Shreve, Anita Wenn die Nacht in Flammen steht

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Übersetzung aus dem Amerikanischen
von Mechtild Ciletti




Für meinen Mann
in Dankbarkeit und Liebe





Das Motto auf Seite 8 stammt aus: William Shakespeare:
Hamlet, übersetzt von August Wilhelm von Schlegel.
Sigbert Mohn Verlag, Gütersloh 1832.



© Anita Shreve 2017
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»The Stars Are Fire«, Alfred A. Knopf, New York 2017
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Pendo Verlag in der Piper Verlag GmbH, München 2019

Gedicht

Zweifle an der Sonne Klarheit,
Zweifle an der Sterne Licht,
Zweifl’, ob lügen kann die Wahrheit,
Nur an meiner Liebe nicht.

WILLIAM SHAKESPEARE, HAMLET

Nässe

Ein Frühling, der keiner ist. Grace hängt Genes Kakihose an einer Leine auf, die diagonal über dem gelben Linoleum der Küche gespannt ist. Die Baumwolle trocknet nur in der Wärme des Herds. Die Handtücher lässt sie erst mal liegen, in der Hoffnung, dass es morgen oder übermorgen besser wird. Am letzten schönen Nachmittag vor mehr als zwei Wochen hingen überall auf den Veranden und in den Gärten die Leinen voller Wäsche. Weiße Laken, Unterhemden und Tücher flatterten im Wind; es sah aus, als hätte eine Stadt der Frauen kapituliert.

 

Grace sieht nach ihren zwei Kindern, die zusammen im Wagen schlafen, dem mit den großen Gummirädern und dem dunkelblau lackierten Chassis. Innen ist er mit weißem Leder ausgeschlagen. Er ist ihr Paradestück, ein Geschenk ihrer Mutter zu Claires Geburt. Wenn er gerade nicht gebraucht wird, nimmt er die halbe Küche ein und versperrt den Gang. Claire, zwanzig Monate, schwitzt im Schlaf, der Kragen ihres Strampelanzugs ist durchnässt. Tom ist mit seinen fünf Monaten ein zufriedenes Baby. Grace kocht die Glasflaschen und die Gummisauger in einem Topf auf dem Herd aus. Ihre Milch floss nur sporadisch, als sie Claire stillte. Bei Tom hat sie es gar nicht erst versucht.

 

Nachts, wenn sie mit Gene im gemeinsamen Ehebett schläft, trägt Grace ein Nachthemd, leichte Baumwolle im Sommer, Flanell im Winter. Gene ist immer nackt. Obwohl sie lieber auf dem Rücken liegt, schafft Gene es fast jedes Mal, sie auf den Bauch zu drehen. Diese Art des Verkehrs ist nichts für sie. Wie denn auch, hat sie doch nie diese unverschämte Lust erlebt, von der Rosie, ihre Nachbarin, geschwärmt hat. Andererseits ist die Stellung offenbar gut fürs Kinderzeugen.

 

Abgesehen von dieser Unannehmlichkeit, die nicht wichtig erscheint und in jedem Fall schnell erledigt ist, schätzt Grace Gene als Ehemann. Er ist ein stattlicher Mann mit dünnen Haaren von der Farbe feuchten Sands und sehr dunklen blauen Augen. Am Kinn hat er eine kurze wulstige Narbe, die stets weiß bleibt, ganz gleich, ob sein Gesicht zornrot, rosig, winterlich blass oder sommerlich braun ist. Er arbeitet sechs Tage die Woche als Vermessungsingenieur, fünf davon an einem Großprojekt des Staates Maine, dem Bau einer mautpflichtigen Schnellstraße, das ihn bisweilen drei, vier Tage hintereinander von zu Hause wegführt. Sie stellt sich vor, dass sein Kopf voll ist mit Mathematik und Physik, Maßeinheiten und Geometrie, und dennoch scheint er ganz in seinen Kindern aufzugehen, sobald er nach Hause kommt. Beim Essen redet er gern, und Grace weiß, dass sie sich in dieser Hinsicht glücklich schätzen kann; so viele Ehefrauen, die sie kennt, klagen über das stumpfsinnige Schweigen zu Hause.

Während sie Tom auf dem Arm hält, plappert Gene mit Claire in ihrem Hochstuhl aus Holz. Grace lächelt. Das sind die schönsten Momente, die Familie in Harmonie vereint. In vielerlei Hinsicht, findet sie, ist ihre Familie vollkommen. Zwei wohlgeratene Kinder, ein Junge und ein Mädchen; ein Mann, der hart arbeitet und sich nicht sträubt, zu Hause zu helfen. Jeden Abend spült Gene das Geschirr und beschwert sich kaum je über die Leine voller Wäsche zwischen Spülbecken und Ablage. Sie leben in einem Bungalow mit Holzschindelverschalung, zwei Straßen vom Meer entfernt. Gute Kapitalanlage, sagt Gene immer.

 

An diesem Abend schaltet Grace vor dem Zubettgehen einen Brenner auf dem Gasherd ein und stellt die Flamme auf Stufe eins. Nachdem sie ihre Haare zurückgenommen hat, damit sie nicht Feuer fangen, beugt sie sich über die Flamme und zündet sich die letzte Zigarette des Tages an. Die Kakihose muss morgen früh trocken sein, dann wird sie die Hose waschen, die Gene übers Wochenende getragen hat. Sie kann, während sie da am Fenster steht, den Birnbaum nicht erkennen, aber sie hört den Regen auf seine Blätter prasseln, unerbittlich, ohne nachzulassen.

Bitte lass es einen trockenen Tag werden.

Sie schaltet sämtliche Brenner ein und stellt die Flammen auf Stufe eins. Bei dieser Luftfeuchtigkeit besteht keine Brandgefahr, das weiß sie. Zwischen T-Shirts und Unterwäsche hindurch schlängelt sie sich durch die Küche und geht die Treppe hinauf.

Ich hätte nichts dagegen, die Sterne zu sehen.

Oben angekommen, bleibt Grace stehen, holt einmal Atem und geht dann ins Schlafzimmer. Sie zieht ihr weißes Flanellnachthemd über. Die Außentemperatur liegt, wie sie vom Thermometer vor dem Schlafzimmerfenster abliest, bei fünf Grad.

»Morgen soll’s weiterregnen«, sagt Gene.

»Wie lang noch?«

»Vielleicht die ganze Woche.«

Grace stöhnt. »Da saugt sich ja das ganze Haus mit Wasser voll, und dann stürzt es ein.«

»Nie im Leben.«

»Alles ist feucht. Die Buchseiten wellen sich schon.«

»Verlass dich drauf, sie trocknen wieder. Komm ins Bett, Täubchen.«

 

Sie wurde nie Gracie genannt, immer nur Grace. Und dann Täubchen, von Gene. Grace fühlt sich nicht wie ein Täubchen und ist überzeugt, dass sie nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem Täubchen hat, aber sie weiß, dass der Name zärtlich gemeint ist. Sie überlegt, ob es etwas zu bedeuten hat, dass sie keinen Kose- oder Spitznamen für ihren Mann hat.

