Cover

Kurzbeschreibung:

1997: Nach ihrem Studium geht Marina als Deutschlehrerin nach Prag. Das ehemalige Ostblockland ist für sie eine völlig neue Welt, in der sozialistische Tristesse und optimistische Aufbruchsstimmung aufeinandertreffen. In einem Club trifft sie auf Zach Cohen und verliebt sich in ihn. Er ist der erste Jude, den sie je näher kennengelernt hat und die Gespräche mit ihm bringen sie dazu, sich näher mit der Geschichte ihrer eigenen Familie auseinanderzusetzen. 1939: Julia reist nach Prag, um ihren Bekannten Arthur  um Hilfe zu bitten, da ihr Bruder aufgrund seiner kommunistischen Überzeugung verhaftet wurde. Arthurs  Familie hat gute Beziehungen zu wichtigen Mitgliedern der Nazi-Regierung und Julia hofft, sie können ihrem Bruder helfen. Als Gegenleistung für ihre Hilfe, nimmt sie Arthurs Heiratsantrag an. Doch kurz darauf begegnet sie einem Mann, der sie magisch anzieht, aber dem tschechischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung angehört... 


1939: Julia reist nach Prag, um ihren Bekannten Arthur  um Hilfe zu bitten, da ihr Bruder aufgrund seiner kommunistischen Überzeugung verhaftet wurde. Arthurs  Familie hat gute Beziehungen zu wichtigen Mitgliedern der Nazi-Regierung und Julia hofft, sie können ihrem Bruder helfen. Als Gegenleistung für ihre Hilfe, nimmt sie Arthurs Heiratsantrag an. Doch kurz darauf begegnet sie einem Mann, der sie magisch anzieht, aber dem tschechischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung angehört...

Tereza Vanek

Das Mädchen aus Prag


Historischer Roman


Edel Elements

Nachwort

Dieses Buch ist vielleicht mein persönlichstes und war nicht leicht zu schreiben, da mir die Thematik näherging als bei allen früheren. Die Geschichte der Besetzung Tschechiens durch das Naziregime, das Attentat auf den Reichsprotektor und schließlich die Befreiung durch den Prager Aufstand, all das hatte ich ansatzweise aus Erzählungen meiner Verwandten herausfiltern können. Allerdings ergab sich erst nach der Recherche für diesen Roman für mich ein klareres Bild. Reinhard Heydrich war am 27. September 1941 offiziell als stellvertretender Reichsprotektor eingesetzt worden, da sein Vorgänger Konstantin von Neurath das Amt nicht wunschgemäß ausgeübt hatte. Heydrich ließ sogleich zahlreiche Verhaftungen und Hinrichtungen durchführen, was ihm den Beinamen „Henker von Prag“ einbrachte. Gleichzeitig sorgte er dafür, dass tschechische Arbeiter, die in der Rüstungsindustrie beschäftigt waren, gut versorgt wurden. Abgesehen von Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft oder politischen Einstellung verfolgt wurden, ging es Tschechen unter seiner Herrschaft materiell nicht schlechter als der deutschen Bevölkerung. Er hoffte, mit diesen Methoden allen Widerstand zum Erliegen zu bringen. Theoretisch wurde eine Umsiedelung der tschechischen Bevölkerung weiter nach Osten in Erwägung gezogen, damit die Region von Deutschen besiedelt werden konnte. Solche Maßnahmen waren aber für die Zukunft, also nach Ende des Krieges, geplant, und es herrschten unterschiedliche Meinungen, wie sie genau durchgeführt werden sollten. Auch eine „Germanisierung“ der Tschechen – oder wenigstens von jenen, die man dafür für tauglich hielt – war im Gespräch. Die generelle Einschätzung der tschechischen Bevölkerung in der nationalsozialistischen Ideologie scheint nicht ganz klar und teilweise widersprüchlich.

Heydrichs Plan drohte zunächst aufzugehen. Es hatte bereits vor der Annektierung von Böhmen und Mähren dort antisemitische Tendenzen gegeben und daher stieß das Vorgehen der Nationalsozialisten nicht überall auf Ablehnung. In bürgerlichen Kreisen sah man die deutsche Herrschaft oft als kleineres Übel im Vergleich zu einer möglichen Besetzung durch das sowjetische Russland. Diese Angst wurde von den Nationalsozialisten bewusst geschürt, um die Bevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. Im Winter 1941 schickte die tschechische Exilregierung aus London Fallschirmspringer, die in den Wäldern in der Nähe von Prag landeten. Dabei handelte es sich um Tschechen, die sich nach dem Einmarsch der Deutschen ins Ausland abgesetzt, und in England ein spezielles Training erhalten hatten, um sie für eine gefährliche Aufgabe vorzubereiten: die Ermordung des Reichsprotektors Reinhard Heydrich, bezeichnet als „Operation Anthropoid“.

Das Attentat wurde am 27. Mai 1942 durchgeführt. Heydrich überlebte zunächst, erlag aber einige Tage später einer schweren Wundinfektion. Danach ging eine gnadenlose Racheaktion über die tschechische Bevölkerung nieder, der zahllose Menschen zum Opfer fielen. Die meisten davon waren an dem Attentat in keiner Weise beteiligt gewesen. Die Ortschaften Lidice und Ležáky wurden vollständig vernichtet, die männlichen Bewohner sofort getötet und die Frauen in Konzentrationslager gebracht. Von den Kindern konnten einige überleben, da sie an deutsche Familien zur Adoption gegeben wurden. Die nicht dafür ausgewählten starben ebenfalls.

Nach dieser „Heydrichiade“ vertiefte sich die Kluft zwischen Tschechen und ihren Besatzern. Daher eskalierte die Lage nach Kriegsende im Mai 1945 und es kam zu Massakern an der zurückgebliebenen deutschen Bevölkerung, der wiederum zahlreiche Unschuldige zum Opfer fielen. Gewalttätige Banden von jungen Männern, die sich „Neohussiten“ nannten, fielen über alle Leute her, die für Deutsche gehalten wurden. Angeblich starben dabei auch Skandinavier oder deutschsprachige Tschechen. Nach Aussagen von Augenzeugen waren die Täter nicht selten einstige Kollaborateure, die sich nun wieder als Patrioten profilieren wollten. Diese Gewaltakte dauerten an, bis die Vertreibung der Sudetendeutschen beendet war.

All diese Ereignisse wurden unter kommunistischer Herrschaft totgeschwiegen. Erst nach 1989 setzte eine allmähliche Aufarbeitung ein. Auch die Bedeutung des Attentats auf Heydrich war nach 1948 heruntergespielt worden, da es im westlichen Ausland organisiert worden war. Mittlerweile werden die zwei Hauptattentäter Kubiš und Gabčík als Nationalhelden gefeiert. Unklar sind aber noch die genauen Hintergründe. Die Ermordung des Reichsprotektors sollte der Welt zeigen, dass die Tschechen sich nicht mit der Fremdherrschaft arrangiert hatten. Allerdings muss den Attentätern klar gewesen sein, dass sie dadurch nichts an der deutschen Herrschaft ändern würden. Auch die brutalen Racheaktionen des Naziregimes waren zu erwarten gewesen. Laut Aussagen einiger Zeitzeugen sollen die Attentäter damit gerechnet haben, dass der Krieg bald schon beendet wäre und sie daher Überlebenschancen hätten. Ob sie dabei von ihren Auftraggebern bewusst getäuscht wurden, ist unbekannt.

