luxemburg und Liebknecht aufhielten64, er aber Hinweise erhalten hatte, dass sie im Berliner Westen seien.65

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Dr. Robert Weismann (1869–1942)

Am Abend des 15. Januar 1919 betraten fünf Mitglieder der Wilmersdorfer Bürgerwehr das Lokal Ecke Mannheimer / Berliner Straße, das an das Haus Mannheimer Straße 43 angrenzte.

Es waren dies der Kaufmann Bruno Lindner, der Destillateur Wilhelm Moering und drei weitere uniformierte Bürger mit Namen Jurczck (ebenfalls Kaufmann), Schwarz und Jantz.66 Sie erkundigten sich beim Wirt des Lokals über die im Nebenhaus gelegene Wohnung eines gewissen Marcusson.67

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Geheimmeldung der Kaiserlichen (!) Oberpostdirektion vom 16. Januar 1919: »Der Volksbeauftragte, Oberbefehlshaber Noske und der Hauptmann Pabst von der Kavallerie-Schützen-Division in Berlin-Dahlem haben einen Kriminalbeamten schriftlich beauftragt, beim Postamt Berlin-Steglitz die Postsendungen des Rechtsanwalts Karl Liebknecht Bismarckstraße 75 zum Zwecke der Ermittlung des jetzigen Aufenthaltortes desselben, zu überwachen.«

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Das Haus in der Mannheimer Straße 43 am Tag nach der »Verhaftung« Luxemburgs und Liebknechts. Davor die Bürgerwehr Wilmersdorf mit Moering und Lindner (beide mit Mütze) im Zentrum;

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Das Haus in der Mannheimer Straße heute

Dort, so gaben sie später an, vermuteten sie eine spartakistische Zusammenkunft und Waffen, tatsächlich hatten sie aber Liebknecht und Luxemburg gesucht.68

Wer ihnen den »Wink« gab, ist bis heute nicht bekannt. Ohne irgendeinen Auftrag zu haben, drangen sie in die Wohnung Marcusson ein.69 »Einen Herrn, der sich im Zimmer befand und sich bei ihrer Ankunft entfernen wollte, hätten sie angehalten und auf Papiere durchsucht. Dabei hätten sie Legitimationskarten auf den Namen Liebknecht und seine Photographie gefunden. Lindner und Moering hätten ihn dann, da er sich Marcusson nannte, diese Angabe ihnen aber nicht glaubhaft erschien, zwecks Feststellung seiner Personalien im Auto nach dem Hauptquartier in der Cecilienschule gebracht.«70

Chauffiert wurde das Auto von einem Mann namens Güttinger, der Beifahrer hieß Probst. Während man Liebknecht zur Cecilienschule fuhr, verblieben Jurczck, Schwartz und Jantz in der Wohnung, um »weitere Feststellungen« vorzunehmen. Eine dort »verdächtig auffallende« Frau, Rosa Luxemburg, wurde festgesetzt.71

Gleiches geschah mit einem Mann, der gegen 21 Uhr das Haus betrat. Er wollte angeblich Liebknecht und Luxemburg fremde Ausweispapiere bringen und »wurde beim Betreten der Wohnung von den Soldaten festgenommen und durchsucht«. Es war das Mitglied der Zentrale der KPD, Wilhelm Pieck.72 An der Verhaftung von Luxemburg und Pieck beteiligte sich auch ein Mann namens Sebelin, der sich nach eigenen Angaben vor der Verhaftung Luxemburgs an das zuständige Polizei-Revier (Nr. 8 Berlin-Schöneberg) gewandt hatte und zwei uniformierte Schutzleute zur Unterstützung erhielt. Von der Cecilienschule aus teilte man zur gleichen Zeit in einem merkwürdigen Anruf der Reichskanzlei die Verhaftung Liebknechts mit. Den Anruf nahm der stellvertretende Pressechef der Reichskanzlei Robert Breuer73 entgegen.

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Wilhelm Pieck (1876–1960)

Breuer wies nach eigenen Angaben den Anrufer, das Mitglied der Bürgerwehr Pollmann, darauf hin, dass die Verhaftung ohne Haftbefehl widerrechtlich sei, gleichzeitig wollte Breuer die Nachricht »der zuständigen Stelle« weitergegeben haben.74 Wen Breuer damit meinte, seinen Chef Rauscher oder gar den Volksbeauftragten Landsberg, ist unklar. Dass die zuständige Stelle nicht weiter reagierte, erklärte sich Breuer damit, »dass in den damaligen Tagen von unzuständigen Stellen täglich die wildesten Gerüchte uns mitgeteilt wurden, ganz besonders Nachrichten von Verhaftungen«75.

