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Toni der Hüttenwirt
– Paket 2 –

E-Book 51-100

Friederike von Buchner

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-098-9

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Leseprobe:
Neuanfang

Leseprobe

Auf dem kleinen Flugplatz herrschte emsiges Treiben. Viele Hobbypiloten waren gekommen, um das Wochenende und das schöne Wetter für ein paar Flugstunden zu nutzen oder um die Maschinen zu pflegen und durchzuchecken. Soeben wurde ein motorloser Segelflieger von einem Schleppflugzeug in die Höhe gezogen. Wenke Hellström beobachtete fasziniert, wie sich die Fahrwerke der beiden Flugzeuge von der Startpiste lösten und ihren Flug nach oben aufnahmen; der leichte Segler durch ein Schleppseil mit seinem größeren, motorisierten Bruder verbunden. Irgendwann würde er sich von ihm trennen und in ein hinreißendes Wechselspiel aus elegantem Gleitflug und dem Steigen im Aufwind eintauchen. Als begeisterte Seglerin wusste Wenke einen guten Wind zu schätzen und liebte das Spiel mit ihm – allerdings auf dem Wasser und nicht in der Luft. Schon als kleines Kind war das Segelboot ihr zweites Zuhause gewesen. Diese Leidenschaft hatte sie nie verloren, auch wenn man das nach den jüngsten Ereignissen vermuten dürfte. Es waren fast zwei Wochen vergangen, seit sie zusammen mit Lars bei einem schweren Unwetter in Seenot geraten war. Während es ihm gelang, am gekenterten Boot zu bleiben, wurde sie abgetrieben und galt vier endlos lange Tage als vermisst. Seit etwas mehr als einer Woche war Wenke nun zurück. Lars, ihr Lars hatte sie gerettet! Aus den Händen des merkwürdigen Karl Aresson, der Strandgut sammelte und sie nicht von seinem Hof hatte fortlassen wollen. Nein, verständlicherweise hatte Wenke bislang noch keinen großen Drang verspürt, wieder eine Segeltour zu unternehmen. Seit sie wieder in Lündbjorg war, fühlte sie sich wie in einem Kokon eingesponnen, aus dem sie nicht richtig herauskam. Obwohl sie sich bemühte, es niemanden merken zu lassen. Die Ereignisse auf der abgelegenen Landzunge auf dem Hof von Karl Aresson hatte sie tief in sich verschlossen. Etwas in ihr weigerte sich, darüber zu sprechen. Selbst mit Lars konnte sie darüber nicht reden. Ihr Wiedersehen mit ihm war unaussprechlich und innig gewesen.

Arbeit gesucht – Liebe gefunden

Tinas Weg ins neue Leben

Roman von Friederike von Buchner

Der Marktplatz von Waldkogel lag in der Morgensonne. Bürgermeister Fritz Fellbacher stand auf den Stufen der Rathaustreppe. Die Hände tief in den Hosentaschen seiner grünen Lodenhose vergraben, schaute er sich um. Toni fuhr mit seinem Geländewagen vorbei, hupte und winkte ihm zu. Im Rückspiegel sah Toni, daß Fellbacher ihm nicht nachwinkte. Das wunderte Toni. Bürgermeister Fritz Fellbacher war ein freundlicher Mann.

Toni hielt an. Er parkte und stieg aus.

Bürgermeister Fellbacher stand immer noch regungslos auf der Rathaustreppe. Antonius Baumberger, von allen seit seiner Kindheit Toni gerufen, ging auf Fellbacher zu.

»Grüß Gott!« sagte er laut.

Bürgermeister Fellbacher erschrak.

»Grüß Gott, Toni! Wo kommst du denn her?«

Toni lachte.

»Mei, Fellbacher! Du bist lustig! Ich bin eben hier mit dem Auto vorbeigefahren. Ich habe gehupt. Aber du hast net reagiert.«

»Bin in Gedanken gewesen, Toni! Des mußt mir nachsehen! Du weißt, daß des net meine Art ist, die Leut’ zu übersehen und zu überhören.«

»Des weiß ich doch, Fellbacher! Des muß ja wirklich etwas sehr Wichtiges sein, das dich so beschäftigen tut. Hast einen Kummer? Ärgert dich die obere Verwaltungsbehörde in Kirchwalden wieder?«

Toni wußte, daß sich Fellbacher oft mit der Verwaltungsbehörde anlegte. Fritz Fellbacher war ein Bürgermeister, der praktisch dachte. Er konnte und wollte einfach nicht einsehen, daß er irgendwelche Verwaltungsvorschriften hinnehmen sollte. Besonders, wenn es um das Wohl einzelner Bürger ging, dann konnte Fritz Fellbacher der Verwaltung schon Ärger machen. Weil er sich für jeden in Waldkogel so einsetzte, wurde er von allen geschätzt.

»Na, red schon, Fellbacher! Was drückt dich?«

»Hast einen Augenblick Zeit, Toni? Kannst mit mir reinkommen oder mußt gleich weiter?«

»Du hast immer Zeit für uns, also nehme ich mir auch die Zeit für dich! Nun red’ schon, was ist los?«

Die beiden gingen in Fellbachers Amtsstube. Fritz Fellbacher schenkte erst einmal einen Schnaps ein.

»Es geht um den Marktplatz! Die Nachbargemeinden, die machen auf ihren Marktplätzen einmal in der Woche Markt. Des zieht viele Leute an. Des ist bei einigen schon richtig zu einem Tourismusmagnet geworden. Die verkaufen da net nur Obst, Gemüse, Brot, Butter, Sahne… und so was. Auch Kunsthandwerk wird angeboten. Was mich dabei ärgert ist, daß des net alles aus den Orten ist. Die kaufen des im großen Stil ein. Des Zeug wird net in Handarbeit gefertigt, sondern ist Fabrikware. In meinen Augen ist des eine Schande. Des ist wahrer Etikettenschwindel. Es ärgert mich. Außerdem bekommen die sogar dafür noch Fördergelder aus der Staatskasse.«

»Ja, ich habe auch schon davon gehört. Was willst dagegen machen, Fellbacher? Willst jetzt auch so einen Wochenmarkt veranstalten?«

»Genau, darum geht es mir! Deshalb habe ich – also die Gemeinde Waldkogel – einen Antrag gestellt.«

»Des war ein gute Idee, Fellbacher! Was denen zusteht, steht den Waldkogelern schon längst zu.«

Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Bürgermeisters.

