Über Sigrid Undset

Sigrid Unset wurde 1882 in Kalundborg, Dänemark geboren. Seit ihrer frühen Kindheit lebte sie in Oslo, bevor sie 1940 vor den Deutschen über Schweden in die USA floh. Nach 1945 kehrte sie in ihre Heimat, nach Lillehammer, zurück, wo sie 1949 starb. 1928 erhielt Undset den Literaturnobelpreis.

 

 

 

Über Gabriele Haefs

 

Gabriele Haefs ist Autorin und Übersetzerin von Kinder und Spannungsliteratur sowie Belletristik. Bereits 1999 übersetzte sie Sigrid Undsets Debüt Frau Marta Oulie ins Deutsche. Haefs erhielt u.a. den Deutschen Jugendliteraturpreis sowie den Königlich Norwegischen Verdienstorden.

Ohne Zweifel gehört Sigrid Undset zu den großen Namen der nordischen Literatur. 1928 wurde sie mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, womit sie die dritte Frau war, die diesen Preis erhielt. Nach Bjørnstjerne Bjørnson und Knut Hamsun war Undset zudem die dritte Person aus Norwegen, der diese Ehre zuteilwurde. Aus ihrem beeindruckenden Œuvre wurden die mehrbändigen Werke der 1920er Jahre, allen voran Kristin Lavranstochter, am stärksten wahrgenommen und genießen auch heute noch die größte Aufmerksamkeit. Umso erfreulicher ist es, dass mit dieser Neuübersetzung von Viga-Ljot und Vigdis durch Gabriele Haefs auch das weniger bekannte, aber nicht weniger faszinierende Frühwerk der Autorin gewürdigt wird.

Viga-Ljot und Vigdis erschien 1909, als Sigrid Undset gerade einmal 27 Jahre alt war. Der Roman kündigt bereits die intensive Auseinandersetzung mit der mittelalterlichen Lebenswelt an, die später zum zentralen Gegenstand von Undsets Werks werden soll. Denn wenngleich Sigrid Undset auch Bücher geschrieben hat, die in ihrer damaligen Gegenwart spielen, ist Undset bis heute doch für ihre historischen Romane bekannt. Viga-Ljot und Vigdis unterscheidet sich allerdings in einem wesentlichen Aspekt von dem, was man heute landläufig unter einem historischen Roman versteht: Ein »normaler« historischer

Die Isländersagas erzählen Geschichten aus dem 10. und 11. Jahrhundert, wurden aber nach langer mündlicher Überlieferung erst im 13. Jahrhundert aufgeschrieben. Und nun, 1909, erfindet Sigrid Undset gewissermaßen eine eigene Isländersaga, bei der nicht nur Motive, Erzählweise und Dramaturgie der Welt der Sagas entnommen sind, sondern auch der knappe, kraftvolle Erzählton.

 

Viga-Ljot und Vigdis spielt zwar im Mittelalter, das Thema jedoch ist auch heute noch brandaktuell. Sigrid Undset erzählt hier nämlich die Geschichte einer modernen, selbstbestimmten Frau. Obwohl der Titel vermuten lässt, dass beide Figuren – Viga-Ljot und Vigdis – gleichermaßen die Hauptfiguren sind, liegt der Schwerpunkt des Romans doch eindeutig auf Vigdis, der Tochter des reichen norwegischen Bauern Gunnar. Die Geschichte beginnt

Im weiteren Verlauf des Buches erleben wir, wie diese Vergewaltigung das Leben der beiden Protagonisten belastet. Hin- und hergerissen zwischen Mordgelüsten und Suizidgedanken, beschließt Vigdis, ihren gewaltsam gezeugten Sohn Ulvar anzunehmen. Ihr langfristiger Plan, Ulvar so zu erziehen, dass er eines Tages ihren Vergewaltiger tötet, geht sogar in Erfüllung, doch Vigdis’ seelische Wunden werden durch die Rache nicht geheilt.

Auch Ljot trägt schwer an seiner Tat. Seine Ehe zerbricht, auch er leidet an Selbstmordgedanken, sodass die Autorin Ljots gewaltsamen Tod nicht etwa als Erlösung für die gerächte Vigdis schildert, sondern als Erlösung für den im Leben gescheiterten Täter.

