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Wege des Schicksals

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Cinzia Buss (geb. Martino) geboren in Rom 1961, besuchte das wissenschaftliche Gymnasium. Im Jahr 1979 zog sie nach Frankfurt am Main, wo sie 20 Jahre lebte. Dort wurde sie Kommunikationselektronikerin im technischen mittleren Dienst bei der Deutschen Telekom.

Mit der Privatisierung des Unternehmens zog sie nach Ostfriesland, die Heimat ihres Ehemanns. Orazio Martino, der berühmter Krokodilflüsterer von Dietzenbach ist ihr Bruder.

Cinzia Buss

Wege des Schicksals

Zwei Geschichten

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Weitere Informationen über den Verlag

Originalausgabe

Inhalt

Sandy und Ric

Agathe Schwippst

Agathes schwarzer Tag

Wallungen des Rechts

Schutzprogramm

Miguel Pedro Garcia Gómez

Aji

Desperado

Ximenas Tagebuch

In der Kaserne

Das Phantom der Oper

Die Flucht

Wende

Agathes Heimkehr

Schachmatt

Die Testamentseröffnung

 

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Sandy und Ric

In Mittelamerika, in der Nähe eines Berges, umgeben von dunkelgrüner, dichter Vegetation aus Pappel-, Kiefern-, und Lindenbäumen, schlüpfte aus einigen Eiern Raupen. An der großen Trauerweide, neben einer Zwergpalme und einigen Weidenröschen, von einem Meer aus Orchideen umringt, waren eine junge Made, Ric, und eine grüne Raupe, Sandy, miteinander befreundet. Die kleine Made aß Ekliges, während sich die Raupe Sandy, grün und etwas faltig, mit Vorliebe vom reinen Saft aus dem Baum ernährte. Daher war Sandy auch eine sehr hübsche Raupe, das behauptete sie zumindest. Insbesondere am Morgen, wenn alles noch in dichtem Nebel gehüllt war, meinte sie, dass ihre neongrüne Farbe auffällig herausstechen würde, wenn sie sich nicht andauernd vor Insektenfressern und Vögeln verstecken müsste. In dieser Jahreszeit, in der das Leben blühte, war die Luft von Düften gesättigt, sodass es manchmal zu viel wurde. In den Horizont ragte nur ein Berg, der scheinbar nie die Farbe wechselte, selbst an verregneten Tagen schimmerte er rosaorange, in der Sonne aber zeigte er seine wahre Natur: rot wie Rost. In der Tat bestand er aus Eisen, das an ruhender feuchter Luft mit Rostbildung reagierte.

Die zwei Insekten spielten gerne miteinander und waren stets heiter und vergnügt. Doch eines Tages erzählte Sandy: »Mir geht es nicht so gut. Schau, auch die anderen Raupen rollen sich zusammen, wahrscheinlich haben sie Schmerzen.« Überall, besonders an den Weidenröschen, hingen rotbraun bis violette Insektenlarven an dem unteren Teil der Futterpflanze oder sie lagen am Boden zwischen Pflanzenresten in einem lockeren Gespinst. Sie waren leicht durchsichtig, sodass durch den Kokon die Falter zu erahnen waren. Auch Ric fühlte einen stechenden Schmerz, beide Insekten schauten sich um. In der Tat, die Zahl der Raupen war weniger geworden. Und plötzlich wusste er nur eins, sie mussten flüchten. »Vielleicht hast du recht. Es scheint, als seien alle krank. Lass uns zum Berg kriechen, solange wir uns noch nicht angesteckt haben«, schlug Ric vor, sehr besorgt um seine Freundin. So wechselte die brennende runde Kugel am Himmelszelt ihre Schicht und die Nacht brach herein.

Am nächsten Morgen jedoch sah Sandy Ric nicht am gewohnten Ort und auch sonst nirgendwo. In Panik verließ sie ihren gemütlichen Rastplatz und kroch in Richtung des Berges. Nach einer Weile machte sie erschöpft Rast. An einem Weidenröschen hing sie, um zu ruhen.

