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Philippe Sergent ist leidenschaftlicher Fotograf und praktiziert seit 2011 das Urban Exploring und Fotografieren von Lost Places. Er ist durch ganz Europa gereist, von Frankreich bis zur Ukraine, durch Deutschland, Italien, Belgien und England, um neue Welten zu entdecken und unbekannte, verlassene Orte zu erschließen (Tschernobyl, Schlösser, Herrenhäuser, Industrieanlagen, Kriegsschiffe etc.). Seine Faszination gilt dem Vergehen der Zeit und der »Deindustrialisierung« Europas.

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Philippe Sergent

Urbex-Fotografie

Industriebrachen, verlassene Orte, unterirdische Hohlräume und Roofing

Aus dem Französischen übersetzt von Alessandra Barabaschi und Axel Schwalm

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Philippe Sergent

Übersetzung: Alessandra Barabaschi, Axel Schwalm

Lektorat: Rudolf Krahm

Copy-Editing: Petra Kienle, Fürstenfeldbruck

Satz: Veronika Schnabel

Herstellung: Stefanie Weidner

Umschlaggestaltung: Michael Oréal, www.oreal.de, unter Verwendung eines Bildes des Autors

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:

Print978-3-86490-609-1

PDF978-3-96088-578-8

ePub978-3-96088-579-5

mobi978-3-96088-580-1

1. Auflage 2019

Translation Copyright für die deutschsprachige Ausgabe © 2019 dpunkt.verlag GmbH

Wieblinger Weg 17

69123 Heidelberg

Original French title: Les secrets de la photo urbex © 2018 Groupe Eyrolles, Paris, France, ISBN: 978-2-212-67517-7

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

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Danksagung

Ich widme dieses Buch

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Vorwort

Urbex bedeutet »Urban Exploration« und ist heute in Mode gekommen, weil sie von den Medien und sozialen Netzwerken populär gemacht wurde. Für lange Zeit ein Geheimnis und nur einigen Anhängern bekannt, ist diese Disziplin in letzter Zeit aus dem Schatten hervorgetreten und hat eine Welle der Begeisterung auf der ganzen Welt ausgelöst. Trotzdem bleibt die Urbex im Kern diskret, sogar heimlich und folgt ihren eigenen Regeln: Nichts zerbrechen, nichts stehlen, nur Fotos machen und nichts hinterlassen außer den eigenen Fußabdrücken, so lautet der Ehrenkodex dieser Tätigkeit, die es heute angesichts ihrer Popularität so schwer hat, sich selbst daran zu halten.

Die Urban Exploration hat nicht nur den Beigeschmack des Verbotenen und des Adrenalins. Sie wird auch von einer fotografischen und fast schon soziologischen Arbeit des Dokumentars und Geschichtsschreibers begleitet. »Urbexer« zu sein, bedeutet die Spur des Menschen wiederzuentdecken, seine industrielle Vergangenheit und sogar die persönlichsten Geschichten. Es bedeutet zu verstehen, warum ehemals lebhafte, pulsierende Orte über Nacht verlassen wurden.

Es geht auch darum, beim Blick durch das Objektiv die Stadt neu zu sehen, Schönheit zu zeigen, wo andere nichts als Verfall und Zerstörung wahrnehmen. An einer Straßenbiegung fahren Sie vielleicht jeden Tag an einem noch zu entdeckenden Ort vorbei, ohne sich irgendwelche Fragen zu stellen. Was befindet sich hinter dieser von Brombeersträuchern verdeckten Mauer?

Dieses Buch möchte diejenigen begleiten, die sich dieser Tätigkeit zuwenden wollen. Es soll sie vor Risiken warnen und sie dazu bringen, sich die guten Reflexe der Wachsamkeit und der fotografischen Technik anzueignen. Denn seien wir ehrlich, selbst wenn die Urbex sehr spannend sein kann, ist sie doch eine potenziell gefährliche und illegale Aktivität.

Inhalt

1Die Urbex, eine Welt für sich

1.1Urbex oder Urban Exploration, was ist das?

Eine heimliche Praxis, eine illegale Tätigkeit

Eine Tätigkeit, die gefährlich sein kann

1.2Die Gesinnung des Urbexers

Der Urbexer, ein Draufgänger wie Indiana Jones?

