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Heilung der Heimat

Beiträge zur Geschichtswissenschaft
Herausgegeben von Ernst Piper

Reihe Hamburger postkoloniale Studien, Band 6
Herausgegeben von Jürgen Zimmerer

Hier bisher erschienen:

Band 1: Mara Müller, »Freiheit für Nelson Mandela«.
Die Solidaritätskampagne in der Bundesrepublik Deutschland

Band 2: Malina Emmerink, »Hamburger Kolonisationspläne 1840– 1842«.
Karl Sievekings Traum einer »Deutschen Antipodenkolonie« im Südpazifik

Band 3: Nils Schliehe, »Deutschlands Hilfe für Portugals Kolonialkrieg in Afrika«. Die Bundesrepublik Deutschland und der angolanische Unabhängigkeitskrieg 1961–1974

Band 4: Myriam Gröpel, »Echte Objekte«. Die Sammlung des Hamburger Museums für Völkerkunde und die Frage nach Authentizität 1904–1919

Band 5: Jan Kawlath, »Der Hamburger Hafen und der deutsche Kolonial krieg in Namibia.« Die Inszenierung kolonialer Gewalt im Baaken hafen 1904–1907

Gisela Angelika Ewe

Heilung der Heimat

Rasse und Gender in ausgewählten deutschsprachigen
Spielfilmen der Nachkriegszeit

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Allitera Verlag

Inhalt

Vorwort

1.Einleitung

2. Rasse und Gender

2.1 Rasse und Rassismus

2.1.1 Racial Formation/Rassifizierung

2.1.2 Rassismus

2.1.3 Weißsein

2.2 Gender und Sexismus

2.2.1 Das Konzept ›Gender‹

2.2.2 Doi ng Gender

2.2.3 Hegemoniale Männlichkeit

3. Repräsentationsregime

3.1 Weißsein, Gender und Repräsentation

3.1.1 Weißsein und Repräsentation

3.1.2 Gender und Repräsentation

3.2 Stereotypisierung und Othering

4. Rekonstruktionen der Weißen deutschen Identität

4.1 Rehabilitation: Überwindung der Vergangenheit

4.1.1 Aushandlung der Vergangenheit durch Wertekonflikte

4.1.2 Heilung durch Begegnung mit dem Fremden

4.1.3 Heilung durch Integration

4.2 Resouveränisierung: Macht über Frau und Kind

4.2.1 Rettung und Fürsorge

4.2.2 Disziplinierung

4.2.3 Befreiung

4.3 Restauration: Deutsche Werte und Weiße Überlegenheit

4.3.1 Echte Arbeit und deutsche Tugenden

4.3.2 Die Fähigkeit zur Kolonisation

4.3.3 Moralische Überlegenheit als kolonialer Machtanspruch

4.3.4 Rekonstruktion der Weißen deutschen Heimat

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Primärquellen

Sekundärliteratur

Filme

Internetquellen

Vorwort

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um eine überarbeitete Version meiner Magisterarbeit, die ich 2014/2015 an der Universität Hamburg verfasst habe. Verschiedene persönliche, politische und wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Rassismus, Sexismus, dem Nationalsozialismus und der deutschen Kolonialgeschichte haben in mir die Frage geweckt, welche rassistischen und sexistischen Darstellungsformen das Jahr 1945 »überlebt« haben. Anhand des Mediums Film, einem der großen Massenmedien der Nachkriegszeit, habe ich dieses Thema analysiert und dargestellt.

Viele Menschen haben diese Arbeit unterstützt und ich möchte ihnen meinen Dank aussprechen. Zunächst sind meine beiden Gutachter, Prof. Dr. Jürgen Zimmerer und Prof. Dr. Axel Schildt zu nennen, denen ich für ihre Betreuung und Beratung danke. Weiterhin möchte ich den Mitarbeiter_innen der Abteilung Filmarchiv im Bundesarchiv Berlin und der Deutschen Kinemathek in Berlin für die Bereitstellung der sonst größtenteils nicht erhältlichen Filme danken.

Wichtige Hinweise und Inspirationen stammen außerdem von Tobias Nagl, Susann Lewerenz und Maja Figge, denen ich zu Dank verpflichtet bin. Desweitern danke ich allen Freund_innen und Kolleg_innen, die mich in dem Prozess unterstützt haben und mir mit Rat und Korrekturen zur Seite standen, namentlich Robert Voss, Jonas Ehrsam, Anna Hennecke, Sanja Ewald, Julian Bothe und Ronja Klöß.

Apl. Prof. Dr. Ernst Piper und dem Allitera Verlag danke ich für die Möglichkeit, meine Studie zu veröffentlichen.