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Ulrich Rauscher (1884–1930), Journalist, ist 1919/20 Pressechef der Regierung, Mitglied der SPD. Nach den Angaben Pabsts war er Alkoholiker;

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Otto Landsberg (1869–1957), Rechtsanwalt. Volksbeauftragter. 1919 Justizminister, Sozialdemokrat

Der Vorsitzende des Bürgerrats von Wilmersdorf, Fabian, gab allerdings an, Sinn und Zweck des Anrufs von Pollmann in der Reichskanzlei sei es gewesen, zu erfahren, was man mit Liebknecht tun solle. Breuer habe ihm geantwortet, er werde darüber in fünf Minuten Bescheid erhalten. Die Bürgerwehr habe daraufhin eine halbe Stunde vergeblich auf den Rückruf gewartet.76

So wurde Liebknecht gegen 21 Uhr 30 durch Güttinger, Probst, Lindner und Moering von der Cecilienschule zum Eden-Hotel zur »Vorgesetzten Behörde«, der GKSD, transportiert. Die vier fuhren von dort aus zur Mannheimer Straße zurück und holten Luxemburg und Pieck ab. Beide wurden wie Liebknecht ins Eden-Hotel gebracht (ca. 22 Uhr).

Pabst bekundete später, er habe von der Festnahme der Spartakusführer erst erfahren, als sie ihm »sozusagen frei Haus geliefert« wurden.77 Ein jeder der an der Aktion Beteiligten erhielt durch den Vorsitzenden des Bürgerrats Fabian für den Fang die damals enorme Geldsumme von 1700 Mark.78

Den acht beteiligten Bürgerwehrmännern (darunter drei Kaufleuten) wurden zusammen 13 600 Mark Kopfgeld ausbezahlt. Der Bürgerrat von Wilmersdorf war eine Unterabteilung des schon erwähnten Reichsbürgerrats des Bankiers Marx, von dem diese »Förderung des Mittelstandes« ausging. Bruno Lindner, der Anführer der tapferen Kaufleute, hat später noch mehr Geld erhalten.

Nicht ganz so erfolgreich in Finanzdingen war das Reichsschatzamt. Hatte es sich doch genau am Tag des Doppelmordes auf die Suche nach dem sagenhaften Schatz der Bolschewisten gemacht und die Deutsche Bank – entgegen den Gepflogenheiten – angewiesen, Auskunft über Gelder von »Führern der Spartakusgruppe« zu machen »zur Sicherung von Ansprüchen des Deutschen Reiches gegen Russland«. Doch die Deutsche Bank, die im Auftrag des Reichsschatzamtes andere Banken zur Nachforschung anwies, konnte nicht damit dienen. Auf den Konten von Karl Liebknechts Bruder Theodor und denen der Ehefrau des Sozialistenführers befanden sich nur wenige hundert Mark.

Es war also nicht gelungen, die Millionenbeträge, die die Oberste Heeresleitung munter in die Revolution der Bolschewiki gepumpt hatte, zurückzubekommen und in den Geldkreislauf der deutschen Konterrevolution zu leiten. Ein Bankdirektor antwortete gar beleidigt: »Spartakisten sind unter unserer Kundschaft meines Wissens nicht.«79

Hotel ohne Wiederkehr: Das Eden

Etwa gegen 21 Uhr 30 führte man Liebknecht durch das Hauptportal und die Halle in den ersten Stock des Eden-Hotels.

Dort hatte Pabst sein Hauptquartier in zwei großen Räumen aufgeschlagen. Es waren dies der sogenannte »kleine Saal«, das ehemalige Casino und der sogenannte »kleine Salon«, das eigentliche Arbeitszimmer Pabsts80, Liebknecht wurde in den »kleinen Salon« gebracht und Pabst vorgeführt81.

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Bauplan des Eden-Hotels, Parterre. Deutlich erkennbar die Drehtür (1) zum Kurfürstendamm (heute Budapester Straße) und das Treppenhaus (2). Rechts oben der Seitenausgang zur Kurfürstenstraße (3). Das Café rechts unten im Bild (4) diente als Wachlokal, hier wurde das berühmte »Gelage-Foto« aufgenommen.

Die Nachricht von der Ankunft des Spartakusführers löste unter den Hotelgästen und den anwesenden Offizieren und Mannschaften der GKSD Pogromstimmung aus.

Nach der sehr anschaulichen Schilderung des Verteidigers der Mörder, Fritz Grünspach, brach eine Art Fieber aus, das er, die Republik zitierend, als »deutsches Fieber« bezeichnete.82

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Das Eden-Hotel 1919 mit Regierungspanzer