Ric aber, der nicht aufzufinden gewesen war, war von seltsamen Träumen heimgesucht worden. Es waren solche, in denen er mit Sandy in der Sonne lag. In einem weiteren wurden die zwei von Vögeln bedrängt, ein andermal hatte er sogar von seinen Geschwistern geträumt, die allesamt gefressen wurden. Da hatte sich Ric gewunden und seine Glieder gestreckt, sie schmerzten aufs Ärgste. Und er hatte sich nicht gewagt, sich weiter zu rühren, geschweige denn seine Augen zu öffnen. Seine luziden Träume hatten ihn abgelenkt von einem Zwicken und einem Zerren sowie dem Unvermögen, den Körper zu spüren vor Schmerz. Einige Zeit danach waren seine Glieder nicht mehr so schmerzhaft und Ric spürte das Verlangen auszubrechen. Aus dem Kokon geschlüpft, gold-grün, noch nicht ganz an seine Umwelt angepasst, mit zwei Flügeln, die in der Sonne trockneten, stand Ric da und sah an sich herunter. Aus ihm war eine erwachsene Schmeißfliege geworden. Was war passiert? Warum fühlte er sich anders? Wo war Sandy? In seinem Kopf ging viel vor, viele Fragen und keine Antworten. Eine andere Fliege, die in diesem Moment vorbeiflog, tröstete ihn: »Du bist jetzt erwachsen, genieß dein Leben, du hast noch 28 Tage zu leben.«

Ric tat, wie ihm geheißen, und flog davon. Unterwegs traf die Fliege eine Katze und neugierig fragte sie nach dem Namen des Berges. »Miau, sein Name ist mir soeben entglitten, ich nenne ihn den Zackboom-Berg«, antwortete sie. Ric fand das zwar merkwürdig, doch dann dachte er vor sich hin: »Was soll´s, Katze.« Nach tagelangem Herumfliegen kam er endlich am Fuß des Berges an und schmatzte weinend an vergammelten Überresten, hungrig von der langen Reise. Ein breiter Schatten fiel über ihn, sofort versuchte er sich in Sicherheit zu bringen. ›Nanu‹, dachte Ric, ›Vielleicht regnet es bald.‹ Zu seiner Überraschung aber rief eine liebliche Stimme: »Warum weinst du? Schmeckt dir nicht, was du so hungrig vor dich hinschmatzt?«

»Ach, nein«, entgegnete Ric, der mit tränenerfüllten Augen zu kämpfen hatte und nicht in der Lage war, zu erkennen, wer da sprach. »Weißt du, ich habe eine gute Freundin verloren, es ist nicht allzu lange her, sie wurde krank.« Als die Tränen aus Rics Augen geflossen waren und seine Sicht klarer wurde, bemerkte er ein liebliches Wesen. War es ein Nachtfalterschmetterling oder ein Kolibri? Ric konnte sich nicht entscheiden. Das entzückende Wesen schwirrte in schnellem Flug um ihn herum, seine Flügel waren hell ockerfarben mit dunkelbraunen Sprenkeln, am Hinterleib war es hellrotbraun gefärbt und wie er hatte es einen Saugrüssel, bloß viel länger. »Ich bin gerade am Vormittag geschlüpft«, sagte es anmutig und war so in Gedanken vertieft, seinen süßen, flitzenden Schatten am Boden zu beobachten, dass sie die Bambuspflanze vor sich nicht sah. Boom. Ein Blitz und tausend Sterne leuchteten für sie allein, die unverschämt über sie lachten. Da lag sie nun, die Flügel gespreizt. »Ja, so war meine Sandy, ein Tollpatsch«, sagte Ric und das Schluchzen wurde wieder heftiger. Dann aber, immer noch tränenüberströmt, konnte sich Ric das Lächeln nicht verkneifen. Aus dem Misthaufen erhob sich der Schmetterling. Noch ganz durcheinander die Flügel putzend entgegnete sie: »Buh, so eine schöne Bescherung.«

Etwas drollig und aufgeheitert sagte Ric, der sich bereits über den Mist hermachte, laut schmatzend: »Nicht wahr? Mal kosten?«

Entsetzt schrie der Schmetterling, als er seine Flügel genauer betrachtete: »Ach du meine Güte, ich bin ein Taubschwänzchen, bitte, ich gehöre zur Familie der Nachtfalter.«

»Das dachte ich mir, die Kolibris haben Federn«, meinte Ric.

»Gerade mir muss so was passieren, das ist ja abstoßend«, jammerte der Schmetterling und schrie bei dem Anblick des angebotenen Mists vor Schreck, Ric auch, und so schrien nun beide aus voller Kehle. Ein Elefant, der vorbeieilte, flüsterte: »Nicht so laut, der Berg schläft.« Abrupt wurden beide still und schauten sich verblüfft an, zuerst den Elefanten, dann den Berg und dann sich gegenseitig und alle mussten laut lachen. Da, in diesem Lachen, erkannte Ric Sandy wieder, nur mit ihr hatte er so köstlich gelacht. Wie ein Blitz erinnerte sich Sandy auch an Ric.