Hamburg, April 2019

1. Einleitung

Rassismus ist in Deutschland brandaktuell: Während Zehntausende in Dresden als ›patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes‹ auf die Straße gehen und die Zahl der Anschläge und Übergriffe gegen Geflüchtete im Jahr 2014 in die Höhe schnellte1, werden auf parlamentarischer Ebene drastische Verschärfungen des Asylrechtes2 geplant. Rassismus, so machen diese Beispiele deutlich, kann nicht mehr als Randphänomen abgetan werden. Stattdessen fällt auf, dass auch die Medien rassistische und stereotype Bilder von Rasse und Fremdheit transportieren, wenn der Islam mit Terror gleichgesetzt, Geflüchtete als Naturkatastrophe beschrieben werden oder Afrika im Film als Selbsterfahrungsparadies für Weiße erscheint3. Ausgangspunkt meiner Analyse ist die Beobachtung, dass derartige Bilder nicht grundsätzlich neu sind, sondern in einer visuellen und narrativen Tradition stehen.

Während über Fragen von Rassismus und rassistischer Darstellung für die Zeit des Nationalsozialismus ein breiter gesellschaftlicher Konsens herrscht, ist die Wahrnehmung der Nachkriegszeit vom Leiden der Deutschen und dem Kraftakt des Wiederaufbaus geprägt. Nach dem Höhepunkt rassistischer und antisemitischer Gewalt in Form von Genoziden an den europäischen Jüdinnen und Juden, Sint_ezze und Rom_n, den rassenhygienischen Euthanasieprojekten und dem als ›Krieg gegen das Untermenschentum‹ inszenierten Russlandfeldzug beabsichtigten die Alliierten, mit ihrer Politik der Entnazifizierung und Re-Education einen umfassenden gesellschaftspolitischen Wandel einzuleiten. Neben der Einführung von Marktwirtschaft, Grundgesetz und Demokratie zielte dies auch auf eine Liberalisierung der Werte und eine Eindämmung des Rassismus.

Der Wiederaufbau betraf sämtliche gesellschaftlichen Bereiche, neben Politik, Presse, Wirtschaft und Justiz auch das Feld der Kultur. Die Alliierten versuchten so auch in der Filmbranche, die Strukturen aus der Zeit des Nationalsozialismus wie die »hierarchisch organisierten und monopolistisch operierenden Produktionsfirmen, Verleihgesellschaften und Fachorganisationen«4 abzubauen. Alle Filmschaffenden mussten sich der Entnazifizierung unterziehen und sämtliche Filme, die zwischen 1933 und 1945 produziert worden waren, wurden begutachtet und eine Liste indizierter Filme erstellt, die größtenteils bis heute gültigist.5

Am 17. Mai 1946 wurde die Deutsche Film AG (DEFA) in Berlin-Babelsberg gegründet, die Filme mit humanistischem Anspruch drehte, die sich gegen Nationalismus, Kapitalismus und Militarismus wandten. Später wurde die DEFA in ein staatseigenes Unternehmen der DDR umgewandelt. In der Bundesrepublik hingegen wurde 1949 die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft e. V. (SPIO) gegründet; das Bundesfilmgesetz garantierte Redefreiheit und verbot Filme mit nationalistischem, rassistischem oder kommunistischem Gedankengut.6

Nach der Kriegsniederlage 1945 lag nicht nur das Land in Trümmern, auch die deutsche Identität war erschüttert und musste sich zwischen dem Erbe der Vergangenheit und den Anforderungen der Zukunft neu formieren. Die Filme der Nachkriegszeit waren Teil dieser Identitätsverhandlungen, die sich im Spannungsfeld von Restauration und Erneuerung, von Kontinuitäten und Brüchen abzeichnen und die institutionelle ebenso wie diskursive Ebene7 umfassen.

Die Niederlage im Krieg und das Ende des Nationalsozialismus hatten die ehemalige Gewissheit, Deutschland sei eine soldatische und potente Nation, die andere Nationen zu beherrschen vermag, unterminiert. Viele deutsche Männer, die vom Kriegseinsatz zurückkehrten, mussten feststellen, dass während ihrer Abwesenheit Frauen erfolgreich sämtliche Aufgaben im Haus und in den Betrieben übernommen hatten. Das Selbstbild, unersetzbares Oberhaupt in Ehe und Familie zu sein, wurde zutiefst erschüttert. Gleichzeitig entwickelte sich die Bundesrepublik unter alliiertem Einfluss zu einer modernen kapitalistischen Demokratie nach westlichem Vorbild8, während die Rückbesinnung auf vermeintlich zeitlose deutsche Werte und Symbole das Selbstbild der Deutschen zunehmend bestimmte. Das Narrativ der ›Stunde Null‹ als vollständiger gesellschaftlicher Bruch mit der NS-Vergangenheit entpuppt sich bereits in dieser Antinomie aus Modernisierung und Rückbezug als Mythos.