Wegen der immer noch brisanten Thematik möchte ich ausdrücklich betonen, dass es sich bei meinem Buch um einen fiktiven Unterhaltungsroman handelt. Alle meine Hauptfiguren sind frei erfunden und ich erhebe nicht den Anspruch, eine völlig realistische Interpretation der damaligen Ereignisse darzulegen. Auf eine detaillierte Darstellung von Reinhard Heydrich und seiner Aktivitäten habe ich bewusst verzichtet, da er eine allzu düstere Person ist. Wer sich näher mit ihm befassen will, dem empfehle ich z.B. den Film „Die Macht des Bösen“ von 2018. Allein bei dem moderneren Handlungsstrang greife ich auch auf persönliche Erlebnisse zurück, da ich ebenso wie meine Romanfigur zu dieser Zeit als Deutschlehrerin in Prag tätig war. Kavárna Medůza und einige andere in dem Buch erwähnte Lokale gab es tatsächlich und sie waren bei jungen Leuten damals beliebt. Inzwischen existieren sie großteils nicht mehr.

Böhmen, 20. Mai 1945

„Es dauert nicht mehr lange, dann kommt sie“, flüsterte die Frau ihren zwei Begleitern zu, denn sie begannen ungeduldig zu wirken. Karel, der ältere von beiden, murrte unzufrieden und zog eine Zigarette aus der Tasche.

„Woher weißt du das so genau?“, fragte er. „Vorhin hat sie noch im Dorf eingekauft.“

Die Frau lächelte. Immer wieder wurden ihre Fähigkeiten unterschätzt. „Ich habe mich umgehört. Die Bäckerin sagte, dass die Deutsche zum Badesee wollte. Sie hat ihr den Weg erklärt, aber nicht die Abkürzung durch den Wald. Dort hätte sie sich nur verlaufen.“

Karel zuckte mit den Schultern und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Flachmann. Der Frau gefiel das nicht, denn sie brauchte ihn klarsichtig und aufmerksam. Aber sie wusste, dass es keinen Sinn gehabt hätte, ihn zurechtzuweisen.

„Warum sollen wir ihr eigentlich auflauern?“, fragte sein jüngerer Bruder Milan. „Alle im Ort sagen, sie hat nichts Schlimmes getan.“

„Sie lügt!“, entgegnete die Frau entschlossen. „Ich kann bezeugen, dass sie den Reichsprotektor unterstützt hat. Alle Deutschen waren irgendwie schuldig. Aber auf mich hört man nicht, weil dieses Weib allen Männern den Kopf verdreht hat.“

Karel grinste sie auf unverschämte Weise an. „Na ja, die hat auch ganz andere Voraussetzungen als du.“

Die Frau unterdrückte mühsam den Wunsch, ihn zu ohrfeigen. Beide Brüder waren dumm und bösartig, aber im Augenblick konnte sie nicht auf ihre Hilfe verzichten. Zu viel Unrecht war ihr im Leben widerfahren, zu oft hatte sie zurückstecken und sich fügen müssen, während andere sich ihre Wünsche erfüllen konnten.

Der Krieg ist wie eine Seuche, hatte ihre Mutter immer wieder gesagt, er tötet die Menschen, er macht sie krank und kaputt. Aber das stimmte nicht immer. Der Krieg hob geltende Verbote auf, erschütterte alte Hierarchien und ermöglichte es manchmal zu tun, was man immer hatte tun wollen.

„Ihr macht einfach, was ich sage. Sonst sorge ich dafür, dass ihr Ärger bekommt“, teilte die Frau ihren Begleitern mit. Glücklicherweise fehlte ihnen der Verstand, um diese Drohung ernsthaft zu hinterfragen. Beide hatten in einer deutschen Waffenfabrik gearbeitet. Eigentlich kein Verbrechen, aber im Moment konnte es als Landesverrat hingestellt werden. Im Moment konnte alles geschehen, weil es keine Regeln mehr gab.

Die Frau hatte lange gelauert, beobachtet und Rückschlüsse gezogen. Vorsicht war notwendig gewesen, denn es gab auch jetzt noch Leute, die versuchen würden, sie an ihrer Rache zu hindern. Schöne, kultivierte Frauen fanden immer Verehrer, die sie schützen wollten, während man unscheinbare Arbeiterinnen entweder übersah oder ausnutzte. Aber nun würde sie dafür sorgen, dass der Lauf der Dinge sich für einen Augenblick änderte. Einmal würde sie selbst Macht ausüben dürfen, anstatt sich immer nur ducken zu müssen.

Als sie Schritte und fröhliches Geplauder von Frauenstimmen vernahm, zog ihr Magen sich angespannt zusammen. Gleich wäre es so weit. Sie konnte tun, was ihr gefiel, ohne die Folgen fürchten zu müssen. Von dieser Erfahrung der Stärke würde sie für den Rest ihres Lebens zehren können. Sie klammerte sich an diese Hoffnung und fegte alle nagenden Zweifel unwirsch hinweg. Sie durfte ihre Zeit nicht mit unnötigen Grübeleien verschwenden, denn der Moment war kostbar.

Irgendwann würden wieder Recht und Ordnung einkehren und jeder Mensch würde an seinen vorgegebenen Platz zurückgestellt. Ihre Mutter hatte bis zu ihrem Tod darauf gehofft, aber noch war es nicht so weit.

Noch gab es eine Gelegenheit zur Abrechnung.

4. Kapitel

Erfurt, 15. Februar 1933

„Noch einmal. Von Anfang an. Mit mehr Konzentration! Gefühl ersetzt nicht die Technik, Fräulein Kronach!“

Die Stimme von Professor Grün wurde niemals laut, doch jedes einzelne Wort war eine feine Klinge, die Julias Haut wund ritzte. Sein Gesicht blieb stets unbewegt, der Blick seiner Augen aber war abfällig, als sei sie Geschmeiß, das er von seinem Ärmel fegen wollte. Ihre Hände begannen zu zittern, dann sah sie eine dunkle Wolke, die ihn einzuhüllen begann. Erstaunlicherweise schien er derjenige zu sein, den die Finsternis bedrohte, nicht sie und all die anderen Schüler, deren Darbietung nicht seinen Anforderungen gerecht wurde. Diese Erkenntnis verwirrte Julia derart, dass sie sogar die Angst vor ihrem Lehrer vergaß.

„Und ein schönes Gesicht ersetzt kein Talent“, murmelte eine Stimme im Hintergrund. Lautes Gelächter brachte den Unterrichtsraum zum Beben. Julia schluckte, denn sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen. Sie versuchte, sich die lobenden Worte von Fräulein Rosenberg in Erinnerung zu rufen. Wenn eine ehemalige Konzertviolinistin sie als begabt bezeichnet hatte, konnte ihre Interpretation von Bach so schlecht nicht sein. Aber dem schmallippigen Mann mit schütterem Haar vor ihr hatte sie es von Anfang an nicht recht machen können.