»Meine Güte, du hast dich aber verändert.« Und beide fielen sich erleichtert vor Glück in die Arme.

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Ein Lemure, der das Geschehen im Vorbeilaufen sah, riss die Augen noch mehr auf, als sie sonst ohnehin schon sind: »Oh je, was wird das, wenn es fertig ist?« Die beiden entgegneten zusammen, wie in alten Zeiten: »Schon mal in den Spiegel geschaut, du Waldgeist?«, und streckten dem Lemuren frech die Saugrüssel entgegen. Wie sie sich verändert hatten. Sandy beherrschte den Schwirrflug sehr schnell und konnte dazu noch viele Kunststücke, von denen Ric nicht zu träumen wagte. Die rote heiße Kugel am Himmel verließ schon den Horizont, Vetter Mond war jedoch noch nicht zu sehen. Der Lemure entgegnete völlig verwirrt: »Was ist bloß mit den beiden los, in Anbetracht der großen Gefahr?«, und fügte noch in Panik hinzu, »Bald ist es 18 Uhr.« Da schauten sich Ric und Sandy gegenseitig an und mussten sich vor Lachen winden. Sie umarmten sich und dabei flossen Tränen. »Sandy, weißt du noch? Warum müssen manche Tiere nie weinen?« Dann beide zusammen: »Weil sie vor Lachen die Tränensäcke immer leer haben.« Viele Tiere rannten davon, andere waren schon vorausgelaufen, da schrien sie Sandy und Ric hinterher: »Schnell, bald ist es 18 Uhr.«

Bei dem ganzen Überdruss vergaß Sandy die Lebensgewohnheiten von Ric und wie abstoßend ihn mancher fand. Dabei hatten beide viel gemeinsam, sie tranken beiden gerne Nektar, Pollen und Honigtau und beide waren am Tag aktiv. Eine Katze kam mit großen Schritten angerannt. »Na, Ric, ich kann Katzisch, sieh zu und lerne«, sagte Sandy. Ric machte große Augen, so überrascht war er. »Mitz, mitz, mitz«, zischte Sandy, worauf die Katze abrupt stehen zu bleiben versuchte. Doch weil sie im Vollsprint war, bremste sie, fiel auf die Schnauze, flüsterte völlig durcheinander: »Autsch« und jaulte anschließend vor Schmerz. Kühn bemerkte Sandy: »So lieblich sind diese Geschöpfe, jetzt weißt auch du es.« Sandy war gerade dabei, sich zu sammeln, und vor allem, schon wieder den Staub von ihrem makellosen Körper zu entfernen. Sie fragte sich, was hier los war, als plötzlich, Zackboom, ein gewaltiger Blitz wie aus heiterem Himmel auf den Berg einschlug, ohne Donner und Regen. Alles schrie in Panik auf, alle wurden durchgerüttelt und fielen anschließend durcheinandergewirbelt auf den Boden. Die Köpfe wurden vertauscht und aus Katze und Hund, der eben noch neben der Katze gestanden hatte, wurde Kund. Aus Eule und Rebhuhn wurde Euluhn, und deren Köpfe und Schwänze vertauscht. Aus Kokospalme und Bambus wurde Palmbus, eine Palme mit Bambusästen. Aus Hund und Busch wurde Husch, ein Busch, der bellte und lief. Aus Sandy und Ric wurde Sandric. Jeder bekam die Hälfte des anderen. »Geh vorsichtig mit meinem halben Körper um«, schimpfte Sandy und Kund sagte zu Sandric: »Ja, das passiert täglich zwischen 18 und 24 Uhr.«

In den darauffolgenden Stunden musste Sandy das triste Leben einer halben Fliege fristen. Irgendwann gerieten sie deshalb in Streit: »Das ist meine Portion«, schrie Sandy.

