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INHALTSVERZEICHNIS

Übersichtskarte

Europas letzte Refugien

Europas Mitte

1Weltnaturerbe Watt – Wechsel der Gezeiten

2Vorpommerscher Bodden – Stille Größe

3Jasmund – Die strahlende Schönheit

4Müritz-Nationalpark – Land der tausend Seen

5Nationalpark Harz – Nebelreiches Fleckchen

6Sächsische Schweiz – Felsen und Formen

7Nationalpark Eifel – Den Steinkrebs retten

8Naturpark Altmühltal – Rau und sanft zugleich

9Südschwarzwald – Wilde Schluchten

10Nationalpark Bayerischer Wald

11Nationalpark Berchtesgaden

12Die Hohen Tauern – Faszinierende Vielfalt

13Nationalpark Thayatal

14Schweizerischer Nationalpark

15Nationalpark Triglav – Seen, Berge und Legenden

16Slowakisches Paradies

17Die Hohe Tatra

18Białowieża – Ein Wald wie aus dem Märchen

19Hoge Veluwe – Verschiedenste Landschaftstypen

20Hoge Kempen – Belgiens erster Nationalpark

21Naturpark Obersauer

Europas Süden

22Naturpark Nordvogesen-Pfälzerwald

23Das Vanoise-Massiv – Ein Traum für Alpinisten

24Die Gorges du Verdon

25Port-Cros – Paradiesische Zustände

26Die Cevennen – Grüne Flüsse, karge Plateaus

27Die Pyrenäen – Grenzgebirge und Verbindung

28Nationalpark Ordesa y Monte Perdido

29Serra de Tramuntana – Wanderwinter

30Desierto de Tabernas

31Nationalpark Sierra Nevada

32Coto de Doñana – In der Provinz Huelva

33Nationalpark Cabañeros

34Extremadura

35Picos de Europa – Auf den Spuren der Dinos

36Nationalpark Islas Atlánticas

37Caldera de Taburiente – Lava-Wunderwelt

38Pico del Teide – Bizarre Gebirgslandschaften

39Timanfaya – Feuer, Lava und Wind

40Peneda-Gerês – Üppig wuchernd, saftig grün

41Nationalpark Val Grande – Wildes Kleinod

42Gran Paradiso – Das große Paradies

43Nationalpark Belluneser Dolomiten

44Die Cinque Terre – Idyllisch und einzigartig

45Der Apennin – Das Rückgrat Italiens

46Der Parco dell’Etna – Im schwarzen Sand

Europas Westen und Norden

47Jütland – Abenteuer an der Bernsteinküste

48Nationalpark Thy – Von Wellen und Wölfen

49Jurassic Coast – Prähistorischer Ausflug

50Exmoor – Nationalpark voller Legenden

51Brecon Beacons

52Im Peak District

53Lake District – Traum für Romantiker

54Glencoe – Wandern im Märchenland

55Isle of Skye – Zu Arnold und Alexander

56Cairngorms-Nationalpark – Inspirationsquelle

57Die Highlands – Geduldiges Warten

58Orkney-Inseln – Wolken und wilde Küsten

59Shetland-Inseln – Im Wind der Zeit

60Wicklow Mountains – Wanderparadies

61Killarney-Nationalpark – Typisch irisch

62Connemara – Landschaften der Seele

63Glenveagh-Nationalpark

64Landmannalaugar – Die Bunten Berge

65Vatnajökull – Im Vulkanwunderland

66Spitzbergen – Land der kalten Küste

67Hardangervidda

68Jostedalsbreen-Nationalpark

69Jotunheimen-Nationalpark und Valdres

70Rondane-Nationalpark – Norwegens Ältester

71Dovrefjell-Sunndalsfjella-Nationalpark

72Padjelanta – Des Rentiers Sommerweideland

73Nationalpark Sarek – Wildnis-Trekking

74Riisitunturi – Winterwonderland

75Oulanka-Nationalpark

76Nationalpark Koli – Das Gesicht Finnlands

77Nuuksio-Nationalpark

78Lahemaa – Im Land der Bären und Luchse

Europas Osten und Südosten

79Ladoga und Onega – Einsames Seenreich

80Die Wolga – Längster Fluss Europas

81Nationalpark Plitvicer Seen

82Nationalpark Paklenica

83Nationalpark Krka

84Nationalpark Una – Glasklares Wasser

85Nationalpark Sutjeska – Schlafende Schönheit

86Nationalpark Durmitor

87Biogradska Gora

88Nationalpark Tara

89Nationalpark Retezat

90Nationalpark Karpaten

91Im Donaudelta

92Nationalpark Zentralbalkan

93Nationalpark Rila – Himmlische Erlebnisse

94Nationalpark Pirin

95Zagoria und Vikos-Aoos-Nationalpark

96Der Olymp – Griechenlands höchster Berg

97Meteora – Dem Himmel ganz nah

98Milos – Strandvielfalt in der Ägäis

99Santorin – Romantisch und exklusiv

100Samaria-Schlucht – Alpine Anmutung

Register

Text- und Bildnachweis

Impressum

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Morgenstimmung am Fjord bei Longyearbyen in Spitzbergen.

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Luftansicht eines von borealem Nadelwald umgebenen Sees im Oulanka-Nationalpark, Finnland. Gemeiner Bläuling im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Darß von oben. Vulkanlandschaft auf Lanzarote. Jungenpflege im Bayerischen Wald: der Eurasische Luchs. Verschneite Winterlandschaft im Südschwarzwald in der Nähe von Freiburg, im Hintergrund der Feldberg (v.l.n.r.).

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Blumenwiese im Gąsienicowa-Tal im Tatra-Nationalpark.

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Schwimmvergnügen in der Saraniko-Bucht auf Milos. Hübsch blüht die Hauswurz im Massif de la Vanoise. Kilchurn Castle spiegelt sich im Loch Awe in den schottischen Highlands. Wald im Emilianischen Apennin. Hochland-Rind beim Grasen auf der Isle of Skye. Eishöhle im Vatnajökull-Gletscher (v.l.n.r.).

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Europas letzte Refugien

Zurück in die Zukunft

Das Leben auf unserem Planeten basiert seit Millionen Jahren auf der Weisheit der Wildnis. Diese Wildnis braucht uns nicht. Wir brauchen sie. Und deswegen sind die Bemühungen des Menschen, diese Rückzugsräume für unsere Art zu schützen, von existenzieller Bedeutung.

Es sind die letzten Refugien Europas, die es unserem Geist und unserem Körper ermöglichen, sich von dem Lärm der Städte und der Hetze im Job zurückziehen zu können.