„Ruhe!“, rief Professor Grün energisch. „Ich dulde keine schlechten Witze in meinem Unterricht. In Deutschland herrschen Disziplin und Ordnung.“

„In Deutschland herrschen jetzt Leute, die wissen, dass du nicht hierhergehörst“, flüsterte nun eine neue Stimme hinter Julia. Sie drehte sich staunend um, denn diese Worte hatten sie endgültig verwirrt. Professor Grün war der älteste und angesehenste Lehrer der Musikakademie. Sie wusste, dass es keinen besseren Violinisten hier gab als ihn, auch wenn er sie vom ersten Tag an nur gequält hatte.

Sein Gesicht blieb unbewegt, aber in seinen Augen sah sie Zorn, vermischt mit Angst und Unglauben. Die Wolke über ihm verdunkelte sich um ein paar Schattierungen. Sie hob die Hand, denn sie hätte ihm gern zur Beruhigung über den Arm gestrichen, doch wusste sie, dass ihre Berührung ihm unangenehm gewesen wäre.

„Also los jetzt, Fräulein Kronach. Oder brauchen Sie eine schriftliche Aufforderung?“

Auf einmal machte er ihr keine Angst mehr, denn sie spürte seine Schwäche und Verletzlichkeit, die hinter Spott verborgen werden sollten. Julia hob ihre Violine und begann zu spielen, wie sie es früher bei Fräulein Rosenberg getan hatte. Leicht und mit Freude, ohne dass die Furcht vor Versagen ihren Arm lähmte. Die graue Wolke schwebte zur Zimmerdecke. Professor Grün musterte Julia nachdenklich über die Ränder seiner Brille hinweg. Falten erschienen um seine Mundwinkel. Das Gelächter der Schüler war verstummt. Als sie ihr Spiel beendet hatte, fühlte sie sich glücklich und frei. In den vier Monaten an der Musikakademie hatte sie fast vergessen, wie viel Musik ihr geben konnte.

„Der Unterricht ist jetzt beendet“, verkündete Professor Grün, ohne ihre Darbietung zu kommentieren. „Ihr habt frei bis zwei Uhr, dann geht es weiter.“

Nun wurde wieder getratscht, gelacht und getuschelt. Julia packte ihre Geige ein. Sie hatte an der Musikakademie bisher keine Freunde gefunden, aber das störte sie nicht, denn sie genoss das Alleinsein. Sie würde eine Weile durch Erfurt laufen und sich irgendwo ein belegtes Brot kaufen, beschloss sie. Mit den anderen Schülern essen wollte sie nicht.

So hastete sie los und hatte fast schon die Ausgangstür erreicht, als sie eine leise, schwermütige Stimme in ihrem Rücken vernahm.

„Fräulein Kronach! Julia!“

Sie drehte sich um. Es war David Grün, der einzige Sohn ihres Lehrers, ein schmächtiger, schlaksiger Junge. Die Schatten unter seinen Augen ließen ihn älter wirken, als er war.

„Könnten wir vielleicht zusammen essen? Es gibt ein Kaffeehaus in der Nähe, das nicht besonders teuer ist.“

Julia nickte, denn sie hatte keine andere Wahl. Sein Angebot abzulehnen, wäre allzu unhöflich gewesen.

„Sie wundern sich wahrscheinlich, warum mein Vater Sie nicht mag“, erzählte David unterwegs. Er hatte den Kragen seines Mantels hochgeklappt, denn es wehte ein frischer Wind. Julia fror in ihrer Strickjacke, aber etwas Wärmeres konnte sie sich nicht leisten.

„Er findet, dass ich nicht gut spiele“, sagte sie. Es erschien ihr etwas dreist, dass David diesen Umstand so offen ansprach.

Zu ihrem Erstaunen schüttelte er aber entschieden den Kopf. „Das dürfen Sie nicht glauben. Keinesfalls. Sie sind gut. Das hat sogar mein verbissener, sturer Vater erkannt. Nur ärgert es ihn. Sehr sogar. Deshalb muss er seine schlechte Laune an Ihnen ablassen.“

Julia war so überrascht, dass sie stehen blieb und von einem älteren Ehepaar angerempelt wurde. Erstaunlicherweise warfen die beiden nicht ihr, sondern David einen wütenden Blick zu, bevor sie weitergingen.

„Was will so einer mit diesem hübschen Mädchen?“, hörte sie den Mann verärgert fragen, bevor er um die Ecke abgebogen war.

Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Es kam selten vor, dass sie Männer mochte, denn die meisten schienen ihr grob, laut und rechthaberisch. David aber wirkte so sanftmütig und zurückhaltend, dass sie am liebsten die Hand ausgestreckt hätte, um ihn zu trösten. Aber dazu kannten sie sich zu wenig.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte er nun, obwohl nicht sie beleidigt worden war. Sie lächelte. Eigentlich hatte sie noch niemals einen Jungen angelächelt außer ihren Bruder.

„Es ist nichts Schlimmes vorgefallen“, meinte sie aufmunternd. „Gehen wir weiter. Ich habe Hunger.“

Er schien erleichtert und führte sie zu einem kleinen Kaffeehaus, wo sie am Fenster Platz nahmen. Julia bestellte Tomatensuppe, das billigste Gericht auf der Karte. David wollte eine Thüringer Bratwurst.

„Ich hoffe, Sie erzählen meinem Vater nicht, dass ich Schweinefleisch gegessen habe“, sagte er mit einem schiefen Lächeln, als die Kellnerin wieder verschwunden war.

Julia fand die Welt merkwürdig, aber das war schon immer so gewesen. „Was ist so schlimm an Schweinefleisch?“, wollte sie wissen.

„Nichts, finde ich. Aber Juden dürfen das nicht essen.“

„Ach so.“

Der Grund dafür war ihr schleierhaft, aber sie wollte nicht fragen. Davids schmale Schultern waren immer vorgebeugt, als fürchte er Hiebe.

„Also noch mal, was meinen Vater betrifft“, begann er nun. „Bitte lassen Sie sich von ihm nicht niedermachen.“

Julia runzelte die Stirn. All das ergab einfach keinen Sinn. „Ihr Vater ist ein angesehener Lehrer. Wenn er meint, ich spiele nicht gut auf der Violine, hat er sicher Gründe dafür.“

„Die hat er“, gab David zu. „Aber das hat nichts mit Ihrem Können zu tun. Es ist viel komplizierter.“

Julia fühlte sich erschöpft. Menschliche Belange schienen ihr häufig ermüdend, da schwer nachvollziehbar.

„Es ist zunächst einmal Ihr Aussehen“, erklärte David unaufgefordert. „Meine Mutter war auch blond und schön und keine Jüdin. Sie hat meinen Vater verlassen und damit kommt er nicht zurecht. Sie erinnern ihn an die Frau, die sein Herz gebrochen hat. Er hat auch immer gesagt, dass Frauen nicht wirklich gut spielen können, weil sie für andere Dinge geschaffen wurden. Aber Sie spielen gut, Fräulein Kronach. Nur ungewöhnlich. Ich glaube, das erkennt er, denn er versteht ja wirklich viel von Musik. Er würde sich aber lieber die Zunge abbeißen, als es zuzugeben.“

Julia schüttelte nochmals den Kopf, wie um unangenehme Gedanken loszuwerden. „Vielleicht sollte ich mir ja schwarze Schuhcreme ins Gesicht schmieren, bevor ich vor ihn trete. Oder gleich hinter einem Vorhang spielen“, überlegte sie laut. Sie hatte es völlig ernst gemeint, doch David lachte.