»Da hast du es«, sagte der freundliche Ric gutmütig und glücklich, seine Freundin wiedergefunden zu haben, und ließ Sandy den Vortritt. Doch Zackboom, und der Spuk war vorbei. Gerade zurückverwandelt spuckte Sandy die Nahrung angewidert aus und die beiden lachten vergnügt. Dieses Ereignis gefiel ihnen so sehr, dass sie beschlossen, dortzubleiben. Den folgenden Tag versuchten sie es zu dritt. Kurz vor 18 Uhr standen Sandy, eine wunderschöne, bunte Motte und Ric bereit. Die beiden anderen berührten Ric mit den Fühlern und als es so weit war, Zackboom, kam eine riesige Motte zum Vorschein, mit drei Augen, sechs Flügeln und sechs Beinen. Nun konnten sie die Spinnen ärgern und die Spinnennetze zerstören, die so gefährlich waren. Selbst die großen Spinnen gerieten nun in Panik, schrumpften auf die Größe einer Stecknadel zusammen und zitterten bis Mitternacht, dann war es vorüber und alles wurde wieder wie gewohnt.

Bei der großen Spinnenkonferenz trat die Vogelspinne vor und schwor: »Das werden sie bezahlen, diese Niederlage werde ich nicht hinnehmen, ich werde sie bestrafen.« Und alle Spinnen jubelten. Sandy und Ric hingegen freuten sich und waren sehr gespannt auf die nächste Nacht. Eine Biene sagte schwermütig: »Hochmut kommt vor dem Fall, Kinder.« Sandy und Ric mussten sich natürlich darüber lustig machen. Die zwei warteten lange auf ein Insekt, das mitspielen wollte, aber keiner wollte freiwillig mitmachen. Sandy und Ric blieben allein, den ganzen Tag schon war eine leichte Brise zu spüren, die gegen Abend stärker wurde. Als der Berg wieder brummte, die Blitze die Umgebung erhellten und das Geschrei alles übertönte, da lagen die beiden fast unverändert da. Sandy hatte nur einen Flügel eingebüßt, genauso wie Ric. Was war passiert? Sie schauten sich belustigt an, doch das Lachen blieb ihnen in der Kehle stecken, als der Wind kam. Der Wind war noch jung und lebhaft, er wollte auch Spaß haben. Mit geschwungenen Wirbeln riss er die zwei auseinander. Sandy und Ric hatten sich somit nicht nur aus den Augen verloren, sie hatten damit auch die Rückführung ihrer Verwandlung verpasst. Der Wind war nun müde und legte sich schlafen.

Am nächsten Morgen wachte Ric in Panik vor dem Kreischen von tausenden und abertausenden von Vögeln auf, sie kreisten am Himmel und bildeten interessante Muster. Für eine kurze Zeit herrschte Finsternis. Die Vögel verteilten sich auf dem Boden und suchten nach Essbarem, sie aßen nicht, sie verschlangen, zerteilten und zerstörten, es war eine Party, bei der alles erlaubt war. Ric versteckte sich hinter einem Blatt, hörte ihre Gespräche. »Der da mit einem Flügel schmeckt nicht.«

»Woher weißt du das?«

»Drüben ist auch etwas Ähnliches, alle sagen, dass es verflucht ist vom Zackboom-Berg.« Die Vögel stritten sich alten Fäden wegen, sie spielten miteinander, Mütter schmusten mit ihren Kindern, andere putzten sich gegenseitig das Gefieder. Ric hatte schon verstanden, dass er sich nicht mehr zu verstecken brauchte, er war ja ein Verfluchter und schmeckte nicht. Er kroch durch die Menge, zornig über den Wind, der mit ihnen spielen wollte, zornig über die anderen, die ihn nicht gewarnt hatten, zornig über sich selbst, der nie erwachsen wurde und sogar zornig über die Vögel, die ihn nicht fressen wollten. Vor allem war er zornig, weil er Sandy nie wiedersehen würde und er einen Flügel verloren hatte. Er musste vorsichtig damit umgehen und die Vorstellung, dass Sandy es auch quälte, mit dieser Veränderung zu leben, die sie nicht verdient hatte, machte ihn wahnsinnig. ›Die sollen mich fressen, wenn sie wollen, bitte‹, dachte Ric und bemerkte nicht, dass er von Vögeln umkreist war, die ihm Blicke voller Abscheu zuwarfen. Der Anführer startete den Abflug mit einem lauten Kreischen und sogleich wie auf Befehl stiegen sie alle empor. Das war ein Lärm von Flügelschlägen, dem obligatorischen Schnattern und im Nu waren sie fort. Federn schwebten in der aufgewirbelten Luft. Hätte Ric die Wiese betrachtet, voller Federschmuck, hätte er sich ein wenig aufheitern können, aber Ric war zu traurig. Im Gebüsch versteckt weinte er bitterlich. Ein Regenwurm betrachtete ihn mitfühlend: »Immerhin weißt du jetzt, wo du suchen musst.« Daraufhin flog Ric mit einem Flügel los, entschlossen und dankbar, dass er auch unter diesen Umständen einen Freund gefunden hatte. Mit den besten Glückwünschen im Gepäck summte Ric und sang sein Lied. Es war kein fröhliches Lied, es besaß eine Sandy gewidmete Melodie der Sehnsucht und dankte dem Wind, der seinen Übermut bestraft hatte.