»Ja! Das waren auch meine Gedanken!«

Bürgermeister Fellbacher schlug mit der Hand auf den Tisch.

»Aber nix ist! Abgelehnt! Ja, abgelehnt haben sie es! Sie wollen noch nicht einmal die Erlaubnis erteilen, daß wir hier auch ohne Förderung so einen Markt machen.«

»Mei, des ist ja vielleicht ein Ding!« staunte Toni. »Mit welcher Begründung?«

Bürgermeister Fritz Fellbacher holte das Schreiben aus einer Mappe auf seinem Schreibtisch. Er reichte es Toni, damit sich dieser selbst davon überzeugen konnte.

Toni las.

»Mei, des ist ja wirklich eine Unverschämtheit! Zu behaupten, nur traditionelle Märkte bekämen Unterstützung!«

Bürgermeister Fellbacher nahm das Schriftstück wieder an sich.

»Nach den Buchstaben der gesetzlichen Verordnungen mag des ja zutreffen. Im Gegensatz zu einigen anderen Orten haben wir hier in Waldkogel seit einigen Jahrzehnten keinen regelmäßigen Markt mehr gemacht. Wir machen unsere Feste: Kirchweih, Schützenfest, Holzhackerfest, Feuerwehrfest, Sommerfeste der Vereine und was sonst noch so ansteht. Fast jeden Monat ist doch etwas. Aber das fällt alles net unter diese Verordnung. Die meisten Höfe, die verkaufen ihre Waren über ihre Hofläden. Deshalb hat des aufgehört mit dem Markt.«

»Des stimmt schon! Doch es müßte sich doch etwas machen lassen und wenn es nur einmal im Monat ist, Fellbacher!«

»Darüber habe ich auch nachgedacht. Mir fehlt nur noch die richtige Idee!«

Die Gemeindesekretärin brachte Kaffee. Die nächste Stunde saßen Toni und Bürgermeister Fritz Fellbacher zusammen. Sie überlegten.

»Dann gründen wir eine neue Tradition! Jeden ersten Sonntag ist Sonntagsmarkt. Er beginnt nach dem Mittagessen und dauert, bis die Sonne untergeht. Am Schluß gibt es ein großes Feuer hinten beim Sportplatz und Tanz.«

»Toni, des ist eine gute Idee! Ich garantiere, daß nur einheimische Produkte angeboten werden. Für Kunst ist auch gesorgt. Wir haben einige Künstler hier. Dazu machen wir noch einen Floh- und Krempelmarkt. Es gibt auch Essen und Trinken. Auf dem Schulhof veranstalten wir Spiele für Kinder. Wenn wir des ein paar Jahre machen, dann hat des auch Tradition und muß gefördert werden. Wir brauchen nur noch einen Namen dafür oder ein Motto. Weißt, Toni, es muß was Griffiges sein! Der Werbespruch muß zu Waldkogel passen. Waldkogeler Sonntagsmarkt… des ist mir net genug.«

Sie überlegten beide.

»Weißt, Toni, ich stelle mir des so vor wie auf einem richtigen Familienfest. Wie ich vorhin draußen gestanden bin, da dachte ich, daß man den Marktplatz schön schmücken könnte, mit viel Tannengrüngirlanden. Entlang der Hauptstraße und in einigen Seitenstraßen wird direkt auf den Höfen etwas gemacht. So wie bei einer richtigen Familienfeier. Da kann gegrillt oder Kuchen angeboten werden. Aber des Ganze muß familiär bleiben. Es darf net so kommerziell werden. Deshalb kostet des auch nix!«

Toni sah den Bürgermeister erstaunt an.

»Die Leute, die zahlen freiwillig, was ihnen des Essen und Trinken und alles wert ist. Ich habe darüber einen Zeitungsartikel gelesen. Man glaubt es kaum, doch es kann funktionieren. Weißt, früher war des ja auch so! In weniger guten Zeiten da ist auch gefeiert worden. Und des net so knapp! Jeder, der kam, der hat etwas mitgebracht oder etwas in die Haushaltskasse geworfen.«

»Des ist eine ganz verrückte Idee, Fellbacher!«

Toni überlegte.

»Weißt, Fellbacher, des könnte man ja mal ausprobieren. Allerdings denke ich mir, daß dich des bei den Leut’ ein bissel Überzeugungsarbeit kosten wird. Doch da habe ich auch schon eine Idee. Wir gründen einen übergeordneten Verein zur Traditionspflege, und die Gemeinde Waldkogel ist da Mitglied und hat den Vorsitz. Jeder kann Mitglied werden, jeder Waldkogeler und auch die anderen Vereine. So ein Verein zur Förderung der Tradition und des ursprünglichen Lebens auf dem Land, in den Bergen und der Gemeinschaft überhaupt. Was meinst dazu, Fellbacher?«

»Des ist eine ganz famose Idee! Des Geld, was eingenommen wird, damit kann man etwas fördern. Weißt, Toni, ich habe da in den alten Geschichtsbüchern gewälzt heute nacht. Ich hab’ net schlafen können. Und dann bin ich ins Rathaus gegangen. So etwas hat es schon einmal gegeben. Net genauso, aber ähnlich. Des Geld für unsere schönen Glocken auf dem Turm unserer Kirche, des ist so ähnlich zusammengekommen. Geld hatten die Bauern net. Glocken wollten sie alle haben. So haben sie einen Teil der Ernte für den guten Zweck in der Stadt verkauft. Bald war des Geld für die Glocken zusammen. Die Leut’ haben ihnen oft sogar ein paar Heller mehr gegeben, weil des für die Glocken war. So steht es in der alten Chronik.«

»Des habe ich net gewußt, Fellbacher!«

»Aber einen Aufhänger, den brauche ich schon, wegen der Tradition, verstehst?«

Toni rieb sich das Kinn.