Auch sonst spielt das Schicksal Vigdis übel mit. Nicht nur wird ihr Vater Gunnar ermordet und dessen Hof abgefackelt, sie muss im Verlauf der Geschichte auch immer wieder übergriffige Männer abweisen. Die Konsequenzen sind nicht mehr so drastisch wie bei der Vergewaltigung durch Ljot, und doch neigen alle mächtigen Männer in ihrem Leben dazu, sie zu bestrafen, wenn sie selbstbestimmt mit ihrem Körper umgeht und nicht widerspruchslos Zugriff auf diesen erlaubt. Wenn Vigdis König Olav um rechtlichen Beistand bittet, so macht der ihr einen Heiratsantrag, bevor er sich überhaupt auf ihr juristisches Anliegen einlässt – Hashtag: #MeToo.

Toxische Männlichkeit ist hier allerdings auch ein Problem für die Männer selbst – auch das zeigt der Niedergang von Ljot. Wiederholt lässt er sich von seinem gekränkten männlichen Ego zu Gewalttaten verleiten, was seinen sozialen Abstieg befördert.

Es handelt sich also hier nicht um eine mittelalterliche Version von Quentin Tarantinos Kill Bill. Vigdis ist auch kein skandinavisches Alter Ego von Daenerys Targaryen, der siegreichen Heldin aus Game of Thrones. Hingegen könnte man sich durchaus fragen, wie viel von Sigrid Undset selbst in der Romanfigur Vigdis steckt. Undset musste nach dem Tod ihres Vaters einen großen sozialen Abstieg hinnehmen und entschied sich notgedrungen für ein Dasein als Büroangestellte. Aus dieser Position schrieb sie sich nach oben bis hin zur Nobelpreisträgerin, die nicht nur vom Publikum, sondern auch von ihren Schriftstellerkollegen geschätzt und gelesen wurde. Dass der Isländer Halldór Laxness, der 1955 den Nobelpreis bekam, Viga-Ljot und Vigdis gelesen hatte, bevor er mit Gerpla ein eigenes Saga-Pastiche wagte, mag Fans der nordischen Literatur vielleicht noch einigermaßen logisch vorkommen. Was hingegen kaum jemand weiß, ist, wie sehr Sigrid Unset auch jüngere Kollegen wie Heinrich Böll beeinflusst hat, der Viga-Ljot und Vigdis in einem Interview mit der isländischen Zeitung Morgunblaðið als wesentlichen Einfluss auf seinen frühen Roman Und sagte kein einziges Wort nannte.

 

Bei der Übersetzung von Viga-Ljot und Vigdis hatten sich auch Angermann und Sandmeier bereits darum bemüht, die spröde Schönheit des Originals in der deutschen Übersetzung spürbar zu machen, und oft ist ihnen dies gelungen. Vielerorts haben Angermann und Sandmeier allerdings auch – vielleicht aufgrund des Zeitdrucks, den ihre große Produktivität mit sich gebracht haben muss – derart wortwörtlich übersetzt, dass der deutsche Text nur noch schwer mit Genuss zu lesen ist und teilweise fast unverständlich wird. Auch wurden damals keine Sonderzeichen für skandinavische Umlaute verwendet, was der alten Übersetzung aus heutiger Sicht den Beigeschmack einer überstrapazierten Eindeutschung verleiht.

Gabriele Haefs ist nun eine Neuübersetzung von Viga-Ljot und Vigdis gelungen, die ohne die gestelzten Formulierungen der alten Übersetzung auskommt. Sie hat sich auf die archaisierende, aber dabei niemals unelegante Kargheit des Originals eingelassen und einen deutschen Ton gefunden, der weder bemüht heutig noch übertrieben altertümelnd klingt. Undsets Roman erstrahlt in einem Deutsch, das wunderbar einfach, aber dabei nie einfältig ist.

So kann die lakonische Eleganz nun optimal zur Geltung kommen, mit der Sigrid Undset im Jahr 1909 diese noch heute frappierend aktuelle Geschichte aus dem

 

Kristof Magnusson, im März 2019

Veterlide Glumssohn hieß ein Mann aus den isländischen Ostfjorden. Im Sommer war er oft unterwegs, um Handel zu treiben.