Sie sind die Ladestationen für unsere Seelen. Sie bringen den Rhythmus unserer überforderten Herzen wieder in Gleichklang mit dem Pulsschlag der Natur. Und sie sind ein riesiger Abenteuerspielplatz für Menschen, die noch die Kraft haben, sich in ihrer Freizeit auf die Suche nach Herausforderungen zu machen – die Nationalparks und Naturreservate Europas. Gründe genug, diesen wertvollen Lebensräumen den Respekt zu zollen, den sie verdienen, und unbedingt für ihren Erhalt zu sorgen.

Bereits vor 20 Jahren habe ich auf einer Reise in das Khutzeymateen Grizzly Bear Sanctuary in Kanada gelernt, dass es nicht reicht, ein Verbotsschild aufzustellen und Menschen den Zugang zu diesen Refugien vom Aussterben bedrohter Arten zu verwehren. Menschen muss ein kontrollierter Zutritt zu diesen Naturreservaten gewährt bleiben, denn sie werden darüber berichten. Sie werden mit ihren Social Media-Beiträgen und Bildern anderen Menschen helfen zu verstehen, warum diese Welten schützenswert sind.

Vor diesem Hintergrund haben die Autoren, die Redaktion und ich als Herausgeber die Auswahl der Regionen und Inhalte dieses Bildbandes getroffen. Wir stellen Ihnen das wilde Europa, das ursprüngliche Europa vor. Naturparks und Naturparadiese, in dem Adam und Eva erneut bedenkenlos in einen Apfel beißen würden, ohne sich Gedanken um Inhaltsstoffe und Grenzwerte machen zu müssen.

Machen Sie sich auf den Weg zu den schönsten Naturparadiesen – von den gewaltigen Eishöhlen im isländischen Vatnajökull-Nationalpark, unberührten Bergregionen im norwegischen Jotunheimen, den Wölfen an der Westküste Dänemarks, den gigantischen Wasserfällen und Kalksteinhöhlen der kroatischen Plitvicer Seen bis zum Urwald der Karpaten.

Lesen Sie von der unberührten Natur und erleben Sie Europa von seiner wilden Seite. Unsere Autoren hatten bereits das Privileg, diese fantastisch wilden Welten bereisen zu dürfen.

Carsten Dohme

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Weideland im Nationalpark Ordesa y Monte Perdido in den spanischen Pyrenäen.

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Wasserfälle im Tal des Lepena, einem kleinen Fluss im slowenischen Triglav-Nationalpark.

EUROPAS MITTE

VOM SANDSTRAND INS HOCHGEBIRGE

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Herrliche Aussicht vom Gipfel des Berges Koprowy im slowakischen Teil des Tatra-Gebirges.

1 Wechsel der Gezeiten – Weltnaturerbe Watt

Noch nicht Meer und nicht mehr Land

Wo beginnt hier der Himmel und wo endet der Schlick? An manchen Tagen – und nicht nur bei Nebel – spielt die Landschaft vor der Nordseeküste ihrem Betrachter Streiche. Und wenn dieser schon glaubt, er habe das Watt »durchschaut«, kommt das Meer angespült und wirft im Zwölfstundentakt alle Grenzen über Bord.

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Ein Sehnsuchtsort. Eine Landschaft, in der Gedanken und Gefühle an Weite gewinnen: Über mehr als 10 000 Quadratkilometer erstreckt sich dieses einzigartige Ökosystem vom niederländischen Den Helder im Westen bis zum dänischen Esbjerg im Norden. Bildet den südlichen Saum der Deutschen Bucht vor der Haustür von Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein. 450 Kilometer Landschaft voller Dynamik, entstanden in der letzten Eiszeit vor 7000 Jahren. Sand, Schlick und Wasser, geformt und immer wieder verworfen, neu geformt. Seit Jahrhunderten im Wandel. Sich stets verändernd – mit jeder Ebbe, jeder Flut, jedem lauen Frühlingslüftchen und vor allem jedem Sturm. Und Stürme, die gibt es hier jedes Jahr reichlich.

»Land unter« auf den Halligen

Es kann dramatisch werden, wenn im Herbst und Winter der »Blanke Hans« tobt. So wird hier die brausende Nordsee bei Sturmfluten genannt, wenn der Wind Wasser und Sand vor sich her peitscht. Dann bleiben die Deichschafe im Stall, die Schiffe im Hafen, und die Bewohner der Ost- und Nordfriesischen Inseln, von Borkum bis Sylt, setzen auf den Schutz ihrer Dünen und Buhnen. Auf den sieben bewohnten der zehn Halligen rund um die Insel Pellworm hofft man, dass das Meerwasser nicht die Warften überrollen möge, jene künstlich aufgeschütteten Hügel, auf denen sich die Häuser ducken. Denn dann heißt es »Land unter«. Durch den Anstieg des Meeresspiegels kommt dies immer häufiger vor.

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Die rosa Strandnelken behaupten sich hartnäckig, auch in dieser herben Graslandschaft.

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Sonnenuntergangsstimmung im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer. Ebbe und Flut erschaffen hier immer wieder neue Formen.

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Das Watt versorgt die Silbermöwe üppig mit Nahrung.

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Der Lister Leuchtturm am Ellenbogen auf Sylt.

Wer die Halligen im Sommer besucht, erlebt die Blüte des Strandflieders, der sich auf den Salzwiesen wohlfühlt. Dann sind die kleinen Marschinseln wie Hallig Hooge oder Hallig Langeneß in zartlila Wölkchen getaucht – inmitten einer monochromatischen Kulisse. Wer mag, der trifft auf den großen Inseln im Wattenmeer oder auf den unbewohnten Vogelschutzinseln wie Trischen oder Memmert begeisterte Ornithologen, die ihn mit dem rotbeinigen Austernfischer und dem schwarzweißen Säbelschnäbler bekannt machen. Im Herbst oder Frühjahr rasten dann Millionen Zugvögel wie Knutt, Alpenstrandläufer und Nonnengans im Wattenmeer, das als Drehscheibe des ostatlantischen Vogelzuges gilt, und stärken sich hier für ihren Weiterflug in die südliche Wärme oder zu ihren Brutgebieten im Norden – je nach Jahreszeit. Am Himmel wirken die riesigen Vogelschwärme in ihrer Choreografie wie gigantische Fischschwärme im Wasser. Auch hier verschwimmen Grenzen.