„Ja, das wäre eine Möglichkeit. Wir verschweigen ihm, wer Sie wirklich sind, und wenn er dann zugegeben hat, einen begabten Musiker gehört zu haben, enthüllen wir Ihre wahre Identität.“

Nun war Davids Lachen fast hämisch, als gefalle ihm die Aussicht auf eine öffentliche Blamage seines Vaters.

„Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee wäre“, wandte Julia ein. „Ihr Vater könnte seinen Groll an mir ablassen.“

Oder aber an seinem Sohn, der alles angezettelt hätte. Doch für gewöhnlich mochten Väter ja ihre Söhne.

„Es wäre ihm eine Lehre“, behauptete David. „Aber Sie haben recht, viel nützen würde es wohl nicht. Er gibt niemals Fehler zu. Hinzu kommt noch, dass Sie von Leuten gefördert werden, die er nicht mag.“

Nun begriff sie sofort, wen er meinte.

„Ich hatte das Glück, mit Arthur Spengler jemanden zu finden, der mir diese Ausbildung hier bezahlt“, versuchte sie, sich zu entschuldigen. „Sonst hätte ich niemals eine Chance gehabt. Es war mir leider nicht möglich, bei der Auswahl meines Mäzens wählerisch zu sein.“

„Das ist völlig verständlich“, meinte David.

„Und warum versteht Ihr Vater es dann nicht?“

Sie wollte es wirklich begreifen. Das Verhalten vieler Menschen war ihr stets ein Rätsel gewesen, aber sie hoffte, irgendwann die Zusammenhänge erfassen zu können.

„Nun.“ David räusperte sich. Die Kellnerin brachte ihnen beiden die bestellte Limonade. „Ich denke, er will es einfach nicht verstehen. Dann müsste er zu viel hinnehmen, das ihm nicht gefällt.“

„Was gefällt ihm nicht? Ich natürlich. Das habe ich schon begriffen.“

„Nein, Sie liegen völlig falsch.“ David lächelte auf eine sanfte, nachsichtige Weise. „Er kann nicht übersehen, wie schön Sie sind. Er hört auch, dass Sie gut spielen. Es gefällt ihm aber nicht, mit wem Sie in Verbindung stehen. Also was ich eigentlich sagen will: Es hat nichts mit Ihnen zu tun.“

Julia nickte folgsam, obwohl sie immer noch nicht begriff, warum ein begabter Violinist und angesehener Lehrer sich so verhalten sollte. Welche Gefahr stellte eine unbedeutende junge Frau für ihn dar?

„Ich danke Ihnen, dass Sie mir Mut zusprechen wollen“, meinte sie schließlich. Tatsächlich hatte sie selten so hilfsbereite Menschen getroffen wie David Grün. Er lächelte nicht mehr, starrte nur verlegen auf die Tischdecke. Die Kellnerin erschien mit ihren Speisen, sodass sie eine Weile damit beschäftigt waren, auf dem kleinen Tisch Platz zu schaffen.

„Mögen Sie Ihren Vater eigentlich?“, fragte Julia, als sie bereits zu essen begonnen hatten. David sah so verdattert aus, dass ihm fast das Messer aus der Hand fiel. Sie fühlte sich sogleich schuldig. Im Umgang mit Menschen war sie stets unbeholfen gewesen. Entweder redete sie zu wenig oder sie war zu direkt, wenn sie endlich etwas herausbekam.

Bevor sie sich hatte entschuldigen können, kam aber auch schon eine Antwort. „Also ehrlich gesagt, mag ich seine Gegenwart nicht“, sagte David. „Ich glaube nicht, dass er ein schlechter Mensch ist. Ich sehe auch, dass vieles an seinem Verhalten nur durch Angst und Schmerz verursacht wird. Aber das ändert nichts daran, dass ich mich unwohl fühle, wenn ich mit ihm zusammen bin.“

Julia riss die Augen auf. So offen und tiefgründig konnten Männer also reden!

„Aber warum? Was hat er Ihnen denn getan?“, fragte sie nun mit echter Neugier.

„Getan hat er mir nichts, außer mir zu zeigen, dass er sich einen anderen Sohn gewünscht hat“, erwiderte David. „Jemand wie Sie wäre das richtige Kind für ihn. Er wäre begeistert von Ihrem Talent, wenn Sie seine Tochter wären.“ Wieder kam ein Lachen, das sehr bitter klang.

Julia füllte ihren Löffel mit Tomatensuppe und blies darauf, weil die Suppe zu heiß schien. „Ich bin aber nicht seine Tochter. Was hat er denn gegen Sie? Sie sind doch ein netter Mensch.“

„Ich spiele nicht gut Violine“, erklärte David. „Eigentlich mache ich mir nicht viel aus Musik. Wenn es nach mir ginge, würde ich niemals mehr ein Instrument in die Hand nehmen.“

Nun musste Julia vor Staunen die Stirn runzeln. „Aber warum? Was möchten Sie sonst mit Ihrem Leben anfangen?“

David gab ihr zunehmend Rätsel auf, aber sie musste zugeben, dass sie dieses Gespräch genoss. Es hatte einen Inhalt, der sie berührte.

„Also.“ David lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. „Ich wollte eigentlich immer Koch werden. Diese Wurst hier zum Beispiel könnte viel besser gewürzt werden. Ich habe mich schon als Kind immer gern in die Küche geschlichen, um unseren Angestellten bei der Arbeit zuzuschauen. Das Kochen ist so greifbar. Man macht damit jedem eine Freude, nicht nur ein paar Leuten, die genug Geld haben, um sich höhere Bildung zu leisten.“

Auf einmal schien David sehr lebendig, seine Augen leuchteten und er gestikulierte aufgeregt, während er sprach.

„Warum sind Sie dann nicht Koch geworden?“

Er lachte nochmals, nun so laut, dass die Leute am Nachbartisch sich umdrehten. „Was, meinen Sie wohl, sagt mein Vater zu der Idee? Kochen ist für ihn Frauenarbeit. Außerdem ist sein Sohn doch wohl zu Höherem geboren.“

Julia hob ratlos die Hände. „Was ist so schlimm daran, Koch zu sein?“

Er antwortete nicht sofort. Julia dachte noch einen Moment nach, dann musste sie plötzlich selbst lachen.

„Meine Eltern haben eine Pension mit Küche. Dort musste ich mithelfen, seit ich etwa elf Jahre alt war. Wenn ich Geige spielen wollte, galt es als Zeitverschwendung. Das Kochen habe ich gehasst.“

David grinste schief. „Die Welt ist irgendwie verrückt, Fräulein Kronach. Kaum jemand kann tun, wozu er sich geschaffen fühlt, weil andere ihm ihre Vorstellungen aufzwingen wollen.“

Julia nickte. Endlich verstanden sie einander.

„Ich danke Ihnen für diese Einladung, Herr Grün“, sagte sie. Ihr wurde bewusst, dass sie noch niemals so mit einem Mann gesprochen hatte. Aber David war anders. Sie fühlte sich von ihm nicht bedrängt.

