Eine Einleitung

Ich war fünf Jahre alt, als mir meine Mutter in unserem Hausgarten eine Ecke frei machte mit den Worten: »Das ist jetzt dein Beet.« In ihrem Korb lagen Samentüten, von denen ich mir eine aussuchen durfte, und ich entschied mich für die farbenfrohste mit der Aufschrift »Mittagsblümchen«. Da ich gerade schreiben lernte, beschloss ich, meinen Namen in die Erde zu säen. Dabei war ich froh, nicht Alexandra oder Katharina zu heißen, denn schon die fünf Buchstaben meines Namens forderten meine ganze Konzentration, bis sie in die krümelige Erde geschrieben waren. Sorgfältig verteilte ich die Samen in den Furchen, deckte sie zu, goss sie vorsichtig an – und das Warten begann.

Als die Mittagsblümchen endlich keimten, erfuhr ich zum ersten Mal die Freuden und Leiden einer Gärtnerin. Nicht jeder Samen ging auf, mancher Keimling fiel den Schnecken zum Opfer, andere hatte mein Gießwasser aus der Reihe geschwemmt, und sie mussten behutsam versetzt werden. Am Ende aber stand er da,

Die kunterbunten Mittagsblümchen öffneten ihre Blüten im Sonnenlicht und schlossen sie, sobald es schattig wurde. Fasziniert sah ich zu, wie mein Name lebte, sich öffnete und schloss und von Bienen und Schmetterlingen besucht wurde. Meine Mutter zeigte mir, wie ich verblühte Stängel vorsichtig entfernen konnte, damit die Pflanzen noch mehr Kelche trieben. Und schließlich, als sich der Sommer seinem Ende zuneigte, lernte ich, die letzten Mittagsblümchen stehen zu lassen und ihre Samen zu ernten, aus denen im nächsten Jahr neue Pflanzen entstehen würden.

 

Dieser Sommer hat mein Verhältnis zu Pflanzen im Allgemeinen und Blüten im Besonderen grundlegend geprägt. Und obwohl es noch Jahrzehnte dauern sollte, bis ich einen eigenen Garten besaß, so hatte ich den Kreislauf von Säen, Pflegen, Bewundern und Ernten und vor allem von Werden und Vergehen ein für alle Mal verinnerlicht. Als die Überreste meines eben noch blühenden Namens dem Spaten zum Opfer fielen und mein Vater den gesamten Garten umgrub, wie man in der Schule die Tafel auswischt, um etwas Neues darauf zu schreiben, war ich den Tränen nah. Doch in der Hand hielt ich das selbst gefaltete Tütchen mit den Samen wie ein Unterpfand dafür, dass alles irgendwann wieder beginnen würde.

 

Wenn wir im Supermarkt zehn abgezählte Import-Blumen in der Plastikfolie aus dem überfüllten Container

Aber warum ist das so? Warum empfinden wir eine gedeckte Tafel als vollständiger, wenn sie mit Blüten dekoriert ist? Warum freut sich jeder über einen Strauß? Wieso gehören Blumen zu jedem festlichen Anlass, begleiten sie uns doch im wahrsten Sinne der Worte von der Wiege bis ins Grab? Was können uns Blumen geben, erfüllen sie doch keinen praktischen Nutzen? Sind sie etwa doch mehr als bloße Dekoration?

 

Befragen wir sie doch einfach selbst, indem wir einer völlig willkürlichen Ordnung folgen und dennoch mit der Pflanze beginnen, die in unserem Kulturkreis als beliebteste Blume überhaupt gilt: der Rose.

Königin mit Dornenkrone

Ein heißes Bad mit Rosenduft – gibt es etwas Wohltuenderes? Die Anspannung nach einem ausgefüllten Arbeitstag, nach heftigen Diskussionen und einer langen To-do-Liste lösen sich im Nu auf, wir schließen Frieden mit der Welt, und was noch wichtiger ist: mit uns selbst. Nach neuen Forschungen soll uns der Duft von Rosen angenehme Träume schenken, vielleicht ist dies der Grund, warum Dornröschen ausgerechnet von einer Rosenhecke umrankt so lange schlief. Die Blüte ist zart, doch der Stock trägt Dornen – die botanisch korrekt eigentlich Stacheln sind –, so als müsste sie sich angesichts ihrer Attraktivität schützen. Den Schutzwall durchdringt nicht jeder, und das ist gut so. Die Zeit steht still, wenn der Zauber der Rose über ein Menschenleben fällt, bis sich das Schicksal – oder anders gesagt: die Liebe – erfüllt.

Dass die Rose als das Symbol für Liebe schlechthin gilt, ist allgemein bekannt. Sie ist die Blüte der Wahl, will man zärtliche Gefühle zum Ausdruck bringen.