Die Rückkehr der Kegelrobbe

Salzwiesen, Muschelbänke, Sand- und Schlickwatt bieten in der größten Wattlandschaft der Welt mehr als 10 000 Tier- und Pflanzenarten Heimat und Nahrung. Eine Zwischenwelt – noch nicht Meer und nicht mehr Land. Die man mittlerweile zu schätzen weiß. Bis auf die Mündungen von Ems, Weser und Elbe sowie die Wattgebiete Bremens ist der deutsche Teil des Wattenmeeres ein Nationalpark. Und gehört seit 2009 (das Hamburgische Wattenmeer seit 2011) zum UNESCO-Weltnaturerbe. In dem sich mittlerweile auch die ehemals fast völlig verschwundene Kegelrobbe wieder wohlfühlt und eifrig vermehrt, das größte freilebende Raubtier Deutschlands, dessen prächtigste Exemplare bis zu 300 Kilogramm schwer werden können. Auf Sandbänken und an ruhigen Strandabschnitten der Inseln ruhen sich die Tiere von ihren Beutezügen nach Fischen und Kleinkrebsen aus, in friedlicher Nachbarschaft mit den kleineren Seehunden. Seit ihre Bejagung in den 1970er-Jahren endete, hat sich ihr Bestand wieder vergrößert. Wer Glück hat, der begegnet im Watt auch Schweinswalen, die ihre Jungen gern dort zur Welt bringen, wo das Wattenmeer auf die Nordsee trifft.

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Fühlen sich im Wattenmeer wieder richtig wohl: die Kegelrobben.

Mächtige Priele durchziehen diese urzeitlich anmutende Landschaft, sichtbar am besten aus der Vogelflugperspektive. Mäandernde, vieladrige Wasserläufe, die sich bei Flut in wenigen Minuten in reißende Flüsse verwandeln können. Wer sich aufmacht, das Watt zu erforschen, sollte nicht auf einen kundigen Wattführer verzichten (ihre Homepages findet man unter dem Stichwort »Wattführer« und der Angabe des Startortes). Kurze oder lange Wanderungen führen bei Ebbe barfuß oder in Gummistiefeln zu Miesmuschel, Strandschnecke, Wattwurm und Co. Und sie vermitteln jede Menge Wissenswertes, zum Beispiel, dass 80 Prozent aller Nordsee-Schollen und 50 Prozent aller Seezungen im Wattenmeer aufwachsen. Da horchen auch Feinschmecker auf …

Winzig klein im Watt

Auf dem, oder besser im Wattboden stehend, die Füße vom braunen Schlick bedeckt, geht der Blick des Wanderers immer wieder in die Ferne, zum Horizont. »So weit das Auge reicht« – kaum eine Landschaft passt besser zu dieser Redewendung. Kein Baum, kein Berg unterbricht das Bild, höchstens mal die Silhouette eines Segelbootes, eines Krabben kutters oder einer Fähre, und wer genau hinsieht, kann sogar die Erdkrümmung erkennen. Das Watt eröffnet den Horizont. Nicht nur für die Augen. Es fragt nach Proportionen. Das hält nicht jeder aus, und mancher flieht in die Lieblichkeit weniger herausfordernder Landschaften.

Denn lieblich ist das Wattenmeer nicht. Bis ins 19. Jahrhundert hinein galt es sogar als lebensfeindlich, als Garant für ein beschwerliches, karges Dasein. Das änderte sich, als Maler der Romantik seinen Reiz entdeckten. Auf ihren Bildern zog das Wattenmeer in die städtischen Salons und Museen. Und galt immer mehr Menschen als einzigartige Natur pur, die es zu entdecken und erleben lohnt. Heute suchen Menschen im Wattenmeer das Ursprüngliche, Unberührte und Erholung in einer jodhaltigen, salzigen Luft. Die so klar ist, dass nachts die Sterne noch ein bisschen heller funkeln als anderswo. Vor einem Nachthimmel, in dem nur hier und da das Licht eines Leuchtturms aufscheint. In einer Dunkelheit, die es nirgendwo anders in Mitteleuropa so finster gibt.

ZU FUSS UND MIT DER KUTSCHE

Der beste Weg, das Watt kennenzulernen, ist eine Wanderung durch Sand und Schlick. Die Saison für Wattführungen geht von April bis September. Eine der beliebtesten Routen führt von Cuxhaven nach Neuwerk und mit dem Schiff zurück. Bekannt sind auch die Strecken zu den Inseln Baltrum, Minsener Oog, Spiekeroog und Norderney. Besonders Ausdauernde stellen sich der Herausforderung der »Riesengroßen Nationalpark-Wattwanderung«, die im Sommer in 20 Stunden von Dagebüll nach Amrum, Föhr und zur Hallig Langeneß führt, über 18 Watt- und sechs Landkilometer und nur dann, wenn der Tag zwischen zwei Niedrigwassern liegt. Bequemer ist eine Kutschen-Wattfahrt, von Nordstrand zur Hallig Südfall oder von Duhnen nach Neuwerk.

 

WEITERE INFORMATIONEN

Nationalpark-Häuser, UNESCO-Besucherzentren in Cuxhaven und Wilhelmshaven: www.bz.cuxhaven.de

www.wattenmeer-besucherzentrum.de

2 Stille Größe – Vorpommerscher Bodden

Weite Strände, große Wälder

Vom Darß bis nach Hiddensee erstreckt sich eine Landschaft von unvergleichlicher Schönheit: mit dichtem Wald, feinsandigen Ufern und klarem Wasser. Windgebeugte Kiefern säumen die Dünen und sind Sinnbild der permanenten Veränderung der Küste durch die Kraft der Elemente. Die wahren Stars des Parks schauen alljährlich im Oktober vorbei – Tausende Kraniche.

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Über dem kieferngesäumten Weststrand auf der Halbinsel Darß ziehen Gewitterwolken auf.

Schon der Name klingt nach Fuchs und Hase: Vorpommersche Boddenlandschaft – und auch rein geografisch stimmt der Eindruck: Deutschlands drittgrößter Nationalpark liegt ganz am Rande der Republik, so weit im Norden und Osten, wie es nördlicher und östlicher kaum geht. Ganz kurz vor dem Ableben der DDR 1990 verlieh eine Gruppe Politiker und Lobbyisten dem Gebiet quasi per Handstreich den nationalen Schutzstatus, über die Bevölkerung hinweg und doch visionär – es gibt wohl keinen, der das heute anders sieht. Vom »Fischbesteck« im Tafelsilber der deutschen Einheit sprach der damalige Umweltminister Klaus Töpfer, und Horst Stern, der großartige Journalist und Naturschützer, lobte die »afrikanisch anmutende Wildnisdimension« des Gebiets. Es erstreckt sich über 800 Quadratkilometer und umfasst Flachwasserbereiche der Ostsee, lange Sandstrände und dichte Urwälder sowie Bodden, schilfbestandene Lagunen, bei denen der Salzgehalt im Wasser nahezu bei Null liegt.

Besucher aus der Luft

Für bis zu 70 000 Kraniche ist hier der Tisch reich gedeckt: Auf ihren Zügen im Frühjahr und vor allem im Oktober legen die großen Vögel in den Flachwasserzonen rund um die Inseln Bock und Werder, Rügen und Kirr eine Rast ein und schlagen mit ihren Trompeten Krach. In ihrem Gefolge kommen jedes Jahr Scharen an fernglasbewaffneten Touristen – und so hat die Zahl der Gäste die der Kraniche längst überschritten: 2017 übernachteten fast 2,5 Millionen Menschen in der Region Fischland-Darß-Zingst, der heiße Sommer 2018 brachte noch mehr Urlauber, die allermeisten aus Deutschland. Sie lieben die Vielfalt, die relative Nähe und vielleicht auch die zeitliche Entrücktheit des schmalen Landstreifens am langjährigen Sperrgebiet.