Grundsätze, die zu beachten sind

Die Kultur der Geheimhaltung

2Eine Erkundung vorbereiten

2.1Kein Raum für Improvisation

2.2Auf der Suche nach dem Gral

Die Adresse finden

Die Bewachung umgehen

Halten Sie Plan B parat

2.3In welcher Jahreszeit aufbrechen?

3Die Ausrüstung des Urbexers

3.1Die Grundausstattung

3.2Fotografische Ausrüstung

Die Kamera

Die lichtstarken Objektive

Die Beleuchtung

3.3Das Zubehör

Das Stativ

Die Speicherkarten

Die Kameratasche

4Die Aufnahme bei der Urban Exploration

4.1Meistern Sie die Grundlagen der Fotografie

Bildausschnitt und Komposition

Das Licht

4.2Die Kameraeinstellungen beherrschen

Die Bildformate

Der Bildstil

Das Fokussieren

Die Belichtungsmessung

Die Belichtungsmodi

4.3Belichten Sie Ihre Fotos richtig

Die Messwertspeicherung

Die B-Einstellung (oder »Bulb«) für Langzeitbelichtungen

5Bilder nachbearbeiten

5.1Die Software

5.2Das Editing der Bilder

5.3Die Entwicklung und die Korrekturen

Der Vorteil des RAW-Formats

Die grundlegenden Korrekturen

Die Korrektur von Bildverzerrungen

Die Schärfe

Das Freistellen

Die Staubreinigung

Die HDR-Technik

Die Umwandlung in Schwarzweiß

6Das »Making-Of« der Urbex-Fotos

6.1Papier, bitte!

6.2Die entweihte Statue

6.3Seeschlacht

6.4Das Gewicht der Vergangenheit

6.5Die verlassene Schule

6.6Das unglückliche Riesenrad

6.7Die Schmiede des Vulcanus

6.8Auf den Schienen

6.9Die Königinnen

6.10Die 1001 Nächte

6.11Die Wendeltreppe der Diktatur

6.12Alpha und Omega

6.13Endstation

6.14Das Bergwerk des Monsieur G

6.15Vergangene Antriebe

6.16Jagd auf Roter Oktober

7Andere Ansichten zur Urbex-Fotografie

7.1.Maxime Cotte

7.2.Pierre-Henry Muller

7.3.MonsieurKurtis

7.4.Brian Precious Decay

7.5.Umbertha

Fazit

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1Die Urbex, eine Welt für sich

Die Urbex-Bewegung, zusammengezogen aus Urban Exploration – also auf Deutsch in etwa »Erkundung der Stadt«,1 – nahm ihren Anfang in den 1990er Jahren mit dem Kanadier Jeff Chapman, alias Ninjalicious. Diese meist illegale Tätigkeit besteht darin, Orte zu erkunden, zu denen die Öffentlichkeit keinen Zutritt hat (stillgelegte Fabriken, Tunnel, Baustellen, Dächer …). Die Stadt wird zu einem riesengroßen Abenteuerspielplatz. Der Urbex-Fotograf berichtet von seinen heimlichen Erkundungen und bietet einen anderen Blick darauf. Der Verstoß gegen die Regeln ist kein Selbstzweck. Von den Kellern bis zu den Dächern der Gebäude sind die Entdecker getrieben vom Hunger nach geschichtsträchtigen Orten, die den anderen Städtern meist verborgen bleiben – und doch entfaltet sich das Schauspiel nur wenige Schritte unter ihren Füßen oder über ihren Köpfen …

1.1Urbex oder Urban Exploration, was ist das?

Die Urban Exploration ist ein weit gefasster Begriff, der viele Aktivitäten umfasst, von der Besichtigung städtischer Kanalisationen bis zum Einschleichen in eine Fabrik, die noch in Betrieb ist. Mit der Entwicklung des Internets und folglich der Verbreitung von Fotos im Web wächst das Interesse in den sozialen Netzwerken und Medien an dieser Disziplin, weshalb diese Bewegung seit 2010 einen wachsenden Zulauf erlebt.

Im Großen und Ganzen umfasst die Urbex drei Felder:

DIE KATAPHILENBEWEGUNG

Die Kataphilenbewegung begann in den 1970er Jahren mit dem Abstieg von Neugierigen in die Katakomben von Paris, um dort zu feiern. Heute sehr aktiv, zieht diese Pariser Community eine große Anzahl von Enthusiasten an. Seit den 1980er Jahren ist das Tunnelnetz über die berühmten »Chatières« (Klappen) auf einer Eisenbahnbrache oder über andere Zugänge auf öffentlichen Straßen zugänglich. Dies sind schwierige und sehr enge Einstiege, die nur kriechend durchquert werden können und damit den Zugang zu den Katakomben erheblich erschweren.