Die Anwesenheit alliierter Besatzungssoldaten erinnerte die deutsche Bevölkerung stets an die Niederlage des Krieges sowie an die für sie schmerzliche Tatsache, nicht mehr der unangefochtene Souverän im eigenen Land zu sein. Besondere Aufmerksamkeit erregten afroamerikanische GIs und die von ihnen gezeugten Kinder. Diese Kinder wurden zum Zentrum eines neuen Diskurses um Rasse, sie verkörperten das neue Rassenproblem der Nachkriegszeit, welches sich nicht mehr vornehmlich um Jüdinnen und Juden, sondern um Schwarze drehte.9

Der Umgang mit den Schwarzen Kindern galt als »Testfall für die deutsche Nachkriegsdemokratie«10, wie die Rede von Herman Ebeling, mit der er eine Konferenz zum Thema Das Schicksal der Mischlingskinder in Deutschland11 eröffnete, die 1952 in Wiesbaden stattfand, deutlich macht:

»Hätte vor fünfundzwanzig Jahren jemand das unsagbare Leid, das den deutschen Menschen jüdischen Glaubens und den Juden in Europa im Namen des deutschen Volkes zugefügt wurde, vorausgesagt, man hätte ihn als einen Hetzer nicht ernst genommen oder ihn als einen armen Irren dem Sanatorium überliefert. […] Es ist schlimm und bedrückend, daß die Betrachtung des Minderheiten-problems, das heute Abend hier zur Debatte steht […] im Schatten dieser Tragödie steht. Die Anwesenheit dieser 3100 farbigen Kinder in diesem traditionell weißen Lande ist ein Problem, selbst wenn auch nicht einem dieser dunkelhäutigen krausköpfigen kleinen Menschen ein Härchen gekrümmt worden ist. Wollten wir abwarten, bis das wieder geschieht, dann machten wir uns schuldig.«12

Direkt nach dem Ende des nationalsozialistischen ›Rassestaats‹13 mit seinen genozidalen Gewaltexzessen sah sich die deutsche Bevölkerung nun mit einem neuen Rassenthema konfrontiert. In der darauf folgenden Debatte gab es zwar konträre Positionen, die jedoch argumentierten alle damit, den Schutz der Kinder vor dem deutschen Rassismus gewährleisten zu wollen.14 So plädierten Politiker_innen und Pädagog_innen auf der einen Seite für die völlige Absonderung der Kinder von der deutschen Gesellschaft durch Adoptionen ins Ausland oder die Erziehung in Sondereinrichtungen. Auf der anderen Seite gab es Forderungen einer vollständigen Integration der Kinder in die Weiße deutsche Gesellschaft.

Im Diskurs um die Schwarzen Kinder nichtdeutscher und nicht Weißer Väter zeichnet sich die Relevanz der Kategorie Gender ab, die eng mit dem Thema Rasse verknüpft ist. Die Kinder galten als Heimkinder und die Frauen wurden als Rabenmütter stereotypisiert, die ih-rer Rolle als Frau und Mutter nicht gerecht würden:

»These women were also judged to be dangerous because they ignored the traditional gender and class boundaries that conservatives were trying to reestablish after the dislocation of the Nazi regime and the postwar years.«15

Die Existenz der Schwarzen Kinder markiert gleichzeitig die Überschreitung von Rassen- wie Geschlechtergrenzen. Vor diesem Hintergrund stellt sich für mich die Frage, inwieweit rassistische und sexistische Bilder und Vorstellungen das Jahr 1945 ›überlebt‹ haben, welchen Ausdruck sie in der Nachkriegszeit gefunden haben und auch, welche intersektionalen Verbindungen sie historisch miteinander eingegangen sind. Dabei soll das Augenmerk ausdrücklich nicht nur auf dem Rassismus des Nationalsozialismus, sondern ebenfalls auf die über diesen hinausreichenden Kontinuitätslinien, die auch Bezüge zum deutschen Kolonialismus erlauben, gelegt werden.

In der vorliegenden Arbeit werde ich daher den Fokus auf die Verhandlungen der deutschen Identität im Nachkriegsfilm legen und Filme untersuchen, die in der jungen Bundesrepublik Deutschland entstanden sind oder veröffentlicht wurden. Gerade der Kinofilm war eines der am weitesten verbreiteten Massenmedien dieser Zeit. 1956 gingen so viele Menschen in der Bundesrepublik ins Kino wie nie zuvor: Im Schnitt besuchte jede_r 15,6 Mal pro Jahr eine Kinovorstellung16, wobei das Publikum der Nachkriegszeit mehrheitlich weiblich war.17 Grund dafür war nicht nur, dass der Männeranteil als Folge des Krieges stark gesunken war, sondern auch, dass der Kinobesuch eine besonders bei Frauen beliebte Freizeitbeschäftigung war, nicht zuletzt, weil Frauenauch ohne männliche Begleitung ins Kino gehen konnten.18 In der ers-ten Phase nach dem Krieg entstanden die sogenannten Trümmerfilme, die das Leid des Menschen an sich thematisierten, immer jedoch auch das zutiefst Gute der Menschheit betonten. Mit dem Aufbau der Bundeswehr und dem Eintritt in die NATO wurde der Krieg ein zentrales Thema der deutschen Erinnerungskultur.19 Das kommerziell erfolgreichste Genre der 1950er-Jahre stellte allerdings der Heimatfilm dar.20 Das Konzept der Heimat bot einen alternativen und vordergründig unpolitischen Bezug zu Heimat und Nation und transportierte ein konservatives Wertesystem. Der Zeitfilm spielt im Gegensatz zum Heimatfilm in der Regel in der Stadt und beschäftigt sich komödiantisch oder melodramatisch mit gesellschaftlichen Themen und Alltagsproblemen in der Modernisierungsgesellschaft. Amerikanisierung, Konsumgesellschaft und Arbeit waren zentrale Themen dieses Genres. 21

