Cover

MUSIK-KONZEPTE Neue Folge

Die Reihe über Komponisten

Herausgegeben von Ulrich Tadday

Heft 183

Klaus Ospald

Herausgegeben von Ulrich Tadday

Februar 2019

Wissenschaftlicher Beirat:

Ludger Engels (Aachen, Regisseur)

Detlev Glanert (Berlin, Komponist)

Jörn Peter Hiekel (HfM Dresden/ZHdK Zürich)

Birgit Lodes (Universität Wien)

Laurenz Lütteken (Universität Zürich)

Georg Mohr (Universität Bremen)

Wolfgang Rathert (Universität München)

Print ISBN 978-3-86916-743-5
E-ISBN 978-3-86916-745-9

Umschlaggestaltung: Thomas Scheer

Umschlagabbildung: Klaus Ospald, © Maurice Weiss

Die Hefte 1–122 und die Sonderbände dieses Zeitraums wurden von Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn herausgegeben.

E-Book-Umsetzung: Datagroup int. SRL, Timisoara

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© edition text + kritik im Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, München 2019

Levelingstraße 6a, 81673 München

www.etk-muenchen.de

Inhalt

Vorwort

Laurenz Lütteken
Für Klaus Ospald
Laudatio zur Verleihung des Kulturpreises der Stadt Würzburg (2017)

Wolfgang Thein
Der eingesunkene Text
Klaus Ospalds »Más raíz, menos criatura«

David Reißfelder
Die zweite Kammersinfonie il fiore del deserto
Ausdruck einer existenziellen Perspektive auf das menschliche Dasein

Oliver Wiener
»Io solitario in questa rimota parte alla campagna uscendo«
Klaus Ospalds Werkgruppe Entlegene Felder

Peter Hirsch
Übers Nahelegen des Entlegenen
Klaus Ospald »in questa rimota parte«

Inga Mai Groote
»warum ist diese welt so schlecht«?
Der Epilog zu Klaus Ospalds Zyklus schöne welt schöne welt

Im Gespräch
Musikalische Vorstellung und Notation
Zum Schreib- und Schaffensprozess bei Klaus Ospald

Abstracts

Bibliografische Hinweise

Zeittafel

Autorinnen und Autoren

img

img

img

img

img

img

img

Vorwort

»Der Ginster oder die Blume der Wüste« (1834/37), ein Gedicht des italienischen Dichters Giacomo Leopardi (1798–1837), ist Inbegriff eines romantischen Pessimismus, der wie ein Stachel im Fleische der Aufklärung sitzt. Klaus Ospalds (*1956) Musik ist der Poesie Leopardis im Geiste verwandt. Nicht von ungefähr hat Ospald in den Jahren 2005 bis 2012 einen Leopardi-Zyklus geschaffen, der sechs Werke vereint. Eines davon, die zweite Kammersinfonie La ginestra o il fiore del deserto für Sopran und Kammerensemble (2005/06), wird im vorliegenden Band vorgestellt. Andere Werke wie das Quintett von den entlegenen Feldern für Streichtrio, Klarinette (Bassklarinette), Klavier und Live-Elektronik (2012–14) oder »Más raíz, menos criatura« (Entlegene Felder III) nach einem Gedicht von Miguel Hernández, (2014/15) werden ausführlich zur Sprache gebracht. In jedem Fall erscheinen Ospalds Kompositionen von einer starken sinnlichen, ja teilweise erschütternden Kraft, die die Fantasie durch Melancholie und Humor beflügeln. Es scheint, als sei Ospalds Musik selbst der Ginster oder die Blume der Wüste – um mit Leopardi zu sprechen – auf dem »Sandkörnchen, das den Namen Erde trägt«.

Allerdings wäre es verfehlt, dem Komponisten Ospald ein Etikett aufkleben zu wollen, schon gar nicht das eines hoffnungslosen Romantikers. Der Ginster, wie ihn Leopardi besingt, blüht schon längst nicht mehr am Krater des Vesuvs, und Ospalds Kompositionen auf einen Nenner bringen zu wollen, hieße, sowohl ihren ästhetischen Gehalt, ihre Tiefe und Vielfalt als auch ihren kritischen Gegenwartsbezug zu verkennen.