Die Geschichtenerzähler des griechischen Altertums berichten, dass Aphrodite, die Göttin der Liebe, aus dem Schaum des Meeres geboren wurde, zusammen mit einem weißen Rosenstrauch. Ihre Unschuld verliert die Rose erst, als Aphrodite ihren Gefährten Ares mit Adonis betrügt. Eifersüchtig erschlägt Ares seinen Nebenbuhler, und als Aphrodite zu ihrem sterbenden Geliebten eilt, tritt sie in einen Rosendorn. So färben sich die ursprünglich weißen Rosenblüten rot und werden zum Sinnbild für die leidenschaftliche Seite der Liebe.

Eine jahrhundertelange Züchtungsgeschichte sorgte dafür, dass uns die Rose heute in vielerlei Gestalt begegnet: von der einfachen Heckenrose, der stark duftenden Hundsrose, bis hin zu den veredelten Sorten, ob englisch oder französisch, historisch oder hybrid, in allen Farbspielen von Weiß über Gelb und Orange zu Rot und Violett. Und doch ist sie sich in jeder noch so exquisiten Gestalt treu geblieben und wiedererkennbar, ob gefüllt oder fünfblättrig, duftend, rankend, strauchig, klein- oder großblütig – eine Rose ist eine Rose ist eine Rose, das wusste schon Gertrude Stein.

Betrachten wir ein paar Fakten: Im Jahr 2018

Ihre Beliebtheit verdankt die Rose ganz unterschiedlichen Eigenschaften. Ihr Erscheinungsbild entspricht unserem Gefühl für Schönheit und Harmonie, sie findet sich in vielen Wappen als Zeichen der Vollkommenheit, und wer selbst einen Rosenstrauch besitzt, erlebt immer wieder das Staunen vor jeder neuen Blüte. Keine scheint der anderen zu gleichen, auch wenn Farbe, Anzahl der Blütenblätter und Staubgefäße jedes Mal derselben Ordnung gehorchen. Verblüffend wirkt die unfassbar hohe Zahl an Variationen, in der diese Blume auftritt und doch immer sie selbst bleibt.

Geliebt wird sie außerdem ihres Duftes wegen, auch wenn dieser nicht bei allen Rosen gleich stark ausgeprägt ist. Schon sehr lange versucht der Mensch, diesen Duft der Blüte zu entreißen und ihn sich in allen Konzentrationen verfügbar zu machen. Überliefert ist ein Text aus dem 3. Jahrhundert vor Christus des griechischen Philosophen und Naturforschers

Vor allem zwei Sorten eignen sich zur Gewinnung des begehrten Rosenöls, die Rosa centifolia und die Rosa damascena. Letztere findet ihr ideales Klima in Bulgarien, in der Region Kasanlak, auch »Rosental« genannt. Hier wird seit Mitte des 18. Jahrhunderts vor allem die Damaszener-Rose angebaut, das Duftöl aus ihren handgepflückten Blüten deckt bis heute rund 70 Prozent des weltweiten Bedarfs der Kosmetik- und Parfümindustrie.

Der Aufwand ist gigantisch: Um einen Liter Rosenöl zu gewinnen, braucht man vier Tonnen handgepflückter Blüten. Sieben Mal wird das Öl destilliert, bis es die gewünschte Reinheit besitzt. Wen wundert es da, dass Rosenöl das teuerste Aromaöl überhaupt ist? Gehandelt wird der ölgewordene Duft in Millilitern, und für einen solchen Tropfen bezahlt man gut und gern 10 bis 20 Euro.

Aber warum duften Rosen überhaupt?

Es wäre natürlich sehr anthropozentrisch, wenn wir glauben würden, sie täte es, um uns Menschen zu erfreuen. Rosen, wie alle anderen Duftpflanzen, verströmen ihren Wohlgeruch einzig und allein, um Insekten anzulocken und damit ihren Fortbestand zu sichern. Bienen, Hummeln, Wespen, Schwebfliegen, Mücken

Es ist also ein Tauschhandel: Das Tier erhält Nahrung gegen einen überlebensnotwendigen Liebesdienst. Und das Aushängeschild dafür sind, neben der Form der Blüte je nach anzulockendem Insekt, die Farbe – und der Duft.

Doch woraus besteht er, viel beschworen und besungen?

Duftstoffe sind Substanzen aus winzigen Molekülen, die so leicht sind, dass sie durch die Luft schweben können. Täglich ziehen Hunderte von Düften an unserer Nase vorüber, ohne von uns bewusst wahrgenommen zu werden. Dennoch beeinflussen uns mehr davon, als wir merken, wirken sie doch über die Nase direkt auf unser Gehirn. Und so kommt es, dass uns manche Menschen unangenehm sind, ohne dass wir es uns erklären können: Unsere Nasenschleimhäute fangen Duftpartikel auf, die wir aus uns unbewussten, tief liegenden genetischen Gründen als abstoßend empfinden.