In meinen Betrachtungen steht die Analyse der Kategorien Rasse und Gender im Vordergrund. Welche Rolle spielen sie für die Herausbildung einer neuen deutschen Identität? Wie werden sie auf der Ebene der filmischen Repräsentation verhandelt und welche Verknüpfungen gehen sie miteinander ein? Ziel dieser Untersuchung soll eine Rekonstruktion der Elemente sein, die den Diskurs um die deutsche Identität in der Nachkriegszeit zwischen Kontinuitätslinien, Brüchen und neuen Aspekten auszeichnen. In dieser Arbeit werden die hegemonialen Vorstellungen in Bezug auf Weißsein, Schwarzsein, Männlichkeit und Weiblichkeit untersucht.22 So lautet die leitende Forschungsfrage, die dieser Arbeit zugrunde liegt: Wie wird im Spielfilm der Nachkriegszeit Identität in Bezug auf Rasse und Gender (wieder-)hergestellt und welche Rolle spielen Repräsentationen von Männlichkeit, Weiblichkeit, Weißsein und Schwarzsein im Wiederaufbau der bundesrepublikanischen Gesellschaft?

Zur Beantwortung dieser Fragen wurde aus pragmatischen und inhaltlichen Gründen eine Filmauswahl getroffen. Zentrales Kriterium war, dass mindestens eine Schwarze Person als Darsteller_in am Film beteiligt sein muss, was auf mindestens 41 Filme im Zeitraum 1945–1961 zutrifft, von denen ich 32 sichten konnte.23 Aus diesen Filmen habe ich acht für die Analyse ausgewählt, darunter vier Filme, in denen Schwarze Darsteller_innen eine Hauptrolle spielen:24 Die Zeitfilme Toxi25 (1952) und Der dunkle Stern26 (1955), den Heimatfilm Mein Bruder Josua27 (1956) und die Komödie Skandal um Dodo28 (1958). Drei weitere Filme wurden ausgewählt, die teilweise oder ausschließlich in Afrika spielen und in denen Schwarze Darsteller_innen eine für die produzierten Bedeutungen relevante Rolle spielen: Der Antikriegsfilm Die Helden sind müde29 (1955), der Abenteuerfilm Liane, das Mädchen aus dem Urwald30 (1956) und der Heimatfilm Unser Haus in Kamerun (1961).31

Für die untersuchten Filme liegt kaum Literatur vor. Einzig die Filme Toxi und Liane, das Mädchen aus dem Urwald wurden bereits wissenschaftlich analysiert, Toxi von den Historikerinnen und Film-wissenschaftlerinnen Heide Fehrenbach, Angelica Fenner32, vor allem aber von Maja Figge in ihrer Dissertation Deutschsein (wieder-)herstellen. Weißsein und Männlichkeit im bundesdeutschen Kino der fünfziger Jahre33, in der sie auch Liane untersucht. Fehrenbach bezieht sich auch auf Der dunkle Stern, ohne den Film jedoch selbst gesehen zu haben.34 Martin Baer hat in seinem kurzen Aufsatz Von Heinz Rühmann zum Traumschiff35 einige der hier untersuchten Filme erwähnt, darunter Liane, das Mädchen aus dem Urwald, Die Helden sind müde und Unser Haus in Kamerun. Ebenso werden in Rita Morriens Aufsatz ›Africa mon amour‹? – Der Afrika-Diskurs im populären deutschen Spielfilm36 einige der hier relevanten Filme genannt. Umfassende Analysen oder Interpretationen der vielfältigen Filme mit Schwarzen Darsteller_innen aus der frühen Bundesrepublik fehlen vollständig. Genau diese Forschungslücke möchte ich mit meiner Magisterarbeit füllen und zu weiteren Auseinandersetzungen anregen.