„Es würde mich freuen, wenn wir Freunde sein könnten, Fräulein Kronach.“

Julia musste schlucken. Bisher war sie stets als seltsamer Mensch betrachtet worden, mit dem niemand wirklich warm wurde. Allein Fräulein Rosenberg und ihr Bruder Walther hatten ihr je das Gefühl gegeben, gemocht zu werden.

Ohne länger zu überlegen, streckte sie die Hand aus und strich über Davids Finger. Er zuckte nicht zurück, erwiderte ihre Geste der Zärtlichkeit aber auch nicht.

„Ich schätze Sie als Menschen“, sagte er. „Ich bin niemand, der sich nach … nach einer Liebschaft sehnt.“

Julia lächelte ihn glücklich an. „Ich auch nicht. Das ist mir völlig fremd.“

Er erwiderte endlich ihren Händedruck. Julia staunte, wie glücklich sie sich auf einmal fühlte. Dieser schmächtige, blasse Junge war wie ein Seelenverwandter. Ihr Bruder Walther stand ihr nahe, doch hatten sie beide einen zu unterschiedlichen Blick auf die Welt, um einander wirklich verstehen zu können. David hingegen wusste, wie es sich anfühlte, verloren durch ein undurchschaubares Dickicht voll unbekannter Gefahren zu irren.

„Wir müssen zurückgehen. Mein Unterricht geht bald weiter“, sagte Julia leicht verlegen.

David nickte. „Natürlich. Ich will Ihnen keinen Ärger machen.“

Auf dem Rückweg hakte Julia sich bei ihm ein. Es schien eine völlig selbstverständliche, harmlose Geste, die ihr wohltat. Munter plaudernd gingen sie zur Musikakademie zurück. Zwar blies der Wind immer noch kräftig, aber sie froren deutlich weniger.

„Da sind Sie ja endlich!“ Arthur Spengler stand vor der Eingangstür der Musikakademie. Sein Gesicht war zur Hälfte hinter einem Schal verborgen und er hatte die Hände in die Taschen seines Mantels gesteckt. Julia blieb wie angewurzelt stehen. Ihre Sorglosigkeit schwand schlagartig und sie zog ihren Arm von David weg. Sie wusste, dass es geschah, um den netten Jungen zu schützen, obwohl sie nicht hätte sagen können, welche Gefahr ihm eigentlich drohte.

„Ich dachte, Sie kommen erst nächste Woche nach Erfurt“, begrüßte sie den Sohn ihres Sponsors.

Er verzog keine Miene. „Es ergab sich anders. Mein Vater braucht mich im Augenblick nicht, daher wollte ich gleich nach Ihnen sehen. Haben Sie Zeit, mit mir die Stadt zu besichtigen?“

„Mein Unterricht geht gleich weiter.“ Mit einem Mal war Julia sehr froh darüber.

„Ich habe bereits mit dem Professor gesprochen. Sie bekommen den Nachmittag frei.“

Julia unterdrückte einen Seufzer. Sie hätte lieber die Schikanen ihres Lehrers ertragen als mit diesem Mann herumzuspazieren, aber sie hatte keine Wahl.

Kurz nickte sie David zu, der glücklicherweise alles verstand und ohne jeden Kommentar im Inneren des Schulgebäudes verschwand.

„Wohin möchten Sie gehen?“, fragte sie Arthur. „Ich kann Ihnen den Dom zeigen.“

Viel mehr hatte sie selbst auch nicht von der Stadt gesehen, denn die meiste Zeit war sie mit dem Üben auf der Geige beschäftigt gewesen.

„Ja, das wäre eine Möglichkeit. Danach gehen wir zusammen einen Kaffee trinken“, beschloss er. Julia ging davon aus, dass die Dombesichtigung ihn nicht wirklich interessierte, sondern nur ein Vorwand sein sollte, um mit ihr auf unverfängliche Weise Zeit zu verbringen. Die finanzielle Unterstützung durch die Spenglers machte sie in gewisser Hinsicht zu deren Eigentum. Das hatte Walther ihr damals schonungslos an den Kopf geworfen, als sie beschlossen hatte, das Angebot anzunehmen. Er hatte recht behalten, denn sie kam sich vor wie ein Mensch, der gekauft worden war. Sobald Arthur in Erfurt auftauchte, begleitete sie ihn, wohin er wollte. So wie ein Hund seinem Herrn hinterherlief.

Bisher waren es immer harmlose Orte gewesen. Restaurants. Geschäfte. Kaffeehäuser. Sie ahnte, dass er sie irgendwann in einen geschlossenen Raum führen würde, wo sie beide allein wären. Was sie dort erwartete, erahnte sie nur anhand von Gesprächsfetzen, die sie im Laufe ihres Lebens aufgeschnappt hatte. Die meisten Mädchen ihres Alters redeten ständig über dieses Thema, doch Julia hatte kaum daran gedacht, bevor ihr Arthur begegnet war. Doch sie wusste, dass er eben dieses Unaussprechliche von ihr wollte. Sie konnte es riechen, wenn sie neben ihm einherschritt, spürte es an der Art, wie er ihren Ellbogen ergriff, um sie die Stufen zur Kathedrale hinaufzuführen, die sie auch ohne seine Hilfe hätte erklimmen können. Bisher war sie allen Männern, bei denen sie eine solche Gier bemerkte, tunlichst aus dem Weg gegangen. Ihr ganzes Inneres verschloss sich vor ihnen aus einem Mechanismus heraus, der einsetzte, bevor ihr Verstand sich geregt hatte. Bei Arthur konnte sie sich eine derartige Zurückweisung nicht erlauben, daher ertrug sie seine gelegentlichen Berührungen, obwohl sie dabei jedes Mal fröstelte.

Meistens hielt er sich zurück. Auch diesmal durchquerte er mit ihr die Kathedrale, ohne wirklich auf seine Umgebung zu achten, und führte sie anschließend in eine Gaststube, wo Julia sich einen Apfelkuchen bestellte. Zwar verspürte sie keinen Hunger, aber sie hoffte, mit vollem Magen etwas weniger nervös zu sein.

„Wie gefällt es Ihnen an der Musikakademie?“

Arthur aß Schnitzel. Er hatte ein breites, markantes Gesicht, das vielen Frauen gefallen hätte. Seine Kiefer mahlten mechanisch, und Julia musste an eine Maschine denken, die harte Gegenstände zermalmte. Ein herber Geruch ging von ihm aus.

„Ich bin sehr froh, dass ich dort lernen darf“, sagte Julia mit kleinlauter Stimme. Es entsprach der Wahrheit.

„Aber Sie sehen bedrückt aus.“

„Ach, das hat man schon immer über mich gesagt.“

Sie wusste, dass sie bereits als Kleinkind auf ihre Umwelt nicht glücklich gewirkt hatte, obwohl sie es durchaus gewesen war, sobald sie sich in ihre eigene Welt zurückziehen konnte.

„Ich würde mir aber wünschen, dass Sie fröhlicher aussehen.“

Die Worte klangen wie ein Befehl in Julias Ohren. Musste sie fortan stets lächeln, um weiter ihre Ausbildung bezahlt zu bekommen? Sie würde es tun, wenn es nicht anders ging.