»Glocken haben wir schon! Fellbacher, des ist schwierig! Des einzige, was mir einfallen tut, des wäre so eine Art Heimatmuseum. Weißt, einen alten Bauernhof, auf dem noch so gewirtschaftet und gelebt wird wie früher.«

»Mei, des ist eine gute Idee, Toni! Doch es gibt hier keinen richtig alten Hof mehr, keinen Bauernhof ohne Strom und fließendem Wasser und Kanalisation.«

»Dann müßte die Gemeinde eben irgendwo einen kaufen und hier wieder aufbauen. Ein Platz auf Gemeindegrund wird sich bestimmt finden lassen. Des ist auch für Kinder interessant. Die aus der Stadt, die haben keine Vorstellung vom Landleben, wie das früher gewesen ist.«

»Net nur die von der Stadt!« sagte Fritz Fellbacher. »Toni, des ist eine großartige Idee! Museumsdörfer gibt es viele, aber keines hier in der Nähe – und Waldkogel beginnt damit. Jeder in unserem schönen Waldkogel hilft mit. Durch diese Sonntagsfeste einmal im Monat kommt des Geld zusammen.«

»Des ist es doch, Fellbacher! Das Motto für unser Waldkogeler Sonntagsfest!«

»Toni, du hast es! Des bered’ ich gleich mal mit dem Zandler. Dann habe ich im Gemeinderat die nötige Unterstützung.«

Bürgermeister Fellbacher rief seine Gemeindesekretärin herein. Er beauftragte sie, für den Abend eine Gemeinderatssondersitzung einzuberufen.

Bürgermeister Fellbacher rieb sich vergnügt die Hände.

»Des wird Aufsehen erregen! Die werden Augen machen. So etwas können die anderen Gemeinden net auf die Beine stellen! Wir sind hier zwar modern in Waldkogel, aber wir achten und ehren die Tradition und bewahren sie.«

Toni stand auf.

»Dann wünsche ich dir viel Erfolg, Fellbacher! Wenn du Hilfe brauchst, dann laß es mich wissen. Ich denke, daß des wirklich eine wunderbare Idee ist.«

Bürgermeister Fellbacher begleitete Toni bis hinaus auf die Straße. Dann stieg er in sein Auto und fuhr hinauf auf die Oberländer Alm.

Fritz Fellbacher besuchte Pfarrer Zandler. Konnte er ihn für den Plan gewinnen, dann war die Sache so gut wie beschlossen.

*

Bürgermeister Fritz Fellbacher mußte im Gemeinderat von Waldkogel keine große Überzeugungsarbeit leisten. Alle waren von der Idee begeistert, einen Museumsbauernhof zu errichten. Das Ganze mit regelmäßigen Sonntagsfesten zu finanzieren, überzeugte alle. Sie waren davon überzeugt, daß schon allein aus Neugierde viele Besucher kämen, denn ein Fest, bei dem es keine festen Preise gab, das wäre doch was Neues.

Bürgermeister Fritz Fellbacher ging in den nächsten Tagen von Hof zu Hof und sprach mit jedem. Die meisten stimmten sofort zu. Nur ganz wenige äußerten erst einmal Bedenken. Zum Schluß waren alle begeistert und drängten, den Termin für das erste »Waldkogeler Sonntagsfest« zu beschließen.

Die Zeitung in Kirchwalden schrieb fast täglich darüber. Sie brachte Reportagen der einzelnen Höfe, die sich beteiligten. Der alte Alois bestand darauf, daß ihm Sebastian und Franziska jeden Tag eine Tageszeitung mit hinauf auf die Berghütte brachten, wenn sie aus der Schule kamen.

»Toni, diese Zeitungsschreiberlinge, die haben keine Ahnung, wie des damals auf den Höfen war. Da haben die alle noch net gelebt. Des sind reine Erfindungen. Also, die sollte man alle mal einladen und mindestens eine Woche auf unserem Museumshof arbeiten lassen, damit sie wissen, worüber sie schreiben«, wetterte der alte Alois.

Toni lachte.

»Mei, Alois! Sei net so hart! Die können doch nix dafür. Sie wissen des net besser. Freu’ dich, daß sie so freundlich schreiben. Net jeder hat

so ein gesegnetes Alter wie du! Net jeder kann sich leibhaftig dran erinnern, wie des war, als es noch keine Elektrizität im Tal gegeben hatte, wie es war, als alles von Hand gemacht wurde.«

»Toni, des weiß ich! Aber aufregen tut es mich trotzdem. Die Zeitung schlägt vor, daß im Museumshaus über Sommer Leut’ wohnen sollten, die des Leben so spielen. Des hat ja Kreise gezogen, daß mir richtig bange wird, Toni!«

»Weshalb?«

»Na! Die Schauspielschule in der Landeshauptstadt will den Museumshof im nächsten Jahr – wenn der dann fertig ist – abwechselnd von jungen Schauspielschülern und Schülerinnen bewirtschaften und bewohnen lassen. So ein Schwachsinn! Die sind viel zu jung und haben keine Ahnung, wie des so ist mit dem Leben auf einem Hof.«

Toni schmunzelte.

»Nun beruhige dich, Alois! Es dauert noch eine ganze Weile, bis des alles soweit ist. Erst wird jetzt mal mit den Waldkogeler Sonntagsfesten begonnen. Dann kommt Geld zusammen. Der Fellbacher schaut sich nach einem geeigneten Hof um. Dann dauert es noch lange, bis der hier in Waldkogel wieder aufgebaut ist und bewirtschaftet werden kann.«

»Toni, des weiß ich doch! Es wird nicht leicht sein, dafür geeignete Leute zu finden, auch wenn es viele gibt, die keine Arbeit haben. So ein Leben wie auf einem Hof in alter Zeit ist

net einfach. Da sind Qualitäten gefragt.«

»Alois, das weiß ich doch! Der Fellbacher wird des schon machen. Es sind bereits schon Bewerbungen bei ihm eingegangen. So früh schon, Alois! Da wird man schon geeignete Leute finden. Am schönsten wäre es, wenn sich jemand aus Waldkogel bereit erklären würde, den Hof zu führen. Aber des hat alles Zeit, Alois! Noch ist kein Geld da, noch kein Hof gefunden, noch net zerlegt und wieder aufgebaut. Des dauert, Alois!«

Der alte Alois faltete die Zeitung zusammen.

»Einfach wird des net werden! So schön, wie sich des auch manche vorstellen. Des war ein hartes Leben damals, für den Bauer und noch mehr für die Bäuerin«, betonte der alte Alois noch einmal.