Berühmt sind auch die unterirdischen Anlagen der Stadt Lyon, darunter das Netz, das sich vom Croix-Rousse ausbreitet und als »les arêtes de poisson« (die Fischgräten) bekannt ist.

Die Urban Explorer werfen einen anderen Blick auf die Stadt, indem sie ständig nach neuen Spielplätzen im Zentrum oder eher außerhalb suchen. Diese halten sie dann geheim und geben ihnen sogar Codenamen. Das Abenteuer beginnt an Orten, denen die Menschen keine Beachtung mehr schenken. Einmal unterwegs, sobald der erste Schritt getan, die verbotene Grenze überschritten worden ist, hinter einer Tür, einem Zaun oder einem Schild »Zutritt verboten«, fängt das Entdecken an.

Bevor wir uns den technischen und praktischen Aspekten dieses Foto-genres zuwenden, ist es wichtig, daran zu erinnern, dass die Durchführung eines solchen Abenteuers nicht ohne Risiko erfolgt. Im Gegenteil, sowohl bezüglich der körperlichen Unversehrtheit des Fotografen als auch der Risiken auf der Ebene des Gesetzes ist alles eine Frage der Vorbereitung und der Vorausschau.

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Ehemalige Büros einer der reichsten Familien Frankreichs. Heute steht das Gebäude unter Denkmalschutz und wartet auf seine zukünftige Sanierung.

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Tauben scheinen Billard zu mögen … Es ist nie angenehm, sich mitten im Taubenkot zu bewegen. Sie sind obendrein Träger von Krankheiten, sogar durch bloßes Einatmen.

Eine heimliche Praxis, eine illegale Tätigkeit3

Ein privates Gelände, sogar ein verlassenes, ohne Genehmigung des Eigentümers zu betreten, ist ein Einbruch, der meistens folgenlos bleibt, außer im Falle von Vandalismus. Wenn die Polizei Sie vorübergehend festgenommen hat, darf der Eigentümer eine Strafanzeige wegen Verletzung von Privateigentum erstatten. Denn selbst wenn diese Orte verwahrlost sind und der Zugang nicht versperrt ist, gibt es immer einen privaten oder öffentlichen Eigentümer.

Die Urbex ist eine heimliche Aktivität, aber nicht immer völlig illegal. Denn wenn der Hausfriedensbruch auch durch das Gesetz bestraft wird, liegt das Eindringen in privates Gelände in einer rechtlichen Grauzone.

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Dieses Schild ist nicht wirklich abschreckend, sondern eher lustig … Der Wächter dieser verlassenen Burg duldet keine Eindringlinge und ruft jedes Mal die Polizei, wenn er einen Fotografen entdeckt …

Das Strafmaß richtet sich nach der Art des Ortes. Einbruch oder Sachbeschädigung sind erschwerende Umstände, unter denen aus einer einfachen Personalienfeststellung ein Polizeigewahrsam mit anschließendem Verfahren werden kann. Der Hausfriedensbruch wird jedoch häufig als erschwerendes Kriterium angesehen, wenn der Ort beschädigt wird (wenn Sie beispielsweise den Zutritt mit Gewalt erzwingen). Die Strafe beträgt dann ein Jahr Gefängnis und 15.000 Euro Bußgeld gemäß § 226-4 des Strafgesetzbuches.

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Sie müssen mit Sachkenntnis erkunden und verantwortungsbewusst handeln. Sie betreten tatsächlich privates Gelände von Eigentümern, die nicht geneigt sind, Sie willkommen zu heißen.