Außer den drei oben genannten Werken, die David Reißfelder, Oliver Wiener und Wolfgang Thein in ihren Aufsätzen eingehend zum Thema machen, kommen drei weitere Autoren zu Wort: Laurenz Lütteken eröffnet den Band mit einer Laudatio, die er anlässlich der Verleihung des Kulturpreises der Stadt Würzburg zu Ehren Klaus Ospalds 2017 gehalten hat. Peter Hirsch schreibt »Übers Nahelegen des Entlegenen«, indem er das umfangreiche Œuvre Klaus Ospalds ins Licht der Öffentlichkeit stellt, und Inga Mai Groote stellt mit dem Epilog zu Klaus Ospalds Zyklus schöne welt schöne welt ein Stück Vokalmusik vor.

Abgerundet wird der Band mit einem Gespräch, in dem der Komponist selbst zu Wort kommt und Einblick in seinen Schreib- und Schaffensprozess gewährt.

Der Herausgeber dankt allen am Band beteiligten Autorinnen und Autoren sehr.

Ulrich Tadday

Laurenz Lütteken

Für Klaus Ospald

Laudatio zur Verleihung des Kulturpreises der Stadt Würzburg (2017)1

»Mir ist die Ehre widerfahren«, singt Octavian zu Beginn des 2. Aufzugs vom Rosenkavalier in leuchtendem Fis-Dur, als er nämlich die silberne Rose des Barons Ochs überbringen muss. Nun, diese silberne Rose nebst, um nochmals Hofmannsthal zu bemühen, »nebst einer munifizenten Gratifikation«, diese Rose wird der Herr Oberbürgermeister namens der Stadt Würzburg gleich selbst überreichen. Meine Ehre soll nur diejenige sein, darauf ein Loblied anstimmen zu dürfen. Aber das ist in mancher Hinsicht kein ganz leichtes Unterfangen, denn Klaus Ospald ist jemand, der die Öffentlichkeit nicht sucht, natürlich, als Komponist schon, aber eben nicht als Person – und dem öffentliche Lobreden daher fremd, vielleicht sogar unbehaglich sind. Das Ritual des heutigen Abends verlangt jedoch eine solche Rede, und das Genre erfordert eben öffentliches Lob. Wenn ich dies also hier versuche, dann zwar einigermaßen zögerlich, aber wenigstens ermutigt von dem Umstand, dass es allzu viele solcher öffentlichen Lobreden auf den Komponisten noch nicht gibt. Die ehrenvolle, verdiente Verleihung des Kulturpreises 2017 der Stadt Würzburg allerdings zeigt an, dass die Zeit dafür längst gekommen ist; oder, etwas einfacher ausgerechnet mit den Worten des Parsifal: »Die Zeit ist da.«

Kehren wir nochmals zu Richard Strauss zurück. Paul Hindemith schrieb 1917 über die Alpensinfonie: »lieber [sich] aufhängen, als jemals solche Musik schreiben«. Etwas genauer wurde 1921, im Blick auf dieses Werk, der Musikkritiker Paul Bekker, in einer Passage, die sich Hindemith in seinem Exemplar gleich markant angestrichen hat: »Ich glaube nicht, daß wir von dieser Kunst noch etwas zu hoffen haben, das über die Wirkung des unterhaltenden Spiels hinausreicht.« Klaus Ospald und ich mussten vor einigen Jahren, sanft von dritter Seite dazu gedrängt, einen öffentlichen Disput austragen, über Strauss, insbesondere über die Alpensinfonie. Ich verteidigte das Stück, von dem ich glaube, dass es ein fundamentales, paradigmatisches Werk der heraufziehenden Moderne ist. Ospald störte sich nicht an dem vermeintlich ›Uneigentlichen‹ der Komposition, diesen oft gegen Strauss lancierten, aber eben mehr in Ideologie als in Sachkenntnis gegründeten Vorwurf hat er sich keineswegs zu eigen gemacht. Ihn befremdete vielmehr das Missverhältnis zwischen den aufgebotenen Mitteln und der zweifellos komplizierten Absicht. Dieses Bedenken war und ist keineswegs wohlfeil. Anlässlich einer Aufführung von Bernd Alois Zimmermanns Soldaten unterhielten wir uns über die Partitur. Als wir auf das riesenhafte Orchestervorspiel, das von mir bewunderte Preludio zu sprechen kamen, wiederholte er eine vergleichbare Kritik: Das Stück sei überdeterminiert, das Ausmaß der eingesetzten Mittel gerate in Konflikt mit dem, um was es eigentlich gehe. Dieselben Bedenken brachte übrigens vor Jahrzehnten schon Günter Wand gegen Zimmermanns Oper vor, damals für diese kluge Beobachtung viel gescholten.