Entschleunigung durch Abgeschiedenheit

Denn was auf den ersten Blick strukturschwach wirkt, ist an nostalgischem Charme kaum zu übertreffen: die Betonplatten etwa, über die die wenigen Auto- und zahllosen Radfahrer auf Prerows Langseer Straße holpern, bevor die Befestigung ganz aufhört.

Die Abgeschiedenheit der Lage, fern von Großstädten und Flughäfen, empfinden viele Besucher als entschleunigend. Und die ehedem engen Holzkaten, die sich in Wieck oder dem denkmalgeschützten Neuendorf auf Hiddensee ducken, wirken geradezu als Inbild an Gemütlichkeit, da braucht man gar nicht das dänische Wort hygge (heimelig) zu bemühen. Unter den umliegenden Orten findet wohl jeder das richtige Plätzchen für sich: ob im schicken Ahrenshoop, im verschlafenen Wieck, im pragmatischen Prerow oder im propperen Zingst – vollkommene Stille verheißt die Insel Hiddensee, sie ist komplett autofrei.

Alles in Bewegung

Der vermutlich wichtigste touristische Gebrauchsgegenstand ist das Fahrrad, auf dem die Distanzen dahinschmelzen – etwa im Darßwald mit seinen Eichen-, Buchen- und Kieferbeständen oder auf den Deichen, zwischen Prerow und Zingst und von dort weiter nach Pramort oder in Richtung Ahrenshoop. Niemand muss fürchten, sich zu verfahren. Die Wege führen oft schnurgerade durchs üppige Grün, und an Knotenpunkten wie dem »Großen Stern« zeigen Schilder jede Richtung an. Natürlich auch zum Strand, der meist feinsandig und gemächlich zur Ostsee abfällt, von einem schmalen Dünengürtel eingefasst und markiert von Windflüchtern. Diese oft leuchtturmhohen Kiefern beugen sich der vorherrschenden Windrichtung – wie Schauspieler im jahrtausendealten Küstenschauspiel.

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Zweimal jährlich legen Zehntausende Kraniche in den Flachwasserzonen der Boddenlandschaft eine Verschnaufpause ein.

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BODDEN AHOI

Sie gehören zum flachen Bodden wie das Schilf und die Kraniche: Die Zeesbote mit ihren braunroten Segeln ziehen im Sommer übers Wasser; zumeist gemächlich, es sei denn, es findet in Zingst, Wustrow, Barth, Dierhagen, Bodstedt oder Althagen gerade eine Regatta dieser ehemaligen Fischereiboote statt. Heute dienen sie als Segel- oder Ausflugsboote und bereichern die Boddenoptik. Zu der gehören auch zwei Raddampfer und mehrere Motorschiffe, die Gäste und zum Teil auch deren Fahrräder zwischen einzelnen Häfen oder auf mehrstündigen Rundfahrten transportieren (www.reederei-poschke.de, www.fahrgastschiff-darss.de). Ab Mitte September haben alle Anbieter Kranichtouren im Programm.

 

WEITERE INFORMATIONEN

Nationalpark Vorpommersche

Boddenlandschaft, Im Forst 5, 18375 Born (Darß), www.nationalparkvorpommersche-boddenlandschaft.de

www.ostsee.de

www.braune-segel.de

3 Die strahlende Schönheit – Jasmund

Romantisches Fleckchen

Wovon träumen Hamburg, Berlin und Ruhpolding? Vom Wetter auf Rügen! Angeblich strahlt 1800 Stunden im Jahr die Sonne über Deutschlands größter Insel. In ihrem Nordosten liegt der Nationalpark Jasmund, der kleinste der Republik mit seinen markanten Kreidefelsen und den dichten Laubwäldern, die sich bis an den Klippenrand erstrecken. Als urwüchsige Buchenwälder gehören sie seit 2011 zum UNESCO-Weltnaturerbe.

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Kommt eine derartige Farbkombination noch in einem anderen Winkel der Erde vor? Grellweiß leuchtende Klippen, darüber dunkelgrüne Wälder, die den 160 Meter hohen Bergrücken der Stubnitz hinaufklettern, darunter die klarblaue Ostsee. Vom Wasser aus betrachtet bildet die 15 Kilometer lange Steilküste im Nordosten Rügens aus dem hellen Kreidestein einen schönen Kontrast zur smaragd- und saphirfarben schimmernden Ostsee. So schön, dass er Maler inspirierte (allen voran die Romantiker), Prinzessinnen verzauberte (beispielsweise Viktoria von Preußen) und heute die Handykameras klicken lässt. Fast 300 000 Besucher kommen jährlich ins Nationalparkzentrum am Königsstuhl, doppelt so viele tummeln sich an den Aussichtspunkten oder an den Stränden, und zahlreiche Gäste besteigen die Ausflugsboote – anderthalb Stunden dauert die Kreideküsten-Rundfahrt ab Sassnitz, ab Binz sind es zweieinhalb Stunden.

Permanenter Wandel

Geologisch betrachtet sind die bis zu 118 Meter hohen Kreidefelsen ein reichliches Durcheinander aus Sand, Kies, Mergel, Findlingen und dem Sedimentgestein Kreide, das sich während der letzten Eiszeit unter großem Druck in Falten legte. Das Satellitenbild zeigt das Wirken der rohen Kräfte und lässt die nur durch eine schmale Landbücke mit dem restlichen Rügen verbundene Halbinsel wie die eingedellte Nase eines Comic-Hais aussehen. Auf ihrem welligen Relief entstanden auf einer Vielzahl unterschiedlicher Böden diverse Lebensräume: Blockstrände, Steilufer, Moore mit Toteislöchern, Kalktrockenrasen und vor allem dichte Wälder.

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Schroff fallen die hellen, teilweise fast weißen Kreidefelsen auf der Insel Rügen zum Wasser hin ab – ein schöner Kontrast zum satten Grün der Laubbäume und zur türkis schimmernden Ostsee.

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Seit Jahrhunderten schätzen die Buchen den kalkigen Unterboden.