 

Am Morgen steht sie vor Gene auf, damit sie Zeit hat, ihm den Kaffee zu machen und die Grapefruit zu zerteilen, eine Kostbarkeit, die ihn überraschen wird. Zum Frühstück gibt es heute Eier und Toast, keinen Bacon. Dafür drei Eier. Die Mahlzeit muss vorhalten bis zu seinem Mittagessen aus dem Henkelmann. Ned Gardiner im Lebensmittelgeschäft hat ihr gestern erzählt, dass die Bäcker jetzt im Rahmen der Kampagne »Lebensmittel sparen für Europa« kleinere Laibe und ungedeckte Kuchen backen. Wenn man sich das vorstellt! Ein ganzer Kontinent, der hungert.

 

Gene redet nie über den Krieg, den er als Mechaniker an Bord einer B-17 erlebt und dem er die Narbe am Kinn zu verdanken hat. Die anderen Ehemänner auch nicht.

 

Sie hört, wie Gene sich in dem winzigen Bad, das zwischen den beiden Zimmern im oberen Stockwerk wie eingeklemmt wirkt, wäscht. Einmal in der Woche baden sie beide, dann holt er die Zinkwanne, die auf der von Fliegengittern geschützten Veranda steht, in die Küche. Er badet stets nach ihr in ihrem Wasser, weil es zu umständlich wäre, die Wanne erst wieder hinauszuschleppen und auszuleeren.

 

Nach Toms Geburt hat Grace ihr dickes braunes Haar kurz geschnitten. Gene war nicht begeistert von dem Schnitt, doch ihre Mutter meinte, die neue Frisur bringe ihre Wangenknochen und ihre großen blauen Augen zur Geltung. Es war das einzige Mal, soweit Grace sich erinnern kann, dass ihre Mutter sie schön nannte, mit einem Ausruf, als wäre sie von einer Biene gestochen worden. Gene sagte, sie sei hübsch, als sie sich kennenlernten. Für sie bedeutete das weniger als schön.

Grace ist es gerade egal, was die anderen denken; auch wenn es nicht der Mode entspricht, macht kurzes Haar weniger Arbeit als Lockenwickel und eine Dauerwelle. Sie schiebt es einfach hinter die Ohren. Sie sieht gut aus mit einem Hut. Wenn sie ausgeht, trägt sie Ohrclips.

Sie ist etwas mehr als mittelgroß, in hohen Absätzen groß. Nach Toms Geburt hat sie schnell wieder abgenommen. Zwei Kinder unter zwei Jahren halten sie die meiste Zeit auf Trab. Gerade jetzt stellt sie sich ihren Mann vor, mit nacktem Oberkörper, wie er sich mit einem nassen Waschlappen voll Seife zuerst das Gesicht wäscht, dann den Hals und schließlich die Achselhöhlen. Häufig schrubbt er seine Handgelenke. Sie hört, wie er den Rasierer am Beckenrand abklopft. Pfeift er?

Grace benutzt kein Make-up außer mauvefarbenen Lippenstift, den sie immer gut abtupft. Ihre Lippen würden dadurch voller wirken, behauptet Gene. Wenn sie mit ihm redet, starrt er auf ihren Mund, als wäre er schwerhörig.

 

Sie nimmt ein Streichholz aus der Schachtel, entzündet es und steckt sich mit einem tiefen Einatmen eine Zigarette an. Die erste des Tages.

 

»Welcher Abschnitt ist heute dran?«, fragt sie und sieht mit der Befriedigung der Ehefrau zu, wie Gene sich über seine Grapefruit hermacht.

»Wir nehmen eine Nachvermessung beim Abschnitt Kittery vor, um zu kontrollieren, wie er sich gesetzt hat.«

Gene hat ihr erklärt, wie er die dreidimensionalen Aufrisse und Karten für Ingenieure und Bauunternehmer anfertigt. Die Namen der Geräte und Werkzeuge, die er sich in Katalogen ansieht, gefallen ihr – Theodoliten und Tachymeter, Alhidaden und Autokollimatoren –, aber sie hat keine Ahnung, wozu diese Instrumente dienen. Einmal, sie waren gerade frisch verliebt, hat er sie auf den Meserve Hill mitgenommen und sein Stativ aufgestellt, weil er ihr zeigen wollte, wie ein Tachymeter verwendet wird. Doch bevor sie durch das Okular schauen konnte, legte er seine Hände an ihre Taille, um sie in die richtige Position zu bringen, und sie registrierte gar nicht mehr, was er sagte. Sie vermutet, dass Gene es so geplant hatte. Grace würde den Ausflug gern wiederholen und diesmal aufmerksamer zuhören. Falls es jemals aufhören würde zu regnen. Sie könnten die Kinder mitnehmen und ein Picknick machen. Höchst unwahrscheinlich, dass ihr Mann ihr jetzt noch die Hände an die Taille legen würde. Abgesehen von einem flüchtigen Kuss, bevor er aus dem Haus geht, und einem zweiten, wenn er heimkommt, tauschen sie, außer im Bett, kaum noch Berührungen aus.

»Schadet der Regen nicht den Instrumenten?«, fragt sie.

»Wir haben Spezialschirme. Planen. Was hast du heute vor?«

»Ich geh vielleicht rüber zu meiner Mutter.«

Er nickt, sieht sie aber nicht an. Er hätte es lieber, wenn sie seine Mutter besuchte. Die Beziehung zwischen seiner Frau und seiner Mutter lässt einiges zu wünschen übrig. Möchte er, dass Grace einen gedeckten Apfelkuchen backt und ihn ihr bringt? Soll sie die neuen Beschränkungen für Bäckereien erwähnen? Würde ihn das interessieren, oder fiele das unter die Kategorie »Frauensache«, ein Thema, das ihn nicht zu kümmern braucht?

»Ich habe eine Plane für den Wagen gebastelt«, sagt sie.

»Tatsächlich?« Er hebt den Kopf, scheint beeindruckt. Vielleicht sieht er in der Konstruktion einer Plane für einen Kinderwagen eine gewisse technische Leistung. Doch wenn sie ihm erklären würde, wie sie es gemacht hat, wäre er enttäuscht. Sie arbeitet nicht mit Mathematik. Stattdessen probiert sie, faltet, schneidet, probiert, faltet und schneidet von Neuem, und dann näht sie. Na ja, immerhin nimmt sie Maß.

 

Sie hat außerdem einen Sitz konstruiert, der es Claire erlaubt, aufrecht im Wagen zu sitzen, während Tom neben ihr liegt. Tom mit seinem feinen dunklen Haarflaum, dem pummeligen kleinen Körper, der warmen Haut, aus der die Knitterfältchen fast verschwunden sind, seinem krähenden Stimmchen. Und Claire mit ihrem weißblonden gelockten Haar, den kurzen Sätzen, die wie Radiomeldungen unversehens aus dem statischen Rauschen hervorschießen und Grace überraschen. Claire hat von Geburt an alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen, zunächst mit ihrer erstaunlichen Schönheit und jetzt, da diese sich zeigt, mit ihrer Lebhaftigkeit. Grace kann sich nichts Schöneres vorstellen, als mit ihren Kindern auf dem Bett zu liegen, auf der einen Seite dicht neben sich Tom und auf der anderen Claire, das Gesicht ganz nah an der Haut ihrer Mutter. Manchmal machen sie alle zusammen ein Nickerchen, manchmal singen sie.