Der Sohn seiner Schwester hieß Ljot. Ljots Vater, Gissur Haukssohn aus Skomedal, war getötet worden, als Ljot noch ein Kind war. Veterlide machte Gissurs Nachruhm alle Ehre, aber davon soll an dieser Stelle nicht berichtet werden. Ljots Mutter hieß Steinvor, auch sie starb früh. Ljot wuchs bei Torbjørn Hålegg auf Eyre auf, später wohnte er bei Veterlide, der ihn liebte wie seinen eigenen Sohn.

Ljot war früh erwachsen geworden und ging schon mit fünfzehn Jahren mit Torbjørns Söhnen auf Wikingerfahrt; demnach galt er bald als kühn und erfahren. Er wurde für einen vielseitig begabten Mann gehalten, der es womöglich zum Häuptling bringen würde; er war treu und zuverlässig, aber auch wortkarg und schloss nur langsam Freundschaften, meistens blieb er für sich allein. Aus Gründen, die hier ebenfalls nicht ausgeführt werden, bekam er den Namen Viga-Ljot.

In seinem zwanzigsten Sommer reiste Ljot mit Veterlide nach Norwegen. Sie besaßen ein Boot, ein hervorragendes, hochseetüchtiges Schiff, Ljot gehörte ein Drittel davon.

Veterlide hatte Verwandte in Romerike, er wollte sie aufsuchen und außerdem in Norwegen Bauholz kaufen. Im Spätsommer erreichten sie Folden.

Sie ruderten an den Inseln vorbei, weiter bis an die Stelle, wo der Fluss Frysja in den Fjord mündet, denn es war windstill und hatte den ganzen Tag geregnet. Gegen Abend lichtete sich der Nebel und trieb zu den Berggipfeln hoch. Veterlide und Ljot standen im Vorschiff und schauten zum Land hinüber. Dort wuchs damals dichter Wald, am Fluss lagen Höfe, jedoch nicht viele, und nur wenige waren groß.

Vor der Flussmündung dümpelten einige kleine Fischerboote; die Männer schauten dem großen Schiff hinterher, das zwischen den Inseln im Nebel auftauchte. Veterlide rief zu den Leuten hinüber und fragte, woher sie kämen. Als die Fischer merkten, dass sie es mit friedlichen Reisenden zu tun hatten, antworteten sie, sie seien Pächter von Gunnar auf Vadin, dem größten Hof hier am Fluss. Veterlide fragte, ob die Fischer sie zu Gunnar führen könnten, und das versprachen sie. Dann ruderten die Isländer ihr Boot den Fluss so weit wie möglich hinauf, und einer der Fischer brachte sie nach Vadin.

Es war dunkel, als sie dort ankamen. Sie trafen Gunnar in der Halle an, wo er auf dem Hochsitz saß. Gunnar war ein großer und schöner Mann, mit langen grauen Haaren

Veterlide trat vor und begrüßte den Bauern, und ehe er sein Begehr auch nur zur Hälfte vorgebracht hatte, stand Gunnar auf, hieß ihn und seine Leute willkommen, und bat die Frauen, aufzutischen. Die Frauen erhoben sich nun, und die ältere hatte alle Hände voll zu tun; sie rief die Mägde und lief aus und ein, während die jüngere am Feuer stehen blieb und die Fremden musterte. Und die sahen nun im Licht, dass die junge Frau sehr schön war, hochgewachsen und gut gebaut, mit schmaler Taille und hoher, fester Brust; ihre Augen waren groß und grau, ihre Haare fielen ihr bis über die Knie, sie waren goldgelb, glänzend und dicht, aber nicht sehr hell, und ihre Hände waren groß, aber weiß und mit Ringen geschmückt. Sie trug ein Gewand aus rostroter Wolle, reich bestickt und verziert; hatte Goldbänder um die Haare geschlungen und viele Schmuckstücke und Ringe, mehr, als Frauen sonst im Alltag anlegten.

Die Ältere brachte nun ein großes Methorn, drückte es der jungen Frau in die Hände und sagte:

»Es ist dein Vorrecht, auf dem Hof willkommen zu heißen, Vigdis.«

Die junge Frau, die Vigdis genannt wurde, nahm das Horn, ging an den Bänken vorbei und bot es erst Veterlide und dann den anderen Männern an. Ganz zum Schluss sah sie Ljot.