Klaus Ospald weiß dabei sehr genau, wovon er spricht. Komponieren ist ihm zunächst einmal Handwerk. Wer je erlebt hat, wie feinsinnig er Tonsätze von Schubert oder Debussy zu betrachten vermag – das schreckliche Unwort der ›Analyse‹ verbietet sich hier –, der kann voller Bewunderung erkennen, wie tief er in das Innerste dieses Handwerks blickt. Dieses genügt sich bei ihm jedoch nicht selbst, sondern es ist stets Mittel zum Zweck. Empfindlich, ja aufbrausend reagiert er deswegen immer dann, wenn es sich bei Musik entweder ausschließlich oder eben auch gar nicht um Handwerk handelt. Ich entsinne mich gut, wie er einmal in eine neuere musikwissenschaftliche Arbeit geblickt hat, die sich, auf vielen hundert Seiten und unter dem Deckmantel der ›Analyse‹, in intensiver, ja erbarmungsloser Partiturbeschreibung erschöpft hat. Ratlos stand er da – und meinte lakonisch: Wozu macht der Autor das? Das sieht man doch alles selbst, wenn man sich die Partitur anschaut.

Diese Geschichte ist symptomatisch für seine Auffassung des Komponierens, die im Handwerk gründet – und sich erst in Werkgestalten Bahn bricht, wenn über dieses Handwerk souverän geboten wird, wenn es sich also im Werk sozusagen aufhebt. Schon die ersten Takte seines im Februar dieses Jahres uraufgeführten Klavierkonzerts verweisen darauf, was das bedeutet. Nach einer kurzen Klarinettenskala – wenn ich ihn provozieren wollte, könnte ich sagen: wie am Beginn der Salome von Strauss – beginnt das Werk mit einer geradezu ätherischen, fast schwärmerischen Auslotung von Klang. Klang aber heißt bei ihm eindeutig: Harmonik. Es war viele Jahrzehnte die Preisgabe der Tonalität auch ein Vorwand für kompositorischen Dilettantismus. Ospald zeigt hier auf eindrückliche Weise, dass sich Tonbeziehungen jenseits der Tonalität und auch jenseits der Serialität anders, aufregend und sinnreich ordnen lassen – und dass sie deswegen nicht etwa einen geringeren Reiz auf den Hörer auszuüben vermögen, im Gegenteil.

Die Partituren von Klaus Ospald sind daher exakt notiert. Sie stellen dabei immense Ansprüche, doch sind diese weder beiläufig noch unrealistisch. Die Werke sind also virtuos, in einem vielleicht traditionellen, aber dennoch alles andere als vordergründigen Sinn. In seinem 2016 uraufgeführten Klarinettenstück a sei, in Berlin entstanden und in Zürich uraufgeführt, wird den sechs Solisten Erhebliches abverlangt – aber eben in präziser Vorstellung von dem, was sie an Klang hervorbringen sollen und wozu das gut sei. In einem Kommentar zu seinem 2004 abgeschlossenen Violinkonzert hat er diese Haltung auf den Punkt gebracht:

»Mit jeder neuen Komposition gilt es, eine ›Hörgestalt‹ zu evozieren, die beim Hören den Komponisten zum Vergessen bringen sollte. Dass wohl seine Denkart sich in das Verknüpfungsverfahren der Töne einwebte, jedoch nur, um diese von innen zu beleuchten.«