 

Doch sobald sie zur Tür hinausrumpeln, beginnt Claire zu weinen, wie vom Regen angesteckt. Grace weiß, dass die Ursache von Claires Kummer die Plane ist, die sie so geschickt konstruiert hat und durch die ihre Tochter kaum nach draußen sehen kann. Oder vielleicht doch nicht. Grace würde am liebsten mit ihr weinen.

Ihre Stiefel sind voller Wasser, noch ehe sie den ungepflasterten Gehweg erreicht. Der Kirschbaum in Rosies Vorgarten hat rosa Knospen. Werden sie bei diesem Regen überhaupt aufblühen? Sie hofft es. Tropfen rinnen von ihrem durchsichtigen Plastikkopftuch unter ihren Kragen. Sie erreicht eine Folge von Trittsteinen, die sie zu Rosies Haustür führen. Ihre Freundin wird noch in ihrem mandarinroten Bademantel sein, das Haar in Lockenwickeln, aber sie wird sie mit Enthusiasmus hereinbitten. Noch einen Tag in ihren eigenen vier Wänden eingesperrt zu sein würde Grace nicht aushalten. Sie hat alle ihre Heftchenromane gelesen, Bücher, die nicht anspruchsvoll genug sind, um es in den verglasten Bücherschrank neben der Esszimmertür zu schaffen. Die Geschichten strotzen von romantischer Liebe und finsteren Intrigen.

 

»Ich habe eine halbe Grapefruit mitgebracht«, ruft Grace, als Rosie ihr aufmacht.

Rosie winkt sie alle herein, mitsamt dem Kinderwagen, den Grace im Flur stehen lässt. Wenn sie ihre Freundin so ansieht, Gesicht, Haare, Morgenrock und Lockenwickel, alles mehr oder weniger aufeinander abgestimmt, muss sie an eine orangerote Flammensäule denken. Rosie ist attraktiv, selbst mit Lockenwickeln, aber nachlässig. Gene hat einmal das Wort »verlottert« gebraucht, um ihren Haushalt zu beschreiben. Grace hat ihm widersprochen, aber in manchen Punkten stimmt sie ihm zu.

Rosie nimmt Claire auf den Arm und zieht der Kleinen sogleich den roten Gummimantel und die dazugehörige Regenhaube aus. Claire lässt sich an Rosies Brust fallen, und nach einem kleinen Moment drückt Rosie sie fest an sich. Aber dann will Claire hinunter, um Freddie zu suchen, den Cockerspaniel. Grace, die Tom auf dem Arm hält, kramt aus ihrer Handtasche die sorgfältig in Wachspapier verpackte Grapefruithälfte hervor und überreicht sie Rosie.

»Wo hast du die denn ergattert?«, fragt Rosie, als hielte Grace ein Fabergé-Ei in der Hand.

»Bei Gardiner. Er hat eine Lieferung von sechs Stück bekommen. Eine durfte ich kaufen.«

Das stimmt nicht. Er hat sie Grace geschenkt, und sie hat keine Einwände erhoben.

»Wahrscheinlich hat er eine Schwäche für dich«, scherzt Rosie.

Grace sieht sie an, bis die Freundin den Blick senkt, dann lächelt sie.

»Kannst du dir das vorstellen?«, prustet Rosie los.

»Nein!« Grace lacht. Rosie quietscht vor Vergnügen.

Sie sind überzeugt, dass Ned Gardiner die Hälfte seiner Waren im Hinterzimmer selbst isst, er wiegt bestimmt an die anderthalb Zentner. Sein schwabbeliger Bauch hängt über den tief sitzenden Gürtel, und Grace fragt sich oft, wie er und seine Frau Sophia, früher einmal eine schöne Brünette und jetzt selbst völlig aus der Fasson, im Bett zurechtkommen. Aber dann meldet sich bei Grace das schlechte Gewissen, weil sie sich über einen Mann lustig macht, der ihr eine Grapefruit geschenkt hat.

 

»Ich teile mit dir«, sagt Rosie.

»Ich hab meine Hälfte gehabt«, lügt Grace. »Iss nur.«

Rosies Haus scheint mit Sachen vollgestopft zu sein, doch ein Hochstuhl, ein Laufstall oder eine Babywanne fehlen. Auch Rosie hat zwei Kinder, ein Krabbelkind und einen Säugling, typisch für die jungen Familien hier im Viertel. Claire hält Rosies kleinen Jungen, Ian, im Schwitzkasten gefangen.

 

»Tim sagt, dass er immer wieder rausfahren und Autos abschleppen muss, die im Schlamm stecken geblieben sind«, bemerkt Rosie, während sie bedächtig jeden Grapefruitschnitz auslutscht. Vor Genuss schließt sie die Augen. Tim gehört zur Hälfte eine Autowerkstatt an der Route 1.

»Gene meint, die Erde ist so nass, dass die Bauern nicht aussäen können.«

Grace bläst ihren Zigarettenrauch an Toms Gesicht vorbei und zieht erneut. »Es wird schon aufhören«, sagt sie wenig überzeugt.

 

»Kaffee?«, fragt Rosie, als sie den letzten Rest Saft aus der Frucht gesaugt hat. Grace bemerkt, dass ein Kern in einer Falte von Rosies Morgenrock hängen geblieben ist. Eddie, Rosies Jüngster, hat zu weinen angefangen. Grace, die gar nicht bemerkt hat, dass der Kleine im Zimmer ist, sieht zu, wie ihre Freundin Decken von der Couch reißt und ein rosiges Baby hochnimmt, nach Haut- und Haarfarbe ganz die Mutter. Wie leicht hätte sie Eddie erdrücken können, als sie sich auf die Couch gesetzt hat, denkt Grace erschrocken. Alles muss seine Ordnung haben, hat ihre Mutter einmal zu Grace gesagt, als verriete sie ihr das Geheimnis geistiger Gesundheit. Sie bezog das genauso auf Kinder wie auf den Haushalt.

 

»Heute ist Einkaufsabend«, sagt Grace zu ihrer Freundin, die ihren Morgenrock über einer blau geäderten Brust mit heller Brustwarze geöffnet hat. »Brauchst du was?«

Donnerstag ist Genes Zahltag. Jede Woche holt er Grace und die Kinder abends gleich nach der Arbeit ab, und sie fahren direkt zu Shaw’s. Steak für den Abend, Kalbsleber, Bacon, Kabeljaufrikadellen, Puffreis, Tomatensuppe, Mortadella, Eier, Butter, Schinken, Dosenlachs, Dosenerbsen, Würstchen, Brötchen, weiße Bohnen in Tomatensoße, dunkles Brot und Rice Krispies. Gene zieht seine Lohntüte aus der Tasche und zählt die Scheine und Münzen genau ab. Alles andere – Milch, Brot, Hackfleisch – kann sie jederzeit bei Gardiner besorgen. Grace bemüht sich, jeden Abend Proteine auf den Tisch zu bringen, doch spätestens am Mittwoch gibt es Reis mit Soße und gebratenem Bacon.

»Wie kriegst du die Windeln trocken?«, fragt Rosie.