Ljot hatte zuerst unten auf der Bank bei der Tür gesessen, war aber später zum Feuer gegangen, denn er war nass. Und er hielt seinen Umhang mit einer Hand hoch,

Als die Jungfrau ihm das Horn reichte, ließ er den Umhang sinken, und beim Trinken blickte er sie über den Rand des Gefäßes an; es sah aus, als ob ihr sein Starren nicht gefiel, denn sie sprach nicht mit ihm, sondern nahm das Horn wieder entgegen, drehte sich um, und ging zu ihrem Hocker, wo sie sich niederließ.

Ljot setzte sich so, dass er Vigdis sehen konnte. Nach einer Weile schaute sie zu ihm hinüber, und ihre Blicke trafen sich; nun wandte sie sich ab und errötete. Gleich darauf sah sie ihn wieder an, und jetzt war sie es, die starrte, bis er seinerseits wegschaute.

Nun wurde eine so reichhaltige Mahlzeit aufgetragen, dass sie fast einem Gastmahl glich. Und Gunnar wollte seine Hausknechte zum Strand schicken und die Bootsleute holen, er sagte, seine Männer könnten über Nacht beim Schiff Wache halten.

Veterlide dankte, doch noch ehe er zu Ende gesprochen hatte, sagte Ljot zu seinem Verwandten:

»Es ist schon so spät, unsere Leute können doch diese Nacht beim Schiff verbringen, dann brauchen wir den Männern dieses Bauern keine Unannehmlichkeiten zu machen.«

Vigdis lachte und sagte:

»Der Isländer scheint ja sehr besorgt um seinen Besitz zu sein.«

Gunnar wies sie zurecht, aber nicht im Zorn, er meinte:

»Es ist sehr umsichtig von dem Isländer, unser Gesinde schonen zu wollen: Aber der Weg ist nicht weit, und die Leute, die heute bei diesem rauen Wetter rudern mussten, brauchen sicher frische Kost und ein Dach über dem

Ljot lachte und erwiderte:

»Das war sicher nicht böse gemeint – und die Reden eines so jungen Mädchens wiegen nicht schwer.«

Auch die andere Frau sagte etwas zu Vigdis, aber ziemlich leise, und Vigdis achtete nicht darauf, sondern lächelte nur ein wenig, als sie dort saß. Gunnar schickte Leute zum Strand, und die anderen aßen und tranken.

Das Gespräch wandte sich jetzt dem grauen, harten Wetter der letzten Zeit zu, das für den Bauern ein großes Unheil bedeutet hatte, denn das Getreide war reif zur Mahd. Gunnar sagte: »In meiner Jugend bin ich selbst im Sommer ausgefahren, und am wenigsten mochte ich dieses Wetter mit Regen und Nebel und Windstille.«

Ljot antwortete nun mit einem Gedicht:

Wahr ist dein Wort

Gastfreier Gunnar!

Der Abend war grau,

Rans Töchter schliefen,

wenig Spaß bringt es,

mit ihnen zu spielen.

Ruhe harret

bei freundlichem Bauern.

Goldgeschmückte Disen

decken den Tisch;

schönere sah ich keine

je auf Erden.

Am liebsten bei ihr,

der Fensal-Feinen,

säße ich heute Abend,

zum Scherzen bereit.

Später, als sich die Männer zur Ruhe begeben hatten, sagte Veterlide zu Ljot, der mit ihm zusammen in einem geschlossenen Bett lag:

»Ich begreife dein Verhalten nicht, Verwandter, es macht keinen guten Eindruck, dass Gunnar uns gastfreundlich aufnimmt, während du schon am ersten Abend Verse für seine Tochter schmiedest.«

Ljot gab keine Antwort, und nun sagte Veterlide:

»Mir ist vorher auch noch nie aufgefallen, dass dir der Sinn nach Frauen steht – doch heute Abend hast du Vigdis nicht ein Mal aus den Augen gelassen. Wir sind noch nicht so lange auf See, dass dich der bloße Anblick einer Frau um den Verstand bringen dürfte.«

Ljot gab noch immer keine Antwort, sondern drehte sich zur Seite und stellte sich schlafend.

Am nächsten Tag, gleich nach dem Frühstück, ritten Gunnar und Veterlide zum Strand, Ljot aber legte sich auf die Bank und sagte, er sei müde. Sobald die anderen den Hof verlassen hatten, stand er auf, denn er wollte Vigdis suchen und mit ihr sprechen.

