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Butler Parker
– 161–

Parker und die Mannequins

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74094-644-9

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»Na, Parker, wie gefallen Ihnen diese Damen?« erkundigte sich Mike Rander bei seinem Butler Josuah Parker.

Parker sah auf die Fotografien, die Mike Rander wie Kartenblätter in der Hand hielt. Das sonst unbewegte Gesicht des Butlers wurde fast hochmütig, zumindest aber abweisend. Er konnte gerade noch im letzten Moment ein Nasenrümpfen unterdrücken, dann aber sah Josuah Parker bewußt an den Bildern vorbei.

»Na, wie ist Ihre Meinung?« fragte Mike Rander noch einmal. Er hielt die Bilder so von sich ab, als sei er weitsichtig.

»Sir«, sagte Parker würdevoll, »Sie sollten inzwischen wissen, daß ich mich grundsätzlich niemals in die privaten Dinge meiner Herrschaft einmische.«

»Sie glauben also ...?« Milke Rander lachte laut. »Nein, Parker, Sie irren sich Sehen Sie sich die Bilder ruhig einmal genau an. Sie werden sich nämlich mit sechs dieser Damen befassen müssen.«

»Sir … sagte Parker und ein leichtes Keuchen war in seiner Stimme zu vernehmen. »Sie wollen mir doch nicht in meinem Alter zumuten ...”

»Wenn Sie sich für diesen Fall natürlich zu alt und für zu gebrechlich fühlen, entbinde ich Sie selbstverständlich von ...«

»Sir, es handelt sich um einen Fall?« fragte der Butler und verlor für Bruchteile von Sekunden seine sonstige Zurückhaltung.

»Es handelt sich um einen Fall«, erwiderte Mike Rander und nickte.

»Um einen Kriminalfall, Sir?« .

»So wahr ich hier stehe«, entgegnete Mike Rander. »Verzichten Sie unter diesen Umständen darauf, sich die sechs Damen anzusehen?«

Mike Rander war aufgestanden und warf die Fotos gespielt achtlos auf das Tischtuch. Er ging an seinem Butler vorbei und betrat den kleinen Dachgarten seines Hauses, das hart am Michigan-See, außerhalb von Chikago lag.

Mike Rander war Ende der Dreißig, mittelgroß und schlank. Er gab sich recht salopp, ohne dabei aber schlaksig zu wirken. Sein braunes Haar paßte ausgezeichnet zu den braunen, sympathischen Augen. Sein Gesicht war, ohne scharf geschnitten zu sein, kein Durchschnitt. Dem Kinn war Energie anzumerken.

Mike Rander arbeitete in der Stadt als Strafverteidiger. Auf Grund seines Namens war er durchaus in der Lage, sich seine Fälle auszusuchen. Er verteidigte grundsätzlich nur Menschen, die er nach bestem Wissen und Gewissen für unschuldig hielt.

Im Laufe der Zeit – es hatte sich eigentlich organisch ergeben – beschäftigte sich Mike Rander eigentlich immer mehr mit reiner Kriminalistik. Er besaß eine Detektivlizenz und vertrat den Standpunkt, es sei besser, Verbrechen schon im Ansatz zu verhüten. Er hielt das für wirkungsvoller als das beste Plädoyer. Inzwischen hatte sich sein Ruf auch auf diesem Gebiet gefestigt. Er konnte sich vor Aufträgen kaum noch retten.

Sein engster Mitarbeiter und seine wertvollste Hilfe war sein Butler.

Anläßlich eines Urlaubs in England hatte Mike Rander Josuah Parker engagiert. Das lag schon einige Jahre zurück. Josuah Parker, ein Meister seines Fachs, hatte sich in erstaunlich kurzer Zeit zu einem As der Kriminalistik entwickelt.

Es gab für Parker keine Situation, die er nicht gemeistert hätte. Seine Fähigkeiten und Kenntnisse grenzten manchmal an schwarze Magie. Doch niemals vergaß Josuah Parker, als was er engagiert worden war. Er war und blieb der hochherrschaftliche Butler und fühlte sich außerordentlich wohl in dieser freiwillig übernommenen Rolle.

Mike Rander hatte sich auf dem Dachgarten inzwischen längst umgedreht und beobachtete seinen Butler.