Der menschliche Geruchssinn nimmt nur Düfte wahr, die eine geringere relative Molekülmasse als 295 besitzen. Erschnuppert unsere Nase jedoch einen außergewöhnlichen Duft, reagieren wir unwillkürlich mit intensiverem Schnüffeln und nehmen auf diese Weise mehr Duftmoleküle auf als beim normalen Atmen. Interessanterweise setzt sich der Duft der Rose aus 450 bekannten und 120 noch nicht bekannten Bestandteilen

Wie raffiniert die Pflanze ihre Bestäuber manipuliert, wird deutlich, wenn man sich die strategische Verteilung der Duftmoleküle auf der Blüte ansieht. Im äußeren Bereich locken Rosenalkohole wie Citronellol, Geraniol und Nerol Bienen, Hummeln und Hornissen an, während unerwünschte Gäste sich davon abgestoßen fühlen. Einmal auf der Blüte gelandet, geraten die Bestäuber in einen wahren Phenylethanol-Rausch und kriechen derart betört weiter in die Mitte der Rose, wo ihnen vertraute Gerüche wie Eugenol und Citral, die sie aus ihrem eigenen Bienenstock kennen, entgegenströmen. Die Gäste fühlen sich buchstäblich »wie zu Hause«, tänzeln selig mit ihren Körpern hin und her, verteilen die mitgebrachten Pollen anderer Blüten und vollziehen so die ersehnte Bestäubung. Ist es nicht großartig, dass wir Menschen von diesem Liebeshandel ebenfalls profitieren?

Vom Duft ist es nicht weit zu anderen sinnlichen Genüssen. Schon seit langer Zeit bescheinigt man dem Aroma der Rose eine wohltuende Wirkung. In der Aromatherapie spricht man von »Herznote«, und genau solche Wirkungen auf die Gefühle, die dem Herzen zugeordnet sind, versuchte man zu nutzen.

Casanova wird nachgesagt, dass er die nackten Körper seiner Geliebten mit Rosenwasser beträufelte, bevor er sich mit ihnen vereinigte. In Persien hieß es, ein Mädchen könne die Liebe eines Mannes zurückgewinnen, wenn sie sein Hemd in Rosenwasser wasche.

Auch Hildegard von Bingen, eine der faszinierendsten Frauen des Mittelalters, schätzte die Rose als Beigabe zu jeder Medizin, denn nach ihrer Auffassung konnte sie die Wirkung anderer Heilpflanzen grundsätzlich verstärken. Als versierte Naturheilkundlerin verfasste sie die Schrift Physica. Darin schreibt sie (1. Buch, Kapitel 22): »Die Rose ist auch gut zu Tränken und Salben und zu allen Heilmitteln, wenn sie ihnen beigefügt wird; und sie sind umso besser, wenn ihnen etwas von der Rose beigefügt wird, wenn auch wenig, das heißt von ihren guten Kräften.«

Womit Hildegard von Bingen schon andeutet, dass es des Guten zu viel sein kann und der Rose, im Übermaß gebraucht, auch »schlechte« Kräfte innewohnen – vermutlich spielte sie hier auf die aphrodisierende Wirkung an. Unter den von ihr empfohlenen Rezepten sei das Rosen-Oliven-Öl zum Einmassieren genannt, bei dem echtes Rosenöl im Verhältnis 1:100 mit reinem Olivenöl vermischt wird. Helfen soll es bei Kopfschmerzen, Verspannungen und Nervenschmerzen.

Interessant finde ich ihre Empfehlung gegen Jähzorn: »Und wer jähzornig ist«, schreibt sie, »der nehme die Rose und weniger Salbei und zerreibe es zu Pulver. Und in jener Stunde, wenn der Zorn in ihm aufsteigt, halte

Im deutschen Volksglauben spielt die Rose eine nicht weniger wichtige Rolle. So sollen drei rote Rosenbüsche im Garten unerwünschte Besucher fernhalten. Hebammen vergruben nach erfolgreichen Geburten die Nachgeburt unter einem Hundsrosenstrauch, der bei den Germanen der Fruchtbarkeitsgöttin Freya geweiht war.

Und nicht nur um die Blüten, auch um die Früchte der Rose, die Hagebutten, ranken sich zahlreiche Legenden. Sie galten als probates Mittel gegen jede Art von Verhexung. Gaben Kühe keine Milch, schlugen die Bäuerinnen mit Hagebuttenzweigen ins Feuer. Überhaupt war es üblich, Gebinde aus Rosenfrüchten nicht nur in den Stall, sondern auch an die Haustür zu hängen. Von dort stammt der heute noch beliebte Brauch, im Herbst die eigene Haustür mit einem Kranz aus getrockneten Beeren und Früchten zu dekorieren.