Die vorliegende Arbeit versteht sich dabei als Versuch, filmwissen-schaftliche Historiografie mit postkolonialer Kritik und Ansätzen der Genderstudies zu verknüpfen. Postkoloniale Kritik geht davon aus, dass Folgen, Spuren und Kontinuitäten von Kolonialismus und kolonialem Rassismus die Gesellschaft, ihre Politik und Kultur, aber auch den Alltag, bis heute zutiefst prägen.37 Aus diesem Grund nimmt die postkolonial inspirierte Rassismusforschung historische und zeitgenössische Prozesse der Rassifizierung in den Blick und analysiert ihre Beziehung zu bestehenden Machtverhältnissen. Sie eignet sich daher besonders, um gesellschaftliche Strukturen und Diskurse auf ihr Verhältnis zu Macht und Hegemonie hin abzuklopfen. Insbesondere die jungen Critical Whiteness Studies38 fragen nach der Rolle des Weißen Subjekts im Spannungsfeld von Rassismus und Macht. Neu an ihnen ist nicht das Thema, sondern vor allem, dass es Weiße Wissenschaftler_innen sind, die Weißsein in den Blick nehmen, denn:

»Schwarze Menschen haben aus Überlebensnotwendigkeit schon vor ein paar hundert Jahren überall auf der Welt kritische Weißseinsforschung betrieben, indem sie die Verhaltensweisen und sozialen Realitäten weißer Menschen benannten und analysierten«.39.

Auch in Deutschland beruht die kritische Weißseinsforschung auf den Analysen von Schwarzen Menschen. Die Anthologie Farbe bekennen. Afro-deutsche Frauen auf den Spuren ihrer Geschichte40, die May Ayim, Katharina Oguntoye und Dagmar Schultz 1986 publiziert haben, stellt eine Grundlage der afro-deutschen Geschichtsschreibung ebenso wie der Kritischen Weißseinsforschung in Deutschland dar. 2005 erschien der Band Mythen, Masken und Subjekte. Kritische Weißseinsforschung in Deutschland41 von Susan Arndt, Maureen Maisha Eggers, Grada Kilomba und Peggy Piesche, der die Vielfalt an Zugängen, die es heute zum Thema Weißsein gibt, dokumentiert.42

Während sich in aktuellen rassismuskritischen Debatten eine strategische Aneignung essenzialistischer Begrifflichkeiten abzeichnet43, betonen die Genderstudies die poststrukturalistische Auflösung des essenzialistischen Subjekts44. Zentrale Theoretikerin ist Judith Butler, die Geschlecht als sozial konstruierte Kategorie und als strukturgebenden Mechanismus moderner Gesellschaften zur Stabilisierung und Legitimierung einer symbolischen Ordnung45 begreift.

Diese recht theoretischen Ausführungen werden in der folgenden Arbeit mit Stuart Halls Konzept der ›Repräsentationsregime‹ verknüpft, um sie für die Analyse greifbar zu machen. Wie alle Kulturprodukte ist der Film Ausdruck der Gesellschaft, aus der er stammt. Er reproduziert existierende Vorstellungswelten und Ideale, modifiziert sie gleichzeitig aber auch, indem Inhalte verschoben, abgewandelt oder durch neue Elemente ergänzt werden. Im Zusammenspiel verschiedener Texte46 ist Repräsentation in diesem Sinne immer auch Bedeutungsproduktion und

»das gesamte Repertoire an Bildern und visuellen Effekten, durch das ›Differenz‹ in einem beliebigen historischen Moment repräsentiert wird, wird als Repräsentationsregime bezeichnet«47.

Mit dem Begriff ›Repräsentationsregime‹ lassen sich die Bedeutungen, die ein Film transportiert, als Teil eines gesellschaftlichen Feldes begreifen, in dem zwar vielfältige Bedeutungen produziert werden, gleichzeitig aber auch dominante Tendenzen erkennbar sind. Mit diesem Ansatz können die untersuchten Filme nicht nur einzeln, sondern als Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse analysiert werden. Auf der Grundlage dieser Vorannahmen wird zur Beantwortung der Forschungsfrage untersucht, welche Bedeutungen in Bezug auf die deutsche Identität in den ausgewählten Filmen hergestellt werden. Dieser Ansatz der semiotischen Filmanalyse untersucht die Bedeutungsproduktion in Texten und befragt diese nach ihren diskursiven und ideologischen Inhalten. Was für Hauptrollen gibt es? Welche Figurenkonstellationen liegen vor? Welche Sinngehalte bezüglich Rasse und Gender werden transportiert? Welche Lösungsangebote bieten die Filme in Bezug auf Konflikte? In welchem Zusammenhang steht all dies mit dem gesellschaftlichen Kontext?

Diese Arbeit beginnt mit den theoretischen Grundlagen zu Rasse und Gender in Kapitel 2. Nach einem Abriss der Geschichte des Konzepts ›Rasse‹ in Kapitel 2.1 werden Rassifizierung, Rassismus und Weißsein näher beleuchtet. Kapitel 2.2 bietet einen historischen Einblick in die Kategorie Geschlecht, gefolgt von weiteren Erläuterungen zu den Konzepten ›Gender‹, ›Doing Gender‹ und ›Hegemoniale Männlichkeit‹. Das 3. Kapitel verbindet die Theorie mit Fragen der Repräsentation von Rasse, Weißsein und Gender. In Kapitel 4 folgt die Analyse der ausgewählten Filme, die in drei Komplexe eingeteilt wurde: Erstens die Rehabilitation des Weißen deutschen Mannes durch Überwindung der nationalsozialistischen Vergangenheit; zweitens die Resouveränisierung männlicher Autorität durch Fürsorge und Rettung Schwarzer Kinder sowie die Disziplinierung oder Befreiung von Frauen; und drittens die Restauration deutscher Werte und Weißer Überlegenheit als stabile Grundfesten einer neuen Identität. Am Schluss wird ein Fazit gezogen, welches die Ergebnisse der Analyse zusammenfasst.