Josuah Parker trug, es konnte gar nicht anders sein, gestreifte schwarze Hose, eine gestreifte Weste und ein korrekt weißes Hemd mit einer schwarzen Krawatte. Er war etwas über mittelgroß, nicht schlank, aber auch nicht dick. Sein Alter war nur sehr schwer auszumachen.

Parker stand jetzt vor dem Tisch und begutachtete die Fotos der sechs Damen.

Mike Rander entging nichts.

Josuah Parker ging sehr methodisch vor. Er hob ein Bild nach dem anderen hoch, betrachtete es eingehend und zog hin und wieder eines der Fotos etwas näher an die Augen.

»Na, Parker, sagen Ihnen die Fotos etwas?« fragte Mike Rander, der zurück in das Zimmer gekommen war.

»Ich kann nicht umhin, zuzugeben, daß sie sechs Damen einen durchaus erfreulichen Anblick bieten«, erwiderte Parker und zog sich die Weste glatt. »Mit anderen Worten ausgedrückt, Sir, es gibt Geschöpfe auf Gottes Erde, die wesentlich unerfreulicher auf mich wirken.«

»Das war wieder einmal erstaunlich klar ausgedrückt«, sagte Mike Rander lächelnd. »Bringen Sie uns einen Schluck, Parker, wir wollen Kriegsrat halten ... Keine Widerrede, selbstverständlich trinken Sie in meiner Gegenwart! Oder legen Sie Wert darauf, daß ich Sie zu Hause lasse?«

Parker ging schneller als gewöhnlich.

Er wollte auf keinen Fall zu Hause bleiben. Er witterte einen Fall und war daher ausnahmsweise bereit, in der Gegenwart seines Herrn einen Drink zu sich zu nehmen.

»Diese Affäre hat keine große Vorgeschichte«, sagte Rander, als Parker die Drinks serviert hatte. »Setzen Sie sich,

Sonst werde ich nervös, Parker. Na also, das geht doch ... Wie gesagt, die Vorgeschichte ist bescheiden. Diese sechs Damen auf den Fotos arbeiten als Mannequins.«

»Ein Beruf, der mir durchaus nicht unbekannt ist«, sagte Josuah Parker und nickte.

»Ein Beruf, den Sie bald in allen Einzelheiten studieren können«, wich Mike Rander aus. »Diese sechs Mannequins werden nämlich von einem Unbekannten bedroht!«

»Ein enttäuschter Freier vielleicht, Sir ...«

»Keine Ahnung.« Mike Rander unterbrach seinen Butler. »Die sechs Mannequins werden bedroht. Es existieren zwei Briefe, die dem Atelier zugestellt wurden, für das die sechs Damen arbeiten.«

»Befinden sich die beiden Briefe möglicherweise inzwischen in Ihrem Besitz?« fragte Butler Parker.

»Sie befinden sich ...«, antwortete Mike Rander lakonisch. »Sie können sie sich gleich genauer ansehen, Parker. Man droht diesen sechs Mädchen den Tod an, falls sie auf eine bestimmte Tournee gehen.«

»Die das Atelier durchführen will?«

»Blitzartig erraten«, erwiderte Rander lächelnd. »Das Atelier plant eine Tournee durch den Westen. Man will, wenn man sich so ausdrücken kann, auf die Dörfer gehen.«

»Den genauen Reiseplan kennen Sie inzwischen wohl auch, Sir?«

»Sie befinden sich in einer ausgezeichneten Stimmung«, lobte Rander seinen Butler. »Den Plan werde ich Ihnen gleich mitteilen. Unsere Aufgabe wird es sein, den Verfasser der beiden Drohbriefe ausfindig zu machen«.

»Warum besteht dieses Atelier darauf, die Tournee unter diesen Vorzeichen durchzuführen« fragte Parker.