Bedeutsam waren die Früchte der Hundsrose für die einfache Bevölkerung zu allen Zeiten aufgrund ihres hohen Gehalts an Vitamin C. Außerdem verfügen sie über die Vitamine A, B, E und K, wertvolle Flavonoide, Karotin, Pektin, Fruchtsäure und Gerbstoffe. Es ist mühsam, die kleinen harten Früchte von ihren haarigen Samen zu befreien und zu Mus zu zerkochen, doch gerade während der Hungerjahre in und nach den Weltkriegen bildeten sie für viele Menschen eine wichtige, wenn nicht die einzige Vitaminquelle.

Kein Wunder also, dass neben dem Holunderstrauch,

Kaiser Ludwig der Fromme, einer der Söhne von Karl dem Großen, ging in der Nähe des heutigen Hildesheims auf die Jagd. Als am Abend die Zelte aufgeschlagen wurden und ein Gottesdienst gefeiert werden sollte, stellte man fest, dass ein wichtiges Reliquienkreuz verloren gegangen war. Es wurde in einem mächtigen Heckenrosenstrauch gesichtet, doch es war unmöglich, das Kreuz aus den Dornen zu bergen. Statt zornig zu werden, sah der Kaiser darin ein göttliches Zeichen und ließ an dieser Stelle eine Kapelle zu Ehren der Gottesmutter Maria errichten. Dabei wurde der Rosenstock geschont, es heißt, der Kaiser habe eigenhändig seine Ranken um die Apsis der Kapelle gelegt.

An derselben Stelle steht heute der Hildesheimer Dom, und noch immer, trotz Neubau, Brand und Zerstörung während einer wechselvollen Geschichte, überlebte stets der Rosenbusch. Wenngleich nicht unversehrt, erholte er sich doch immer wieder und erreichte über die Jahrhunderte hinweg Berühmtheit. Selbst nachdem der Dom am 22. März 1945 zerbombt worden war, konnte der Strauch unter dem Schutt noch freigelegt werden – und begann tatsächlich erneut zu blühen. Er wurde zum Wahrzeichen der Stadt Hildesheim und ist an der Apsis des Doms bis heute zu bewundern.

Auch in der europäischen Prosaliteratur stand sie an einem bedeutsamen Anfang: Als Königin der Blumen und Symbol der Liebe widmeten ihr im Laufe der Zeit unzählige Dichter verschiedenste Werke. Ist es ein Zufall, dass der erste uns bekannte »Bestseller« aus dem 13. Jahrhundert von Guillaume de Lorris Le Roman de la Rose heißt? Der Rosenroman galt als Höhepunkt der französischen mittelalterlich-höfischen Literatur und als bahnbrechend in vielerlei Hinsicht. Er schildert, wenig überraschend, ein Liebesabenteuer in allegorischer Form, und dass der erste Teil mitten in der Geschichte endet, zeigt uns, wie gut es bereits im Mittelalter Autoren verstanden, ihre Leser bei der Stange zu halten. Der Rosenroman wurde so erfolgreich wie kein anderes Werk seiner Epoche. Noch heute sind mehr als 300 Kopien erhalten, und das aus einer Zeit, als Auflagen per Hand abgeschrieben werden mussten und der Buchdruck noch lange nicht erfunden war.

Doch nicht nur höfische Literatur beschäftigte sich mit der Rose, viele Volkslieder besingen sie. Da ist das zum Volksgut gewordene Goethe’sche »Röslein auf der Heide«, das ein Jüngling mutwillig bricht – hier wird uns eine Allegorie der gedankenlosen Verführung erzählt. In zahlreichen Märchen spielt die Rose eine

Der Roman Der Name der Rose von Umberto Eco spielt mit seinem Titel auf einen völlig anderen, heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Aspekt an, der lange Zeit mit der Rose verbunden blieb: die Verschwiegenheit. Wurde etwas sub rosa gesagt, also »unter der Rose«, dann war es ein Geheimnis und wurde als solches auch bewahrt. Vielleicht leitete sich dieser Ausdruck von den versteckten Rosenlauben in den antiken Gärten her, in denen man sich ungestört unterhalten konnte. Die griechische Mythologie bietet eine weitere Erklärung an: Um die zahlreichen Affären der Liebesgöttin Aphrodite geheim zu halten, schickte ihr Sohn Amor dem Gott der Verschwiegenheit Harpokrates ein Gebinde aus Rosen, damit er seinen Segen walten lasse. Offenbar war Harpokrates ein Rosenliebhaber – anders lässt sich dieser Bestechungsversuch nicht erklären.

Die römischen Politiker griffen die Symbolik auf.