»Ich gebe sie weg«, bekennt Grace. »Aber sobald der Regen aufhört, mach ich es wieder selbst.«

Einen Moment ist es still. Tim verdient nicht so viel wie Gene. »Lieber Gott, Grace, wie hältst du den Gestank aus dem Windeleimer aus?«

 

Rosie hat ihr einmal völlig unbefangen erzählt, dass sie und Tim mindestens einmal am Tag miteinander schlafen. Grace, die sich sofort arm vorkam neben Rosie, überlegte kurz, ob die Freundin deshalb immer einen Morgenrock trug. Um bereit zu sein. Eines Abends, als sie und Gene auf der Veranda saßen, hörte sie von nebenan einen Schrei. Es war eindeutig ein Lustschrei. Sie wusste, dass Gene ihn auch gehört hatte, aber keiner von ihnen verlor ein Wort darüber. Eine Minute später stand Gene auf und ging.

 

In Graces Haus hat alles seine Ordnung. Ein Laufstall mit Spielsachen darin steht in einer Ecke des Alkovens, der ans Wohnzimmer anschließt. Die Babywanne kann zum Waschbecken gerollt werden. Der Stubenwagen steht im Esszimmer in einer Ecke. Das Kinderbett mit dem Gitter und Toms Babybettchen sind oben im Kinderzimmer. Der alte hölzerne Hochstuhl, in dem früher Grace gesessen hat, steht gleich rechts von Genes Stuhl am Esstisch. Das kleine Stück Arbeitsplatte in der Küche ist leer, kein Mehl, keine Küchenutensilien. Sie wäscht im Ausguss unten im Keller und benutzt ein Waschbrett.

Vielleicht verlässt sie deshalb so ungern Rosies Haus, wo der Küchentisch mit Frühstücksflocken gesprenkelt ist und neben der Kellertür ein Kleiderhaufen liegt, in dem der Hund auf der Suche nach Unterwäsche herumschnüffelt. Wo sich unter Bergen von Decken und Kissen auf dem Sofa manchmal eine Überraschung versteckt: Bei früheren Besuchen ist Grace einmal auf eine Haarbürste und ein andermal auf einen Schraubenzieher gestoßen. Wo auf dem Couchtisch Becher Ringe hinterlassen haben und es einen Ruck braucht, wenn man ein Glas heben will. In Rosies Haus verspürt sie ein erlösendes Gefühl des Loslassens, nicht unähnlich dem Gefühl, das sie verspürte, als nach Claires Geburt, zumindest für kurze Zeit, ihre Milch zu fließen begann. Sie hätte das mit dem Stillen besser hinbekommen, glaubt sie, wenn sie bei Rosie gelebt hätte.

 

In ihrem Haus hat Gene über dem Kaminsims eine Zeichnung aufgehängt, die er von ihrem eigenen Anwesen gemacht hat. Sie ist in schlichtem Schwarz gerahmt, und darunter hängt ein Gewehr, das nicht funktioniert. Sie weiß nicht, warum Gene es da angebracht hat, aber Gewehre scheinen in Neuengland als Dekorationsstücke üblich zu sein. Neben dem offenen Kamin stehen eine alte Wärmflasche aus Messing und ein Ständer mit Kamingeschirr. Im Winter wird ihr immer erst richtig warm, wenn abends oder sonntags das Feuer brennt. Die Tapete im Wohnzimmer haben sie und Gene zusammen ausgesucht, nachdem sie Musterbücher durchgeblättert hatten, bis ihnen alles vor den Augen verschwamm. Die Schonbezüge hat sie selbst genäht, passend zum Grün der französischen Tapete, ebenso die cremefarbenen Vorhänge an den Fenstern. Sie hat in der Highschool nähen gelernt, aber die Feinheiten hat sie sich selbst beigebracht. Ab und zu musste Gene helfen, weil plastisches Denken nicht ihre Stärke ist.

 

Plastisch gesehen ist Rosie anders als Grace. Graces Formen sind weicher, eine schmale Taille allerdings haben beide Frauen trotz der Schwangerschaften. Neben der dunklen Grace wirken Rosies Züge blass, mit einem zarten Stich ins Orange. Ihre Wimpern und Augenbrauen heben sich kaum von der Haut ab, und den dünnen, schnittlauchglatten Haaren muss sie mit Lockenwicklern aufhelfen. Rosie kleidet sich und die Kinder, wenn sie sich dazu aufrafft, mit ihnen außer Haus zu gehen, in Marineblau oder Dunkelgrün. Bei jeder anderen Farbe hätte man den Eindruck, sie würden sich gleich in Luft auflösen.

Grace würde den ganzen Tag mit Rosie verbringen, wenn sie könnte, aber ein Blick auf ihre goldfarbene Timex zeigt ihr, dass sie für den Besuch bei ihrer Mutter schon spät dran ist.

 

Als Grace das Haus ihrer Mutter betritt, verspürt sie ein Gefühl großer Wärme und Geborgenheit. In ihrem eigenen Haus ist das nicht so, obwohl nachts und sonntags ein Mann da ist, um sie zu beschützen. Ihre Mutter, Marjorie, hat keinen Mann, der sie beschützt, und hat gelernt, damit zu leben. Schon im Flur, noch bevor sie die Kinder aus dem Wagen gehoben hat, fühlt Grace sich von dem vertrauten Geruch – der Wände, der Teppiche, der Mäntel an den Haken – in eine frühere Welt versetzt, bevor sie Gene kennenlernte, bevor das Leben ungewiss und sogar ein wenig beängstigend wurde.

»Für die Hungernden in Europa«, sagt Grace und hebt den Apfelkuchen hoch, den sie am Vormittag gebacken hat. Sie hat beim Boden an Höhe und beim Rand an Verzierungen gespart, um Teig für zwei kreuzweise Streifen über die Früchte zu erübrigen. Der Kuchen ist schön zart gebräunt, findet sie. Es gefällt ihr, dass ihre Mutter nicht sagt »Ach, das wäre doch nicht nötig gewesen« oder »Wie lieb von dir!«. Ein bloßes »Danke« tut’s für ihre Mutter.

Manche Leute legen Marjories wortkarge Art als Ungeselligkeit aus, aber das sehen sie falsch, und ihre besten Freundinnen wissen das. Es sind zwei, Evelyn und Gladys, die lang, nachdem das Trauermahl im Gemeindesaal verzehrt und ihr Vater in die Erde gelegt worden war, an der Seite ihrer Mutter geblieben sind.

 

Graces Vater starb vor dem Krieg, als er sich auf See mit dem Fuß in einer Leine verfing und von seinem Hummerkutter aus ins eiskalte Januarwasser gerissen wurde. Der Tod müsse augenblicklich eingetreten sein, sagte Dr. Franklin ihrer Mutter, ein schwacher Trost. Das Meer ist so kalt, dass die meisten Hummerfischer gar nicht erst schwimmen lernen. Ihre Mutter brauchte bis nach Kriegsende, bis zu Graces Heirat, um ihre lähmende Trauer zu überwinden. Mit sechsundvierzig hat sie gesagt, dass sie nie wieder heiraten werde. Grace glaubt ihr, und ebenso tun das offenbar die Männer in Hunts Beach, denn Grace hat nie mitbekommen, dass einer versucht hätte, sich ihr zu nähern. Es ist, als wäre mit ihrem Mann auch ihre Schönheit gestorben.