Der Gedanke, der Komponist verschwinde gewissermaßen im Inneren der Töne, ist, wer wollte es bestreiten, eine gebrochene Erinnerung an die Romantik, keine, um Schillers Begriffspaar zu bemühen, keine naive, aber doch eine sentimentalische. Kaum zufällig hat sich der Komponist immer wieder mit Jean Paul auseinandergesetzt – und über Jean Paul zugleich mit Robert Schumann. Mit dieser Haltung ist der ungebrochene Glaube an die Geltungsmacht des ›Werkes‹ verbunden, dessen klare Begrenzung, dessen Verallgemeinerbarkeit für den Komponisten niemals zur Disposition stehen.

In einen vergleichbar musikalisch-literarischen Zusammenhang gehört seine Begegnung mit den Dichtungen des italienischen Romantikers Giacomo Leopardi. Es lässt sich hier ohne Übertreibung von einem Schlüsselerlebnis sprechen. Der tiefe, doch elegante Skeptizismus bei Leopardi, seine Melancholie haben Ospald in Bann gezogen, auch, weil es sich dabei gerade nicht um Absolutheitsansprüche des denkenden Geistes, des Weltgeistes handelt. So wurde Leopardi für Ospald zum Bezugspunkt einer ganzen Werkreihe, die der kompositorischen Selbstvergewisserung dient. Die tiefe Hinwendung zum Süden genügt deswegen nicht den gängigen Klischees der deutschen Italien-Fahrer: Ospald sucht im Süden nicht einfach sich selbst, sondern einen produktiven, stimulierenden Widerpart zu seiner eigenen Musik.

Am Beginn dieser Reihe steht die 2006 abgeschlossene zweite Kammersinfonie. Sie trägt eine geschichtstiefe, auf eine große Tradition verweisende Gattungsüberschrift, eben ›Kammersinfonie‹. Dazu tritt jedoch, in kontrastiver Abgrenzung, ein hoch individueller, ein poetischer Untertitel, La ginestra o il fiore del deserto, der Ginster oder die Wüstenblume. Dies ist eines der letzten Werke des so jung gestorbenen Autors, ein siebenstrophiges, überaus pessimistisches, gleichwohl nicht bitteres Gedicht, das zu seinen schwierigsten Texten gehört. Es erklingt im Werk allerdings gar nicht, sondern dort werden, in kontrastiver Allusion zum Titel, einzelne Verse aus dem deutlich früher entstanden Canto notturno vergegenwärtigt. Die zweite Kammersinfonie wird damit zu einem Nachtstück, das Werk reiht sich zugleich ein in die Tradition der großen, dunklen Nachtmusiken, mit Mahlers Siebter Sinfonie an der Spitze.

Die Entwicklung dieses weit aufgefächerten ›poetischen‹ Komponierens mag ein Wesenszug Klaus Ospalds sein. Noch weiter geht in dieser Hinsicht das große, über 20-minütige Orchesterstück Sovente in queste rive, das an der fünften Stelle des Leopardi-Zyklus steht und sich wiederum auf La ginestra bezieht. Tatsächlich wird die Sprache hier aber gar nicht mehr unmittelbar gegenwärtig, es handelt sich um ein reines Instrumentalwerk, mit der ahnungsvollen Zitation eines einzigen Leopardi-Verses im Titel. Und auch hier schält sich das Stück gleichsam aus einem Unisono hervor, es entfaltet sich gleichsam aus Bruchstücken heraus, wie ein Resonanzraum der Dichtung.