»Zuviel Investitionen, man kann nicht mehr zurück. Die Termine sind abgeschlossen, man hat Säle gemietet, Bands verpflichtet, es drohen Konventionalstrafen und so weiter. Ein Zurück gibt es also nicht mehr. Die Sache sieht nämlich so aus: Das Atelier und seine sechs Mannequins arbeiten im Rahmen einer Show. Diese Show wiederum ist von einer Versandfirma aufgezogen worden, die für ihre Erzeugnisse und Waren werben will. Muß ich deutlicher werden?«

»Ich habe bereits verstanden«, sagte Parker würdevoll. »Die Versandfirma hat keine derartigen Briefe erhalten?«

»Nicht eine einzige Zeile, Parker, und das gibt uns schon einen gewissen Vorsprung.«

»Das finde ich auch, Sir, wenn ich mir diese Bemerkung vielleicht erlauben darf. Worin, wenn ich fragen darf, wird meine Aufgabe bestehen, Sir?«

»Parker, die Aufgabe, die ich Ihnen übertragen werde, ist äußerst heikel und verlangt einen Mann, der mehr als nur Grundsätze hat.«

»Sir«, sagte Josuah Parker, ohne mit einer Wimper zu zucken. »Mein einziger wesentlicher Grundsatz ist, heikle Dinge zu übernehmen. Was soll ich also tun?«

»Das ist schnell erklärt«, antwortete Mike Rander. »Sie haben nichts anderes zu tun, als Tag und Nacht diese sechs Damen zu überwachen. Sie dürfen sie nicht aus den Augen lassen. Sie müssen, überspitzt ausgedrückt, ein sechsfacher Schatten sein, der die Mädchen verfolgt.«

!Ich soll ...? Sir ...!«

»Ich sehe, diese Aufgabe übersteigt Ihre Kräfte«, sagte Mike Rander trocken, als sich Josuah Parker entsetzt und sehr steil aufgerichtet ‚hatte. »Reden wir also nicht mehr darüber.«

»Sir, Sie müssen mich mißverstanden haben«, sagte Butler Parker und räusperte sich. »Ich wollte gerade darauf aufmerksam machen, daß gerade ich mich für solch eine Aufgabe besonders eigne.«

Wie begeistert Josuah Parker war, zeigte sich an seinem Gesicht. Der Biß in eine grüne Zitrone hätte sein Gesicht nicht schlimmer verziehen können.

Korrekt gekleidet wie immer, betrat Josuah Parker wenige Stunden später die Empfangsräume des Ateliers.

Die junge Dame hinter der Anmeldetheke, die gleichzeitig den Vermittlungsschrank bediente, glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als sie den Butler sah.

Josuah Parker hatte die gestreifte Weste für den Hausgebrauch gegen einen Rock ausgetauscht, der ein Mittelding zwischen altväterlichem Bratenrock und gestutztem Frack darstellte. Auf seinem Kopf saß die unvermeidliche Melone, an den Händen waren die Zwirnhandschuhe. Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden, daß alles an Parker, bis auf sein Gesicht, schwarz war.

»Bitte schön?« fragte das gelackte Mädchen, das den ersten Schreck mit Mühe überstanden hatte.

Butler Parker verzog sein sonst so würdevolles Gesicht zu einem freundlichen Lächeln. Gleichzeitig lüftete er seine Melone mit einer eleganten Geste »Ich bin gekommen, um mit Mister Wilkinson Rücksprache zu nehmen«, sagte Butler Parker. »Ich werde erwartet. Mein Name ist Josuah Parker.«

Das Mädchen beeilte sich, den Butler anzumelden.

»Mister Wilkinson erwartet Sie in seinem Büro«, sagte sie, nachdem sie den Hörer wieder aufgelegt hatte. »Dort durch die Tür.«

Parker bedankte sich durch ein würdevolles Kopfnicken. Er schritt gemessen auf die bezeichnete Tür zu und trat ein. Im Vorzimmer wurde er bereits von einem Boy erwartet, der vor Staunen seinen Unterkiefer nicht mehr zu schließen vermochte. Er führte Josuah Parker vor eine wattierte Tür, klingelte und trat zur Seite, als ein elektrischer Türöffner die Tür auf sperrte.

»Ah, Mister Par …«

Ein stämmiger Mann mit breiten Schultern und einem runden, rosigen Babygesicht, hatte sich umgewendet und kam grüßend auf Parker zu. Als er des Butlers Erscheinung wahrgenommen hatte, war er so verblüfft, daß er nicht weiterreden konnte.