Die Kreide selbst – an der Nordostküste Rügens erscheint sie in besonders reiner Form – hat sich aus den kalkhaltigen Schalen, Panzern und Skeletten kleinster Lebewesen gebildet, regelmäßig finden Fossiliensammler Reste aus der Vorzeit. So stark ist die Küste in Bewegung, dass sie beinahe organisch wirkt, auch wenn der Druck der Landmasse und das Nagen der Ostseewellen Auslöser der Dynamik sind. Caspar David Friedrichs Bild von den Kreidefelsen auf Rügen etwa entstand an der Stubbenkammer und nicht am Wissower Klinken, der 1818 noch vollkommen anders aussah. Sein charakteristischer Zinken brach im Februar 2005 ab und gut zehn Jahre später schaffte es die Kreide erneut in die Schlagzeilen, als der Hang am Königsstuhl abrutschte – hier ist der Mensch nur Zaungast im ewigen Getriebe.

Im Schatten alter Buchen

Diese Einstellung ist nicht der schlechteste Begleiter durch den Park, sei es am Strand, über dem sich die Kreidefelsen übermächtig türmen, sei es auf dem elf Kilometer langen Hochuferweg von Sassnitz zum Königsstuhl. Der Wanderpfad führt durch ein Mosaik verschiedener Ökosysteme. Im Frühjahr leuchtet der Waldboden leberblümchenlila oder schlüsselblumengelb, bevor sich im Sommer das dichte Laubdach schließt. Etwa 80 Prozent der Landfläche des Nationalparks (700 der 3100 Hektar liegen im Wasser) bedecken Buchenwälder, die auf der Liste des UNESCO-Weltnaturerbes stehen und eine Ahnung geben von dem Ur-Wald, der einmal ganz Deutschland überzogen hat. Kippt ein Baumriese um, wird deutlich, worauf hier alles gründet: auf weißem feinen Kalk, der unter dem Kalktrockenrasen auch den Nährboden bildet für mehr als 25 Orchideenarten.

T-REX UND TOMATENSÜPPCHEN

Von der Wildnis vor über 400 Millionen Jahren erzählt das Dinosaurierland Rügen bei Bobbin. Mehr als 120 Modelle bauen sich auf dem zehn Hektar großen Gelände in Originalgröße auf, darunter der Tyrannus Saurus Rex und ein 27 Meter langer Diplodocus, der hier dereinst mit seinem langen Hals auf Wasserpflanzenernte gegangen sein mag. Ein anderthalb Kilometer langer Erlebnispfad führt über das frühere NVA-Gelände, das auch einen Ausgrabungsbereich und mehrere Picknickbänke bietet. Sein Ende markiert die Zeit des Saurieruntergangs vor 65 Millionen Jahren – vergleichsweise kurze fünf Millionen Jahre zuvor waren die Kreidefelsen entstanden. Nach menschlichem Ermessen echt alt ist das Schloss Spyker unweit des Saurierparks. Im Jahr 1318 erstmals erwähnt, gilt der rotverputzte Backsteinbau aus dem 16. Jahrhundert als ältester Profanbau Rügens. Heute dient das Schloss als Hotel und Restaurant.

 

WEITERE INFORMATIONEN

www.schloss-spyker.de

www.dinosaurierland-ruegen.de

www.nationalpark-jasmund.de

www.koenigsstuhl.com

www.ruegen.de

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4 Land der tausend Seen – Müritz-Nationalpark

Verwunschene Moore

Wie ein riesiges blaues Herz bettet sich das namensgebende Gewässer in die Landschaft der Mecklenburgischen Seenplatte. Mit einer Fläche von rund 117 Quadratkilometern ist die Müritz der größte Binnensee Deutschlands und gleicht schon eher einem Meer. An ihr östliches Ufer grenzt der wilde Müritz-Nationalpark. Hier darf sich die Natur nach ihren eigenen Regeln entwickeln.

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Herrlich, so ein Sonnenuntergang an der Müritz. Da bekommt man richtig Lust, seine Angel ins Wasser zu hängen, um den Fisch fürs Abendessen zu besorgen.

Gleich mehrere Superlative machen den Müritz-Nationalpark zu etwas Besonderem. Er ist außerdem der größte Waldnationalpark Deutschlands, geprägt vor allem durch ausgedehnte Kiefernwälder. Sie machen drei Viertel der Forstgebiete aus. Doch auch die Buchenwälder sind es wert, erkundet zu werden, uralte Bestände befinden sich rund um die kleine Ortschaft Serrahn im Osten des Nationalparks. Diese Wälder wurden in den vergangenen 150 Jahren insbesondere durch die Jagdleidenschaft der Großherzöge vor einer intensiven forstlichen Nutzung bewahrt. So konnten sich mit den Totholzbeständen wertvolle Lebensräume bilden. Über Jahrhunderte konnte sich in diesem urwaldartigen Gebiet eine eine ungeahnte biologische Vielfalt entwickeln und erhalten bleiben, mit vielen Tier- und Pflanzenarten. Seit 2011 gehören die Buchenwälder zum Weltnaturerbe der UNESCO.

Zahlreiche Seen und Moore

Außergewöhnlich ist auch die hohe Dichte an Seen und Mooren im Park, der daher als »Land der tausend Seen« bezeichnet wird. Seine 107 Seen haben zusammen eine Fläche von 10 000 Quadratmetern. Obendrein gibt es hier noch etliche kleinere Gewässer. Auch die Müritz steuert an ihrem östlichen Ufer einen zehn Kilometer langen und 500 Meter breiten Abschnitt zum Nationalpark bei, der einen typischen Ausschnitt der Mecklenburgischen Seenplatte zeigt. Das Gebiet ist mit rund 50 Einwohnern pro Quadratkilometer ausgesprochen dünn besiedelt.

Einen mystischen Charakter verleihen die rund 400 Moore der naturgeschützten Landschaft. Einige bringen es auf 500 Quadratmeter, andere aufs Zehnfache. Besonders eindrucksvoll sind die Moore am Ostufer: Der Röbelsche Wold und der Specker Wold sind jeweils sechs Quadratkilometer groß. Auch einige bewirtschaftete Areale gehören zum Nationalpark, etwa das Grünland bei Müritzhof. Doch sie machen nur einen geringen Anteil aus und auch hier kommen seltene Arten vor, wie man sie bedingt durch die Intensivierung der Landwirtschaft nur noch in Ausnahmefällen findet.

Eine seltene Flora und Fauna

Aufgrund der verschiedenen Biotope ist die Artenvielfalt im Müritz-Nationalpark ausgesprochen groß. So wurden hier unter anderem 673 Großschmetterlingsarten, 859 Käfer- und 214 Vogelarten gezählt. Von Aussichtsplätzen aus sind prächtige Vertreter wie Fischadler, Schwarzstörche und Kraniche zu beobachten. In den Feuchtgebieten kommen seltene Arten wie die Rohrdommel vor. Ähnlich facettenreich zeigt sich die Pflanzenwelt mit insgesamt rund tausend verschiedenen Arten von Gefäßpflanzen, Moosen und Armleuchteralgen. Obendrein sind im Nationalpark insgesamt rund 750 Arten von Pilzen und Flechten zu finden.