Er wollte eben immer das letzte Wort haben.

Toni hätte sich gerne noch weiter mit dem alten Alois unterhalten, aber es kamen Wanderer den Berg herauf.

Es war eine größere gemischte Gruppe. Toni begrüßte sie freundlich. Er hatte den Eindruck, daß es Tagesausflügler waren.

»Also, dann setzt euch!«

»Des machen wir! Und für alle erst mal ein Bier. Dieser Aufstieg macht durstig.«

Toni nickte und zählte durch. Er ging in die Berghütte und zapfte Bier. Als er ein wenig später herauskam, saßen alle zusammen, bis auf eine junge Frau. Diese saß am anderen Ende der Terrasse. Toni wunderte sich. Er stellte die Bierkrüge auf die Holztische.

»Des Madl dort, des gehört net zu euch?«

»Nein!« klang es vielstimmig.

»Nein, leider net! Ist ein fesches Dirndl!« grinste ein junger Mann.

»Mußt sie net so mit den Augen auffressen, des wird nix mit der! Hast es ja unterwegs schon probiert. Aber des Madl ist sehr einsilbig. Ich denke, es ist besser, wenn du die Finger von der läßt!« riet ihm sein Tischnachbar.

Toni schmunzelte. Er nahm den letzten Bierkrug und ging zu der jungen Frau. Sie trug eine Sonnenbrille. Ihr schulterlanges Haar trug sie offen. Kurze Locken fielen ihr in die Stirn.

»Magst auch ein Bier? Ich hab’ gedacht, du gehörst zu den Tageswanderern da drüben.«

»Nein, danke! Tut mir leid, daß bei Ihnen dieser Eindruck entstanden ist. Wir sind nur zufällig auf dem Bergpfad hier herauf zusammengetroffen. Ich bin auch keine Tagesausflüglerin. Ich bleibe länger in den Bergen. Haben Sie eine freie Kammer, eine Einzelkammer?«

Toni rieb sich das Kinn.

»Des wird schwierig werden. Aber ich spreche mal mit meiner Anna. Da wird sich bestimmt was machen lassen. Was willst trinken? Einen Tee? Ein Glas schöne frische Milch? Klares Bergwasser?«

»Gibt es auch Kaffee? Einen richtig starken Kaffee mit viel Milch und Zucker, können Sie mir den bringen?«

»Des kann ich gern! Aber des mit dem ›Sie‹, des kannst lassen. Ich bin der Toni, der Hüttenwirt hier. Dann gibt es noch die Anna, des ist meine Frau. Dort drüben am Tisch, des ist der alte Alois. Dem hat früher die Berghütte gehört. Wir sind hier eine richtige Familie. In den Bergen sagt man unter Bergkameraden immer ›Du‹.«

Toni konnte ihren erstaunten Blick hinter der Sonnenbrille nur ahnen. Ein Lächeln umspielte ihren Mund.

»Gut! Wenn das hier in den Bergen so ist, dann ist es so. Dann bin ich die Tina!«

»Gut, Tina! Du bekommst einen starken Kaffee von mir!«

Toni ging hinein. Er sprach mit Anna. Sie fand eine Lösung, daß für Tina ein Kammer frei wurde.

»So, Tina, hier ist dein Kaffee! Und eine Kammer haben wir für dich auch. Wie lange willst du denn bleiben?«

Tina seufzte.

»Ich hatte vor, hier meinen Jahresurlaub zu verbringen. Ich gestehe, ich bin zum ersten Mal in den Bergen. Ich wollte vier Wochen bleiben. Doch in meinem Leben hat sich etwas geändert. Deshalb bleibe ich nur zwei Wochen. Ganz entschieden habe ich mich noch nicht.«

Tina nahm die Sonnenbrille ab. Toni sah in zwei schöne braune Augen. Doch der Blick war nicht glücklich, sondern traurig.

»Ich sage dir aber rechtzeitig, wie lange ich bleibe. Ich muß eine Entscheidung treffen. Doch das werde ich heute bestimmt noch nicht. Dazu bin ich viel zu müde. Ich habe heute nacht kaum geschlafen und dann noch der Aufstieg.«

»Es eilt net! Der Kaffee, der muntert dich ein bissel auf! Magst net auch was essen?«

Tina schüttelte den Kopf.

»Danke! Aber ich bekomme keinen Bissen herunter.«

Sie nippte an dem Kaffee.

»Schmeckt gut!«

Langsam trank sie schluckweise die Tasse aus. Toni sah ihr dabei zu.

»Magst noch einen Kaffee?«

Sie nickte und setzte ihre Sonnenbrille wieder auf.

Toni holte Tina einen zweiten Becher Kaffee.

»Wir haben die Kammer unten freigemacht! Soll ich dir schon mal deinen Rucksack hineinbringen?« fragte Toni.

»Danke, aber das mache ich später selbst!«

Toni spürte, daß es besser war, wenn er Tina jetzt allein ließ. Er ging zu Anna hinein.

»Des Madl draußen hat einen Kummer! Des spüre ich, Anna! Die schaut ganz und gar net glücklich aus. Ganz blaß ist des Madl! Und zur schönen Aussicht hat sie auch nix gesagt. Des beeindruckt sie net. Die nimmt des gar net wahr, Anna!«

»Vielleicht ist sie wirklich nur müde?«

»Möglich! Aber wenn man müde ist, dann hat man müde Augen. Sie hat aber traurige Augen. Des ist ein Unterschied. Außerdem hat sie angedeutet, daß sie über etwas nachdenken muß. Etwas hat ihre Urlaubspläne durcheinander gebracht.«

Anna lächelte Toni an.

»Schlimm kann es nicht sein, sonst hätte sie den weiten Weg herauf auf die Berghütte nicht auf sich genommen, Toni.«

»Des stimmt auch wieder!«

»Weißt, Toni, wenn sie ihren ganzen Jahresurlaub genommen hat, dann bedeutet das doch, daß sie schon lange keinen Urlaub mehr hatte. Sie wird einfach urlaubsreif sein, wie man sagt. Dazu die Anreise, der Aufstieg hier herauf und die klare Bergluft, das kann schon anstrengen. Auch der plötzliche Wechsel von einem stressigen Berufsalltag zur Urlaubsmuse muß erst einmal verkraftet werden.«

Toni nahm seine Anna in den Arm.