»Mein Name ist Parker«, stellte sich der Butler vor. »Sie baten Mister Rander, meinen Chef, um Hilfe ... Er ist leider verhindert zu kommen. Er schickt mich, um die ersten Ermittlungen zu erheben.«

»Wie? Ja ...! Natürlich! Sagen Sie, Mister Parker – aber so nehmen Sie doch Platz, Sie müssen ziemlich müde sein. Verstehen Sie denn etwas von diesen Dingen? Ich will Ihnen auf keinen Fall zu nahe treten, mißverstehen Sie mich nicht, aber ...«

Ja, und dann schwieg Wilkinson, der nicht unhöflich sein wollte.

»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich einige Fragen an Sie stellen«, sagte Butler Parker, zur Sache kommend »Ich kenne den Inhalt der beiden Drohschreiben. Ich kenne Ihre sechs Mannequins, die mit auf Tournee gehen werden. Ich kenne aber nicht die näheren Umstände. Wurden Sie früher schon einmal in ähnlicher Weise belästigt?« »Nein, deswegen ja auch meine Sorgen«, antwortete Wilkinson. »Ich kann mir die beiden Drohbriefe überhaupt nicht erklären.« »

»Können Sie einen Grund dafür angeben, warum man Sie und Ihre Mannequins daran hindern will, die Show zu begleiten?«

»Ich zerbreche mir ununterbrochen den Kopf darüber«, erklärte Wilkinson. »Selbstverständlich scheiden die üblichen Möglichkeiten aus. Ich habe keine Feinde, keine Konkurrenz, die mich auf diese Art und Weise an der Arbeit hindern will. Kurz, Mister Parker, ich stehe vor einem Rätsel.«

»Ich liebe Rätsel dieser Art«, sagte Josuah Parker in einem schwachen Anflug von Vertraulichkeit. »Um aber auf den Fall zurückzukommen: wissen Ihre Mannequins von den Drohbriefen?«

»Aber nein, ich habe ihnen kein Wort davon erzählt. Womöglich sprängen mir einige Girls ab, dann sitze ich nämlich auf dem trockenen. Sehen Sie, die vorzuführenden Kleider sind den Girls auf die Haut gearbeitet worden. Sie können von keinem anderen Mädchen getragen werden.«

»Mister Wilkinson, ich fürchte, – Sie werden Ihre sechs Mannequins aber informieren müssen«, sagte Parker ernst. »Wenn ich mich recht erinnere, werden ja gerade die Mannequins bedroht, falls sie auf Tournee gehen.«

»Das stimmt natürlich. Aber verstehen Sie doch, Mister Parker, ich kann doch unmöglich ...«

».. dieses Risiko eingehen, nicht wahr? Ich verstehe Sie vollkommen«, sagte Parker, nachdem er seinen Gesprächspartner erfolgreich unterbrochen hatte. »Im Falle eines ernstlichen Zwischenfalles hätten Sie sich jedoch glatt mitschuldig gemacht.«

»Das heißt also ...?«

»Wenn Sie erlauben, werde ich mich mit den Damen in Verbindung setzen und ihnen die Lage schildern«, sagte Parker,

»Das kommt überhaupt nicht in Betracht, davon sagte mir Mister Rander kein Wort.«

»Er läßt durch mich bestellen, daß die sechs Damen informiert werden müssen«, beharrte Parker auf seinem Standpunkt. »Ich werde mich so neutral wie möglich verhalten.«

Wilkinson antwortete nicht sofort.

Er ging um seinen mächtigen Schreibtisch herum, blätterte nervös und völlig sinnlos in einigen Akten und zündete sich schließlich eine Zigarette an.

»Also gut«, sagte er nach einer Weile und sah auf, »informieren Sie meine Girls. Aber machen Sie sich nicht in Panik, Mister Parker. Betonen Sie, daß sie alle sehr gut bewacht werden.«

»Sie werden mit mir zufrieden sein«, sagte Parker. Er schüttelte den Kopf, als Wilkinson ihm eine Zigarette anbieten wollte. »Wenn Sie erlauben, würde ich gern eine meiner Zigarren rauchen.«

»Aber selbstverständlich, Mister Parker.«

Der Butler bediente sich.

Er holte mit abgezirkelten Bewegungen sein Etui aus der Tasche, beschnitt den schwarzen Torpedo und setzte ihn in Brand. Er nickte zufrieden und paffte die ersten Rauchwolken in das recht große Zimmer hinein.