Ausflug nach Waren

Nur wenige Kilometer sind es von der Grenze des Nationalparks bis Waren. Das Städtchen mit seiner mehr als 750-jährigen Geschichte ist dank seiner gesundheitsfördernden Thermalsole seit 2012 als Heilbad staatlich anerkannt. Es liegt gut geschützt an der Binnenmüritz – einer kleinen Ausbuchtung am Nordufer des riesigen Sees. Mit reichlich Backstein, Fachwerk und ziegelroten Dächern säumt die Altstadt den Hafen. Daraus hervor ragt der barocke Turm der St. Marienkirche, deren Ursprünge im 14. Jahrhundert liegen. Bei einem Aufstieg entfaltet sich ein großartiges Panorama mit einem Blick über die Seenlandschaft.

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Unzählige Moore sind über das Gebiet verteilt und verleihen ihm einen mystischen Touch.

HAUS DER 1000 SEEN

Das Müritzeum, auch »Haus der 1000 Seen« genannt, vermittelt interaktiv Landschaftsgeschichte und Tier- und Pflanzenwelt des Müritz-Nationalparks. Innovativ ist auch die multimediale Gestaltung der Ausstellung rund um die Mecklenburgische Seenplatte. Wie beim »Original« werden alle Sinne angesprochen. Besucher können etwa einem Laubfroschkonzert im Moor lauschen, Moränen unter Wasser oder Kraniche beim Fischen begleiten. Zum Müritzeum gehört auch Deutschlands wohl größtes Aquarium für einheimische Süßwasserfische. Ein weiterer Bereich der Ausstellung präsentiert rund 280 000 Exponate der Naturhistorischen Landessammlung.

 

WEITERE INFORMATIONEN

www.waren-mueritz.de

Müritzeum: www.mueritzeum.de

5 Nebelreiches Fleckchen – Nationalpark Harz

Zwischen dichten Wäldern und rauschenden Wassern

Von Skandinavien aus die ersten Berge: der Harz, das nördlichste Mittelgebirge Deutschlands. Obwohl der Brocken das bekannteste Naturdenkmal ist, lohnt es sich, auch jenseits des höchsten Gipfels den Naturpark zu erkunden. Manche Menschen unken ja, dass es ihn gar nicht gibt, denn es kann vorkommen, dass man den Harz mehrfach besucht und den Brocken einfach nicht sieht, da er sich gerne in Nebel hüllt.

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Die Luchse haben einen wunderbaren Ausblick: Majestätisch residieren sie auf 500 Metern Höhe. Unter ihnen erstrecken sich Wälder aus rauschenden Tannen, und irgendwo in der Ferne erhebt sich der Brocken als halbrunde Kuppe aus der Landschaft. Wenn er sich denn blicken lässt. Ganz häufig ist es so neblig, dass man ihn einfach nicht sieht – immerhin ist das hier der nebelreichste Ort Europas.

Der Brocken – ein besonderer Gipfel

1141 Meter ragt der Brocken als höchste Erhebung Norddeutschlands aus der Ebene auf – und sorgt damit für besondere Bedingungen. So liegt sein Gipfel zwar weit unterhalb der Waldgrenze, bleibt aber dennoch baumlos von Natur aus. Ursache hierfür sind lange Winter mit niedrigen Temperaturen, zudem ist er der erste Angriffspunkt für Stürme. Beides zusammen hat seine runde Kuppe erkahlen lassen wie eine Glatze. Es ist zudem der niederschlagsreichste Punkt im nördlichen Mitteleuropa. Mehr als 300 Nebeltage pro Jahr vermeldet der Brocken. Als erstes Gebirge sammelt er eben die Wolken vom Atlantik und lässt sie niederregnen. Das ist ein Grund, warum die Westseite des Harzes so überbordend grün ist. Wer in den Nationalpark Harz fährt, kommt um Torfhaus kaum herum. Der kleine Weiler stellt die ideale Ausgangsbasis für Wanderungen auf den Brocken oder mit Brockenblick dar. Doch nicht nur bergauf lässt es sich dort wandern, sondern auch wunderbar bergab. Gleich hinter der Jugendherberge beginnt ein Wanderweg zur Okertalsperre. Er führt nicht nur durch die zauberhaften Wälder des Mittelgebirges, sondern vor allem entlang des Oberharzer Wasserregals.

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Schwindelfrei sollte wohl sein, wer sich auf diese Hängebrücke über die Rappbodetalsperre begibt, die längste Fußgänger-Seilhängebrücke der Welt.

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Rund um den Brocken geht es überall schön rauf und runter, perfektes Terrain für Mountainbiker.

Wasserkraft aus dem Mittelalter

Was wie ein Einrichtungsgegenstand eines schwedischen Möbelhauses klingt, ist ein System aus Teichen, Gräben und Kanälen, das im Mittelalter das Wasser der Hänge so geschickt geleitet hat, dass es als Antriebskraft für den Bergbau genutzt werden konnte.

Hört sich industriell an, ist aber heute wunderschön: In Rinnen und Gräben plätschert das Wasser entlang der Wege, staut sich in künstlichen Becken oder Teichen.

Rund 22 Wanderwege kreuzen dieses inzwischen als UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnete Denkmal, das sich wie ein blaues Netz über die Landschaft legt.

Das Mittelgebirge Harz gehört immerhin zu den wasserreichsten Gegenden Deutschlands. Und das zeigt sich nicht nur in den vielen Gräben, Stauseen und Flüssen – der Harz hat auch ganz besondere Quellen. Die Rhumequelle am südöstlichen Harzrand etwa ist eine der stärksten Karstquellen Mitteleuropas und fasziniert mit ihrem Blauschimmer vor allem im Frühjahr. Natürlich nicht, ohne eine passende Sage dazu bereitzuhalten: Ihr zufolge sollen sich dort einst ein Riese und eine Nixe ineinander verliebt haben. Der Vater der Nixe sabotierte aber die Verbindung, sodass der Schönen nichts anderes übrig blieb, als sich in eine Quelle zu verwandeln. Die vielen Sagen und Mythen rund um den Harz aus früheren Zeiten sind noch heute in den Namen erkennbar: Hexentanzplatz, Teufelsmauer, Orte wie Sorge und Elend oder eben die Rabenklippen, die wohl inzwischen eher Luchsklippen heißen müssten, da die Pinselohrkatzen sich dort niedergelassen haben.

WALPURGISNACHT IM HARZ

Die Mystik des Harzes schätzte schon Johann Wolfgang von Goethe. Der Dichter war einerseits fasziniert von der Bergbautechnik wie etwa in Rammelsberg, aber vor allem von den Sagen und den vielen Geschichten rund um die Hexen, die heute das Wahrzeichen des Harzes geworden sind. Goethe hat all das in seinem Faust verarbeitet und den Harz als Schauplatz der Walpurgisnachtfeiern verewigt. Bis heute zählen die Walpurgisfeiern zu den Veranstaltungshöhepunkten des Harzes. Am 30. April zündet man große Feuer an und tanzt als Hexen verkleidet in den Mai. Die größten Feiern finden dabei in Bad Grund, Braunlage, Hahnenklee, Sankt Andreasberg, Schierke und Thale statt. Wer es noch spezieller haben möchte, fährt mit der Schmalspurbahn zum Brocken und lauscht der Inszenierung der Rockoper Faust.