Die ehemaligen Militärstandorte, die bei den Urbex-Fotografen hoch im Kurs stehen, sind Gegenstand eigener Gesetze. Gemäß § 413-5 des Strafgesetzbuches gilt:

»Sich ohne die Genehmigung der zuständigen Behörden Zutritt zu einem Grundstück, einem Gebäude oder einer Maschine zu verschaffen, die der Militärbehörde unterstellt ist oder ihrer Aufsicht untersteht, wird mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 15.000 Euro Bußgeld bestraft.«

§ R645-2 desselben Strafgesetzbuches sieht außerdem eine zusätzliche Geldbuße oder sogar die Beschlagnahme von Material vor, wenn Bilder gemacht werden:

»Zeichnungen, Vermessungen, Bild- oder Tonaufnahmen jeglicher Art sowie des Nachrichtenverkehrs in einem von der Militärbehörde festgelegten und mit besonderen Schildern versehenen Verbotsgebiet, ohne Genehmigung dieser Behörde, werden mit einer Strafe der 5. Klasse bestraft. Diejenigen, die sich der in diesem Paragraf vorgesehenen Zuwiderhandlung schuldig gemacht haben, müssen zusätzlich mit der Beschlagnahme des Materials und der Geräte rechnen, die zur Begehung der Straftat verwendet wurden oder bestimmt waren, sowie ihrer Ergebnisse. Die Wiederholung der in diesem Paragrafen vorgesehenen Zuwiderhandlung ist gemäß § 132-11 strafbar.«

Im Jahr 2016 haben Parkour-Enthusiasten (eine Sportart, die Laufen, Springen und Klettern verbindet, um eine Folge von urbanen Hindernissen mit schnellen und geschickten Bewegungen zu überwinden) eine Beschwerde von der französischen Marine erhalten, nachdem ihre Bilder im Lokalfernsehen ausgestrahlt wurden. Die Gruppe hatte tatsächlich ein Jahr zuvor ein altes Schiff als Trainingsplatz benutzt. Bei dieser Gelegenheit erinnerte die Marine daran, dass nach jedem Eindringen in eine Militäranlage eine Strafanzeige gestellt werde und sie erinnerte gleichermaßen an die Gefahren, weil diese Schiffe nicht länger gewartet würden. Dasselbe gilt auch für die SNCF (staatliche französische Eisenbahn), die darauf hinweist, dass »das Eindringen in ein Eisenbahngelände streng verboten ist. Die Geldbuße beträgt 3.750 Euro sowie eine sechsmonatige Haftstrafe.«

An einem verbotenen Ort riskieren Sie, sogar noch vor der Ankunft der Polizei, möglicherweise eine Konfrontation mit den Eigentümern oder Wachleuten des Orte s, die im Allgemeinen wenig empfänglich für den Charme der Urbex und Ihres künstlerischen Vorhabens sind. Sie müssen oft sehr vorsichtig bei Ihren Erkundungen sein, weil die Besitzer auch Kameras oder stille Alarmanlagen installiert haben können. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass einige Wächter Hunde besitzen, die sie auf dem Gelände frei laufen lassen. Auch wenn es möglich ist, mit jemandem zu reden, sogar wenn er wütend ist, ist das Verhandeln mit einem Wachhund, der darauf trainiert ist, Eindringlinge aufzuspüren, deutlich schwieriger …

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Obwohl es verlassen wirkt, kann militärisches Gebiet als Übungsgelände dienen. Auf diesem Gelände hörten wir in der Ferne Soldaten im Manöver. Wir hatten gerade noch Zeit, das Weite zu suchen!

Seien Sie beruhigt! Wachleute, die bei Übergriffen und beim Beschädigen von Kameraausrüstungen übermäßigen Eifer zeigen, sind extrem selten, obwohl es in der Vergangenheit einige Fälle in den Vereinigten Staaten und Australien gegeben hat. Die russische Entdeckerin Lana Sator hat ihrerseits wiederholt hochsensible Orte erkundet, darunter eine Raketenfabrik in der Nähe von Moskau. Sie erhielt zahlreiche »Aufforderungen«, ihre von vielen russischen und ausländischen Medien veröffentlichten Fotos nicht mehr zu zeigen. Wenn Sie einen hoch strategischen Ort erkunden, können Sie sich vor allem in Osteuropa dem Risiko erheblicher Strafen aussetzen …

Andere Entdecker, insbesondere in Detroit in den Vereinigten Staaten, mussten die bittere Erfahrung machen, von lokalen Banden ausgeraubt zu werden, die immer mehr Leute mit wertvollen Kameras um den Hals vorbeikommen sahen … Sammeln Sie so viele Informationen wie möglich und erkunden Sie das Gelände. Schätzen Sie die potenziellen Gefahren vor dem Betreten ein. Es geht vor allem darum, ein Foto zu machen, nicht darum, sich in Gefahr zu bringen.