Wohl kaum eine Vokabel im Umgang mit zeitgenössischer Musik ist in den letzten Jahrzehnten so verschlissen und verbraucht worden wie die des Unangepassten. Der Betrieb war und ist geradezu vernarrt in die Konvention des Unkonventionellen, in den Konformismus des Nonkonformismus. Dieser Missstand, selbst in der Intendanz der Salzburger Festspiele ist unentwegt vom Nonkonformismus die Rede, fällt besonders dann ins Gewicht, wenn die mit ihm verbundene Begrifflichkeit ausnahmsweise zutrifft. Klaus Ospald ist nämlich tatsächlich ein Unangepasster. Es gibt nur wenige Komponisten, die so unbeirrt ihren Weg gegangen sind und weiterhin gehen – und dabei versuchen, Kompromisse vordergründiger Art zu meiden. Sein Versuch, Schüler Luigi Nonos zu werden, ist gescheitert. Wenn er davon erzählt, auch von der Begegnung in Venedig, ist dies eigentlich eine umwerfend komische Geschichte. Und doch offenbart sie einen tiefen Sinn, gründend nämlich in Ospalds Reserve, schließlich in seinem Schrecken vor dogmatischem Zwang, wie er mit Nonos ästhetischem und politischem Totalitarismus verbunden war. In der vermeintlich pluralen Gegenwart ist man oftmals erstaunlich unsensibel für solche Dogmatik, doch im Falle Ospalds ist die wachsende Zurückhaltung, ja Irritation darüber unübersehbar. Sie ist entschiedener Teil seiner Unangepasstheit.

Deren Gegenseite ist eine Beharrlichkeit im Äußeren, nicht nur im ganz Persönlichen, sondern auch im Institutionellen. Seit bald 35 Jahren wirkt der aus Münster stammende Komponist nun in Würzburg; die Stadt mit ihrer Musikhochschule kann sich freuen, ihn zu beherbergen. Der zufällige Westfale ist also zum Wahlfranken geworden, es ist ein seltsames Band zwischen diesen beiden Regionen, die auf eine ganz besondere Weise als beharrlich gelten. Dass die Stadt Würzburg aber tatsächlich und zu Recht stolz auf ›ihren‹ Komponisten ist, das zeigt sich an der Preisverleihung.

Wer die Musik von Klaus Ospald vor dem Hintergrund dieses Spannungsfeldes von Unangepasstheit und Beharrlichkeit hört, der wird schnell beeindruckt sein nicht nur von deren Ernst, sondern von ihrer klanglichen Imaginations-, beinahe möchte man sagen: Suggestionskraft. Dies ist natürlich ebenfalls dem kompositorischen Handwerk geschuldet, das auch die souveräne Instrumentationskunst einschließt. Wenn ein Komponist jedoch selbst dann darauf verzichtet, aus der Dichtung strukturelle Vorgaben abzuleiten, wenn er sie ausdrücklich zitiert, dann zeichnen sich zugleich Grundzüge seines formalen Denkens ab. Die Struktur von Werken verdankt sich klanglichen Gruppierungen, die nicht im Sinne eines Organischen Form erzeugen, sondern die sich kontrastiv gegeneinander absetzen. Es handelt sich um Additionen, um Reihungen, die gewissermaßen von einem geheimen dramaturgischen Band zusammengehalten werden – und so einen formalen Verlauf bilden. Dies vermittelt das Komponieren von Klaus Ospald abermals mit der Geschichte, die Ahnherren solcher Verfahren sind zahlreich – und ganz unterschiedlich: Debussy, Strawinsky, Strauss. Nicht zufällig kommen hier Metaphern aus dem Szenischen, aus dem Poetischen ins Spiel, ohne dass diese Musik in einem vordergründigen Sinne bühnenhaft wäre. Die weitaus größte Zahl der Werke von Ospald trägt jedenfalls lyrische Titel. Diese poetische Verbindung von Klang und Form, von Harmonik und Struktur, von Unangepasstheit und Beharrlichkeit zeigt sich besonders schön in seinem 2000 abgeschlossenen Werk Ungefroren ist die Erde für großes Orchester und Frauenstimme, dem ein Text von Friedrich Rückert zugrunde liegt. Wieder formiert sich das Stück aus einem ›In-sich-hinein-Hören‹, und wieder findet es zur Form über diese ›gestische‹ Reihung von kontrastiven Abschnitten.