„Ich bin fröhlich“, beharrte sie. Zumindest war sie es gewesen, bevor Arthur aufgetaucht war. „Es ist nur mein Naturell, das mich schwermütig aussehen lässt.“

„Ja, das ist mir bereits aufgefallen.“ Arthur wischte sich mit einer Serviette den Mund ab. „Fühlen Sie sich denn wirklich wohl?“, fragte er dann. „Wie kommen Sie mit Ihren Lehrern zurecht?“

Julia beschloss, einen Teil der Wahrheit zu erzählen, um die noch ihr bevorstehende Zeit in Arthurs Gegenwart mit Worten zu füllen.

„Es gibt einen Professor, der mich nicht besonders mag. Aber ich werde ihn letztendlich von meinem Können überzeugen, wenn ich mich nur genug anstrenge.“

So formuliert klang es sogar machbar.

„Welcher Professor?“

Julia nannte den Namen von Davids Vater. Sie sah keinen Grund, ihn zu verschweigen.

„Ich weiß, er ist der beste Lehrer“, fügte sie gleich darauf hinzu. „Ich hoffe, irgendwann seinen Respekt zu gewinnen.“

Das hoffte sie wirklich, auch wenn sie zweifelte, ob es ihr je gelingen würde.

„Ach.“ Arthur starrte kurz auf die Tischdecke. „Der wird Ihnen bald schon keinen Ärger mehr machen, keine Sorge.“

„Warum denn nicht?“

Sie bohrte ihre Gabel in den Apfelkuchen. Er sah köstlich aus, aber sie verspürte weiterhin keinen Appetit.

„Weil …, weil er die Schule demnächst verlassen wird. Leute wie ihn brauchen wir dann nicht mehr.“

Vor Überraschung hätte Julia fast die Gabel fallen gelassen. „Er ist ein sehr guter Lehrer. Nur als Mensch manchmal etwas … wenig umgänglich“, rief sie. „Wo soll er denn hingehen? Hat er ein Engagement an einer anderen Schule?“

Das war die nächstliegende Erklärung. Es überraschte sie, dass sie mehr Trauer als Erleichterung verspürte. Professor Grün machte ihr zwar das Leben schwer, aber sie wusste, dass er Fähigkeiten besaß, die ihr fehlten. Sie hatte bisher nach Gefühl gespielt, er triezte sie ununterbrochen mit seinem Beharren auf Technik und Präzision, doch auf diese Weise wurde ihre Darbietung tatsächlich professioneller.

„Ich würde mir einfach wünschen, dass er mich mit etwas mehr Freundlichkeit behandelt“, erklärte sie Arthur nun. „Er respektiert mich nicht, egal, wie sehr ich mich anstrenge. Aber er ist dennoch ein guter Musiker, von dem man viel lernen kann. Daher wäre es schade, wenn er die Akademie verlässt.“

Arthur hatte sein Schnitzel verspeist und wischte sich mit der Serviette den Mund ab.

„Wir werden jemanden finden, der ihn ersetzt. Machen Sie sich keine Sorgen. Und besser behandelt werden Sie dann auch. Eine Frau wie Sie hat es nicht verdient, so angegangen zu werden.“

Er streckte die Hand aus und berührte kurz ihren Arm. Es kostete Julia große Überwindung, nicht zurückzuweichen. Gleichzeitig versuchte sie, den Sinn seiner Worte zu erfassen.

„Ich will nicht besser behandelt werden als die anderen Schüler. Sonst lerne ich nicht genug. Ich möchte eines Tages eine gute Geigerin werden. Mehr als sonst irgendwas im Leben.“

Sie fühlte sich etwas wohler, weil sie über Dinge reden konnte, die ihr auf dem Herzen lagen. Leider sah Arthur nicht wirklich begeistert aus, sondern musterte sie nachsichtig wie ein Kind, dessen Geplapper belanglos war.

„Natürlich, natürlich, aber Sie werden auch bei einem anderen Lehrer eine gute Geigerin werden. Da habe ich nicht die geringsten Zweifel.“

Nochmals tätschelte er ihre Finger. Julias Magen verkrampfte sich, denn bisher hatte er keine solche Gesten gewagt. Es war ein Zeichen, dass sie ihm gehörte wie ein Haustier, das nach Belieben gekrault werden konnte.

Sie tat ein paar tiefe Atemzüge. Walther hatte ihr stets vorgeworfen, dass sie unnötig dramatisierte und gegenüber allen Menschen misstrauisch war. Zwar mochte er Arthur nicht, aber sie beschloss, eben diese seine Worte nun erst zu nehmen.

Alles wäre am Ende sicher nicht so schlimm, wie es ihr jetzt erschien. Fast jede Frau musste einen Mann manchmal gewähren lassen, wie Julia inzwischen begriffen hatte. Sie würde es hinter sich bringen. Wenn sie erst einmal Konzertgeigerin war, brauchte sie nicht zu heiraten und hätte daher Ruhe vor allen Annäherungsversuchen. Männer verloren meist irgendwann das Interesse an einer Frau. Sie hoffte nur, dass die Spenglers ihr Versprechen trotzdem halten und ihr die ganze Ausbildung zahlen würden.

Wahrscheinlich sollte sie sich eben darum bemühen, anstatt nur dazusitzen wie ein Lamm vor dem Schlachter.

Laut dem Gerede der Mädchen aus ihrer Schulzeit mussten Frauen Männer anlocken und dann erst einmal abweisen, damit deren Interesse nicht nachließ. Leider fühlte Julia sich von einer solchen Aufgabe überfordert. Sie konnte nur Arthurs Berührung ertragen, dabei ihren Drang, ihn von sich zu stoßen, energisch unterdrücken. Auf diese Weise musste sie ausharren, bis all das Unerfreuliche über sie hinwegrollte wie eine Lawine. Sie würde es überleben, sagte sie sich. Alle Frauen überlebten es. Oder wenigstens die meisten.

„Ich würde Professor Grün gern als Lehrer behalten“, murmelte sie nochmals, um Arthur von ihrer Hand abzulenken.

Er runzelte die Stirn. Sein Gesicht wurde plötzlich finster, sodass Julia erschrocken zusammenzuckte.

„Das wird wohl auf Dauer nicht gehen. Die Dinge in unserem Land sind im Begriff, sich zu verändern, seitdem wir endlich einen fähigen, entschlossenen Mann als Reichskanzler haben, der uns Deutschen wieder Selbstvertrauen geben kann. Er wird alle störenden Elemente entfernen.“

Julia seufzte leise. Worüber redete er eigentlich?

„Ich interessiere mich nicht für Politik“, gab sie zu. „Mir haben das ganze Gebrüll und die Schlägereien auf den Straßen nie gefallen.“

„Nun, es gehört aber dazu, wenn eine neue Bewegung die ganze Gesellschaft erneuert und ein Land wieder stark machen will“, erwiderte Arthur. „Eine Frau wie Sie ist natürlich ein zartes Wesen, das vor solchen Unannehmlichkeiten beschützt werden sollte.“

Jetzt hielt er ihre Finger fest umklammert. Julia staunte, dass sie völlig ruhig blieb, als sei sie in eine Decke gewickelt worden, die sie weniger empfindsam werden ließ.