 

Sie essen an dem alten Küchentisch. Der Kuchen schmeckt so gut, wie Grace gehofft hat. Besser noch der Kaffee, in den ihre Mutter, bevor sie ihn durchlaufen lässt, immer ein Ei schlägt, um den Satz zu binden. Grace hält Claire auf dem Schoß und füttert sie mit kleinen Stückchen Apfelkuchen, und die Kleine entwickelt dabei einen Appetit, wie Grace ihn noch nie bei ihr erlebt hat. Sie stellt Claire ihren Kuchenteller hin und gibt ihr einen Kinderlöffel. Ihre Tochter isst wie im Rausch.

»Sie ist ein richtiges Leckermaul«, bemerkt ihre Mutter, während sie mit Tom turtelt. Sie trägt ihren Hausmantel zugeknöpft über ihrem grauen Winterkleid. Als Tom beginnt, sein Gesicht in den Stoff zu bohren, sagt sie: »Setz doch mal Wasser auf. Du weißt ja, wo die Flaschen und die Sauger sind. Ich habe frische Milch im Kühlschrank.«

Claire, endlich gesättigt, hockt wie betäubt inmitten ihrer Bauklötze auf dem Boden. Graces Mutter lebt zum einen von monatlichen Spenden des Verbands der Hummerfischer, die einen Teil ihres Lohns an Frauen vergeben, die ihre Männer auf See verloren haben. Und zum anderen bekommt sie Zahlungen aus der Lebensversicherung ihres Mannes. Ihr Abschluss war das Werk eines Versicherungsvertreters, der wusste, wie man mit einem Fischer reden musste.

 

Tassen mit Rosenmuster an Haken. Unter der Zimmerdecke eine Verzierung in einem Muster aus der Kolonialzeit. Unter dem Holztisch ein Flickenteppich. Das Zweitwaschbecken, an dem ihr Vater sich wusch, um den Fischgestank loszuwerden, bevor er sich zu seiner Familie gesellte. Der Türstopper aus Hartgummi. Der Küchenschrank mit den Schubladen, die klemmen. Die Stelle, wo das blau-weiße Linoleum immer schon brüchig war. Das zwei mal zwei Meter große Küchenfenster über der Spüle, das ihre Mutter aller Versuchung zum Trotz nie dekoriert hat. Der Schrank, in dem die Frühstücksflocken stehen. Die Mica-Scheibe in der Backofenklappe. Grace fragt sich, ob Tom und Claire, wenn sie sie später einmal besuchen, ein ähnliches Gefühl von Zuhause verspüren werden. Jedes Zuhause besitzt einen eigenen Charakter, den niemand erkennt außer die erwachsenen Kinder, wenn sie es wieder aufsuchen.

 

Grace würde gern darüber reden, was sich in ihrem Ehebett abspielt, aber über Sexualität haben Mutter und Tochter nie gesprochen. Als Grace mit zwölf das erste Mal ihre Periode bekam, hatte sie keine Ahnung, was vor sich ging. Da das Blut aus ihrem Unterleib kam, erriet sie schließlich, dass es etwas mit dem Kinderkriegen zu tun haben musste. Im Badezimmerschrank, versteckt hinter den Handtüchern auf dem ersten Bord, fand sie eine Packung Kotex-Binden und dazu eine Art dünnen Gürtel aus Gummiband, von dem kleine Klemmen herabhingen. Sie konnte nur versuchen, die Binde so gut wie möglich festzumachen. Am nächsten Morgen vor der Schule, als Grace am Tisch saß und ihre Rice Krispies aß, legte ihre Mutter ihr die Hand auf die Schulter. Sie ließ sie eine Weile dort ruhen, und Grace, die unter der Berührung erstarrte, verstand, dass ihre Mutter Bescheid wusste. Es wunderte sie und doch auch wieder nicht. Am Tag zuvor hatte sie anderthalb Stunden im Badezimmer zugebracht.

 

In diesen anderthalb Stunden hatte Grace den ganzen Schrank durchgekramt, weil sie hoffte, es ließe sich etwas Bequemeres zum Befestigen der Binde finden. Auf dem obersten Bord stieß sie auf einen alten rosa Gummiball mit einem langen dünnen Schlauch daran. Sie konnte sich nicht vorstellen, wozu man so etwas brauchte, aber sie wusste, dass es mit Sex zu tun hatte, sonst wäre es nicht dort versteckt gewesen. Erst kurz vor ihrer Heirat, als ihre Mutter darauf bestand, dass Grace vorher noch Dr. Franklin aufsuchte (vielleicht in der Hoffnung, dass der Arzt sie aufklären würde), und dieser ihr erklärte, eine Intimdusche sei nicht nötig, sie sei der Vaginalflora nicht einmal besonders zuträglich, begriff Grace. Sie wurde rot, allerdings nicht, weil die Neuigkeit ihr peinlich war. Sie wurde rot, weil sie sich ihre Mutter mit diesem Ding vorstellte.

 

Auf dem Heimweg von ihrer Mutter fragt sich Grace, warum sie Gene nicht sagen kann, wie es ihr im Bett mit ihm geht. Schließlich haben nur sie beide über ihre Ehe zu entscheiden. Fürchtet sie, dass einer von ihnen bei so einem Gespräch außer sich geraten könnte? Reicht es nicht, wenn sie weiß, dass sie im Bett nicht glücklich ist? Würde sie, wenn Gene stürbe, in einen ähnlich tiefen und verstörenden Zustand der Trauer verfallen wie ihre Mutter beim Tod ihres Mannes?

 

Am Abend, nachdem sie die Kinder zu Bett gebracht hat, zieht sie ihren Regenmantel über und geht den schmalen Weg hinauf bis zum Gehsteig. Ihr bleibt vielleicht eine Minute, bevor Gene ihre Abwesenheit bemerken wird. Es ist nicht viel, doch es ist alles. Sie ist die, die sie ist, nicht mehr und nicht weniger. Sie darf sich darüber Gedanken machen, dass der Nebel heranrollt und dass Regentropfen von den Blättern springen; dass das alte Ehepaar von gegenüber schon zu Bett gegangen ist; dass ihre Haare sich im Dunst leicht kräuseln und ihr das egal ist; dass ihre Kinder im Haus sind und schlafen und sie nicht brauchen; dass sie am Morgen nicht zum Fenster wird hinaussehen können; dass sie wahrscheinlich niemals das Autofahren lernen wird; dass sie immer nur so weit kommen wird, wie ihre Füße sie tragen; dass sie anfangen könnte, trotz des Wetters lange Spaziergänge mit den Kindern zu machen; dass jemand diese ziellosen Ausflüge bemerken und sich über sie wundern wird; dass Gene, wenn sie in weniger als einer Minute wieder ins Haus kommt, sagen wird, dass er jetzt nach oben geht; dass sie auf seinen Tonfall und seinen Blick achten muss, um zu erkennen, ob sie mit ihm hinaufgehen soll oder ob sie am Küchentisch noch eine Zigarette rauchen kann.