Ljot trug seine Reisekleidung, denn seine anderen Sachen lagen auf dem Schiff. Er trug einen langen, dunklen Umhang mit Kapuze, der auf seiner Brust mit einer kostbaren vergoldeten Schnalle geschlossen war. Unter dem Umhang hatte er einen schwarzen Wollkittel, der an allen Nähten mit Silber und Blau verziert war, denn Ljot liebte jegliche Pracht. Er trug prächtige Reifen um die Arme und Ringe an den Fingern, und er konnte sich durchaus sehen lassen, er war groß gewachsen, hatte breite Schultern, eine schmale Taille wie eine Frau und geschmeidige Glieder. Sein Gesicht war schön und schmal, nur war seine Haut bräunlich, und er hatte einen großen, vorstehenden bleichen Mund. Er hatte blaue Augen und lange schwarzbraune Haare, die von einem Seidenband gehalten wurden.

Die Sonne schien an diesem Tag, es war schönes Wetter, und als Ljot auf den Hofplatz trat, sah er Vigdis auf der Wiese, die nördlich der Häuser lag. Er lief hinter ihr her und holte sie am Waldrand ein, dort wünschte er ihr einen guten Tag und fragte, ob sie irgendwo etwas

»Dann begleite ich dich«, sagte Ljot, »denn du kannst doch nicht allein weitergehen, ich habe gehört, dass hier oft Bären unterwegs sind.«

»Ich hätte meinen Stallknecht mitnehmen können, wenn ich mich fürchtete«, erwiderte Vigdis, »und unbewaffnet bin ich auch nicht.« Dabei zeigte sie ihm ein großes Messer, das sie in ihrem Gürtel trug. Es war am Griff mit vergoldetem Eisendraht umwickelt, aber in die Klinge waren Runen eingeritzt.

Ljot nahm das Messer in die Hand, sah es an und sagte:

»Das ist ein seltsames Messer, und es scheint sehr alt zu sein, woher hast du es?«

»Das war immer schon in meiner Familie«, sagte Vigdis. »Angeblich waren die Frauen aus meiner Sippe Godinnen an der Opferstätte hier oben im Wald, aber das ist lange her, niemand weiß noch viel darüber. Unsere Leibeigenen schlachten dort Hähne und Schafe. Aber mein Vater glaubt nur an seine eigene Macht und Stärke, und mein Großvater besaß auch keinen anderen Glauben, habe ich gehört.«

»So geht es mir auch«, sagte Ljot und lachte. »Aber außerdem bin ich einmal christlich getauft worden.«

»Das ist ein seltsamer Glaube«, erwiderte Vigdis. »Der Weiße Christ kann wohl keine große Hilfe sein, habe ich gehört, er konnte sich nicht einmal selbst befreien, sondern wurde unten im Morgenland von seinen Feinden getötet.«

»Ich kenne mich da nicht so aus«, sagte Ljot. »aber ich glaube auch nicht, dass er viel vermag. In Dänemark bin ich allerdings einem Heilkundigen begegnet, der eine hässliche, faulige Wunde in meiner Wade behandelt hat;

»Ja, du bist sicher weit herumgekommen«, sagte Vigdis. »Aber wieso bist du nicht mit deinem Verwandten geritten, um die Waren vom Schiff an Land zu bringen? Etwas musst du doch an Bord haben, das du errungen hast, oder weshalb wirst du Viga-Ljot genannt?«

»Ach, ich habe schon etwas errungen, und das ist gut genug«, sagte er, »außerdem gefällt mir das, was ich erst noch gewinnen werde, viel besser.«

»Das kann ich mir vorstellen«, antwortete Vigdis. »Es heißt, die Isländer seien habgierig und wortkarg.«

Ljot sagte:

»Ich habe bisher nur gehört, dass jeder Mann gern Besitz an sich bringt. Aber habgierig hat mich vor dir noch niemand genannt.«

Vigdis lachte und sagte:

»Aber die Reden eines so jungen Mädchens wiegen ja nicht schwer.«

»Ich glaube fast, du verabscheust mich, Vigdis«, meinte nun Ljot. »Als wir uns vorhin begegnet sind, hattest du keinen freundlichen Blick für mich.«

»Es ist hier in der Gegend auch nicht Brauch«, erwiderte sie, »Fremde zu ausgiebig anzusehen.«

Nun lachte Ljot und entgegnete:

»Du hast dir ja wohl keine Goldbänder um die Haare geschlungen, Vigdis, um dich hinter deinen Mägden zu verstecken.«

»Warum sollte ich kein Gold tragen, wenn mein Vater es mir gibt«, sagte Vigdis.