 

WEITERE INFORMATIONEN

www.harzinfo.de, www.hsb-wr.de

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6 Felsen und Formen – Sächsische Schweiz

Bad Schandau und der Kuhstall

Wer den hübschen Ort Bad Schandau noch nicht kennt, sollte sich auf den Weg in die Sächsische Schweiz begeben. Denn hier kann man zu jeder Jahreszeit eine Naturlandschaft entdecken, die als Habitat für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten dient und für aktive Erholung sorgt. Gesundheitsfördernde Bäder in der Toskana-Therme und wunderbare Wanderwege sind inbegriffen.

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Weit geht der Blick übers Land, wenn man bei einer Wanderung in der Sächsischen Schweiz einen Aussichtspunkt erreicht.

Das Elbsandsteingebirge ist ein länderübergreifendes Gebiet, bestehend aus Sächsischer und Böhmischer Schweiz, und zugleich eine der spektakulärsten Naturlandschaften Europas. Im äußersten Südosten Deutschlands sowie im Norden Tschechiens gelegen, ist es über Dresden gut zu erreichen.

Unberührte Natur

Die Landschaft besitzt einen besonderen Formenreichtum, der mit Tafelbergen, Hochflächen, grotesken Felsenriffen und Felsnadeln, Wäldern und Schluchten sowie dem lieblichen Elbtal die Besucher verzaubert.

Ein Großteil der insgesamt 710 Quadratkilometer großen Region mit ihrer reichen Flora und Fauna ist beiderseits der Grenze als Nationalpark geschützt. Im Süden schließt sich das vom Vulkanismus geprägte Böhmische Mittelgebirge mit markanten, kegelförmigen Bergen an. Der Nationalpark Sächsische Schweiz ist der einzige Felsennationalpark Deutschlands. Er besteht aus zwei Teilen und umfasst insgesamt 94 Quadratkilometer Fläche. Es sind jene Gebiete auf der östlichen Elbseite, die in ihrer Geschichte kaum besiedelt oder verkehrsmäßig erschlossen wurden und sich so bis heute alle Merkmale einer Naturlandschaft bewahrt haben. Irgendwann sollen Tiere und Pflanzen hier wieder gänzlich sich selbst überlassen werden. Frei entfalten kann sich die Natur auf der Hälfte der Fläche des Nationalparks, in den besonders geschützten Kernzonen.

Wanderung zum Felsentor Kuhstall

Im Jahre 1430 wird Schandau erstmals urkundlich erwähnt. Als wichtiger Ort auf dem Handelsweg zwischen den großen Feudalstaaten Meißen und Böhmen entwickelte sich das Städtchen zu einem bedeutenden Umschlagplatz des Elbhandels. Mit der Entwicklung des industriellen Marktes und moderner Verkehrsmittel im 19. Jahrhundert gingen Handel und Handwerk zurück, während der Fremdenverkehr an Bedeutung gewann. Das gebildete Bürgertum fand plötzlich Gefallen an der bis dahin gemiedenen Felsenwelt des Elbsandsteingebirges. Es ist zudem seit 1800 der älteste Kurort der Region, seit 1920 führt es den Titel »Bad«. Heute spielt hier vor allem der sanfte, nachhaltige Tourismus eine wichtige Rolle. Ein Leitfaden für Tourismusbetriebe verbindet die Sächsische und die Böhmische Schweiz und bildet so einen einzigartigen Naturraum zwischen Dresden und Prag. Als Reiseziel legt man bei der Entwicklung dieser einmaligen Region mit zwei Nationalparks besondere Sensibilität an den Tag. Ein nostalgisches Erlebnis ist eine Fahrt mit der Kirnitzschtalbahn, der einzigen Straßenbahn der Welt, die in einen Nationalpark einfährt. Die Traditionsbahn ruckelt ganz gemächlich durch das wildromantische Tal entlang des klaren Gebirgsbaches Kirnitzsch. Seit 1898 bringt sie Wanderer, Touristen und Kurgäste zu ihren Zielen. Auf etwa acht Kilometern und mit neun Haltestellen begleitet die meterspurige Bahn die bizarre Felsenwelt des Elbsandsteingebirges von Bad Schandau zum Lichtenhainer Wasserfall. Zu beiden Seiten der Kirnitzsch erstreckt sich eines der schönsten Wanderreviere des Elbsandsteingebirges mit den Schrammsteinen, Bärenfangwänden, dem Kuhstall, dem Hinteren Raubschloss und dem Großen Zschand. Der Kuhstall ist das größte Felsentor der Sächsischen Schweiz und nach dem Prebischtor auf böhmischer Seite das zweitgrößte des gesamten Elbsandsteingebirges. Während des Dreißigjährigen Kriegs (1618–1648) versteckten sich hier die Lichtenhainer Bauern mit ihrem Vieh vor den schwedischen Truppen, die damals durch das Gebiet zogen und die Häuser plünderten.

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Die skurrilen Felsformationen sind äußerst imposant, das wird am besten bei einem Besuch der Basteibrücke im Elbsandsteingebirge klar.

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SOMMER- UND WINTERDORF SCHMILKA

Bereits im Jahre 1665 wurde mit der Schmilkaer Mühle der Grundstein für den Ort an der Elbe gelegt, heute ist er ein Ortsteil von Bad Schandau. Zwischen 1800 und 1875 erweiterte der Müller seinen Betrieb um eine Mahlmüllerei und bis 1881 auch um eine Brotbäckerei. Nach langem Stillstand wurde die Mühle von Familie Hitzer wiederbelebt, heute dreht sich täglich das Mühlrad durch die Wasserkraft des Ilmenbachs. Schmilka ist heute ein Bio-Refugium.

Neben dem ersten sächsischen Bio-Hotel und der Bio-Bäckerei gibt es hier auch eine Bio-Brauerei, ein Café und ein Badehaus. In der kalten Jahreszeit verwandelt sich Schmilka in ein Winterdorf. Dann steigen Gäste in den beheizten Badezuber, lassen die Seele in der Panoramasauna baumeln oder genießen Glühwein und Kuchen am Kaminfeuer im Mühlenhof.

 

WEITERE INFORMATIONEN

www.schmilka.de

www.saechsische-schweiz.de

www.nationalpark-saechsische-schweiz.de

Hotel Elbresidenz (Fünf-Sterne-Komfort)

www.hotel-elbresidenz.de

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Der tschechische Teil des Elbsandsteingebirges wird Böhmische Schweiz genannt. Den Nationalpark Böhmische Schweiz frequentieren Kletterer gern, seine Felsen eignen sich hervorragend dafür.