 

Als Grace sich an diesem Abend ins Bett legt, zieht sie kein Nachthemd an und lässt ihren Busen unbedeckt, damit Gene gleich beim Hereinkommen sieht, dass sie nackt ist. Sie weiß nicht, ob sie das tut, um ihn herauszufordern, oder weil sie, in Erinnerung an ihre ersten gemeinsamen Tage, wiederhaben will, was damals war. Gene macht ein überraschtes Gesicht, als er ins Zimmer tritt, und dreht ihr den Rücken zu, um sich auszukleiden. Grace möchte sich am liebsten zudecken, tut es aber nicht. Diese eine Nacht, ist das zu viel verlangt?

Erregt kommt er zu ihr ins Bett und schleudert die Decken weg. Zu spät erkennt Grace, dass an diesem Abend nichts zärtlich werden wird. Sie hat ihn eben doch herausgefordert. Er dringt augenblicklich in sie ein, obwohl sie längst nicht so weit ist. Es ist ein schmerzhafter Überfall. Er stößt in sie hinein, und es scheint, als nähme er absichtlich keine Rücksicht auf den Schnitt, der notwendig war, um Claire und Tom zur Welt zu bringen. Dort ist ihre empfindlichste Stelle, und Grace muss sich auf die Lippen beißen, um nicht laut aufzuschreien. Einmal versucht sie, ihm eine andere Position aufzuzwingen. Aber er drückt ihr mit einer Hand die Arme hinter den Kopf, und in dieser Stellung, angesichts ihrer Wehrlosigkeit, steigert sich seine Erregung bis zum höchsten Punkt. Aufbrüllend lässt er ihre Arme los, zieht sich aus ihr zurück und dreht sich von ihr weg. Es bleibt Grace überlassen, die Decken aufzuheben und über das Bett zu werfen.

Als sie sich wieder hinlegt, ist sie wund und muss das Laken auf die Stelle drücken, aus der sie vermutlich blutet. Es erscheint jetzt wenig wahrscheinlich, dass ihr je ein liebevoller Beiname für ihren Mann einfallen wird.

 

Drei Wochen nach der unsäglichen Nacht, die sich nicht wiederholt hat, unternimmt Grace ihren mittlerweile allabendlichen Ausflug zum Gehweg. Neben der wachsenden Zahl von Pfützen auf der Schotterstraße und den Fliederbüschen, die sich unter der Last ihrer welken, von Wasser durchtränkten Blüten beugen, bemerkt sie am westlichen Horizont einen breiten Streifen Blau unter einer dunklen Wolke. Helle Freude durchströmt sie. Morgen wird die Wäsche draußen an der Leine hängen, und sie wird ihre Haare in der Sonne trocknen lassen.

Trockenheit

Ein keilförmiger Ausschnitt zwischen zwei Häuserreihen bietet Grace einen beglückenden Blick auf glitzerndes Wasser und die Sonne, die im Osten hoch über dem Meer steht. Sie läuft in ihrem geblümten Morgenrock zur Tür hinaus, schaut zum Himmel und zum Kirschbaum hinauf und breitet dankbar und erleichtert die Arme aus. Sie bemerkt einen orangefarbenen Schimmer, Rosie taucht neben ihr auf und lacht über Grace und die Güte des Schicksals. »Gott sei Dank«, sagt sie.

»Endlich«, sagt Grace.

 

Sie öffnet alle Fenster, um die frische Luft hereinzulassen, und tanzt durch die Räume. Sie leert den Wäscheschrank, wäscht alles, was darin war, und hofft auf sonnengetrocknete Laken bis zum Abend. Die Frottiertücher werden kratzig, wenn sie an der Luft trocknen, genau wie es sein muss. Weiche Frottiertücher sind kuschlig, aber mit ihnen kriegt man die abgestorbenen Hautzellen nicht herunter.

 

Noch vor zehn Uhr morgens hat das Städtchen Hunts Beach frohgemut kapituliert, mit wehenden weißen Laken, bunten Handtüchern, blauen Hemden, rosa Kleidern, karierten Kitteln und grünen Bettüberwürfen. Es ist ein Wunder, denkt Grace auf dem Weg durch die Straßen, von denen Dampf in die kühle, trockene Luft aufsteigt. Hin und wieder schüttelt ein leichter Wind kurze Regenschauer vom Laub der hohen Eichen. Der modrige Geruch, der über der Stadt lag, verschwindet wie von Zauberhand. In jedem Haus sind fast alle Fenster geöffnet, obwohl die Temperatur sicher nicht über zehn Grad liegt. Sie hält im Gehen ihr Gesicht in die Sonne. Neues Leben. Die flatternden Laken und Kleider, denkt Grace, sind doch kein Zeichen der Kapitulation, vielmehr ein Symbol des Überlebens.

 

Gene kommt nach Hause, bevor Grace überhaupt mit den Vorbereitungen für das Abendessen angefangen hat. Sämtliche Körbe, die sie besitzt, sind randvoll mit lose gefalteten Wäschestücken, die morgen gebügelt werden sollen. Durch das Seitenfenster sieht sie seinen Wagen mitsamt einem Anhänger, dicht bei der Veranda. Grace macht die Tür auf, um zu sehen, was sich unter der Plane befindet, und mit großer Geste enthüllt Gene eine gebrauchte Wasch- und Wringmaschine, ein Geschenk für Grace. Sie weiß genau, was das Geschenk bedeutet, eine verspätete Bitte um Verzeihung für eine Nacht, an die zu denken unerträglich ist. Aber wider Willen ist sie fasziniert von dem Gerät, seinem großen Flügelradbottich und den hölzernen Rollen, die das Wasser besser aus der Wäsche pressen, als zwei geübte Hände es können.

Gemeinsam bugsieren sie die schwere Maschine die schmale Rampe des Anhängers hinunter und begutachten sie dann, als sie auf dem Rasen gelandet ist. Alle Wasch- und Wringmaschinen sind mit Rollen versehen, erklärt Gene, damit man sie zum Spülbecken rollen kann, wo der Wasserschlauch an den Hahn angeschlossen werden muss. Eine Waschmaschine über den Rasen zu schieben ist schweißtreibende Arbeit, aber Grace möchte sie erledigen, bevor zu viele Nachbarn etwas mitbekommen. Eine Wasch- und Wringmaschine ist ein großer Luxus. Nur Merle, Genes Mutter, und Dr. Franklins Frau besitzen eine, soweit Grace weiß. Sie und Gene hieven die Maschine über die Stufe zur Veranda und dann noch einmal über die Schwelle zur Küche. Claire, die im Wohnzimmer im Laufstall spielt, quietscht laut, als sie die Stimme ihres Vaters hört.

»Wir machen jetzt zur Probe erst mal eine kleine Wäsche«, sagt er.

Er nimmt Claire auf den Arm, trägt sie in die Küche und setzt sie auf den Boden. Auch sie ist fasziniert von dem Gerät, ganz weiß und größer als ein Mensch. Gene führt vor, wie verschiedene Ringe aus Gummi verwendet werden können, um, wenn nötig, die Verbindung zwischen Schlauch und Wasserhahn besser abzudichten. Während Grace zusieht, wie sich der Bottich mit Wasser füllt, läuft Gene zum Auto hinaus und kehrt mit einer Flasche Vano zurück. »Das brauchst du für die Maschine«, sagt er.