2. Rasse und Gender

In diesem Kapitel wird herausgearbeitet, dass Gender und Rasse soziale Kategorien sind, anhand derer sich die Gesellschaft strukturiert. Sie ähneln sich in vielen Aspekten; beide stiften Identität, legitimieren und reproduzieren Machtverhältnisse und erstellen eine symbolische gesellschaftliche Ordnung. Dennoch sind sie nicht einfach analog zu setzen, sondern stehen in einem komplexeren Verhältnis. Die Beziehung ihrer Diskriminierungsformen Rassismus und Sexismus sollen nun in Anlehnung an Ina Kerner skizziert werden48, bevor die einzelnen Aspekte der beiden Kategorien in den folgenden Unterkapiteln erläutert werden.

Kerner systematisiert Rassismus und Sexismus mithilfe dreier Dimensionen: Der epistemischen Dimension, die Wissen und Diskurse beinhaltet; der institutionellen Dimension, welche institutionalisierte Formen von Rassismus und Sexismus umfasst; und der personalen Dimension, die sich auf individuelle Einstellungen, Identität und Subjektivität ebenso wie Interaktionen bezieht.49

Das Verhältnis der Dimensionen zueinander ist komplex und durch Ähnlichkeiten, Unterschiede, »Kopplungen«, »Verschränkungen und Verflechtungen«50 gekennzeichnet.

Rassismus und Sexismus konstruieren wie dargestellt kategoriale Unterschiede zwischen Menschen. Anhand der Kategorie Rasse werden so beispielsweise Weiße und Schwarze, Asiaten, Türken, Muslime und Juden konstruiert und differenziert und anhand der Kategorie Gender Männer und Frauen. Annahmen über minorisierte Gruppen sind indes oft von Mythen geprägt, die bestimmte vermeintliche Eigenschaften naturalisieren. Diese Differenzzuschreibungen dienen häufig dazu, gesellschaftliche Verhältnisse zu legitimieren, die Menschen einen bestimmten Platz in der Gesellschaft zuweisen, um »Formen der Stratifikation und der Segregation zu legitimieren«51.

Zugleich unterscheiden sich Rassismus und Sexismus in zwei wesentlichen Aspekten voneinander. Die Muster der Stratifikation und Segregation des Sexismus verweisen Frauen in das private Leben, den Haushalt und die Familie, ordnen sie jedoch im Bereich der Arbeit und Politik den Männern unter. Auch im Feld der Arbeit und Politik werden Menschen untergeordnet und aus einem staatlichen oder nationalen Kollektiv ausgeschlossen52. Kerner konstatiert, dass für den Sexismus die Unterscheidung zwischen privater und öffentlicher Sphäre wichtiger sei als für den Rassismus; im Rassismus hingegen sei die Konstruktion von Fremdheit wichtiger als im Sexismus. Rassismus und Sexismus würden sich außerdem bezüglich des Stellenwertes der Reproduktion unterscheiden. Im sexistischen Diskurs gälten diejenigen Formen von sex, Gender und Begehren als normal und natürlich, die die Reproduktion ermöglichen. Der rassistische Diskurs wiederum diene eher der Verhinderung von Reproduktion. Zugunsten einer nationalen, völkischen oder rassischen Homogenität solle eine ›Vermischung‹ möglichst unterbunden werden.53 Eine Kopplung beider Diskriminierungsverhältnisse finde hingegen im Diskurs um Reproduktion statt, indem zum Beispiel von der Notwendigkeit des Bevölkerungswachstums in europäischen Industrieländern ausgegangen werde und Anreize wie Kindergeld oder Elternzeit geschaffen würden, damit Weiße deutsche Frauen mehr Kinder bekämen, während gleichzeitig eine restriktive Einwanderungspolitik den Zuzug von nicht-Weißen Menschen erschwere. Eine andere Variante der Kopplung von Rassismus und Sexismus finde dann statt, wenn rassifizierten Anderen unterstellt werde, sie seien grundsätzlich sexistischer als die Weiße Gesellschaft und die rassifizierten Frauen grundsätzlich unterdrückter.54

Diese Zuschreibung, die auf dem rassistischen Stereotyp beruht, Schwarze wären näher an der Natur und dadurch triebhafter, dienen auch der Projektion von sexistischem Verhalten auf eine andere Gruppe und damit einer Dethematisierung von Sexismus innerhalb des Weißen Kollektivs.