»Bist schon eine tolle Frau, Anna. An was du alles denkst! Recht hast du! Warten wir’s ab! Ich kenne niemanden, der nicht am ersten Abend in den Bergen dem Zauber der Bergwelt erlegen ist.«

Toni gab Anna einen Kuß.

»Toni, wenn ich hier mit dem Kartoffelschälen fertig bin, dann zeige ich ihr die Kammer. Vielleicht hat sie sich gerade von ihrem Freund getrennt und redet deshalb eher mit mir als mit dir.«

»Ja, des ist gut möglich! Ich wollte ihr den Rucksack reintragen, aber sie wollt’ des net.«

Das Gespräch zwischen Toni und Anna wurde unterbrochen. Der alte Alois kam herein.

»Toni, da kommt schon wieder eine Gruppe Bergwanderer herauf. Es wird richtig voll heute!«

»Ja, Alois! Das wird es! Unsere Berghütte wird immer beliebter. Es spricht sich unter Bergfreunden herum, wie schön es hier oben ist.«

»Des ist net alles! Schön war es schon immer, Toni. Es tut sich auch rumsprechen, wie gut du und die Anna die Berghütte führen tut. Ja, ja, des muß ich auch sagen. Ihr beide macht des wirklich gut. Besonders die Anna, die ja net aus den Bergen stammt, die ist zur richtigen Berglerin geworden.«

»Soll des ein Lob sein, Alois?« fragte Toni augenzwinkernd.

»Red’ net so ein Schmarrn, Toni! Du weißt, daß des ein ganz besonderes Lob ist! Ich wollte es nur noch mal deutlich gesagt haben. Bessere Nachfolger für meine geliebte Berghütte hätte ich net finden können.«

»Danke, Alois! Des hast du lieb gesagt!« lächelte Anna ihm zu. »Aber du hilfst uns ja immer noch! Ohne dich würden wir das nicht so schaffen. Wir sind sehr glücklich, daß du hier bei uns lebst, auch wenn du unten in Waldkogel noch dein Häuschen hast. Ohne dich würde es uns nur halb so viel Freude machen.«

Der alte Alois strahlte.

»Na, ganz so viel kann ich nimmer machen. Ich bin eben nimmer so jung. Aber Freude macht es mir noch, wenn ich was tun kann. Dann komme ich mir net unnütz vor.«

»Schmarrn, Alois! Du bist net unnütz, und des weißt du auch. Du bist hier der Großvater und die gute Seele der Berghütte.«

Der alte Alois grinste. Ihm wurde es warm ums Herz. Er schätzte und liebte Toni und Anna, wie auch die Kinder Sebastian und Franziska, als gehörten sie alle zu seiner Familie. Besonders die beiden Kinder, die Toni und Anna als Ersatzeltern aufgenommen hatten, waren dem alten Alois wie eigene Enkelkinder ans Herz gewachsen.

In der nächsten halben Stunde hatten Toni und Anna viel zu tun. Die Terrasse der Berghütte war jetzt fast bis auf den letzten Platz besetzt. Alle wollten etwas trinken. Die meisten bestellten auch eine herzhafte Brotzeit. Toni eilte zwischen Küche und Terrasse hin und her.

Dabei sah er, daß sich Tina auf einen Liegestuhl gelegt hatte. Schlief sie? Toni holte eine Wolldecke und deckte sie zu. Dabei sah er die Tränenspuren in ihrem Gesicht.

Da hat mich mein Gefühl doch nicht getrogen, dachte Toni. Des Madl hat einen Kummer.

*

Toni parkte seinen Geländewagen auf dem Hof neben dem Haus seiner Eltern. Durch die offenen Fenster der Wirtsstube drang Lärm. Es war kurz nach Mittag.

Antonius Baumberger, seit seiner frühsten Kindheit nur Toni gerufen, entschloß sich, die Hintertür zu nehmen. Augenblicke später betrat er die Küche des Wirtshauses Baumberger mit der kleinen Pension. Seine Mutter, Meta Baumberger, saß am Küchentisch und trank einen Kaffee.

»Grüß dich, Mutter!«

»Grüß Gott, Toni! Ich hab’ mich eben mal hinsetzen müssen. Die paar Minuten Pause muß ich jetzt haben. Die Wirtsstube ist voll: ein ganzer Reisebus voll Leut’. Es ist ein Kegelverein, der heut’ seinen Jahresausflug macht. Mei, haben die gefuttert!«

»Ja, dein Essen ist ja auch schon besonders. So etwas Feines bekommen s’ sonst nirgends. Des ist eben richtige Hausmannskost.«

»Hast auch Hunger, Toni?«

»Naa! Danke, Mutter! Ich habe mich in Kirchwalden mit dem Leo getroffen. Wir haben eine Kleinigkeit gegessen!«

Toni schaute sich um. Er warf einen Blick in die Wirtsstube. Er grüßte seinen Vater, der hinter dem Tresen stand und Bier zapfte.

»Wo sind denn die Kinder?« fragte Toni.

Sebastian und Franziska gingen nach der Schule zu den Baumberger Großeltern Mittagessen. Meistens fuhr sie Xaver Baumberger hinauf zur Oberländer Alm. Von dort aus wanderten sie dann hinauf auf die Berghütte. An diesem Tag war Toni in Kirchwalden gewesen, um Behördengänge zu erledigen. Er wollte die Kinder jetzt selbst mitnehmen.

»Die habe ich zu den Bollers geschickt. Die bringen das Mittagessen hin. Die Veronika ist krank. Der Franz kann doch net selbst kochen. Der Arme, der weiß nimmer, wo ihm der Kopf steht. Es ist Hochsaison. Da hat er viel zu tun. Was sage ich? Beide hatten schon viel zu tun, aber jetzt ist es noch mehr. Da hat er für die nächsten zwei Wochen Mittagessen bei uns bestellt. Er wollte es holen. Aber wahrscheinlich war noch Kundschaft im Laden. Da hab’ ich die Franzi und den Basti mit dem Essen hingeschickt.«

Meta Baumberger warf einen Blick zur Uhr.

»Des ist jetzt aber schon eine Weile her. Eigentlich müßten die Kinder schon längst zurück sein!« bemerkte sie besorgt.