7 Den Steinkrebs retten – Nationalpark Eifel

Besondere Biotope als Rückzugsräume

Der Nationalpark Eifel ist ein besonderer Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen, darunter auch Pilze. Seine besonderen Merkmale sind die naturnahen Laubwälder, artenreichen Wiesen, schroffen Felsen und vielen kleinen Bäche, aber auch großen Seen. Über 10 000 verschiedene Arten aus Flora und Fauna haben Forscher hier bisher nachgewiesen und in eine digitale Artenliste eingetragen.

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Mehr als 2300 Arten davon stehen auf der Roten Liste, gelten demnach also als gefährdet oder sind gar vom Aussterben bedroht. Das sind Tiere und Pflanzen, die auf die Lebensbedingungen im Schutzgebiet besonders angewiesen sind. Entsprechend sorgsam sollte man sich im Nationalpark Eifel dann auch bewegen und die Regeln für den achtsamen Umgang mit der Natur einhalten, denn diese schützen nicht nur den Artenreichtum und unsere Umwelt, sondern letztlich auch uns selbst. So wurde im November des vergangenen Jahres zum Beispiel eine Anzahl von 130 heimischen Steinkrebsen in verschiedene Bäche im Nationalpark Eifel entlassen.

Wald, Wasser, Wildnis

Dieses neue Artenschutzprojekt der Nationalparkverwaltung Eifel benötigt einen sauerstoffreichen und kühlen Bach mit kiesigem Bett, wie es die heimischen Steinkrebse gerne mögen. Nach einer solchen Stelle mitten im Nationalpark Eifel hat Flusskrebs-Experte Dr. Harald Groß lange gesucht. Um die äußerst empfindlichen und selten gewordenen Krebse erfolgreich anzusiedeln, muss der Standort für sie absolut perfekt sein. Im Gepäck hatte der Biologe 130 Krebse aus seiner eigenen Zucht. Er nimmt sie aus der großen Styropor-Box und lässt sie an unterschiedlichen Stellen langsam ins Wasser gleiten. Das Aussetzen der Flusskrebse ist ein Folgeprojekt der Nationalparkverwaltung Eifel nach den 2014 abgeschlossenen Life-Plus-Aktionen zum Thema »Wald-Wasser-Wildnis«. »Sie müssen sich erst einmal akklimatisieren, dann suchen sie sich ein ruhiges Versteck unter Wurzeln oder Totholz, wo sie zunächst einmal bleiben und die Lage einschätzen«, ist der Biologe vorsichtig optimistisch. Einmal im Jahr wird der Flusskrebs-Experte wieder an den Bach kommen und die Stellen kontrollieren. Die Bemühungen um den Erhalt der heimischen Flusskrebsart sind wichtig und zahlreich, denn sein Überleben steht auf dem Spiel: In Nordrhein-Westfalen waren nach 1990 nur noch drei Vorkommen des Steinkrebses bekannt, heute gibt es nur noch eines im Siebengebirge.

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Von oben betrachtet sieht man, dass der Windsborner Kratersee fast kreisrund ist.

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Uferlandschaft mit offen liegenden Baumwurzeln am Rurstausee bei Heimbach.

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Kräftig pink leuchtet der üppig wachsende Fingerhut.

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Das Hohe Venn ist eine Hochmoorlandschaft zwischen Belgien und Deutschland.

Schutz der Steinkrebse und Gewässer

Die Mittelgebirgsbäche im Nationalpark Eifel stellen für den Steinkrebs bestens geeignete Lebensräume zur Verfügung. Zum ersten Mal haben bereits 2014 die Biologische Station Städteregion Aachen und die Nationalparkverwaltung in ihrem gemeinsamen Projekt Steinkrebse im Großschutzgebiet ausgebracht. Insgesamt drei größere Landschaftsabschnitte, deren Bäche in Folgejahren besetzt werden sollten, wurden damals für geeignet befunden. Daher betreibt auch die Nationalparkverwaltung Eifel das Ansiedlungsprojekt engagiert weiter. Unterstützt wird sie dabei durch die HIT-Umwelt- und Naturschutz-Stiftung. An der ausgewählten Aussatz-Stelle, die zum Schutz der Bestände nicht näher benannt wird, droht den jungen Krebsen keine Gefahr, sie sind dort vor den amerikanischen Arten sicher. Letztere können Überträger der sogenannten Krebspest sein, einer Pilzinfektion mit dem Schlauchpilz Aphanomyces astaci, der im 19. Jahrhundert aus Nordamerika nach Europa eingeschleppt wurde. Sie endet für heimische Stein- und Edelkrebse leider tödlich. Schnell strömende, kühle und sauerstoffreiche Bachoberläufe, wie sie der Steinkrebs braucht, sind auch Lebensraum für viele weitere selten gewordene Fischarten wie Koppe, Bachforelle oder Bachneunauge.

Der Steinkrebs ist nicht nur bei uns, sondern in seinem gesamten Verbreitungsgebiet in Zentral- und Südosteuropa gefährdet. Nordrhein-Westfalen stellt die nordwestlichste Grenze des natürlichen Vorkommens dar. Besonders durch Fischbesatz können die Sporen der Krebspest in andere Gewässer gelangen. Durch einen überhöhten Fraß-Druck kann sich ein Fischbesatz aber auch ohne Krebspestübertragung negativ auswirken. Nicht zuletzt die Ortstreue des Krebses verlangsamt eine natürliche Wiederbesiedlung geeigneter Gewässer. Meist ist die zur Besiedlung anderer kleiner Nebenbäche notwendige Durchwanderung des Hauptgewässers nicht möglich, da dort schon amerikanische Flusskrebse vorkommen. Damit diese nicht auch in die Steinkrebsbäche einwandern, werden Wanderhindernisse wie Verrohrungen eingebaut.

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Blick auf die Rurtalsperre Schwammenauel.

Solche für Fische und andere Arten schädliche Barrieren sind für heimische Flusskrebse oft überlebenswichtig. Daher sollten sie auch in diesen wenigen Fällen erhalten bleiben. Allgemein können kleinste Veränderungen des Lebensraumes Steinkrebspopulationen zum Aussterben bringen. Dazu zählen vor allem Begradigungen und Uferverbau sowie unnatürliche Einträge von Schwemmstoffen, zum Beispiel durch unmittelbar ans Ufer angrenzende landwirtschaftliche Ackerflächen. Der Steinkrebs reagiert sehr empfindlich auf die Verfüllung seiner Wohnhöhlen mit Sedimenten und auf den Eintrag von Schadstoffen, insbesondere von Insektenschutzmitteln, ins Gewässer.

Überlebensräume