In einer Rezension des Bayerischen Rundfunks bemerkte Thorsten Preuß 2016, in den Partituren Klaus Ospalds offenbare sich

»ein handwerklich reifer Komponist, der über den großen Orchesterapparat ebenso souverän verfügt wie über die schillernden Feinheiten der Live-Elektronik. Es ist aber nicht nur die Schönheit dieser Klänge, die besticht, sondern auch Klaus Ospalds Fähigkeit, die poetische Vorlage zu verwandeln in völlig autonome musikalische Prozesse.«

Ospald habe bislang »fast im Verborgenen gearbeitet«, obwohl seine Musik eine geradezu existenzielle Unmittelbarkeit verströmt: Es werde »im Werden und Vergehen der Töne letztlich auch etwas vom Werden und Vergehen des Lebens erfahrbar«. Wie recht Preuß damit hat. Gerade weil diese Unmittelbarkeit eben in einem tiefen Sinne kompromisslos ist, weil sie aber zugleich von großer Geschichtstiefe und tiefem Respekt geprägt ist, vermag sie so tief zu berühren. In dieser Haltung reiht er sich ein unter die großen skeptischen Komponisten der letzten 100 Jahre wie Paul Dukas, Alban Berg, Anton von Webern oder Bernd Alois Zimmermann. Seine Musik kann und will kompromisslos sein, doch zugleich ist ihr in ihrer tiefen Melancholie alles Apodiktische fremd. Gerade das Geschichtsvergessene, das Selbstverliebte kann ihn daher doch aufbringen, wenn etwa komponierende Kollegen sich mit leichter Hand abfällig über Beethoven oder Schubert äußern.

Melancholie und Skepsis beseelen ein Werk, das erst langsam seinen Weg in die große Öffentlichkeit findet, durchaus begünstigt von seiner Beziehung zu Berlin, wo Klaus Ospald für ein Jahr composer in residence des Wissenschaftskollegs gewesen ist. Doch auch Berlin ist für ihn nicht ohne Würzburg denkbar, der großtuerische Selbststolz der neuen Hauptstadt hat ihn immer eher befremdet. Einer seiner Lieblingsorte im eleganten Villenviertel des Grunewald, wo das Wissenschaftskolleg seit seiner Gründung beheimatet ist, war die an geschichtsmächtiger Stelle gelegene kleine Bierschwemme mit dem ironisch-realistischen, wenn man so will: romantischen Namen »Floh«.

Klaus Ospalds Musik in ihrer Vorliebe für den Klang, in ihrer eigenwilligen Formgebung und in ihrer unverwechselbaren Tonsprache – mit allen Reibungen, Querständen und Unangepasstheiten, aber auch mit ihrem Willen, sich in und mit der Geschichte zu verwirklichen –, seine Musik ist wirkliche Musik des 21. Jahrhunderts. Die beharrliche, stille Ernsthaftigkeit verbindet ihn auf eine eigenartige Weise mit einem Preisträger aus der Musikwelt, der vor genau 50 Jahren auf dieselbe hohe Weise durch die Stadt Würzburg geehrt wurde, mit Eugen Jochum. Und vielleicht ist alles dies ja doch auch eine geheime Verbindungslinie zu Richard Strauss, der von seiner Musik immer überzeugt war, sie gehöre allein dem 20. Jahrhundert an. Die Rosenüberreichung des Octavian wird übrigens eingeleitet mit den schönen Worten Faninals: »ein ernster Tag, ein großer Tag! Ein Ehrentag«. Im Rosenkavalier kommt es dann ja, wie wir alle wissen, ganz anders, aber davor sind wir heute ganz gewiss und gottlob gefeit. Das Loblied auf diesen großen Tag, diesen Ehrentag soll daher mit einem doppelten herzlichen Glückwunsch enden, der Stadt Würzburg zu diesem würdigen Preisträger – und dem Komponisten Klaus Ospald zu dieser hohen Auszeichnung.

1 Der Text entspricht dem Wortlaut der Laudatio, die am 20.11.2017 im Rathaus der Stadt Würzburg gehalten worden ist. Der Charakter des gesprochenen Wortes wurde beibehalten. Auf Nachweise wurde daher verzichtet.