»Ach, die kommen schon! Ich trinke auch einen Kaffee mit, Mutter!«

Toni holte sich selbst einen Becher süßen Kaffee.

»An was ist die Veronika Boller erkrankt?«

»Ach, sie hatte eine Sommergrippe. Der Martin wollte, daß sie mit dem Fieber einige Tage im Bett bleibt. Aber des hat die Veronika net gemacht. Es war eben zu viel Arbeit da. Der Franz hat ihr in Kirchwalden in der Apotheke Medikamente besorgt. Die hat sie dann genommen. Die doppelte Dosis. Einige Tage ist des auch gutgegangen. Doch dann war es zuviel für sie. Jetzt liegt sie im Bett. Der Doktor schaut zweimal am Tage nach ihr. Sie hat’s wirklich schwer erwischt. Da wäre es wirklich besser gewesen, wenn sie gleich zu Anfang, sich mehr Ruhe gegönnt hätte. Der Martin soll richtig bös’ geworden sein über so viel Unvernunft. Er drohte, sie ins Krankenhaus nach Kirchwalden einzuweisen, wenn sie net im Bett bleibt.«

Doktor Martin Engler, der bei allen beliebte und geschätzte Arzt in Waldkogel, war ein enger Freund von Toni. Martin war an sich die Ruhe in Person. Wenn Martin ärgerlich wurde, dann ist es ernst, dachte Toni. Toni hörte seiner Mutter weiter zu.

Meta Baumberger war voller Mitleid für den armen Franz, der jetzt alles alleine machen mußte, sich um die kranke Frau kümmern, den Laden und den Haushalt.

»Nun übertreibst du aber, Mutter«, schmunzelte Toni. »Die Veronika muß des Bett hüten. Davon geht die Welt nicht unter. Der Franz übertreibt auch gerne.«

»Mag sein, Toni! Aber einfach ist des mit den Kunden net. Die Bollers verkaufen auch Trachtensachen. Der Franz mag net den Madln helfen, die Mieder zu schnüren. Des traut er sich net, besonders, wenn er die Madln hier aus Waldkogel kennt. Des mit der Dirndlanprobe, des hat immer die Veronika gemacht.«

»Dann muß sich der Franz um eine Aushilfe kümmern. Aber vielleicht ist er nur zu geizig.«

»Toni, wie kannst du so etwas sagen?«

»Du weißt das selbst, Mutter! Ich kenne die beiden gut! Die arbeiten sich lieber zu Tode, als daß sie sich eine Verkäuferin für ihren Laden nehmen.«

»Des denke ich net, Toni! Sie haben sogar ein Schild ins Schaufenster gehängt. Doch leider vergebens! Es hat sich noch niemand gemeldet. Es ist eben Hochsaison in Waldkogel. Jedes Madl, des keine feste Arbeit hat, wird daheim auf dem Hof gebraucht. Fast jeder Hof vermietet Fremdenzimmer. Die Touristinnen, die vorbeikommen, die machen hier Urlaub. Die sind nicht nach Waldkogel gekommen, um sich eine Arbeit zu suchen.«

»Des stimmt auch wieder, Mutter! Trotzdem sollte es doch möglich sein, dem Franz Boller zu helfen. Du, Mutter, red du doch mal mit deiner Freundin, mit der Helene Träutlein. Ihr trefft euch doch beim Kaffeekränzchen im Pfarrhaus. Die Helene und der Pfarrer Zandler könnten des doch organisieren, daß an jedem Tag jemand beim Franz im Laden ist. Es muß ja vielleicht auch net für den ganzen Tag sein. Ein paar Stunden genügen vielleicht.«

Meta Baumberger winkte mit der Hand ab.

»Des kannst vergessen, Toni. Die Helene hat es schon versucht. Aber die Veronika, die hat es sich auf die eine oder andere Art mit allen verdorben. Richtig bös’ ist niemand mit ihr. Aber jetzt einspringen und eine helfende Hand reichen, des will auch niemand. Die Veronika, die ist manchmal ein bissel hochnäsig und überheblich. Keiner kann es ihr recht machen. Sie meint des net bös, aber schon immer hat sie an allem etwas auszusetzen gehabt. Des wird nur Streit geben, sagen alle. Die Veronika ist eben ein bissel eigensinnig. Aber so war sie schon immer, schon in der Schule war sie so.«

»Des ist doch jetzt ein Blödsinn, Mutter. Die Veronika liegt im Bett, und nur der Franz ist im Laden. Wenn man es ihr net sagt, dann muß sie es noch net einmal erfahren, daß der Franz Hilfe hat. Da muß er eben den Mund halten. Was die Veronika net weiß, darüber kann sie auch net meckern.«

»Dann soll der Franz seine Veronika hintergehen, Toni? Des find’ ich net richtig!«

»Mutter! Ich sehe des net so eng! Wenn der Franz eine Aushilfe hätte, dann könnte sich die Veronika richtig auskurieren. Er kann erst jemand einstellen und es ihr dann sagen. Sie wird froh sein, wenn der Franz nimmer alles allein machen muß. Die beiden verstehen sich doch gut. Wenn die Veronika sich gleich ins Bett gelegt hätte, statt sich mit Medizin aufzuputschen, dann wäre sie erst gar net so krank geworden. Ich kann den Martin verstehen, daß er laut geworden ist.«

»Des stimmt schon, Toni! Aber der Franz bekommt keine Aushilfe. Ich habe dir doch die Sach’ schon erläutert. Aber geschehen muß etwas. Ich werde mit der Helene noch einmal reden. Vielleicht kann der Pfarrer Zandler vermitteln. Wir haben uns bisher doch immer gegenseitig geholfen, wenn Not am Mann war.«

Sebastian und Franziska kamen.

»Schau, Toni! Ich habe eine schöne Haarspange geschenkt bekommen von Herrn Boller!«

Toni bewunderte die Spange, die die kleine Franzi im Haar trug. Sebastian griff in die Hosentasche.

»Schau! Des hab’ ich bekommen, als Trägerlohn, hat der Boller gesagt!«

Es war ein Aufkleber. Darauf war der Marktplatz von Waldkogel zu sehen und im Hintergrund die beiden Hausberge, der »Engelssteig« und das »Höllentor«.