Sie hatten die Opferstätte erreicht, die auf einer Lichtung lag und von dichtem Wald umgeben war. Sie bestand aus einem Steinring, und in dessen Mitte lag der Opferstein; aber viele Steine waren umgestürzt, und auf

Ljot sagte zu Vigdis, während sie Beeren aßen:

»Mein Onkel möchte Gunnar bitten, uns als zahlende Gäste aufzunehmen, während wir uns nach Bauholz umsehen. Aber dir wäre es wohl lieber, wir reisten so schnell weiter, wie wir gekommen sind. Denn ich glaube, du kannst uns nicht leiden?«

»Mein Vater muss selbst wissen, was für Leute er auf dem Hof aufnimmt«, sagte Vigdis. »Dabei hat er mich noch nie um Rat gefragt. Aber er lässt mich in meinen eigenen Angelegenheiten selbst entscheiden.«

»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Ljot und lachte. »Du scheinst eine streitsüchtige und eigensinnige junge Frau zu sein.«

»Das wird behauptet«, antwortete sie. »Und du kommst mir vor wie ein freimütiger und kühner junger Mann.«

»Ja, das kann ich bezeugen«, sagte Ljot. »Aber darf ich jetzt davon ausgehen, dass wir beide keine Feinde sind?«

»Sieht nicht so aus«, antwortete Vigdis. Und nun setzten sie sich auf einen Stein und aßen Süßfarnwurzeln, die Vigdis ausgegraben hatte. Aber als sie aufstanden, vergaß Vigdis ihr Opfermesser.

Ljot hob es auf, als sie nicht hinschaute, und schob es unter seinen Kittel. Danach gingen sie nach Hause, lachten miteinander und waren guter Dinge.

Veterlide kaufte Holz von Gunnar. Der mochte die Isländer nicht als zahlende Gäste haben, bat sie aber, so lange zu bleiben, wie sie wollten, und jedes Mal, wenn Veterlide von Aufbruch sprach, meinte Gunnar, es eile nun wirklich nicht. Das dachte Ljot auch, und so oft er konnte, suchte er das Gespräch mit Vigdis.

Darauf sprach Veterlide ihn eines Tages unter vier Augen an. Ljot erwiderte:

»Ich würde mich am liebsten mit Vigdis verloben; ich habe nie eine gefunden, mit der ich lieber zusammenleben würde. Sie ist schöner als die meisten Frauen, die ich gesehen habe, ihre Rede ist freimütig und lebhaft, und eine reichere Braut kann ich wohl kaum finden, da sie Gunnars einziges Kind ist. Ich glaube auch, dass Gunnar mich leiden mag.«

»Es ist aber trotzdem nicht sicher, ob er Lust auf diesen Handel hat«, sagte Veterlide, »wenn sie dann mit dir so weit von zu Hause weggehen muss. Das Wichtigste wird sein, dass Vigdis dir ihre Zuneigung schenkt, denn diese junge Frau wird über ihre Heirat zweifellos selbst entscheiden. Und du musst ja wohl wissen, was sie dir gegenüber empfindet, ihr wart doch so viel zusammen.«

Ljot wurde nachdenklich und sagte nach einer Weile:

»Es ist nicht leicht zu erraten, was in einer Frau vorgeht. Ich hatte oft das Gefühl, dass sie mich gernhat – aber sie

»Ich glaube nicht, dass es in Vigdis Verrat gibt«, erwiderte Veterlide. »Aber sie ist jung, und es kann sein, dass sie nur ungern ihrer Zuneigung zu einem Gatten nachgeben wird. Denn sie kommt mir überaus eigensinnig vor. Ich rate dir also, langsam und mit angemessener Umsicht vorzugehen. Jetzt werden wir erst einmal in den Norden zu unseren Verwandten reisen, und wenn wir zurückkommen, wird sich zeigen, was sie für dich empfindet und ob du ihr gefehlt hast.«

»Ich breche nicht von hier auf«, sagte Ljot, »ehe ich weiß, was aus diesem Handel wird.«