Verflechtungen, Verschränkungen und Intersektionen von Rassismus und Sexismus beschreibt Kerner mithilfe ihrer drei eingangs vorgestellten Dimensionen. Intersektionalitäten innerhalb der personalen Dimension schaffen nach Kerner spezifische Identitäten und Subjektivierungsprozessse und beeinflussen zwischenmenschliche Interaktionen. Innerhalb der institutionellen Dimension bedeute die Verschränkung von Rassismus und Sexismus »ein komplexes Ineinandergreifen unterschiedliche Institutionengefüge«55 , das sich auf die Familienstrukturen oder Bildungschancen auswirke. Innerhalb der epistemischen Dimension, die für den vorliegenden Kontext besonders relevant ist, gehe ich so mit Kerner davon aus, dass Gendernormen anhand der Kategorie Rasse strukturiert sind, also rassifiziert sind, und dass Vorstellungen von Rasse vergeschlechtlicht sind.56

Nach einem Abriss der Geschichte des Konzepts Rasse wird im Folgenden das Konzept der Rassifizierung nach Michael Omi und Howard Winant vorgestellt. Mit Rückgriff auf die rassismustheoretischen Ausführungen von Robert Miles, Mark Terkessidis, Grada Kilomba und Birgit Rommelspacher folgt dann eine Erarbeitung eines Rassismusbegriffs, der dieser Arbeit als Grundlage dienen soll. Im Anschluss werden Ansätze der Critical Whiteness Studies, insbesondere die von Ruth Frankenberg, bell hooks57 und Eske Wollrad, zum Themenkomplex Weißsein aufgegriffen, um die Relevanz dieser Kategorie herauszustellen. Dabei werden Rasse und Rassismus als gesellschaftliche Ordnungsstrukturen beschrieben, die Weißsein als Norm produzieren und White Supremacy etablieren.

2.1 Rasse und Rassismus

Das biologische Konzept menschlicher Rassen ist eine Erfindung des Weißen Europa aus der Zeit der Aufklärung, das dazu diente, den eigenen Herrschaftsanspruch und die Ausbeutung und Kolonisierung der Welt zu rechtfertigen.58 Konzepte von Fremdheit und Vorstellungen des ›Anderen‹ gibt es schon in Antike und Mittelalter, doch ob sich in diesen Fällen von Rassismus sprechen lässt, ist umstritten.59 Einig ist sich die Forschung jedoch darin, dass das Konzept Rasse in der Wissenschaft seit dem 18. Jahrhundert bis in die 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts in Form einer umfassenden Biologisierung und einer weitreichenden Legitimierung einen wesentlichen Wandel erlebte. Der Glaube an die Existenz menschlicher Rassen hat enorme Wirkungsmacht entfaltet und sich ebenso wie rassistische Denkweisen tief in die europäischen Gesellschaften und ihre Diskurse eingeschrieben.

Um die Existenz menschlicher Rassen wissenschaftlich zu untermauern, wurden Menschen anhand von phänotypischen Eigenschaften wie beispielsweise ›Hautfarbe‹ oder Nasenform klassifiziert. Die Diffe-renzierung von Menschen anhand von Rassen bedeutete die Festschrei-bung sozialer Unterschiede als biologische. George L. Mosse beschreibt das moderne Rassenkonzept entsprechend als eine »auf Klischees und Stereotypen basierende visuelle Ideologie«60. Diese vermeintlichen körperlichen Merkmale gingen direkt mit zugeschriebenen Charaktereigenschaften einher und waren unlösbar mit ihnen verbunden. Die Unterscheidung in menschliche Rassen war somit niemals wertneutral, sondern stets mit der Zuschreibung von Eigenschaften und Fähigkeiten verknüpft, die hierarchisch strukturiert sind. Die Klassifikation von Menschen in Rassen ist nicht nur inhaltlich fragwürdig; auch ihre Sinnhaftigkeit ist inzwischen von Biolog_innen wie Luigi Luca Cavalli-Sforza widerlegt worden, die nachweisen konnten, dass die genetische Varianz innerhalb einer Gruppe größer ist als zwischen zwei, zuvor als verschiedene Rassen begriffenen Gruppen61. Stattdessen ist von einem Kontinuum genetischer Unterschiede auszugehen. Arndt bekräftigt: »Alle Grenzziehungen in diesem Kontinuum sind letztlich willkürlich und folgen einem ideologisch motivierten historischen Herstellungsverfahren«62.