»Wo tust du ihn drauf kleben?« fragte Meta Baumberger.

»Ich habe mir ein Heft angelegt, da schreibe ich immer rein, wenn ich wandern war. So ein Wandertagebuch! Da kommt der Aufkleber auf die erste Seite!«

Toni lächelte. Er stand auf.

»Kinder, wir müssen gehen! Seid ihr bereit?«

Sie nickten und verabschiedeten sich von Tonis Eltern, dem Großvater Xaver und der Großmutter Meta, wie die beiden Bichler Kinder Tonis Eltern nannten.

Mit Tonis Geländewagen erreichten sie binnen weniger Minuten die Oberländer Alm. Toni und die Kinder winkten Wenzel und Hilda, dem alten Sennerehepaar, zu. Die drei wollten gleich weitergehen.

»Net so schnell! Kommt mal her!« rief Wenzel laut. »Da gibt’s was! Wir haben einen besonderen Gast!«

In diesem Augenblick führte Hildegard Oberländer, die von allen Hilda genannt wurde, eine Eselin hinter der Almhütte hervor. Die Eselin war aber nicht alleine. Noch etwas unsicher auf seinen dünnen Beinchen trottete ein junges Fohlen neben seiner Mutter her.

»Wie süß! Mei, ist des lieb!« schrie Franzi.

Das Mädchen warf seinen Rucksack ab und stürmte auf die Eselin zu.

»Vorsicht, Franzi! Net so stürmisch! Die Mutter verteidigt ihr Fohlen!« warnte Wenzel.

Doch Franziska tat das Richtige. Toni lächelte. Die Franzi kommt eben von einem Hof, des sieht man, dachte er.

Franziska trat erst zur Eselin und sprach mit ihr. Franzi streichelte das Muttertier. Erst danach wandte sich Franziska dem Fohlen zu.

»Des ist ein Bub!« bemerkte Sebastian. »Hat der schon einen Namen?«

»Naa! Vielleicht fällt dir einer ein, Basti«, ermunterte ihn Wenzel.

»Wem gehört die Eselin? Wo kommt die so plötzlich her?«

Toni war sehr verwundert.

»Die ist vom Roßbacher Hof, denke ich. Sonst hat niemand Esel in Waldkogel. Die ist ausgerissen. Der Wenzel hat sie am Rand der unteren Weide beim Gebüsch gefunden. Ganz elend ist sie da gelegen. Des Fohlen, des wollte net rauskommen. Da hat der Wenzel etwas nachgeholfen. Jetzt sind des Muttertier und des Fohlen wohlauf.«

»Habt ihr dem Poldi schon Nachricht gegeben?«

»Naa, Toni! Vielleicht kannst du auf dem Roßbacher Hof anrufen. Du hast doch ein Handy!«

»Des mache ich, sobald ich oben auf der Berghütte bin! Da hab’ ich die Telefonnummer vom Poldi!«

Toni betrachtete die Bichler Kinder, wie sie liebevoll das junge Fohlen streichelten. Es fiel ihm schwer, die beiden zum Aufbruch zu ermahnen. Toni stellte seinen Rucksack auf die Erde. Er setzte sich auf die Bank vor der Almhütte. Hilda Oberländer nahm neben ihm Platz.

»Können die beiden hierbleiben bis zum späten Nachmittag?« flüsterte Toni leise.

Hilda nickte ihm zu.

»Anna und ich tun alles für die beiden. Doch eine Berghütte ist nun einmal kein Bauernhof. Wir haben Bello und Max. Aber ein Hund und ein kleiner Kater sind nicht genug, denke ich oft. Ich hoffe, die beiden vermissen die Tiere net all zu sehr.«

Toni seufzte.

Hildegard Oberländer legte kurz ihre Hand auf Tonis Hand. Ganz leise sagte sie:

»Ich versteh’, was du sagen willst, Toni. Doch da machst du dir unnötig Sorgen. Sie beiden sind ja auch oft bei uns auf der Alm. Schau mal, wenn Franzi und Basti net bei euch wären, dann lebten sie im Waisenhaus. Dort gibt es nix! Keinen Hund! Keine Katze! Und eine Alm mit Kühen wäre auch net in der Nähe! Du darfst dir net so viel Gedanken machen, Toni! Schau, die beiden sehen glücklich aus. Du und die Anna, ihr seid gute Eltern, auch wenn ihr net die leiblichen seid. Des hat unser Herrgott schon gut eingerichtet, daß ihr alle zusammengekommen seid. Jetzt machst, daß raufkommst zu deiner Anna. Ich schicke dir die Kinder rauf, wenn heute abend des Angelusläuten erklingt.«

Toni verabschiedete sich von den Kindern. Sie jubelten, weil sie bis zum Abend auf der Oberländer Alm bleiben durften.

*

Es war später Vormittag. Die Hüttengäste waren zu ihren Bergwanderungen und Hochgebirgstouren aufgebrochen. Toni, Anna und der alte Alois setzten sich auf die Bergterrasse und genossen die wohlverdiente kurze Vormittagspause, die sie sich jeden Morgen gönnten.

Toni schaute über das Tal. Weit unten lag Waldkogel. Der Bergsee, etwas außerhalb des Ortes, funkelte golden in der Sonne.

»Mei, ist das schön hier! Schon als Kind habe ich mir gewünscht, ich könnte immer hier oben sein!«

Toni legte seinen Arm um Anna und drückte sie fest an sich. Er gab ihr einen Kuß.

»Und es ist alles noch besser gekommen. als ich mir das je erträumt habe. Ich habe dich gefunden! Wir haben uns gefunden, liebste Anna! Meine tüchtige und fesche Hüttenwirtin! Des hab’ ich mir damals net gedacht, als ich ein Bub war!«

Der alte Alois grinste.

»Da bist ja auch noch ein bissel zu jung gewesen, um an ein Madl zu denken. Ich bin dem Himmel dankbar, daß es so gekommen ist. Ich freue mich, daß du mit deiner Anna so glücklich bist. Ich bin auch glücklich hier bei euch. Ja, ja, des bin ich! Glücklich und zufrieden! Des kann net jeder sagen!«

»Des stimmt, Alois! Denkst du an jemand bestimmten?«

»Ja! Des tue ich!«

Der alte Alois trank einen Schluck Kaffee.