„Ich komme schon zurecht“, sagte sie schnell. „Ich meine, mit den politischen Veränderungen. Ich muss nur meine Musikausbildung abschließen.“

Sie zwang ein Lächeln auf ihre Lippen. Den Apfelkuchen hatte sie immerhin zur Hälfte heruntergewürgt, den Rest würde sie stehen lassen, obwohl es schade darum war. Sie vermochte im Augenblick einfach nicht zu essen.

Seltsam, bei ihrem Gespräch mit David Grün hatte sie sich völlig leicht und beinahe heiter gefühlt.

„Es spricht für Sie, dass Sie derart an Ihrer Ausbildung hängen“, meinte Arthur. „Mein Vater war immer der Meinung, dass ein anständiger Mensch zu Ende bringt, was er angefangen hat. Fleiß ist immer eine lobenswerte Eigenschaft.“

Julia hustete. Sie kam sich vor wie eine strebsame Schülerin, die von ihrem Lehrer gelobt wurde, weil sie weniger Schwierigkeiten machte als andere Kinder in der Klasse. Arthur verstand nicht, dass Musik für sie ihr Zuhause war. Der einzige Ort, wo sie sich am rechten Platz fühlte. Deshalb hatte sie gar keine Wahl, als ihre Ausbildung zu beenden. Ansonsten wäre sie ein völlig verlorener Mensch, der nicht wusste, wohin er gehörte.

„Ich fürchte, ich muss jetzt wirklich gehen“, begann sie vorsichtig. „Morgen soll ich im Unterricht vorspielen und möchte daher noch etwas üben.“

Das stimmte sogar. Nur empfand sie die Notwendigkeit des Übens nicht als Zwang, sondern wie eine Erlösung. Sobald sie das Kinn auf ihre Geige gelehnt hatte, würde die Welt wieder klare Umrisse haben und in ihrem Leben gäbe es einen fixen Punkt, auf den sie zusteuerte.

Arthur nickte und winkte die Kellnerin herbei, ein hübsches Mädchen mit rosigen Wangen. Er gab großzügig Trinkgeld und erhielt zum Dank ein Lächeln, bei dem strahlend weiße Zähne sichtbar wurden. Als Julia mit ihm hinausging, spürte sie den Blick der Bedienung wie einen anklagenden Finger in ihrem Rücken.

Es gab so viele Frauen, die sie um die Aufmerksamkeit Arthur Spenglers beneideten!

Auf der Straße schlug sie ein flottes Schritttempo an, um möglichst schnell wieder in ihr winziges Zimmer flüchten zu können. Arthur vermochte ohne große Schwierigkeiten mitzuhalten. Vermutlich war er ein guter Sportler.

Sie hatten fast schon die Musikakademie erreicht, als er plötzlich stehen blieb und sie auf wenig kavalierhafte Weise am Ärmel riss. Sein Gesicht kam dem ihren unnötig nahe, sie wich zurück und presste sich gegen eine Hauswand. Arthurs Atem roch nach dem Schnitzel, das er gegessen hatte. Sie war sich sicher, dass er winzige Fleischstücke zwischen den Zähnen haben musste. Sein Blick aber war der eines Menschen, der gerade verzweifelt um Mut rang.

„Könnten Sie sich vorstellen, mich zu heiraten, Fräulein Kronach?“, stieß er schließlich hervor. Julia hatte das Gefühl, die Erde hätte sich unter ihr geöffnet. Sie drohte abzustürzen.

„Aber … aber … Ihrem Vater würde das sicher nicht gefallen. Meine Familie ist völlig mittellos und ohne jeden Einfluss.“

Leute wie die Spenglers heirateten zum Glück nicht die Töchter der Besitzer bescheidener Pensionen.

„Das weiß ich“, gab Arthur zu und sah plötzlich fast ratlos aus. „Ich habe lange nachgedacht. Sie sind die Frau, die ich mir wünsche. Das habe ich von Anfang an gespürt. Ich glaube, ich werde meinen Vater überzeugen können, dass meine Entscheidung die richtige ist.“

Er klang stolz, als sei dies eine besondere Leistung. Julia spürte ihre Abneigung gegen diesen jungen Mann wie eine beginnende Magenverstimmung. Sie wollte nur noch auf ihr Zimmer, um endlich allein sein zu können.

Dann begriff sie plötzlich, dass dies ihre Chance sein könnte. Sie musste ihn hinhalten, nur so war ihre Ausbildung sicher. Schließlich würde er sie nicht mit Gewalt vor den Traualtar zerren können, wenn sie erst einmal Konzertgeigerin war.

Die Idee fühlte sich nicht gut an, aber das tat diese ganze Situation nicht.

„Ich muss darüber nachdenken“, sagte sie schnell. „Noch kann ich keine Antwort geben.“

Das stimmte. Ein klares Nein konnte sie sich in ihrer Lage nicht erlauben. Sie würde ausweichen müssen, so lange es nur ging.

„Aber es gibt kaum jemanden, der Ihnen ein besseres Leben bieten kann als ich“, beharrte Arthur. Der kurze Moment der Verunsicherung war vorbei, nun schien er sich wieder ganz als Herr der Lage zu fühlen. Er berührte Julia nicht mehr, aber sie empfand seine Nähe dennoch als erdrückend.

„Nein … ja … vielleicht … lassen Sie mich überlegen.“

Sie holte Luft und sah ihn respektvoll einen Schritt zurückweichen. Ihr wurde leichter zumute.

„Sie sind eine ganz besondere Frau, Fräulein Kronach. Sie verdienen einen Mann, der Sie zu schätzen weiß“, versicherte er. Sie nickte, obwohl sie wieder einmal nicht begriff, wovon er sprach.

„Ich muss jetzt auf mein Zimmer“, erwiderte sie hastig und ergriff die Flucht. Arthur folgte ihr unbeirrt bis zum Eingangsportal der Akademie.

„Darf ich Sie nächste Woche wieder abholen?“, fragte er zum Abschied.

Julia nickte automatisch, murmelte Abschiedsworte und flüchtete ins Innere des Gebäudes.

Trotz der frischen Temperaturen draußen war ihr Körper nass von Schweiß. Sie knöpfte rasch ihre dicke Strickjacke auf, um leichter atmen zu können. Zwei ihrer Mitschüler kamen ihr entgegen und musterten sie neugierig, bevor sie nach draußen traten.

Falls Arthur noch vor der Tür stand, würden sie vielleicht davon ausgehen, dass er ihr Liebhaber war. Sie hatte stets gewusst, dass sie diesen Preis würde zahlen müssen, also warum ein Geheimnis daraus machen? Doch eine Ehe klang nach einer lebenslangen Bindung, fast, als müsste sie tatsächlich ihre Seele verkaufen.

Aber so weit musste es nicht kommen, sagte sie sich und stieg die Stufen zu ihrem Zimmer hoch. Zu der Akademie gehörten auch Wohnbereiche für die Schüler. Sie musste sich ein Zimmer mit einem anderen Mädchen teilen, das glücklicherweise meistens irgendwo unterwegs war.