Aufgrund der Verbreitung von Rassen-Denken und Rassen-Antisemitismus im Nationalsozialismus gilt der Begriff Rasse in Deutschland mitunter als zu stark vorbelastet, nicht mehr zeitgemäß und daher unangemessen für heutige Debatten. Stattdessen wird oftmals nicht mehr von Rassen, sondern von ›Kulturen‹ oder ›Ethnien‹ gesprochen. Dazu sind drei Anmerkungen zu machen. Die UN haben 1950 ein Statement on Race63 abgegeben. Ein Effekt dieser Entwicklung war, dass immer häufiger die Kultur als Unterscheidungsmerkmal benannt wurde, worin sich verschiedene Gruppen unterscheiden würden.64 Da die Begriffe ›Kultur‹ und ›Ethnie‹ allerdings regelmäßig funktionsäquivalent zum Begriff Rasse verwendet werden, also ebenfalls eine als essenziell verstandene kollektive Kategorisierung bedeuten, stellen sie erstens keine echte Alternative dar. Zweitens hat das Abwälzen von Thema und Begriff Rasse in die NS-Zeit oftmals die Funktion, Rassismus in Deutschland zu dethematisieren. Es erscheint jedoch wenig plausibel, davon auszugehen, dass der Rassismus unter Hitler seinen Zenit erlebte und dann schlagartig 1945 aus Deutschland verschwand.65 Stattdessen gehe ich davon aus, dass es Kontinuitäten gibt, die über 1945 hinausgehen. Der Mythos der ›Stunde Null‹ konnte in den vergangenen beiden Jahrzehnten dekonstruiert werden und damit auch Kontinuitäten herausge-arbeitet werden. Drittens ist nicht einmal zu belegen, dass der Begriff Rasse nach 1945 aus der deutschen Sprache verschwunden wäre. Nicht nur im Alltag, auch in politischen und naturwissenschaftlichen Diskursen ist der Begriffe Rasse nach 1945 durchaus weiter üblich gewesen. Im deutschen Grundgesetz steht in Artikel 3.3: »Niemand darf wegen […] seiner Rasse […] benachteiligt oder bevorzugt werden«66. Auch die Antirassismusrichtlinie der EU verwendet den Begriff Rasse mehrfach67. Ebenso wird der auf Menschen bezogene Rasse-Begriff in medizinischen Forschungen, Gesetzestexten, bibliothekarischen Schlagwortbegriffen oder lexikalischen Wörterbucheinträgen unkritisch tradiert68.

In der deutschen Rassismusforschung wird auch der englische Begriff Race verwendet, da er den sozialen Konstruktionscharakter des Konzepts beinhaltet und im Gegensatz zum deutschen Begriff Rasse als ›neutraler‹ gilt, da er nicht primär mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht wird.69 Die Verwendung von englischen Termini impliziert allerdings eine Distanzierung vom Forschungsgegenstand dieser Arbeit, der in einen deutschsprachigen Diskurs eingebettet ist, die ich vermeiden möchte. Zudem ist fraglich, ob der englische Begriff angesichts der Gewalt des britischen Kolonialismus als ›neutral‹ gelten kann. Im Kontext dieser Arbeit, die einen Zeitraum untersucht, der unmittelbar auf den Nationalsozialismus folgt, scheint es vielmehr angebracht, durch Verwendung des Begriffs Rasse den Bezug zu den deutschen Diskursen des 20. Jahrhunderts mitsamt seiner negativen Konnotationen zu betonen.

»Es gibt eine symbolische und faktische Rangordnung der Physiognomien. […] hier gibt es nur einen Namen, der die reale Gewalt-tätigkeit nicht unterschlägt: Rasse. Das Wort ist böse, es sticht, es tut weh – kein anderes Zeichen, das besser passte.«70

Das Konzept Rasse stellt die Wirkmächtigkeit der Kategorie in den Fokus, die auch ohne Bezug auf die Biologie weiter besteht. Im Folgenden soll anhand der Racial Formation Theory dargestellt werden, wie Rasse die Gesellschaft strukturiert.

2.1.1 Racial Formation/Rassifizierung

Die Politologen Michael Omi und Howard Winant haben 1986 mit ihrer Racial Formation Theory71 einen theoretischen Zugang zu Rasse im Sinne eines fundamentalen Organisationsprinzips sozialer Beziehungen erarbeitet, das sich sowohl in persönlichen Wertvorstellungen als auch in wirtschaftlichen Verteilungsprozessen manifestiert. Die Racial Formation Theory hat die Grundlage für viele folgende Rassismustheorien gelegt, da sich mithilfe dieses analytischen Rahmenwerks Rasse und Rassismus in verschiedensten Kontexten dekonstruieren lassen. Die Racial Formation Theory löst zunächst den Widerspruch auf, dass Rasse entweder etwas Essenzielles oder aber reine Illusion sein muss. »[W]e should see race as a dimension of human representation rather than an illusion.«72 Rasse und ihre Wirkungen werden als real aufgefasst, während gleichzeitig beachtet wird, dass es sich bei Rasse um eine Konstruktion handelt, die nicht auf biologischen oder anderen Tatsachen beruht. Omi und Winant verstehen Rasse als einen instabilen, im politischen Kampf wandlungsfähigen Komplex sozialer Bedeutung; ein Konzept, »which signifies and symbolizes social conflicts and interests by referring to different types of human bodies«7374Rassecommon sense