»Ich beobachte die Tina jetzt schon eine ganze Woche. Des Madl ist so still. Es lacht kaum. Es spricht kaum mit den anderen Hüttengästen. Es schließt sich auch niemandem an. Alle sind wandern. Verschiedene haben die Tina gestern abend gefragt, ob sie sich ihnen anschließen wolle. Aber die Tina hat abgelehnt. Höflich, aber bestimmt! Des wundert mich doch ein bissel. Des Madl ist net sehr gesellig.«

»Vielleicht hat sie eine Enttäuschung hinter sich. Geht deshalb den Burschen aus dem Weg. Die Tina ist richtig hübsch!« warf Anna ein.

»Des stimmt! Die Tina ist ein richtig fesches Madl. Die Burschen können die Augen net von ihr lassen, wenn sie hier ist. Sie zieht alle Blicke auf sich wie ein Magnet.«

Der alte Alois schüttelte den Kopf.

»Und etwas geheimnisvoll ist des Madl schon«, ergänzte er.

Anna rührte ihren Kaffee um.

»Die Tina hat besonders schöne braune Augen. Aber sie blicken etwas traurig, denke ich! Was meinst du, Toni?« fragte Anna.

»Des ist mir auch schon aufgefallen. Außerdem habe ich dir doch erzählt, daß sie ein paar stille Tränen verdrückt hat, gleich am ersten Tag, als sie vor einer Woche herkam.«

»Toni, ich werde mal mit ihr sprechen!«

»Das ist gut, Anna! Mach das! Mir wird es allmählich unheimlich mit dem Madl. Es redet nix! Es will net angesprochen werden. Schließt sich keiner Gruppe an. Läuft alleine in den Bergen rum. Es ist doch schöner, mit jemanden gemeinsam die Schönheit der Berge zu erleben und zu teilen. So einen Gast hatten wir noch nie!«

»Es kann aber auch sein, daß wir uns unnötige Gedanken machen, Toni! Vielleicht hat die Tina einen sehr anstrengenden, einen sehr stressigen Beruf, einen Beruf, bei dem sie viel reden muß und ständig mit vielen Leuten zusammen ist. Vielleicht ist sie wirklich auch nur erschöpft und will ihre Ruhe haben. Aber ich werde das herausfinden.«

»Tu das, Anna! Jedenfalls scheint sie mir net sonderlich glücklich zu sein. Es ist schon sehr ungewöhnlich, wenn niemand bei der Aussicht hier und der Atmosphäre nicht mit glücklich leuchtenden Augen umhergeht.«

Anna und Toni tranken ihren Kaffee aus und gingen wieder an die Arbeit. Der alte Alois blieb noch sitzen. Er genoß diese ruhigeren Augenblicke auf der Berghütte besonders.

*

Am späten Nachmittag kam Tina von ihrer Wanderung zurück. Sie grüßte im Vorbeigehen Anna durch die offene Küchentür. Anna rief sie zu sich.

»Nun, wo bist du heute gewesen, Tina?«

»Ich bin ein Stück den Weg raufgegangen in Richtung ›Paradiesgarten‹. Der alte Alois hat mir den Tipp gegeben. Es war schön. Es waren dort keine anderen Wanderer! Ich habe Murmeltiere beobachtet.«

»Ja, da gibt es viele!«

Anna schälte weiter die Kartoffeln. Zum Abendessen gab es jeden Tag frische Rösti.

Anna sah Tina nicht an, als sie fragte:

»Bist du gern alleine?«

Tina seufzte.

»Im Augenblick ja! Ich muß nachdenken!«

»Nachdenken oder grübeln?«

Anna lächelte Tina an. Ein verlegenes Lächeln huschte über deren Gesicht.

»Du scheinst eine gute Menschenkennerin zu sein, Anna!«

»Das kommt fast automatisch hier auf der Berghütte. Bei dem Kommen und Gehen, da lernt man viele Menschen kennen. Zwar lieben sie alle die Berge, aber jeder auf eine andere Art. Da gibt es die Draufgänger…« Anna lachte. »Im Augenblick haben wir etliche Draufgänger hier. Wenn die von ihren Gipfeltouren erzählen, dann könnte man denken, sie hätten nicht den ›Engelssteig‹ bestiegen, sondern einen Gipfel im Himalaja.«

»Ja, das stimmt!« lachte Tina jetzt auch.

»Du bist zum ersten Mal in den Bergen?«

»Ja und das mehr oder weniger zufällig!«

Anna schaute überrascht.

»Magst du einen Kaffee? Setz dich, wenn du magst. Dann können wir ein wenig plaudern. Ich bin nämlich auch in den Bergen gelandet, ohne daß ich jemals die Absicht hatte, die Berge zu betreten. Ich habe mich so gewehrt. Aber meine Freundin Susanne, sie wird Sue gerufen, ließ mir keine Wahl. Sie hatte mich überlistet. Ich bin ihr jeden Tag dankbar dafür. Ich habe hier mein Glück und die Liebe gefunden.«

Anna legte das Kartoffelmesser zur Seite und schenkte Tina einen süßen Milchkaffee ein. Tina setzte sich.

»Schön, daß du so glücklich bist, Anna! Mit dem Glück ist es bei mir im Augenblick nicht zum Besten bestellt.«

»Klingt, als hättest du Kummer?«

Anna schälte weiter Kartoffeln.

»Kummer? Wirklichen Kummer habe ich nicht. Sorgen habe ich! Habe viel Pech gehabt!«

Anna schaute Tina freundlich an.

»Tina, Pech gibt es nicht! Das habe ich gelernt. Es gibt gelegentlich Ereignisse, die nicht so ablaufen, wie wir Menschen es erwartet haben. Da muß man einfach Vertrauen in das Leben und – wenn du willst – in die himmlischen Mächte haben, daß es so besser war. Ich will dich mit meinen Worten nicht tadeln. Ganz im Gegenteil! Ich will dir Mut machen.«

»Ich habe dich schon verstanden, Anna!«

Tina lächelte und nippte an ihrem Kaffee.

»Tina, du sagtest vorhin, du wärst zufällig in den Bergen?«

»Ja! Ich bekam die Reise geschenkt!«

»Dann ist es doch kein Zufall!«