Julia schloss die Tür hinter sich und warf sich aufs Bett, um darauf zu warten, dass ihr Körper zu zittern aufhörte. Danach würde sie mit dem Spielen beginnen und all ihre Sorgen wären erst einmal unwichtig.

2. Kapitel

Coburg, Oktober 1932

Julia nahm das dämmerige Licht hinter ihrem Fenster wahr und schloss wieder die Augen. Wenn sie sich tiefer und tiefer ins Dunkel fallen ließ, kamen die Klänge zurück, um ihren Geist schweben und tanzen zu lassen. Sie hörte das Springen und Gleiten der Töne, die sich trotz all ihrer Eigenart in eine Harmonie fügten, eine Weile dahinrasten, dann wieder sanft glitten. In ihrer Welt gab es keine Unstimmigkeit, keine Leere, jeder Aufruhr erfüllte einen Zweck, da alles aufeinander abgestimmt war.

Als sie ihren Vater im unteren Stockwerk schreien hörte, steckte sie den Kopf unter ihr Kissen, damit die Musik nicht verstummte. Ihre Finger bewegten sich in der freien Luft, um die Saiten der imaginären Geige zu ertasten. Die andere Hand, die den Bogen halten sollte, ließ sie frei schweben. Sie war sich sicher, nun die richtigen Töne treffen zu können, wenn sie endlich eine Geige in der Hand hielt. Leider wurden auch die bösen, disharmonischen Geräusche immer lauter. Jemand schlug gegen ihre Zimmertür. Julia presste sich noch tiefer in die Matratze, konnte aber nicht verhindern, dass die Tür geöffnet wurde.

„Mensch, Jule! Du hast vergessen, die Tische für die Gäste zu decken. Vater ist völlig außer sich und macht Mutter nieder, weil sie nicht streng genug mit dir ist.“

Es war ihr Bruder Walther. Julia verspürte Erleichterung, aber auch Unbehagen, da er wieder einmal ihr die Schuld an einem Streit zwischen ihren Eltern gab. Seufzend kroch sie aus der Geborgenheit des Bettes.

„Wir haben doch im Moment kaum Gäste“, versuchte sie sich zu verteidigen. Am gestrigen Abend war der Speiseraum fast leer gewesen, bis auf einen alten Witwer, dessen Tochter in der Nähe wohnte. Er hatte sie besucht, aber der Aufenthalt war wohl unerfreulich verlaufen, wenn er sich freiwillig in eine Pension zurückzog. Julia hatte seine Trauer als grauen Schleier gespürt, der über ihm hing, konnte sich aber nicht an sein Gesicht erinnern. Er hatte auch kaum etwas gegessen, nur mehrere Gläser Bier getrunken.

„Spätabends traf noch eine Familie ein, die ziemlich reich scheint. Sie haben sogar ein Automobil, das ihnen unterwegs kaputtgegangen ist.“ Walther baute sich über ihr auf. „Nun mach schon, zieh dich an und geh nach unten, um zu helfen. Ich laufe inzwischen zur nächsten Werkstatt. Das habe ich versprochen.“

Julia gehorchte widerstrebend, wickelte sich in ihren Morgenmantel und ging ins Bad. Nach einer schnellen Wäsche zog sie ihr blaues Kleid an, denn darin mochte ihr Vater sie am liebsten. Sie flocht ihr Haar zu Zöpfen, lief die Stufen hinab und versuchte dabei, noch eine Weile die Melodien in ihren Ohren klingen zu lassen, um sich für die bevorstehende Konfrontation mit ihrem Vater zu wappnen.

Am Ende war es gar nicht so schlimm. Der Vater saß bereits am Tisch mit den neuen Gästen, um sie zu unterhalten. Der Witwer hatte sich in die hinterste Ecke verkrochen, wohl in dem Bewusstsein, dass sich auch hier kaum jemand mehr um ihn scherte. Julia trug mit einem bemühten Lächeln ein Tablett mit Kaffee, Brötchen und Marmelade herein.

„Gleich kommen noch Eier und Käse“, begrüßte sie die Gäste. Sie nahm sich aber vor, zuerst dem Witwer sein Frühstück zu bringen.

„Meine Tochter Jule“, wurde sie von ihrem Vater vorgestellt. Fünf Gesichter wandten sich ihr zu, aber es war nur eines, das in ihr Bewusstsein drang. Ein junger, dunkelhaariger Mann starrte sie auf jene Weise an, die sie von den männlichen Gästen kannte, aber nicht mochte. Sie fühlte sich wie ein kostbarer Gegenstand bewundert, den zu besitzen erstrebenswert wäre. Julia presste ihre Lippen aufeinander, als sie ihm Kaffee einschenkte.

„Sie haben eine bemerkenswert hübsche Tochter, Herr Kronach.“

Es war nicht der junge Mann, der gesprochen hatte, sondern sein Vater. Den hatte Julia zunächst ganz sympathisch gefunden, da er grau und distinguiert aussah, doch nun, da sie spürte, wie ihre Wangen zu brennen begannen, wünschte sie ihn auf einen anderen Planeten. Warum ließen derart dumme Bemerkungen sie immer wieder rot anlaufen, obwohl sie sie schon oft genug gehört hatte? Das gewohnte, verhasste Gelächter erklang auch schon in ihren Ohren.

„Noch etwas schüchtern, die kleine Rose. Das legt sich sicher bald. So einer müssen die Burschen doch auf Schritt und Tritt hinterherlaufen.“

Julia stand noch eine Weile mit glühendem Kopf da, beschämt über diese Reaktion ihres Körpers, aber auch wütend auf jenen älteren Herrn, der sie ausgelöst hatte.

„Eine solche Frau ist zu schade für gewöhnliche Kerle und das weiß sie auch. Sie braucht einen tapferen, stolzen Mann, der sie schätzt und auf Händen trägt.“

Diese Worte hatte der junge Mann vorgetragen und das mit einem fast dramatischen Ernst. Julia spürte seinen bohrenden Blick.

„Mein Arthur hat manchmal sehr eigene Ansichten“, sagte sein Vater mit einem verlegenen Lachen. „Er liest wahrscheinlich zu viele Romane.“

„Das stimmt nicht“, erwiderte der junge Mann sofort. „Ich hasse dieses sentimentale Gewäsch, das in den meisten Büchern steht.“

Ein Moment betretenen Schweigens trat ein, den Julia für ihren Rückzug nutzte.

„Ich muss wieder in der Küche helfen.“

Als sie den Speisesaal verlassen hatte, atmete sie erleichtert auf. Bisher war die Aufmerksamkeit von Männern ihr einfach nur lästig gewesen, doch von diesem neuen Gast fühlte sie sich auf eine Art bedrängt, die ihr Angst machte, sie aber auch aufwühlte.

Am frühen Nachmittag konnte sie endlich zu Fräulein Rosenberg aufbrechen, da das Mittagessen serviert worden war und keine neuen Gäste eingetroffen waren. Sie verabschiedete sich rasch von ihrer Mutter und lief dann die Straße hinab zu jenem kleinen Haus mit bunt blühendem Garten. Toby, der flauschige Hund, bellte bereits, noch bevor sie den Türklopfer betätigt hatte. Es war eines der seltenen lauten Geräusche, die sie mochte.