Er hebt Claire hoch, damit sie zuschauen kann, wie der Seifenschaum bis zum Rand des Bottichs aufsteigt. Grace läuft nach oben, um einen Stapel Kissenbezüge zu holen, die sie dann genau nach Genes Anweisung in den Bottich wirft. Als er den Stecker in die Steckdose steckt, beginnt das Flügelrad, sich hin- und herzudrehen.

»Toll«, sagt Grace.

Claire klatscht in die Hände.

Zehn Minuten lang sehen sie zu. Dann dreht Gene den Wasserhahn zu und führt den Schlauch über das Fensterbrett nach draußen. Er legt einen Hebel unten an der Waschmaschine um. Das Seifenwasser fließt in die Erde ab, und zurück bleiben die schaumbedeckten Kissenbezüge auf dem Grund des Bottichs. Grace lässt ihn bis zur Hälfte volllaufen und rührt die Kissenbezüge durch, um sie auszuspülen. Danach zeigt ihr Gene, indem er seine Hände auf ihre legt, mit wie viel Spannung man die Bezüge durch die Wringvorrichtung ziehen muss.

Als Grace einen stramm gezogenen Kissenbezug in der Hand hält, hebt Gene ihr Gesicht zu seinem. Er drückt ihr einen sanften Kuss auf die Lippen. Er nennt sie Täubchen.

Kann eine Waschmaschine eine Ehe retten? Sie hält ein Ja für wahrscheinlich.

 

In den nächsten Wochen wäscht Grace fröhlich sämtliche Kleidung und Bettwäsche im Haus und zieht jedes einzelne Stück durch die Wringmaschine. Ihr passieren ein paar Missgeschicke, so zum Beispiel als der Schlauch mit dem Seifenwasser ins Haus zurückschnellt und die Küche einsprengt, wobei das Radio mit knapper Not einem Bad entgeht. Oder als sie, wie gebannt vom Hin und Her des Flügelrads, ein Stück Toast in die Waschmaschine fallen lässt. Sie greift mit der Hand danach, bevor sie das Gerät ausgestellt hat, und bekommt zur Strafe einen heftigen Schlag. Sie zieht den Stecker und versucht, den Toast mit einem Sieb herauszufischen. Aber das Brot zerfällt bei der Berührung. Als sie am nächsten Morgen die Wäschestücke dieser Ladung bügelt, findet sie winzige Toastkrümel an ihrer Lieblingsbluse.

 

Sie wäscht so viel, dass alle Leinen im Garten voll sind. Sie muss eine weitere über die Veranda spannen und noch eine quer durch die Küche. Der Haufen Bügelwäsche wächst ins Uferlose.

Gene, der sich durch die Küche ins Wohnzimmer schlängelt, erklärt Grace, dass Wasser Geld kostet.

 

An einem sommerlichen Samstag, für Grace immer noch der Beginn des Wochenendes, obwohl Gene an dem Tag zur Arbeit muss, zieht sie den Kindern etwas Leichtes an und geht mit ihnen an den Strand. Der Sand ist kühl, aber trocken. Anscheinend haben alle Leute aus Hunts Beach und dem Umkreis die gleiche Idee gehabt; auf dem Deich stehen reihenweise Autos jeder Farbe und jeden Modells. Grace breitet die mitgebrachte Decke auf dem Sand aus und errichtet ein Zelt aus dünnem Stoff, unter dem Tom schlafen kann, wenn er will. Zögernd knöpft sie ihr Kleid auf, unter dem sie den zweiteiligen weißen Badeanzug mit dem schulterfreien, im Nacken gebundenen Oberteil und dem kurzen Röckchen trägt. Sie weiß, dass die Farbe ihrer Haut schmeichelt, wenn sie gebräunt ist. Obwohl sie den Blick aufs Wasser gerichtet hält, merkt sie, dass man nach ihr schaut. Sie zieht Claire bis auf ihren kleinen rot-weiß gepunkteten Anzug aus, dann gehen sie gemeinsam zum Wasser. Der Atlantik ist noch kalt, aber Grace hält aus, bis ihre Füße bis zu den Knöcheln taub sind. Im seichten Wasser macht sie mit Claire eine kleine Spritzschlacht. Das Geräusch der Brandung beruhigt Grace – es überblendet die einzelnen Stimmen um sie herum. Claire gefällt das sanfte Auf und Ab des Meers, von dem sie hinausgezogen und wieder zurückgeschoben wird. Grace setzt sich im flachen Wasser auf und sieht Claire eine Weile zu, bevor sie sich ebenfalls ausstreckt und sich gemeinsam mit ihrer Tochter von den Wellen ziehen und schieben lässt. Claire lacht ihre Mutter im Wasser an, und Grace lacht mit. Die rhythmische Bewegung des Meers wirkt auf alle Sinne – sie hat das aus ihrer Kindheit lebhaft in Erinnerung –, und es dauert nicht lang, da sammelt sich nicht nur in Claires, sondern auch in ihrem Badeanzug Sand. Sie strampeln mit den Füßen, bis das Wasser schäumt, dann schlägt Grace vor, eine Burg zu bauen. Doch sobald Grace eine Masse kompakten Sands angehäuft hat, stößt Claire ihre Hand hinein. Sie scheint zu glauben, das sei der Sinn des Spiels.

 

Nach einer Stunde etwa beginnt Tom, der sonst immer ungewöhnlich brav ist, zu wimmern. Grace hebt den dünnen Gaze-Schal hoch, aus dem sie das Zelt konstruiert hat, und entdeckt, dass Gesicht und Hals ihres Sohnes krebsrot sind. Als sie einen Finger auf seine Wange drückt, hinterlässt er einen deutlichen weißen Abdruck, der nur langsam wieder vergeht.

»Ach, Tom«, sagt sie und nimmt ihn auf den Arm.

Hätte Rosie zugelassen, dass ihr Kind sich einen Sonnenbrand holt? Niemals. Rosie wäre mit einem Schirm und einem Mützchen für Eddie gekommen und hätte den Säugling die ganze Zeit getragen.

 

Ein Sonnenbrand klingt nicht innerhalb eines Tages ab. Am Abend hat Tom Fältchen um die Augen. Als Gene zur Tür hereinkommt und seinen Sohn sieht, sagt er: »Was zum Teufel ist mit Tom los?« Und gleich darauf: »Meine Mutter ist im Krankenhaus.«

»Was hat sie denn?«, fragt Grace.

»Brustkrebs.«

Das Wort trifft Grace wie ein Schlag in den Nacken. Sie meint, sie sollten einen Babysitter besorgen. »Dann können wir zu ihr fahren. Ich habe frische Rosen, die wir ihr mitbringen können.«

»Ich war schon dort.« Gene wirft seine Sachen auf den Küchentisch, als wäre der noch gar nicht gedeckt. »Ich war den ganzen Nachmittag bei ihr.«

Grace lässt sich schwer auf einen Stuhl fallen, und Kaffeepulver stäubt von einem Löffel. »Wann hast du es erfahren?«

»Letzte Woche, als ich die Kinder rübergebracht habe. Sie wird am Montag operiert.«

»Und du hast mir nichts gesagt?«

»Sie wollte kein Theater.«

»Ich mache kein Theater, das weißt du.«

Gene starrt seinen rot verbrannten Sohn an. »Sie nehmen ihr die Nebennieren heraus. Und die Eierstöcke auch.«

»Mein Gott«, sagt Grace. »Warum denn die Nebennieren?« Sie weiß, dass sie nicht zeigen könnte, wo in ihrem Körper die Nebennieren sitzen.