Sandy,

mein Herz,

meine Inspiration und die Kraft,

die steckt in mir

bedenke die Scherze,

unser Lächeln und unsere Luft,

die ist nun bei dir

danke dem Wind,

der uns trennte wegen unserer Dummheiten

ich will dich finden und dich heilen

so viel Zeit bleibt nicht mir.

Der Wind kam, sein Wirbeln war schwach wie eine sanfte Hand, die nicht verletzen möchte und hob Ric in die Höhe. Der Arme dachte schon, seine letzte Stunde sei gekommen und schloss die Augen, um vor Schreck nicht zu schreien. Überraschenderweise war der Wind so entzückt über Rics Gesang gewesen, dass er die beiden nun zusammentrug.

Nach der Rückverwandlung beschlossen Sandy und Ric, keine Dummheiten mehr zu machen, und flogen in Richtung Dorf, wo die Menschen wohnten. Von dort, nicht unweit von Sandys Quartier, hörten sie ein leises Wimmern. »Lass uns sehen, was los ist«, schlug Ric vor. Auf ihrem Weg dorthin fing der Zackboom-Berg aufs Neue mit seinem Konzert an und sie waren nicht dabei. »Seltsam Ric, ob wir endlich anständig werden?«, fragte Sandy Ric, der bereits die Quelle des Wimmerns ausgemacht hatte.

»Da, ein Kind, es ist wohl krank, was meinst du, wenn wir morgen bei Tageslicht zu Besuch kommen?«, schlug er vor, während sie das Kind durch das Fenster beobachteten. »Ja, Ric das wäre klasse, aber was ist das?«, bemerkte Sandy.

Ein drohender, riesenhafter Schatten glitt von der Außenwand und flüsterte: »Ich kriege euch«.

Ric bestätigte: »Unheimlich, findest du nicht?« In Panik flogen sie in die Krone einer großen Linde, dort überlegte Sandy: »Vielleicht sollten wir nie wieder dorthin«, noch am ganzen Körper zitternd.

»Sandy, hast du die Geranien am Fenster gesehen?«, fragte Ric. »Die leuchten selbst in der tiefsten Nacht. Ich mag sie am liebsten.«

Jene Nacht wurde Ric von bösen Träumen heimgesucht, von der Art, wovon man am nächsten Tag nichts mehr wissen will, doch Sandy hatte mitbekommen, wie er sich windete und laut summte, während der kleine Edi in einer Hängematte lag und an hohem Fieber litt.

Mit den ersten Sonnenstrahlen war die Hütte hell erleuchtet, durch das offene Fenster wagten Sandy und Ric, den Jungen zu besuchen. Als Edi Sandy erblickte, lächelte er strahlend über das ganze, von der Krankheit geplagte Gesicht. Edi schwieg und genoss ihren Flug. Ric, etwas beleidigt, ertränkte seinen Frust mit einem ordentlichen Schluck von dem Nektar der Geranien.

Es war nur ein Augenblick, so schnell war sein Leben ausgelöscht. Die Vogelspinne hatte Wort gehalten, sie hatte sich in den Geranien versteckt, wissend, dass der Duft des Nektars unwiderstehlich war. »Du bist die Nächste«, fauchte die Vogelspinne.

Später, als sie ihren Partner fand, flog Sandy davon. Unterwegs erfuhr sie von einer anderen Fliege, dass Rics Zeit sowieso schon abgelaufen gewesen wäre, Fliegen leben nicht so lange. Sandy hingegen hatte noch drei Monate Zeit, so flog sie in den Himmel hinauf und wurde nie wieder gesehen.

Wenn du ganz still den Morgentau bewunderst und die schüchterne Sonne im Gemüte wirken lässt, kannst du auch ihre Melodie hören, es ist der Wind, er vergisst nicht geschwind.

 

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Agathe Schwippst

Agathes schwarzer Tag