»Damit kein Östrogen mehr produziert wird. Deswegen auch die Eierstöcke.«

»Beide?«, fragt Grace.

»Eierstöcke?«

»Brüste.«

»Natürlich«, antwortet Gene und sieht seine Frau an, als wäre sie schwachsinnig.

 

Grace möchte nicht, dass Merle stirbt. Wenn das geschähe, würde sie ihren Mann an die Trauer verlieren, und ihre Kinder hätten keine Nana mehr.

»Vielleicht nach der Operation«, sagt Gene beschwichtigend. Die Erkrankung seiner Mutter ist schließlich nicht Graces Schuld. »Dann besuchen wir sie zusammen. Ich fahr jetzt wieder zu ihr, um sie zu beruhigen.«

»Hat sie Angst?«

»Hättest du keine?«

Gene küsst Claire und Tom und öffnet die Tür.

»Alles Liebe von mir«, ruft Grace, genauso überrascht wie Gene über dieses Wort, das sie in Bezug auf ihre Schwiegermutter nie zuvor gebraucht hat.

»Richte ich aus«, sagt Gene, aber Grace weiß, dass er es nicht tun wird. Warum seine Mutter mit einem Namen aufregen, den diese nicht ausstehen kann?

 

Da Toms Haut sich zu schälen beginnt, verpasst Grace absichtlich einen Termin bei Dr. Franklin.

 

Nach der Operation möchte Genes Mutter nur noch sterben. Sie glaubt, keine Frau mehr zu sein.

 

Gene verbringt immer mehr Zeit bei seiner Mutter, und das erweist sich als ein Glück, denn Mrs Holland stirbt zehn Tage nach der Operation an einem Blutgerinnsel, das ihr Herz erreicht. Gene ist überzeugt, dass seine Mutter sterben wollte. Grace, die nie Gelegenheit zu einem Besuch hatte, ist überzeugt, dass Genes Mutter gar nichts wusste oder sich wünschte, als das Gerinnsel ihr Herz traf.

 

»Wie geht es Gene?«, erkundigt sich Rosie ein paar Tage nach der Beerdigung, als sie und Grace mit den Kindern in ihrem Garten sitzen. Rosie hat gerade mehrere Ladungen Wäsche in Graces Maschine gewaschen.

»Es geht so.«

»Die Wahrheit.«

»Es geht ihm schrecklich schlecht. Ich fühle mich schuldig. Ihm gegenüber.«

»Wieso denn?«

»Wenn ich seine Mutter ab und zu mal besucht hätte, hätte sie keinen Brustkrebs bekommen.«

»Also, das ist das Dümmste, was ich je gehört habe.«

»Ja, na ja.« Sie überlegt einen Moment. »Aber weißt du, es kommt mir so vor.«

Es kommt ihr so vor, als hätte sie ihre Schwiegermutter fortgewünscht. Nicht tot, nur fort. Es kommt ihr so vor, als hätte sie auch diese entsetzliche Nacht selbst herausgefordert, obwohl sie im Grunde weiß, dass es nicht so ist. Eins weiß sie jedenfalls gewiss, nämlich dass sie und Gene viel zu lang nicht mehr miteinander geschlafen haben. Und irgendwie kommt es ihr so vor, als wollte sie gar nicht wieder damit anfangen.

 

Eines Morgens, als Grace die Kinder füttert, hört sie durchs Fenster das Klatschen der Brandung, die am Strand, zwei Straßen entfernt, gegen die Felsen knallt. Natürlich hat sie die Brandung auch früher schon von ihrem Haus aus gehört, aber sie scheint ihr an diesem stillen klaren Sommertag besonders laut zu sein, ein Paradox, das sie verwundert.

Mit Claire an der Hand und Tom im Kinderwagen – inzwischen hat sie einen kleinen Schirm daran befestigt – geht sie zum Strand. Sie kommt nicht weiter als bis zum Gehweg gegenüber vom Damm, denn jedes Mal, wenn eine hohe Welle hereinkommt, spritzt die Gischt über ihn hinweg. Eine solch heftige Brandung hat sie noch nie gesehen. Die Bewohner der Häuser direkt gegenüber dem Damm sind herausgekommen, um sich das anzuschauen. Claire hüpft auf und ab, zitternd vor Vergnügen und Furcht. Gerade als es so aussieht, als wollte eine Welle so hoch aufspritzen, dass die Gischt über die Straße fliegen und sie alle durchnässen würde, bricht sie sich am Deich und wird von der Gegenströmung fortgerissen.

Eine Frau, die Grace nie gesehen hat, stellt sich zu ihr und sagt: »Wenn es das Haus schluckt, hab ich nichts mehr.«

»Das wird es nicht. Es geht ja kein Wind.«

»Dabei ist noch nicht mal Hochwasser«, bemerkt die Frau in dem praktischen grünen Kleid.

Wenn Grace auch nur das geringste Interesse für die Gezeitentabelle aufbrächte, die Gene innen an die Kellertür geheftet hat, wüsste sie das. »Wahrscheinlich war irgendwo draußen auf dem Meer ein Sturm.«

»Keine Ahnung. Auf jeden Fall macht’s ganz schön Angst.«

Der Kopf der Frau wirkt klein, aber das kommt daher, dass sie die Haare rundherum mit Haarnadeln aufgedreht hat. Ganz sicher aber sieht sie schlecht: Keine Frau würde sonst außer Haus eine Brille tragen. Ihre hat einen Goldrand und ovale Gläser. »Wohnen Sie auch hier in der Straße? Ich habe Sie noch nie gesehen«, sagt die Frau.

»Nein, unser Haus ist zwei Straßen weiter hinten.«

»Ach so, ja, dann brauchen Sie sich nicht zu sorgen.« Die Frau starrt Graces Kinder an. »George und ich konnten keine bekommen.«

»Das tut mir leid«, antwortet Grace, leicht aus der Fassung gebracht durch diese Enthüllung. »Wenn Sie sich welche gewünscht haben, meine ich.«

»O ja, und wie ich sie mir gewünscht habe. Für George kann ich nicht sprechen, er ist schon lange nicht mehr da.« Mit verschränkten Armen und zusammengekniffenem Mund fragt die Frau: »Mögen Sie Ihren Mann?«

»Ja.«

»Dann lassen Sie ihn nicht gehen. Das Leben ohne Mann ist verdammt hart.«

Grace sieht ihr nach, als sie sich in ihr Haus zurückzieht. Wird sie jetzt die Fenster mit Brettern vernageln? Hätte Grace ihr Hilfe anbieten sollen? Wie muss die Frau sie hassen, sie mit ihrem Haus, das zwei Straßen weiter in Sicherheit liegt, mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern.

Die Brandung steigt bis zur Höhe der Bäume hinter ihr. Die Gischt nässt die Straße. Was sind das für Botschaften von anderswo? Es ist unmöglich, das Meer in diesem Moment nicht bedrohlich zu finden. Ihm nicht einen eigenen zornigen Willen zuzuschreiben.